Begegnung als persönliche Erfahrung
Schüleraustausch: Eindrücke ägyptischer Schüler von Hameln
Nr. 2/84, pp. 2730 Bekannt ist seit Jahren der Austausch der 11. Klassen mit Deutschland; weniger bekannt dagegen, daß auch die Schüler der 7. und 8. Klassen der neuen Sekundarstufe, 1314 jährige Mädchen und Jungen, einen Austausch machen, und zwar mit einer Realschule in Hameln. Frau Gnauck, die mehrere Jahre in dieser Stufe unterrichtet, wagte 1981 das Experiment, mit diesen Kindern, die erst seit 3 bzw. 4 Jahren die DEO besuchen und Deutsch lernen, in die Rattenfängerstadt zu reisen. Die Kinder, die weitgehend aus traditionell eingestellten ägyptischen Familien stammen und oft zum ersten Male im Ausland waren, sollten vor ihrer Integration in die deutschen Klassen lebendiges Deutsch kennenlernen, deutsche Landschaft, deutsches Leben erfahren. Was fiel nun diesen recht jungen Ägyptern auf ? Wie sehen sie das Land, dessen Sprache sie lernen, in dessen Bildungsvorstellungen sie erzogen werden? Hier nun eine Auswahl von häufig wiederkehrenden Beobachtungen und Urteilen. Es sind zuerst auffällige Unterschiede:
Die Fahrradwege werden erwähnt und gelobt, die Fußgängerzonen werden bewundert, die Ruhe in der Stadt, die Sauberkeit auf den Straßen. "Es hat mir dort gefallen, daß die Leute sich an die Regeln halten." "Keiner in Deutschland läßt z.B. das Auto waschen wie hier, sondern man macht das selber." Kritisch dagegen werden vor allem die Schule und das Familienleben
betrachtet. Dazu einige Beispiele:
Daneben finden sich aber auch Äußerungen wie diese: "Als ich in
Deutschland war, merkte ich, daß die Familien dort auch wie bei uns in Ägypten
sind. Ich meine, die Leute sind sehr freundlich zueinander, sie sind sehr nett
wie Familien oder wie manche Familien in Ägypten."
Recht einhellig sind dagegen die Aussagen über die Realität der deutschen
Schule:
Diese Haltung erstaunt unsere Schüler zwar, sie finden es aber gut, daß in Deutschland handwerkliche Berufe anerkannt seien, während man in ihrem eigenen Land gesellschaftliches Ansehen erst durch ein akademisches Studium erringe: "Was auch bei den deutschen Jugendlichen gut ist: irgendein Beruf ist gut, wenn man gut verdient; aber bei uns in Ägypten meinen die Leute, daß man in der Universität studieren soll, damit man nachher ein guter Mensch wird." Oder ein anderer:
Einem Mädchen fiel folgendes auf : "Die (ägyptischen) Schüler sollten auch ein Betriebspraktikum machen; ich glaube, daß dies interessant ist und den Schülern eine Vorstellung davon gibt, was sie am liebsten machen oder arbeiten wollen." Fast alle Schüler empfinden die Schule in Deutschland als leichter doch sollte man zwei Dinge nicht vergessen: einmal stellen die deutschen Schüler ihre Arbeit zurück, um sich mehr ihren Gästen widmen zu können (was denken wohl unsere Besucher über unsere Arbeitsbelastung, wenn wir sie überall herumführen und ihnen jederzeit zur Verfügung stehen?!). Zum anderen stehen die jungen Ägypter in einem unglaublichen Streß. In der 5. Klasse beherrschen sie z.B. noch nicht einmal die lateinische Schrift und in der 7. Klasse lernen sie bereits Mathematik und Biologie auf Deutsch. Sie haben im Durchschnitt 4143 Wochenstunden Unterricht. Das Verhältnis zu den Gastfamilien wird ohne Ausnahme gelobt: vor allem die herzliche Aufnahme, das Bemühen, das fremde Kind zu integrieren, die Aufgeschlossenheit anderen Lebensgewohnheiten oder hygienischen Vorstellungen gegenüber. "Als ich in den Bus einstieg, hat die ganze Familie geweint, so wie ich", sagt ein Junge und fährt fort: "Meine Freundin wollte, daß die Zeit schneller geht, bis sie Ägypten besucht". Wir wissen, daß die Kontakte über Jahre bis heute gepflegt werden. Zum Schluß noch einige Beobachtungen:
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Historische Mißverständnisse
Nr. 11/87, pp. 4041 Hanna Lücke studiert vergleichende Religionswissenschaft in Bonn und hat zwei Auslandssemester in Kairo verbracht. "Where you from?" fragte mich vor einiger Zeit ein Taxifahrer mit
rundem Gesicht und gutmütigem Lächeln bei meiner Fahrt ins Stadtzentrum von
Kairo. "Almania." "Ah Almania gut, gut, gut!"
