Kinder, Jugendliche, Studenten
    Inhalt:
    Die Probleme liegen außer Haus
    Kinderarbeit ein Segen?
    Kinder wie Billardkugeln
    Beschneidung oder das Ende der Kindheit
    Anders wollen sie es nicht!
    Studenten und Fanatismus
    Jugend auf dem Lande
    Jugendarbeit in Ägypten
    Jugendgesetze
    Die Kneipe um die Ecke fehlt
    "Begegnung" – mit Konflikten an der DEO
    Heidi am Nil: Anspruch und Wirklichkeit deutscher Au-pairs und ihrer äg. Gastgeber
    Perspektiven im Ausland?

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Die Probleme liegen außer Haus
von Barbara Hatour-Satow

Papyrus-Logo Nr. 11/88, pp. 2—5

"Ich möchte Fußball in einer Mädchenmannschaft spielen, aber dazu muß man Mitglied in einem Klub sein und da rein zu kommen, ist schwierig und teuer", sagt die 23-jährige Jasmin. Ihre Antwort verblüfft mich nicht wenig, denn vor mir sitzt ein zierliches Mädchen, mit sanftem Blick, ungeschminkt, dunkelhäutig und nonnengleich in ein langes Gewand gehüllt, die Haare unter einem schneeweißen Tuch versteckt.
Neben ihr sitzt ihre Schwester, 17 Jahre alt, Schülerin in Jeans und T-Shirt. Auch Nevine antwortet auf die Frage, was sie am liebsten in ihrer Freizeit täte: Sport. Sie möchte Karate lernen, aber auch sie kann es sich nicht leisten, in einem der Kairoer Sportklubs Mitglied zu sein.
Ihr Vater ist Koch, ihre Mutter scherela (Putzfrau). Jasmin hat ägyptisches Abitur (sanaweia aama) und arbeitet seit drei Jahren in einer staatlichen Eiskremfabrik, im Sommer 12 Stunden! von 7 bis 19 Uhr, im Winter von 7 bis 14.30 Uhr. Ihr Grundgehalt beträgt LE 60,-, mit Zulagen kommt sie im Sommer auf LE 80,-, im Winter entfallen sie.
Früher wollte sie Lehrerin werden, aber dazu reichte es nicht. Jetzt wäre sie gern Sekretärin, "raus aus der Fabrik". Schreibmaschine kann sie, doch um so eine Arbeit zu bekommen, fehlen ihr die Beziehungen, sagt sie.
Nevine möchte nach der Schule einen Nähkurs machen und Schneiderin werden; den Wunsch auf die Universität zu gehen, hat sie aufgegeben.

Was ist für sie wichtigste Voraussetzung für ein glückliches Leben? "Ein Zeugnis, um arbeiten zu können." Auch verheiratet wollen beide berufstätig sein. Und heiraten wollen sie nicht vor fünf Jahren, dann wäre Jasmin 28. Wovor haben sie am meisten Angst? Vor Krieg, einen Mann zu heiraten, der sie schlecht behandelt; daß den Eltern etwas zustößt und sie allein zurückbleiben.

Jugend in Ägypten: wir befragten jugendliche Bekannte und Verwandte, doch ihre Aussagen sind nicht repräsentativ für die Jugend in Ägypten. An statistisches Material heranzukommen, ist äußerst schwierig. Untersuchungen über Jugendliche gibt es nur wenige, und sie konzentrieren sich auf die städtische Jugend.

Wer ist Jugendlicher? Der 11-jährige Junge, der schon seit Jahren über acht Stunden täglich arbeitet, ist er noch ein Kind? (Siehe hierzu den Beitrag "Kinderarbeit ein Segen?".) Ist die 19-jährige Fellachentochter, die seit drei Jahren verheiratet ist und ebenso viele Kinder hat, noch Jugendliche?

Jugend ist vorwiegend ein Phänomen moderner Industriegesellschaften, heißt es in der Encyclopaedia Britannica und definiert das Alter der Jugend von der Pubertät bis zur Volljährigkeit. Andererseits verlängert sich die Zeit der Jugend durch die immer längere Zeit der Ausbildung. Deutsche Untersuchungen über Jugendliche befassen sich mit der Altersgruppe 15- bis 25-jähriger.

Jugend in Ägypten umfaßt statistisch laut "Higher Council of Youth and Sport" (siehe hierzu den Beitrag "Jugendarbeit in Ägypten") das Alter 15 bis 30 Jahre, wonach ca. 27% der ägyptischen Bevölkerung der Jugend zuzurechnen sind.

Die Probleme der Zeit, die gemeinhin als die glücklichste des Lebens gilt, erklären die Länge des Abschnitts Jugend in Ägypten. Billigwohnungen sind knapp, der Verdienst äußerst gering und macht Heirat, der Beginn des Erwachsenendaseins für viele Jahre unmöglich. Etwa 250.000 Hochschulabsolventen sind arbeitslos und warten auf den von der Regierung garantierten und schlecht bezahlten Arbeitsplatz, andere warten auf die Möglichkeit, sich das Geld für Wohnung und Familiengründung in ein paar Jahren im Ausland zu verdienen oder versuchen, durch zwei, drei Jobs gleichzeitig das Nötige für eine Existenzgründung zusammenzusparen.

So zum Beispiel Ahmed aus Embaba. Mit neun Jahren wurde er von seinem älteren Bruder nach Zamalek mitgenommen, um dort in einem Geschäft zu arbeiten, zu putzen und Tee und Kaffee für die Angestellten zu besorgen. Zwar war er ein paar Jahre zur Schule gegangen, hatte aber so gut wie nichts gelernt. Die neue Umgebung weckte in ihm den Ehrgeiz. Er ging zurück zur Schule, und als er anfing, bei einem Elektriker zu arbeiten, besuchte er die Abendschule. Heute, 23-jährig, hat er drei Jahre Militärdienst hinter sich und noch zwei Jahre Schule bis zum Abitur vor sich. Sein Geld verdient er sich als selbständiger Elektriker mit ca. LE 400,- im Monat und durch den Verkauf von Holzgegenständen wie Becher, geschnitzte Kugelschreiber, Gebetsketten etc., die er abends mit zwei anderen Jugendlichen anfertigt und an Touristenläden verkauft. Was wünscht er sich? Viel zu arbeiten und viel Geld zu verdienen, um heiraten zu können und später nicht mehr so viel arbeiten zu müssen.
Obwohl Ahmed seine eigene Zukunft optimistisch sieht, "denn ich kann alles lernen", sieht er Ägyptens Zukunft nicht so rosig: immer wieder kommt er auf das Problem der Teuerung zurück. Zusammen mit der Bevölkerungsexplosion wird sie dazu führen, daß "die Leute sich bald gegenseitig auffressen". Zudem beunruhigt ihn, den Sohn eines Uhrmachers aus Oberägypten, der Sittenverfall. Er, der ein Mädchen immer so behandeln würde, wie er seine Schwester behandelt wissen will, stellt entsetzt fest, daß junge Männer verbal und handgreiflich belästigen, daß Vergewaltigungen in noch nie dagewesenem Maße zunehmen.

Das Zunehmen der Vergewaltigungen ist auch Thema vieler Zeitungsartikel der letzten Monate. Nicht nur die Todesstrafe, sondern die öffentliche Hinrichtung der Täter wird gefordert, aber auch die Mädchen werden beschuldigt, durch unzüchtige Kleidung zu dieser schrecklichen Tat aufzufordern. Ergo verhüllt euch.

Was sind die Gründe für Vergewaltigungen und die allgemeine Zunahme der Kriminalität? Sexueller Frust, westlicher Einfluß, Drogenkonsum? Die langen Jahre, in denen junge Menschen aus finanziellen Gründen nicht heiraten können (siehe hierzu den Film "Liebe auf der Anhöhe der Pyramiden", PAPYRUS 9/86) und aus gesellschaftlich-religiösen Gründen enthaltsam sein müssen, stellen sicher eine große Belastung für die Jugendlichen dar. Westlicher Einfluß durch Fernsehen, Reisen und Tourismus ist nicht auszuschalten. Der Konsum harter Drogen steigt, es soll eine Viertel Million Heroinsüchtiger in Ägypten geben, und der Zusammenhang Sucht-Kriminalität ist unbestritten.

Dennoch vermitteln vier, in den Jahren 1982—1987 durchgeführte Untersuchungen über Drogen- und Alkoholkonsum von über 14.000 Kairoer Schülern und Studenten ein für westliche Länder wünschenswert harmloses Bild: etwa jeweils 5% der männlichen Schüler und Studenten haben Erfahrungen mit synthetischen Drogen wie Beruhigungs- und Aufputschmitteln (Studenten 14%) sowie Hypnotica, 10 bis 15% mit Rauschgift, vorwiegend Haschisch, seltener mit Opium und über 40% mit Alkohol. Über 10% derer, die Erfahrungen mit synthetischen Drogen hatten, nahmen sie noch zur Zeit der Befragung, bei Rauschgift lag diese Zahl bei 19% und bei Alkohol bei 30%. Als Gründe dafür, daß sie aufgehört haben, Drogen oder Alkohol zu sich zu nehmen, nannten über 30%, "weil es schädlich ist" und fast 10% religiöse Gründe.

Während Alkohol und Rauschgift vorwiegend in Gesellschaft und zur Entspannung genommen werden und die Initiative zum Erstkonsum meist von den anderen, Freunden und Familienangehörigen ausgeht, greifen Studenten vorwiegend alleine und auch das erste Mal oft aus eigenem Antrieb zu Tabletten, zur Streßminderung vor Examen und bei physischen Beschwerden.

Eine Befragung von über 2.000 Studentinnen in Kairo ergab, daß weniger als l% Erfahrung mit Rauschgift hatten, die Erfahrung mit Beruhigungsmitteln jedoch wie bei den Studenten um 5% und bei Aufputschmitteln und Hypnotica nicht wesentlich darunter lag. Am häufigsten haben auch sie wie ihre männlichen Kollegen schon einmal Alkohol getrunken (20%).

Leila ist 19 Jahre alt und studiert englische Literatur. Ihr Vater ist selbständiger Geschäftsmann und viel unterwegs, ihre Mutter ist Direktorin einer Firma.
Während des Semesters steht sie früh auf und fährt mit ihrem eigenen Auto zur Universität, wo sie meist bis 17 Uhr bleibt. Wieder zu Hause ißt sie, lernt etwas oder sieht Videofilme. Ausgehen darf sie nur donnerstags.
In der Freizeit geht sie in den Klub, macht morgens Aerobic und Jogging und trifft sich abends mit ihren Freunden. Manchmal hilft sie ihrem Vater im Büro, manchmal kocht sie zu Hause – wenn sie Lust hat.
Den Sommer verbringt sie mit der Familie im Sommerhaus in Agami oder in Europa, meist in Griechenland.
Wie sehen ihre Zukunftspläne aus? Erst will sie ihr Studium fertig machen, dann ihren Freund heiraten und eine große Familie gründen. Will sie nicht arbeiten? "Etwas tun will ich schon, aber keine langweilige Stelle von 8 bis 15 Uhr." Am liebsten möchte sie als Designerin zu Hause arbeiten, deshalb nimmt sie jetzt an einem Designerkurs teil.

Das ägyptische Schul- und Universitätssystem beruht auf einem Pauksystem, daß nicht allzuviel Zeit für Probleme mit der Freizeit läßt – nur in den überlangen Sommerferien. Da Jugendliche fast ausschließlich bei ihren Eltern wohnen, verbringen sie ihre Freizeit mit ihnen und den zahlreichen Familientreffs der Großfamilien, oder sie gehen zu Freunden, unterhalten sich, ziehen gemeinsam durch die Stadt. Klubs sind wichtiger Treffpunkt für Freunde und ermöglichen eines der wenigen Hobbys, die Ägypter auszuüben Gelegenheit haben: Sport. Für die, die kein Klubmitglied sind, bleibt Sport meist ein unerfüllter Wunsch.

Ihre Ehepartner wollen die Jugendlichen, mit denen wir sprachen, selbst wählen, heiraten aber nur mit Einverständnis ihrer Eltern. Die westliche Jugend ist ihnen kein Vorbild, nicht weil man sie moralisch verurteilte, sondern weil man den eigenen Familienverband nicht missen möchte, "der dort fehlt, weil jeder seiner Wege geht". Die Gründung einer eigenen Familie ist unbefragtes Ziel jedes ägyptischen Jugendlichen.

