Juden in Ägypten
Was blieb vom Davidstern?
Nr. 56/93, pp. 5561 Es mutet seltsam an, sich in der 15-Millionen-Metropole Ägyptens auf die Suche nach dem "jüdischen Kairo" zu begeben. Dabei ist die jüdische Präsenz in Kairo viel älter als die erst 969 gegründete Stadt El Kahira. Kairo spielt eine wichtige Rolle im Judentum, war es doch beim Nilometer an der Südspitze der Insel Roda, daß die Tochter des Pharao das Baby, welches später als Moses zum Stifter der mosaischen Religion wurde, im Schilf fand. Man muß aber gar nicht 3.500 Jahre zurück gehen. Bereits seit dem 1. Jahrhundert n.Chr. befand sich westlich der damaligen römischen Siedlung Babylon, heute als Alt-Kairo bekannt, eine jüdische Siedlung und ein jüdischer Friedhof. Als Benjamin von Tudela um 1170 Ägypten besuchte, fand er in Kairo 2.000 Juden vor. Deutsche Reisende des 15. Jahrhunderts zählten gar 20.000 Juden in Kairo eine wohl zu hoch gegriffene Zahl. Die Vertreibung der Juden aus Spanien 1492 und die Eroberung Ägyptens durch Sultan Selim I. 1517 führten zu einem Anstieg der jüdischen Bevölkerung. Von der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum 2. Weltkrieg wuchs die Zahl der jüdischen Bewohner Kairos nicht zuletzt durch Zuwanderung aus Europa stark an. Umfaßte die jüdische Gemeinde 1897 erst 8.819 Köpfe, stieg diese Zahl bis 1937 auf über 34.000; heute leben kaum 100 Juden in Kairo. Dabei war es weniger die Gründung des Staates Israel als die Kriege des Jahres 1956 und 1967 und Verstaatlichungs- und "Ägyptisierungs"-Welle der Nasser-Ära, welche den Exodus der jüdischen Gemeinde und anderer Minderheiten beschleunigte. Was blieb nun vom jüdischen Kairo? Allgemein bekannt ist die Ben-Ezra-Synagoge im Mari-Girgis-Viertel, über die im PAPYRUS 34/93 ausführlich berichtet wurde. In Kairo hat sich auch ein noch immer so bezeichnetes jüdisches Viertel Haret el Yahud erhalten. Seit dem 11. Jahrhundert bildete dieses Viertel das Zentrum jüdischen Lebens in Kairo; in dessen östlichen Teil lebten Karaiten (Haret el Qarayin). Heute besteht die jüdische Bevölkerung in dem dicht bebauten Gebiet zwischen den Basaren der Muski-Straße und des Khan el Khalili-Viertels nur mehr aus einer alten Frau, die bereits Gegenstand eines "feature" im ARD war. Drei Synagogen haben aber allen Wirren der Zeit und der enormen Bautätigkeit widerstanden. Ihnen ist eines gemeinsam: sie sind allesamt in schlechtem Zustand und würden eine Renovierung dringendst benötigen. Sie sind nur mit Hilfe von Einheimischen zu finden, die gern bereit sind, sie dem Ortsunkundigen zu zeigen. Die älteste Synagoge des Viertels ist die Rab Moshé in Darb Mahmoud 15. Sie erinnert an Moses Maimonides (11351204), den berühmten jüdischen Philosophen, der in Kairo lebte und hier seine grundlegenden religiösen, philosophischen und medizinischen Werke verfaßte. Die Synagoge bietet einen desolaten Anblick; seit zu Rosh Hashana 1973 das Dach einstürzte, ist sie Wind und Wetter ausgesetzt. Interessanter als die Synagoge ist das benachbarte, unter dem Straßenniveau liegende Gebäude, in dem Maimonides lebte. Hier war er auch sieben Tage aufgebahrt, bevor sein Leichnam nach Tiberias überführt wurde. Daneben befindet sich ein Raum mit einem Brunnen, dessen Wasser wundertätige Heilwirkung zugeschrieben wird. Auch der ägyptische König Fuad I. soll durch dieses Wasser geheilt worden sein. Aus Dankbarkeit ließ er den Brunnen mit Marmor auskleiden. Derzeit wird das Gebäude renoviert was auch bei der Synagoge angezeigt erschiene. Die Synagoge des Kabbalisten Rabbi Haim Capoussi im Darb El Noussayr 3 wurde 1631 errichtet und ist für Touristen nicht zugänglich. Die dritte Synagoge wurde 1905 an der Stelle des Geburtshauses des Bankiers Nessim Mosseri von dessen Familie errichtet (Sharia El Sakalibah 16). Dort befand sich auch der alte Sitz des Rabbinats von Kairo und die Midrasch Rabbi Shim'on Bar Yohai; das Gebäude befindet sich in einem beklagenswerten Zustand. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verließen viele jüdische Familien das Haret el Yahud und siedelten in den neuen Stadtteilen Abbassiya, Ismailiya, Zamalek und den Vororten Heliopolis und Maadi. In diesen Vierteln finden sich daher weitere Synagogen, die meist zwischen 1890 und dem 2. Weltkrieg errichtet wurden. Allein in Abbassiya gibt es fünf Synagogen. 1927 errichtete die karaitische Gemeinde ihre Moussa Dari genannte Synagoge in Sebyl al Kahnzidar 25. Die Synagoge hat eine große Kuppel und sieht dem Tempel Shaar Hashamayim ähnlich. Auf Nr. 3 Qantaret Ghamrah befindet sich die Etz Haim (Hanan)-Synagoge, die 1900 von der Familie Hanan im italienischen Barockstil errichtet wurde. Die Pahad Ishak (Kraiem)-Synagoge wurde 1932 in der Sharia Ibn Khaldoun Nr. 9 im Sakakini-Viertel erbaut. Ebenfalls im Sakakini-Viertel wurde 1890 in der Sharia Madaris 9 die Synagoge Neveh Schalom inmitten eines herrlichen Gartens errichtet. Die Synagoge ist im venezianischen Stil gehalten und reich mit Marmor ausgestattet. Im Daher-Viertel steht in der Sharia Al Koua 4 die 1894 erbaute Synagoge Nessim Eshkenazi. Die bekannteste der modernen Synagogen liegt im Zentrum Kairos in der Adly-Street 17. Der Tempel Shaor Hashamaim (Tore des Himmels) wurde 1905 von Eduard Matasek (* Wien 1867 + Alexandria 1912) im Wiener Jugendstil errichtet und sticht unter den Gebäuden der Umgebung nicht nur wegen des Davidsterns und der starken Polizeibewachung hervor. Die Synagoge umfaßt die größte jüdische Bibliothek Kairos mit rund 10.000 Büchern und ist einen Besuch wert. In Heliopolis, Sharia El Missalah 3, befindet sich die Synagoge Vitali Madjar, die von den Bewohnern des benachbarten jüdischen Altersheims benutzt wird. Auch in Maadi steht eine Synagoge, die 1934 von Meir Y. Biton gestiftet wurde, als diese Gartenstadt ein Drittel jüdischer Einwohner zählte. Zwischen Kairo und Maadi, die immer mehr zusammenwachsen, liegt Bassateen mit seinem großen jüdischen Friedhof. Nach der Gründung Kairos wurde dieser von Sultan Ibn Tulun im 10. Jahrhundert auf Ewigkeit der jüdischen Gemeinde Kairos zuerkannt. Wie lange diese "Ewigkeit" dauern wird, erscheint heute angesichts einer aus allen Nähten platzenden 16-Millionen Stadt Kairo fraglich. Mit dem Exodus der jüdischen Gemeinde Kairos besteht seit 1967 die Gefahr der Zerstörung und zunehmenden wilden Besiedlung dieses 10 ha großen Friedhofes. Der jüdische Friedhof von Bassateen leidet nicht wie solche in Europa unter Vandalen und Hakenkreuzschmierern, sondern an seiner Lage am Rande der ägyptischen Metropole. Einst fern jeder menschlichen Siedlung, wird heute der Anspruch des Toten auf ewige Ruhe auch durch den Bau einer Umgehungsautobahn gestört. Ursprünglich sollte diese den Friedhof durchqueren; nach ausländischen Protesten wurde der Bau gestoppt und die "ring-road" zu einem "fly-over" umgeplant. Ein Besuch des Friedhofsareals stimmt nachdenklich. An dessen Rand hat sich das marmorverarbeitende Gewerbe Kairos niedergelassen. Einige architektonisch teilweise sehr interessante Mausoleen sind besiedelt worden. Andere dienen als Garagen, Depots und Werkstätten. Gegen solch wilde Besiedlung hilft nur der Bau einer hohen Mauer und die Anstellung von ghaffirs (Wächtern). Das große Areal mit den Mausoleen der Mosseri-Familie hat bisher dank Mauer und eines teuren, seit 1931 in Familiendiensten stehenden ghaffirs einer Besiedlung widerstanden. Das Mausoleum mit den Gräbern der Familie Moise Cattaui Pascha ist heute von Behausungen aller Art umgeben. Es mutet seltsam an, im ebenfalls als Wohnung dienenden Mausoleum des vorletzten Großrabbiners von Ägypten, Haim Nahum Effendi (18721960), über dem Grab Hühner und Truthähne flattern zu sehen. Man sollte das Phänomen der Besiedlung von Gräbern aber nicht überbewerten, wohnen doch in den anderen Friedhöfen am Rande Kairos rund 1 Million Menschen. Die "Verwertung" von Grabmälern zu Wohnzwecken und als Quelle für Baumaterial hat lange Tradition. Besuchern pharaonischer Gräber Ägyptens fallen da und dort koptische Kreuze auf eindeutiges Anzeichen einer späteren "Nachnutzung". Schon vor 100 Jahren meldete der "Progrès Egyptien" vom 24. März 1893 über die Absicht der Kairoer Stadtverwaltung, sich der verschiedenen Kairoer Friedhöfe anzunehmen und deren Bewohner wegen der dort herrschenden unhygienischen Verhältnisse umzusiedeln. ... Das Verschwinden der Marmorplatten auf den Gräbern Bassateens erinnert den Betrachter an das Schicksal der gewaltigsten Grabmäler der Antike der Pyramiden am gegenüberliegenden Stadtrand von Groß-Kairo. Auch deren Verkleidung sollte vor 1.000 Jahren als billiges Baumaterial für die Kairoer Stadtmauer wiederverwertet werden. Und noch zu Zeiten Mehmet Alis in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es gar das Projekt, die Pyramiden abzutragen und deren Steine zum Bau der Nil-Barrage 40 km nördlich von Kairo zu verwenden. ... In jüngster Zeit wurde durch die kleine jüdische Gemeinde Kairos, ausländische Spenden und die Bemühungen von Carmen Weinstein, die sich des Friedhofes annimmt, dem Verfall Bassateens Einhalt geboten. Eine große Mauer wurde um das Friedhofsareal gezogen, ebenso um einzelne Mausoleen. Vieles bleibt noch zu tun; die Mauer ist noch nicht fertig, viele Mausoleen noch anderweitig in Beschlag genommen. In der Frage der Umgehungsautobahn, deren Bau einige Jahre unterbrochen war, zeichnet sich eine Lösung ab, die moderne Verkehrserfordernisse und Totenruhe einigermaßen zu vereinbaren sucht. Wer bei den Bemühungen für die Rettung von Bassateen oder gefährdeter Synagogen helfen will, möge sich mit Frau Carmen Weinstein, 28 Sharia Sherif Pascha, Tel. 3 935 896 in Verbindung setzen. Illustrationen, die aus technischen Gründe leider nicht im PapyrusArchiv des KFN wiedergegeben werden können:
Alle Aufnahmen Ende 1992/Anfang 1993
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Was blieb vom Davidstern?
Nr. 1112/93, pp. 3949 Die jüdische Gemeinde in Alexandria war bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts die größte in Ägypten und ist so alt wie die von Alexander dem Großen 331 v.Chr. gegründete Stadt. Griechen und Juden waren die bestimmenden Elemente dieser als kulturelles Zentrum der hellenistischen Welt gedachten Metropole, die in der Antike schon 500.000 Einwohner zählte. Juden bildeten 1/3 der Einwohner und bewohnten ein eigenes Stadtviertel im Osten der Stadt, zwischen der Kanopischen Straße (heute Sharia Horreya) und dem Hafen. Der jüdische Tempel von Alexandria war so eindrucksvoll, daß er im Talmud Erwähnung fand (Succah 51 B). Er wurde im Jahre 116 unter Kaiser Trajan zerstört. Als Amr Ibn al As 642 die Stadt eroberte, zählte er 4.000 jüdische Familienoberhäupter und errechnete daraus eine 40.000 Seelen umfassende jüdische Gemeinde. Aus dem Mittelalter liegen zahlreiche Mitteilungen über die jüdische Gemeinde Alexandrias vor, die nach dem Niedergang Alexandrias nach der arabischen Eroberung allerdings nicht mehr so groß war. 1140 lebte der größte jüdische Dichter aller Zeiten, Juda Halevy, 3 Monate in Alexandria, wo er 1141 starb, das Heilige Land nie erreichend. Moses Maimonides kam 1165 in Alexandria an und verbrachte dort ein Jahr. Mit der Entdeckung des Seewegs nach Indien setzte der Niedergang Alexandrias und damit auch seiner jüdischen Gemeinde ein; erst im 18. Jahrhundert entwickelte sich wieder eine stärkere jüdische Präsenz in Alexandria. Während 1805 nur einige hundert Juden in dem zum Fischerdorf herabgesunkenen Ort lebten, stieg deren Zahl durch Einwanderung aus Griechenland und Osteuropa laufend an. Als Moses Montefiori 1840 Alexandria besuchte, unternahm er den Versuch die jüdische Gemeinde zu organisieren und ihr Statuten zu geben; seine Bemühungen blieben erfolglos und die Gemeinde zerstritten. Um 1850 umfaßte sie rund 2.000 Mitglieder. Der rumänische Jude J.J. Benjamin, der vermutlich 1854 durch Alexandria kam, fand dort "zwei jüdische Gemeinden, deren eine von den Eingeborenen, die andere von Italienern gebildet wird. Die afrikanische Gemeinde besteht aus etwa 500 Familien, die italienische aus etwa 150 Familien, beiden steht indes ein und derselbe Chacham (Rabbiner) vor. ... Jede Gemeinde hat ihre besondere Synagoge; die der Afrikaner ist ein großes altertümliches Gebäude, von Steinen gemauert, neben derselben stehen mehr Gebäude, in denen die durchreisenden Juden aufgenommen und beherbergt werden. Die italienische Synagoge liegt in einer anderen Straße, sie ist ein gewöhnliches einstöckiges Haus. ..." Dr. Albert Cohn, aus Preßburg stammender österreichischer Präsident des israelitischen Consistorial-Committees und Vizepräsident des deutschen Hilfsvereins in Paris, bereiste 1854 die Levante und errichtete mit finanzieller Unterstützung der Pariser Rothschilds in Jerusalem, Izmir, Konstantinopel und Alexandria Schulen und Wohlfahrtseinrichtungen für die jüdischen Gemeinden. Er hatte mehr Erfolg in der Vereinigung der beiden zerstrittenen Alexandriner Gemeinden. Am 5. August 1854 berichtete der österreichische Generalkonsul Huber, daß Cohn "die bisher getrennten Gemeinden der europäischen und levantinischen Israeliten unter befähigten Vorständen vereinigt und die Gemeinde-Belange unter den Schutz dieses k.k. Generalkonsulates gestellt hat". Cohn richtete an den österreichischen Minister des Äußern, Graf Buol, das Ersuchen, die von ihm in der Levante gegründeten Anstalten, worunter auch eine in Alexandria errichtete höhere Lehranstalt für Knaben und Mädchen möglicherweise die Schule Talmud Thora fiel, unter österreichischen Schutz stellen zu dürfen. Kaiser Franz Josef stimmte dem am 11. Dezember 1854 zu, womit die jüdische Gemeinde Alexandrias unter österreichischen Schutz kam. Die gleichzeitig von Cohn ausgearbeiteten Statuten der Gemeinde galten bis 1872, als neue in italienischer Sprache ausgearbeitet wurden. Deren Art. 1 legte fest, daß sich die jüdische Gemeinde Alexandrias unter der Jurisdiktion Österreich-Ungarns befindet. 1871 kam es zu einem neuerlichen Bruch in der Gemeinde. Ein Teil blieb unter österreichisch-ungarischem Schutz, eine Dissidentengruppe unter Führung von Jacob Menasce stand unter dem Schutz der ägyptischen Lokalbehörden. Der Streit konnte erst 1878 beigelegt werden, als sich beide Fraktionen unter dem Protektorat Österreich-Ungarns wieder vereinten. Inwieweit hier der Umstand eine Rolle spielte, daß Jacob Levy Menasce von Kaiser Franz Josef 1873 in den Ritterstand und 1875 in den Freiherrnstand erhoben worden war und seither als Baron Menasce auftrat, muß offen bleiben. Beim habsburgischen Protektorat blieb es bis 1915. Mit dem Kriegseintritt Italiens auf der Seite der Alliierten am 23. Mai 1915 verschärfte sich die Lage der österreichisch-ungarischen Schutzbefohlenen in Ägypten. Sie wurden gezwungen, bis zum 1. Juli 1915 beim Konsul der USA, der den Schutz der Interessen Österreich-Ungarns in Ägypten übernommen hatte, Sympathieerklärungen für Rußland bzw. Italien abzugeben. Diese Maßnahme beendete de facto das österreichisch-ungarische Protektorat über die jüdische Gemeinde von Alexandria. Nach dem Zusammenbruch der Habsburger-Monarchie 1918 wurde die Gemeinde als "staatenlos" registriert. Die Statuten von 1872 galten mit Ausnahme der Bestimmung über die Jurisdiktion des österreichisch-ungarischen Konsuls bis in die 30er Jahre weiter. Als Nebenprodukt der zwischen 1871 und 1878 währenden Auseinandersetzung legte die Fraktion unter Baron Menasce einen eigenen Friedhof an, wo sich die Familiengräber der Menasces befinden. Die Volkszählung von 1897 wies für Alexandrien 9.381 Juden aus; bis 1907 stieg deren Zahl auf 14.475, um 1917 bereits 24.858 zu erreichen. Für dieses Ansteigen waren neben dem allgemeinen Bevölkerungswachstum eine Zuwanderung aus ländlichen Gebieten des Nildeltas und eine starke Einwanderung aus den Provinzen des Osmanischen Reiches maßgebend, wozu gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch die Einwanderung russischer Juden kam. Im 1. Weltkrieg wiesen die türkischen Behörden 11.000 russische Juden aus Jaffa in Palästina aus, welche nach Alexandria, Suez und Kairo flüchteten. In den 20er und 30er Jahren blieb die Gemeinde mit 24.828 im Jahre 1927 und 24.690 im Jahre 1937 unverändert. Gegen Ende der 30er Jahre brachte die Emigration aus dem Deutschen Reich und anderen Staaten Mitteleuropas ein Anwachsen der Gemeinde auf über 40.000. Der Vormarsch von Rommels Afrika-Korps führte dazu, daß zahlreiche Juden, aber auch Mitglieder anderer Kolonien Alexandrias, ihren Wohnsitz nach Kairo oder noch weiter entfernte Städte verlegten. Bei der Volkszählung 1947 war die Gemeinde durch Auswanderung nach Palästina auf 21.128 gesunken; von 1949 bis 1952 wanderten zwischen 25.000 und 30.000 ägyptische Juden, darunter viele Alexandriner, nach Israel aus. Die Suezkrise 1956, die Nationalisierungswelle der Jahre 19601962 und zuletzt der 6-Tage-Krieg 1967 brachten das Ende der jüdischen Gemeinde Alexandrias. Sie zerstreute sich in alle Himmelsrichtungen. Zogen vor und nach 1948 die ersten Auswanderer nach Palästina, führte der Exodus von 1956 nach Frankreich, aber auch Brasilien, den USA, Australien und Belgien. Heute leben in Alexandria kaum mehr 60 Juden. Die meisten sind über 70, viele leben in Altersheimen. Die Gemeinde ist nicht mehr in der Lage, den Minyan, die zum Gebet erforderliche Mindestanzahl von 10 Männern, zu erreichen und ist in dieser Hinsicht auf Verstärkung durch das israelische Generalkonsulat angewiesen. Beschneidung, Bar Mitzweh oder Hochzeit hat schon lange keine mehr stattgefunden. Es erscheint fraglich, ob die über 2.300 Jahre alte Gemeinde die nächsten 30 Jahre überstehen wird. Aber Alexandria liegt im Orient, wo Wunder immer möglich sind. ... Die einzige noch geöffnete Synagoge Eliahu Hanabi befindet sich in der Sharia Nebi Daniel 69 auf historischem Grund; die Straße des Propheten Daniel war in hellenistisch-römischer Zeit die nach dem Grabmal Alexanders des Großen als "Soma" bekannte Nord-Süd-Achse des antiken