Heute bin ich nicht mehr überrascht. Noch öfter bin ich in Ägypten auf diese merkwürdige Begeisterung für Deutschlands einstigen "Führer" gestoßen. Von unzähligen Buchständen starrt mir zwischen den fremdartig anmutenden arabischen Schriftzeichen ein bekanntes Gesicht entgegen: Hitler, mit weitaufgerissenem Mund und grimmigem Blick unterm Hakenkreuz Vor einem Schlachtfeld. Darüber der Titel: "Kifahi" "Mein Kampf", in Arabisch. Dieses Buch scheint guten Absatz zu finden. Sympathiekundgebungen für Hitler sind zwar eigenartigerweise unter Taxifahrern besonders verbreitet, doch auch in gebildeten Kreisen und unter Leuten, die Kontakt mit Deutschen pflegen, zu meiner Überraschung anzutreffen. "Hitler war doch ein starker Führer", erklärt mir der 22jährige Mahmud, ein Absolvent der Deutschen Evangelischen Oberschule in Kairo. "Ich verstehe gar nicht, warum die Deutschen ihn heute so schlecht machen!" Ich verstehe nicht, warum er von den Ägyptern so verehrt wird und wundere mich. Die Vertiefung zahlreicher Gespräche zu diesem Thema bringt mich der Lösung
des Rätsels näher.
Trotz des letztendlichen Mißerfolges loben viele Ägypter noch heute die Deutschen als "mutigstes Volk der Welt", und im Anschluß betonen sie immer wieder die besondere Verbundenheit des deutschen mit dem ägyptischen Volk. Ebenso wie es mich schmerzt, daß Deutschland hier nun gerade wegen der Hitlerzeit geschätzt wird, tut es mir leid, diesen zumeist einfachen und wohlwollenden Menschen die Augen darüber zu öffnen, daß die meisten Deutschen von dieser besonderen Verbundenheit zum ägyptischen Volk wohl noch nie gehört haben, und ich verzichte meistens darauf. Um so mehr bemühe ich mich, ihr Geschichtsbild ein wenig zurechtzurücken, denn nur wenigen Ägyptern war und ist bekannt, um welche Inhalte in diesem Krieg eigentlich gekämpft wurde, und wie die Ideologie Hitlers wirklich aussah. "Nein, Hitler hat nicht angefangen zu kämpfen, weil Juden und Briten gemeinsam in Deutschland einmarschiert sind. Nein, er hat die Juden nicht umgebracht, weil sie Probleme im Nahen Osten gemacht haben, sondern viele von ihnen haben nur deshalb Probleme im Nahen Osten gemacht, weil sie sonst von ihm umgebracht worden wären. Nein, sechs Millionen sind umgekommen, nicht sechshundert. Nein, Hitler war kein ausgesprochener Freund der Ägypter. Ja auch ihr seid in seinen Augen minderwertig!" Die "Judenfrage" ist in Ägypten, wo heute kaum noch Juden ansässig sind, schwer von den Beziehungen zum Judenstaat Israel zu trennen, wie man auch in der Umgangssprache kaum von "Israelis", sondern von "Juden" schlechthin spricht. Die in Ägypten sehr lebendigen klassischen antijüdischen Vorurteile, der in den kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten 40 Jahre gewachsene Haß gegen die Israelis und die Verehrung Hitlers gipfeln in Aussprüchen wie dem des jungen Zahnarztes Salah: "Nur eins gefällt mir nicht an Hitler er hätte besser alle Juden vergasen sollen!" Mit lachenden Augen wirft Salah diesen Satz in die Unterhaltung, so daß ich glaube, er scherze. Er scherzt nicht. Ich möchte keine neuen Vorurteile gegen Ägypter in die Welt setzen. Nicht alle verehren Hitler, und nicht alle, die ihn verehren, würden sich der Meinung Salahs anschließen, ganz abgesehen von denen, für die die nationale oder religiöse Zugehörigkeit eines Menschen wirklich nicht von Bedeutung ist. Haß und Vorurteile gibt es überall. Doch daß es hier die gleiche Unwissenheit ist, die diesen Haß nährt, und die zur Verehrung ausgerechnet eines der schwärzesten Kapitel in der Geschichte meines eigenen Landes führt, macht mich besonders persönlich betroffen. Aber trotz allein: selbst Salah scheint mir kein Unmensch zu sein. Ich kann das Gefühl nicht loswerden: Die Ägypter reden schnell vom Haß, aber in der Praxis fällt ihnen das Hassen doch nicht