Freiheit, Unabhängigkeit, Selbständigkeit, Meinungsverschiedenheiten mit den Eltern scheinen nicht die Hauptprobleme der ägyptischen Jugend zu sein. Die Probleme liegen außer Haus.
Arbeit, finanzielle Probleme, Wohnung und Heirat wurden in einer Befragung von über 300 Kairoer Studenten als Hauptprobleme ägyptischer Jugendlicher angegeben. Stabilität war meistgenanntes Ziel einer Ehe. Ältere, besonders die eigenen Eltern, werden respektiert. Nicht verwunderlich, wünschten die meisten Studenten, in ihrem Spezialgebiet arbeiten zu können, jedoch 83,5% glaubten nicht, eine solche Arbeit finden zu können. Fast ein Drittel der Befragten äußerte den Wunsch, nach dem Studium zu migrieren, ein Wunsch, der immer schwerer in Erfüllung gehen wird, denn die Aufnahmefähigkeit der arabischen Golfstaaten für ägyptische Arbeitskräfte gilt als erschöpft (siehe hierzu den Beitrag "Perspektiven im Ausland?").

Persönliches, nicht Gesellschaftliches, stand im Mittelpunkt des Interesses der Befragten. Da Arbeitslosigkeit, zu teure Wohnungen etc. aber gesellschaftliche bzw. politische Probleme sind, ist es nicht verwunderlich, daß sich einige Jugendliche durch eine totale Neuordnung die Lösung ihrer Probleme versprechen und – für das Alter nicht untypisch – ins radikale Lager abtriften (siehe hierzu den Beitrag "Studenten und Fanatismus").

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Kinderarbeit ein Segen?
von Barbara Hatour-Satow

Papyrus-Logo Nr. 11/88, p. 6

Über eine Million ägyptischer Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren arbeiten, anstatt die Schulbank zu drücken, und ihre Zahl steigt. Sie steigt, weil die Zahl der Kinder wächst, weil es mehr Jobmöglichkeiten für Kinder gibt und weil die Familien den Verdienst der Kinder benötigen.

Bei einer Untersuchung des "National Center for Social and Criminal Research" in der Lederindustrie gaben 90% der Eltern arbeitender Kinder an, ihre Kinder nicht zur Schule zu schicken, weil sie auf deren zusätzliches Einkommen angewiesen seien, 20% deshalb, weil der Vater arbeitsunfähig oder abwesend ist. Fast die Hälfte der befragten Eltern äußerte, daß sie sich Schulbildung für ihre Kinder nicht leisten können. Zwar ist der Besuch der Grundschule kostenlos, es ist jedoch selbst in der Unterschicht üblich, die Kinder mittels Privatunterricht auf die staatlichen Prüfungen vorbereiten zu lassen, was in den überfüllten Klassen mit schlecht bezahlten und unmotivierten Lehrern nur mangelhaft geschieht.

Die meisten der arbeitenden Kinder – 71% – sind in der Landwirtschaft tätig. Von den 290.000 Kindern, die in den Städten arbeiten, sind 37,9% der Jungen in der Kleinindustrie beschäftigt, 19,5% im Handel, 15% im Dienstleistungs- und 18,5% im Baugewerbe. Die Mädchen arbeiten in den Städten vorwiegend im Dienstleistungssektor (54,6%). Die Kinder arbeiten durchschnittlich neun Stunden am Tag, sechs Tage die Woche und verdienen wöchentlich LE 13,- (durchschnittlicher Wochenlohn der Erwachsenen LE 46,-). Die Eltern der arbeitenden Kinder sind zu 45,6% Bauern und zu 32% Arbeiter.

Das Phänomen der Kinderarbeit sehen Ägypter nicht nur negativ. Einige Soziologen halten sie sogar für vorteilhaft, weil sie die Kinder konstruktiv beschäftigt, die andernfalls noch nicht einmal die Grundlagen einer Schulbildung vermittelt bekämen. Sie wachsen heran zu den so benötigten Facharbeitern und Handwerkern, während diejenigen, die die Berufsschulen besuchen, nur allzu oft Verwaltungsjobs übernehmen, statt ihrem gelernten Beruf nachzugehen.

Quelle:
    • MET 3.—9. April 1988

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Kinder wie Billardkugeln
von klaus lainck-kuse

Papyrus-Logo Nr. 11/88, pp. 7—8

biljas werden sie genannt. und ahmed, ali oder mustafa heißen die kleinen jungen, die man überall in ägypten, in jedem handwerksbetrieb oder auch auf baustellen finden kann. als laufburschen und handlanger, als schlepper für die Touristen werden sie herumgestoßen wie die billardkugel.

ahmed hefny, schmalbrüstig und kleinwüchsig, ist einer von ihnen. er gibt vor, schon vierzehn zu sein, wirkt aber in seinem ölverschmierten minioverall wie ein verschüchterter zehnjähriger. es ist schwer, von ihm etwas zu erfahren, so verschreckt wirkt er auf die fragen eines fremden. ja, er sei sehr froh, diese arbeit gefunden zu haben. und der chef, ein automechaniker, der eigentlich gar keiner ist, steht daneben. ahmed hat wohl mehr angst vor ihm als vor dem fremden. geraten die biljas nämlich an die art von kleinstunternehmer, die sich so richtig wie die großen ausbeuter gebärden, dann setzt es schläge, wenn der schraubenschlüssel mal wieder nicht auffindbar ist. dabei hat ihn ein anderer mitgehen lassen. gearbeitet wird von acht uhr morgens bis neun abends.

ahmed hat, wie tausende andere auch, die schule vorzeitig verlassen. sein vater hat für ihn hier die richtige schule für das leben gefunden. hier lernt er wenigstens was gescheites, hier bringt er auch noch jede woche zehn pfund mit nach hause, um die siebenköpfige familie mit zu ernähren. sein vater ist flickschuster, seine mutter versorgt den haushalt im übervölkerten bulak. sie bekommt das geld.

die übrigen vier biljas in der werkstatt des mekaniki, der als ehemaliger handelsschüler bald den laden von seinem vater übernehmen will, sind aus kinderreichen familien. viele kinder zu haben, bedeutet in ägypten noch immer, von allah gesegnet zu sein. denn, ein kind bringt sein brot mit. und wenn es der müll ist, den die kinder der zabalin auf dem eselskarren vorsortieren, um ihn weiterzuverwenden. aber ahmed oder zeinab, die bei einer familie als mädchen fürs grobe untergekommen ist, diese kinder empfinden es eher als glück und nicht als ausbeutung, wenn sie mit ihrer arbeitskraft schon mithelfen können, sich und die übrige familie zu ernähren. ahmed ist stolz auf seinen beitrag, er verdient schließlich schon jetzt die hälfte dessen, was ein staatsangestellter als anfangsgehalt bezieht. und wenn er lange genug seinem mekaniki als stift gedient hat, hofft er auch auf die höheren weihen.

natürlich gibt es auch eine geregelte berufsausbildung. aber nur die wenigsten können oder wollen in die berufsschule. da lernt man doch nichts, meint ahmed und sein chef sieht das genau so. die auch in ägypten bestehende schulpflicht für die sechs- bis zwölfjährigen wird eher als lästig und unproduktiv angesehen. daß sie das verfassungsmäßige grundrecht auf bildung erfüllen soll, davon weiß ahmed nichts.

zum spielen hat ahmed kaum zeit. manchmal geht er mit seiner familie am sonntag in den el-urman-garten. und vor lauter menschen sieht man kaum noch grün. wenn's hochkommt, gehen sie in den zoo. ansonsten ist freizeit aber auch die zeit, in der ahmed seine eigene kasse noch etwas aufbessern kann. abends, wenn das kairoer verkehrschaos zum inferno wird, dann turnt ahmed zwischen den stinkenden blechkarossen, riskiert kopf und kragen, um jasminblüten, die er mit seinen Geschwistern auf eine schnur gezogen hat, durch's fenster zu reichen. ein blütenkranz – zehn piaster. ahmed ist stolz auf sein business. er hat noch nie gebettelt und bakschisch fließt reichlich.

kinder sind ein segen allahs. und dieser segen scheint auch auf ahmed zu liegen. er ist schon längst kein lästiger mitesser mehr, er schafft an. die welt ist für ahmed in der gottgewollten ordnung.

10-Jähriger verursacht Chaos am Flughafen
aus MET 13.—19.8.1988
bearbeitet von Barbara Hatour-Satow
Papyrus-Logo Nr. 11/88, p. 8

Ein kleiner Junge versetzte kürzlich den gesamten Kairoer Flughafen in Aufruhr, als es ihm gelang, die schwer bewachten Sicherheitssperren zu passieren und ein irakisches Flugzeug mit Ziel Bagdad ohne Ticket zu besteigen. Erst als die Passagiere in der Maschine gezählt wurden, fiel der Junge auf.

Nachdem die Polizei den Zehnjährigen seiner Familie übergeben hatte, wurde er am nächsten Tag abermals am Flughafen aufgefunden, diesmal an einem anderen Durchgang. Als Grund für sein Verhalten erklärte der zehnjährige Junge im polizeilichen Verhör, daß er arbeiten müsse, um seine kranke Mutter und seine sechs Brüder, die alle in einem Zimmer leben, zu ernähren.

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Beschneidung oder das Ende der Kindheit
von Barbara Hatour-Satow

Papyrus-Logo Nr. 11/88, p. 9

Ein jähes Ende der Kindheit ist auch heute noch für viele Mädchen in Ägypten die Beschneidung. Wird sie bei Jungen vorwiegend direkt nach der Geburt vorgenommen, müssen Mädchen sie bei vollem Bewußtsein im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren erleiden. Eine Beschreibung dieses traumatischen Erlebnisses, bei dem den Mädchen die äußeren Genitalien, Klitoris und Schamlippen teilweise oder ganz entfernt werden, findet sich in Nawal el Saadawis "Tschador" sowie in der Erzählung "Was ist das, ein Mann?" von Alifa Rifaat. (Siehe hierzu auch verschiedene Beiträge zur Rubrik "Frauen in Ägypten" –Anm. KFN.)

Dieser Brauch, oft als grausamster Beweis der Unterdrückung der Frau im Islam angeführt, ist Moslems und Christen gemein, ist älter als beide Religionen und geht zurück auf pharaonische Zeiten. Die Sitte, auch im Sudan, in weiten Teilen Schwarzafrikas, in Neu Guinea, Australien, Malaysia und Südamerika zu finden, beruht u.a. auf dem Glauben an die Bisexualität der Seele, die ihre Entsprechung in der Bisexualität der Götter findet.

Der Nilgott Hapi, dargestellt mit Bart und Brüsten, Atum, der Schöpfergott aus Heliopolis, der aus sich heraus die Götter Schuh und Tefnut erschafft, sind Beispiele androgyner Gottheiten aus der altägyptischen Mythologie. Beschneidung als Initiationsritus entfernt dem männlichen Geschlecht die weibliche "Seele", die ihren Sitz in der Vorhaut hat und dem weiblichen Geschlecht die männliche "Seele" in der Form der Klitoris.

Die Beschneidung oder Klitoridektomie macht das Mädchen zur Frau, es wird aufgenommen in die Gemeinschaft der Frauen und erhält so die Voraussetzung zur Heirat. Dieser Glaube ist auch heute noch Begründung für den brutalen Eingriff, der die sexuelle Erlebnisfähigkeit der Frau beschränkt. Die weibliche Sexualität einzuschränken ist erklärtes Ziel derer, die diesen Brauch praktizieren. Denn in diesen warmen Zonen könne man das weibliche Geschlecht nicht anders als durch diesen chirurgischen, von Hebammen (dajas) unter einfachsten Bedingungen vorgenommenen Eingriff, bändigen und die Jungfräulichkeit bis zur Ehe garantieren. Hygiene und kosmetische Schönheit sind weitere Argumente.

Klitoridektomie, heute in Ägypten verboten, ist auf dem Lande und den unteren städtischen Schichten noch weit verbreitet. Dennoch hat sich innerhalb einer Generation viel geändert. Ist die Generation der heute siebzigjährigen Frauen der städtischen Mittel- und Oberschicht noch beschnitten, so sind es ihre ältesten Töchter vielleicht ebenso, aber ihre jüngeren nicht mehr und für ihre Enkelinnen ist Beschneidung schon undenkbar.

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Anders wollen sie es nicht!
von Christa Afifi

Papyrus-Logo Nr. 11/88, pp. 10—12

Ahmed, Hossein, Mohamed, Dina – 4 Studenten

Wer kennt sie nicht, die jungen Studenten, die man meistens in Gruppen vor oder im Gelände der Universitäten in Gespräche vertieft stehen sieht. Sie lachen sehr viel und machen im allgemeinen einen zufriedenen, unbeschwerten Eindruck.

