Stadtplanung in Ägypten
    Inhalt:
    Misr ist Kairo und Kairo ist Misr
    Neue Städte in Ägypten
    Stadtentwicklung und Stadtplanung in Ägypten
    Wohnungsbau in Kairo – Veränderungen seit den 50er Jahren
    Einfluß der Stadtplanung auf die Stadtentwicklung Ägyptens in der Nachkriegszeit
    "New Settlements" – Ein neues Konzept für Kairo 2000?
    Kairo, eine Metropole zwischen Glanz und Elend
    Kairoer Immobilienmarkt im Wandel
    Kairo – Wohnungskrise trotz Wohnungsüberfluß

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Punkt Punkt Punkt

   

Kairoer Immobilienmarkt im Wandel
aus: "German-Arab Trade" 3/98
von Ernst Herb, mit freundlicher Genehmigung der Deutsch-Arabischen Handelskammer auch in PAPYRUS abgedruckt

Papyrus-Logo Nr. 1—2/99, pp. 38—40

Kairo macht mit seinen sechzehn Millionen meist jungen Einwohnern Ägyptens Hauptstadt zum potentiell interessantesten Grundstücksmarkt der Welt. Heute lähmt noch immer das Vermächtnis 40-jähriger staatlicher Einmischung einen großen Teil des Wohnungsmarktes, was sich beispielsweise darin zeigt, dass bis zu 2 Millionen Appartements in ganz Ägypten leer stehen, während zur selben Zeit Millionen von Familien Wohnungen suchen. Da partielle Reformen auf dem Wohnungsmarkt bis jetzt die Mietverträge, die vor 1995 unterzeichnet wurden, nicht angerührt haben, ist es in gehobeneren Stadtvierteln durchaus normal, dass Inhaber von alten Mietverträgen weniger als 20 $ für luxuriöse Appartements bezahlen, die auf dem freien Markt für über 2.000 $ gehandelt werden. Doch eine neue städtische Mittelschichtklasse, die gleichmäßig mit einer jährlichen Rate von über 5% anwächst, wird anspruchsvollere Wohnungen benötigen. Dadurch entsteht ein Bedarf, der nur über einen freieren Immobilienmarkt hinreichend erfüllt werden kann.

Mitten durch die Kairoer Altstadt wurde vor zwanzig Jahren eine Schneise gerissen. Mittelalterliche Häuser mussten einer vierspurigen Hochstraße weichen. Seither rasen auf der oberen modernen Ebene Autos vorbei, während sich auf der unteren "orientalischen" Straßenebene inmitten eines ohrenbetäubenden Lärms Eselskarren, Fußgänger und Motorfahrzeuge jeglicher erdenklicher Art ihren Weg bahnen. Die Gebäude auf beiden Seiten der Azarstraße sehen meist ärmlich und heruntergekommen aus. Kein Fremder, den es zufällig hierher verschlägt, würde auf die Idee kommen, dass sich die Immobilienpreise entlang dieses anderthalb Kilometer langen Straßenstückes in einer Klasse bewegen, die für bevorzugte Gewerbeanlagen m westlichen Hauptstädten üblich ist. Denn hinter den ärmlichen Fassaden versteckt sich der zentrale Engros-Textilmarkt des 60 Millionen Konsumenten zählenden Landes, auf dem emsige Geschäftsleute ihre Millionenabschlüsse tätigen.

Genauso überraschend wie diese Szene anmutet, ist der gesamte Immobilienmarkt der ägyptischen Kapitale. Kairo zählt mit achtzehn Millionen Einwohnern bevölkerungsmäßig zu einer der zehn größten Städte der Welt. Flächenmäßig ist sie jedoch kaum größer als die Stadt und das Umland von Frankfurt. Dies macht Kairo zu einer der weltweit dichtbesiedeltsten urbanen Zonen. Während Hongkong oder Manhattan durch den Bevölkerungsdruck in die Höhe geschossen sind und in ihren intensivsten Wachstumsphasen einen entsprechenden Baumboom erlebt haben, ist Kairo in den vergangenen dreißig Jahren vor allem innerhalb seiner Stadtgrenzen gewachsen. Verursacht wurde diese Entwicklung durch die sozialistische Wirtschaftspolitik der sechziger Jahre, die das damalige industrielle Schwellenland – damals weit fortgeschrittener als etwa Südkorea – in eine lange Phase des Niedergangs eintreten ließ.

Dies hat sich auch auf den Immobilien- und Mietmarkt ausgewirkt, der sechs Jahre nach dem 1992 eingeleiteten wirtschaftlichen Reformprogramm völlig verzerrt bleibt. Für Mietverträge etwa, die vor 1995 abgeschlossen wurden, gilt trotz einer zagen Teilreform immer noch ein fast vollständiger Preiserhöhungsstopp. Dies führt dazu, dass wohlhabende Ägypter für ihre Luxuswohnungen immer noch dieselbe Miete zahlen wie in den fünfziger Jahren, und dies trotz jahrelanger zwei- und dreistelliger Inflationsraten. So gehört es zur Regel, dass ein neu nach Kairo gezogener Geschäftsmann oder Diplomat für eine repräsentative Wohnung in bevorzugter Lage einen Preis zahlt, der sich durchaus mit den Werten von London oder Genf messen lässt. Die alteingesessenen ägyptischen Nachbarn hingegen zahlen mit großer Wahrscheinlichkeit weniger als umgerechnet 15 $.
Viele Wohnungen stehen leer. Eine Reform im Mietgesetz hat nur teilweise den Wohnungsmarkt liberalisiert.

