Ägypten vor (mehr als) 100 Jahren
Kairo vor mehr als 100 Jahren
Teil 1 Nr. 9/89, pp. 3233 In einem der Märchen der "Tausend und eine Nacht" preist ein Mann
von Mosul Bagdad als die "Stadt des Friedens" und die "Mutter der
Welt"; der Älteste unter den Anwesenden entgegnete ihm aber:
"Und siehst du die Insel Rhôda mit ihren schattigen Bäumen, so wirst du in ein freudiges Entzücken versetzt und stehst du bei Kairo am Nil, wenn er bei Sonnenuntergang mit dem Gewande der Sonne sich umhüllt, so wirst Du von einem sanften Zephyr, der die schattigen Ufer umweht, ganz neu belebt". Das sind hochklingende Worte, die die glühende Einbildungskraft des Dichters mit ebenso feurigen Farben bekleidet, wie die Sonne bei ihrem Scheiden den ägyptischen Himmel. Und doch! Wer auch immer auf der Höhe der Zitadelle von Kairo gestanden, seinen Minarettenwald und den Nil und die Pyramiden am westlichen Horizont überschaut, seine Straßen und Gassen, seine Bazare und Moscheen, seine Plätze und Gärten besucht und sich in das bunte, wechselvolle, überreichströmende Leben und Drängen und Treiben seiner Bewohner gemischt hat, der wird, und hätte auch die Schickung an seiner Seele die Gabe der Einbildungskraft und seinem Herzen jede dichterische Regung versagt, an die Tage seines Aufenthaltes in Kairo denken, wie an eine Zeit, in der es ihm im Reiche der Märchen zu leben vergönnt war. Hier zu wandeln, heißt Neuem zu begegnen, hier zu schauen, bringt Genuß, hier zu beobachten und zu lernen ist Eins. Niemand hat Kairo verlassen ohne Gewinn und ohne Schaden; denn wenn auch jeder von dort mannigfaltige Eindrücke und lange nachleuchtende Erinnerungen mit sich heimnimmt, so schleicht sich doch zugleich mit ihnen die Sehnsucht ins Herz, die ihn wie mit winkenden Händen zurückruft an den Nil. Wer von dieses Stromes Wasser getrunken, sagt der Araber, sehnt sich ewig nach ihm zurück und "man wandelt nicht ungestraft unter Palmen". Wie erklären wir den Zauber, den diese merkwürdige Stadt niemals zu üben verfehlt! Gerade in ihren reizvollster Teilen ist sie keineswegs das, was wir unter einer "schönen Stadt" verstehen. Das Gebirge, an das sie sich lehnt, ist von jeder Vegetation entblößt und sie gehört zu den jüngsten Großstädten des Orients. Eines freilich hat sie vor allen anderen uns bekannten Orten voraus: sie ist so reich an Wechsel, dass uns in ihr ein kurzer Ritt mit so verschiedenartigen Kulturelementen, Kunstleistungen und natürlichen Gegensätzen zusammenführt, wie an keinem anderen Orte; berühren sich hier doch "drei Erdteile mit den Stirnen". Noch sind wir bedeckt mit dem Staube, den der Wüstensand uns mitten unter den großartigsten Resten aus der Pharaonenzeit entgegenführte, und schon stehen wir auf dem sorgsam gesprengten Trottoir einer Straße, zu deren beiden Seiten sich schmucke Häuser in europäischer Bauart erheben. Wenige Schritte wandern wir weiter und eine schattige Gasse nimmt uns auf, in der wir wie zwischen zwei hohen Steinmauern dahinwandern. Kein Fenster mit blitzenden Scheiben vermittelt hier freundlich den Straßenverkehr mit dem häuslichen Leben; wohl aber ragen mit hölzernem Gitterwerk fest verschlossene Erker vor uns, hinter uns, über uns, zur Rechten wie zur Linken in die Gasse hinein und entziehen alles, was hinter ihnen haust und sich regt, den Blicken der Vorüberschreitenden und der Nachbarn. Durch die Fugen und Öffnungen dieser in reichen Mustern und aus zierlich gedrehten Stäbchen zusammengesetzten Erkerverkleidungen schaut wohl manches Auge eines arabischen Weibes auf uns hernieder, denn das Maschrebije genannte Gitter läßt Luft in die Frauengemächer und gestattet den Schönen zu sehen, ohne gesehen zu werden. Der Name dieser Vorbauten, die zu den unvergeßlichsten Eigentümlichkeiten der Straßen des älteren Kairo gehören, kommt von dem arabischen Scharab, d.h. Getränk, weil man die "Gullen" genannten porösen Wassergefäße, um ihren Inhalt kühl zu halten, in ihnen und zwar in runden Vertiefungen am Boden des Erkers, der Luft auszusetzen pflegt. In diesen echt orientalischen Gassen, in denen kaum ein Reiter dem anderen ausweichen kann, ist es immer schattig und kühl, und darum hat der Kairener Recht, wenn er sie den breiten Straßen in den neu angelegten Vierteln vorzieht.
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Teil 2 Nr. 10/89, pp. 5455 Wir streben einer der großen Verkehrsadern zu und reiten an der hohen Pforte einer Moschee vorüber. Fromme Muslimen treten aus ihr hervor und gehen höflich den Franziskanermönchen aus dem Wege, die neben dem Heiligtum des Allah ernsten Rat zu halten scheinen. Jetzt nimmt eine breitere Straße uns auf, Menschen, Tiere, Wagen drängen hier einander. Man hört die Ersteren reden und rufen und hier und da das Geschrei eines Esels oder eines Kamels Gebrüll, aber nirgends wird das Ohr von dem rasselndem Lärm der europäischen Städte verletzt, denn über den weichen, ungepflasterten Fahrdamm rollen die Räder geräuschlos dahin. Kaum haben wir uns den Weg gebahnt, durch das drängende Gewimmel, und schon stehen wir auf einem öden Platze mit zusammenstürzenden Häusern, über denen Geier kreisen und in deren Schutt verkommene Straßenhunde nach Knochen suchen. Trockenes, staubiges Geröll, in dem selbst das Unkraut Wurzel zu schlagen verschmäht, lagert hier in gewaltigen Haufen, während dort, hinter jener Mauer in dem wohlbewässerten Garten eines Großen, sich die Gewächse mehrerer Zonen saftstrotzend und in wunderbar schnellem Wuchse, zusammenfinden. Vor der Pforte des Parks besteigt ein Eunuch ein reich geschirrtes arabisches Roß und schaut finster blickend auf die schönen Europäerinnen, die unverschleiert und lachend in ihrer offenen Wiener Kutsche an ihm vorüber brausen. Ein Läufer bahnt den eilenden Rossen den Weg durch die Menge, bis sie vor einem glänzenden Laden, in dessen Schaufenster alles, was die Hauptstädte Europas für den Frauenputz ersinnen, zum Kaufe ladet, stille stehen. Ihm gegenüber hält ein arabischer Mann seinen erbärmlichen, mit keinem Namen zu benennenden Kram auf einem elenden Karren feil. Ein langer Zug von Kamelen zwingt uns zum Ausweichen. Wie Schiffe, die ein Schleppdampfer nach sich zieht, ist eins an das andere befestigt, und jedes trägt auf dem höckrigen Rücken einen Warenballen, den es dem Bahnhofe zuführt. Hier vermischt sich der Pfiff der Lokomotive mit dem Gebrüll der geduldigen Lasttiere. In dem herrlichen Ziergarten des Esbekije-Platzes sitzt die schwarze Wärterin eines arabischen Kindes neben der französischen Bonne mit ihrem blondlockigen Pflegling, entzündet der italienische Stutzer seine Zigarette an der eines nubischen Händlers. Aus den offenen Fenstern eines mit Marmortischen und vergoldeten Spiegeln geschmückten Festsaales schallen einem die neuesten europäischen Weisen, vorgetragen von einer Damenkapelle, entgegen. Du lauschest auf die freundlichen Töne; aber Dich schreckt der helle Klang des Goldes, das erregte Spieler in einem Nebenraum der Musikhalle auf den Roulettetisch werfen. Eine Seitengasse mit vielen Erkern und feingedrechselten Haremsfenstern nimmt uns auf. Dort sitzen vor einer Kaffeespelunke im Erdgeschoß braune und schwarze Leute, die mit großem Behagen dem rieselnden Recitativ eines Volkssängers lauschen. Deinem verwöhnten Ohre bringt diese einfache Musik kein Ergötzen und Du strebst ins Freie.