Wie leben sie? Wie verbringen sie ihre Freizeit? Welche Träume haben sie? PAPYRUS ist dieser Frage nachgegangen und hat einige von ihnen befragt.

Fangen wir mit Ahmed an. Ahmed studiert im dritten Jahr Flugzeugingenieur. Sein Vater ist Geschäftsmann. Die Familie lebt in Zamalek. Ahmed arbeitet nicht neben seinem Studium, er nimmt Taschengeld von seinem Vater. Nicht übertrieben, denn er ist sehr preisbewußt. Er fährt einen kleinen Jeep, ein Geschenk des Vaters für gute Leistungen. Ahmed bastelt gern an Motoren und Maschinen (bei seinem Auto macht er dabei keine Ausnahme) und macht sich auf diese Weise zu Hause und bei Freunden nützlich. Ein weiteres Hobby ist Segelfliegen.

Die Sommermonate verbringt die Familie im eigenen Haus in Agami in der Nähe des Strandes. Dort trifft er sich mit seiner "clique" (Sommernachbarn aus Agami), mit denen er dann den Hauptteil der Ferien verbringt. Abends geht diese Gruppe, bestehend aus Jungen und Mädchen, oftmals in die Disco zum Tanzen. Zu Hause in Kairo geht Ahmed in den Gezira-Klub, wenn er Zerstreuung sucht. Dort sind immer ein paar Bekannte, mit denen er die Zeit verbringen kann.

Ahmeds Träume für die Zukunft sind fest umrissen. Er sieht als Anfänger nach einem Studium keine Chance, in Ägypten so aufzusteigen, daß er sich von seinem Vater finanziell lösen könnte. Also hat er sich entschlossen, nach der Militärzeit in den USA sein Studium zu vervollständigen und auch dort seine berufliche Laufbahn zu starten. Er will viel Geld sparen, um sich danach in einigen Jahren in Ägypten eine Existenz aufzubauen. Er möchte, wenn er mal eine Familie gründen will, den gleichen Komfort haben, den er von Haus aus gewohnt ist.

Anders ist es bei Hossein. Hosseins Vater ist Angestellter. Die Familie wohnt in Giza. Hossein studiert im zweiten Jahr Feinmechanik. Seine Familie kann es sich nicht leisten, den Sommer in Alexandria zu verbringen. Man bliebt in Kairo. Er hat kein Auto, nimmt aber vom Vater Taschengeld. Zusätzlich verdient er sich mit Bastelarbeiten etwas dazu. Er hat schlechte Erfahrung, neben dem Studium für Firmen zu arbeiten. Man zahlt schlecht und das auch nur zögernd. Darum hat er sich entschlossen, kleine Gegenstände, wie Lampenschirme oder Bilderrahmen herzustellen und zu verkaufen. Hossein ist ein Einzelgänger. Er nimmt auch an keinem der Ausflüge teil, die die Universitäten regelmäßig veranstalten. Er liebt keine Gruppenvergnügungen, bei denen man alles vorgeschrieben bekommt. Darum geht er meistens allein in den Klub zum Joggen oder zum Schwimmen. Falls er dort ein paar Freunde trifft, ist es gut, wenn nicht, macht es ihm auch nicht viel aus.

Über seine Zukunft hat er sich auch schon Gedanken gemacht. Obwohl er von seinem Vater eine Wohnung bekommen wird, will er sich noch lange nicht binden. Er will erst einmal herausfinden, wie man sein Leben allein einrichten kann, ohne Verantwortung für andere. Danach wird er sich nach einer Frau umsehen. Er wird keine Vermittlung von seiner Familie akzeptieren. Da man sich hier verloben muß, um miteinander allein ausgehen zu können, besteht er auf langer Verlobungszeit. Er will die Zukünftige richtig kennenlernen. "Heirat ist für das ganze Leben, da muß man sich schon gut verstehen." Er will eine Gefährtin, das ist für ihn äußerst wichtig.

Mohamed ist ein ganz anderer Mensch als Ahmed oder Hossein. Sein Vater ist Ingenieur. Er ist in Mohandessin zu Hause. Mohamed studiert im letzten Jahr Bauingenieur. Er ist sehr fromm, auf eine angenehme, glaubwürdige Art. Er nimmt im Gegensatz zu Hossein gern an Ausflügen der Universität teil, die nach Luxor, Assuan oder Ismailia führen. Er fährt auch gern mit seinen Freunden an freien Tagen oder Wochenenden in die Oasen zum Zelten.

Die Familie verbringt einige Wochen im Sommer in Marsa Matrouh, in einer Ferienwohnung. Das ist finanziell akzeptabel, da man sich mit mehreren Familien zu einer Art Kooperative zusammengeschlossen und dort einige Wohnungen gekauft hat. Er trifft dort am Strand immer wieder die gleichen Familien mit ihren Söhnen und Töchtern. Die wenige Freizeit, die das Studium ihm läßt, verbringt er mit Lesen, Flugzeugbau und Handball.

Er glaubt, daß alles im Leben vorgeschrieben ist. Darum wird er heiraten, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Er würde auch ein Mädchen nehmen, das ihm seine Mutter aussucht. Selbstverständlich legt er sehr großen Wert auf gegenseitige Übereinstimmung, sei es in Herkunft, Lebensweise oder Denkungsart. Um sie besser kennenlernen zu können, würde er mit ihr nur an öffentlichen Plätzen sitzen. Er wird dem Mädchen "den gleichen Respekt entgegenbringen den er von anderen Jungen gegenüber seinen Schwestern erwartet". (Diese Haltung ist typisch und sehr natürlich für einen wohlerzogenen ägyptischen Jungen aus guter Familie.)

Zum Schluß hatte ich noch Gelegenheit, mit Dina zu sprechen. Dina ist die Tochter eines Ingenieurs, wohnhaft in Heliopolis. Sie studiert Betriebswirtschaft, im zweiten Jahr. Das Studium nimmt ihre Zeit voll in Anspruch. Sie kann von Ferien in Europa oder Alexandria berichten. Man fährt nicht jedes Jahr in Urlaub. Auch Dina trifft sich oft im Klub mit Freunden aus der Uni oder aus ihrem elterlichen Bekanntenkreis. Am liebsten spielt sie Squash. Wie sie sich ihre Zukunft vorstellt? Absolut gar keine Idee. "Wenn ich genau wüßte, was ich will, würde ich wahrscheinlich etwas anderes studieren." Bevor sie weitere Pläne macht, will sie erst einmal ihr Studium gut abschließen. Dann wird man weiter sehen.

Auf die Frage, ob diese jungen Menschen nicht mal daran gedacht hätten, so zu leben wie Gleichaltrige in Europa, d.h. keine gesellschaftlichen Einschränkungen, selbständigeres Leben etc., reagierten alle ziemlich gleich. Erstaunt über diese Frage antworteten sie übereinstimmend ablehnend. Warum sollten sie etwas vermissen, was sie nicht kennen?

Die Lebensform in Ägypten sei eine andere als in Europa. Man sei hier für dieses Leben erzogen und fände alles gut, so wie es ist. Man trifft sich grundsätzlich in Gruppen (Jungen und Mädchen), und das ist so ganz in Ordnung. Anders wollen sie es gar nicht.

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Studenten und Fanatismus
von "esch"

Papyrus-Logo Nr. 11/88, pp. 13—15

Zur Untersuchung von Amina El Gindi, Helwan Universität, Ägypten, unter dem Titel
Fanatismus unter den Studenten.
Eine Studie, vorgelegt dem Seminar "Jugend und Probleme der Gesellschaft in der modernen Welt"
vom 20.—22. Oktober 1987 in Rabat.

Diese Untersuchung ist im "Arab Thought Forum, Amman" erschienen. Sie gibt nicht unbedingt die Meinung des Literatenvereins "Arab Thought Forum" wider, sondern die Ansicht der Autorin.

Es handelt sich um eine Studie der Studentischen Bewegung Mitte der achtziger Jahre. Befragt wurden führende Studenten an den ägyptischen Universitäten in Kairo und Helwan. Bevor Dr. El Gindi die Ergebnisse ihrer Studie bekanntgibt, erklärt sie kurz, was unter Fanatismus und ähnlichen Begriffen zu verstehen ist.

Die Autorin erläutert die Begriffe Fundamentalismus, Fanatismus und Gesetzwidrigkeit, wobei Fanatismus in einigen Fällen zu Gesetzwidrigkeiten führt, die jedoch nicht als solche angesehen werden. Sie schreibt, daß Fanatismus keine gesellschaftliche Erscheinung ist, solange es um Einzelfälle geht, die nicht zu Gemeinschaftsfanatismus führen. Bei aktivem politischen oder religiösen Fanatismus vieler Gruppen aber wird die Sicherheit der Gesellschaft bedroht durch die Macht, die diese Gruppe darstellt.

Fundamentalismus ist eine der wichtigsten Eigenschaften des Fanatismus und führt zur Isolierung von der Gesellschaft. Er schließt den Dialog und das gegenseitige Verständnis aus. Dadurch verstärken sich seine Ideen, bis der Fanatiker den Punkt erreicht, an dem diese Ideen sein Lebensziel bilden und er bereit ist, sein Leben dafür zu opfern.

Die Autorin schreibt weiter, daß die Jugend dem Fanatismus am meisten erliegt, da sie ihren Individualismus betont. Die Studienjahre sind für den Jugendlichen der Übergang vom Kindesalter zum Erwachsenen, ohne jedoch materielle oder familiäre Verantwortung tragen zu müssen. Außerdem neigt die Jugend dazu, eine ideale Gesellschaft aufbauen zu wollen und dabei die herkömmlichen Formen zu ändern.

Im dritten Kapitel behandelt die Autorin die psychologischen und soziologischen Gründe für die Entwicklung des Fanatismus. Vom psychologischen Standpunkt aus ist die Kindheit ein wichtiger Ausgangspunkt bei der Entwicklung der Persönlichkeit, wobei sie feststellt, daß Befriedigung der lebenswichtigen Bedürfnisse wesentlich ist für die Entwicklung einer ausgeglichenen Persönlichkeit. Nur so kann der Jugendliche die gesellschaftlichen, kulturellen und soziologischen Einflüsse und Änderungen bewältigen.

Zur geschichtlichen Entwicklung der religiösen Trends in Ägypten meint Dr. El Gindi, daß die Wurzeln des Fanatismus in der islamischen Geschichte liegen, sie reichen zurück bis in die Zeit der direkten Nachfolger des Propheten Mohamed. In Ägypten bildete sich Ende der zwanziger Jahre die Bewegung der Moslem-Bruderschaft als Kern der späteren Gruppen. Der große Erfolg der Moslem-Brüder lag in der Ideologie. Leider betätigten sie sich auch politisch, so daß die anfangs rein religiöse Reform nun nach politischen Änderungen verlangte. Es kam zu Zusammenstößen mit der Regierung und zum Verbot dieser Bewegung im Januar 1954. In den sechziger Jahren wurde der Islam als Basis für die sozialistischen Reformen des Landes gebraucht. Die allgemeine Hoffnungslosigkeit nach der Niederlage 1967 war der Nährboden für das Aufkommen fanatischer Gruppen.

Die Autorin hat 528 Studentenführer aus 10 Fakultäten der Universitäten Kairo und Helwan befragt. 328 richtig ausgefüllte Fragebögen liegen der Statistik zugrunde. 73% der Befragten waren zwischen 20 und 23 Jahre alt, mit guten bis ausgezeichneten akademischen Beurteilungen.

Interessant ist die Beantwortung der Frage, wie diese Studenten über die Frau denken, ihre Erziehung, Berufsausübung, Gleichberechtigung und Polygamie. Nur 11% waren gegen eine akademische Ausbildung der Mädchen, 39% gegen gemischte Schulen; 11% wollten nicht, daß die Frau arbeite, 51% wollten nur bestimmte Berufe für Frauen. 26% waren für Polygamie und 17,1% für Gleichberechtigung.

Prozentuale Verteilung zwischen Studenten mit lediglich fanatischer Neigung und Studenten, die einer religiösen Gruppe angehören:

  Studenten in religiösen Gruppen organisierte Studenten
Kein Kontakt zu Nichtgläubigen 10,8 73,9
Frauen müssen sich verschleiern 9,7 69,6
Kein Umgang zwischen Mädchen und Jungen 39,3 86,9
Universität nur für Männer 10,7 69,6
Arbeitsplätze nur für Männer 10,7 65,2
Umgang mit Andersdenkenden soll vermieden werden 8,2 43,5
Entlassung der Studenten oder Studentinnen,die nicht anständig
gekleidet sind
5,8 33,6

Die Auswertung zeigt, daß Studenten, die religiösen Gruppen angehören, viel fanatischer sind als ihre Kollegen, die sich fanatisch dünken.