In Häusern, in denen Mieter keine realistischen Preise zahlen, lohnt es sich für die Besitzer nicht, Geld in den Unterhalt ihrer Häuser zu stecken. Dies hat in Kairo zum Verfall eines großartigen architektonischen Erbes und zur Verslumung ganzer Stadtteile geführt. Andererseits stehen in ganz Ägypten schätzungsweise ein bis zwei Millionen Neubauwohnungen leer, weil ihre Besitzer, die sie für den späteren Eigennutz erworben haben, es nicht wagen, sie an Mieter zu vergeben, denen unter Umständen nicht mehr gekündigt werden kann.

All dies bedeutet aber nicht, dass in Kairo mit Altbauten kein Geld zu verdienen ist. Im Gegenteil: Wer sich im Geschäft auskennt und über entsprechende Beziehungen zu den richtigen Stellen verfügt, kann außerordentlich hohe Gewinne erzielen, und dies trotz Mietpreisstopp und Kündigungsschutz. Denn unerwünschte Hausbewohner können dann auf die Straße gesetzt werden, wenn das Gebäude nicht mehr den Sicherheitsnormen entspricht. Somit haben Besitzer ein Interesse daran, dass die Bausubstanz zerfällt. So sind in den vergangenen Jahren unzählige Prachtbauten verschwunden. Und anstelle von diesen werden monströse Spekulationsbauten hochgezogen.

Sehr hohe Gewinne lassen sich auch durch die Umgehung von Zonen- und Bauordnungen erzielen. In Villenvierteln werden Büro- und Wohntürme gebaut. Und oft ist auch die Anzahl der Stockwerke viel höher als von den Behörden genehmigt. Als vor drei Jahren im noblen Kairoer Vorort Heliopolis ein vierzehnstöckiges Wohnhaus einstürzte, brachte die polizeiliche Untersuchung einen zwar spektakulären, aber bei weitem nicht einmaligen Korruptionsfall im Immobilienwesen Kairos zum Vorschein. Das zwanzig Jahre alte Haus war fünf Stockwerke höher als genehmigt. Als eine Bank ohne offizielle Genehmigung in der untersten Etage zur Schaffung eines Großraumbüros mehrere Stützmauern entfernen wollte, krachte das Gebäude – das bereits durch minderwertiges Baumaterial und ein vorhergehendes starkes Erdbeben geschwächt war – in sich zusammen und riss über 30 Menschen in den Tod.

All dies zeigt, dass das Kairoer Immobiliengewerbe vorläufig noch eine Sache für Insider ist. Die Wirtschaft des Landes ist jedoch dabei, sich im Rahmen des laufenden Reformprogramms zu modernisieren. In den vergangenen Jahren hat erstmals auch wieder ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum eingesetzt. Ägypten verfügt über eine junge und sozial mobile Bevölkerung, die in den kommenden Jahren vermehrt Wohnraum und Arbeitsplätze in Anspruch nehmen wird. Um diesen Bedürfnissen zu genügen, muss auch mehr Transparenz im Immobilienbereich entstehen. Sie kann nur erreicht werden, wenn die Marktmechanismen liberalisiert werden. Dann werden auch die leerstehenden Wohnungen auf dem Mietmarkt erscheinen. Ägypten bleibt vorläufig ein exotischer Immobilienmarkt. Wenn er jedoch einmal eine gewisse Reife erreicht hat, wird er bestimmt das Potential entfalten, das einer Stadt der demographischen Größe und wirtschaftlichen Wichtigkeit Kairos entspricht.

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Kairo – Wohnungskrise trotz Wohnungsüberfluß
von Günter Meyer

Papyrus-Logo Nr. 11—12/97, pp. 26—32

Als "Brutstätten des Terrorismus", die militanten islamischen Fundamentalisten Unterschlupf und Rekrutierungsmöglichkeiten bieten, sind sie neuerdings in das Zentrum der ägyptischen Sicherheitspolitik gerückt. Zuvor waren sie nur kaum beachtete "informelle Siedlungen" – jene illegal errichteten Stadtteile Kairos mit weitgehend fehlender Infrastruktur und extrem hoher Bevölkerungsdichte. Dort lebt fast die Hälfte aller Einwohner der rund 12 Mio. Menschen zählenden Megastadt unter oft unerträglichen Bedingungen. Während zahllose Familien vergeblich nach erschwinglichen Wohnungen suchen, stehen Hunderttausende von Wohnungen in der Region Groß-Kairo leer. Wie konnte es zu solchen Disparitäten bei der Wohnraumversorgung kommen? Wodurch sind die Wohnverhältnisse, besonders der einkommensschwachen Bevölkerung, in unterschiedlichen Stadtteilen charakterisiert? Gibt es Ansätze zur Bewältigung der Wohnungskrise?