In einer schönen Allee reitest Du unter schattigen Lebbachbäumen dahin, aber bald findest Du Dich wieder zwischen den Häuserreihen einer schmalen, bunt belebten Straße. Von fern schimmert Dir der breite Nil, jetzt starrt Dir ein Wall von Masten entgegen. Das ist der Hafen von Bulak. Neben dem reich ausgestatteten Dampfer landet soeben zur Seite ein plumpes nubisches Frachtschiff mit zerrissenen lateinischen Segeln, das die gleichen Formen trägt wie die Boote, die wir auf den Denkmälern aus der Pharaonenzeit die Tribute des Sudan nach Ägypten bringen sehen. Unweit des Hafens erhebt sich ein stattliches Museum, in dem sich die Denkmäler aus alter Zeit gemäß den höchsten Anforderungen der Wissenschaft des Abendlandes ausgestellt finden, und von allen Ägyptern, die an dieser Anstalt vorüberziehen, wird sich unter hundert kaum einer finden, der sein eigenes Lebensalter anzugeben und Dir gar zu sagen vermöchte, ob der Pharao denn mit diesem Namen bezeichnet er die gesamte vorchristliche Geschichte seiner Heimat vor dreihundert Jahren oder dreitausend Jahren gelebt hat. Und doch! Mitten unter diesen Unwissenden hat auch das Ringen nach Wissen sein Heim. In jenem großen Gebäude zu Bulak ziehen feine ägyptische Hände die sorgfältig mit gelehrten arabischen Schriften bedruckten Bogen aus europäischen Schnellpressen. Wenden wir der Staatsdruckerei und dem Hafenorte den Rücken und kehren wir zu dem eigentlichen Kairo zurück, so werden wir in den Höfen der Universitätsmoschee el Azhar, von der wir Ausführlicheres zu berichten gedenken, mehr Studierende finden als in irgendeiner Hochschule des Abendlandes. Lerne sie nur kennen, die Gelehrten, die sich hier in einer Bedürfnislosigkeit sondergleichen nur vom Brote des Geistes sättigen, und frage Dich, ob Du irgendwo einen tiefer in seinen Gegenstand versunkenen Forscher gesehen hast, als den alten Muslim, der danach ringt, eine schwierige Stelle des Korans recht zu erfassen.
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Teil 3 Nr. 11/89, pp. 6364 Wie ein Mosaikgebilde erscheint diese merkwürdige Stadt, die von Gegensätzen gekrönt ist. Heute trägt noch des Bildes Untergrund die Farbe des Orients, aber eine morgenländische Figur nach der andern wird von einer abendländischen verdrängt, und wer Kairo als Zentralstelle des orientalischen Lebens kennenzulernen wünscht, der darf wahrlich nicht säumen! Möge der Leser uns folgen... Uns hindert keine Schranke des Raums und der Zeit. Die Pforten der Paläste, die Tore der Moscheen und Schulen, ja die innersten Gemächer des Hauses werden sich uns nicht verschließen, und wir gedenken das Leben der Kairener, der Großen und Kleinen, zu verfolgen von der Wiege bis zum Grabe. Als Zuschauer ihrer Arbeit und als Genossen ihrer Feste werden wir uns bei ihnen einführen, und da, wo bewährten Freunden ein freierer Zutritt offenstand als uns selbst, auf sie unser Führeramt übertragen. Es wird gelten, Kairo in diesen Blättern zu zeigen, wie es ist; aber damit dies gelinge, wird es nötig sein, uns zu vergegenwärtigen, wie es geworden. Memphis, die alte Hauptstadt von Unterägypten, die wir kennen, darf die Mutter Kairos genannt werden. Es lag am westlichen Ufer des Nils, während seine jüngere Tochter sich zwischen dem Strom und dem Mokkatamgebirge, zwischen Wüstenland und prachtvollen Gärten ausbreitete. Das Kalkgebirge mit der Zitadelle dient ihr gleichsam zur Stütze, während der Nil, der in schnellem Strom an den Gartenmauern und Landungsplätzen ihrer westlichen Vorstädte vorbeirauscht, sie zum lebendigen Verkehr und zum Streben ins Weite ladet. Das Gebirge hinter der Stadt ist völlig nackt und vegetationslos. Ehe Gott, der Herr, so erzählt eine alte Sage, sich Mose auf dem Sinai zeigte, teilte er allen Bergen mit, dass er auf einem von ihnen mit seinem Auserwählten zu reden gedenke. Alsbald reckten und streckten sie sich alle, um groß zu erscheinen. Nur Zion, der Berg auf dem Jerusalem stand, beugte und neigte sich. Da befahl der Herr, um ihn für solche Demut zu belohnen, dass die anderen Berge ihn mit dem Pflanzenwuchse, der sie schmückte, bekleiden sollten. Der Mokkatam trennte sich zugunsten Zions von allem Grün und empfing daher seinen Namen, der an ein arabisches Wort erinnert, welches "trennen" bedeutet. Während der Glanzzeit von Memphis befanden sich den Pyramiden gegenüber auf dem östlichen Nilufer nur kleinere Ortschaften. Die eine südlichste stand im Zusammenhang mit den gewaltigen Steinbrüchen, welche das Baumaterial für die Denkmäler der alten Pharaonenresidenz lieferte. Die Ägypter nannten sie Ta-roue, und weil hier viele Kriegsgefangene als Steinmetzen beschäftigt wurden und Ta-roue von fern an Troja erinnerte, so entstand unter den dergleichen schnell auffassenden und verwertenden Griechen die Sage, hier in der Nähe des heutigen Turra wären die gefangenen Trojaner angesiedelt worden, welche der heimkehrende Menelaos nach der Einnahme von Ilion nach Ägypten, woselbst er mit der zurückgewonnenen Helena gerastet haben soll, gebracht hätte. Ein anderer früh erwähnter Ort, aus dessen Erweiterung später der älteste Teil von Kairo hervorgehen sollte, hieß Babylon, und es ward erzählt, dass es seinen Ursprung mit dem Kambyses nach Ägypten gekommenen Babyloniern verdanke. Wir werden später auf ihn zurückkommen, jetzt aber zunächst einen Blick auf den dritten und größten, hier schon in alter Zeit blühenden Ort zu werfen haben. Wir meinen die ehrwürdige Sonnenstadt Heliopolis. Sie lag wenige Kilometer nordöstlich vom heutigen Kairo und gehörte zu den berühmtesten Kultusstätten des gesamten Altertums. Niemand wird den Platz, auf dem sie gestanden, unbesucht lassen, denn es gibt dort einen Baum, einen Quell und einen Stein zu sehen, die alle drei zu den vorzüglichsten Wundern Ägyptens gezählt werden, und außerdem gehört es zu den angenehmsten Dingen, im Sattel oder Wagen frühmorgens oder wenn die Schatten länger zu werden beginnen, hier hinaus zu spazieren. Sobald wir die Häuser der Stadt hinter uns und den Chalig genannten Stadtkanal überschritten haben, zeigt sich die große Gebäudemasse der Abbasîje mit ihren Kasernen, ihrer Militärschule und Sternwarte. Zu unserer Rechten sehen wir die große, mit Holztribünen versehene Bahn, auf der im Monat Januar die Wettrennen abgehalten werden. Da treten englische und arabische Pferde in die Schranken und die Ersteren pflegen während des nur wenige Minuten dauernden Ringens die