Stadtplanung in Ägypten
Kairoer Immobilienmarkt im Wandel
Nr. 12/99, pp. 3840 Kairo macht mit seinen sechzehn Millionen meist jungen Einwohnern Ägyptens Hauptstadt zum potentiell interessantesten Grundstücksmarkt der Welt. Heute lähmt noch immer das Vermächtnis 40-jähriger staatlicher Einmischung einen großen Teil des Wohnungsmarktes, was sich beispielsweise darin zeigt, dass bis zu 2 Millionen Appartements in ganz Ägypten leer stehen, während zur selben Zeit Millionen von Familien Wohnungen suchen. Da partielle Reformen auf dem Wohnungsmarkt bis jetzt die Mietverträge, die vor 1995 unterzeichnet wurden, nicht angerührt haben, ist es in gehobeneren Stadtvierteln durchaus normal, dass Inhaber von alten Mietverträgen weniger als 20 $ für luxuriöse Appartements bezahlen, die auf dem freien Markt für über 2.000 $ gehandelt werden. Doch eine neue städtische Mittelschichtklasse, die gleichmäßig mit einer jährlichen Rate von über 5% anwächst, wird anspruchsvollere Wohnungen benötigen. Dadurch entsteht ein Bedarf, der nur über einen freieren Immobilienmarkt hinreichend erfüllt werden kann. Mitten durch die Kairoer Altstadt wurde vor zwanzig Jahren eine Schneise gerissen. Mittelalterliche Häuser mussten einer vierspurigen Hochstraße weichen. Seither rasen auf der oberen modernen Ebene Autos vorbei, während sich auf der unteren "orientalischen" Straßenebene inmitten eines ohrenbetäubenden Lärms Eselskarren, Fußgänger und Motorfahrzeuge jeglicher erdenklicher Art ihren Weg bahnen. Die Gebäude auf beiden Seiten der Azarstraße sehen meist ärmlich und heruntergekommen aus. Kein Fremder, den es zufällig hierher verschlägt, würde auf die Idee kommen, dass sich die Immobilienpreise entlang dieses anderthalb Kilometer langen Straßenstückes in einer Klasse bewegen, die für bevorzugte Gewerbeanlagen m westlichen Hauptstädten üblich ist. Denn hinter den ärmlichen Fassaden versteckt sich der zentrale Engros-Textilmarkt des 60 Millionen Konsumenten zählenden Landes, auf dem emsige Geschäftsleute ihre Millionenabschlüsse tätigen. Genauso überraschend wie diese Szene anmutet, ist der gesamte Immobilienmarkt der ägyptischen Kapitale. Kairo zählt mit achtzehn Millionen Einwohnern bevölkerungsmäßig zu einer der zehn größten Städte der Welt. Flächenmäßig ist sie jedoch kaum größer als die Stadt und das Umland von Frankfurt. Dies macht Kairo zu einer der weltweit dichtbesiedeltsten urbanen Zonen. Während Hongkong oder Manhattan durch den Bevölkerungsdruck in die Höhe geschossen sind und in ihren intensivsten Wachstumsphasen einen entsprechenden Baumboom erlebt haben, ist Kairo in den vergangenen dreißig Jahren vor allem innerhalb seiner Stadtgrenzen gewachsen. Verursacht wurde diese Entwicklung durch die sozialistische Wirtschaftspolitik der sechziger Jahre, die das damalige industrielle Schwellenland damals weit fortgeschrittener als etwa Südkorea in eine lange Phase des Niedergangs eintreten ließ. Dies hat sich auch auf den Immobilien- und Mietmarkt ausgewirkt, der sechs
Jahre nach dem 1992 eingeleiteten wirtschaftlichen Reformprogramm völlig
verzerrt bleibt. Für Mietverträge etwa, die vor 1995 abgeschlossen wurden,
gilt trotz einer zagen Teilreform immer noch ein fast vollständiger
Preiserhöhungsstopp. Dies führt dazu, dass wohlhabende Ägypter für ihre
Luxuswohnungen immer noch dieselbe Miete zahlen wie in den fünfziger Jahren,
und dies trotz jahrelanger zwei- und dreistelliger Inflationsraten. So gehört
es zur Regel, dass ein neu nach Kairo gezogener Geschäftsmann oder Diplomat
für eine repräsentative Wohnung in bevorzugter Lage einen Preis zahlt, der
sich durchaus mit den Werten von London oder Genf messen lässt. Die
alteingesessenen ägyptischen Nachbarn hingegen zahlen mit großer
Wahrscheinlichkeit weniger als umgerechnet 15 $.