Die Entwicklung in den expandierenden Metropolen der Dritten Welt wird oft automatisch assoziiert mit einer kontinuierlichen Verschlechterung der Wohnverhältnisse für die große Mehrheit der Bevölkerung. Das genaue Gegenteil zeigen die Ergebnisse der letzten Volkszählung von 1986 für Kairo. Mußten sich 1976 im Durchschnitt noch 2,6 Personen ein Zimmer teilen, so ist die Belegungsquote zehn Jahre später bereits auf 1,5 gesunken. Gleichzeitig hat sich der Anteil der Gebäude, die über Wasser- und Stromanschluß verfügen, von 64% bzw. 77% auf 96% bzw. 99% erhöht. Im selben Zeitraum erlebte die Metropole einen solchen Bauboom, daß die Zahl der Gebäude mehr als doppelt so stark wuchs (jährlich +4%) wie die Bevölkerung (+1,8 %). Dadurch schnellte der Anteil der leerstehenden Wohnungen in der Region Groß-Kairo auf rund 15% im Jahr 1986 (CAPMAS 1987).

All diese Daten weisen auf eine eindrucksvolle Verbesserung der Wohnsituation hin – und verschleiern gleichzeitig eine Wohnungskrise, die sich seit der letzten Volkszählung dramatisch verschärft hat.

Ursachen der Wohnungskrise

Zum Verständnis der Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt der ägyptischen Metropole müssen zunächst die Rahmenbedingungen aufgezeigt werden:

  • Die Mietpreise für Altbauten sind seit der Phase des "Arabischen Sozialismus" unter Präsident Nasser auf dem Niveau der 50er Jahre eingefroren. Diese Gebäude sind seither einem rasch fortschreitenden Verfall ausgesetzt, da die Mieten nicht annähernd ausreichen, um die notwendigen Reparaturen zu finanzieren.
  • Für neue Wohnungen werden die Mietpreise von staatlicher Seite auf so niedrigem Niveau festgesetzt, daß eine "normale" Vermietung für den Eigentümer völlig unrentabel ist. Deshalb wird entweder vor Abschluß des Mietvertrags ein illegales "Schlüsselgeld" vom Mieter gefordert, das fast die Höhe der Baukosten für die Wohnung erreicht, oder man bietet die Wohnung gleich zum Verkauf an.
  • Der totale gesetzliche Kündigungsschutz verhindert eine spätere Eigennutzung der Wohnung durch den Eigentümer. Angesichts horrender Preissteigerungen für Bauland und -material legen sich alle, die es sich leisten können, einen "Vorrat" an Wohnungen an, die oft viele Jahre leerstehen, ehe sie von den herangewachsenen Kindern des Eigentümers bezogen werden.
  • Auch die Immobilienspekulation – bei Preissteigerungen von Eigentumswohnungen um 300% zwischen 1990 und 1993 ein äußerst einträgliches Geschäft – trägt entscheidend dazu bei, daß bei der letzten Volkszählung 1986 bereits 350.000 Wohnungen in der Region Groß-Kairo leerstanden. Deren Zahl ist inzwischen dramatisch gestiegen.
  • Unter dem Abbau der staatlichen Subventionen für Grundnahrungsmittel, Energieversorgung, öffentliche Transportmittel u.a. im Rahmen der gegenwärtigen Strukturanpassungspolitik hat die ärmere Bevölkerung besonders schwer zu leiden. So ist beispielsweise nach Untersuchungen eines staatlichen Forschungsinstituts innerhalb eines Jahres der Anteil der Haushalte, die mehr als drei Viertel ihres Einkommens allein für Nahrungsmittel ausgeben müssen, von 62% auf 81% gestiegen (Gertel 1993). Für solche Haushalte ist eine neue Mietwohnung mit Schlüsselgeld oder der Kauf einer Eigentumswohnung nicht mehr finanzierbar.
  • Das Erdbeben vom Oktober 1992 hat vor allem in den Armenvierteln von Kairo die Unterkünfte von 30.000 Familien zerstört (Al-Ahram 4.6.1995) und dadurch die Wohnungskrise weiter verschärft.

Eine verfehlte Wohnungspolitik hat also dazu geführt, daß ältere Wohngebäude verfallen und ein erheblicher Teil des Volkseinkommens in leerstehenden neuen Wohnungen völlig brachliegt. Gleichzeitig ist für die große Mehrheit der einkommensschwächeren Bevölkerung der Bezug einer neuen Wohnung unbezahlbar. Kairo ist zu einer Stadt mit "Wohnungen ohne Bewohner und Einwohnern ohne Wohnungen" (El Kadi 1990) geworden.

Wohnsituation in unterschiedlichen Stadtteilen

Die genannten Rahmenbedingungen haben die Entwicklung der Wohnverhältnisse in den älteren zentralen Gebieten und in den jüngeren peripheren Bereichen der ägyptischen Metropole in unterschiedlicher Weise geprägt.

Altstadt

Nachdem die Abwanderung der Oberschicht aus der Altstadt (vgl. Abb. 1) bereits um die Jahrhundertwende eingesetzt hatte, entwickelte sich dieser Bereich immer mehr zum Auffangbecken für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen. Das starke natürliche Wachstum der ansässigen ärmeren Bevölkerung und die Zuwanderung aus ländlichen Regionen ließen die Bevölkerungsdichte bis 1960 auf Extremwerte von bis zu 112.000 Einw. pro km² anschwellen (GOPP et al. 1983).