Beduinenrosse zu besiegen, die so viel schöner sind als sie und ihre nordischen Nebenbuhler an Dauerhaftigkeit weit übertreffen. Der dunkelfarbige Reitknecht sitzt nicht weniger fest im Sattel als der englische und schaut des Letzteren berufsmäßig kurze Gestalt mit stolzer Verachtung zu der kümmerlich genährten des Ersteren hinauf. In keiner Klasse der Bevölkerung ist auch der Rassenhaß so lebendig wie unter den Kutschern und Bereitern. Der Araber liebt das Pferd und will auf seinem heimischen Boden keinen Fremden zu seiner Pflege zulassen. Darum ist es nicht selten geschehen, dass auf die von reichen Ägyptern eingeführten englischen Jockeys mörderische Angriffe von braunen Nebenbuhlern versucht worden sind. Oftmals läßt man auch Dromedare rennen und es gewährt einen befremdlichen Anblick, wenn die, fast möchten wir sagen "verweltlichen Gestalten" der Wüstenschiffe, die langen, steifen Beine mit den platten, weichen Füßen behend zu regen und in schnellem Laufe nach vorn und hinten zu werfen beginnen. Mit kreischenden Rufen werden sie von ihren gebräunten Lenkern angefeuert, aber sie erreichen trotz aller Anstrengung der Letzteren und ihrer eigenen Kraft niemals die Schnelligkeit der Pferde. Freilich wohnt ihnen die Fähigkeit inne, noch lange fortzulaufen, wenn das ihnen in der ersten Stunde weit vorausgeeilte Pferd schon längst röchelnd zusammengesunken ist. "Hegin" werden die schnellaufenden Dromedare genannt, und wie hoch im Wert die Besten unter ihnen stehen und welche unglaublichen Strecken sie ohne zu rasten zurückzulegen vermögen, das werden wir an einer anderen Stelle zu zeigen haben.
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Teil 4 Nr. 12/89, pp. 5253
Kaum ist die Abbasîje unseren Blicken entschwunden und schon umweht uns die reine Luft der Wüste, deren Saum von unserem Weg berührt wird. Staubig und heiß ist die Straße; aber bald werden wir von den Schatten der Lebbachbäume zu unserer Rechten und Linken gedeckt, und wenn wir uns dem Schlosse des Kronprinzen von Ägypten, Taufik-Pascha, nähern, so erfreut uns der Anblick von wohlbewässerten Feldern, üppig grünenden Gärten und reiche Frucht tragenden Weinpflanzungen. Frage den Landmann, wann er das Korn gesät hat, das jetzt mit reifen Ähren der Ernte wartet, frage den Arbeiter am Wege, wann der prächtige Baum gepflanzt wurde, der jetzt mit breiter Krone den Weg überdacht oder der schöne Eukalyptus, der dort den Zaun überragt, und Du wirst Antworten erhalten, an die es Dir zu glauben schwerfällt. Bäume, die 1869 vor kurzem gepflanzt worden waren und der Stütze bedurften, begannen, als ich sie 1873 wieder sah, ihre Krone weit auszubreiten. Der für Ägypten schon seit Jahren so charakteristische Lebbachbaum (Albizzia Lebbek) soll erst unter Mohammed Ali aus Ostindien in das Niltal eingeführt worden sein und der Botaniker Schweinfurth teilt mit, dass dieser Baum es gestatte, das Stecklingesetzen, das bei anderen Bäumen nur durch junge Reiser und Zweige möglich wird, mit seinen mannstarken Ästen oder gar den Stammstücken selbst, vorzunehmen. Viele von den Gärten an unserem Wege sind schöner, üppiger, besser gehalten als derjenige, vor welchem wir nun aus dem Sattel springen; aber keiner kann sich mit ihm an Berühmtheit messen, denn in seiner Mitte erhebt sich, nunmehr von einem Gitter umgeben, eine Sykomore, unter der bei ihrer Flucht nach Ägypten Maria mit dem Christuskind gerastet haben soll. Der Chedif Ismaîl hat sie während seines Aufenthalts zu Paris 1867 galanterweise der Kaiserin Eugenie von Frankreich geschenkt. Sie ist von hohem Alter, aber wir dürfen sie nur als Nachfolgerin eines älteren Baumes betrachten, der schon, als Vansleb 1672 Ägypten bereiste, eingegangen war. Diesem glaubwürdigen Mann erzählten Mönche zu Kairo, dass der Marienbaum im Jahre 1656 vor Alter zusammengestürzt sei und zeigten ihm seine Überbleibsel, die als sehr köstliche Reliquien verwahrt wurden. Freilich gaben die Gärtner einen Baumstumpf für die Reste der alten Sykomore aus. Unweit des zerrissenen, zerfressenen und zerborstenen Stammes des Marienbaumes von heute, der genau auf der Stelle des alten gesetzt worden zu sein scheint und in den zahlreiche Wanderer ihre Namen geschnitten haben, entquillt ein Born mit süßem Wasser der Erde, welche sonst in diesen Breiten nur salziges, bitterliches Naß zu spenden pflegt, und tränkt den Garten mit Hilfe eines doppelten Schöpfrades. Schon im frühen Altertum wird er erwähnt, und wenn die Balsamsträucher, deren Blätter der Italiener Brocardi mit denen des Majoran vergleicht, wie man jahrhundertelang fälschlich glaubte, hier und nur hier gedeihen konnten, so wurde das dem wohltätigen Einfluß seines Wassers zugeschrieben, das mit in die Marienlegende verflochten ward. Das Christkindlein, heißt es, sei in unserem Quell gebadet worden und seitdem habe er nicht aufgehört mit süßem Wasser zu fließen. An einer anderen Stelle wird erzählt, Maria habe die Windeln des Heilands hier gewaschen und wo dabei ein Tropfen auf die Erde gefallen, sei eine Balsamstaude entstanden. Als die Verfolger sich den Rastenden nahten, soll sich die Jungfrau mit dem Kinde in eine Spalte der Sykomore verborgen und eine Spinne sie durch ihr Gewebe den Blicken der Suchenden entzogen haben. Wie vieles mag doch heidnisch sein an dieser Legende! Jedenfalls weiß die ägyptische Mythe von einem Gott zu erzählen, der in einem Baume vor seinen Verfolgern gesichert ward, und ferner von Balsampflanzen, die aus dem Naß entstanden, mit dem Himmelsbewohner die Erde benetzten. Die Araber pflegten unseren Garten und seine Umgebung, mit Einschluß der eine kleine Viertelstunde von ihm entfernten Trümmer von Heliopolis, "Ain Schams" zu nennen, was gewöhnlich mit Hinblick auf den erwähnten Brunnen als "Sonnenquell" übersetzt wird; es scheint aber in Wirklichkeit "Sonnenauge" zu bedeuten. Diesen Namen führt ein Götze, der unter den Trümmern von Heliopolis stehen geblieben war und von dem es hieß, dass er jeden, der ein Amt verwalte und ihn anzusehen wage, seiner Würde entkleide. Der Sultan Achmed Ibn-Tulûn soll von dieser Sage gehört, sich vor den Götzen hingestellt und den Steinmetzen befohlen haben, ihn zu zerstören. Darauf, heißt es, sei er, von dem wir doch wissen, dass er in Syrien seinen Leiden erlag, nach einer Krankheit von zehn Monaten gestorben. Dieser, das "Sonnenauge" genannter Götze war kaum etwas anderes als eine ägyptische Statue, welche vor Jahren in den