Alexandria. Schon Maimonides erwähnt in seiner Korrespondenz mit zwei Rabbinern Alexandrias nach 1165 mehrfach die Eliahu Hanabi-Synagoge. Meshullam Voltera aus Florenz, 1481 auf Durchreise in Alexandria, berichtet von einer Synagoge, "vom Propheten Eliah erbaut, wo man beim Tabernakel eine Bank und ein ewig brennendes Licht findet. In diesem Tempel soll der Prophet Eliah seine Gebete verrichtet haben." Der Tempel stand zumindest seit 1354 an der heutigen Stelle. Während der Besetzung Alexandrias durch Napoleon 1798 ließ dieser den Tempel zerstören, weil er angeblich das Schußfeld seiner auf Fort Kom el Dik installierten Kanonen zum Meer behinderte, anderen Angaben zufolge weil die Gemeinde die von Napoleon geforderten 50.000 Taler Kontribution nicht aufbringen konnte. Der Wiederaufbau setzte erst mit Unterstützung Mehmet Alis und von Moses Montefiori ab 1835 ein und dauerte über 20 Jahre. Die beiden Seitenflügel mit den Galerien für Damen wurden 1865 angefügt, die Veranda erst 1935. Benjamin berichtete 1854, daß "die afrikanische Gemeinde jetzt eine neue Synagoge bei der Stadt baut, ein sehr großes und kostbares Bauwerk, und sie behauptet, daß an diesem Platze vor Jahrhunderten schon die Juden gewohnt hätten. Die Synagoge liegt in einem merkwürdigen prachtvollen Garten, dem schönsten wohl, den es in Alexandrien und beinahe in ganz Ägypten gibt, Palmen, Datteln, Granatäpfel, Etrog (Zitronenart), viele der schönsten und der seltensten Blumen schmücken ihn." Diese Beschreibung ist nach 140 Jahren mit geringen Einschränkungen immer noch gültig. Baedekers Stadtplan von 1906 zeigt den Tempel noch freistehend in einer Gartenanlage. Der Zugang zum Tempel erfolgt heute nicht durch das grandiose schmiedeeiserne Tor, sondern durch die Dr. Hussein Fadali-Straße beim Eingang zum Oberrabbinat, an dem helmbewehrten Soldaten leicht zu erkennen. Hier amtiert Joe Harari, rühriger Präsident der Gemeinde, dem man sein Alter er ist noch unter Kaiser Franz Josef geboren nicht ansieht. Vor dem Besuch der Synagoge sollte man nicht versäumen, das im Rabbinat verwahrte, in grün gebundene Buch mit prachtvollen Fotos der Synagogen, Schulen, Altersheime und Friedhöfen der Gemeinde aus besseren Zeiten zu studieren. Viele der einstigen Synagogen kann man nur mehr auf den Fotos im diesem Album bewundern. Die älteste Synagoge Alexandrias, der 1391 von der Familie Zaradel gestiftete Tempel Zaradel befand sich in der Sharia Amram und war der einzige Tempel im jüdischen Viertel des alten Alexandria. Wegen Baufälligkeit 1880 von der Gemeinde wiedererrichtet, wurde er nach dem 2. Weltkrieg verkauft. Heute steht dort ein Wohnhaus. Das Alter des Tempels Azouz liegt im Dunkeln; wegen Baufälligkeit wurde er abgetragen und 1853 neu errichtet. Für die Geschichte der jüdischen Gemeinde ist von Belang, daß sich dort am 17. September 1854 die von dem erwähnten Dr. Cohn vereinte Gemeinde traf und ihre Statuten verabschiedete. Er besteht heute nicht mehr. Die anderen Synagogen befanden sich in neuen Stadtteilen des im 19. und 20. Jahrhundert rasch expandierenden Alexandrien auch sie bestehen meist nicht mehr oder sind geschlossen. Drei Tempel fielen im 2. Weltkrieg den Angriffen der italienischen Luftwaffe auf Alexandria zum Opfer. Der 1901 im damals noblen Stadtteil Moharrem Bey erbaute Tempel Green wurde 1941 durch Bombentreffer beschädigt und steht ebensowenig wie der 1910 errichtete Tempel Jacob Sasson. Auch der 1920 in der Sharia Baliana in Moharrem Bey errichtete Tempel Castro erlitt Bombentreffer und wurde, da nicht mehr benutzbar, verkauft, wie auch die 1922 in der Sharia Eleusis im Stadtteil Camp Cesar von den Familien Anzarouth und Charbit gestiftete Synagoge Sharei Tefila veräußert wurde. Der 1937 in der Sharia Belzoni im Stadtteil Sporting errichtete Tempel Eliahu Hazan ist ebenso geschlossen wie der 1882 von Baron Menasce am damaligen Place des Consuls, dem heutigen "Freiheitsplatz", errichtete Tempel Menasce. Dieser Tempel wurde 1941 durch Bombentreffer vollständig zerstört und von der Familie Menasce nach dem 2. Weltkrieg wiedererrichtet. Baron Menasce, Bankier und Geschäftsmann, ließ 1882 nach dem Vorbild der Galleria Vittorio Emanuele in Mailand auch die "Galerie Menasce", das größte Gebäude am heutigen Tahrir-Platz erbauen. Neben diesen acht Synagogen gab es eine Reihe weiterer kleinerer Gebetshäuser, die heute nicht mehr bestehen. Die Gemeinde verfügte über zahlreiche kulturelle- und Wohlfahrts-Institutionen. 1940 wurde sogar ein Klub für jüdische Soldaten gegründet. Manche Gebäude bestehen noch; das 1925 von Bnei Brith gegründete Gymnasium dient heute als Taha Hussein-Mädchenschule; das 1932 errichtete jüdische Spital in der Sharia Abukir wurde verkauft; das von Abram Adda gestiftete Altersheim in der Sharia Rassafa Nr.6 in Moharrem Bey ist ebenso geschlossen wie das Waisenheim in Chatby. Der der Gemeinde verbliebene Besitz wirft wenig ab; die 1907 errichtete Knabenschule Talmud Thora und die Mädchenschule Chadei Yaazar östlich der Synagoge wurden an das ägyptische Unterrichtsministerium um LE 200 monatliche Miete vermietet; die Wohnungen in den Häusern an der Nebi Daniel-Straße, mit prachtvollem Blick auf die Synagoge und den Garten, verursachen mehr Kosten als die 2 LE Miete, die die glücklichen Mieter in zentraler "Ruhe und Grünlage" dank Mieterschutzvorschritten entrichten. Die Gemeinde besitzt 3 Friedhöfe. Der älteste, auf dem Stadtplan von 1855 noch weit draußen vor der Stadt, ist wenige Gehminuten von der Eliahu Hanabi-Synagoge entfernt, rund 500 m östlich des Pelizäus-Heims. Seit 1832 in Verwendung, konnte er erst 1856 durch Intervention des österreichischen Generalkonsuls mit einer Mauer umgeben werden. Der zweite Friedhof geht auf den Bruch der Gemeinde im Jahre 1871 zurück; er wurde über Initiative von Baron Jacques de Menasce im Vorort Chatby angelegt und ist auch als Menasce-Friedhof bekannt. Mit der Wiedervereinigung der beiden Gemeinden 1878 wurde er zum Friedhof Nr. 2. Der dritte Friedhof wurde 1908 bei der Straßenbahnstation Chatby angelegt. Nach einem wehmütigen Studium des "grünen Buches" folgt die Besichtigung der Synagoge. Der Autor kam zufällig am Vorabend von Rosh Hashana, dem jüdischen Neujahrstag, dort vorbei, als der Tempel auf Hochglanz gebracht wurde. Zunächst überrascht die Größe und der im Vergleich zu der gleichzeitig errichteten St. Katharinenkirche gute Bauzustand. Da und dort sind Fenster schadhaft, das große Dach müßte einmal saniert werden, und auf vielen nie mehr benützen Stühlen liegt Staub. Die Stühle sind mit Namensschildern versehen, man würde meinen, daß die Besitzer derselben jederzeit bei der Türe hereinkommen können. Prachtvoll der Hekhal der Schrein mit den Thora-Rollen, wo auch die von anderen Alexandriner Synagogen verwahrt werden. Wer die Eliahu Hanabi-Synagoge und die jüdische Gemeinde von Alexandria besuchen möchte, sollte vorher deren Präsidenten Joe Harari oder Mme. Nina Matatia, Tel. 03/48 23 974 anrufen. Besucher werden sehr freundlich aufgenommen und gerne im Tempel herumgeführt. Wenn die Besichtigung gefallen hat, sollte man auch eine Spende nicht vergessen, um dieses einzigartige Juwel Alexandrias und Zeuge von dessen kosmopolitischer Vergangenheit für die Zukunft bewahren zu helfen. Literatur:
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Was blieb vom Davidstern?
Nr. 1112/94, pp. 3437 Die Stadt Port Said am Mittelmeer ist genau 10 Jahre älter als der nun 125 Jahre alte Suezkanal und verdankt ihre Existenz genaugenommen dem österreichischen Ingenieur und "Generalinspektor des Suezkanals" Alois Negrelli Ritter von Moldelbe, der die damals namenlose Stelle am Mittelmeer zur nördlichen Kanaleinfahrt bestimmt hatte. Ihren Namen hat die Stadt von Said Pasha, von 1854 bis 1863 Vizekönig von Ägypten; er hatte der Suezkanal-Gesellschaft 1856 die Konzession zum Bau des Kanals gewährt. Port Said, seit 1975 Zollfreizone, gehört trotz nur 23 Autostunden Entfernung von Kairo nicht zu den üblichen Reisezielen. Die dort zollfrei angebotenen Waren dürften offenbar nicht genügend Anziehungskraft ausüben dabei ist Port Said neben Ismailia die einzige "europäische" Stadt Ägyptens. Man sieht ihr noch an, daß sie einst von der Suezkanal-Gesellschaft gegründet und von Europäern gebaut worden ist. Das "europäische" Viertel, in dem heute allerdings genauso wie im "arabischen Viertel" nur Ägypter wohnen, erinnert an diese Phase der kurzen Stadtgeschichte. Die Stadt verfügt auch über wunderschöne Wohnhäuser aus den 30er Jahren, in reinstem Art Deco gebaut, doch leider etwas vernachlässigt. Das italienische Konsulat, errichtet 1938 im Jahre 16 der faschistischen Ära, kündet mit seinem Baustil und imposanter Inschrift von den "großen" Zeiten Italiens. Die einzige Sehenswürdigkeit der Stadt, die in Reiseführern erwähnt wird, ist das Denkmal für den Erbauer des Kanals, Ferdinand de Lesseps, besser gesagt, was davon noch übrig ist. 1897 nach dem Tode de Lesseps' von der Kanalgesellschaft am nördlichen Ende des damals so benannten "Franz-Joseph-Quais" errichtet, wurde die Statue des Franzosen als Symbol des Imperialismus und Kolonialismus im Jahre 1956 auf Veranlassung des ägyptischen Präsidenten Nasser entfernt. Nachdem die USA die Finanzierung des geplanten Nil-Hochdammes bei Assuan abgelehnt hatten, verkündete Nasser im Juli 1956 unter dem Schlagwort "Lesseps" die Verstaatlichung der Suezkanal-Gesellschaft. Bei dieser Gelegenheit wurde der Gründer der Kanalgesellschaft auch gleich vom Podest gestürzt. Heute steht nur mehr der Sockel, und de Lesseps weist nicht länger mit seinem rechten Arm den Weg in den Kanal. Die neugegründete Stadt an der Einfahrt zum Suezkanal lockte nicht nur Italiener, Griechen, Franzosen, Österreicher und Russen an, auch zahlreiche Juden ließen sich hier in den 70er und 80er Jahren des 19. Jahrhunderts nieder, um am Wirtschaftsboom teilzuhaben. Maurice Fargeon zufolge war die junge jüdische Gemeinde gut organisiert und stand unter dem Schutz Österreich-Ungarns. Dies kann wohl kaum der Fall gewesen sein, da seit 2. Dezember 1857 das Kaiserthum Oesterreich keine neuen "Schutzgenossen" mehr aufnahm, Port Said erst 1859 gegründet wurde und der erste k.k. Konsularagent in der jungen Stadt gar erst am 31. August 1866 seinen Dienst antrat. In den Akten im Wiener Staatsarchiv ist auf die k.k. Protektion kein Hinweis zu finden. Auch die Zusammensetzung der Kolonie würde gegen einen Schutz durch die Habsburger Monarchie sprechen. Schon 1873 gab es eine jüdische Knabenschule in Port Said. 1879 lebten 20 jüdische Familien mit insgesamt 70 Mitgliedern in der Stadt; 15 Kinder besuchten eine jüdische Schule. Die meisten kamen aus dem Yemen und Aden, aber auch aus Rußland und Rumänien. Von Beruf waren sie Geldwechsler, Schneider, Kurzwarenhändler und Souvenirverkäufer. Manche dürften auch unerlaubten Beschäftigungen nachgegangen sein; zeitgenössische jüdische Beobachter machten denn auch "schlechtes" unter den Glaubensgenossen der Hafenstadt aus. 1897 zählte Port Said bei 42.972 Einwohnern 400 jüdische Mitbürger. 1907 war deren Zahl auf 378 gesunken. 1908 zählte man 5 lokale jüdische Familien, dazu 10 aus dem Yemen, 25 aus der Türkei, 21 aus Rußland und Rumänien, 2 aus Italien und 1 Familie aus Algerien. Diese ca. 70 Familien umfaßten rund 400 Personen. Bereits nach 1900 hatten sich die Juden aus dem Yemen und Aden in einem eigenen Viertel etabliert, während die europäischen und sephardischen Juden im europäischen Viertel wohnten. Im europäischen Viertel stand auch der sephardische Tempel Soukkat Shalom an der Rue Prince Farouk, der vormaligen "Rue du Commerce". Den Tempel wird man vergeblich suchen; er wurde schon in den 60er Jahren verkauft; heute erhebt sich an seiner Stelle ein Wohnhaus. Das im "Egyptian Directory" von 1914 enthaltene Einwohnerverzeichnis von Port Said weist unter den 50.000 Einwohnern, davon 22.000 Europäer, 6 namens "Cohen" aus, darunter den einzigen Philatelisten der Stadt. Die Weingüter von "Rishon le Zion" waren ebenso in Port Said vertreten wie die Konkurrenz von "Carmel". Das berühmteste Geschäft von Port Said war "Simon Arzt". 1875 hatte Simon Arzt ein Warenhaus in der damaligen "Rue du Commerce" eröffnet, das Souvenirs aller Art, Tabak, Zigaretten und Stoffe verkaufte. Nach dem 1. Weltkrieg wurde es verlegt an den Sultan Hussein-Quai an der Einfahrt zum Suezkanal. Das Geschäft war für die vielen den Kanal durchfahrenden Schiffe schon von weitem zu sehen und hatte flexible Öffnungszeiten: immer, wenn ein Passagierschiff am Quai anlegte, war geöffnet. Obwohl zunächst einem jüdischen Geschäftsmann gleichen Namens gehörend, war es schon vor dem 1. Weltkrieg im Besitz der "Salonica Cigarette Company". Das 1937 im Art Nouveau-Stil errichtete Kaufhaus besteht heute noch, nur wird es leider derzeit als Depot benutzt. Der 1. Weltkrieg führte dank der strategisch wichtigen Lage von Port Said, der großen Präsenz britischer Truppen in der Kanalzone und der damit verbundenen Geschäftsmöglichkeiten zu einem raschen Wachstum von Port Said, was sich auch an der jüdischen Gemeinde ablesen läßt. 1917 zählte sie 602 Mitglieder. Den höchsten Stand erreichte die Gemeinde 1927 mit 1012; danach setzte die Auswanderung der ärmeren Gemeindemitglieder aus dem Yemen und Aden nach Palästina ein. 1937 zählte die Gemeinde nur mehr 777 Mitglieder, 1947 waren es noch 748. Nach dem Exodus der Mittelklasse bestand die Gemeinde hauptsächlich aus sephardischen und orientalischen Juden, die in einem eigenen Stadtviertel wohnten. Dort stand auch ihr 1911 erbauter Tempel Ohel Moshe und die Schule Zichron Moshe, beide vom reichen Geschäftsmann Menahim Musa Benin gestiftet, der mit seiner Familie die yemenitische jüdische Gemeinde kontrollierte. Die Schule wurde laut Gudrun Krämers Buch über die Juden in Ägypten von 1914 bis 1952 im Jahre 1934 wieder geschlossen, ein Hinweis auf den Exodus der yemenitischen und Adeni-Juden. Die jüdische Gemeinde war allerdings geeint. 1938 zählte sie 120130 zahlende Mitglieder. Sie unterstand dem Oberrabbiner in Kairo, hatte zwei Rabbiner und, wie schon erwähnt, eine sephardische und yemenitische (Ohel Moshe) Synagoge. Die Ashkenazi hatten keine eigene, dominierten aber die Gemeinde. Dem jüdischen Jahrbuch von 1944 zufolge stand der Gemeinde von Port Said Max Muschly, seit 1906 der Direktor und später Teilhaber des Warenhauses "Simon Arzt" vor. 1924 war in Port Said die Bnei Brith-Loge Israel gegründet worden; daneben bestanden andere Wohlfahrtseinrichtungen. Das Ende der jüdischen Gemeinde von Port Said kam zwischen der Suezkrise 1956 und dem Sechstagekrieg von 1967. In der Suezkrise vom Oktober 1956 landeten britische und französische Truppen in Port Said, während israelische Truppen den Sinai besetzten. Als die britischen Truppen im Dezember 1956 wieder aus Port Said abzogen, nahmen sie zahlreiche Auswanderungswillige mit, darunter einen Teil der jüdischen Kolonie. Der Sechstagekrieg von 1967 brachte dann das Ende nicht nur für die klein gewordene jüdische Gemeinde, sondern vorübergehend für die Stadt selbst. Aus Sicherheitsgründen wurden die Einwohner ausgesiedelt, meistens in die Vororte von Kairo. Erst nach 1974 kehrten sie wieder zurück. Von den beiden Synagogen steht heute nur mehr die Ohel Moshe-Synagoge. Wer sie sucht, wendet sich am besten an einen hantur, wie die Kutscher der Fiaker heißen, einen alten vorzugsweise. Die Synagoge, einst an der "Rue Africa" gelegen, steht heute an der "Wakil-Straße" hinter dem modernen Gerichtsgebäude von Port Said. Sie enttäuscht und überrascht zugleich. Man ist enttäuscht vom desolaten Zustand und überrascht, daß sich niemand daran stößt, daß hier ein khawaga (Ausländer) Fotos von einer Synagoge macht, deren Zustand der Stadt wohl kaum zur Ehre gereicht. Ein alter Mann ruft freudig "Schalom"! Vor einigen Jahren wohnten noch einige Leute in der Synagoge, deren Fenster im Erdgeschoß zugemauert sind und im 1. Stock ohnehin fehlen. Eine neue Mauer umgibt die Synagoge; diese wird aber wohl kaum von der armen jüdischen Gemeinde von Kairo, der die Verwaltung des Gemeindebesitzes in Port Said obliegt, gebaut worden sein. Wer die letzte Synagoge von Port Said in ihrem zugegeben desolaten Zustand noch sehen will, sollte sich beeilen. Der jüdische Friedhof ist vergleichsweise leichter zu finden als der einzige Tempel der Stadt. Man nimmt die Straße am Mittelmeer-Strand entlang nach Westen, Richtung Damiette. Wo die modernen Wohnhäuser auf der linken Straßenseite aufhören, beginnt eine lange Mauer: man ist bei den Friedhöfen von El Gamil am Rande von Port Said angelangt. Den Anfang macht der Commonwealth-Friedhof mit britischen und französischen Gefallenen des 1. Weltkriegs, daran anschließend der römisch-katholische und der griechisch-orthodoxe Friedhof. Dann kommt der jüdische, erkennbar am immer verschlossenen Tor, durch das man eine Stätte der Verwüstung erahnen kann. Der Zugang zum jüdischen Friedhof erfolgt über den im Westen anschließenden mohammedanischen Friedhof. Der vergleichsweise kleine jüdische Friedhof macht einen trostlosen Eindruck. Die Marmorverkleidung auf den Gräbern ist verschwunden, bei kaum 5 Gräbern ist noch eine Inschrift in hebräisch oder französisch erkennbar. Der Verwilderung des Friedhofs scheint man offensichtlich von Zeit zu Zeit mit Abbrennen von Unkraut und Buschwerk zu begegnen. Welch ein Gegensatz zu dem kaum 2 Gehminuten entfernten Commonwealth-Friedhof mit seinen 1.000 Soldatengräbern in Reih und Glied, auf einer prachtvollen Rasenfläche, die täglich von einigen Angestellten der Commonwealth Graves Commission bewässert wird. Interessanterweise ist unter diesen auch ein Grab mit einem Davidstern. Zumindest im Tode dürfte es diesem jüdischen Soldaten besser gehen als seinen Glaubensgenossen 200 m weiter. Die jüdische Gemeinde von Port Said bestand kaum 100 Jahre. Wer weiß, wie lange die Spuren ihrer Präsenz in dieser Stadt an der Einfahrt zum Suezkanal noch überleben?