so leicht. Wie oft habe ich böse Worte gegen die Israelis fallen hören, um kurz darauf festzustellen daß israelische Touristen mit der gleichen warmherzigen Höflichkeit und Neugierde empfangen wurden, wie andere Ausländer auch, und dabei wahrscheinlich viel schneller auf Hilfsbereitschaft stießen, als es in Deutschland der Fall wäre. Die Ägypter sind ein ausgesprochen freundliches und friedfertiges Volk. Der Frieden von Camp David wird vom Großteil der Bevölkerung befürwortet, und in Diskussionen zeigen sie sich neuen Argumenten gegenüber aufgeschlossen. Die Schärfe der Urteile läßt sich zumeist durch Unwissenheit erklären. Ich habe den Eindruck, daß sie ganz gerne bereit sind, an ihrem Kartenhaus "Haß" rütteln zu lassen. Doch ob es auch wirklich so leicht einstürzt? Nach langer Diskussion mit Salah, in der ich ihn zu überzeugen suchte, daß es überall, unter Juden, Deutschen, Ägyptern und auch Israelis und Palästinensern solche und solche Menschen gibt, bemerkte er schließlich, wiederum stellvertretend für viele seiner Landsleute: "Wissen Sie, die Palästinenser..., die hasse ich auch. Diese Leute machen nur Probleme. Unter den arabischen Völkern sind sie die, die den Juden am nächsten stehen."
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Heidi am Nil
Nr. 11/88, pp. 3942 Die Schule hat begonnen nun kommen auch sie wieder, die neuen
Au-pair-Mädchen aus Deutschland.
Heidi hat das Abitur und wartet auf einen Studienplatz oder möchte ganz einfach erst einmal etwas anderes machen: hinaus in die Welt, andere Länder, andere Sitten kennenlernen, bevor sie sich wieder auf die nächste Schul- bzw. Universitätsbank setzt. Oder Ulrike, die ihre Ausbildung als Erzieherin gerade beendet hat und die Stellenangebote in der Zeitung studiert: "Ägyptische Familie in Kairo sucht deutsches Au-pair-Mädchen (Erzieherin bevorzugt) zur Betreuung ihrer Kinder, die die Deutsche Schule besuchen... zur Vorbereitung auf die Aufnahmeprüfung in den Deutschen Kindergarten bzw. zur Mithilfe bei den täglichen Hausaufgaben..." Nun, das ist doch was. Eigentlich wollten sie ja nach London oder Paris, aber warum nicht nach Kairo? Freie Unterkunft und Verpflegung, ein Taschengeld und sogar das Flugticket wird bezahlt. Das andere werden sie schon schaffen. Sie korrespondieren und telefonieren. Ulrike und Heidi werden engagiert. Sie landen in Kairo. Doch Kairo ist eben nicht London oder Paris. Haben die Großeltern zu Hause noch Bedenken, daß ihre 20-jährige Enkelin allein in ein arabisches Land fliegt, so bewundern Eltern, Geschwister und Freunde den Mut von Heidi und Ulrike und beneiden sie um diese Möglichkeit. Endlich frei und unabhängig zu sein, selbstbewußt und offen für alles Neue und Andersartige, die Welt kennenlernen: dies wird in Europa ob für Mädchen oder Junge zweifelsfrei als positive Chance angesehen. Anders in einem Land wie Ägypten. Unverheiratete Mädchen müssen behütet und beschützt werden, damit sie unberührt eine Ehe eingehen können. Selbständigkeit, Freiheit und Unabhängigkeit vor der Ehe werden somit in erster Linie als Gefahr definiert, die es möglichst einzugrenzen gilt. Verläßt ein Mädchen aus gutsituierter Familie nach Schulabschluß das Elternhaus und geht gar ins Ausland, dann bestenfalls zu Studienzwecken, aber sicherlich nicht, um freiwillig auf eigenen finanziellen Füßen zu stehen und sich auch noch auf die Stufe eines Kindermädchens zu begeben. Ein Au-pair-Mädchen unternimmt also etwas, was eine junge Ägypterin nie täte. Sind die Gasteltern noch diesen westlichen Verhaltensweisen gegenüber aufgeschlossen, so sind es spätestens die Nachbarn und Verwandten, die ein solches Mädchen als "leicht" einstufen und offen bemerken: Was will die eigentlich in Ägypten, die will doch nur das "eine". Heidi und Ulrike würden solche Denkweise empört oder belustigt