Siedlungstypen
Abb. 1: Siedlungstypen im Großraum Kairo
Entwurf: G.Meyer, Kartographie: K.Schmidt-Hellerau;
Quellen: El Kadi, 1987,Wagih 1994

Die Aufnahmekapazität der zunehmend verfaulenden Bausubstanz in diesen Vierteln war damit erschöpft, so daß eine sich rasch beschleunigende Abwanderung einsetzte. Sie erreichte ihren Höhepunkt zwischen 1976 und 1986 mit einem Rückgang der Einwohnerzahl in der Altstadt um 27% auf rund 600.000 Menschen (CAPMAS 1987). Der in dieser Phase stattfindende gesamtwirtschaftliche Aufschwung, verbunden mit steigendem Realeinkommen und hohen Überweisungen von Gastarbeitern in den Golfstaaten, erlaubte zahlreichen Familien den Umzug in neue Wohnungen am Stadtrand.

Explodierende Immobilienpreise lösten auch in der Altstadt einen Bauboom aus: Altbauten werden ohne Genehmigung aufgestockt oder von den Eigentümern unbewohnbar gemacht, um so die unkündbaren Mieter zum Auszug zu zwingen. Nach dem Abriß werden uniforme, bis zu neungeschossige Apartmentwohnhäuser errichtet (Meyer 1990). Trotz strikten Verbots geschieht dies selbst in unmittelbarer Nachbarschaft bedeutender mittelalterlicher Monumente. Dadurch wird nicht nur der architektonisch einmalige Charakter der Altstadt vernichtet, die von der UNESCO als Weltkulturerbe eingestuft wurde. Auch die prachtvollen Paläste und Moscheen werden dem Untergang geweiht. Die neuen Hochhäuser haben alle Wasseranschluß, doch die Kanalisation ist alt, völlig überlastet und undicht, so daß der größte Teil der Abwässer im Grundwasser versickert. In einigen Teilen der Altstadt ist der Grundwasserspiegel bereits bis zum Erdgeschoßniveau der Häuser angestiegen. Hochgradig verunreinigtes, chemisch aggressives Wasser steigt in den Wänden empor und zerstört nicht nur die mittelalterlichen Prachtbauten, sondern bedroht auch die Stabilität der neuen Hochhäuser.

Das Erdbeben von 1992 hat diese Entwicklung noch beschleunigt. Viele Altbauten erlitten so schwere Schäden, daß sie geräumt werden mußten. Die betroffene Bevölkerung wurde meist in Sozialwohnungen an den Rand der Metropole umgesiedelt. Dem Abriß und der meist illegalen Neubebauung großer Teile der Altstadt mit weiterer Verschärfung der Abwasserproblematik steht damit nichts mehr im Wege.

Totenstadt

Ein spektakuläres Zeichen für die Wohnungsnot in Kairo ist die Besiedlung der Friedhöfe im Osten und Süden der Altstadt (vgl. Abb. 1). In Presseveröffentlichungen und von der politischen Opposition werden Zahlen von bis zu 2 Mio. Menschen genannt, die in den Grabhäusern leben sollen. Auswertungen der Volkszählungsergebnisse reduzieren solche Angaben jedoch auf rund 125.000 Friedhofsbewohner im Jahr 1986 (El Kadi 1990). Deren Zahl ist außerdem rückläufig, da die Entwicklung der Immobilienpreise auch vor der Totenstadt nicht haltgemacht hat: Die Mieten für die geräumigen Grabhäuser, die oft schon über Wasser- und Elektrizitätsanschluß verfügen, sind so stark gestiegen, daß sie nicht mehr von den Menschen bezahlt werden können, die aus wirtschaftlicher Not bereit wären, auf dem Friedhof zu leben.

Informelle Siedlungen auf Bewässerungsland

Nach einer Studie der zuständigen Raumplanungsbehörde lebten zu Beginn der 90er Jahre fast 6 Mio. Menschen in sog. informellen Siedlungen im Großraum Kairo. Das entspricht 45% der Gesamtbevölkerung (Habitat 1993). Das Ausmaß dieser illegal auf ehemaligem Bewässerungsland errichteten Stadtteile ist Abb. 1 zu entnehmen.

Vor der Errichtung der informellen Siedlungen wird das Land zunächst legal erworben. In der Regel kauft ein Bauunternehmer einige ha Bewässerungsland und unterteilt dieses in jeweils 80—100 m² große Baugrundstücke, die an einer Seite durch einen schmalen Weg erschlossen werden. Die einzelnen Parzellen werden dann an Bauinteressenten weiterverkauft – meist Angehörige der Mittelschicht oder Familien von Gastarbeitern, die in den Golfstaaten beschäftigt sind. Der Gesetzesverstoß beginnt mit der Aufnahme der Bauaktivitäten, denn die Überbauung von Bewässerungsland ist verboten – ein Gesetz, das wie andere Bauvorschriften angesichts mangelhafter staatlicher Überwachung ignoriert wird.