Bei der Untersuchung der finanziellen Lage dieser Studenten stellte sich heraus, daß 52% kein ausreichendes Einkommen haben, 34,4% es gerade schaffen, nur 11% haben ein genügendes Einkommen.

Kein adäquates Zuhause: 52%
Kein adäquates Verkehrsmittel: 58%
Keine angemessene Kleidung: 58%
Kein Geld für Bücher und Material: 49%
Kein Geld für Ausflüge: 54%

Ein wichtiger Aspekt dieser Studie ist die Zukunftserwartung dieser Studenten. 31% erwarten nach dem Studium keinen angemessenen Arbeitsplatz und nur 18% glauben, eine Wohnung finden zu können.

Die Wirtschaftspolitik des Landes spielt bei der Bevölkerungsschicht mit geringem Einkommen eine große Rolle, da die ständigen Preiserhöhungen ihr Einkommen immer mehr schrumpfen läßt, was zu steigender Verzweiflung und Resignation führt.

Das Endergebnis dieser Studie zeigt, daß die meisten befragten Studenten Sorgen und Probleme haben, aber keine Aussicht auf Verbesserung ihrer Lage. Ihre Wunschvorstellungen werden sie innerhalb der Grenzen dieses Landes nicht realisieren können. Fanatismus ist unter diesen Studenten sehr verbreitet, eine große Zahl sind Extremisten, besonders in der Einstellung zur Frau und zu Andersdenkenden. Es zeigt sich, daß die extremen Fanatiker meistens entweder aus dem ländlichen Raum oder aus der niedrigen Volksschicht stammen. Viele schließen sich religiösen Gruppen an, die versuchen, das politische System gewaltsam zu ändern, selbst durch blutige Auseinandersetzungen.

Die Studie von Dr. Amina El Gindi behandelt ein Thema, das heute in Ägypten viel wichtiger ist, als man zugeben möchte. Hätte die Untersuchung mehr Universitäten einbezogen, besonders im Delta und Oberägypten, hätte dann das Resultat anders ausgesehen?

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Jugend auf dem Lande
von Ursula Schernig

Papyrus-Logo Nr. 11/88, pp. 16—18

«Jom Asal, Jom Basal»
Gute und schlechte Tage wechseln einander ab!

 
Der holländische Jesuitenpater Charles Libois hat als Priester jahrelang in einem kleinen Dorf Oberägyptens die koptischen Christen betreut.
Zurück in Holland hat er 1987 ein Aufsehen erregendes Buch über die Zeit publiziert:
"Mensen langs de Nijl, het dagelijks leven in een Egyptisch dorp".

Einige Ausschnitte daraus, das Leben der jungen Menschen betreffend, sollen Ihnen hier, zum Teil gekürzt, vorgestellt werden.

Abdu, der 12-jährige Sohn von Khairallah, ein Moslem, spielt draußen mit seinen Freunden. Jeder hinkt auf einem Bein einem anderen nach, wobei die rechte Hand den linken großen Zeh auf dem Rücken festhält. Schnell sind die Galabeyas ausgezogen und sie spielen ihr lustiges Spiel unter den Palmen im Staub. Auch wenn Bulos, Andraos und andere Christenjungen im lauen Wasser des Nils schwimmen und sich hinterher am Ufer herumbalgen, liegen ihre Kleider am Ufer. Aber aus welchen Gründen auch immer sind christliche Jungen doch immer etwas reservierter gegenüber der Nacktheit als Moslems.

Den Mädchen verbieten die Sitten diese Freiheit völlig. Sie gehen völlig angekleidet ins Wasser, Frauen nur bis zum Knie. Kleine Mädchen sieht man nie ganz ohne Kleidung. Beneidenswert ist das Los der Mädchen auf dem Lande keineswegs ...

Raufa, Suad, Miriam und Amal sind intelligente Mädchen. Sie haben die Schule im Dorf besucht. Ein Glück, daß es hier, wo sie wohnen, diese Schule gibt. Sonst blieben sie ungebildet wie ihre Mütter. Keine einzige in diesem Dorf kann schreiben oder lesen. Für Tausende von Fellachen-Mädchen findet man es nicht der Mühe wert, sie in die Schule zu schicken. Besonders unter den Moslems gibt es diese Haltung. Aber selbst die, die den Unterricht besuchen, werden immer wieder zu hause gehalten: Madeleine du mußt heute Brot backen! – Nadija, du mußt heute zu Hause bleiben. Ich fühle mich nicht wohl. – Samira, ich muß einen Besuch machen. Du mußt auf die kleinen Kinder aufpassen. – Saida, hilf heute Abu Abdaou auf dem Feld.

Die meisten Dorfmädchen kennen nur die paar Straßen rund um ihr Haus. Obwohl sie so nahe am Nil wohnen, sehen die meisten diesen Fluß nur einmal im Jahr, am uralten Fest Sham el Nesim, dem Tag nach Ostern. Dann verlassen die Familien ganz früh ihr Dorf und frühstücken in der frischen Morgenluft am Ufer des Nil. Kichernd, mit hochgeschürzten Röcken, stehen Frauen und Mädchen in einer Gruppe zusammen und baden ihre Füße. Die Jungen rennen herum, schwimmen und prusten wie der erste Mensch im Paradies.

Heiratet eins der Mädchen und zieht in ein anderes Dorf um, so ist es meist das erste Mal, daß sie ihren Geburtsort verläßt.

Etwa 5 km entfernt gibt es eine "höhere" Schule. Viele Dorfjungen besuchen sie. Ohne alle Probleme laufen sie jeden Tag über die Felder dorthin und wieder zurück. Bei den Mädchen ist es schon "Schande", wenn sie, selbst in einer Gruppe, das Dorf verlassen und sich öffentlich und frei in den Feldern bewegen.

Genauso bedeutet es "Schande", wenn eins der Mädchen weit weg von Zuhause als Haushaltshilfe arbeitet. Obwohl sie mit ihrem Verdienst die Armut der ganzen Familie mildern könnte, verschließen sich sowohl die Mädchen als auch die Eltern in einer irrationalen, unüberwindbaren Abneigung vor diesen verlockenden Angeboten. Lieber Hungerleiden!

Obwohl Suad bei einem Dominee im Nachbardorf arbeitet, sucht ihre Mutter überall nach Arbeit für sie im eigenen übervollen Dorf. Erst arbeitete sie bei einem Doktor. Als der in sein Heimatdorf zurückging, durfte sie nicht mit. Und jetzt geht bei dem geringsten Husten die Botschaft an sie: "Vater ist krank. Mutter ist krank. Komm schnell." Es ist wohl eine Mischung aus Heimweh und Angst, das Mädchen allein zu lassen. Man ist so sehr aneinander gewöhnt. Man hat so Angst vor "schlechter" Behandlung jedweder Art. Und dann immer die Angst vor der "Schande".

So bleiben die meisten Mädchen daheim, sie heiraten jung, mit vierzehn, fünfzehn, sechzehn Jahren; meist jünger als vom Gesetz zugelassen. Ihre Welt ist so groß wie das Dorf. Und ihre Gespräche und Gedanken drehen sich um Heiraten, Jungen und Männer und Zaubermittel, um die Leidenschaft der Männer zu intensivieren.

Alle Schuldinge werden straff geregelt. Wer nicht hören will, muß fühlen. Dagegen hilft kein modernes pädagogisches Prinzip.

Oft kommen einem die Körperstrafen barbarisch vor, aber die Eltern selbst fordern strenge Bestrafung. Jeder Lehrer hat immer einen Stock zur Hand. Als Tharwat vor der Stunde einige Bösewichter vor den versammelten Klassengenossen strafte, geschieht das zur großen Freude der neugierig zuschauenden Jungen, die über das vor Schmerzen schreiende Schlachtopfer lachen, und auch die sonst so feinfühligen Lehrerinnen haben keine Spur von Mitleid.

Neulich hat sich Matta Soliman schlecht betragen. Jetzt soll er seine gerechte Strafe bekommen. Der Hausmeister bindet einen Strick als Schlinge an die beiden Enden eines Stocks, um damit die bloßen Sohlen von Matta nach oben zu holen. Die flinken Schläge des Lehrers und das wilde Gekreisch des Jungen bereiten den Umstehenden größtes Vergnügen.

Ein Kind mit ungewaschenen Händen bekommt einen Schlag mit dem Stock darauf. Ein Kind, das den Piaster für irgendein vaterlandsliebendes Ziel nicht mitgebracht hat, muß das fühlen. Das soll die zahlungsunwilligen armen Eltern ruhig alarmieren. Ein Kind ohne Schuhe bekommt einen Schlag gegen die Beine.

Bösewichter müssen sich gegen die Wand hinknien, Hände hoch oder unten, oft mit einem schweren Stein in den Händen. Daß man hart miteinander umgeht, wird den Kindern auf dem Land früh beigebracht.

Neulich hat einer einen schönen Kugelschreiber gestohlen. Obwohl jeder stiehlt, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet, war dieser Junge so dumm gewesen, sich dabei erwischen zu lassen. Nach der Schulzeit, als vor allen versammelten Schülern die nationale Fahne heruntergeholt wurde, stand der kleine Dieb gut sichtbar vor den 120 Schülern. Der Schuldirektor rief den Kindern zu: "Alle sagen: schmutziger Dieb!" Ein donnerndes: "Schmutziger Dieb!" folgte. Ein zweites, ein drittes Mal. Neugierige Mütter lugten über die Mauer. Die Kinder lachten. Der Junge weinte.

Samir und Rabita verloben sich. Mich macht diese freudige Nachricht tief in meinem Herzen traurig. Er hatte sich schnell entscheiden müssen, denn es waren andere Bewerber aufgetaucht. Noch vor kurzem hatte er gesagt: "Ich verdiene nicht viel: ich habe einen Beruf ohne Zukunft. Und als ältesten Sohn ruht auf mir die Pflicht, für meine Mutter und drei Geschwister zu sorgen. Ich kann noch nicht heiraten."

Samir ist Hausdiener und sorgt für die Familie, seit der Vater vor drei Jahren unter den Mauern eines zusammenstürzenden Hauses tödlich verunglückte. Jetzt ließ er sein Vorrecht als Neffe gelten, auf Drängen der Familienangehörigen Am Makram und Am Najib, seiner Neffen Rauf und Naim, und verkündete: "Rabita ist meine Nichte. Ich bin der erste, der das Recht hat, sie zu heiraten. Chalas, entschieden! Wir verloben uns!" Schon am nächsten Tag kamen sie zur offiziellen kirchlichen Verlobung zusammen: Samir, seine Onkel, seine Freunde und Rabita, die einzige Frau in dieser Männergesellschaft. Obwohl alle ihre Verwandten waren, saß sie verloren inmitten dieser lachenden, fröhlichen Männer.

Der koptische Ritus verlangt bei der formellen Verlobung die Unterschriften auch der Zeugen, eine Fixierung des Brautschatzes. Dies war hier kein Problem: 10 ägyptische Pfund, ein doppelter Monatslohn Samirs, waren zu zahlen. Sie würden zur Anschaffung von Schmuck und etwas Hausrat ausgegeben werden von der Ehefrau.

So eine formelle Verlobung kann gelöst werden, wenn einer von beiden Parteien vor Zeugen unterschreibt, daß er der anderen Partei die Freiheit zurückgibt. Andererseits ist so eine Verlobung doch eine gewisse moralische Verpflichtung, innerhalb eines Jahres zu heiraten. Manchmal gibt es eine Verlobung und Trauung am gleichen Tag. Samir aber wollte erst in Ruhe Steine und Holzbalken kaufen, um ihre Kammer im gemeinschaftlichen Haus bauen zu können, ohne daß ihm jemand Rabita wegschnappen konnte.

Es war eine frohe Stimmung. Sie lachten. Bonbons und Zigaretten wurden angeboten. Man trank süßen Tee. Die Monotonie der Arbeit war kurz unterbrochen.

Aber diese vielen Heiraten innerhalb der Familie sind ein großes Problem. Einerseits bleibt alles Eigentum, vor allem das Land, der Familie erhalten. Der Preis, den man zahlt, ist die körperliche Degeneration. Samir ist solch ein Menschentyp. Sehr intelligent hatte er doch auf der Schule nicht genügend Erfolg. Sein Hinterkopf ist sehr merkwürdig geformt. Obwohl in der Kraft seiner jungen Jahre, ist er schwächlich. Es ist ziemlich sicher, daß einige der Kinder, die er mit seiner Nichte Rabita bekommen wird, abnormal sein werden oder früh sterben.