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Juden in Kairo eine Spurensuche
Nr. 56/96, pp. 629
Das jüdische Volk bekennt sich mit seinem Gebet "Höre Israel, der Herr, unser Gott ist einzig" seit 3.000 Jahren zu dem Gott, der es aus Ägypten geführt hat. Jedes Jahr zum Passafest gedenkt es dieses Auszuges in der Weise, wie dieser und die Einsetzung des Passafestes in der Thora bzw. Bibel überliefert sind (Exodus/2.Buch Mose). Außer diesem biblischen Glaubenszeugnis ist uns kein historischer Bericht überliefert, der diesen Auszug der Israeliten bestätigt. Dem Papyrus Anastasi VI. ist aber zu entnehmen, daß zur Zeit Sethos' II., um 1205 v.Chr., Gruppen von Kleinviehzüchtern, die mit ihren Herden einer Dürrezeit zu entkommen suchten, ins östliche Delta einwanderten. Und verschiedene altägyptische Texte berichten u.a., daß zur Zeit Ramses' II. (12901224 v.Chr.) Leute minderen Rechts, sog. "hapiru" (altägypt. 'pr), lebten, die zu verschiedenen Diensten, u.a. als Lastenträger bei Stadt- und Tempelbauten, herangezogen wurden. Mit diesen "hapiru" sind neben anderen Volksgruppen auch die Israeliten gemeint, die im alten Ägypten "Hebräer" genannt wurden. "Daß die Israeliten, die wohl unter dem Zwang der Not sich auf ägyptischen Boden begeben hatten und dort zu Fronarbeiten in unfreier Stellung sich hatten hergeben müssen, nach ihrer alten Freiheit zurückverlangten, ist begreiflich. Daß die Ägypter etwa in einer Zeit emsiger Bautätigkeit wie unter Ramses II., dessen Interesse vor allem dem östlichen Delta galt ihre Arbeitskräfte nicht ohne weiteres entlassen wollten, läßt sich gleichfalls verstehen. So versuchten die Israeliten, wohl gegen den Willen der Ägypter, zu entkommen. Über die Umstände und Möglichkeiten dieser Flucht freilich können wir geschichtlich nichts Genaues mehr ermitteln. (Noth, Martin) Einen weiteren Hinweis über Juden in Ägypten entnehmen wir wiederum der Bibel, die von einer Gruppe berichtet, die gegen die Weissagung ihres Propheten Jeremia, ihn gegen seinen Willen mitnehmend, der babylonischen Gefangenschaft im Jahre 587 v.Chr. durch Flucht nach Ägypten zu entgehen suchte (Jeremia 42 u. 43). Als weitere Zeichen der Präsenz von Juden in Ägypten ist neben dem jüdischen Tempel auf Elephantine, in dem etwa ab dem 4. Jh. neben Jahwe auch eine Göttin verehrt worden sein soll, vor allem Alexandria, die Metropole der Gelehrten während der hellenistischen Zeit (33230 v.Chr.) zu nennen. In ihren Mauern fand die Übersetzung des Pentateuch, der 5 Bücher Mose, ins Griechische statt. Der Legende nach verfaßten siebzig Gelehrte unabhängig voneinander einen gleichlautenden Text, weshalb diese erste Bibelübersetzung auch "Septuaginta" (lat. siebzig) genannt wurde. Wissenschaftlich gesehen, nimmt man als Zeitraum, in dem in Alexandria das Alte Testament aus dem Hebräischen ins Griechische übersetzt wurde, das 3.1. Jahrhundert v.Chr. an. Doch nicht nur daraus läßt sich auf eine jüdische Gemeinde in Alexandria schließen. Philo von Alexandria (ca. 15 v.Chr.ca. 45 n.Chr.), ein jüdisch-hellenistischer Theologe, der aus einer begüterten jüdischen Familie mit politischem Einfluß stammte, macht in seinen größtenteils erhaltenen Schriften zahlreiche Anspielungen auf die politische Situation der Juden in Alexandria.
Auch wenn keine schriftlichen Zeugnisse über die Anwesenheit von Juden in Kairo in byzantinischer und früher islamischer Zeit vorliegen, kann man wohl davon ausgehen, daß auch Juden hier gelebt haben. Die ersten Zeugnisse ihrer Präsenz in islamischer Zeit sind aus zwei jüdischen, noch heute erhaltenen Stätten zu folgern: Die Ben-Ezra-Synagoge in Alt-Kairo, deren Bau um ca. 950 datiert wird, und der jüdische Friedhof, den ein Dokument Ibn Tuluns (868883) erwähnt. Gotteshaus und Begräbnisstätte setzen eine vielleicht nicht große, doch rege Gemeinde voraus. Dr. Agstner hat sich mit der Geschichte dieses Friedhofes näher beschäftigt und einen Aufruf zu dessen Erhaltung verfaßt, der hier veröffentlicht wird:
Aus der Baugeschichte dieser Synagoge läßt sich gut die Geschichte der Juden in Kairo im Laufe der Jahrhunderte ablesen. Ihre Erbauung setzt man um das Jahr 950 an, was auf einen gewissen Wohlstand der damaligen Gemeinde, die einer Notiz zufolge 939 gegründet wurde, schließen läßt. Die Synagoge wird in den uns heute noch erhaltenen Geniza-Dokumenten (Endnote 1) erstmals im Jahre 1006 erwähnt. Sie stand schon damals an dem Platz, den sie auch heute innehat. Arabische Historiker sprechen zwar von dem Verkauf einer Kirche in Fustat im späten 9. Jh. durch den koptischen Patriarchen Michael III. an die Juden, es ist aber unwahrscheinlich, daß es sich hierbei um die Ben-Ezra-Synagoge handelte. Die Lokalisierung dieser Kirche "in der Nähe der Mu'allaqa-Kirche" weist eher darauf hin, daß es eine zweite Synagoge innerhalb der römischen Befestigung gegeben haben muß, die sog. "Synagoge der Babylonier". [Anmerkung: Es gab unter den Synagogen zwei Richtungen. Die eine benutzte den palästinischen, die andere den babylonischen Talmud, was sich vor allein in Inhalt und Form des Gottesdienste äußerte. Im 12. Jh. wurde der babylonische Talmud der maßgebliche für das gesamte Judentum.] Allerdings sind Ähnlichkeiten der Ben-Ezra-Synagoge mit koptischen Kirchen nicht abzustreiten. Basilika mit Schiff und Seitenschiffen, dreifaches Heiligtum, gewölbtes Dach, Holzverkleidung mit traditionell christlichen Symbolen, die allerdings heute verloren sind. Dennoch sieht man heute die Gründe für eine Anlehnung an die christliche Architektur nicht im Verkauf einer koptischen Kirche an die Juden, sondern eher darin, daß man mit dem kirchenähnlichen Bau Aufsehen bei offiziellen Stellen vermeiden wollte. Außerdem waren die Bauleute und Handwerker vermutlich Kopten. Auch kann man verallgemeinernd sagen, daß sich die Synagogen aller Perioden stets dem lokalen Baustil angepaßt haben, wie auch ein Vergleich mit den Synagogen des jüdischen Viertels erkennen läßt. In der Ben-Ezra-Synagoge sind auch deutlich islamische Einflüsse wie z.B. das Heiligengrab im Hauptschiff, Kufi-Inschriften auf Lampen und Paneelen oder der mit Teppichen bedeckte Fußboden für den Gottesdienst zu erkennen. Im Jahre 1003 wurde die Ben-Ezra-Synagoge auf Anordnung des Kalifen Al-Hakim (9961021) zerstört. Unter seiner Herrschaft wurden Andersgläubige unterdrückt. So mußten zum Beispiel die Christen auch besondere Kleidung tragen. Überall sah man in dieser Zeit die Kopten in gelbgestreiften Gewändern gehen, die mit einem Gürtel zusammengehalten wurden. Sie trugen blaue, die Juden gelbe Turbane. Teilweise wurden auch Zwangskonversionen durchgeführt. Al-Hakim bildete eine Ausnahme. Die Fatimiden-Herrscher (9691171) zeichneten sich sonst durch eine positive Haltung gegenüber Nichtmuslimen aus, die z.T. auch hohe Positionen innerhalb des Kalifats innehatten. Mit Erlaubnis der Fatimiden durfte sich nach dem Einfall der Seldschuken (1070) in Palästina der in Jerusalem ansässige Geonim, die höchste jüdische Institution der Region und damit auch höchste Autorität der Juden in Kairo, in Kairo niederlassen und von dort aus das wirtschaftliche, administrative und autoritative jüdische Leben lenken. Auch die Immigration zahlreichen Juden aus dem Maghreb, dem Westteil der arabisch-muslimischen Welt, also Tunesien, Nordalgerien, Marokko, wurde nicht unterbunden. In diese Zeit fiel auch der Wiederaufbau der Synagoge (10391041) auf den ehemaligen Grundmauern von ca. 950. Das islamische Recht verbietet generell den Bau nichtmuslimischer Gotteshäuser. Im Laufe der Jahrhunderte hat es aber immer wieder Wege gegeben, wie dieses Recht mit beiderseitigem Einverständnis umgedeutet werden konnte, wie zum Beispiel die Errichtung eines Neubaues auf den Grundfesten einer älteren Anlage. Auch die Ayyubiden (11711250) führten die positive Haltung der Fatimiden gegenüber Andersgläubigen weiter. Die Geschichte der Ben-Ezra-Synagoge berichtet in diesem Zeitraum von verschiedenen baulichen Erneuerungen und Ausstattungen der Innenräume. Allerdings machten Pest und Hungersnot 12021203 auch nicht vor der jüdischen Gemeinde halt. Da der Sieg über die Kreuzfahrer bei den Juden auch die Hoffnung auf eine Wiederansiedlung in Jerusalem und Palästina weckte, wanderten viele Juden aus, wodurch sich die jüdische Gemeinde auch verkleinerte. Die Familie Moses Ben Maimon, genannt Maimonides, ist ein Beispiel jüdischer Einwanderer dieser Zeit. Aufgrund religiöser Verfolgung in Spanien floh diese aus Andalusien über Marokko und Palästina nach Ägypten, wo sie sich zunächst in Fustat niederließ. Da sich zu dieser Zeit sowohl die Fatimiden als auch die Ayyubiden äußerst tolerant gegenüber religiösen Minderheiten zeigten, war es für Maimonides möglich, 1185 zu einem der Leibärzte am Herrscherhof aufzusteigen. Durch seine Position als Oberrabbiner Ägyptens und sein hohes Ansehen als Theologe erlangte er weltweit einen beachtlichen politischen Einfluß auf die jüdische Gemeinde. In der Begegnung und Auseinandersetzung mit der nichtjüdischen Umwelt erkannte er die Notwendigkeit zur knappen und einprägsamen Zusammenfassung der jüdischen Glaubensinhalte. Deshalb verfaßte er in Entsprechung zum christlichen und islamischen Glaubensbekenntnis 13 "Glaubenswahrheiten", die in das jüdische Gebetbuch aufgenommen worden sind. Allerdings wurden sie nie zu einem für das gesamte Judentum verbindlichen Bekenntnis erklärt. Die Mameluckenherrscher (12501517) zeigten wiederum eine restriktivere Haltung gegenüber Nichtmuslimen, was sich auch in der Chronik der Ben-Ezra-Synagoge widerspiegelt. So spricht diese im Jahre 1442 von der Verfolgung der Gemeinde durch die muslimischen Herrscher, berichtet davon, daß die Bimah (Endnote 2) zerstört und das Gebetshaus nur noch am Sabbat zum Gottesdienst genutzt wurde. Daß es im 15. Jh. rund um die Synagoge so gut wie keine jüdische Bevölkerung mehr gab, lag aber weniger an der Verfolgung. Das islamische Viertel Kairos hatte sich inzwischen zur Handelsmetropole entwickelt, was auch die jüdische Bevölkerung vermehrt dorthin umziehen ließ. Die Ben-Ezra-Synagoge verfiel aber im Gegensatz zu der babylonischen und karaitischen Synagoge in Alt-Kairo nicht. Wie ihre Baugeschichte zeigt, wurde sie in den folgenden Jahrhunderten sogar immer wieder restauriert, ausgeschmückt, 1889, nach dem Zusammenbruch des Daches, sogar neu aufgebaut. Die Kairener Gemeinde war also bemüht, mit großen Anstrengungen den Bau der Synagoge zu erhalten und mit angestellten Wächtern und der Organisation des minyan, der Zehnzahl von Gottesdienstteilnehmern, um wenigstens ein Mal im Monat Gottesdienst abhalten zu können, die Konfizierung der Synagoge zu vermeiden. Die Synagoge galt den Juden als heiliger Platz, wurde ein Pilgerziel und hat bis heute aufgrund der mit ihr verwobenen Legenden für christliche wie auch muslimische Gläubige nicht an Bedeutung verloren. So soll Moses, laut Inschrift auf dem Marmorgrab, am Ort der Mastaba gebetet und Jeremias während seines Aufenthaltes in Ägypten dort zu Ehren Moses eine Synagoge erbaut haben. Auch der Brunnen neben der Synagoge wird von den dort angestellten Wächtern als "Moses-Brunnen" bezeichnet. Der Legende nach soll der Priester und Schreiber Esra aus der babylonischen Gefangenschaft über Ägypten nach Jerusalem zurückgekehrt sein. Er soll auch der Schreiber eines in der Geniza aufbewahrten und später nach Syrien verschleppten Thoramanuskriptes sein, dem Heilungskräfte zugesprochen wurden, weshalb viele Menschen in die Synagoge pilgerten und dort schliefen. Auch Elija, einem der größten jüdischen Propheten, war die Synagoge geweiht, weshalb das Gotteshaus auch vom 15.19. Jh. seinen Namen trug. Obwohl die Legende die Synagoge seit dem 15. Jh. mit Esra verbindet, trägt sie erst seit Anfang 1900 seinen Namen. Das kleine Heftchen, das man heute in der Synagoge kaufen kann und das Legende, Tatsachen und Phantasie mischt, spricht von einem Rabbiner Abraham Ben Ezra, auf den die Namensgebung eventuell auch zurückzuführen ist. 1996 ist eine erneute Renovierung der Ben-Ezra-Synagoge abgeschlossen worden, und nur noch flatternde Plastikfolien über den Treppenaufgängen und der Geländeumzäunung verderben den Gesamteindruck. Die bereitwillig Auskunft gebenden Wächter sehen darin aber keine Minderung des Anblickes, sondern eher einen Schutz vor Verschmutzung.