von sich weisen. Aber noch bemerken sie diesen Argwohn nicht. Ihre Gastfamilie empfängt sie mit offenen Armen. Heidi freut sich auf einen grünen Villenvorort von Kairo, wohnt ihre Familie doch in "Garden City". Vom Fenster des Kinderzimmers im 6. Stock eines Hochhauses sucht sie allerdings vergeblich nach etwas Grün. Und hatte sie nicht im Brief gefragt, ob sie ein eigenes Zimmer bekäme? Man hatte ihr geantwortet, man bewohne zu viert ein 6-Zimmer-Appartement. Daß es sich aber um drei ineinandergehende Salons, ein Arbeitszimmer und nur zwei Schlafräume handeln könnte, darauf wäre Heidi nie gekommen. Also teilt sie mit den Kindern ein Zimmer. Ulrike indessen packt die Koffer in "ihrem" großen, hellen Zimmer aus. Auf dem Nachttisch steht eine Schale mit Obst, im Badezimmer liegen Seife und Shampoo für sie bereit. In den ersten Tagen zeigen ihr die Gasteltern die Stadt und die neue Umgebung. Zwar ist sie etwas traurig, daß der 4-jährige Mustafa sie noch ablehnt und sie stets daran erinnert, daß ihre Vorgängerin alles ganz anders und besser gemacht habe, aber sie weiß, daß sie Geduld haben muß, und daß es für Mustafa auch nicht leicht ist, sich wieder auf eine neue Bezugsperson einzustellen. Was sie denn als Taschengeld erwarten könne? Nun, sie dürfe sich nehmen, was sie brauche, und das Flugticket für den Weihnachtsurlaub in Deutschland werde auch gestellt. Orientalische Gastfreundschaft und Großzügigkeit Ulrike ist glücklich. Drei Monate später. Während Ulrike nach wie vor begeisterte Briefe nach Hause schreibt, hat Heidi ihre Koffer gepackt und ist gegangen. Sie hat es einfach nicht mehr ausgehalten. Nach den Ursachen gefragt, nennt sie die berühmten Kleinigkeiten, die einzeln genommen nicht der Rede wert sind, aber täglich die Atmosphäre belasten und das Faß zum Überlaufen bringen. Die Rolle eines Au-Pair-Mädchens ist mit unterschiedlichen Erwartungen besetzt. In Europa: Ein fester Begriff für junge Leute, die ihren Auslandsaufenthalt und ihre Sprachstudien durch eine Halbtagsbeschäftigung finanzieren und dafür freie Unterkunft, Verpflegung und ein Taschengeld erhalten. Hier in Ägypten: Deutschlehrerin und Kindermädchen, die möglichst jederzeit zur Verfügung stehen sollen. Zwar soll Heidi vorwiegend nachmittags für die Kinder da sein, doch zeigt die Erfahrung, daß sie nach und nach auch vormittags Aufgaben zu übernehmen hat. Nach dem Frühstück, bitteschön, ein bißchen Staub wischen, ein bißchen einkaufen, aufräumen, bügeln, keine schwere Arbeit. Bis dann die Kinder aus der Schule kommen, bleiben noch zwei Stunden. Für die Sprachenschule und zurück reicht die Zeit nicht, der Weg ist zu weit. Und liegen die Kinder endlich um 21 Uhr im Bett, ist es draußen dunkel, und wo kann man dann als Mädchen noch hingehen? Sie fühlt sich eingesperrt, so hatte sie sich ihr Au-pair-Dasein nicht vorgestellt. Die Frustration schleicht sich ein. Der freie Tag winkt. Sie möchte Tennis spielen oder schwimmen. Damals hatte Naima, ihre Gastmutter, geschrieben, sie zahle für Heidi die Mitgliedschaft in einem Sportklub. Mit den Kindern war sie auch schon einmal dort. Sie erkundigt sich und zeigt ihre Mitgliedskarte. Im Office schüttelt man den Kopf, sie habe eine "Nanny-Card", mit der sie lediglich als Begleitperson von Kindern auf den Spielplatz des Klubs dürfe. An eine normale Mitgliedschaft ist finanziell gar nicht zu denken. Also nichts mit Sport. Sie geht ins Museum und staunt, daß Ausländer erheblich mehr zahlen müssen als Ägypter. Es sollte doch alles viel billiger in Ägypten als in Deutschland sein! Ob das Taschengeld von LE 125,- bis zum Monatsende überhaupt reicht? Zu Hause wird sie mißtrauisch empfangen: ein junger Mann habe angerufen. Es ginge nicht, daß sie die Telefonnummer an fremde Männer weitergebe. Ein Freund ihres Bruders ist in Kairo und lädt sie