Nach seiner Verlobung fragte ich ihn: "Warum heiratest Du Rabita?" – "Weil sonst ein anderer mir zuvor käme!" Es war nichts zu ändern, auch nach langem Zureden nicht.

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Jugendarbeit in Ägypten
zusammengestellt von Dagmar Homeyer

Papyrus-Logo Nr. 11/88, pp. 19—21

Der "Oberste Rat für Jugend und Sport" (Supreme Council for Youth and Sports)
Die Entstehung des Obersten Rates

Vor der Revolution von 1952 gab es in Ägypten keine Behörde für Jugend- und Sportangelegenheiten. In verschiedenen Ministerien existierten kleinere Abteilungen, die sich mit Jugendlichen beschäftigten (Ministerium für soziale Angelegenheiten, Erziehungsministerium). Im Zuge der Revolution kam die Erkenntnis, wie wichtig Jugendarbeit für die Entwicklung eines Landes ist. 1956 entstand der "Oberste Rat für Jugendpflege" unter der Leitung von Kamal el Din Hussein, einem der Teilnehmer der Revolution des Jahres 1952.

1964 wurde ein Jugendministerium geschaffen. Zwischen 1964 und 1967 wechselte dessen Leitung mehrmals wegen Meinungsverschiedenheiten über die politischen Jugendorganisationen der "Arabischen Sozialistischen Union" (ASU). Das Ergebnis war die Bildung des "Obersten Rates für Jugend und Sport", was einer Trennung zwischen Jugendsozial- und Kulturarbeit sowie Sportförderung von der Politik gleichkam. In diesem Gremium sitzen nun Regierungsvertreter aus den Ministerien, die sich mit Jugendlichen befassen sowie Vertreter von Jugendverbänden. Vorsitzender des Obersten Rates ist der Minister für Jugend und Sport. Dieses Amt hat seit vielen Jahren Dr. Abd el Ahad Gamal el Din inne.

Aufgaben des "Obersten Rates für Jugend und Sport"

In jedem der 24 Gouvernorate gibt es ein Amt für Jugend und Sport, dem die örtlichen Verbände mit Jugend- und Sportzentren unterstehen. Ihr Ziel ist es, den Jugendlichen zu einer körperlichen, sozialen, kulturellen und religiösen Integration in die Gesellschaft zu verhelfen.

Dazu dienen folgende Maßnahmen:

  • Koordinierung, Durchführung und Finanzierung der Sport- und Jugendaktivitäten im ganzen Land.
  • Organisation der Sportwettkämpfe und Kulturwettbewerbe. Teilnehmer sind die Jugendzentren, die freien Sportklubs und die Jugendorganisationen.
  • Planung von Einrichtungen für Jugend und Sport auf allen Ebenen und in allen Fachbereichen der Jugend- und Sozialarbeit einschließlich Beratung.

Gegenüber dem Ausland hat der Oberste Rat folgende Aufgaben:

  • Vermittlung und Abschluß von Kulturabkommen mit ausländischen Staaten und Vereinbarungen mit ausländischen Jugendorganisationen.
  • Durchführung von Studenten- und Jugendreisen im Ausland und Betreuung entsprechender Gruppen, die Ägypten besuchen.

Neben den schon erwähnten Zentren sind auch freie Jugendorganisationen vorhanden, u.a.

  • Christlicher Verein Junger Männer (YMCA)
  • Die Gemeinschaft der Muslim-Jugend
  • Pfadfinderschaft (Jungen und Mädchen)
  • Die Organisation "Halbmond für Jugend"
  • Der Jugendherbergsverband
  • Die Studentenunion
  • Dachorganisation und Anlaufstelle für alle internationalen Aktivitäten und Kontakte im Sport- und Jugendbereich

Der für diesen Aufgabenbereich benötigte Verwaltungsapparat ist folgendermaßen aufgegliedert:

1. Präsidentenbüro
Dazu gehört die Abteilung "Public Relations": Dazu zählen Fragen der Massenmedien, die Herausgabe von Informationen über Jugendaktivitäten, die Durchführung von Filmveranstaltungen über Jugendprobleme. Hierher gehört auch die Anknüpfung internationaler Beziehungen und die Durchführung von Programmen für wichtige ausländische Gäste.

Die Abteilung "Internationale Beziehungen" ist zuständig für die Zusammenarbeit mit den Ländern der arabischen Liga, den Organisationen der UNO, soweit sie in Kairo arbeiten, mit den internationalen Organisationen und mit den in Kairo residierenden Botschaften. Weiterhin erarbeitet diese Abteilung Dokumentationen über Aktivitäten der ägyptischen Jugend und bereitet Forschungsaufträge vor. Sie vertritt auch den Obersten Rat bei den Kulturabkommen und bei internationalen Veranstaltungen in Ägypten. Weitere Aufgaben sind die Anknüpfung von internationalen Kontakten im Auftrag der ägyptischen Jugend- und Sportorganisationen, die Organisation von Studentenreisen während des Sommers ins Ausland und die Betreuung von ausländischen Jugend- und Sportgruppen in Ägypten.

Die Abteilung für Rechtsfragen ist mit der Vorbereitung von Gesetzen im Jugendbereich, mit Disziplinarangelegenheiten und mit Beratung über Gesetze und Vorschriften im Jugendbereich befaßt.

2. Finanzsektor

3. Sportsektor
Die Abteilung "Planung und Durchführung" ist verantwortlich für die Sportprogramme in ganz Ägypten, z.B. Wettkämpfe und Sporttreffen. Es besteht enge Zusammenarbeit mit den freien Sportorganisationen und Fachverbänden sowie mit dem Nationalen Olympischen Komitee.

Die zentralen technischen Dienste stellen bei Sportwettkämpfen und nationalen Meisterschaften die dazu notwendigen Geräte und Organisationshilfen zur Verfügung und sind für die Pflege der Sportplätze zuständig.

Die dritte Abteilung befaßt sich mit dem Sport an weiterführenden Schulen. Hierzu gehört die Koordination mit der für die schulische Sporterziehung zuständigen Sportabteilung im Erziehungsministerium.

4. Jugendsektor
In dieser Abteilung sind diejenigen Aufgaben der Jugendarbeit zusammengefaßt, die unserer Vorstellung von Jugendarbeit am nächsten kommen.

5. Sektor "Junge Pioniere"
6—18 Jahre; hier wird die außerschulische Jugendarbeit mit Kindern organisiert.

6. Sektor für Ausbildung von Führungskräften

Jugend- und Sportzentren in Ägypten

Vor der Revolution von 1952 gab es in Ägypten nur wenige private Sportklubs, zu denen vor allem reiche Familien Zugang hatten. In den ersten fünf Jahren nach der Revolution entstanden 50 Jugend- und Sportzentren in ganz Ägypten, so daß auch weniger bemittelten Familien die Beteiligung ermöglicht wurde.

Das Gezira-Jugendzentrum in Kairo gehört zu den wichtigsten dieser Zentren. Es liegt auf der Insel Zamalek. Dem exklusiven Gezira-Klub, 1906 gegründet, wurde nach 1956 ein Teil des Geländes entzogen, um darauf ein öffentliches Jugendzentrum zu errichten. 1958 standen die ersten Gebäude. Dem Leiter stehen 20 Mitarbeiter zur Seite, die verschiedene Sportarten betreuen (z.B. Geräteturnen, Leichtathletik usw.). Folklore und Laienspiel gehören auch zu den Aktivitäten. Bücherei, Krankenstation, Caféteria, Fernsehsaal und Schwimmbad sind ergänzende Einrichtungen. Für Kinder gibt es einen Spielplatz, zur Unterbringung von Jugendgruppen ein Gästehaus. Neben Zuschüssen vom Staat finanziert sich das Zentrum von Mitgliedsbeiträgen und Einnahmen für durchgeführte Aktivitäten.
Kontakte bestehen zu den Jugendverbänden in der BRD.

Quelle:
    • Internationaler Jugendaustausch- und Besucherdienst der Bundesrepublik Deutschland e.V. (IJA) Bonn, März 1984

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Jugendgesetze
von "esch"

Papyrus-Logo Nr. 11/88, p. 22

Im ägyptischen Recht finden sich mehrere Gesetze zum Schutz des Kindes und Jugendlichen bis zum 16. oder 18. Lebensjahr.

Was Verantwortung und Erziehung betrifft, gilt das Gesetz Nr. 29 von 1930. Es basiert völlig auf der islamischen Sharia (Recht).
(Siehe hierzu auch verschiedene Beiträge zur Rubrik "Familie und Recht" –Anm. KFN)

  • Mit 18 Jahren ist der Jugendliche beschränkt volljährig, d.h. er kann wählen, den Führerschein machen und Schenkungen jeder Größenordnung annehmen. Die eigentliche Volljährigkeit ist erst mit 21 Jahren erreicht.
  • Das offizielle Heiratsalter ist 16 Jahre für Mädchen und 18 Jahre für Jungen.
  • Bei Trennung der Eltern durch Scheidung ist die Mutter erziehungsberechtigt und zwar bei Mädchen bis zu 12, bei Jungen bis zu 10 Jahren. Diese Altersgrenzen können durch richterliche Verfügung auf 15 bzw. 12 Jahre heraufgesetzt werden. Danach kann das Kind selbst entscheiden, bei welchem Elternteil es bleiben möchte, dieser Wunsch wird zu 80% von den Richtern respektiert.
  • Bei Tod des Vaters gehen die väterlichen Rechte über auf den Vormund, einem männlichen Verwandten väterlicherseits. An erster Stelle steht hier der Großvater, an zweiter der Bruder des Vaters. Die Mutter bleibt erziehungsberechtigt, für finanzielle Angelegenheiten ist auf jeden Fall das Vormundschaftsgericht zuständig.

Das Gesetz Nr. 31 von 1974 beschäftigt sich mit der Kriminalität von Jugendlichen unter 18 Jahren. Das Gesetz unterscheidet zwischen

  1. Verbrechen und
  2. Abweichung vom Gesetz, die zum Verbrechen führen könnte.

Zu 1.: Ist der Jugendliche unter 15 Jahre, wird er und der Erziehungsberechtigte verwarnt. Der Jugendliche wird dann entweder Eltern, Vormund oder Erzieher übergeben oder kommt in eine Art Berufsschule, Waisen- oder Krankenhaus zur Aufsicht. Ist der Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahre alt, gelten etwas gemildert die gleichen Strafen wie für Erwachsene. So gibt es z.B. kein Todesurteil für Jugendliche.

Zu 2.: Wird ein Jugendlicher festgenommen, so wird er und sein Vormund verwarnt, bei der zweiten Festnahme werden beide bestraft.

Zwischen 18 und 21 Jahren gilt das normale Strafgesetz, doch muß die Jugend des Täters beim Strafmaß berücksichtigt werden.

Gesetz Nr. 58 von 1937 regelt Gesetzesübertritte Erwachsener gegenüber Kindern. So erhält der Täter bei Schändung oder Erpressung von Kindern unter 16 Jahren das höchste Strafmaß: 15 Jahre Zwangsarbeit. Handelt es sich bei dem Täter jedoch um den Vater, Großvater, Erzieher oder Vormund, bekommt er lebenslänglichen Freiheitsentzug mit Zwangsarbeit.

Gesetz Nr. 77 von 1975 betrifft Jugend und Sport. Darin sind Schulen, Anstalten, Organisationen und ähnliche Institutionen angehalten, für die leibliche Gesundheit der Jugendlichen zu sorgen.

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Die Kneipe um die Ecke fehlt
von Nulf Schade

Papyrus-Logo Nr. 11/88, pp. 23—25

Anmerkung der Redaktion: Pastor Nulf Schade leitet den wöchentlichen Jugendtreff.

Ich schreibe "über", obwohl ich aus dem Alter heraus bin, ich schreibe "über", obwohl sie selbst schreiben sollten. Die Kommunikation fand statt, es zu Papier zu bringen, war schwierig. So schreibe ich über Jugendliche in Ägypten, deutsche und ägyptische, oder beides, werde als Sprachrohr verwendet, schreibe nieder, was ich erfahren habe, beim Jugendtreff, auf dem Schulhof, in den Pausen, beim Spielen, was mir erzählt wurde von Jugendlichen, die in Ägypten leben.