In der Osmanischen Zeit (15171798) lebte die Mehrzahl der Juden in der Harat al-Yahud innerhalb des Muski-Viertels, und nur noch wenige Familien blieben in Alt-Kairo. Die osmanischen Herrscher waren gegenüber religiösen Minderheiten liberal eingestellt. Dies zeigte sich einerseits in dem halbautonomen Status mit selbständigem kulturellen Leben der Andersgläubigen, zum anderen aber auch darin, daß Nichtmuslime wichtige Positionen im Machtapparat innehatten. Allerdings mußten Juden und Christen Steuern zahlen und waren meistens gezwungen, sich durch bestimmte Bekleidung und Kopfbedeckung von den Muslimen zu unterscheiden. Auch Einschränkungen bezüglich der Friedhöfe und Begräbnisriten mußten hingenommen werden. Dafür erhielten die Juden wiederum mehr Freiheit im internationalen Handel, bei dem sie Handelsbeziehungen zwischen Palästina, Syrien, Äthiopien, dem Maghreb, Rhodos, Kreta, Anatolien, Italien und dem Balkan aufbauten und pflegten. Dies wurde begünstigt durch die große Anzahl internationaler Kontakte zu Juden in anderen Ländern, aber auch durch die Fremdsprachenkenntnisse der eingewanderten Juden. Außerdem gehörten die öffentlichen und privaten Finanztransaktionen mit zu den jüdischen Haupterwerbszweigen, dem Geldwechsel, dem Kreditwesen, der Arbeit in der Münze und der Miete der Steuer- und Zolleinziehung. Daneben eroberten sich die Juden auch benachbarte Berufszweige wie den Handel mit Gold und Silber, teurer Kleidung und Medikamenten. Auch auf lokaler Ebene handelten sie mit Kleidung, Seide, Schmuck, Eisen, Wein, Zucker und Pfeffer, waren Zwischenhändler für das staatliche Monopol des Weizen und beteiligt am Sklavenhandel. Wenn es zu Konflikten kam, waren es solche zwischen Juden und Christen, entweder religiöser Art oder wirtschaftlicher, weil beide Gruppen in den gleichen Berufszweigen involviert waren. Im 18. Jh. gab es wohl eine wirtschaftliche Krise in der jüdischen Gemeinde. Die Juden wichen verstärkt in handwerkliche Berufe aus, da sie zunehmend von Christen aus den lukrativeren Berufen verdrängt wurden. Ab 1730 ist ein starker Rückgang der jüdischen Einwohnerzahl zu verzeichnen, was auf eine Auswanderungswelle schließen läßt. Ungesichert ist, ob 1734/35 ein Pogrom in Kairo stattgefunden hat.
Beginnend mit der Herrschaft Mohammed Alis und seinen Nachfolgern bis hin zum britischen Protektorat setzte für alle Minderheiten in Ägypten eine Zeit großer wirtschaftlicher Möglichkeiten ein. Die Regierung gab mit ihrer Wirtschaftspolitik eines fast unbeschränkten Liberalismus, dem System der "Kapitulationen" das sind ursprünglich Schutzverträge für ausländische Handelsleute, die diese der Jurisdiktion ihres Herkunftslandes unterstellten den Ausländern de facto einen exterritorialen Status. Dadurch hatte Ägypten eine enorme Anziehungskraft auf Ausländer, zumal diese Bedingungen unter Umständen durch politischen, wirtschaftlichen, ja sogar militärischen Druck der europäischen Länder bzw. des Britischen Empires immer wieder eingefordert wurden. So verzeichnete Ägypten eine hohe Einwanderungswelle im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Dabei stammten die unter diesem Schutz stehenden Ausländer häufig gar nicht aus England, Frankreich oder Italien, sondern aus von diesen Staaten kontrollierten Ländern. Die folgende Tabelle zeigt das Anwachsen von Minoritäten in Ägypten in der Zeit zwischen 1840 und 1947.
Neben der wirtschaftlichen Anziehungskraft war bei zahlreichen jüdischen Eiwanderern oft der Druck auf die jüdische Bevölkerung im Herkunftsland ein Grund, Ägypten als neue Heimat zu wählen. So flohen Anfang des 19. Jhs. bis Mitte 1920 viele sephardische Juden aus dem Osmanischen Reich, Griechenland, dem Balkan, Korfu und Italien nach Ägypten. Um die Jahrhundertwende kamen sephardische und orientalische Juden aus Nordafrika und ashkenasische Juden aus Osteuropa. (Siehe Anhang: Jüdische Großgruppen in Ägypten) Allen gemeinsam war, daß sie jung, arm und geleitet von dem Wunsch waren, reich zu werden. Dadurch veränderte sich die bestehende jüdische Gemeinde in Ägypten hinsichtlich ihrer ethnischen und sozialen Zusammensetzung, worauf die Leitung der ägyptisch-jüdischen Gemeinde teilweise recht ambivalent reagierte. Einerseits fühlte sie sich einer Fürsorge ihren Glaubensgenossen gegenüber verpflichtet, andererseits versuchte sie aber auch, die Einwanderer weiterzuleiten bzw. die Einwanderung zu stoppen. Im 19. Jh. siedelten sich jüdische Gemeinden vor allem an den Knotenpunkten von Handel und Verwaltung in Kairo und Alexandria, in den Verwaltungsbezirken des Deltas Tanta, Mansura, Al-Mahalla-al-Kubra, Zifta und nach der Eröffnung des Suezkanals 1869 auch in den Häfen der Kanalzone an, wo die Einwanderer häufig ankamen. Die Provinzgemeinden waren zu Beginn des 20. Jhs. wohl überwiegend arm, was sich erst durch die Stationierung der Alliierten Truppen während des 1. Weltkrieges änderte. Dennoch wanderte nach dem Ersten Weltkrieg zumindest die vermögendere Schicht nach Alexandria und Kairo ab. Dazu trugen nicht nur wirtschaftliche Gründe bei, sondern auch die in den kleineren Städten von lokalen Christen vermehrt erhobenen Ritualmordvorwürfe. Aus Kairo sind nur zwei derartige Zwischenfälle bekannt. In Ägypten herrschte im 19. Jh. und Anfang des 20. Jhs. religiöse Toleranz. So lag die jüdische Gemeindeorganisation, was den Kult, das Personenstandsrecht, die Erziehung und die Wohlfahrt anbetraf, ganz autonom in den Händen der jeweiligen Gemeinde. Außer in Kairo waren in den anderen jüdischen Gemeinden überall Sephardim, Ashkenasim und Karäer in einer Gemeinde vereint. (Siehe Anhang: Großgruppen in Ägypten) Die Leitungsposition wurde meist von Oberschichtsangehörigen besetzt, das Präsidentenamt in Kairo scheint in der Cattaoui- und Mosseri-Familie geradezu erblich gewesen zu sein. Diese Persönlichkeiten waren auch Gesprächspartner gegenüber den Regierungsstellen, nicht die Rabbiner. Der Gemeinderat setzte sich nach den Statuten aus Laien zusammen, denen die religiösen Würdenträger untergeordnet waren. Selbst der Kairener Oberrabbiner, der ab 1925 auch der Oberrabbiner von Ägypten war (bis 1960: Chaim Nahum Effendi), war vom Gemeinderat abhängig und mußte vom ägyptischen Herrscher bestätigt werden. Bei allen inneren Unterschieden traten die einzelnen Gemeinden aber landesweit durch ihre Organisation Bnei Brith als jüdische Vereinigung mit einem Netz von religiösen, sozialen und karitativen Einrichtungen auf.
Die Juden bewahrten ihre Herkunftssprache. Die seit dem 1. Weltkrieg eingewanderten Juden sprachen wenigstens eine, wenn nicht mehrere europäische Sprachen: Italienisch, Französisch oder Englisch. Hebräisch und Arabisch wurden wenig adoptiert. Da sie vom System der Kapitulationen, das bis 1937 seine Gültigkeit hatte, profitierten, hatten die meisten Juden im 20. Jh. keine ägyptische Staatsbürgerschaft. Ein großer Teil war staatenlos.
Im 19. / Anfang 20. Jh. nahmen ausländische Minoritäten in überproportionalem Anteil Führungspositionen in der ägyptischen Wirtschaft ein. Auch die Juden profitierten aufgrund ihres hohen Bildungsstandards von dieser Entwicklung. So vollzog sich der Aufstieg der mächtigsten jüdischen Familien über das Bank- und Kreditwesen, als bei der wirtschaftlichen Erschließung des Landes (18601880) die Banken für Investitionen in Import- und Exportgeschäften, bei Landkauf, Transport- und Bauwesen eine zentrale Rolle einnahmen. Prominente Juden wie Joseph Aslan Cattaoui und Joseph Cicurel saßen im Ausschuß der Misr Bank, welcher 1920 die Grundlagen für ein unabhängiges, ägyptisches Kreditwesen und den Industriesektor legte. Eine weitere beherrschende Geschäftsform waren die Aktiengesellschaften, in denen sich Familien gleicher ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit zusammenfanden oder durch Heiraten zwischen den Familien eng verbunden waren und deshalb kooperierten. Solche Kooperationen bestanden zum Beispiel in den verschiedenen Aktiengesellschaften der Familien Suarès, Cattaoui, de Menasce und Rolo. Neben den Bankgründungen wirkten jüdische Familien beim Bau des ersten
Assuanstaudammes mit, hatten zeitweise das Monopol über die Zuckerindustrie,
gründeten das erste öffentliche Transportwesen in Kairo, die Pferdebahn arabat
Surwaris, und bauten die Eisenbahnlinien Kairo-Helwan, Kairo-Assyut,
Qena-Assuan. Die Leitung der ägyptischen Wasser- und Elektrizitätswerke lag in
ihren Händen, zeitweise auch das Monopol in der Filmbranche. Es gab zahlreiche
jüdische Rechtsanwälte, die in den Gemischten Gerichten für das
Kapitulationsrecht oder als Aufsichtsräte tätig waren, und viele jüdische
Ärzte. Neben den jüdischen Kaufhäusern Grands Magasins Cicurel,
Lévi-Benzion, Chemla, Adès, Orosdi-Back und Gattegno kontrollierten die Firmen
Stein, Tiring und Mayer über die Hälfte des ägyptischen Marktes für
Konfektionsware. Sie hatten Kaufhäuser in bester Lage am Medan Ataba.
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Stein, Inhaber einer Textilfirma in Wien, eröffnete 1875 ein Zweigunternehmen in Alexandria, zog 1879 nach Kairo ins Muski-Viertel und erbaute 1904 eines der größten Kaufhäuser am Medan Ataba, von dem heute nur noch das Erdgeschoß übrig geblieben ist und eine Seitenwand mit der Originalschrift "Stein" in arabischen Buchstaben von vergangenen Zeiten zeugt. Dieses Kaufhaus hatte eine 50 m lange Schaufensterfront, einen elektrischen Aufzug und elektrische Beleuchtung und stellte alle gekaufte Ware über 250 Piaster in alle Teile Ägyptens und des Sudans frei Haus zu. Tiring, ein "türkischer Kleidermacher" aus Wien, gründete 1912 zunächst eine Niederlassung in der Bawaki-Straße hinter dem Ezbekiya-Garten, bevor er 1913/14 das heute noch bestehende, derzeit als Lager genutzte Kaufhaus Tiring baute. Ob das heute frisch renovierte und an das Londoner Kaufhaus "Harrods" erinnernde Warenhaus "Sednaoui" ursprünglich einer jüdischen Familie gehörte, ist unbekannt. Jedenfalls gibt es dem heutigen Betrachter einen Einblick in den Glanz und die Pracht von Kaufhäusern des frühen 20. Jahrhunderts. Allerdings darf bei dieser Aufzählung nicht übersehen werden, daß die Mehrzahl der jüdischen Bevölkerung nicht zur reichen Oberschicht, sondern vorwiegend zur unteren Mittelschicht und Unterschicht gehörte. Ein relativ großer Teil war arbeitslos und angewiesen auf die Wohltätigkeit der reichen Glaubensgenossen, wovon auch das vorbildlich ausgebaute Wohlfahrtssystem in den 40er Jahren zeugte.
Von der Osmanischen Zeit bis in die Mitte des 19. Jhs. lebte der größte Teil der jüdischen Bevölkerung im "Jüdischen Viertel" Harat al-Yahud im Muski-Gebiet des islamischen Kairos Al-Gamaleyya. Dort hatten sie je nach Landsmannschaft oder religiöser Richtung ihre eigenen Synagogen, um die sie sich ansiedelten. Heute sind die Synagogen zerfallen oder in Moscheen umgewandelt. Auf dem von Dr. Meital erstellten Plan 1 sind aber die Stellen kenntlich gemacht, an denen früher jüdische Gotteshäuser oder jüdische Schulen gestanden haben und zum Teil heute noch zu erkennen sind. Man kann nicht direkt von einem Ghetto sprechen, doch noch in den späten 30er Jahren dieses Jahrhunderts wird dieses Wohngebiet von Fernand Leprette als ein mit vier soliden Eisentoren ausgestattetes, seinen Bewohnern Schutz bietendes Viertel beschrieben, das es den Bewohnern erleichtert, nach ihren religiösen Traditionen zu leben, und erlaubt, sich nach außen hin abzugrenzen. (Krämer, Gudrun)
Die Ashkenasim siedelten sich in dem westlich des Harat al-Yahud angrenzenden Gebiet an, in dem auch heute noch die erhaltene, aber ungenutzte Synagoge zu sehen ist. Dieses Darb-al-Barabira genannte Viertel lag zwischen der Muski, der heutigen Port-Said-Straße und Al-Geish-Straße. Auch die Karäer hatten ihr eigenes Viertel nördlich des Harat al-Yahud um die Kharanfish- bzw. Hurunfish-Straße. Möglicherweise war das auf dem Plan 1 mit Nummer 6 ausgezeichnete Gebäude ihre Synagoge. (Siehe Anhang: Jüdische Großgruppen in Ägypten.) Um 1860 begannen die ersten wohlhabenden jüdischen, vor allem die den Sephardim zugerechneten Familien wie Mosseri, Cattaoui und Suarès das islamische Kairo zu verlassen und sich wie andere Minderheiten, vor allem Europäer, in Wohnvierteln am Stadtrande niederzulassen. Dies hing einerseits mit dem allgemeinen, durch das Kapitulationssystem hervorgerufenen Zustrom ausländischer Investoren zusammen, zum anderen aber auch mit der stärkeren Hinwendung der Khediven zur europäischen Bauweise, die diese mit verschiedenen Anreizen in Kairo voranzutreiben versuchten. So stellte zum Beispiel der Khediv Ismail (18631879) die Grundstücke in dem heutigen Gebiet zwischen Ezbekiya, 26.-Juli-Straße, Ramses-Straße, Nile Hilton und Bab-al-Louq kostenlos zur Verfügung, unter der Bedingung, daß sie unverzüglich mit Liegenschaften im Wert von mindestens 2.000 Pfund bebaut würden. Diese Gelegenheit wurde von vielen Wohlhabenden der Kairoer Gesellschaft genutzt. Es entstand das Ismailiya-Viertel. Auf ähnliche Weise entwickelte sich das Tawfiqiya-Viertel, als 1890 vom Khediven Tawfiqi (18791892) das ungenutzte, dreieckförmige Gelände nördlich der heutigen 26.-Juli-Straße und der Ezbekiya, der Ramses- und der Clotbeystraße entwässert und zur Bebauung freigegeben wurde. Die vom Khediven Abbas (18921914) im Norden von Kairo auf dem Wüstenplateau angelegte Militärsiedlung mit Kasernen, einem Hospital und Wohnungen für die Offiziere und Beamten wurde auch von wohlhabenden Kairenern schnell als neue Wohngegend angenommen, die Abbasseyya genannt wurde. Ebenso verhielt es sich mit den Gebieten um die Khedivenpaläste, dem Palast in Schubra, Qasr-an-Nil, Qasr-ad-Dubara und Qasr-al-Ali-Palast am Nil, Palast Al-Qubba und Palast al-Abdin, denen rasch Landsitze oder Villen der Aristokratie folgten, wodurch neue Stadtviertel entstanden. In dieser allgemeinen baugeschichtlichen Entwicklung Kairos im 19./Anfang 20. Jh. zeigt sich auch, wie die zunächst von der Oberschicht bewohnten Stadtteile langsam von Bewohnern des Mittelstandes erobert wurden, was die ersteren wiederum bewog, sich neue Wohngebiete zu suchen. Im späten 19. Jh. folgten der jüdischen Oberschicht Familien des jüdischen Mittelstandes unterschiedlicher ethnischer Herkunft einschließlich der Karäer in die Viertel Abbasseyya, Schubra und Ismailiya. Da damit diese Wohngebiete ihren exklusiven Charakter verloren hatten, zog die High Society in die entlang des Nils entstandenen Viertel wie Zamalek, Garden City, Rhoda und Giza, wo sie auch noch 1950 zu finden war. Vor dem 1. Weltkrieg wohnten in Abbasseyya zum größten Teil noch Juden. Nach dem Krieg wurden Kopten, Europäer oder andere Mitglieder ausländischer Minderheiten zur Mehrheit. Die untere jüdische Mittelschicht zog in dieser Zeit von Harat-al-Yahud nach Abdeen, Boulaq, Bab-al-Louq und Sakakini, eingeschlossen Darb-al-Daher. Boulaq, welches Ende des 19. Jahrhunderts noch ein moderner Vorort war, veränderte sich zwischen den Weltkriegen vollständig in ein Viertel, das hauptsächlich von Handwerkern und Arbeitern Emigranten aus Oberägypten, Griechen, Italienern, Kopten und Juden bewohnt wurde. Der von dem belgischen Industriellen Baron d'Empain um die Jahrhundertwende gebaute Stadtteil Heliopolis, in den 1908 die ersten Juden zogen, hatte schon 1922 seine eigene "Association Israélite de Heliopolis". Der Direktor der Alliance-School in Kairo, S. Somekh, beschrieb die
Wohnsituation der jüdischen Gemeinde Kairos in einem um 1910 nach Paris
adressierten Brief:
Die Gründung Maadis war das Ergebnis einer geglückten Landspekulation der jüdischen Firmen Mosseri, Menasce und Suarès, die miteinander verwandt oder verschwägert waren. Während des Baus der Eisenbahnlinie Kairo-Helwan durch Cattaoui, Suarès und Menasce kauften die oben genannten Familien Land zu beiden Seiten der Eisenbahnlinie auf und begannen 1908 mit dem Bau von Villen nach festgelegter Bauordnung im Stil einer englischen Gartenstadt. Sie verkauften Land an Engländer und ägyptische Paschas, Österreicher, Deutsche und Schweizer. Die Juden bildeten die größte Bevölkerungsgruppe, weshalb die Gegend südlich der 83. Straße auch den Beinamen "jüdisches Viertel" trug. 1934 wurde eine Synagoge an der Ecke 83. Straße, Orabi- und Mustafa-Kamel-Straße errichtet, die heute nur noch zu hohen Festtagen geöffnet wird.