weiten Hallen des Heiligtums gestanden. Der berühmte Sonnentempel ist der einzige in Ägypten, der uns von einem Griechen (dem Geographen Strabo) genau beschrieben worden ist, und darum haben wir es besonders lebhaft zu beklagen, dass an ihm das Wort des Jeremia in Erfüllung gegangen: "Er wird die Bildsäule im Sonnentempel in Ägyptenland zerbrechen und die ägyptischen Götzenhäuser mit Feuer verbrennen." In zehn Minuten haben wir seine spärlichen Trümmer erreicht und stehen vor einem stattlichen Obelisken, dem ältesten von allen Denkmälern dieser Art, dem einzigen, das, obgleich es in der frühen Zeit vor dem Einfall der Hyksos errichtet war, heute noch mit seiner Spitze gen Himmel weist. Da die Obelisken dem Sonnengotte heilig gewesen sind, so kann es uns nicht wundern, dass es von der Sonnenstadt Heliopolis heißt, sie sei voll gewesen von Obelisken, deren Trümmer noch zur Zeit des Abd-al-Latîf in solcher Menge vorhanden waren, dass er sie unzählbar nennt.
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Teil 5 Nr. 1/90, pp. 5859 Schon sehr früh wird Heliopolis, das die Ägypter An und die Hebräer On nannten, erwähnt. Der Sonnentempel in seiner Mitte war so alt wie die Verehrung des Tagesgestirns, an die sich die gesamte Götterlehre im Niltal schloß. Ra in seinen beiden Hauptformen Harmachis (die Morgensonne) und Tum (die Abendsonne) wurde hier in der Kombination Tum-Harmachis verehrt und neben ihm weibliche Gottheiten, unter denen die Hathor Jusas und die oft genannte Nebt-hotep eine bevorzugte Stellung einnehmen. Den sehr häufig als heliopolitanischen Gott erwähnten Osiris-sup (Osar-sup) würden wir nicht erwähnen, wenn wir nicht glaubten, dass sich in seinem Namen derjenige erhalten habe, welchen die griechischen Erzähler des Auszugs der Juden, dem Mose, der bei ihnen Osarsyph heißt, beilegten. Schon in der Zeit der Götterkämpfe soll der Sonnentempel die Himmlischen beherbergt haben. Als Typhon und Horus einander verwundet hatten, wurden sie in der "großen Halle" von Heliopolis verbunden und geheilt, und wenn eine Lederhandschrift im Berliner Museum mitteilt, dass König Amenemha I. und sein Sohn Usertesen den Sonnentempel selbst neu erbauten, so fehlt es nicht an ägyptischen und griechischen Zeugnissen welche lehren, dass der Gott, welcher der Erde das Licht schenkte, auch des Geistes leuchtende Kraft weckte und nährte, und dass unter seinem Schutz eine priesterliche Gelehrtenschule gedieh, deren Ruhm selbst die ähnlichen Anstalten von Saïs, Memphis und Theben überstrahlte. Herodot rühmt die heliopolitanischen Gelehrten als die verständigsten in Ägypten, und wenn die Griechen auch ihre mystische Weise und Methode tadelten, so bewunderten sie doch ihre astronomischen und anderen Kenntnisse, und es konnten noch in der schon verödeten Stadt den Fremden die Häuser gezeigt werden, in denen Pythagoras, Plato und Eudoxus gewohnt hatten, während sie die hohe Schule der Sonnenstadt besuchten, deren Hörsäle sich den Fremden nur schwer geöffnet zu haben scheinen. Einzelne Namen der heliopolitanischen Gelehrten sind bis auf uns gekommen. Ob zu ihnen auch jener Priester Potiphar von On gehörte, mit dessen Tochter Asnat der Pharao seinen Günstling Joseph vermählte? Wir wüssten auch, wenn dies der Raum gestattete, manche Einzelheit über den namentlich unter Ramses III. bis ins Ungeheure gesteigerten Besitz des Sonnentempels, seine Ausstattung und die in seinem Bezirke verehrten heiligen Bäume und Tiere zu berichten. Nur des hellfarbigen Mnevisstieres, der Löwen mit leuchtendem Fell, die hier gehalten wurden, und vor allem des Phönix wollen wir gedenken. Ein Jeder kennt die Mythe von dem Vogel aus dem Palmenlande, der sich nach seiner Verbrennung neu bildet und seine Asche in Perioden von fünfhundert Jahren nach Heliopolis bringt und durch welche die tröstliche Hoffnung, dass alles Gestorbene, Verwelkte und Erloschene in der Natur, einem neuen Leben, Blühen und Leuchten entgegengehen einen symbolisches Ausdruck fand. Das Bild des Phönix, sagt Hor-Apollo, bedeutet einen nach langer Trennung aus der Fremde heimkehrenden Wanderer. Seinen Namen trug unsere Venus, das schönste und hellste Gestirn des morgenländischen Himmels, dessen Untergang in der Frühe Gewähr leistet für seine Wiederkehr am Abend, und welches dem Sterbenden zu verheißen schien, dass es seiner erlöschenden Seele beschieden sei, mit neuen Glanze in der Nachtzeit des Todes zu leuchten. Die Ägypter selbst nannten den Phönix Bennu, und auf vielen Inschriften heißt der Sonnentempel oder doch ein Teil desselben "Bennuhaus". Ganz Ägypten beteiligte sich, wie noch späte Autoren berichten, an den Wallfahrten dahin. Die glänzendsten Pharaonen fügen ihrem Namen mit Ausschluß jeden anderen Machttitels den eines "Fürsten von Heliopolis" bei, und stolze Eroberer, die sich zu Memphis dem großen Ptah zu opfern begnügen, unterwerfen sich in dem Heiligtum des Sonnengottes vielen Zeremonien und verschaffen sich Einlaß in die Mysterien des Tempels. Amenemha I., der Gründer des Heiligtums der Sonne, ruft aus, nachdem er das große Werk begonnen, welches erst durch seinen Sohn Usertesen vollendet werden sollte: "Nicht vergehe es durch die Wechselfälle der Zeit, das Gemachte sei bleibend!" Dieser, durch eine Berliner Handschrift bis auf uns gekommene Wunsch eines großen Königs ist nicht in Erfüllung gegangen, denn von seinem für die Ewigkeit errichteten Prachtbau blieb nichts erhalten als der Obelisk, den wir kennen und wenige Blöcke, die der Erwähnung kaum wert sind. Der Perser Kambyses wird mit Unrecht beschuldigt, den Tempel und die Stadt der Sonne zerstört zu haben, denn noch lange nach ihm konnte der Erstere in all seinen Teilen beschrieben werden und blühte die Letztere, ja noch von arabischen Schriftstellern wird mancher längst verschwundene Rest unseres Heiligtums geschildert. Fragen wir, wohin denn die großen Mengen des harten, wohlbehauenen Gesteins gekommen sind, welche noch von zuverlässigen Gewährsmännern in verhältnismäßig später Zeit hier gesehen worden sind, so lautet die Antwort: Kairo, die große, in unmittelbarer Nähe des Sonnentempels erwachsende Stadt hat sie aufgebraucht, und um sie wieder zu finden, müssten wir die Grundmauern seiner Paläste, Moscheen und Wohnhäuser aus dem Boden wühlen. Heliopolis hat das Geschick von Memphis geteilt. Wir kennen nun den alten Phönix und wollen uns dem jungen Sonnenvogel zuwenden, der aus seiner Asche entstand.