Ich schreibe nicht über die Jugendlichen, die wir in den Straßen treffen, jeden Tag, die ihr Geld verdienen, indem sie einem Autobesitzer das Auto waschen, mal schnell am Halten an der Ampel; ich schreibe nicht über die Jugendlichen, die auf der Straße nach Arbeit am Traum vom Reichtum zerbrechen; auch nicht über jene, die täglich den Kampf ums Überleben führen. Meine Jugendlichen gehen mit einer Ausnahme auf die Deutsche Evangelische Oberschule, sind also erst einmal privilegierte junge Menschen.

Es wäre falsch, anzunehmen, daß diese Jugendlichen keine Probleme haben, obwohl sie keinen Kampf ums Überleben führen müssen, obwohl sie täglich von Bussen abgeholt und zur Schule gefahren werden, obwohl sie geborgen und beschützt werden von Eltern und Lehrern, die alle nur ihr Bestes wollen. Die Situation, die wir antreffen, scheint erst einmal günstig zu sein. Was gibt es für Probleme?

"Unser Leben wird bestimmt durch die Schule! Von 5:30 Uhr bis 16 Uhr sind wir mit Schule beschäftigt. Dann haben wir noch ca. 5 Stunden, um Freizeit zu erleben, danach rufen Eltern und das Bett. " – "Wer nach 22 Uhr ins Bett geht, kann nicht aufmerksam am Unterricht teilnehmen."

Eine Schülerin, 18 Jahre, sagt, was das für sie bedeutet:
"Ich lebe in einer ständig stressigen Situation, habe das Gefühl, keine Zeit für mich zu haben und noch weniger für meine zahlreichen Beziehungen, warte auf das Wochenende, wo ich abladen kann, womit ich in der Woche beladen wurde. Doch auch das Wochenende bringt nicht die ersehnte Entspannung, weil man zu viele Dinge auf einmal tun will. Außerdem ist das Wochenende auch nicht frei von Schule, es gibt vieles, das aufbereitet werden muß, weil man in der Woche Zeit vertan hat. Problematisch ist auch die Aufteilung, Freitag frei, Samstag Schule, Sonntag frei. Es gibt kein zusammenhängendes Wochenende, so wie wir es aus Deutschland gewöhnt sind; die Freizeit leidet darunter!"

Ich habe festgestellt, daß in den meisten Gesprächen unter Jugendlichen das Thema "Schule" dominiert. Das Bedürfnis "Luft abzulassen", mit "Leidensgenossen" zu reden, Aggressionen abzubauen steigert sich mit dem zum Schuljahresende hin wachsenden Notendruck. Außerdem wächst der Druck der Eltern und Lehrer, Konflikte entstehen, weil unterschiedliche Interessen aufeinander stoßen.

Bleibt neben der Schule noch die Freizeit. Das Freizeitangebot hier in Ägypten für Jugendliche an der DEO scheint von deutscher Inlandssicht erst einmal riesig groß. Klubs, Reitställe, Sinai, Tauchen, Surfen, Tennis, Golf, Schwimmen. Lebt man aber länger im Lande, so verlieren diese Angebote ihre Exotik und somit ihren Reiz. Der Ruf nach der Kneipe um die Ecke wird laut.

Ein Schüler, 19 Jahre, drückt dies so aus:
"Das, was wir wirklich nötig haben, ist ein Platz, ein Ort, wo wir hingehen können, einfach so, wissend, daß dort jemand ist, mit dem man reden kann, daß man bekannt ist, daß man immer andere trifft, ohne große Organisation. Eine Kneipe, ein Café, wo ich mich wohlfühlen kann, nicht das Wohnzimmer meiner Eltern, auch nicht das Zimmer eines Freundes, einen Raum, der uns gehört, wo wir unter uns sein können, wo wir uns außerhalb der Schule kennenlernen können. Wir trafen uns zwar öfters in einem ägyptischen Café, aber dies bedeutet dann immer, daß Frauen oder Mädchen ausgeschlossen sein müssen, weil dies kein Ort ist, wo Frauen sich aufzuhalten haben. Auch die sogenannten Fünf-Sterne-Hotels sind kein angemessener Ort für Jugendliche, die kein eigenes Einkommen haben."

Es ist schwierig, Jugendliche außerhalb der Schule zu treffen, da es keinen festen Ort gibt, wo sie sich regelmäßig treffen können. Der einmal in der Woche stattfindende Jugendtreff kann nur minimal das Bedürfnis nach Gemeinschaft stillen.

Ein anderes Problem, das sich vor mir aufgetan hat, ist die Sexualität, der natürliche Umgang mit ihr, Beziehungen zwischen jungen Männern und jungen Frauen. Allein, daß dieses Wort hier erwähnt wird, könnte bei manchen Lesern und Leserinnen Angst und Empörung bewirken. Eine Schülerin, ein Schüler nehmen Stellung:

"Vorweg, es geht uns hier nicht um Beischlaf. Wer Sexualität nur auf den Genitalbereich reduziert, beschränkt sich in seinen Gefühlen und Vorstellungen; Sexualität umfaßt den ganzen Körper. Sexualität ist Sprache, mit der wir kommunizieren können.
Die Situation hier in Ägypten ist anders. Wir haben das Gefühl, daß wir um 40 Jahre zurückgeworfen wurden, in eine Gesellschaft, die verklemmt ist, in der etwas nicht ausgedrückt werden darf, was fühlbar vorhanden ist. Dadurch bekommen wir ein schlechtes Gefühl, Frauen fühlen sich schmutzig und abgewertet, weil sie durch die Phantasie mißbraucht werden. Wir empfinden Dinge als verwerflich, die in der Bundesrepublik selbstverständlich sind. Die Natürlichkeit der Sexualität geht verloren. Wir lernen nicht mehr, vernünftig mit Sexualität umzugehen. Tauschen wir z.B. Zärtlichkeiten innerhalb der Schule aus, müssen wir damit rechnen, den Ruf der Schule in Gefahr zu bringen."

Weil Sexualität etwas ist, worüber man nicht redet, geschweige denn schreibt, alles, was unmoralisch sein könnte, zensiert wird, bleibt die Sexualität als etwas Verbotenes, Geheimnisvolles bestehen. Dadurch wird Sexualität überbewertet, wird zur Last, die das Denken von Jugendlichen bestimmt und sie schließlich nicht mehr "normal" handeln läßt.

Problematisch empfinden einige Schüler und Schülerinnen auch das hin- und hergerissen sein zwischen zwei Welten, zwei Kulturen, zwei Religionen und zwei Sitten.

Ein deutsch-ägyptischer Schüler, 18 Jahre, sagt folgendes:
"Ich weiß oftmals nicht, wo ich wirklich stehe. In Ägypten werde ich nicht als Ägypter anerkannt, in Deutschland werde ich immer als Ausländer angesehen. Ich fühle mich wie ein geteiltes Land. Dieser emotionale Zwist wird noch unterstrichen durch die unterschiedlichen sozialen Verhältnisse. Wenn ich mit Freunden ausgehe, kann ich oftmals nicht mithalten, weil ich finanziell schlechter dastehe. Aus diesem Grund verzichte ich öfters auf die Gemeinschaft, die mir eigentlich sehr wichtig ist."

Ein letztes Problem, das hier genannt werden soll, und das das Denken vieler Jugendlicher beschäftigt, sind die unterschiedlichen Rechte der beiden Volljährigkeiten. Ist ein Jugendlicher mit 18 Jahren in der Bundesrepublik volljährig und damit erwachsen, trifft dies für einen ägyptischen Jugendlichen erst mit 21 Jahren zu.

Eine Schülerin, 18 Jahre, bezieht Stellung:
"Dieses Problem manifestiert sich für mich vor allem in der Schule. Ich bin in einer deutschen Schule, die getragen wird von der Deutschen Evangelischen Kirche, eine Begegnungsschule, die Gast in Ägypten ist. D.h., daß sie sich dem Gastland an gewissen Stellen anpassen muß und dabei in einen deutsch-ägyptischen Konflikt gerät. Wir sind Opfer dieses Konfliktes, da die Schule oft zweckentfremdet wird, sprich: sie wird zum politischen Spielball, sie will ihr Ansehen in Ägypten wahren. Mein Gefühl ist, daß die Schule ihre Aufgabe, verantwortlich denkende und handelnde Menschen heranzuziehen, vergißt. Wir werden als unmündig hingestellt, dürfen, obwohl nach deutschem Recht erwachsen, also auch fähig, Politiker zu wählen, Kriegsdienst zu leisten und für begangene Fehler gesetzlich zur Verantwortung gezogen zu werden, nicht das Recht in Anspruch nehmen, uns selbst zu entschuldigen, jederzeit das Schulgelände verlassen zu können, und außerhalb des Schulgeländes zu rauchen. Man benimmt sich so, wie man behandelt wird."

Hin- und hergerissen zwischen zwei Welten, versuchen die Jugendlichen zu arrangieren. An vielen Stellen gelingt es, an anderen Stellen scheitern sie, wie auch die Erwachsenen. Probleme, die vorhanden sind, werden von manchen Erwachsenen belächelt. Aussagen wie, "wir hatten auch Probleme und sind groß geworden" oder "stellt euch nicht so an" nützen keinem Jugendlichen. So zu reden heißt, den Jugendlichen nicht ernst nehmen, sich über ihn zu erheben. Jugendliche spüren diese Arroganz und reagieren mit Aggression und Rebellion; die Kommunikation zwischen Erwachsenen und Jugendlichen verstummt,

Am Leben des anderen teilnehmen, sich für die Belange und Sorgen der Jugend einzusetzen, sie ernst zu nehmen, dies sollte die Aufgabe von Pädagogen und Pädagoginnen sein, so daß der Dialog zwischen Alt und Jung nie abreißt. Miteinander leben, und nicht gegeneinander.

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"Begegnung" – mit Konflikten an der DEO
von Aziza el Gabbas

Papyrus-Logo Nr. 11/88, pp. 26—27

DEO-Kairo, eine Abkürzung, die man auf vielen T-Shirts, Schulheften oder Aufklebern findet. Sie steht für die "Deutsche Evangelische Oberschule Kairo", eine Welt für sich, die der Begegnung zwischen Ägyptern und Deutschen in all ihren Lebensstilen dienen soll. Ob sie diesen Zweck erfüllt, ist eine Frage für sich. Man muß bedenken, daß dieser Zweck – die Begegnung – auch schwer zu erfüllen ist. Ägypten und Deutschland sind zwei ganz unterschiedliche Welten. Jedes Land hat seine Kultur, Gesellschaft, Religion und Tradition. Doch für jeden, der sich für verschiedene Kulturen und Lebensweisen interessiert, kann die DEO viel bieten. Aber wo soll er anfangen? Wird er beide Seiten verstehen? Wird er zustimmen, daß die DEO den Zweck der Begegnung erfüllt? Und was ist überhaupt der Zweck dieser Begegnung?

Im Grunde ist es jedem persönlich überlassen, diese Begegnung an unserer Schule auszunutzen oder nicht. Und somit entstehen schon drei Gruppen:

  • Die erste: Nur Ägypter, die nicht aus ihrer Welt herausgerissen werden wollen, aus welchem Grund auch immer.
  • Die zweite: nur Deutsche, die als Deutsche in einer ägyptischen Welt leben und die an ihrer Umgebung nur interessiert, was ihnen paßt.
  • Und dann gibt es die dritte Gruppe, die den Zweck der Begegnung verfolgt: Deutsche und Ägypter zusammen, vereinigt, obwohl es Unterschiede gibt. Es werden Kompromisse geschlossen. Ein gemeinsames Interesse bildet sich heraus. Aber auch eine gewisse Gleichberechtigung wider alle Regeln.

Ich gehöre zur dritten Gruppe. Schon vom Elternhaus her. Meine Mutter ist Deutsche und mein Vater ist Ägypter. Und ich muß sagen, es ist nicht immer leicht, Kompromisse zu finden oder mit einigen traditionellen oder religiösen Regeln auszukommen.

Ich bezeichne mich immer als Mittelmeer zwischen Ägypten und Deutschland. Ich sehe beide Welten und verstehe sie auch; und stehe halt mitten drin. Manchmal zweifle ich: Soll ich das machen, was ich für richtig halte, egal was die anderen Leute sagen, oder muß ich mich einigen Regeln und Vorschriften fügen?