Als sich 1942 Rommels Afrika-Corps Alexandria näherte, verließen die ersten jüdischen Einwohner Kairo, andere änderten ihre Namen, z.B. Levy in Lee. In den 50er Jahren zog der KZ-Arzt Hans Eisele nach Maadi, gleich hinter die Synagoge. Der endgültige Auszug der jüdischen Bevölkerung begann mit der Nationalisierungswelle 1956/62 und nach dem Sechstagekrieg 1967. Die nach den Gründern Cattaoui, Menasce, Suarès und Rolo benannten Straßen und Plätze wurden nach ägyptischen Politikern umbenannt, die Villen wechselten, manchmal auf mysteriöse Art, die Eigentümer. Heute ist Maadi wieder die bevorzugte Wohngegend israelischer Diplomaten.
Die in der Nähe des Fischgartens gelegene Sharia El-Kamil-Muhamad auf
Zamalek war eine der ersten Adressen der jüdischen Gemeinde.
Das politische Klima im Lande verschlechterte sich aus verschiedenen Gründen, was negative Auswirkungen auf alle Minderheiten und die jüdische im besonderen hatte. Ein wesentlicher Faktor, der zu diesem Klima beitrug, war die "Modernisierung" der Wirtschaft. Die Eingliederung der Landwirtschaft in den Weltmarkt sowie die beginnende Industrialisierung bewirkten eine extrem ungleiche Verteilung von Reichtum und Macht, was zu sozialen Spannungen führte. Wahlmanipulationen durch die Briten, die britische Kontrolle des Suezkanals und des Sudans, das weiterbestehende System der Schutzbürgerschaften konzentrierten die politische Energie von Regierung und Opposition weitgehend auf die Frage der Unabhängigkeit, während der Druck auf Ausländer wuchs. Das Erstarken des politischen Islams in der neuen Bewegung des Panarabismus, der den Staat auf religiöser Grundlage definiert, erschwerte den Minderheiten, ihre Legitimation nach dem territorialstaatlichen Konzept zu definieren. Die ägyptische Regierung versuchte sich allerdings aus jedem panarabischen Engagement herauszuhalten, solange Ägypten selbst nicht direkt davon betroffen war. Die ägyptische Verfassung von 1923 war hinsichtlich der Frage der Religionsfreiheit widersprüchlich. In Art. 12 f sicherte sie Gewissens- und Religionsfreiheit zu, in Art. 149 nannte sie den Islam als Staatsreligion. Zwischen 1920 und 1930 erstarkten militante Jugendbewegungen und islamisch-fundamentalistische Gruppen. So wurde z.B. im Jahr 1928 die Muslimbrüderschaft gegründet, die vor allem sozialkritisch agierte. Dennoch waren bis 1950 regelmäßig Juden und Kopten im Parlament vertreten und Juden als Mitglieder der ägyptischen Nation mit gleichen Rechten und Pflichten anerkannt. Auch die nationalsozialistische Propaganda machte vor Ägypten nicht halt. Die Familie von Rudolf Hess stammt aus Alexandria. Sein Bruder Alfred Hess gründete 1926 in Kairo eine Ortsgruppe der NSDAP, der bis 1933 etwa 20% der Deutschen in Ägypten beitraten. Es kamen Angriffe dieser Gruppe auf Juden vor. Jüdische Gruppen, die auch von nicht-jüdischen Gruppierungen unterstützt wurden, reagierten mit Massenversammlungen und Protestnoten z.B. an Hindenburg und die Menschenrechtsliga. Die ägyptische Regierung wollte jeden deutsch-jüdischen Konflikt vermeiden, verbot deshalb alle jüdischen und deutschen Versammlungen, verurteilte sowohl den Boykott deutscher Waren als auch das Singen antisemitischer Lieder auf deutschen Zusammenkünften. Ziel der deutschen Propaganda, die sich den Palästinakonflikt zunutze zu machen versuchte, war, eine jüdisch-arabische Feindschaft zu schüren, was ihr aber insgesamt nicht gelang. Es war der Palästina-Konflikt selbst, der die Position der Juden in Ägypten gefährdete. Als 1936 der arabische Aufstand in Palästina ausbrach, verstärkte sich die Idee der arabischen Einheit und riefen islamische Propagandisten zum "Heiligen Krieg" gegen die Juden auf. Erste Attacken gegen lokale Juden ("5. Kolonne des Zionismus"), Boykottaufrufe, antijüdische Pamphlete traten in Kairo auf. Die Leitung der ägyptischen Juden versuchte sich so loyal wie möglich gegenüber Ägypten zu zeigen und rief auch die Zionisten zur Ruhe. Die Regierung versuchte antijüdische Übergriffe zu unterbinden und warnte vor einer Verwechslung von Judentum und Zionismus. Doch radikal-nationalistisch und panarabisch eingestellte Politiker agierten bewußt auf eine Konfrontation mit den ägyptischen Juden hin. Ab 1939 war Ägypten durch die Teilnahme am Runden Tisch offiziell in die Palästinafrage involviert.
Die politischen Veränderungen stellten den politisch bewußten Teil der jüdischen Gemeinde vor die Aufgabe der eigenen Identitätsbestimmung: religiöse Gemeinschaft oder eigene Nation? Die jüdische Gemeinde vermied es generell, sich festlegen zu lassen. Doch die überwiegende Mehrheit blieb politisch neutral und hoffte auf weiteres, harmonisches Zusammenleben zwischen Muslimen, Kopten und Juden. Eine kleine Minderheit teilte sich in drei Strömungen: den ägyptischen Patriotismus, den Kommunismus und den Zionismus.
Doch es waren nicht die einzelnen Strömungen innerhalb der jüdischen Gemeinde, die das Problem des Antijudaismus in den arabischen Staaten schafften, sondern die Gründung des jüdischen Staates "Israel" selbst.
1937 wurden in den Konventionen von Montreux die Kapitulationsrechte aufgehoben, was für die ägyptische Wirtschaft entscheidende Folgen hatte: viele ausländische Banken wurden nationalisiert, Arabisch wurde zur Pflichtsprache für den Handel, d.h. viele ausländische Ladenbesitzer mußten zusätzliches Personal einstellen, und die Vorschrift einer höheren Prozentzahl ägyptischer Angestellter in den Firmen trat in Kraft. Dies sowie Streiks gegen ausländische Firmen verursachten das Gefühl allgemeiner Unsicherheit. Im 2. Weltkrieg, in dem Juden in verschiedenen Armeen auf seiten der Alliierten kämpften, war Deutschland zunehmend in den arabischen Befreiungskrieg gegen Frankreich und Großbritannien involviert, was eine prodeutsche Haltung König Faruqs und politischer Kreise, gepaart mit Hoffnung auf Befreiung durch das Afrika-Corps Rommels, nach sich zog. Die allgemeine politische Lage führte zu Agitationen gegen Ausländer und Nichtmuslime, v.a. gegen Juden und Zionisten. 1945 stellte der Kairener Polizeichef "antijüdische Gefühle in Kairo" fest, die am Jahrestag der Balfour-Erklärung (2.11.1945) in einem Aufstand mit massiven Ausschreitungen gegen Juden und jüdisches Eigentum eskalierte. Die Ashkenasische Synagoge wurde zerstört. Der Wiederaufbau dieses jüdischen Gebetshauses im Jahre 1950 zeigt aber, daß die jüdische Bevölkerung an den Fortbestand ihres Daseins in Ägypten glaubte. Obwohl 1948 die Juden in Ägypten ihre Loyalität bekräftigten, den Staat Israel ablehnten und Unterstützung für die Palästinenser zusagten, wurden zahlreiche Zionisten verhaftet. Auch wenn von staatlicher Seite keine Judenfeindschaft organisiert wurde, waren die Juden nach den israelischen Luftangriffen auf Kairo und Alexandria gewaltsamen Übergriffen ausgesetzt. Etwa 2025%, ca. 1520.000 Juden verließen daher das Land. Mit Hilfe internationaler jüdischer Organisationen wurden vor allem Mitglieder der jüdischen Unter- und Mittelschicht über Vorbereitungscamps in Genua und Marseille nach Israel umgesiedelt. Die Oberschicht wanderte auf eigene Kosten nach Westeuropa, Amerika oder Australien aus. Dem Angriff Israels, Frankreichs und Großbritanniens gegen Ägypten 1956 folgten Massenverhaftungen von Juden. Etwa 4050.000 Juden verließen deshalb ihre Heimat Ägypten. Durch den sozialistischen Kurs der Regierung ab 1961/62 verloren die wenigen noch gebliebenen, als selbständige Geschäftsleute tätigen Juden ihre Lebensgrundlage. Diese Verstaatlichungswelle und der Sechs-Tage-Krieg 1967, als noch rund 3.000 Juden in Kairo lebten, bedeuteten das Ende der jüdischen Gemeinde, die heute kaum mehr 60 Mitglieder meist fortgeschrittenen Alters zählt.
Anmerkungen:
Literatur:
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Auf jüdischen Spuren in Ägypten
Nr. 56/98, pp. 2230 Dieser Artikel wurde mit freundlicher Genehmigung des Autors aus der Zeitschrift MUT, Forum für Kultur, Politik und Geschichte, Nr. 368 vom April 1998 übernommen. Dr. Agstner war 1991 bis 1996 an der österreichischen Botschaft in Kairo tätig und ist derzeit Gesandter und Stellvertretender Leiter Westeuropa im Wiener Außenministerium.
Sie ist so alt wie die 331 vor Christus von Alexander dem Großen begründete und nach ihm benannte Stadt die jüdische Gemeinde von Alexandria, die damals rund ein Drittel der 500.000 Einwohner dieser Metropole der Antike stellte. Die Juden bewohnten ein eigenes Stadtviertel im Osten Alexandrias, und ihr Tempel, der im Jahr 116 unter Trajan zerstört wurde, fand im Talmud Erwähnung. Als Amr Ibn al As die Stadt 642 eroberte, zählte er 4.000 jüdische Familien und schloß auf eine Gemeinde von 40.000 Juden. Danach begann der Niedergang der Gemeinde. 1140 lebte Juda Halevy, der größte jüdische Dichter aller Zeiten, drei Monate in Alexandria. Auf dem Weg ins Heilige Land starb er dort 1141. Moses Maimonides verbrachte das Jahr 1165 in der Stadt. 1805 lebten nur mehr einige hundert Juden in der zum Fischerdorf heruntergekommenen Hafenstadt. Im Jahre 1840 bemühte sich Moses Montefiori vergeblich, die Gemeinde zu organisieren und ihr Statuten zu geben. 1854 bereiste Dr. Albert Cohn, aus Preßburg/Bratislava stammender Präsident des israelitischen Consistorial-Comités und Vizepräsident des deutschen Hilfsvereins in Paris, die Levante. Mit finanzieller Unterstützung der Rothschilds errichtete er in Alexandria, Jerusalem, Smyrna und Konstantinopel Schulen und Wohlfahrtseinrichtungen für die jüdischen Gemeinden. Österreichs Generalkonsul Huber berichtete am 5. August 1854, daß Cohn "die bisher getrennten Gemeinden der europäischen und levantinischen Israeliten unter befähigten Vorständen vereinigt und die Gemeinde-Belange unter den Schutz dieses k. k. Generalkonsulats gestellt hat". Dies war damals aufgrund der sehr extensiven Auslegung der zwischen dem Osmanischen Reich und den christlichen Staaten geschlossenen Verträge ("Kapitulationen") möglich, entzog "Schutzbefohlene" der lokalen Gerichtsbarkeit und unterstellte sie der Jurisdiktion europäischer Konsuln. In französischer Sprache verfaßte Cohn die Statuten der Gemeinde, die auch die Verwendung der Steuern festlegten. Zu den Auslagen, die zu Lasten der Gemeinde gingen, gehörte zum Beispiel der Bau einer Mauer um den Friedhof. Cohns Ersuchen, die von ihm gegründeten Einrichtungen unter österreichischen Schutz stellen zu dürfen, fiel auf fruchtbaren Boden. Am 11. Dezember 1854 stimmte Kaiser Franz Josef dem Antrag seines Außenministers Graf Buol zu. In Alexandria kamen nicht nur die neuerrichtete Schule, sondern die ganze Gemeinde unter den Schutz des Habsburgerreiches. Als die Gemeinde 1856 ihren Friedhof heute als "Jüdischer Friedhof Nr. l" bekannt mit einer Mauer umgeben wollte, gelang dies nur dank Intervention des kaiserlich-königlichen Generalkonsuls. Der Bürgerkrieg in Nordamerika bedeutete für Ägypten einen Baumwoll-Boom, und auch der Bau des Suezkanals lockte zahlreiche Einwanderer ins Land, darunter zahlreiche aschkenasische Juden aus Osteuropa, die sich in Alexandria, Kairo, den Städten im Nildelta und am Suezkanal niederließen. Am 25. November 1869 machte Kaiser Franz Josef auf der Rückreise von der Eröffnung des Suezkanals in Alexandria Station und erteilte "einige Audienzen, worunter eine Deputation der österreichischen Colonie und der hiesigen Juden-Gemeinde". Diese setzte sich auch aus eingewanderten Juden, oft Untertanen Seiner Majestät, zusammen. Mit dabei war auch Jakob Levi Menasce; 1807 in Kairo geboren, flüchtete er 1848 vor dem ägyptischen Vizekönig Mohamed Ali Pascha nach Ungarn, wies dort seine ungarische Abstammung nach und erhielt die Staatsbürgerschaft. Wegen seiner Verdienste um seine jüdischen Glaubensgenossen wurde er 1871 von Kaiser Franz Josef geadelt; 1875 erhielt er die Baronie. Der ungarische Baron Menasce ruht in einem grandiosen Grabmal auf dem 1871 von ihm gegründeten gleichnamigen Friedhof ("Nr. 2"). Sein Wappen zeigt oben einen Doppeladler und unten eine Pyramide mit Sphinx, einen Davidstern und einen Halbmond. Bei feierlichen Anlässen wie Regierungsjubiläen und Geburtstagen Seiner Majestät bewies die Gemeinde ihre Dankbarkeit durch Festgottesdienste im Eliahu-Hanabi-Tempel. 1871 kam es kurzfristig zu einem Bruch in der Alexandriner Gemeinde, als das junge Königreich Italien dem Habsburgerherrscher das Protektorat abspenstig machen wollte. Als am 5. April 1908 die "Ecoles Gratuites de la Communauté Israélite d'Alexandrie" feierlich eröffnet wurden, geschah dies durch den österreichisch-ungarischen Diplomatischen Agenten in Kairo, Grafen Koziebrodski. Seine Unterschrift ziert so wie die des k. u. k. Konsuls in Alexandria, des Präsidenten der österreichisch-ungarischen Handelskammer, und von Baron Jacques de Menasce, Sohn des Jakob Levi, die erste Seite des "Livre d'Or" der jüdischen Schulen Alexandrias, welches heute im Sekretariat der Gemeinde verwahrt wird. Über der letzten "österreichischen" Eintragung schwebt der Hauch der Weltgeschichte: am 13. Mai 1914 trugen sich Konteradmiral Franz Löffler, Kommandant von S. M. Schlachtschiff "Viribus Unitis", und der Kommandant von SMS "Tegetthoff" ein; die Escadre lag auf "Freundschaftsbesuch" im Hafen und war zu Schießübungen ins Mittelmeer ausgelaufen es war das letzte Mal, daß Einheiten der k. u. k. Flotte die Adria verließen. Mit dem Ersten Weltkrieg endete das kaiserliche Protektorat über die inzwischen rasch anwachsende Gemeinde, die 1897 bereits 9.381, im Jahr 1917 aber schon 24.858 Köpfe zählte. Bis 1937 blieb diese Zahl fast unverändert, danach erhöhte sie sich durch Emigration aus Deutschland, Österreich und anderen Staaten Mitteleuropas rasch auf über 40.000. Der Vorstoß von Rommels Afrika-Korps führte dazu, daß zahlreiche Juden von Alexandria nach Kairo oder in die Suezkanal-Zone übersiedelten. 