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Teil 6 Nr. 2/90, pp. 7172 Zurück nach Kairo führt unser Weg. Der Esel der uns trägt, ist so unermüdlich wie sein Treiber Achmed, das Urbild des ägyptischen Gamins, von dem wir später mehr zu erzählen gedenken. Wir durchwandern die ganze Stadt, bis wir in ihrem äußersten Süden den Chalig genannten Kanal überschritten haben, der sie von einem Ende zum anderen in schräger Richtung durchschneidet und schon von Amr angelegt worden sein soll, um den Nil mit dem Roten Meer zu verbinden. Wir stehen bei der Stätte seines Ursprungs. Hier beginnt Alt-Kairo, die bescheidene Mutter einer glänzenden Tochter, das Fostât der Araber in den ersten Jahrhunderten des Islâm. In seinem äußersten Süden angelangt, betreten wir, nachdem wir eine kurze Wanderung durch Straßen von kleinstädtischem Anstrich zurückgelegt haben, ein bescheidenes Quartier, in dem sich mancherlei Mauerwerk und ein Festungstor aus der Römerzeit erhalten hat. Dies ist das ägyptische Babylon, das Fort, welches eine der Legionen, welche Ägypten für die Cäsaren und byzanthinischen Kaiser in Gehorsam hielt, Jahrhunderte lang beherbergte. Im Westen ward diese Burg vom Nil bespült, der sich ihr gegenüber teilte, um eine große Insel, die die Form eines Oleanderblattes zeigt, zu umarmen. Rhôda ist der Name dieses Eilandes, welches in älterer Zeit durch eine Brücke mit Babylon verbunden war. An diese Stätten knüpft sich die Geschichte der Anfänge von Kairo und der Herrschaft der Araber über Ägypten. Im Jahre 638 n.Chr. zog eine kleine Schar von Glaubensstreitern, die der neuen Religion des Mohammed anhingen, unter Führung des Amr Ibn el Asi von Syrien aus nach Ägypten. Bei Fârama stieß Amr mit 4.000 Mann auf das große, von dem griechischen Statthalter Mukaukas geführte, kaiserliche Heer, und drängte es, nachdem es einen Monat lang Widerstand geleistet hatte, mit Hilfe der Kopten, d.h., der dem monophysitischen Bekenntnis anhängenden Christen ägyptischer Herkunft, die zu ihnen übergegangen waren, zurück. Kein Geringerer als der Bischof Benjamin von Alexandrien, hatte sie zum Abfall ermutigt, denn dem Monophysiten war in dieser Zeit der leidenschaftlichen dogmatischen Kämpfe der orthodoxe Grieche, der seine Kirchen schloß, seine Klöster ausraubte und durch ungerechte Strafgelde sein Vermögen, durch Einkerkerung seine Freiheit lange Zeit geschädigt hatte, ein verhaßterer Gegner als die Mohammedaner, von denen er zunächst nur Befreiung von den andersgläubigen, griechischen Kaisern, Priestern und Beamten, ihren Peinigern und Bedrückern, erwartete. Nach mancherlei Kämpfen zogen die Griechen sich nach Babylon zurück, woselbst sie von Amr, dem der Chalif Omar Verstärkung gesandt hatte, belagert wurden. Die arabischen Krieger jener Zeit waren Helden, ihre Staatsmänner Weise, die nicht hinter den edelsten Gestalten, deren Gedächtnis die Geschichte anderer Völker bewahrt hat, zurückzustehen brauchen. Was hat ein Decius Mus, ein Curtius oder Arnold von Winkelried Edleres vollbracht, als jener Zubeir, welcher sich aufzuopfern beschloß, um die Seinen zum Siege zu führen. In der Nähe einer Mauerspalte richtete er eine Leiter auf, die er mit dem Schwerte in der Hand ungesehen erklomm. Von seinem Ziele aus rief er seinen Genossen ein frohes "Allah Akbar" zu, in das jene auf sein Geheiß mit lautem Jubel einstimmten. Die Belagerten, welche glaubten, eine große Schar von Feinden habe die Mauer erstiegen, retteten sich, und Babylon gehörte den Arabern. Die geschlagene Besatzung zog sich auf die Insel Rhôda zurück, von wo aus der Statthalter Mukaukas, nachdem er die das Eiland mit dem Festland verbindende Brücke abgebrochen hatte, in Friedensverhandlungen mit den Eroberern eintrat. Zwei Kopten kamen als Gesandte in das Lager der Muslimen, und Amr hielt sie dort einige Tage zurück, damit sie den ernsten, frommen Sinn seiner Krieger kennenlernen und den Ihrigen davon erzählen möchten. In der Tat verfehlte das streng-religiöse, würdige Leben der Glaubensstreiter nicht seine Wirkung auf die Vermittler und nach einigem Widerstreben in Wort und Tat war ein Friede geschlossen, in dem die Kopten sich verpflichteten, dass jeder von ihnen, mit Ausnahme der Greise, Weiber und Kinder, jährlich 2 Dinare Kopfsteuer bezahlen sollten. Dafür entsagten die Eroberer jedem Anspruch auf den Landbesitz und das Vermögen der Besiegten, und bewilligten den Griechen, die sich der Steuerforderung nicht fügen wollten, freien Abzug. Welches Ehrenzeugnis Mukaukas den Arabern ausstellte, nachdem der Kaiser ihm seine Schwäche, mit 100.000 Mann vor 12.000 zurückgewichen zu sein, bitter vorgeworfen hatte, ist bereits bei Gelegenheit der Schilderung des neuen Alexandria mitgeteilt worden. Gegen diese Stadt damals immer noch der Mittelpunkt des griechischen Lebens in Ägypten wandte sich Amr, nachdem sich ihm die gesamte koptische Bevölkerung von Unterägypten ohne Schwertstreich unterworfen hatte, im Juni 640. Wir wissen, dass es sich ihm nach tapferer Gegenwehr endlich übergeben mußte. Amr wünschte in Alexandria seine Residenz aufzuschlagen und begann den Palast für sich einzurichten und den Truppen besondere Quartiere anzuweisen, aber der Chalif zeigte sich mit dieser Maßregel nicht einverstanden, und mit Recht, denn die an blutige Parteikämpfe gewöhnte unruhige Handelsstadt am Meer schien wenig geeignet, sich als Mittelpunkt eines neuen, in Ägypten zu erweckenden Lebens zu bewähren. Amr zog nach Babylon zurück, in dessen Nähe sein Zelt "Fostât" stehen geblieben war. Als er nämlich sich nach Alexandria abzuziehen angeschickt und sein Zelt abzureißen angeordnet hatte, war ihm mitgeteilt worden, dass sich auf der Spitze desselben ein Taubenpaar sein Nest gebaut habe. Diese Nachricht veranlasste den Feldherrn, den Befehl zu erteilen, das linnene Haus stehen zu lassen, denn "Gott verhüte", sagte er, "dass ein Muslim einem lebenden Wesen, einem Geschöpf Gottes, das sich vertrauensvoll unter den Schatten seiner Gastlichkeit geflüchtet, seinen Schutz versage". So kam es, dass er nach seiner Rückkehr von Alexandria sein altes Zelt wieder fand. Er bezog es abermals und schritt von hier aus an die Gründung einer neuen Stadt, die den Namen Fostât, d.h. Zelt, empfing. Schon früh wurde auch der arabische Name von Ägypten, Misr, auf die neue Residenz übertragen, an die sich erst mehr als 300 Jahre später das Kâhira (Kairo) von heute schließen sollte, welches letztere übrigens auch in unseren Tagen von seinen Bewohnern und allen Ägyptern Misr oder Masr genannt wird. Der Name Alt-Kairo kam erst in Übung, nachdem Fostât zu einer Vorstadt des jüngeren Kairo herabgesunken war.