für den nächsten Abend zum Essen ein. Es wird ein schöner Abend, sie kommt spät nach Hause. Am folgenden Morgen die große Szene: Sie hätte sich unmöglich benommen und dem guten Ruf der Familie geschadet. Ein lediges Mädchen könne nicht nach Mitternacht nach Hause kommen, was man denn von ihr denken müßte. Und überhaupt, wer dieser Mann denn sei, mit dem sie da ausgegangen wäre? Heidi versucht zu diskutieren und zu erklären. Zwar sprechen sie und Naima die gleiche Sprache deutsch oder englisch aber jede meint etwas anderes. Heidis Argumente gehen im lautstarken Wortschwall der Gastmutter unter. Hatte Heidi sich anfangs noch als Gast und Freundin der Familie empfunden, zumal sie die Gasteltern duzen darf, so kippt das Verhältnis jetzt um mit Dienstboten diskutiert man nicht lange, man befiehlt hallas! Zu allem Überfluß ist Heidi das Essen gestern abend nicht bekommen. Ihr sei übel, ob sie sich zwei Stunden hinlegen dürfe? Doch jetzt ist es ganz aus: auch noch krank spielen, das hätte ihr so gepaßt. Was sie sich denn überhaupt vorgestellt habe, das bißchen Hausarbeit und Kinderbetreuung wäre ja wohl nicht zuviel verlangt. Wenn ihr das alles nicht passe, könne sie ja gleich gehen. Von Naima, der Gastmutter, zwar nicht wörtlich gemeint, aber von Heidi wörtlich genommen sie packt die Koffer und geht. Ärger auf beiden Seiten. Natürlich gibt es Heidi in dieser Überzeichnung nicht, und doch sind es alles erlebte Beispiele verschiedener Au-pair-Mädchen. Tatsache ist auch, daß über die Hälfte der schätzungsweise 30 Au-pairs, die im vergangenen Schuljahr in Kairo waren, vorzeitig ihre Gastfamilien verlassen bzw. die Familie gewechselt haben. Das muß nicht sein! Hätten Heidi und Ulrike voneinander gewußt, es wäre möglicherweise anders gelaufen. Sie hätten miteinander reden, gemeinsame Ausflüge machen können, so wie es seit vielen Jahren die zahlreichen Au-pair-Klubs in England, Deutschland und Frankreich anbieten. Ich erinnere mich an meine eigene Zeit als Au-pair-Mädchen in Paris und als Gastmutter in Bonn. In beiden Fällen war ich froh über die Möglichkeit dieser Au-pair-Treffs, wo junge Mädchen in einem fremden Land die ersten Kontakte knüpfen können. Im vergangenen Herbst bot ich deshalb deutschen Au-pair-Mädchen in Kairo an, sich bei mir zu treffen und kennenzulernen. Eine erzählte es der anderen. Mit zwei Au-pairs fing ich an, ca. 20 Mädchen waren es im Laufe des Schuljahres bei den monatlichen Gesprächsabenden. Aber: Kairo liegt nicht in Europa.
Das Mißtrauen nimmt ab. Inzwischen rufen immer mehr ägyptische Familien an, die ein Au-pair-Mädchen suchen, und deutsche Mädchen bitten schriftlich um die Vermittlung einer Au-pair-Stelle in Kairo. Trotzdem es ist nicht beabsichtigt, eine Vermittlungsstelle aufzubauen. Vielmehr soll die Möglichkeit erhalten bleiben, daß Au-pair-Mädchen sich zum Gedankenaustausch treffen können. Einzelgespräche und Beratung auf Anfrage sollen auch weiterhin möglich sein und nur in besonderen Fällen auch die Vermittlung zwischen ägyptischen Gastfamilien und deutschen Au-pair-Mädchen. Einmal begonnen, habe ich darüber nachgedacht, wie es weitergehen soll. Irgendwann werde ich dieses Land wieder verlassen und dann? Also ist es logisch, diese Aufgabe langfristig von meiner Person zu lösen und an eine Institution anzubinden. Dies ist geschehen. In seiner September-Sitzung hat der Vorstand der Deutschen Evangelischen Gemeinde in Kairo beschlossen, die Betreuung der deutschen Au-pair-Mädchen zu übernehmen und fortzuführen. Dies entspricht ohnehin einer langjährigen Tradition in Deutschland. Dort ist der "Verein für internationale Jugendarbeit" ein Fachverband innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland für die Au-pair-Betreuung zuständig. Aber noch einmal: Kairo liegt nicht in Europa. Ein Verein soll's nicht
werden.