Die meist von kleinen Bauunternehmen oder in Eigenarbeit der Besitzerfamilie zusammen mit kurzfristig angestellten Fachkräften errichteten Wohngebäude sind im allgemeinen solide gebaut (Meyer 1989). Je nach Kapitalverfügbarkeit des Besitzers wird das anfangs in der Regel nur zu eigenen Wohnzwecken genutzte Gebäude oft über viele Jahre immer weiter aufgestockt. Die neu hinzukommenden Etagen werden als Wohnungen, die an der Straßenfront im Erdgeschoß gelegenen Räume als Werkstätten oder Läden vermietet.

Charakteristisch für die informellen Siedlungen ist das Höhenwachstum auf meist bis zu acht Stockwerke und das Fehlen jeglicher Freiflächen, da die Grundstücke in der Regel zu 100% überbaut sind. Hier zwingen hohe Bodenpreise zu einer Entwicklung, die in relativ kurzer Zeit zu extremen Bevölkerungskonzentrationen und Dichtewerten führt, wie sie vermutlich in randstädtischen Wohnvierteln keiner anderen Megastadt in der Dritten Welt zu finden sind. So leben beispielsweise in Al-Munîra, im Nordwesten der Metropole, rund 600.000 Menschen auf einer Fläche von nur 2 km² (CAMPAS 1987).

Vor allem im Hochsommer, wenn sich die Baumassen aufheizen und die Gassen kaum eine Frischluftzufuhr erlauben, sind die Lebensbedingungen für die Bewohner dieser Siedlungen unerträglich. Zwar werden die neuen Stadtteile nach einigen Jahren – teilweise auch erst nach ein bis zwei Jahrzehnten – an das Strom- und Trinkwassernetz angeschlossen. Das Hauptproblem ist jedoch auch hier die Abwasserbeseitigung. Sofern überhaupt vorhanden, ist die Kanalisation völlig unzureichend und häufig verstopft, so daß das stinkende Abwasser immer wieder die unbefestigten Straßen überflutet und in die Häuser eindringt. Dadurch ist auch in diesen Siedlungen der Grundwasserspiegel so stark angestiegen, daß das Erdgeschoß in vielen Häusern nicht mehr bewohnt werden kann.

Die miserablen Wohnverhältnisse haben die informellen Siedlungen zu sozialen Brennpunkten ersten Ranges gemacht. Verstärkt wird dies durch eine hohe und ständig wachsende Arbeitslosigkeit, unzureichende schulische Ausbildungsmöglichkeiten, steigende Analphabetenraten sowie das sinkende Realeinkommen der Bevölkerung. Wo die staatlichen Institutionen sich der Verantwortung entzogen haben, sind private Wohlfahrtsorganisationen sowie radikale fundamentalistische Gruppen in die Bresche gesprungen: Sie unterstützen Arme und Hilfsbedürftige mit Geld- und Sachspenden, behandeln Kranke kostenlos in privaten Kliniken, erteilen Religions- sowie Lese- und Schreibunterricht, vermitteln Arbeitsplätze und regeln Rechtsstreitigkeiten. Nach dem schweren Erdbeben zählten diese Gruppen zu den ersten, die sich um die Opfer kümmerten, sie mit Decken und Nahrungsmitteln versorgten und nach drei Tagen eine Großdemonstration gegen die unzureichenden staatlichen Hilfsmaßnahmen organisierten.

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, daß gerade in den informellen Siedlungen immer mehr Menschen den militanten Fundamentalisten Glauben schenken, die mit ihrer Parole "Nur der Islam ist die Lösung" zum Sturz der Regierung aufrufen. Ihren bisherigen Höhepunkt erreichte diese Bewegung mit der – durch die internationale Presse weltweit verbreiteten – Ausrufung eines "Gottesstaates im Slum" durch Sheikh Gaber, den lokalen Führer der militanten Islamisten im Gebiet von Imbâba und Al-Munîra. Seine Anhänger übten dort nicht nur polizeiliche Sicherheitsaufgaben aus, sondern praktizierten auch die Prügelstrafe gegenüber Dieben und steckten Spirituosenläden von Kopten in Brand. Nach Anschlägen gegen Polizisten in Imbâba besetzten im Dezember 1992 mehr als 18.000 bewaffnete Sicherheitskräfte, unterstützt von gepanzerten Fahrzeugen, die informelle Siedlung und durchsuchten Haus für Haus nach Terroristen.

Diese spektakuläre Aktion wurde zum Auslöser für eine erbitterte innenpolitische Debatte über die Lebensbedingungen in den informellen Siedlungen und deren Vernachlässigung durch den Staat. Darauf reagierten die Behörden mit einem Sofortprogramm zur Verbesserung der Infrastruktur in den informellen Siedlungen, wobei sicherheitspolitische Überlegungen im Vordergrund standen. So wurden vor allem die Straßen asphaltiert, um den Zugang für Polizeifahrzeuge zu verbessern, und Straßenlampen installiert. Darüber hinaus wurde im Gebiet von Imbâba/Al-Munîra innerhalb eines Jahres die Kanalisation verbessert, ein Jugendzentrum eröffnet und mit dem Bau von zwei Schulen begonnen. Solche infrastrukturellen Maßnahmen sind auch in den übrigen informellen Siedlungen geplant. Einige Siedlungen sollen teilweise abgerissen und nach Angaben des Wohnungsministeriums mehr als 30.000 Menschen umgesiedelt werden.