1947 war die Gemeinde auf 21.128 geschrumpft. Die Gründung Israels 1948, die Suez-Krise 1956, vor allem aber Nassers Nationalisierungswelle der Jahre 1960 bis 1962, und zuletzt der Sechs-Tage-Krieg 1967 brachten das Ende der Gemeinde, die heute kaum mehr als 50 Mitglieder zählt. Sie sind fast alle über 70 Jahre alt und wohnen zumeist in Altersheimen viele im vom Hildesheimer Kaufmann Pelizäus gestifteten gleichnamigen Heim oder im italienischen. Die einzige noch geöffnete Synagoge Eliahu Hanabi befindet sich auf historischem Grund; die Straße war in der Antike die als "Soma" bekannte Nord-Süd-Achse der Stadt, an der auch das Grabmal Alexanders des Großen vermutet wird. Schon Maimonides erwähnt 1165 die Synagoge, in der einst der Prophet Eliah seine Gebete verrichtet haben soll. Napoleon ließ 1799 den Tempel zerstören. Der Wiederaufbau begann 1835 mit Unterstützung des ägyptischen Vizekönigs Mohamed Ali Pascha und von Moses Montefiori, er dauerte über 20 Jahre. Bedauerlicherweise ist der Architekt des prachtvollen Tempels unbekannt. Noch um die Jahrhundertwende idyllisch in einem Garten gelegen, befindet sich die Synagoge heute in einem heruntergekommenen Viertel, so daß die einstige prachtvolle Anlage kaum mehr zu erkennen ist. Der Besucher tritt heute nicht mehr durch das schmiedeeiserne Tor an der Straße des Propheten Daniel Nr. 69 ein, sondern gelangt durch eine unauffällige Tür in der Scheikh Hussein-Fadil-Straße auf das der jüdischen Gemeinde gehörige Areal mit Tempel, Schule, Oberrabbinat und Gemeindeverwaltung. Im Sekretariat der Gemeinde amtiert der noch zu Kaisers Zeiten geborene Präsident, Joe Harari, von Beruf Knopfhändler, assistiert von Mme. Lina Matatia, die sich der Register annimmt. Ein lokaler Angestellter spricht deutsch, hat er doch lange Jahre in Graz Zeitungen verkauft. Prunktor und Seiteneingang werden von helmbewehrten Soldaten bewacht. Die 1908 unter österreichisch-ungarischen Auspizien errichtete Schule hinter der Synagoge ist längst an das ägyptische Unterrichtsministerium vermietet worden. Die prachtvolle Synagoge wird Besuchern gerne gezeigt, Gottesdienste finden aber nur mehr selten statt. Der Tempel überrascht durch seine Größe und beweist einmal mehr die Bedeutung, welche die jüdische Gemeinde im Leben Alexandrias zwischen 1850 und 1950 spielte. Der Minyan, die Mindestanzahl Männer, die zum Gebet benötigt wird, kann schon lange nicht mehr erreicht werden, und es bedarf der Verstärkung durch das israelische Generalkonsulat; ein Rabbiner reist nur zu hohen Festen aus Israel an. Die Messingschilder auf den Bänken wecken Erinnerungen an all jene Familien, die schon vor Jahrzehnten nach Israel, Frankreich, Großbritannien oder den USA ausgewandert sind. Prachtvoll der Schrein, in dem über 50 Thora-Rollen verwahrt werden. Bemerkenswert auch die sechs marmornen Spendenbüchsen um den Schrein mit ihren Aufschriften in italienischer ("Poveri") oder französischer Sprache ("Ecoles"), ein Hinweis auf die im vorigen Jahrhundert in dieser Region vorherrschenden Sprachen. An das Rabbinatsgericht erinnert nur ein altes Schild. Ein Album mit alten Ansichten der Alexandriner Synagogen zeugt von noch gar nicht so lange zurückliegender, vergangener Größe und ist näherer Betrachtung wert: die älteste Synagoge Alexandrias, die 1391 von der Familie Zaradel gestiftet Zaradel-Synagoge, war der einzige Tempel im jüdischen Viertel des alten Alexandria. 1880 wegen Baufälligkeit wiedererrichtet, wurde er nach dem Zweiten Weltkrieg verkauft. Das Alter des heute nicht mehr bestehenden Azouz-Tempels liegt im dunkeln; er wurde 1853 neu errichtet. Die anderen Synagogen befanden sich in den neuen, europäischen Stadtteilen des nach 1850 rasch expandierenden Alexandria. Drei Tempel fielen im Zweiten Weltkrieg den Angriffen der italienischen Luftwaffe zum Opfer. Der 1901 im Stadtteil Moharrem Bey erbaute Tempel Green wurde 1941 beschädigt; die Stifterfamilie Green hat nichts mit England zu tun, obwohl sie im Ersten Weltkrieg als britischer Heereslieferant zu einem Vermögen kam; es handelte sich um die sephardische Familie Gherein, die ihren Namen anglisiert und vor 1914 die "Zuständigkeit" in der Gemeinde Rozgony in Oberungarn (heute Rozhanovce, Slowakei) und damit die ungarische Staatsbürgerschaft erworben hatte. Der 1910 im Viertel Glymenopoulo erbaute Tempel Jacob Sasson und der 1920 in Moharrem Bey errichtete Castro-Tempel wurden nach Bombentreffern verkauft, desgleichen die 1922 im Camp Cesar errichtete Synagoge Sharei Tefila. Vor kurzem veräußerte die Gemeinde auch den 1937 im Stadtteil Sportinfi errichteten Tempel Eliahu Hazan. Die verstaubten Geburts-, Heirats- und Sterberegister der Gemeinde stimmen nachdenklich je näher man der Gegenwart kommt, desto weniger Eintragungen. Unter denen im Band 70 des Geburtenbuchs findet sich folgende: "Lea Nadler, Tochter des Maurice Nadler und der Pauline, geborene Goldenbaum, geboren in Alexandria am 20. März 1924". Weitere Registerbände zeigen, daß diese die Enkelin eines 1881 in Safed/Zfat im damaligen Palästina geborenen Mordehai Goldenbaum ist. Die Dame ist die Gattin des früheren Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Boutros Boutros Ghali. Unklar erscheint, was mit dem Archiv der Gemeinde einmal geschehen soll. Wenn schon ägyptische Vorschriften die Ausfuhr solcher "nationaler Kulturschätze" unmöglich machen, um so mehr, als sich israelische Institutionen dafür interessieren, sollten die darin enthaltenen Informationen wenigstens elektronisch gespeichert werden. Das riesige jüdische Spital, das Altersheim, alle Schulen wurden vermietet oder verkauft. Heute besitzt die Gemeinde neben der Eliahu-Hanabi-Synagoge nur noch den nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wieder aufgebauten, aber seit langem geschlossenen Menasce-Tempel am Orabi-Platz am Anfang der Saad-Zaghloul-Straße. Die Menasces stifteten nicht nur Friedhof und Synagoge, sondern auch eine Schule, deren große Gebäude heute noch bestehen; ihr früheres Stadtpalais an der Menasce-Straße dient heute als Kulturzentrum. Synagogen und Schulen sind auf aktuellen Stadtplänen Alexandrias ebensowenig verzeichnet wie die drei Friedhöfe der Gemeinde: Nr. 1 bei der Omdurman-Säule, Nr. 2 "Menasce" in Chatby östlich der Shallalat-Gärten und der 1908 angelegte "Nr. 3" direkt östlich davon an der Suezkanal-Straße. Im Vergleich zu dem großen jüdischen Friedhof von Bassatine südlich von Kairo sind die drei Alexandriner Friedhöfe noch gut instand gehalten. Der älteste ist eine Oase der Ruhe; Grabsteine vom Ende des 19. Jahrhunderts in italienischer Sprache und 50 Jahre alte mit französischer oder deutscher Inschrift lassen die sich verändernde Zusammensetzung der Gemeinde und deren kulturelle Ausrichtung erahnen noch heute spricht die bessere Gesellschaft Alexandrias französisch. Die prachtvollsten Gräber sind auf dem Menasce-Friedhof zu finden, während "Nr. 3" noch den desolatesten Eindruck erweckt.
Der Alexandriner Gemeinde obliegt die Organisation des alljährlich am 19. Tevet (Mitte DezemberMitte Januar) stattfindenden "Mouleds des Abu Hatzira" in Damanhur, einer Stadt 50 km südöstlich von Alexandria im Nildelta, Zentrum der Baumwollindustrie Ägyptens. Hier bestand bis in die dreißiger Jahre eine kleine jüdische Gemeinde. Jacob II. Ben Masoud Abu Hatzira (18071880) war ein bedeutender Kabbalist aus Marokko, der dreimal versuchte, nach Erez Israel auszuwandern, von der jüdischen Gemeinde und der Regierung Marokkos aber daran gehindert wurde. Schließlich machte er sich auf die Reise, kam aber nur bis Damanhur, wo er starb und beerdigt wurde. Über seinem Grab inmitten des jüdischen Friedhofs ließ die Gemeinde 1897 bestand sie aus 228 Mitgliedern, 1927 nur mehr aus 53, und 1937 gab es sie nicht mehr ein Gebäude errichten, das bald zum Ziel eines "Mouleds" wurde. Ein "Mouled" ist eine Mischung aus Wallfahrt und Jahrmarkt und der des Abu Hatzira ist das einzige jüdische Volksfest in Ägypten. Heute werden die Wallfahrer, die nur für einen Nachmittag und eine Nacht aus Israel, Frankreich und Marokko anreisen, von der ägyptischen Polizei streng bewacht man möchte kein Risiko eingeben. Der letzte Mouled des Abu Hatzira fand am 17. Januar 1998 statt. In Mehalla el Kobra, Zentrum der Baumwollspinnereien im Nildelta, fand bis 1962 am 1. Ijar eine Wallfahrt zur El Ostad ('Meister') Fideil Ibn Abi Awi Haim ben Hanael El Imshati-Synagoge statt. In Mansura bestanden zwei Tempel, von denen der Tempel Cohen in den 80er Jahren als Möbellager diente. Die Stadt Tanta hatte mit Louna Botton, Chemla, Eskandarany und Mogharba gar vier Synagogen aufzuweisen, was ihre Bedeutung als jüdisches Zentrum des Nildeltas unterstrich. Auch in der Hafenstadt Damietta an der Mündung des westlichen Nilarms existierte bis Anfang des 20. Jahrhunderts eine jüdische Gemeinde, und im benachbarten Badeort Ras el Barr betrieb Aslan Cohen das "Hotel Cohen". In Kafr el Dawar und in Benha (Synagoge in der Daftarkhana-Straße) gab es ebenfalls jüdische Gemeinden. Heute erinnert nur mehr der "Mouled des Abu Hatzira" an das einst reiche jüdische Leben im Nildelta. In Port Said am Eingang des Suezkanals bestand seit dem Bau des Kanals in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts eine jüdische Gemeinde; nach 1900 gab es dort ein eigenes Viertel der Juden aus dem Yemen und Aden, während die aschkenasischen und sephardischen Juden im europäischen Viertel lebten. Zählte man um 1900 rund 400 Juden unter 40.000 Einwohnern in Port Said, ist die Zahl in der 500.000-Einwohner-Stadt heute auf eine alte Frau gesunken. Im europäischen Viertel stand bis in die 60er Jahre die Soukkat Shalom-Synagoge. Die 1911 errichtete jemenitische Ohel Moshe-Synagoge wurde 1995 abgerissen, nachdem die Gemeinde von Kairo das Grundstück verkauft hatte.
Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Ägyptens Hauptstadt Kairo ist dagegen schon 2.000 Jahre alt. Im alten koptischen Viertel, einst als Babylon, heute als Mar-Girgis bekannt, steht die Ben Ezra-Synagoge, die einzige Synagoge, die ein Ägypten-Reisender üblicherweise zu sehen bekommt. Die Synagoge ist mit der "Hängenden Kirche" auf einem römischen Stadttor der letzte Rest eines auf die Römerzeit zurückgehenden Viertels und von außen völlig unscheinbar. Zur Zeit des Nebukadnezar soll sich hier eine Jeremias-Synagoge befunden haben, die nach der römischen Eroberung Ägyptens 30 v.Chr. zerstört wurde. An deren Stelle wurde später die koptische St. Michael-Kirche erbaut, die 882 an die jüdische Gemeinde verkauft wurde. Die Synagoge ist somit 1.100 Jahre alt; der heutige Bau, gerade sorgfältig restauriert, stammt aber aus dem Jahre 1890. Berühmt wurde die Synagoge 1894 durch den Fund von 100.000 Dokumenten, der "Genisa", die nach Cambridge gebracht wurden und eine wichtige Quelle jüdischer Geschichte in Ägypten darstellen. (Siehe den Beitrag "Die Esra-Synagoge in Kairo" von Godhard Tietze in Papyrus Nr. 34/93 Anm. KFN) Über 1.000 Jahre alt ist auch der jüdische Friedhof von Bassatine. Er lag einst fern jeder menschlichen Siedlung südlich von Kairo, und noch 1906 verzeichnet ihn Baedekers Ägyptenführer weit weg von der Nilmetropole. Heute liegt er auf halbem Weg zu dem von den Bankiers Mosseri, Cattaui und Suares 1904 gegründeten Villenvorort Maadi. Nach dem Friedhof auf dem Jerusalemer Ölberg ist er der zweitälteste jüdische Friedhof der Welt, älter als das 970 gegründete Al-Kahira, und war mit vor kurzem noch 50 Hektar Fläche von gewaltiger Ausdehnung. Er wurde der jüdischen Gemeinde durch Sultan Ahmed Ibn Tulun auf Ewigkeit geschenkt; zu dessen Ratgebern gehörte Saadia Ben Youssef, die wichtigste literarische und politische Figur des ägyptischen Judentums im Mittelalter. Der Friedhof bestand bis vor rund 30 Jahren aus zwei Teilen, die der rabbinischen und der karaitischen Gemeinde Kairos gehörten. Vom karaitischen Teil sind nur zwei Mausoleen übriggeblieben, da die Karaiten ihren Teil an die Bewohner verkauften, die sich damals im Friedhof illegal niedergelassen hatten. Im rund 25 Hektar großen rabbinischen Teil finden sich die Ruhestätten zahlreicher berühmter ägyptischer Juden, so des Architekten Ibn Killis, der die berühmte Al Azhar-Moschee errichtete. Heute ist der Friedhof durch eine Umgehungsautobahn weiter verkleinert worden. In den Mausoleen am Rande des Friedhofs haben sich illegale Siedler niedergelassen. Über dem Grab des vorletzten Oberrabbiners von Kairo und Senators des Königreiches Ägypten, Chaim Nahum Effendi (18721960), schnattern Truthähne und Hühner, daneben lebt eine vielköpfige Familie. Das Bewohnen von Mausoleen hat indes Tradition, und so lebt auch in den islamischen Friedhöfen, einst am Rande Kairos gelegen, rund eine Million Menschen. In den 60er Jahren wurden die Gräber Bassatines ihrer Marmorverkleidung beraubt; am Rande des Friedhofs ließ sich Kairos marmorverarbeitende Industrie nieder. Heute gibt es schon lange keine Marmorplatten mehr zu entfernen, und nur Gräber aus Sandstein und Granit haben überlebt. Was für Europäer befremdlich wirkt, geschieht im Nilland seit Jahrtausenden; in Sichtweite des jüdischen Friedhofs liegt am westlichen Nilufer die bedeutendste Grabanlage der Welt, die Pyramiden von Gize. Auch sie wurden ihrer Verkleidung beraubt, um vor tausend Jahren als billiges Material für den Bau Kairos benutzt zu werden. Die Wiederverwertung von Grabmälern ist also kein neues Phänomen. Das Fehlen nahezu aller Inschriften auf Tausenden Einzelgräbern stellt die jüdische Gemeinde heute vor das Problem, die Gräber nicht mehr identifizieren zu können. Dem Eindringen weiterer Unterstandsloser hat Frau Carmen Weinstein, Präsidentin der "Sauvegarde du Cimetière Juif de Bassatine au Caire, Egypte", durch den Bau einer hohen Mauer Einhalt geboten; ein ehemaliges Mausoleum, lange Zeit als Autowerkstätte verwendet, konnte von seinem illegalen Inhaber zurückerlangt werden und dient heute als kleines Museum; hier zeigen einige alte Fotos, wie sehr sich Friedhof und Umgebung zu ihrem Nachteil verändert haben. Außerhalb der Mauern liegen die einst prachtvollen Mausoleen der Familien Cattaui Pascha und Adès; die Cattaui waren Bankiers und kontrollierten den Baumwoll- und Zuckerrohranbau, die Adès besaßen in Ägypten einige Kaufhäuser. In wesentlich besserem Zustand befinden sich die Gräber und Mausoleen des Mosseri-Friedhofs, der von einer Mauer umgeben ist und von einem Wächter (ghaffir) betreut wird; hier liegen aber nicht nur Mosseris, sondern auch andere Angehörige der mit diesen verwandten jüdischen Oberschicht Ägyptens begraben. Die sephardische jüdische Gemeinde Kairos lebte seit dem 11. Jahrhundert im Haret al Yahud, einem heute dichtverbauten Gebiet zwischen den Bazaren der Muski Straße und des Khan el Khalili-Viertels, einem der üblichen Fixpunkte von Touristen. Heute lebt in dem alten Judenviertel nur mehr eine alte Frau. Drei Synagogen haben aber allen Wirren der Zeit und der chaotischen Bautätigkeit widerstanden. Sie teilen ein gemeinsames Schicksal mit zahllosen anderen mittelalterlichen Baudenkmälern Ägyptens sie sind alle baufällig. Die älteste Synagoge des Viertels ist die Rab Moshe, die an den in Kairo wirkenden Philosophen Moses Maimonides (11351204) erinnert. Das Dach der Synagoge stürzte zu Rosh Hashana 1973 ein und wurde bislang nicht wiederhergestellt. Daneben befindet sich das Gebäude, in dem Maimonides lebte und auch aufgebahrt war, bevor sein Leichnam nach Tiberias überführt wurde. Dort steht ein Brunnen, dessen Wasser wundertätige Wirkung zugeschrieben wird. Auch der ägyptische König Fuad I. soll von diesem Wasser getrunken haben und ließ als Dank den Brunnen mit Marmor auskleiden. Die Synagoge des Rabbi Haim Capoussi wurde 1631 errichtet. Die dritte Synagoge, Hoch Mosseri, wurde 1905 an der Stelle des Geburtshauses des Bankiers Nessim Mosseri errichtet. Dort befanden sich auch der alte Sitz des Rabbinats von Kairo und die Rabbi Shimon Bar Yohai-Schule. Beide Synagogen sind Touristen nicht zugänglich. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts etablierten sich die ersten Juden, die es zu Vermögen gebracht hatten, wie Jacoub Cattaui Bey, sarraf (Schatzmeister) des Khediven Ismail, außerhalb des Judenviertels und ließen sich in dem westlich der Oper in Richtung Nil entstehenden neuen Stadtviertel Ismailia nieder. Das heutige Zentrum Kairos verdankt denn auch seine Entstehung nicht zuletzt einigen jüdischen Familien, die, den Wünschen des nach dem Vorbild von Paris großzügig den Umbau des mittelalterlichen Kairos in eine moderne Metropole planenden Khediven Ismail entsprechend, ihr Kapital in den Bau ganz neuer Stadtteile investierten. Später verlagerten die Suares, Mosseri und Cattaui ihre Aktivitäten nach Süden. Zur Veranlagung der Gewinne ihrer "Egyptian Delta Light Railways" gründeten sie 1904 die "Egyptian Delta Land Investment Company", die nicht im Delta, sondern südlich von Kairo die "englische Gartenstadt" Maadi errichtete. Maadi war zwar nicht architektonisch, aber von der Zusammensetzung der Bewohner her ein "jüdisches Schtetl". Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts ließen sich zahlreiche aschkenasische Einwanderer aus Osteuropa in Kairo nieder, und 1865 wurde die Jüdische Aschkenasische Gemeinde gegründet. Die Neuankömmlinge wohnten im Viertel Darb el Barabra (Viertel der Barbaren), das sich westlich ans Haret el Yahud anschloß. Es vermittelte noch vor 50 Jahren den Eindruck eines Schtetls in Galizien. Gerne gesehen waren die Einwanderer bei den sephardischen Mitbrüdern nicht; 1895 intervenierte Baron Jacques de Menasce bei der ägyptischen Regierung gegen den Zuzug von Juden aus Rußland, da dies nur zum Ansteigen der Zahl der Armen fuhren würde. Dabei zählte die Gemeinde 1897 gerade 11.608 Mitglieder. Die Intervention blieb ohne Erfolg. Die jüdische Gemeinde wuchs hauptsächlich durch Einwanderung aus Osteuropa stark an und zählte 1907 genau 20.281 und 1937 schon 34.000 Mitglieder. Der Nationalsozialismus führte zu einer Einwanderung aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei, und Ägypten nahm die jüdischen Flüchtlinge auf. 1947 hatte die Gemeinde in Kairo mit 41.960 Personen den Höhepunkt erreicht. 1955 wurde die Gemeinde wie auch die von Alexandria indirektes Opfer der fehlgeschlagenen israelischen Geheimdienstaktion, durch Anschläge gegen britische und US-Einrichtungen in Ägypten Nasser zu diskreditieren. Die "Lavon-Affäre" hatte den Nebeneffekt, daß die bis dahin unbehelligten jüdischen Gemeinden an Auswanderung dachten. Im Darb el Barabra steht die einzige aschkenasische Synagoge in Ägypten, ja vermutlich der ganzen arabischen Welt. 1945 bei antizionistischen Unruhen zerstört, wurde sie 1950 dank Unterstützung des Juweliers Liscovitch wiedererrichtet, war aber nur mehr bis um 1960 in Verwendung. Diese Synagoge an der "Hoch el Hine" befindet sich direkt hinter dem Textilgeschäft "mm" an der Armee-Straße (sharia el geish). Besucher tun gut daran, sich vorher mit Frau Weinstein, die den Schlüssel verwahrt, in Verbindung zu setzen die Polizisten der "Touristen- und Antikenpolizei" verwehren sonst den Zugang. Baulich ist die jüngste Synagoge Kairos in gutem Zustand, wenn auch im Innern sehr verstaubt. Am Haus des Wächters fällt eine alte Tafel auf, der zu entnehmen ist, daß in Kairo auch ein "Yiddischer Literarischer und Dramatischer Zirkel" bestanden hat. Wer hätte in Kairo dergleichen vermutet? Auch eine Yiddische Zeitung und Yiddisches Theater gab es bis Ende der 40er Jahre. Seit 1936 erschien in Kairo die Wochenzeitung "La Tribune Juive" und in Arabisch "Al Chams" (Die Sonne). Im Stadtteil Ismailia steht in der Adly-Straße 17 die einzige noch geöffnete Synagoge Kairos Shaar Hashamaim (Tor des Himmels), 1905 vom Wiener Architekten Eduard Matasek (18671912) und seinem Kairoer Partner Maurice Cattaui im Wiener Jugendstil errichtet. Das Land hatte nach der geglückten Gründung von Maadi Victor Mosseri Bey gestiftet. Sie konnte 1981 dank Spenden des Genfer Hoteliers Nessim Gaon und des Sephardischen Weltbundes restauriert werden. Die meisten Synagogen finden sich im Stadtteil Abbasia, wo auf Nr. 25 Sabil al Khazindar die 1927 errichtete karaitische Synagoge steht unweit des Rabbinats. Im Jahre 1900 stiftete die Familie Hanan die Etz Haim (Hanan)-Synagoge in Qantaret Ghamrah Nr. 3. Im Sakakini-Viertel stehen in der Ibn Khaldoun-Straße 9 der große Pahad Ishak Kraiem-Tempel, 1932 von Zaki Kraiem gestiftet und in der Madaris-Straße 9 die 1890 erbaute Neveh Shalom-Synagoge. Im Stadtteil Daher, Al Koua-Straße 4, finden wir den 1894 errichteten Nessim Eshkenazi-Tempel und im Vorort Heliopolis den Tempel Vitali Majdar in der Missalah-Straße 3. Die drei Synagogen im alten Judenviertel und auch die neueren Synagogen in downtown-Kairo und anderen Stadtvierteln scheinen meist in keiner Reiseliteratur auf, sind ägyptischen Reiseführern nicht bekannt und werden von Touristen kaum aufgesucht. Anderer einst jüdischer Besitz ist bei einer Nilfahrt zwischen Kasr el Nil-Brücke und Maadi für jedermann leicht während eines Mittagessens zu sehen; die prachtvollen Villen und Palais am linken Nilufer in Giza, zwischen Sheraton-Hotel und Universitätsbrücke, gehörten einst den Mosseri (Residenz des Russischen Botschafters), dem Eisen- und Straßenbahnkönig Suares (heute ein Museum moderner Kunst), dem Geschäftsmann Castro (Residenz von Präsident Sadat), dem Hofjuwelier Meyer Elyakim oder dem ersten "slumlord" Luzzato Pascha aus Gradisca d'Isonzo bei Triest ein späterer Besitzer war der Kaufhauskönig Cicurel. Sie alle zeugen von der Stellung, welche diese Familien einst einnahmen. Neben den Prachtvillen am Nilufer erinnern heute in downtown-Kairo noch einige Kaufhäuser sowie vereinzelte Firmenschilder an die im Geschäftsleben einst so aktive jüdische Gemeinde. Die Kaufhäuser "Cicurel", "Benzion", "Adès", "Chemla" sind längst verstaatlicht worden; der Ataba El Khadra-Platz ("Grüne Schwelle") wird von einem mehrstöckigen Gebäude beherrscht, das eine Kuppel, auf der vier Herkules-Statuen den Globus halten, aufweist; die Aufschrift "Tiring" darunter wird meist für Kairos "only practical joke" gehalten, erinnert aber an das Wiener Textilkaufhaus "Victor Tiring & Brüder"; die ebenfalls aus der Donaumetropole stammenden "Salomon Stein" und "Albert Mayer" beherrschten mit zahlreichen Niederlassungen in Ägypten vor 1914 den Konfektionsmarkt. In der 26. Juli-Straße weist eine Tafel in Französisch, Russisch und Arabisch auf die "Zahnarztpraxis Dr. Victor Blombergs" hin; der Optikerladen "Davidson & Regenstreif" am Ezbekiya-Park gehört längst Ägyptern. Die 1919 gegründete Druckerei M.B.Weinstein in der Sherif-Pascha-Straße 28, heute von Carmen Weinstein geleitet, produziert die besten Visitenkarten und Einladungen Ägyptens und zählt viele Diplomaten zu ihren Kunden. Ein Besuch ihrer kleinen Druckerei lohnt wo sonst findet man in unserer Computerzeit noch Druckmaschinen aus Deutschland, die seit 60 Jahren anstandslos Dienst versehen. Im August 1996 kam es in der kaum 70 Köpfe zählenden jüdischen Gemeinde von Kairo zu einer kleinen Revolution. Während der seit 1988 amtierende Präsident, Jacques Rousseau, ein ehemaliger Bankdirektor, im Ausland weilte, übernahmen die Frauen die Macht. Rousseau, dessen erstes Anliegen das Altersheim und nicht der Denkmalschutz war, fiel vor allem durch den Verkauf der Ohel-Moshe-Synagoge in Port Said auf, ein Versuch, einen Teil des Areals der Meir Biton-Synagoge in Maadi zu verkaufen, wurde von der ägyptischen Presse verhindert. Erstmals wurde mit Esther Weinstein, Witwe des Druckereibesitzers M.B.Weinstein, eine Frau zur Präsidentin gewählt. Ihr zur Seite steht ihre Tochter Carmen Weinstein als "Public Relations Manager". Daneben sind noch zwei weitere Frauen im Vorstand, so daß der Vorstand der Gemeinde heute wohl schon ein Sechstel der Gemeindemitglieder umfaßt. Carmen Weinstein amtiert in den Räumen der "Jewish Community of Cairo", 13 Sabil El Khazindar Straße, Abbasia. Der Besucher sollte sich durch das Schild "Grand Rabbinat" nicht täuschen lassen, ein Oberrabbiner amtiert hier schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Ihr Büro befindet sich in einem großen Gebäudekomplex, der 1927 in Abbasia erbauten jüdischen Schule, einem Stadtviertel, das schon bessere Zeiten gesehen hat. Frau Weinstein hat jedenfalls frischen Wind in die Gemeinde gebracht das Büro wurde gerade ausgemalt. Ihr wichtigstes Anliegen ist die Rettung des Friedhofs von Bassatine; sie gibt ein eigenes Mitteilungsblatt, "Bassatine News", heraus und beschäftigt einen Anwalt, um die Mausoleen von illegalen Bewohnern freizubekommen. In Maadi ließ Meir Yehuda Biton 1934 durch den Architekten Isaac Kipnis die nach ihm benannte Synagoge auf Nr. 55 in der 13. Straße erbauen. Da sich in Maadi die Residenz des israelischen Botschafters in Ägypten befindet und auch zahlreiche israelische Diplomaten dort leben, kehrt zu hohen jüdischen Festtagen wenigstens fallweise in die Biton-Synagoge noch jüdisches Leben ein. Südlich von Maadi liegt Helouan, früher als "Helouan les Bains" bekannt. 1871 vom deutschen Arzt Wilhelm Rey-Bey als Luftkurort und Schwefelheilbad gegründet, war es einst weltberühmter Winteraufenthalt und durch eine 1889 von Moise, Cattaui, Jacques de Menasce und Felix Suares erbaute Eisenbahn vom 32 km entfernten Kairo leicht erreichbar. Auch hier bestanden eine kleine jüdische Gemeinde und eine Synagoge. Nasser ließ im Kurort Stahlwerke und Zementfabriken bauen heute ist der Himmel verdunkelt. Touristen, die noch weiter nach Süden reisen, stoßen in Assuan wieder auf jüdische Spuren. An der Corniche, der Promenade am Nilufer, steht das Kaufhaus "Benzion" und auf einer kleinen Insel westlich von Elephantine, heute in das Hotel des "Club Med" integriert, die Villa Adda Pascha, vor dem Zweiten Weltkrieg errichtet von der Familie der Alexandriner Bankiers, Geschäftsleute und Industriellen.
Zusammenfassend bietet die Betrachtung der jüdischen Gemeinden von Kairo und Alexandria ein trauriges Bild. Beide Gemeinden sind überaltert, ein Teil der Gemeindemitglieder lebt im jüdischen Altersheim von Kairo-Heliopolis bzw. dem deutschen und italienischen Altersheim in Alexandria. Die Gemeinden sind arm und reich zugleich. Arm an reichen Mitgliedern die Mosseri, Cattaui, Suares, Menasce, Rollo und andere haben Ägypten in den Jahren der Herrschaft eines Gamal Abdel Nasser in Richtung New York, London, Paris oder Genf verlassen; reich sind die Gemeinden an armen Mitgliedern, die der Unterstützung durch jüdische Hilfsorganisationen meist aus den USA bedürfen, denn geblieben ist der nicht so begüterte Rest. Die Gemeinden verfügen zwar über erheblichen Grundbesitz in Form von Mietshäusern, Schulen und Spitälern, diese sind aber durch das Einfrieren der Mieten unter Nasser auf dem Niveau von Mitte der 50er Jahre und dank Mieterschutz zu lächerlichen Mieten meist an staatliche ägyptische Institutionen vermietet. Die zahlreichen Synagogen stehen nur eine finanzielle Belastung dar und kontrastieren auffällig zur Kleinheit der jeweiligen Gemeinden. Unterstützung für den weiteren Bestand der Synagogen kommt, wenn überhaupt, nur aus dem Ausland. Die ägyptische Antikenbehörde, welcher diese Bauwerke einst zufallen werden, ist nicht einmal in der Lage, dem Verfall von Hunderten mittelalterlichen Moscheen in Kairos Altstadt Einhalt zu gebieten. Ihr Beitrag beschränkt sich darauf, vor die Synagogen uniformierte Angehörige der "Tourist and Antiquities Police" zu stellen. Auch die Friedhöfe sorgen für Arbeit und Kosten, denn Wächter wollen bezahlt werden. Hier hat es die Alexandriner Gemeinde mit ihren drei, in relativ gutem Zustand befindlichen Friedhöfen leichter als die Gemeinde von Kairo, deren Friedhof als Marmorbruch mißbraucht wurde. Die Zukunftsaussichten für beide Gemeinden sind schlecht, und es zeichnet sich ab, daß sie den Weg der Gemeinden im Nildelta und am Suezkanal gehen werden. Die letzte jüdische Hochzeit in der Synagoge von Alexandria liegt auch schon 20 Jahre zurück, und als vor drei Jahren der Sohn des damaligen Präsidenten der Kairoer Gemeinde heiratete, handelte es sich um eine islamische Hochzeit. Heute dürfte die Zahl in Kairo lebender ausländischer Studenten, Experten, Manager, Geschäftsleute und Diplomaten jüdischen Glaubens die der Gemeindemitglieder weit übersteigen, und ohne deren Mitwirkung käme abgesehen vom Rabbiner, der aus Israel eingeflogen werden muß ein Gottesdienst in der Kairoer Shaar Hashamaim-Synagoge, der ohnehin nur zu hohen Festen stattfindet, gar nicht mehr zustande. Reich sind beide Gemeinden nicht nur an Synagogen, sondern auch an Thora-Rollen. Im Schrein der Alexandriner Eliahu Hanabi-Synagoge, wo die aus allen längst nicht mehr bestehenden Alexandriner Synagogen verwahrt werden, konnte der Autor über 50 zählen, womit bald auf jedes Gemeindemitglied eine Thora-Rolle entfiele. Der große Bestand an Thora-Rollen aus den längst geschlossenen Kairoer Synagogen hat jüngst in New York die Vereinigung "Atra Kadisha" auf den Plan gerufen, einen Großteil der Sefer Thora nach New York zu schaffen. Dem stehen aber ägyptische Gesetze über den Schutz nationalen Kulturguts und die Entschlossenheit von Frau Weinstein gegenüber, einen derartigen "Ausverkauf" nicht zuzulassen. Das Schicksal der Thora-Rollen und der Archive scheint vorgezeichnet sie werden nach dem Aussterben der Gemeinden in vielleicht 20 Jahren als ägyptisches Kulturerbe irgendwo in einem Magazin oder Ägyptens Staatsarchiv verstauben, was bedauerlich wäre. Die Register der Gemeinden sind wertvolle Quellen der jüdischen und der ägyptischen Geschichte der letzten hundertfünfzig Jahre. Nachdem die voluminösen Folianten nicht außer Landes gebracht werden dürfen, erschiene es sinnvoll, die Daten auf Computer zu speichern. Da die vorrangig daran interessierten israelischen Historiker aus politischen Gründen ausscheiden, böte sich hier ein lohnendes Betätigungsfeld für die deutsche "Aktion Sühnezeichen" oder den österreichischen "Gedenkdienst". Unter einem leiden beide Gemeinden nicht Antisemitismus mitteleuropäischer Prägung ist in Ägypten ein Fremdwort, Schmierereien auf Synagogen und Grabmälern sind unbekannt. Im Lande am Nil unterscheidet man säuberlich zwischen "Juden" und "Zionisten"; die Rolle der Juden und des jüdischen Kapitals im Ägypten vor 1952 wird heute im sich in einem wirtschaftlichen Reformprozeß befindlichen Ägypten wieder objektiver gesehen. Fallweise tauchen in Zeitungsartikeln auch die lange Zeit totgeschwiegenen jüdischen Unternehmer wieder auf, die vor 100 Jahren die wirtschaftliche Entwicklung des Landes maßgebend beeinflußten durch Anlage von Baumwoll- und Zuckerrohrplantagen, Bau von Eisenbahnen, Gründung von Banken und Anlage ganzer Stadtteile. Die jüdischen Millionäre wußten im Gegensatz zu heutigen ägyptischen Multimilliardären jedenfalls, daß man mit Reichtum verantwortungsvoll umzugehen hatte. Sie stifteten nicht nur Synagogen, sondern wie Jacoub Cattaui Bey 1881 der österreichisch-ungarischen Kolonie das alte Kronprinz-Rudolf-Spital von Kairo und Moise Cattaui 1908 das neue Rudolf-Spital sowie 1920 die M. Cattaui-Schule, in der Sakakini-Pascha-Straße in Kairo. Die Familie Mosseri stiftete ein Spital in Kairo, die Familie Menasce eine jüdische Schule in Alexandria. Heute verstehen sich ägyptische Multimilliardäre eher als Großimporteure deutscher Luxuslimousinen und zeigen ihren Reichtum auch gerne, womit wir aber schon vom Thema abgekommen und bei den sozialen Problemen des modernen Ägypten gelandet sind... Die jüdische Präsenz am Nil ist unwiederbringlich dahin, weniger durch Antisemitismus, Zionismus oder als Folge der Kriege von 1948, 1956 und 1967, sondern in erster Linie durch Nassers Wirtschaftspolitik, die dem jüdischen Wirtschaftsleben ein Ende bereitete. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, wird auch das Kapitel der jüdischen Gemeinden in Alexandria und Kairo bald geschlossen sein. Kontaktadressen:
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"Die jüngste Vergangenheit ausgegraben"