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Teil 7 Nr. 3/90, pp. 5557 Der Nilmesser Unter Leitung von vier Bauaufsehern schritt die Gründung der Stadt rüstig vorwärts, und es konnten sich die Straßen und Quartiere, welche nach ihren Stämmen an die Soldaten verteilt wurden, an die Gärten und Anlagen schließen, welche die Araber hier vorgefunden hatten. Da stand das "Fort Babylon", dessen eisernes Tor sich dem Nil und der Schiffbrücke entgegen öffnete, die das Festland mit der Insel Rhôda verband. Da erhob sich die jedenfalls vor der Gründung von Fostât erbaute altkoptische Marienkirche, in deren Krypta heute noch die Stelle gezeigt wird, an der, wie unter dem Baum von Matarîje, die heilige Familie auf der Flucht nach Ägypten gerastet haben soll, da grünten bis zum Mokattam hin schöne Baum- und Weingärten, in deren Mitte die sogenannte Lichterburg ragte, in der die römischen und griechischen Statthalter, wenn sie diese Gegend besuchten, zu wohnen gepflegt hatten. Der berühmte Nilmesser von Mikjâs auf der Insel Rhôda ist wahrscheinlich erst nach der Gründung von Fostât von Memphis auf das Eiland gegenüber Babylon übertragen worden. Makrîzi (1417) sah die Überreste eines älteren Nilmessers, dessen Nachfolger heute noch, nach zahlreichen Ausbesserungen und Erneuerungen, dazu dient, den Ausfall der Überschwemmung, auf den alle Welt mit atemloser Spannung wartet, für ganz Ägypten zu messen. Die Araber behaupten, er sei erst 56 Jahre nach der Gründung von Fostât erbaut worden. Wer ihn und das Eiland, auf dem er steht, zu besuchen wünscht, kann sich nicht mehr der längst zerstörten Schiffbrücke bedienen. Ein leichter Kahn führt ihn über den schmalen Stromarm zunächst in den großen, schlecht gehaltenen Garten der Erben Hassan Paschas, in dem dennoch mächtige Weinstöcke, Orangen, Zitronen, Rosen, Jasmin uns mancherlei Ziersträucher prächtig gedeihen und ein stattliches Sommerschloß im türkischen Stil umgrünen. Der Mikjâs selbst befindet sich in einem verdeckten Raume, dessen Dach von schlichten Holzsäulen getragen wird und welcher den älteren, am Ende des vorigen Jahrhunderts zerstörten Bau ersetzt. Das rechteckige Bassin, in dem die achtkantige, an ihrem oberen Teil durch einen Balken gestutzte Säule steht, auf der die altarabischen Maße verzeichnet sind, ist ausgemauert und steht durch einen Kanal mit dem Nil in Verbindung. An den Wänden der Mikjâshalle befinden sich kleine Nischen, welche mit einfachen Ecksäulen verziert und mit gedruckten Spitzbogen, die hier also schon im Anfang des achten Jahrhunderts verwandt wurden, überwölbt sind. Unter den kufischen Inschriften, die sich erhalten haben, danken die schönsten ihre Entstehung dem Sohne Harûn el-Raschîd, dem Freund der Wissenschaften, Mamûn, der den beschädigten Mikjâs im Jahre 814 n.Chr. wieder herstellen ließ. Am häufigsten erwähnt wird die Restauration, die der Nilmesser unter dem Kalifen el-Mutawakkil erfuhr, weil sie ihm den Namen des "neuen Mikjâs" verschaffte. Schon in der frühesten Zeit hatten die Pharaonen die Notwendigkeit erkannt, sich genau über den Ausfall der Überschwemmung zu unterrichten, und es haben sich Nilmesser erhalten, welche hoch in Nubien von Königen aus dem alten Reich, d.h. von Fürsten, die vor dem Einfall der Hyksos regierten, hergestellt worden sind. Sollte die Überschwemmung eine günstige genannt werden, so mußte der Strom, wie schon Herodot mitteilt, 16 Ellen steigen. Blieb er weit hinter diesem Maße zurück, so gebrach es den höher gelegenen Äckern an dem nötigen Wasser und es trat Hungersnot ein; überschritt er es beträchtlich, so zerriß er die Dämme, schädigte die Dörfer und war in der Saatzeit nicht in sein altes Bett zurückgekehrt. Darum konnten die Priester von der Scala des Nilmessers für den keinen Regen erwartenden und von keinem Frost oder Unwetter bedrohten Landmann den guten oder schlechten Ausfall seiner künftigen Ernte mit Sicherheit ablesen, und mit den Dienern der Gottheit die Beamten des Königs, welcher letztere die Höhe der auszuschreibenden Steuern von denjenigen des Stromes abhängig machte. Dem Bauern selbst war von früh an bis heute während der Zeit der Nilschwelle ein Blick auf den von dem Zauber der unnahbaren Heiligkeit geschätzten Maßstab streng untersagt, denn welcher Machthaber wäre geneigt, der Schickung das wichtigste seiner Rechte, die Bestimmung der Höhe der auszuschreibenden Steuern, rückhaltlos zu überlassen. In der Pharaonenzeit waren es die Priester, die den König und das Volk über den Ausfall der Überschwemmung unterrichteten, und heute noch steht der vereidete Schêich der Messung unter dem Einfluß der Polizei von Kairo und hat seinen eigenen Nilmesser, dessen Nullpunkt etwas tiefer stehen soll als der des alten Nilometers. Die Ingenieure der französischen Expedition deckten zuerst den Betrug auf, mit dessen Hilfe die Regierung sich die volle Erhebung der Steuern jedes Jahr zu sichern versuchte. Wenn der Nil eine Höhe von 15 altarabischen Ellen und 16 Kîrât erreicht hat (die Elle ist 54 Zentimeter lang und enthält 24 Kîrât), so hat er seinen Tiefststand um mehr als acht Ellen überschritten und diejenige Höhe erlangt, deren es bedarf, um auch die höher gelegenen Äcker zu bewässern, und, wie die Araber sagen, den Kefâ erreicht. Durch den Schêich der Nilmessung wird dies glückliche Ereignis dem in atemloser Spannung harrenden Volke verkündet, und die Durchstechung der Dämme kann vor sich gehen. Auf die bei Gelegenheit dieser Vorgänge gefeierten uralten Feste werden wir zurückzukommen haben. In allen Epochen der ägyptischen Geschichte ist mit gleicher Spannung auf den Ausfall der Überschwemmung gewartet worden und bis auf den heutigen Tag haben sich bei ihrem Eintritt Gebräuche erhalten und hört man Ansichten aussprechen, welche sich in gerader Linie auf die Pharaonenzeit zurückführen lassen. Und doch ist, während das Christentum in Ägypten herrschte, und später durch die Leiter des zum Islâm übergetretenen Volkes der alte Nildienst mit all seinen glänzenden, bunten und seltsamen Formen mit aller Schärfe ausgerottet worden. Freilich geht aus jeder beseitigten Religion gar Manches in die Neue, die sie verdrängt hat, als Aberglaube über und so ersehen wir denn aus einem christlichen, dem sechsten Jahrhundert entstammenden Schriftstück, dass man "das Heranwälzen des Nils zu seiner Zeit" von Osiris auf den heiligen Orion übertrug, und wenn die Priester in alten Tagen lehrten, "eine Träne der Isis" veranlasse die Schwelle des Nils, so hören wir die heutigen Ägypter sagen, "ein göttlicher Tropfen" sei es, der in den Strom fallend sein Anwachsen bewirke.