In Häusern, in denen Mieter keine realistischen Preise zahlen, lohnt es sich für die Besitzer nicht, Geld in den Unterhalt ihrer Häuser zu stecken. Dies hat in Kairo zum Verfall eines großartigen architektonischen Erbes und zur Verslumung ganzer Stadtteile geführt. Andererseits stehen in ganz Ägypten schätzungsweise ein bis zwei Millionen Neubauwohnungen leer, weil ihre Besitzer, die sie für den späteren Eigennutz erworben haben, es nicht wagen, sie an Mieter zu vergeben, denen unter Umständen nicht mehr gekündigt werden kann. All dies bedeutet aber nicht, dass in Kairo mit Altbauten kein Geld zu verdienen ist. Im Gegenteil: Wer sich im Geschäft auskennt und über entsprechende Beziehungen zu den richtigen Stellen verfügt, kann außerordentlich hohe Gewinne erzielen, und dies trotz Mietpreisstopp und Kündigungsschutz. Denn unerwünschte Hausbewohner können dann auf die Straße gesetzt werden, wenn das Gebäude nicht mehr den Sicherheitsnormen entspricht. Somit haben Besitzer ein Interesse daran, dass die Bausubstanz zerfällt. So sind in den vergangenen Jahren unzählige Prachtbauten verschwunden. Und anstelle von diesen werden monströse Spekulationsbauten hochgezogen. Sehr hohe Gewinne lassen sich auch durch die Umgehung von Zonen- und Bauordnungen erzielen. In Villenvierteln werden Büro- und Wohntürme gebaut. Und oft ist auch die Anzahl der Stockwerke viel höher als von den Behörden genehmigt. Als vor drei Jahren im noblen Kairoer Vorort Heliopolis ein vierzehnstöckiges Wohnhaus einstürzte, brachte die polizeiliche Untersuchung einen zwar spektakulären, aber bei weitem nicht einmaligen Korruptionsfall im Immobilienwesen Kairos zum Vorschein. Das zwanzig Jahre alte Haus war fünf Stockwerke höher als genehmigt. Als eine Bank ohne offizielle Genehmigung in der untersten Etage zur Schaffung eines Großraumbüros mehrere Stützmauern entfernen wollte, krachte das Gebäude das bereits durch minderwertiges Baumaterial und ein vorhergehendes starkes Erdbeben geschwächt war in sich zusammen und riss über 30 Menschen in den Tod. All dies zeigt, dass das Kairoer Immobiliengewerbe vorläufig noch eine Sache für Insider ist. Die Wirtschaft des Landes ist jedoch dabei, sich im Rahmen des laufenden Reformprogramms zu modernisieren. In den vergangenen Jahren hat erstmals auch wieder ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum eingesetzt. Ägypten verfügt über eine junge und sozial mobile Bevölkerung, die in den kommenden Jahren vermehrt Wohnraum und Arbeitsplätze in Anspruch nehmen wird. Um diesen Bedürfnissen zu genügen, muss auch mehr Transparenz im Immobilienbereich entstehen. Sie kann nur erreicht werden, wenn die Marktmechanismen liberalisiert werden. Dann werden auch die leerstehenden Wohnungen auf dem Mietmarkt erscheinen. Ägypten bleibt vorläufig ein exotischer Immobilienmarkt. Wenn er jedoch einmal eine gewisse Reife erreicht hat, wird er bestimmt das Potential entfalten, das einer Stadt der demographischen Größe und wirtschaftlichen Wichtigkeit Kairos entspricht.
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Seit der Legalisierung der Landbesetzung durch amtlich besiegelten Verkauf des besetzten Staatslandes ist hier das gleiche rasante Höhenwachstum wie in den informellen Siedlungen auf Bewässerungsland festzustellen. Dadurch dürfte die Einwohnerzahl von Manshiyat Nâsr inzwischen auf mehr als 200.000 Menschen angewachsen sein.