Kehren wir zurück zu Ulrike. Sie hat es geschafft, Vertrauen zu gewinnen, sich hilfsbereit und flexibel den Bedürfnissen ihrer Gastfamilie anzupassen, aber auch die eigene Belastungsgrenze richtig einzuschätzen, ihre Interessen zu formulieren und durchzusetzen. Mustafa hat mit ihrer Hilfe seine Deutschkenntnisse erheblich verbessert. Sie hat einen netten Bekanntenkreis gefunden, fühlt sich wohl und last not least wird ihren Aufenthalt in Kairo verlängern.
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Die Kneipe um die Ecke fehlt
Nr. 11/88, pp. 2325 Anmerkung der Redaktion: Pastor Nulf Schade leitet den wöchentlichen Jugendtreff. Ich schreibe "über", obwohl ich aus dem Alter heraus bin, ich schreibe "über", obwohl sie selbst schreiben sollten. Die Kommunikation fand statt, es zu Papier zu bringen, war schwierig. So schreibe ich über Jugendliche in Ägypten, deutsche und ägyptische, oder beides, werde als Sprachrohr verwendet, schreibe nieder, was ich erfahren habe, beim Jugendtreff, auf dem Schulhof, in den Pausen, beim Spielen, was mir erzählt wurde von Jugendlichen, die in Ägypten leben. Ich schreibe nicht über die Jugendlichen, die wir in den Straßen treffen, jeden Tag, die ihr Geld verdienen, indem sie einem Autobesitzer das Auto waschen, mal schnell am Halten an der Ampel; ich schreibe nicht über die Jugendlichen, die auf der Straße nach Arbeit am Traum vom Reichtum zerbrechen; auch nicht über jene, die täglich den Kampf ums Überleben führen. Meine Jugendlichen gehen mit einer Ausnahme auf die Deutsche Evangelische Oberschule, sind also erst einmal privilegierte junge Menschen. Es wäre falsch, anzunehmen, daß diese Jugendlichen keine Probleme haben, obwohl sie keinen Kampf ums Überleben führen müssen, obwohl sie täglich von Bussen abgeholt und zur Schule gefahren werden, obwohl sie geborgen und beschützt werden von Eltern und Lehrern, die alle nur ihr Bestes wollen. Die Situation, die wir antreffen, scheint erst einmal günstig zu sein. Was gibt es für Probleme? "Unser Leben wird bestimmt durch die Schule! Von 5:30 Uhr bis 16 Uhr sind wir mit Schule beschäftigt. Dann haben wir noch ca. 5 Stunden, um Freizeit zu erleben, danach rufen Eltern und das Bett. " "Wer nach 22 Uhr ins Bett geht, kann nicht aufmerksam am Unterricht teilnehmen."
Ich habe festgestellt, daß in den meisten Gesprächen unter Jugendlichen das Thema "Schule" dominiert. Das Bedürfnis "Luft abzulassen", mit "Leidensgenossen" zu reden, Aggressionen abzubauen steigert sich mit dem zum Schuljahresende hin wachsenden Notendruck. Außerdem wächst der Druck der Eltern und Lehrer, Konflikte entstehen, weil unterschiedliche Interessen aufeinander stoßen. Bleibt neben der Schule noch die Freizeit. Das Freizeitangebot hier in Ägypten für Jugendliche an der DEO scheint von deutscher Inlandssicht erst einmal riesig groß. Klubs, Reitställe, Sinai, Tauchen, Surfen, Tennis, Golf, Schwimmen. Lebt man aber länger im Lande, so verlieren diese Angebote ihre Exotik und somit ihren Reiz. Der Ruf nach der Kneipe um die Ecke wird laut.
Es ist schwierig, Jugendliche außerhalb der Schule zu treffen, da es keinen festen Ort gibt, wo sie sich regelmäßig treffen können. Der einmal in der Woche stattfindende Jugendtreff kann nur minimal das Bedürfnis nach Gemeinschaft stillen. Ein anderes Problem, das sich vor mir aufgetan hat, ist die Sexualität, der natürliche Umgang mit ihr, Beziehungen zwischen jungen Männern und jungen Frauen. Allein, daß dieses Wort hier erwähnt wird, könnte bei manchen Lesern und Leserinnen Angst und Empörung bewirken. Eine Schülerin, ein Schüler nehmen Stellung: "Vorweg, es geht uns hier nicht um Beischlaf. Wer Sexualität nur auf
den Genitalbereich reduziert, beschränkt sich in seinen Gefühlen und
Vorstellungen; Sexualität umfaßt den ganzen Körper. Sexualität ist Sprache,
mit der wir kommunizieren können.