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Teil 8 Nr. 4/90, pp. 5960 Sobald der Nilschnitt erfolgt, wird heute noch eine aus Nilschlamm grob zusammengeknetete Figur, die man die "Braut" nennt, unter dem Jubel des Volkes in den Fluß geworfen, und zwar als Stellvertreterin einer schönen Jungfrau, welche mit dem Schmuck einer Neuvermählten in den Strom gestürzt worden sein soll, um seine Gunst zu erkaufen. Als nach der Gründung von Fostât der Nil seine gehörige Höhe nicht erreichen wollte, so sollen, wie Ibn-Ajâs erzählt, die Kopten den Statthalter Amr gebeten haben, ihnen zu gestatten, dem Fluß sein Opfer zu bringen. Der Feldherr verweigerte es; als aber der Nil bei seinem niedrigen Stande verblieb und eine Hungersnot das Land zu bedrohen schien, da setzte Amr den Kalifen Omar von dem Geschehenen in Kenntnis. Sein Bote brachte ihm einen Brief zurück mit dem Befehl, ihn in den Nil zu werfen. Amr gehorchte und schon in der folgenden Nacht erreichte der Fluß die nötigen sechzehn Ellen; das Schreiben des Beherrschers der Gläubigen aber hatte folgende Worte "an den gesegneten Nil Ägyptens" enthalten: "Wenn Du bisher nur infolge Deines eigenen Willens geflossen bist, so stelle Dein Strömen ein; wenn es aber von den Befehlen des sehr erhabenen Gottes abhängig war, so flehen wir zu diesem Gotte, dass er ihm sein volles Wachstum verleihe." Diese an sich hübsche Geschichte ist wenig glaubhaft, weil die ägyptische Religion Menschenopfer ebenso entschieden verwarf wie das Christentum; indessen wird in vorislamischer Zeit, wenn auch keine Jungfrau, so doch irgendein Opfer in den Strom gestürzt worden sein, und Makrîzi erzählt mit einer jeden Zweifel ausschließenden Ausführlichkeit, dass noch im Anfang des 14. Jahrhunderts nach Christus die Christen gewohnt waren, um eine gute Überschwemmung zu erzielen, ein Kästchen mit dem Finger eines Heiligen in den Nil zu werfen. Es mag an dieser Stelle erwähnt werden, dass das Rätsel der regelmäßigen Wiederkehr der Nilschwemme längst gelöst ist. Sie verdankt ihren Ursprung dem stets in den gleichen Jahreszeiten fallenden Tropenregen und dem Schmelzen des Schnees auf den Hochgebirgen in dem Heimatlande der beiden Quellströme des Nils. Sein Wachsen beginnt kaum merklich Anfang Juni, vom 15.20. Juli steigt er schneller und schneller, nimmt langsamer bis gegen Ende September zu, kommt einige Wochen lang zur Ruhe, ja manchmal zu einem leisen Rückgang und pflegt, Mitte Oktober noch einmal wachsend, seine höchste Höhe zu erreichen, auf der er sich nur wenige Tage zu behaupten weiß und so dann, nach und nach abnehmend, zu seinem Tiefstande zurückkehrt. Der Nilmesser ist es, dem die Insel Rhôda ihre Berühmtheit verdankt, und wer sie heute durchwandert, der findet auf ihr außer Pflanzungen, Häusern und einem bescheidenen Schêichgrab nichts Sehenswertes als einen ehrwürdigen "Mandurabaum" mit breiten Ästen, den die Kairener einen "großen Arzt" (hakîm kebîr) nennen, zu dem sie pilgern, um sich durch ihn von Fieber und anderen Gebrechen heilen zu lassen. Bei seiner Wurzel knien die Kranken nieder und sprechen Gebete; seine Zweige aber hängen voll von Kleidungsstücken der verschiedensten Art, den Votivgaben der Leidenden und Dankesopfer der Genesenen. Seine Heiligkeit wird so hoch gehalten, dass seine Besucher Meister Welsch's Begehr, ihn abzubilden, für eine Entweihung hielten, und es ihm nur durch Gewalt und List gelingen konnte, sein Gemälde des Arztes aus dem Pflanzenreiche zu vollenden. Es hat sich eine Sage erhalten, dass dieser Baum von des Propheten Tochter Fâtima gepflanzt worden sei; aber wir konnten ihrem Ursprung nicht auf die Spur kommen. Sijûti (gestorben 1506) erwähnt sie noch nicht. Um so besser sind wir über die Zeit der ältesten von allen Moscheen in Ägypten unterrichtet, welche heute noch den Namen ihres Begründers Amr trägt, und die wir schnell zu erreichen vermögen, wenn wir die Insel Rhôda verlassen und die Straßen und erbärmlichen Schutthaufen Fostâts von Neuem betreten. Die Moschee des Amr ist mit Recht die Hauptmoschee von Kairo genannt worden. Der Eroberer Ägyptens ließ sie an der Stelle errichten, an welcher der Kaufmann Kuteiba während der Belagerung von Babylon eine Bude errichtet hatte. Das neue Gotteshaus war nur 50 Ellen lang und 30 Ellen breit, und das erhöhte Pult zum Vorlesen des Korân, welches Amr hatte errichten lassen, mußte auf Befehl des Kalifen beseitigt werden, weil es ihm unziemlich erschien, dass die gläubigen Zuhörer niedriger stehen sollten als der Lesende. Ihrem Haupteingang gegenüber war das Haus des Statthalters gelegen. Dies Letztere ist längst von der Erde verschwunden und auch von dem Bauwerk des Amr in seiner ursprünglichen Gestalt wohl wenig bis auf uns gekommen, da es schon 33 Jahre nach seiner Errichtung von dem Statthalter Maslama abgebrochen, neu hergestellt, mit einem Minarett geschmückt und zwei Jahrhunderte später nach einem Brande schön erneuert worden ist.