Während somit die Hoffnung auf eine Verbesserung der Lebensbedingungen in den bereits existierenden informellen Siedlungen besteht, stellt sich die Frage nach dem Ausmaß der zukünftigen Expansion dieser Siedlungsform auf Kosten des fruchtbaren Bewässerungslandes.

Hier ist eine deutlich rückläufige Tendenz festzustellen. Nachdem noch zu Beginn der 80er Jahre im Durchschnitt rund 600 ha Bewässerungsland jährlich dem Wachstum der Metropole zum Opfer fielen, schrumpfte die Umwandlungsrate zwischen 1986 und 1989 auf 150 ha pro Jahr (GOPP et al. 1991). Dies ist vor allem ein Ergebnis des extremen Anstiegs der Preise für Bewässerungsland bei sinkender Kaufkraft der Bevölkerung. Es ist aber auch auf die schlechte Verkehrsanbindung der potentiellen Erweiterungsgebiete zurückzuführen, die im Westen an die informellen Siedlungen angrenzen. Dies wird sich durch den geplanten Bau der Ringstraße ändern (vgl. Abb. 2). Nach deren Fertigstellung dürfte kaum zu verhindern sein, daß sich das Siedlungswachstum auf dem Bewässerungsland am Westrand der Megastadt erneut beschleunigt.

Siedlungsentwicklung
Abb. 2: Geplante Siedlungsentwicklung bis zum Jahr 2000
Entwurf: G.Meyer, Kartographie: K.Schmidt-Hellerau; Quellen: GOPP et al. 1991 und 1993

 
Squatter-Siedlungen auf Staatsland

Für die ärmsten Bevölkerungsgruppen, die sich weder in den informellen Siedlungen eine Unterkunft leisten können, noch eine Sozialwohnung zugeteilt bekommen (Meyer 1989), bleibt oft nur die Möglichkeit der Besetzung von Staatsland. Derartige geplante Reaktionen auf die Wohnungsnot sind ein relativ neues Phänomen. Frühere Besetzungen von Staatsland in den 40er bis 60er Jahren erfolgten meist im Zusammenhang mit der Vertreibung größerer Bevölkerungsgruppen aus ihren bisherigen Wohnorten. So lassen sich die Anfänge der Squatter-Siedlungen im Gebiet von Helwan (vgl. Abb. 1) jeweils auf einzelne Gruppen zurückführen, deren Dorf im Niltal durch ein Hochwasser zerstört wurde, die aus der Suezkanalzone vertrieben wurden oder die ihre Häuser wegen einer Fabrikerweiterung räumen mußten (Oldham et al. 1987). Die Entwicklung von Manshiyat Nâsr, am Westrand der Mukattam-Berge, begann im unteren Bereich mit der Landbesetzung durch 40 Familien, deren Hütten einer neuen Straßenbahntrasse weichen mußten. Auch die Müllsammler, die sich in den höher gelegenen Steinbrüchen niederließen, waren durch behördliche Anordnung gezwungen worden, ihre frühere Siedlung zu verlassen (Meyer 1987). Foto 4 zeigt noch ein frühes Ausbaustadium, als wegen der ungeklärten Besitzverhältnisse erst wenige Müllsammlerfamilien mit einer Aufstockung ihrer Häuser begonnen hatten. (Dieses, wie auch weitere Fotos, können leider nicht wiedergegeben werden –Anm. KFN)
 

Seit der Legalisierung der Landbesetzung durch amtlich besiegelten Verkauf des besetzten Staatslandes ist hier das gleiche rasante Höhenwachstum wie in den informellen Siedlungen auf Bewässerungsland festzustellen. Dadurch dürfte die Einwohnerzahl von Manshiyat Nâsr inzwischen auf mehr als 200.000 Menschen angewachsen sein.

Tab. 1: Einwohner und Industriebeschäftigte in den neuen Städten
Neue Stadt Einwohner (in 1.000) Industriebeschäftigte
(in 1.000) bis 1/95
geplant bis 1989 tatsächlich bis 7/94
Al-'Âshir min Ramadân 250 105 116
As-Sâdis min Uktûbir 250 100 94
As-Sâdât 143 18 12
Insgesamt 643 223 222
 Quellen: GOPP und Planungsämter in den neuen Städten

Eine ähnliche Entwicklung ist längerfristig auch in 'Izbat al-Hagana, im Wüstengebiet westlich der Metropole, und in dem archäologisch bedeutenden Ruinengelände von Fustat zu erwarten. In diesen Gebieten begann die Landbesetzung erst 1982, als durch den rasanten Anstieg der Immobilienpreise die Anmietung und der Kauf einer neuen Wohnung für ärmere Bevölkerungsgruppen immer schwerer zu finanzieren war. Nachdem sich die angedrohte Räumung der ersten provisorischen Unterkünfte wegen unklarer Zuständigkeiten der Behörden verzögert hatte, setzte bald ein Zustrom von Wohnungssuchenden ein, so daß bereits nach 5 Jahren mehr als 20.000 Menschen in 'Izbat al-Hagana lebten (Haeringer, 1989) und sich etwa 15.000 Menschen in Fustat niedergelassen hatten (Deboulet 1990). Bei solchen Größenordnungen wird die Gefahr einer Räumung zunehmend geringer. Damit beschleunigt sich der Bevölkerungszustrom, und der Druck auf die Behörden wächst, die notwendige Infrastruktur bereitzustellen und die Landbesetzung nachträglich zu legalisieren.