Man lebt ja schließlich in einer Gesellschaft. Man will akzeptiert werden. Und hier entsteht schon ein Konflikt: Von welchen Leuten willst du akzeptiert werden? Von den Deutschen oder den Ägyptern? Wirst du von beiden Seiten gleichzeitig akzeptiert? Nein, nur diejenigen, die in der dritten Gruppe sind, akzeptieren und verstehen dich... Doch diese Gruppe ist klein im Vergleich zu den anderen zwei Gruppen, was eigentlich sehr schade ist. Denn durch den Einblick bzw. Durchblick in die zwei Welten kann man viel lernen und erfahren.

Obwohl die Gefahr für Ägypter besteht, sich nicht mehr in ihrer ägyptischen Welt zurechtzufinden. Denn die deutsche Welt hat nicht so extrem strenge Regeln.

Das kann man schon am Schulsystem erkennen. Es ist klar, daß die Ägypter durch das zusätzliche Arabischprogramm viel mehr zu tun haben. Das beschränkt sie in ihrer Freizeit, was automatisch zur Bildung von Gruppe 1 bzw. Gruppe 2 führt.

Aber auch die Freiheiten, die die Eltern einem ägyptischen Mädchen erlauben, sind bemerkenswert geringer, als die eines deutschen Mädchens. Sei es aus schulischen, religiösen, traditionellen oder gesellschaftlichen Gründen.

Aber auch für mich ist es schwer, einen Mittelweg zu finden, weil ich beide Lebensweisen sehe. In Deutschland ist alles anders. Da kümmert sich keiner darum, wenn du mit dem Bus oder der U-Bahn fährst, ins Theater oder in die Disco gehst. So etwas ist hier in Ägypten unmöglich. Es gibt zwar andere Möglichkeiten, aber die sind auch begrenzt. Wie gerne würde ich an einem langen Wochenende mit Freunden auf den Sinai fahren und nach Herzenslust schwimmen, spielen und abends am Lagerfeuer sitzen ... Doch das geht nur, wenn eine Aufsichtsperson dabei ist, auf Klassenfahrten zum Beispiel. Ansonsten bleiben nur noch Treffs bei einer Freundin und Sport im Klub als Freizeitbeschäftigung für mich übrig.

Die deutschen Mädchen jedoch haben es auch nicht einfach. Sie fühlen sich beobachtet und kritisiert, wenn sie etwas machen, was aus dem Rahmen des Benehmens eines ägyptischen Mädchens fällt. Das Bedürfnis nach mehr Selbständigkeit, Freizeit, Ausgehmöglichkeiten und Treffpunkten ist auf beiden Seiten vorhanden.

Auch der Umgang zwischen Mädchen und Jungen ist ein Problem. In der einen Welt ist es völlig normal, daß Jungen und Mädchen zusammen ausgehen, miteinander reden und zusammen tanzen, ohne daß böse, ungerechte Hintergedanken entstehen.

Die Vorstellungen und Erwartungen sind verschieden. "Was sollen die Leute sagen oder denken?" – "Es gehört sich nicht." – "Du bist ein Mädchen." Typische Ausreden für die Eltern, wenn man nach dem Grund fragt, warum das ägyptischen Mädchen verboten ist. Die Einstellungen sind unterschiedlich. Es gibt Konflikte. Sie werden gelöst, oder auch nicht. "Es ist halt so." Es wird akzeptiert oder auch nicht. Es ist ein dauernder Kampf zwischen dir und deiner Umgebung.

Und doch bleibt die Frage offen: Wird der Zweck der Begegnung erfüllt? Lernt man daraus oder kommt man total verwirrt und durcheinander aus diesem Chaos heraus? Es ist ein Risiko, das sich aber meiner Meinung nach lohnt. Und ich bin sicher, daß wir in der Zukunft bestimmt mehr Chancen haben, durchzukommen und verschiedene Welten zu verstehen als andere. Und doch ist es eine Gefahr!

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Heidi am Nil –
Anspruch und Wirklichkeit deutscher Au-pairs und ihrer ägyptischen Gastgeber

von Ute Lainck-Kuse

Papyrus-Logo Nr. 11/88, pp. 39—42

Die Schule hat begonnen – nun kommen auch sie wieder, die neuen Au-pair-Mädchen aus Deutschland.
Nennen wir sie Heidi und Ulrike.

Heidi hat das Abitur und wartet auf einen Studienplatz oder möchte ganz einfach erst einmal etwas anderes machen: hinaus in die Welt, andere Länder, andere Sitten kennenlernen, bevor sie sich wieder auf die nächste Schul- bzw. Universitätsbank setzt.

Oder Ulrike, die ihre Ausbildung als Erzieherin gerade beendet hat und die Stellenangebote in der Zeitung studiert: "Ägyptische Familie in Kairo sucht deutsches Au-pair-Mädchen (Erzieherin bevorzugt) zur Betreuung ihrer Kinder, die die Deutsche Schule besuchen... zur Vorbereitung auf die Aufnahmeprüfung in den Deutschen Kindergarten bzw. zur Mithilfe bei den täglichen Hausaufgaben..."

Nun, das ist doch was. Eigentlich wollten sie ja nach London oder Paris, aber warum nicht nach Kairo? Freie Unterkunft und Verpflegung, ein Taschengeld und sogar das Flugticket wird bezahlt. Das andere werden sie schon schaffen. Sie korrespondieren und telefonieren. Ulrike und Heidi werden engagiert. Sie landen in Kairo.

Doch Kairo ist eben nicht London oder Paris.

Haben die Großeltern zu Hause noch Bedenken, daß ihre 20-jährige Enkelin allein in ein arabisches Land fliegt, so bewundern Eltern, Geschwister und Freunde den Mut von Heidi und Ulrike und beneiden sie um diese Möglichkeit. Endlich frei und unabhängig zu sein, selbstbewußt und offen für alles Neue und Andersartige, die Welt kennenlernen: dies wird in Europa – ob für Mädchen oder Junge – zweifelsfrei als positive Chance angesehen.

Anders in einem Land wie Ägypten. Unverheiratete Mädchen müssen behütet und beschützt werden, damit sie unberührt eine Ehe eingehen können. Selbständigkeit, Freiheit und Unabhängigkeit vor der Ehe werden somit in erster Linie als Gefahr definiert, die es möglichst einzugrenzen gilt. Verläßt ein Mädchen aus gutsituierter Familie nach Schulabschluß das Elternhaus und geht gar ins Ausland, dann bestenfalls zu Studienzwecken, aber sicherlich nicht, um freiwillig auf eigenen finanziellen Füßen zu stehen und sich auch noch auf die Stufe eines Kindermädchens zu begeben. Ein Au-pair-Mädchen unternimmt also etwas, was eine junge Ägypterin nie täte.

Sind die Gasteltern noch diesen westlichen Verhaltensweisen gegenüber aufgeschlossen, so sind es spätestens die Nachbarn und Verwandten, die ein solches Mädchen als "leicht" einstufen und offen bemerken: Was will die eigentlich in Ägypten, die will doch nur das "eine". Heidi und Ulrike würden solche Denkweise empört oder belustigt von sich weisen.

Aber noch bemerken sie diesen Argwohn nicht. Ihre Gastfamilie empfängt sie mit offenen Armen. Heidi freut sich auf einen grünen Villenvorort von Kairo, wohnt ihre Familie doch in "Garden City". Vom Fenster des Kinderzimmers im 6. Stock eines Hochhauses sucht sie allerdings vergeblich nach etwas Grün. Und hatte sie nicht im Brief gefragt, ob sie ein eigenes Zimmer bekäme? Man hatte ihr geantwortet, man bewohne zu viert ein 6-Zimmer-Appartement. Daß es sich aber um drei ineinandergehende Salons, ein Arbeitszimmer und nur zwei Schlafräume handeln könnte, darauf wäre Heidi nie gekommen. Also teilt sie mit den Kindern ein Zimmer.

Ulrike indessen packt die Koffer in "ihrem" großen, hellen Zimmer aus. Auf dem Nachttisch steht eine Schale mit Obst, im Badezimmer liegen Seife und Shampoo für sie bereit. In den ersten Tagen zeigen ihr die Gasteltern die Stadt und die neue Umgebung. Zwar ist sie etwas traurig, daß der 4-jährige Mustafa sie noch ablehnt und sie stets daran erinnert, daß ihre Vorgängerin alles ganz anders und besser gemacht habe, aber sie weiß, daß sie Geduld haben muß, und daß es für Mustafa auch nicht leicht ist, sich wieder auf eine neue Bezugsperson einzustellen. Was sie denn als Taschengeld erwarten könne? Nun, sie dürfe sich nehmen, was sie brauche, und das Flugticket für den Weihnachtsurlaub in Deutschland werde auch gestellt. Orientalische Gastfreundschaft und Großzügigkeit – Ulrike ist glücklich.

Drei Monate später. Während Ulrike nach wie vor begeisterte Briefe nach Hause schreibt, hat Heidi ihre Koffer gepackt und ist gegangen. Sie hat es einfach nicht mehr ausgehalten. Nach den Ursachen gefragt, nennt sie die berühmten Kleinigkeiten, die – einzeln genommen – nicht der Rede wert sind, aber täglich die Atmosphäre belasten und das Faß zum Überlaufen bringen.

Die Rolle eines Au-Pair-Mädchens ist mit unterschiedlichen Erwartungen besetzt. In Europa: Ein fester Begriff für junge Leute, die ihren Auslandsaufenthalt und ihre Sprachstudien durch eine Halbtagsbeschäftigung finanzieren und dafür freie Unterkunft, Verpflegung und ein Taschengeld erhalten. Hier in Ägypten: Deutschlehrerin und Kindermädchen, die möglichst jederzeit zur Verfügung stehen sollen.

Zwar soll Heidi vorwiegend nachmittags für die Kinder da sein, doch zeigt die Erfahrung, daß sie nach und nach auch vormittags Aufgaben zu übernehmen hat. Nach dem Frühstück, bitteschön, ein bißchen Staub wischen, ein bißchen einkaufen, aufräumen, bügeln, keine schwere Arbeit. Bis dann die Kinder aus der Schule kommen, bleiben noch zwei Stunden. Für die Sprachenschule und zurück reicht die Zeit nicht, der Weg ist zu weit. Und liegen die Kinder endlich um 21 Uhr im Bett, ist es draußen dunkel, und wo kann man dann als Mädchen noch hingehen? Sie fühlt sich eingesperrt, so hatte sie sich ihr Au-pair-Dasein nicht vorgestellt. Die Frustration schleicht sich ein.

Der freie Tag winkt. Sie möchte Tennis spielen oder schwimmen. Damals hatte Naima, ihre Gastmutter, geschrieben, sie zahle für Heidi die Mitgliedschaft in einem Sportklub. Mit den Kindern war sie auch schon einmal dort.

Sie erkundigt sich und zeigt ihre Mitgliedskarte. Im Office schüttelt man den Kopf, sie habe eine "Nanny-Card", mit der sie lediglich als Begleitperson von Kindern auf den Spielplatz des Klubs dürfe. An eine normale Mitgliedschaft ist finanziell gar nicht zu denken. Also nichts mit Sport.

Sie geht ins Museum und staunt, daß Ausländer erheblich mehr zahlen müssen als Ägypter. Es sollte doch alles viel billiger in Ägypten als in Deutschland sein! Ob das Taschengeld von LE 125,- bis zum Monatsende überhaupt reicht?

Zu Hause wird sie mißtrauisch empfangen: ein junger Mann habe angerufen. Es ginge nicht, daß sie die Telefonnummer an fremde Männer weitergebe. Ein Freund ihres Bruders ist in Kairo und lädt sie für den nächsten Abend zum Essen ein. Es wird ein schöner Abend, sie kommt spät nach Hause. Am folgenden Morgen die große Szene: Sie hätte sich unmöglich benommen und dem guten Ruf der Familie geschadet. Ein lediges Mädchen könne nicht nach Mitternacht nach Hause kommen, was man denn von ihr denken müßte. Und überhaupt, wer dieser Mann denn sei, mit dem sie da ausgegangen wäre? Heidi versucht zu diskutieren und zu erklären. Zwar sprechen sie und Naima die gleiche Sprache – deutsch oder englisch – aber jede meint etwas anderes. Heidis Argumente gehen im lautstarken Wortschwall der Gastmutter unter. Hatte Heidi sich anfangs noch als Gast und Freundin der Familie empfunden, zumal sie die Gasteltern duzen darf, so kippt das Verhältnis jetzt um – mit Dienstboten diskutiert man nicht lange, man befiehlt – hallas!

Zu allem Überfluß ist Heidi das Essen gestern abend nicht bekommen. Ihr sei übel, ob sie sich zwei Stunden hinlegen dürfe? Doch jetzt ist es ganz aus: auch noch krank spielen, das hätte ihr so gepaßt. Was sie sich denn überhaupt vorgestellt habe, das bißchen Hausarbeit und Kinderbetreuung wäre ja wohl nicht zuviel verlangt. Wenn ihr das alles nicht passe, könne sie ja gleich gehen.