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Teil 9 Nr. 56/90, pp. 9293 Nur selten füllt sich heute die Amr-Moschee mit Betern, aber es hat eine Zeit gegeben, in der ihre nackten Wände mit bunten Farben und reicher Vergoldung geschmückt waren, in der hier 1.290 Korâne auf ebenso vielen Pulten lagen, und wenn das Dunkel hereinbrach, nicht weniger als 18.000 Lampen angezündet wurden. Größer als die Zahl der Tage des Jahres soll die Zahl der Säulen unserer Moschee, von denen heute nur noch zwei und ein halbes Hundert aufrecht stehen, gewesen sein. Und welchen Anblick muß es gewährt haben, wenn sich in dem Tageshell erleuchteten Raume Tausende von Gläubigen zum Gebet zusammenstellten, als ginge es zur Schlacht! Niemand darf sitzen in der Moschee, und es findet sich in ihr kein Stuhl und keine Bank, denn der Mohammedaner sagt, sein Gebet sei ein Krieg gegen den Satan, der seine Annäherung an Gott und seinen Propheten Hindernisse in den Weg zu legen versucht. Darum stellen sich die Betenden wie die Regimenter in Reihen zusammen, und an ihrer Spitze steht der Imâm oder Vorbeter als vorderster Streiter, als "Promachos" sozusagen, in diesem Kampf der Geister. Die "Front" der Betenden wird auch von den Bekennern des Islâm mit dem gleichen Namen benannt wie die Schlachtreihe der Krieger; "Saff" heißt die eine wie die andere. Der Standort des Imâm, die Gebetsnische, wird in der mohammedanischen Kirchensprache mihrâb genannt, und die Theologen leiten dieses Wort dann auch von einem anderen ab, welches "harb" heißt und "Krieg" bedeutet. Das Gebet, welches nach den vorgeschriebenen Waschungen mit der Fâtiha, der ersten Sure des Korâns beginnt und mit Abschiedsworten endigt, muß unter tiefen Neigungen bis zur Erde (ri'kâ), deren Zahl je nach den Tageszeiten wechselt und von bestimmten Bewegungen begleitet wird, gesprochen werden. Oft wohl bleibt die Seele des Beters unberührt bei der Erledigung dieser streng vorgeschriebenen Formeln, und doch sind uns nirgendwo so tief in Andacht versunkene Beter begegnet, als gerade hier. In Kairo, wie anderwärts, wird leicht der fleißigste Besucher des Gotteshauses für den frömmsten Mann gehalten, und so sind es keineswegs immer die reinsten Beweggründe, die den Muslim in die Moschee ziehen. Wie der Christ und der Israelit, so findet der Muslim überall seinen Gott; ja, seine Moscheen werden ohne feierliche Grundsteinlegung errichtet, sie haben keine Heiligkeit an sich und ihrem Grundstein und ihrem Gemäuer wird keinerlei Weihe zugeschrieben, denn zu eng wäre der Ort, um den Allgewaltigen zu fassen, dessen Thron der Himmel ist und dem die Erde dient zum Schemel seiner Füße. "Mesgid" (dies ist die richtige Lautung unseres Wortes "Moschee") bedeutet einfach einen Ort der Verehrung des Herrn, aber gewöhnlich nennen die Araber ihre Gotteshäuser anders, und zwar Gâm'a, d.h. Sammelplatz, und die Moschee soll dann auch vor allen Dingen Sammelplatz sein für die Gläubigen, die an unserem Freitag ihren Sabbath feiern. Wenn dann aus dem Munde des Chatib (Predigers) das begeisternde Bekenntnis, dass kein Gott sei, außer dem allergefürchtesten Allah, und dass Mohammed der Gesandte Gottes sei, dann sinken wie ein Mann angesichts dieses Bekenntnisses alle Versammelten zu Boden, als wären sie niedergeschmettert von seiner überwältigenden Größe. Wir werden noch manche Moschee in der Kalifenstadt entstehen sehen und zu besuchen haben. Diejenige, welche neben der des Arnr für die älteste von allen gehalten wird, ist die durch den Stadthalter Ahmed ibn-Tulûn erbaute und nach ihm benannte. Zur Zeit ihrer Herstellung waren seit der Gründung des Fostâts noch keine 250 Jahre vergangen, und doch hatte das Leben der Ägypter in alle seinen Äußerungen und sein Schauplatz in allen seinen Teilen eine durchgreifende Umgestaltung erfahren. Schon Amr hatte den Islâm annehmenden und die Kopfsteuer zahlenden Kopten volle Gleichberechtigung versprochen, und so traten viele zur Religion des Mohammed über. Krieg, Pest, Aufstände, Verfolgungen, Brandschatzungen der Geringen durch die Mächtigen, kurz, eine jede Not hatte unter den Byzantinern die Einwohner des Niltals gelichtet und Platz für die Araber geschaffen, von denen viele Stämme sich in Ägypten seßhaft machten und hier schnell ihr wanderndes Leben aufgaben, um auf dem Lande als Ackerbauer, in den Städten als Kaufleute und Handwerker, als Gelehrte und Künstler, ein neues, zwar überall an das Alte anknüpfendes, aber in allen Lebensverhältnissen eigenartiges Leben zu beginnen. Die verknöcherte, grammatisch ungelenke und mit griechischen Fremdworten erfüllte Sprache der Ägypter (das Koptische) wurde bald von dem biegsamen und feinen Arabischen überholt. Schon bei der Betrachtung von Alexandria haben wir den wunderbar schnellen Verwandlungsvorgang erwähnt, dem Ägypten durch die Araber anheim fiel; aber während der Griechenstadt gegenüber sich die vernichtende Gewalt des Islâms in ihrer ganzen Schrecklichkeit tätig zeigte, fand das Arabertum in dem neuen Fostât den rechten Platz, die ihm damals noch innewohnende Schöpfungskraft zu entfalten und aus Ruinen ein lebensfrisches, mannigfaltiges, bedeutsames und die Welt mit schönen Früchten bereicherndes Dasein zu erwecken. Es ist hier nicht der Platz, den Wechselgängen der Kalifengeschichte nachzugehen und zu zeigen, wie nach Omars Tode, nach Othmâns und Merwân II., des letzten der Omajjaden Ermordung, das durch Stadthalter verwaltete Ägypten von den Beamten der Abbasîden beherrscht wird; aber es ist wohl wert der Erwähnung, dass keine zwei Jahrhunderte nach seiner Gründung Fostât bereits durch den Reichtum seines wissenschaftlichen Lebens von keiner Stadt des Abend- und Morgenlandes übertroffen wurde.
Zum 1. Teil von "Ägypten vor (mehr als) 100 Jahren":
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