Entlastungsstädte in der Wüste

Um ein derartig unkontrolliertes Ausufern der Metropole durch Squatter-Siedlungen und illegale Überbauung von Bewässerungsland zu verhindern und statt dessen eine Dezentralisierung des metropolitanen Wachstums zu erreichen, wurde bereits 1977 mit dem Bau von Entlastungsstädten in der Wüste begonnen (vgl. Abb. 3). Während die näher an Kairo gelegenen Siedlungen primär als "Schlafstädte" konzipiert waren, sollten Al-'Âshir min Ramadân (vgl. Abb. 4), As-Sâdis min Uktûbir und As-Sâdât im Endausbau jeweils bis zu 500.000 Einw. beherbergen und 80.000 industrielle Arbeitsplätze aufweisen.

Lage neuer Städte
Abb. 3:Lage der neuen Städte
Entwurf: G.Meyer, Kartographie: K.Schmidt-Hellerau

Hinsichtlich der angestrebten Dezentralisierung der Industrie hat die Entwicklung zumindest in den zwei relativ nahe an Kairo gelegenen neuen Städten die ursprünglichen Planungsziele bereits übertroffen. Dank der Bereitstellung von hochgradig subventionierten Industrieflächen, deren Verkaufspreise z.T. nicht einmal die Hälfte der staatlichen Erschließungskosten deckten (Fahmy 1987), sowie umfangreicher Steuervergünstigungen haben sich dort bis 1995 bereits 1884 Betriebe mit rund 220.000 Beschäftigten angesiedelt (vgl. Tab. 1).

Keineswegs erfreulich ist dagegen die Bilanz bei der angestrebten Dezentralisierung der Bevölkerung. Aufgrund gewaltiger Investitionen im Wohnungsbau und in eine oft überdimensionierte öffentliche Infrastruktur sind dort zwar sehr attraktive Wohnviertel entstanden. Auch haben die meisten Wohnungen sofort einen Käufer gefunden, doch stehen davon bis zu zwei Drittel leer – das Ergebnis einer verfehlten Wohnungspolitik: Hier wurden mit hohen staatlichen Subventionen vorwiegend Eigentumswohnungen errichtet. Damit bietet sich für den Käufer die Möglichkeit einer lukrativen Kapitalanlage. Nachdem beim Erwerb der Wohnung nur 15% des Kaufpreises fällig sind und der Restbetrag über zehn Jahre mit sehr geringer Verzinsung abgezahlt werden kann, garantieren die steigenden Immobilienpreise beim späteren Verkauf einen hohen Gewinn. Deshalb bleiben viele der Wohnungen vorerst ungenutzt und dienen nur als Spekulationsobjekte für die Reichen oder sind für eine spätere Nutzung durch deren Kinder vorgesehen.

Dagegen sind für die überwältigende Mehrheit der Industriebeschäftigten in den neuen Städten die in unmittelbarer Nachbarschaft ihrer Arbeitsplätze gelegenen Wohnungen unbezahlbar. 1987 wohnten von diesen Arbeitskräften nicht mehr als 7% mit ihren Familien in den neuen Städten (Meyer 1987). In der Zwischenzeit dürfte diese Quote auf höchstens 20% angestiegen sein, wenn man bei den in Tab. 1 angegebenen Einwohnerzahlen von einer durchschnittlichen Haushaltsgröße von vier Personen ausgeht und berücksichtigt, daß knapp die Hälfte der dort wohnenden Erwerbstätigen nicht in der Industrie tätig sind (Fahmy 1990). Damit pendeln schätzungsweise 180.000 Industriebeschäftigte in die neuen Städte mit ihren geräumigen, überwiegend leeren Wohnungen und hervorragender, aber kaum genutzter Infrastruktur; viele davon aus den übervölkerten informellen Siedlungen mit weitgehend fehlender Infrastruktur. Den 18.000 Einw. von As-Sâdât stehen beispielsweise 341 km geteerte Straßen von bis zu 75 m Breite zur Verfügung (Habitat 1993).

Flächennutzung
Abb. 4: Flächennutzung in Al-'Âshir min Ramadân (stand Januar 1995)
Entwurf: G.Meyer, Kartographie: K.Schmidt-Hellerau; Quelle: Lokale Planungsbehörde

Angesichts der Zielsetzung einer Dezentralisierung der Bevölkerung erscheinen die neuen Städte bisher als eine gigantische Fehlallokation öffentlicher Mittel: Weder haben sie eine wesentliche Entlastung des Bevölkerungsdrucks in der Region Groß-Kairo bewirkt – wo die Einwohnerzahl während der 18 Jahre seit Baubeginn der neuen Städte um ca. 4,7 Mio. auf schätzungsweise 12 Mio. im Jahr 1995 angewachsen ist (Moricono-Ebrard 1994) –, noch einen entscheidenden Beitrag zur Bekämpfung der Wohnungsnot geleistet.

Lösung der Wohnungskrise durch Mietrechtsreform?