Eine ähnliche Entwicklung ist längerfristig auch in 'Izbat al-Hagana, im Wüstengebiet westlich der Metropole, und in dem archäologisch bedeutenden Ruinengelände von Fustat zu erwarten. In diesen Gebieten begann die Landbesetzung erst 1982, als durch den rasanten Anstieg der Immobilienpreise die Anmietung und der Kauf einer neuen Wohnung für ärmere Bevölkerungsgruppen immer schwerer zu finanzieren war. Nachdem sich die angedrohte Räumung der ersten provisorischen Unterkünfte wegen unklarer Zuständigkeiten der Behörden verzögert hatte, setzte bald ein Zustrom von Wohnungssuchenden ein, so daß bereits nach 5 Jahren mehr als 20.000 Menschen in 'Izbat al-Hagana lebten (Haeringer, 1989) und sich etwa 15.000 Menschen in Fustat niedergelassen hatten (Deboulet 1990). Bei solchen Größenordnungen wird die Gefahr einer Räumung zunehmend geringer. Damit beschleunigt sich der Bevölkerungszustrom, und der Druck auf die Behörden wächst, die notwendige Infrastruktur bereitzustellen und die Landbesetzung nachträglich zu legalisieren.
Um ein derartig unkontrolliertes Ausufern der Metropole durch Squatter-Siedlungen und illegale Überbauung von Bewässerungsland zu verhindern und statt dessen eine Dezentralisierung des metropolitanen Wachstums zu erreichen, wurde bereits 1977 mit dem Bau von Entlastungsstädten in der Wüste begonnen (vgl. Abb. 3). Während die näher an Kairo gelegenen Siedlungen primär als "Schlafstädte" konzipiert waren, sollten Al-'Âshir min Ramadân (vgl. Abb. 4), As-Sâdis min Uktûbir und As-Sâdât im Endausbau jeweils bis zu 500.000 Einw. beherbergen und 80.000 industrielle Arbeitsplätze aufweisen.
Hinsichtlich der angestrebten Dezentralisierung der Industrie hat die Entwicklung zumindest in den zwei relativ nahe an Kairo gelegenen neuen Städten die ursprünglichen Planungsziele bereits übertroffen. Dank der Bereitstellung von hochgradig subventionierten Industrieflächen, deren Verkaufspreise z.T. nicht einmal die Hälfte der staatlichen Erschließungskosten deckten (Fahmy 1987), sowie umfangreicher Steuervergünstigungen haben sich dort bis 1995 bereits 1884 Betriebe mit rund 220.000 Beschäftigten angesiedelt (vgl. Tab. 1). |
Keineswegs erfreulich ist dagegen die Bilanz bei der angestrebten Dezentralisierung der Bevölkerung. Aufgrund gewaltiger Investitionen im Wohnungsbau und in eine oft überdimensionierte öffentliche Infrastruktur sind dort zwar sehr attraktive Wohnviertel entstanden. Auch haben die meisten Wohnungen sofort einen Käufer gefunden, doch stehen davon bis zu zwei Drittel leer das Ergebnis einer verfehlten Wohnungspolitik: Hier wurden mit hohen staatlichen Subventionen vorwiegend Eigentumswohnungen errichtet. Damit bietet sich für den Käufer die Möglichkeit einer lukrativen Kapitalanlage. Nachdem beim Erwerb der Wohnung nur 15% des Kaufpreises fällig sind und der Restbetrag über zehn Jahre mit sehr geringer Verzinsung abgezahlt werden kann, garantieren die steigenden Immobilienpreise beim späteren Verkauf einen hohen Gewinn. Deshalb bleiben viele der Wohnungen vorerst ungenutzt und dienen nur als Spekulationsobjekte für die Reichen oder sind für eine spätere Nutzung durch deren Kinder vorgesehen. Dagegen sind für die überwältigende Mehrheit der Industriebeschäftigten in den neuen Städten die in unmittelbarer Nachbarschaft ihrer Arbeitsplätze gelegenen Wohnungen unbezahlbar. 1987 wohnten von diesen Arbeitskräften nicht mehr als 7% mit ihren Familien in den neuen Städten (Meyer 1987). In der Zwischenzeit dürfte diese Quote auf höchstens 20% angestiegen sein, wenn man bei den in Tab. 1 angegebenen Einwohnerzahlen von einer durchschnittlichen Haushaltsgröße von vier Personen ausgeht und berücksichtigt, daß knapp die Hälfte der dort wohnenden Erwerbstätigen nicht in der Industrie tätig sind (Fahmy 1990). Damit pendeln schätzungsweise 180.000 Industriebeschäftigte in die neuen Städte mit ihren geräumigen, überwiegend leeren Wohnungen und hervorragender, aber kaum genutzter Infrastruktur; viele davon aus den übervölkerten informellen Siedlungen mit weitgehend fehlender Infrastruktur. Den 18.000 Einw. von As-Sâdât stehen beispielsweise 341 km geteerte Straßen von bis zu 75 m Breite zur Verfügung (Habitat 1993).