Weil Sexualität etwas ist, worüber man nicht redet, geschweige denn schreibt, alles, was unmoralisch sein könnte, zensiert wird, bleibt die Sexualität als etwas Verbotenes, Geheimnisvolles bestehen. Dadurch wird Sexualität überbewertet, wird zur Last, die das Denken von Jugendlichen bestimmt und sie schließlich nicht mehr "normal" handeln läßt. Problematisch empfinden einige Schüler und Schülerinnen auch das hin- und hergerissen sein zwischen zwei Welten, zwei Kulturen, zwei Religionen und zwei Sitten.
Ein letztes Problem, das hier genannt werden soll, und das das Denken vieler Jugendlicher beschäftigt, sind die unterschiedlichen Rechte der beiden Volljährigkeiten. Ist ein Jugendlicher mit 18 Jahren in der Bundesrepublik volljährig und damit erwachsen, trifft dies für einen ägyptischen Jugendlichen erst mit 21 Jahren zu.
Hin- und hergerissen zwischen zwei Welten, versuchen die Jugendlichen zu arrangieren. An vielen Stellen gelingt es, an anderen Stellen scheitern sie, wie auch die Erwachsenen. Probleme, die vorhanden sind, werden von manchen Erwachsenen belächelt. Aussagen wie, "wir hatten auch Probleme und sind groß geworden" oder "stellt euch nicht so an" nützen keinem Jugendlichen. So zu reden heißt, den Jugendlichen nicht ernst nehmen, sich über ihn zu erheben. Jugendliche spüren diese Arroganz und reagieren mit Aggression und Rebellion; die Kommunikation zwischen Erwachsenen und Jugendlichen verstummt, Am Leben des anderen teilnehmen, sich für die Belange und Sorgen der Jugend einzusetzen, sie ernst zu nehmen, dies sollte die Aufgabe von Pädagogen und Pädagoginnen sein, so daß der Dialog zwischen Alt und Jung nie abreißt. Miteinander leben, und nicht gegeneinander.
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Von Kairo nach Berlin ein Umzug und seine Folgen
Nr. 56/85, pp. 3435 Als ich 1980 aus Kairo nach Berlin zurückkehrte, hatte mein Leben fünf Jahre lang hauptsächlich aus zwei Dingen bestanden: Schule und Familie. Ab und zu sah ich auch nachmittags bzw. abends Schulkameraden, meist aber nur dann, wenn eine Party gefeiert wurde. Denn ich wohnte in Mohandessin, fast alle anderen aber in Maadi, und meine arme Mutter konnte mich nicht dauernd herumkutschieren; alleine mit dem Taxi fahren jedoch durfte ich nicht. In beiden Punkten, sowohl was Schule als auch was Freizeit betraf, änderte sich mit dem Umzug nach Deutschland sehr viel. Zunächst zur Schule: von Kairo her war ich einen engen Klassenverband und viele Aktivitäten in der Schule außerhalb des Unterrichts (vom Theaterspielen über die Tanzstunde bis zur Sport-AG am Nachmittag) gewöhnt. Zudem kannte ich fast alle Lehrer privat, ihre Familie, ihr Haus und hatte deshalb ein ganz anderes Verhältnis zu ihnen, als es in Deutschland normalerweise möglich ist. In Berlin platzte ich (nach der 11. Klasse in Kairo) völlig unvorbereitet in die reformierte Oberstufe hinein. Wie ich mich dort einfand, macht vielleicht am besten die Tatsache deutlich, daß ich schon ein Jahr nach dem Abitur zu keinem einzigen meiner knapp 100 Mit-Abiturienten mehr Kontakt hatte. Die reformierte Oberstufe teilt alle Schüler der 12. und 13. Klassen in Kurse ein, und die Schüler finden sich jede Stunde zu anderen Gruppen zusammen. Für jemanden, der einen festen Klassenverband gewöhnt ist und nicht durch eine sog. Übergangsphase an das Kurssystem herangeführt wurde, bedeutet das zunächst eine ungeheure Umstellung. Zudem macht es das Kennenlernen neuer Mitschüler schwer und damit auch das Eingewöhnen in Deutschland überhaupt, denn für Schüler ist die Schule nun mal ein maßgeblicher Teil ihres Lebens. Sicherlich lag es auch an mir, wenn ich schwer Anschluß fand, eines aber ist sicher: ich habe diese Erfahrung schon zweimal nach Auslandsaufenthalten gemacht und von vielen anderen Entsprechendes gehört. Gerade, daß man lange im Ausland war und in gewisser Weise einen weiteren Horizont und mehr Erfahrungen als Gleichaltrige in Deutschland hat, führt zu einer gewissen Isolation. Ein ganz