Nr. 56/98, pp. 3132 Am 29. September 1940 waren "alle Juden Ägyptens" aufgerufen, in einem außerordentlichen Gottesdienst zu beten, damit Gott Ägypten vor den Flammen des Krieges, der im Westen, Norden und Osten des Landes wütete, behüten möge. Laut des in Arabisch und Hebräisch verfaßten Schriftstücks, das im Islamischen Museum aufbewahrt wird, war der Gebetsaufruf auf Geheiß König Farouks veröffentlicht worden. Das Dokument erwähnt, daß die Muslime am 15. Shaaban, einem islamischen Festtag, beteten, und die Juden einlud, das gleiche am Yom Kippur zu tun dem jüdischen Versöhnungstag. Das Dokument ist nur eines einer Kollektion von mehr als 200 Papieren, die alle aus der Zeit vom Ende des 19. Jahrhunderts bis 1960 datiert sind und sich mit Aspekten jüdischen Lebens in Ägypten befassen, einschließlich der Erziehung, religiöser Verehrung sowie finanzieller und sozialer Angelegenheiten. Es war im November 1987, als Arbeiter bei routinemäßigen Säuberungsarbeiten auf dem Mosseri-Friedhof in Bassatin auf einen Raum stießen, der einer ehemals einflußreichen, jüdischen Familie gehört, in dem Mengen geistlicher Bücher und weltlicher Dokumente aufbewahrt waren. "Diese Dokumente werden sorgfältig auf ihre Echtheit untersucht", berichtete Mohsen Rabie, Leiter der Abteilung für jüdischen Antiquitäten im Supreme Council of Antiquities (SCA), der Al-Ahram Weekly. Die Schriftstücke seien von größtem Interesse und schlössen Petitionen, Urkunden, Schenkungen, Einladungen zu Festen sowie literarische Bücher ein und berichteten über kulturelle, soziale und religiöse Aktivitäten. "Sie beweisen" sagte Rabie, "daß von Juden in Ägypten auch in jüngerer Zeit Geniza das Erhalten bzw. Aufbewahren jüdischer Dokumente in einer Synagoge oder einem Friedhof praktiziert wurde. Schon die Bezeichnung Geniza weist auf den Ort hin, an welchem die Dokumente aufbewahrt werden." Rabie und andere Experten der jüdischen Geschichte scheinen diesen Dokumenten große Bedeutung beizumessen, denn "es ist das erste Mal, daß Genizaschriftstücke von ägyptischen Wissenschaftlern erforscht und veröffentlicht werden." Anders als andere in Ägypten entdeckte Geniza-Dokumente, die den Zeitraum von 969 bis 1538 umspannen, "befassen sich die Gefundenen mit der neueren Geschichte der jüdischen Gemeinde", sagte Prof. Mohamed Hassan Khalifa, Leiter des Centers für Orientalische Studien an der Universität Kairo. Das Center hat eine eigene Abteilung zur Erforschung der neuen Dokumente errichtet. Seine Experten haben den ersten Katalog der Geniza-Papiere erstellt und publizieren ihn in arabischer Sprache. Der 78 Seiten umfassende "Catalogue of Latest Geniza Documents and Papers" führt eine Reihe von Einladungen, literarischen Büchern, Bitten und Beschwerden auf. Außerdem enthält er z.B. auch Warnungen vor Käufen bei gewissen Metzgern, die nicht die Regeln für koscheres Essen beachten. Aus einer Anzeige aus dem Jahre 1949 ist zu erfahren, daß zum "Tag der Geniza" alle Gebetbücher an einen bestimmten Ort in Bassatin gebracht werden sollen. "Die Juden hatten ihre eigenen Orte und Traditionen, aber sie lebten nie in Ghettos. Ghettos existierten nur in Europa, aber nicht in Ägypten und nicht in anderen arabischen Ländern. Die Juden waren in das sozialen Gefüge der ägyptischen Gesellschaft integriert", sagte Rabie. Und wie um seinen Standpunkt zu untermauern, zitierte er eine von der orthodoxen jüdischen Jugend herausgegebene Zeitung, in der vom Besuch des "Präsidenten Mohamed Naguib in der Synagoge der Karaitischen Juden am 25. November 1952" berichtet wird. Rabies Behauptung wird auch durch ein weiteres Papier bestätigt, aus dem hervorgeht, daß sich ein ägyptischer Jude bei den Parlamentswahlen aufstellen ließ. Selbst die persönliche Notiz über ein Treffen zwischen einem Mann und seiner Freundin vor dem Caféhaus L'Amencaine in der Innenstadt, festigt seinen Standpunkt. Andere Dokumente zeugen von einer Zeit arabisch-jüdischer Spannungen oder reflektieren über die Folgen solcher Spannungen. Wiederum ein anderer in arabischer Sprache geschriebener Brief fordert die jüdische Gemeinde dringend dazu auf, für die Juden in Palästina Geld zu spenden und gibt klare Anweisung, daß die Spenden in palästinensischer Währung, dem Palästina-Pfund gezahlt werden sollen. Ein 1886 datiertes Dokument in hebräischer Schrift ist ein Brief eines Zionisten, in dem er anderen Juden die Auswanderung nach Zion, wo immer das sein werde, dringend empfiehlt. "Während unserer Forschungen stießen wir auf eine Reihe von Unterlagen, die mit zionistischer Propaganda beschrieben werden kann. Einige von diesen geben auch die politischen Strömungen innerhalb der jüdischen Bevölkerung jener Zeit wieder", sagte einer der Wissenschaftler. Auf die Frage nach der Existenz eines Planes, der die Juden Ägyptens gezwungen hätte, nach Palästina auszuwandern, sagte Khalifa: "Abgesehen von persönlichen Briefen, gibt es kein Anzeichen dafür in den Dokumenten." In der Hoffnung, daß noch mehr Aufzeichnungen gefunden werden, plant die Abteilung für jüdische Altertümer der SCA, auch noch andere jüdische Friedhöfe in Heluan und Alexandria zu durchforsten. Dabei geschieht die Untersuchung jüdischer Gräber und Synagogen im Einverständnis mit der jüdischen Gemeinde in Ägypten und deren Leiterin, Frau Ester Weinstein. Aber, so sagte Rabie, das SCA werde dem Angebot der Wiederherstellung oder Erforschung jüdischer archäologischer Gebiete durch Israeli nicht zustimmen. Israel hat auch zur Restaurierung jüdischer Denkmäler Geld angeboten, aber aus einer Quelle im Kultusministerium weiß man, daß auch dieses Angebot abgelehnt worden ist. "Die Synagogen und Gräber gehören zum ägyptischen Erbe wie die Moscheen und Kirchen. Restaurierungs- und Forschungsarbeiten sollten daher mit ägyptischen Mitteln getan und von der ägyptischen Regierung bezahlt werden", sagte Rabie.
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Die Esra-Synagoge in Kairo
Nr. 34/93, pp. 5559 Nahe der Sergius-Kirche in Alt-Kairo findet man, wendet man sich vor der Kirche St. Barbara nach rechts, ein paar Schritte weiter an der alten Stadtmauer die "moderne Synagoge esch-Schamjôm oder Kenîset Eliâhu, in der nach der Legende Elias erschien und in der man auch die Stelle zeigt, wo Moses gebetet haben soll". So liest sich's in der siebenten Auflage von Karl Baedekers Handbuch für Reisende 'Ägypten und Sûdân' von 1913 auf Seite 103. Was Baedeker 'modern' nennt, war 25 Jahre vor dem Erscheinen des Reiseführers zusammengefallen und im Jahre 1890 wieder neu hergerichtet worden vor nunmehr über einhundert Jahren. Heute ist der 10 m mal 20 m große Bau unter dem Namen Esra-Synagoge bekannt. Esra, weil behauptet wurde, ein Exemplar des von Esra, dem Referenten für Judenfragen unter Artaxerxes (405359 v.Chr.) verfaßten alttestamentarischen Buches 'Esra' befände sich in der Synagoge, deren Geschichte und die ihrer 'Genisa', ihrer 'Rumpelkammer' kurz vermeldet werden soll. In dem ehemals römischen Stadtviertel Qasr ash Sham'a gab es nahe dem 641 n.Chr. gegründeten Fustat sechs koptische Kirchen: die Moallaqa, St. Sergius, St. Georg, Maria, St. Barbara und St. Michael. Der Abbassidenkalif Ahmed Ibn Tulun, 835 in Baghdad geboren, regierte als Stadthalter in Ägypten von 868 bis 883/4. Arm wie eine Kirchenmaus soll er nach Ägypten gekommen sein (eigentlich müßte man ja treffender 'arm wie eine Moscheemaus' sagen). Und er galt als unbestechlich. Er muß ein Finanzgenie gewesen sein, denn als er starb, hinterließ er neben Tausenden von Gardesoldaten, Sklaven und Hunderten von Pferden auch zehn Millionen Dinare in der Staatskasse, die er "nicht durch Erpressung des Steuerzahlers, sondern durch eine bessere Verwaltung der öffentlichen Mittel" (Volkoff, S. 44) zusammenbekommen hatte. Na ja. Jedenfalls hatte er vom koptischen Patriarchen Michael (875 bis 901) sozusagen als Solidaritätsabgabe 20.000 Dinare gefordert, um sein Militärbudget aufzustocken. Michael sah sich gezwungen, im Jahre 882 kircheneigene Liegenschaften an die Juden zu veräußern. Dazu gehörte die St. Michael-Kirche. So ist also die Esra-Synagoge jetzt 1.110 Jahre alt. Der interessantere Teil der Synagoge ist die schon erwähnte 'Rumpelkammer', ein kleiner fensterloser Raum (es gibt ihn heute nicht mehr), dessen Inhalt "aus einer großen Masse von Handschriftenfragmenten und gedruckten Büchern, Dokumenten und Briefen bestand, welche dort seit Jahrhunderten aufgespeichert waren" (Kahle, S. 4). Es handelt sich dabei nicht um ein Archiv, eher um eine Ruhekammer, in der alle Sorten von Geschriebenem und Gedrucktem ungestört aufbewahrt wurden. Die Juden "fürchteten, daß solches Material, auf dem vielleicht der Name Gottes geschrieben sein mochte, durch unpassende Verwendung profaniert werden könnte; dasselbe wurde dann von Zeit zu Zeit an einem geweihten Ort vergraben und ging so zugrunde" (Kahle, S. 4). Die Genisa der Kairoer Synagoge war wohl vergessen worden. Und als man wieder wußte, was sich in dem Raum befand, "machten die Leiter der Synagoge die interessante Entdeckung, daß es Leute gab, die durch das alte Material angezogen wurden und geneigt waren, für diese Fetzen schmutzigen Papiers und Pergaments bedeutende Geldsummen zu zahlen, ja daß sogar berühmte Universitäten daran interessiert waren" (Kahle, S. 4). So brachte im Jahre 1864 der Reisende Jakob Saphir einige Blätter mit. Der Karäer A. Firkowitsch, ein Handschriftensammler von etwas zweifelhaftem Ruf, hatte eine umfangreiche Menge seines Materials aus der Kairoer Genisa. Diese Handschriften sind jetzt Bestandteil der Russischen öffentlichen Bibliothek in St. Petersburg. 1890 tauchten Manuskripte und Fragmente im Handel auf und wurden nach Europa verkauft (British Museum, Budapest, Paris, Frankfurt am Main, Straßburg), aber auch nach Philadelphia. Vor allem aber nach Cambridge. Zwei Schottinnen, Agnes Smith Lewis und Margaret Dunlop Gibbon, hatten ebenfalls Fragmente gekauft. Eines davon war ein Pergamentblatt mit einem Text aus dem Jerusalemer Talmud, dem älteren Hauptwerk der jüdischen Glaubenslehre; ein anderes, ein Papierfragment, enthielt einen Teil des hebräischen Textes der "Weisheit des Jesus ben Sira". Die "Weisheit" war um 200 v.Chr. in Hebräisch verfaßt worden, aber bis zum Zeitpunkt des Handschriftenfundes nur durch eine griechische Übersetzung bekannt. Ein solcher Fund machte natürlich Aufsehen, und man beschloß, soviel Material wie möglich nach Cambridge zu bekommen. Der damalige Reader in Talmudic Studies, Solomon Schechter, wurde beauftragt, nach Kairo zu reisen. Finanziell unterstützt durch Dr. Charles Taylor und mit einem Empfehlungsschreiben an den damaligen Kairoer Oberrabbiner, Rafail b. Schimon, versehen, erhielt Schechter "die Erlaubnis die genisa zu betreten und alles, was er wollte, daraus mitzunehmen" (Kahle, S. 10). Schechter nahm die geschriebenen Texte und Textteile, die gedruckten ließ er zurück. Alles in allem brachte er etwa 100.000 Fragmente mit nach Cambridge. Man schätzt, daß insgesamt 200.000 Fragmente in der Genisa waren, berücksichtigt man die anderen, zum Teil recht umfangreichen Sammlungen. Insgesamt befinden sich in Cambridge etwa 180 große Kartonkästen mit Material, manches davon gebunden. Zusätzlich sind etwa 1.800 besonders wertvolle Pergament- und Papierfragmente zwischen Glas aufbewahrt. Es gibt: biblische Texte, Bibelversionen in verschiedenen Sprachen, Kommentare, Talmudtexte, Texte von Maimonides, liturgische Texte, Briefe, Rechnungen, Verzeichnisse, historische Schriften, Amulette, Kalender, Kinderbücher, Wörterbücher, Grammatiken, kabbalistische Texte, Texte über Medizin, Magie und Zauberei, Namenslisten, Dichtung, polemische Texte, arabische Fragmente, mathematisch-naturwissenschaftliche Texte und Kommentare. Die wissenschaftliche Sichtung, textkritische Untersuchung und sprachliche Analyse des Materials hilft, die Geschichte des hebräischen Bibeltextes und seiner Übersetzungen zu erforschen. Ganz zu schweigen von den kulturgeschichtlichen Stimmen, die aus diesen Texten zu uns sprechen. Der für uns überraschendste Fund ist aber eine Handschrift, die auch in der Genisa der Esra-Synagoge aufbewahrt wurde. Es ist dies eine in deutscher Sprache, aber in hebräischen Kursivbuchstaben niedergeschriebene Handschrift. Sie wird heute, wie viele der Genisa-Fragmente, in der Universitätsbibliothek Cambridge als Cambridge Kodex T.S.10.K22 aufbewahrt. Die Handschrift enthält ein Datum: 3. Kislev 143 (nach der 'Kleinen Zählung', d.h. ohne die Tausender). Das ist der 9. November 1382. Schriftvergleiche mit anderen Handschriften der Zeit haben dies Datum als echt bestätigt. Auf den 42 Blättern befinden sich vier religiöse Texte: über die Himmelfahrt des Moses; 'Gan Eden' über das Paradies; 'Abraham Avinu' eine Geschichte aus der Kindheit Abrahams; 'Iosef Hassadiq' die Geschichte von Joseph und der Frau des Potiphar und eine Fabel über einen alten hoffärtigen Löwen. Der längste Teil (22 Blätter) enthält den "Dukus Horant", das Spielmannslied von der Werbung des Herzogs (Dukus = Dux) Horant um Hilde. Es beginnt (die hebräischen Buchstaben sind transskribiert):
Zu einem solchen Zeitpunkt schon von Jiddisch zu sprechen (was ja die Benutzung des hebräischen Alphabets nahelegt) ist verfrüht. Die Sprache des Kodex T.S.10.K22 ist (mittelhoch)deutsch. Der Inhalt des Liedes führt in die Nähe des Heldenepos von Kudrun, einem nordisch-wikingischen Heldenlied, dessen früheste (und einzige) erhaltene Handschrift sich im Ambraser Heldenbuch von 1517 findet, also 135 Jahre jünger als die Handschrift des Dukus Horant ist. König Etene entsendet Herzog Horant, damit der für ihn um Hilde von Griechenland würbe. Mit einem Kapital von 30.000 Mark Gold ausgestattet und von 200 Rittern sowie drei Riesen begleitet macht Horant sich auf und erreicht nach einigen Abenteuern Hildes Heimatstadt. Hier zeigt er sich großzügig (er "läßt alle Pferde mit goldenen Hufeisen beschlagen, doch nur mit einem Nagel, so daß sie leicht abfallen und von der Bevölkerung aufgehoben werden können", Ganz, S. 79). Während des Pfingstfestes findet Horant Gelegenheit, seinen Auftrag vorzubringen: er singt Hilde ein Lied, so schön, daß die Vögel auf die Linde, unter der er singt, fliegen und daß die Wildschweine das Wühlen einstellen. Daraufhin macht Hilde ihm ein Heiratsangebot. Er jedoch schlägt es aus mit dem Hinweis, sein König Etene sänge noch viel schöner, sei ein großer König und er, Horant, sei außerdem schon verheiratet. Er verspricht ihr aber, in Zukunft für sie zu singen. Beide planen, daß Horant sie entführen solle ihr Vater Hagen könnte etwas gegen die Werbung und die Heirat Etene Hilde haben. Während des Festes zeigen die mitgereisten Riesen ihre Kunststücke, goldene Hufeisen werden erneut schludrig angenagelt und Horant kämpft im Turnier siegreich gegen einen griechischen Fürsten. Anschließend lernt er den Fürsten Hagen kennen, dem er erzählt, er sei von König Etene vertrieben. Hier bricht die Handschrift ab. Kein 'Fortsetzung folgt'. Was bleiben könnte sind eigentlich müßige Versuche, diese recht anspruchslose Dichtung zu einem von allen erwarteten Happy End zuende zu denken: die Entführung gelingt, nach einigen weiteren Abenteuern bekommt Etene die Braut, Horant seinen Lohn und der Leser das Gefühl, daß die Welt auch im Jahre 1382 noch in Ordnung sei. War sie aber nicht. Zwar dauerte die maurische Herrschaft in Spanien noch 110 Jahre an vor nunmehr 500 Jahren fiel zwar Amerika unter die Menschen, aber für die abendländische Geschichte war 1492 wichtiger als das Jahr, in dem das Kalifat von Cordoba fiel. Von da an marschierte die Inquisition, wurden Progrome zu einer gesamteuropäischen Erscheinung, wurden Menschen wie Bücher und Bücher wie Menschen zerstört. Wen wundert es da, daß das Textbuch eines Spielmanns (fahrendes Volk, sowieso suspekt) irgendwo im Süden Deutschlands einen Exodus begann, der in Ägypten endete. Stationen der Wanderung? Wir kennen sie nicht.
Benutzte Literatur:
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