Von Naima, der Gastmutter, zwar nicht wörtlich gemeint, aber von Heidi wörtlich genommen – sie packt die Koffer und geht. Ärger auf beiden Seiten.

Natürlich gibt es Heidi in dieser Überzeichnung nicht, und doch sind es alles erlebte Beispiele verschiedener Au-pair-Mädchen. Tatsache ist auch, daß über die Hälfte der schätzungsweise 30 Au-pairs, die im vergangenen Schuljahr in Kairo waren, vorzeitig ihre Gastfamilien verlassen bzw. die Familie gewechselt haben. Das muß nicht sein!

Hätten Heidi und Ulrike voneinander gewußt, es wäre möglicherweise anders gelaufen. Sie hätten miteinander reden, gemeinsame Ausflüge machen können, so wie es seit vielen Jahren die zahlreichen Au-pair-Klubs in England, Deutschland und Frankreich anbieten.

Ich erinnere mich an meine eigene Zeit als Au-pair-Mädchen in Paris und als Gastmutter in Bonn. In beiden Fällen war ich froh über die Möglichkeit dieser Au-pair-Treffs, wo junge Mädchen in einem fremden Land die ersten Kontakte knüpfen können. Im vergangenen Herbst bot ich deshalb deutschen Au-pair-Mädchen in Kairo an, sich bei mir zu treffen und kennenzulernen. Eine erzählte es der anderen. Mit zwei Au-pairs fing ich an, ca. 20 Mädchen waren es im Laufe des Schuljahres bei den monatlichen Gesprächsabenden.

Aber: Kairo liegt nicht in Europa.
Wurde mein Angebot von den Mädchen noch dankbar aufgegriffen, so war ich erstaunt, daß die ägyptischen Familien äußerst mißtrauisch reagierten. Sie schickten zwar die eigenen Kinder auf eine Deutsche Begegnungsschule, aber die Begegnung der Au-pairs untereinander war ihnen ein Dorn im Auge. Sie warnten mich, es würde Ärger geben, die Mädchen würden sich gegenseitig beeinflussen und "depressiv" werden, wenn sie von den Problemen anderer erführen. Im Gegenteil, sie lachten viel, und war wirklich mal eine von ihnen "down", so ging sie nach dem gemeinsamen Gespräch wieder mit neuem Mut an die Arbeit. Der Verdacht, Familienangelegenheiten könnten über die Au-pairs weitererzählt werden, bestätigte sich nicht. Äußerste Diskretion ist oberstes Gebot und wird strikt eingehalten.

Das Mißtrauen nimmt ab. Inzwischen rufen immer mehr ägyptische Familien an, die ein Au-pair-Mädchen suchen, und deutsche Mädchen bitten schriftlich um die Vermittlung einer Au-pair-Stelle in Kairo.

Trotzdem – es ist nicht beabsichtigt, eine Vermittlungsstelle aufzubauen. Vielmehr soll die Möglichkeit erhalten bleiben, daß Au-pair-Mädchen sich zum Gedankenaustausch treffen können. Einzelgespräche und Beratung auf Anfrage sollen auch weiterhin möglich sein und nur in besonderen Fällen auch die Vermittlung zwischen ägyptischen Gastfamilien und deutschen Au-pair-Mädchen.

Einmal begonnen, habe ich darüber nachgedacht, wie es weitergehen soll. Irgendwann werde ich dieses Land wieder verlassen und dann? Also ist es logisch, diese Aufgabe langfristig von meiner Person zu lösen und an eine Institution anzubinden.

Dies ist geschehen. In seiner September-Sitzung hat der Vorstand der Deutschen Evangelischen Gemeinde in Kairo beschlossen, die Betreuung der deutschen Au-pair-Mädchen zu übernehmen und fortzuführen. Dies entspricht ohnehin einer langjährigen Tradition in Deutschland. Dort ist der "Verein für internationale Jugendarbeit" – ein Fachverband innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland – für die Au-pair-Betreuung zuständig.

Aber noch einmal: Kairo liegt nicht in Europa. Ein Verein soll's nicht werden.
Die Einladung an die Au-pair-Mädchen bleibt bestehen. Nach Konfession wird nicht gefragt. Auch die Gasteltern sind herzlich eingeladen, mit uns das Gespräch aufzunehmen.
In Abstimmung mit der Deutschen Botschaft ist ein Merkblatt für einen Au-pair-Aufenthalt in Ägypten entstanden.

Kehren wir zurück zu Ulrike. Sie hat es geschafft, Vertrauen zu gewinnen, sich hilfsbereit und flexibel den Bedürfnissen ihrer Gastfamilie anzupassen, aber auch die eigene Belastungsgrenze richtig einzuschätzen, ihre Interessen zu formulieren und durchzusetzen. Mustafa hat mit ihrer Hilfe seine Deutschkenntnisse erheblich verbessert. Sie hat einen netten Bekanntenkreis gefunden, fühlt sich wohl und – last not least – wird ihren Aufenthalt in Kairo verlängern.

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Punkt Punkt Punkt

   

Perspektiven im Ausland?
von Frank Gesemann und Iris Nentwig

Papyrus-Logo Nr. 11/88, pp. 45—46

In Ägypten werden jährlich um die 2 Millionen Kinder geboren, das heißt etwa alle 16 Sekunden kommt ein Baby zur Welt. Am 5. August 1988 erreichte Ägyptens Bevölkerung die 53 Millionen-Grenze, ein Zuwachs von einer Million innerhalb von acht Monaten. Für nicht weniger als 500.000 Menschen müssen jährlich Arbeitsmöglichkeiten gefunden werden. Allein 120.000 Graduierte verlassen die Hochschulen jedes Jahr auf der Suche nach einem adäquaten Einstieg ins Berufsleben.

Demgegenüber steht eine wachsende Arbeitslosigkeit, die in den letzten Jahren bis auf 20% geschätzt wurde und von der in starkem Maße auch Höherqualifizierte betroffen sind. In den letzten 10 bis 15 Jahren wurde diese Entwicklung überlagert von der starken Nachfrage nach ägyptischen Arbeitskräften durch arabische Nachbarländer, die den nationalen Arbeitsmarkt entlastete.

In Reaktion auf die dramatischen Preissteigerungen bei Erdöl und dem damit einsetzenden Wirtschaftsboom in den Erdölstaaten wanderten in den letzten 10 bis 15 Jahren Millionen ägyptischer Arbeitskräfte in die reichen aber bevölkerungsarmen arabischen Nachbarländer. Während 1973 noch weniger als 100.000 Ägypter im Ausland arbeiteten, wuchs diese Zahl in den Jahren bis 1985 um ein Vielfaches. Charakteristisch für den rapide und unkontrolliert anwachsenden Migrationsstrom ist das Fehlen zuverlässiger Zahlen. Schätzungen für 1985 liegen zwischen 1,2 und 3,5 Millionen! Demnach entfallen allein auf die fünf Länder Irak, Saudi-Arabien, Kuwait, Jordanien und Libyen 85% der ägyptischen Gastarbeiter, wobei der Anteil der beiden erstgenannten Länder sogar bei 60 bis 65% liegt.

Treibende Motive für die Ägypter, die ihr Land verlassen, sind die schwierige Lage auf dem nationalen Arbeitsmarkt und Verdienstmöglichkeiten, die bis zum Zehnfachen und mehr die ägyptischen Löhne übertreffen. Unter den Migranten finden sich Angehörige der verschiedensten Berufs- und Tätigkeitsgruppen. Neben den vielen Arbeitskräften mit geringen Qualifikationen ließen in hoher Zahl auch Facharbeiter und Handwerker sowie Höchstqualifizierte, z.B. Lehrer und Ärzte, ihre Heimat hinter sich. Diese sind überwiegend im Bausektor, im sozialen Dienstleistungsbereich, in der Industrie, in Banken und Versicherungen, aber auch im Agrarsektor beschäftigt. Die ägyptischen Gastarbeiter sind zu 95% männlich und mit einem Durchschnittsalter von 32 Jahren deutlich jünger als die übrige arbeitsfähige Bevölkerung. Die Tatsache, daß ca. 56% der Migranten vom Land kommen, verdeutlicht, daß nicht mehr nur Angehörige der höher gebildeten städtischen Bevölkerungsschichten die im Ausland liegenden Möglichkeiten wahrnehmen ("Brain Drain"): Zwar verfügen ca. 13% der Migranten über einen Hochschulabschluß, doch ist der Anteil der Analphabeten mit 35% bemerkenswert hoch!

Wenngleich die unkontrollierte Abwanderung der besonders qualifizierten Arbeitskräfte auch Engpässe im eigenen Land verursachte, sind doch positive Auswirkungen unübersehbar. Ein hoher Anteil der Löhne ägyptischer Gastarbeiter fließt in Form von Kapital oder Waren zurück ins Land und erweitert die für Konsum und Investitionen zur Verfügung stehenden Ressourcen erheblich. Die Überweisungen der Gastarbeiter wurden für den ägyptischen Staat in den letzten Jahren zur wichtigsten Devisen-Einnahmequelle, die die gesamten Exporterlöse aus Erdöl, Baumwolle und Industrieprodukten übertrifft. Jährlich fließen etwa 2 bis 3 Milliarden US-$ über offizielle Kanäle ins Land und schätzungsweise noch einmal der gleiche Betrag über informelle Wege. Die Überweisungen im Zeitraum 1974 bis 1985 werden auf ca. 20 Milliarden US-$ geschätzt und sind als zentraler Faktor für eine Entwicklungsdynamik verantwortlich, an der große Teile der Bevölkerung partizipieren konnten.

Die Ersparnisse der zurückkehrenden Gastarbeiter dienen in erster Linie der unmittelbaren Erhöhung des Lebensstandards und der Befriedigung von existentiellen Konsumbedürfnissen (Nahrung, Kleidung). Darüber hinaus steht die Verbesserung der Wohnsituation, der Kauf von langlebigen Konsumgütern und die Finanzierung einer Hochzeit oder Pilgerreise im Vordergrund. Einige nutzen ihre Ersparnisse zur Erschließung neuer Verdienstmöglichkeiten, kaufen Taxis und Lieferwagen für Transport und Handel, oder eröffnen Werkstätten, sowie Geschäfte für Lebensmittel und andere Güter des täglichen Bedarfs.

In den ländlichen Gebieten wird schließlich durch den Erwerb von Agrarland und die Anschaffung von Pumpen, Traktoren und Vieh auch in der Landwirtschaft investiert. Eine besonders attraktive Anlagemöglichkeit sind infolge des Baubooms auch Fabriken zur Ziegelherstellung. Überall auf dem Land verdrängen rote Ziegelhäuser das gewohnte Bild der traditionellen Lehmbauweise. So ist es nicht verwunderlich, daß einige Dörfer schon nach wenigen Jahren kaum noch wiederzuerkennen sind. Die Migration ägyptischer Arbeitskräfte hat die Lebensbedingungen weiter Teile der Bevölkerung deutlich verbessert, aber die langfristigen Auswirkungen werden davon abhängen, inwieweit die produktiven Kapazitäten des Landes durch Investitionen in Industrie und Landwirtschaft erweitert werden.

Die erdölpreisbedingte Rezession in den reichen Golfstaaten, die Fertigstellung zahlreicher Projekte und die Aussetzung neuer Entwicklungsvorhaben führte in den letzten Jahren zu einem Rückstrom tausender ägyptischer Gastarbeiter. In Ägypten treffen sie auf einen ohnehin überlasteten Arbeitsmarkt, der bereits nicht mehr in der Lage ist, die nachwachsende Generation mit den jährlich zusätzlich benötigten 400.000 bis 450.000 Arbeitsplätzen zu versorgen. Allerdings ist kaum anzunehmen, daß die Integration der allmählich zurückkehrenden Gastarbeiter ein unlösbares Problem darstellt, verglichen mit den schwierigen Zukunftsperspektiven und enttäuschten Hoffnungen derjenigen jungen Menschen, die jährlich neu auf den Arbeitsmarkt drängen und für die nun auch der Ausweg der vorübergehenden Arbeitsmigration eine immer schwerer zu verwirklichende Möglichkeit darstellt. Eine beschäftigungswirksame Politik und eine Mobilisierung der Jugend, die ihr Engagement und ihren Idealismus zu beflügeln vermag, wird auch damit zu einer zentralen Aufgabe für die Zukunft.

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