Alle Experten sind sich mit dem ägyptischen Parlament und der Regierung einig, daß als wichtigster Schritt zum Abbau der Wohnungsnot eine Liberalisierung des Mietrechts erforderlich ist. Über das Ausmaß einer solchen marktwirtschaftlichen Reform gehen jedoch die Meinungen weit auseinander. An der Vielschichtigkeit dieser Problematik sind seit 1990 bereits zwei Gesetzesentwürfe des Wohnungsministeriums gescheitert, so daß der jüngste Vorschlag vom Februar 1995 eine mehrstufige Reform vorsieht. Unter Zurückstellung der problematischeren Bereiche sollen zunächst nur die Neuvermietungen geregelt werden: Die staatliche Festsetzung des Mietpreises entfällt, die Laufzeit der Mietverträge und der Kündigungsschutz werden auf fünf Jahre befristet. Damit können die leerstehenden Wohnungen, deren Zahl allein im Großraum Kairo nach Angaben des zuständigen Ministers inzwischen auf 1,8 Mio. gestiegen ist (Al-Ahram Weekly 26.1.1995), vermietet werden. Anders als bisher, ermöglicht die neue Regelung einen späteren Verkauf oder die Eigennutzung durch den Eigentümer. Dies wird das Wohnungsangebot vor allem für die Bezieher mittlerer und höherer Einkommen wesentlich erweitern und außerdem durch höhere Mieten den privaten Mietwohnungsbau wieder attraktiver machen.

Erst später gelöst werden soll das Problem der altvermieteten Wohnungen. Die durch den bisherigen Mietpreisstopp bedingten Verzerrungen müssen beseitigt werden. Es ist nicht länger vertretbar, daß für ein großräumiges, altvermietetes Apartment in Spitzenlage an der Nilpromenade eine Miete von 8 Pfund (umgerechnet ca. 3 DM) gezahlt wird, während für eine neue Ein-Raum-Wohnung in den informellen Siedlungen 40 Pfund zu entrichten sind. Deshalb soll bei bestehenden Verträgen eine Mietpreiserhöhung festgelegt werden. Um soziale Härten für die Bezieher niedriger Einkommen zu vermeiden, darf sie jedoch in Abhängigkeit vom Gebäudealter nur maximal 25% betragen. Außerdem sollen die Kosten für Renovierung und Instandhaltung der Wohnungen nicht mehr vom Eigentümer, sondern vom Mieter getragen werden (Abul-Gheit 1995).

Fazit

Diese äußerst moderate Erhöhung ist kaum geeignet, auf absehbare Zeit die Kluft zwischen den Mieten für alt- und neuvermietete Wohnungen zu schließen und dem immer schneller fortschreitenden Verfall der Altbausubstanz Einhalt zu gebieten. Auch bleibt die Frage unbeantwortet, wie die ärmere Bevölkerung bei der Anmietung einer neuen Wohnung die wesentlich höheren Mieten aufbringen soll.

Der beste Lösungsvorschlag dürfte hier eine generelle Freigabe der Mieten sein, sozial abgefedert durch staatliche Subventionen für den Bau von Sozialwohnungen und Mietzuschüsse für Bezieher niedriger Einkommen. Dies wäre durch die Besteuerung von Eigentumswohnungen der gehobenen und luxuriösen Kategorie zu finanzieren (Hanna 1994). Ob eine solche Reform allerdings politisch durchsetzbar ist, bleibt abzuwarten.

Literatur:
    • Abul-Gheit, Z.: The search to close the housing gap. Al-Ahram Weekly 19.1.1995.
    • CAPMAS, Central Agency for Public Mobilisation and Statistics: Zensus der Einwohner, Wohnungen und Betriebsstätten 1986. Vorläufige Ergebnisse für Kairo, Giza und Qaliubia (arabisch). Kairo 1987.
    • Deboulet, A.: Etat, squatters et maîtrise de l'espace au Caire. Egypte/Monde Arabe 1 (1990), S. 79—96.
    • El Kadi, G.: L'urbanisation spontanée au Caire. Tours 1987 (URBAMA Fascicule de Recherches 18).
    • Dies.: La cité des morts au Caire. Maghreb-Machrek 127 (1990), S. 134—153.
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Zum Autor
Prof. Dr. Günter Meyer, geb. 1946.
Geographisches Institut der Universität Mainz, Saarstraße 21, 55099 Mainz.
Arbeitsgebiete/Forschungsschwerpunkte:
Stadt-, Wirtschafts- und Sozialgeographie, Migrationsforschung, Ägypten, Syrien, Jemen, alte und neue Bundesländer.

Punkt Punkt Punkt

 

Fingerzeig Zum 1. Teil über "Stadtplanung in Ägypten"
         Misr ist Kairo und Kairo ist Misr
         Neue Städte in Ägypten
         Stadtentwicklung und Stadtplanung in Ägypten
         Wohnungsbau in Kairo – Veränderungen seit den 50er Jahren
         Einfluß der Stadtplanung auf die Stadtentwicklung Ägyptens in der Nachkriegszeit
         "New Settlements" – Ein neues Konzept für Kairo 2000?
         Kairo, eine Metropole zwischen Glanz und Elend

Fingerzeig Zu weiteren Problemen der aktuellen Stadtentwicklung siehe auch die Rubrik
         Kairener Stadtteilsanierung

 

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