Angesichts der Zielsetzung einer Dezentralisierung der Bevölkerung erscheinen die neuen Städte bisher als eine gigantische Fehlallokation öffentlicher Mittel: Weder haben sie eine wesentliche Entlastung des Bevölkerungsdrucks in der Region Groß-Kairo bewirkt wo die Einwohnerzahl während der 18 Jahre seit Baubeginn der neuen Städte um ca. 4,7 Mio. auf schätzungsweise 12 Mio. im Jahr 1995 angewachsen ist (Moricono-Ebrard 1994) , noch einen entscheidenden Beitrag zur Bekämpfung der Wohnungsnot geleistet.
Alle Experten sind sich mit dem ägyptischen Parlament und der Regierung einig, daß als wichtigster Schritt zum Abbau der Wohnungsnot eine Liberalisierung des Mietrechts erforderlich ist. Über das Ausmaß einer solchen marktwirtschaftlichen Reform gehen jedoch die Meinungen weit auseinander. An der Vielschichtigkeit dieser Problematik sind seit 1990 bereits zwei Gesetzesentwürfe des Wohnungsministeriums gescheitert, so daß der jüngste Vorschlag vom Februar 1995 eine mehrstufige Reform vorsieht. Unter Zurückstellung der problematischeren Bereiche sollen zunächst nur die Neuvermietungen geregelt werden: Die staatliche Festsetzung des Mietpreises entfällt, die Laufzeit der Mietverträge und der Kündigungsschutz werden auf fünf Jahre befristet. Damit können die leerstehenden Wohnungen, deren Zahl allein im Großraum Kairo nach Angaben des zuständigen Ministers inzwischen auf 1,8 Mio. gestiegen ist (Al-Ahram Weekly 26.1.1995), vermietet werden. Anders als bisher, ermöglicht die neue Regelung einen späteren Verkauf oder die Eigennutzung durch den Eigentümer. Dies wird das Wohnungsangebot vor allem für die Bezieher mittlerer und höherer Einkommen wesentlich erweitern und außerdem durch höhere Mieten den privaten Mietwohnungsbau wieder attraktiver machen. Erst später gelöst werden soll das Problem der altvermieteten Wohnungen. Die durch den bisherigen Mietpreisstopp bedingten Verzerrungen müssen beseitigt werden. Es ist nicht länger vertretbar, daß für ein großräumiges, altvermietetes Apartment in Spitzenlage an der Nilpromenade eine Miete von 8 Pfund (umgerechnet ca. 3 DM) gezahlt wird, während für eine neue Ein-Raum-Wohnung in den informellen Siedlungen 40 Pfund zu entrichten sind. Deshalb soll bei bestehenden Verträgen eine Mietpreiserhöhung festgelegt werden. Um soziale Härten für die Bezieher niedriger Einkommen zu vermeiden, darf sie jedoch in Abhängigkeit vom Gebäudealter nur maximal 25% betragen. Außerdem sollen die Kosten für Renovierung und Instandhaltung der Wohnungen nicht mehr vom Eigentümer, sondern vom Mieter getragen werden (Abul-Gheit 1995).
Diese äußerst moderate Erhöhung ist kaum geeignet, auf absehbare Zeit die Kluft zwischen den Mieten für alt- und neuvermietete Wohnungen zu schließen und dem immer schneller fortschreitenden Verfall der Altbausubstanz Einhalt zu gebieten. Auch bleibt die Frage unbeantwortet, wie die ärmere Bevölkerung bei der Anmietung einer neuen Wohnung die wesentlich höheren Mieten aufbringen soll. Der beste Lösungsvorschlag dürfte hier eine generelle Freigabe der Mieten sein, sozial abgefedert durch staatliche Subventionen für den Bau von Sozialwohnungen und Mietzuschüsse für Bezieher niedriger Einkommen. Dies wäre durch die Besteuerung von Eigentumswohnungen der gehobenen und luxuriösen Kategorie zu finanzieren (Hanna 1994). Ob eine solche Reform allerdings politisch durchsetzbar ist, bleibt abzuwarten. Literatur:
Zum 1. Teil über "Stadtplanung in Ägypten"
Zu weiteren Problemen der aktuellen Stadtentwicklung siehe auch die Rubrik
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