bestimmter und nicht unwichtiger Teil von mir wird nie ganz verstanden. Die meisten reagieren mit Neid und Abwendung. Freunde findet man unter Älteren, da wird man eher verstanden. So habe ich die Umstellung auf die Berliner Schule als negativ empfunden. Ausgesprochen positiv jedoch war die Veränderung, die sich im privaten Leben vollzog. War bis jetzt das Haus, die Familie die Hauptsache gelesen, das Gefühl, fest angebunden, nicht selbständig zu sein, so konnte ich jetzt endlich (das erste Mal mit 17 Jahren!) alleine für längere Zeit fortgehen. Ich weiß noch heute, was für ein Glücksgefühl in mir hochstieg, als ich mein Fahrrad bekam und meine erste Fahrt damit machte. Zwar wurde an der Schule außer zwei bis drei Sportgruppen nicht viel an Freizeitbeschäftigung angeboten, ich vermißte unsere großen, häufigen Kairoer Gartenféten, aber daß ich ins Kino, Theater, in die Disco oder einfach auch nur in die Kneipe gehen konnte, ohne meine Eltern darum bitten zu müssen, gefahren zu werden, wog unvergleichlich mehr. Als letztes noch ein Wort zum Thema politische Information: Als wir in Kairo lebten, hatten wir nur einen kleinen Radioapparat und bekamen die "Egyptian Gazette" ins Haus (unregelmäßig). Deutsche Magazine gab es kaum, Geschichts- und Sozialkundeunterricht waren nicht auf aktuelle Tagespolitik ausgerichtet, auch nicht auf jüngste deutsche Geschichte. So lebten wir in Bezug auf politisches Wissen hinter dem Mond und kamen diesbezüglich mit einer Naivität nach Deutschland, über die viele erstaunt, einige sogar erschreckt waren. Politische Weltkunde aber (oder wie das entsprechend auch in anderen Bundesländern heißen mag) ist Prüfungsfach. Ich stieg mit ausgesprochenem Inselwissen ins Abitur ein. Bei mir ging es gut, das muß aber nicht immer so sein. Ich weiß nicht, ob sich diesbezüglich die Situation an der DEO geändert hat. Es würde dem Einstieg in das neue Fach dienen und nicht zuletzt die Distanz zu den neuen Schulkameraden verringern helfen, die zumeist politisch sehr interessiert, wenn nicht sogar engagiert sind. Fazit: das Eingewöhnen in Deutschland kann zwar etwas schwierig sein, ein langjähriger Auslandsaufenthalt ist aber viel zu schön, als daß man das nicht in Kauf nehmen könnte!
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Als Fremder in Deutschland
Teil 1 Nr. 34/92, pp. 8586 Endlich hat es geklappt ich habe ein Kurzstipendium für Deutschland bekommen, worauf ich seit drei Jahren gewartet habe. Fast überall habe ich meinen Freunden erzählt, daß ich bald nach Deutschland fliege. Viele meinten, ich müßte meine Begeisterung von Deutschland und den Deutschen doch mal aufgeben denn wer im Radio, Fernsehen und in den Zeitungen die neuesten Meldungen über die Ausländerfeindlichkeit in Deutschland hört und liest, fragt sich: Was ist mit den Deutschen los? Ein ägyptischer Freund, der vor kurzem aus Deutschland zurückkehrte, berichtete mir von seinen negativen Erfahrungen dort: fast überall sei er den Schlagwörtern "Ausländerstop", "Deutschland den Deutschen" usw. begegnet, worauf er sich fragte: "Wollen die Deutschen eine eiserne Mauer um ihr Land bauen?" Dieser Freund hatte etwa zwei Monate in Deutschland verbracht, um seine Sprachkenntnisse zu verbessern, was ihm bei seinem Beruf als Touristenführer von großem Nutzen ist. Er hatte die Reise selbst finanziert. In dieser Zeit, so erzählte er, habe er die Ausländerfeindlichkeit, die Unfreundlichkeit und das Mißtrauen Ausländern gegenüber selbst zu spüren bekommen. Aus Angst, auf der Straße jederzeit überfallen werden zu können, habe er stets eine Waffe bei sich getragen. Eines Tages wurde er, gemeinsam mit zwei anderen Arbeitskollegen von mir, die sich als Stipendiaten für längere Zeit in Deutschland aufhalten, in einer U-Bahn-Station von Republikanern umkreist und mit Messern bedroht. "Wir sind keine Ausländer in dem Sinne, wir sind Stipendiaten", so sagten die Freunde voller Angst, während der dritte zum Aufsichtsbeamten der Station gelaufen war, um diesen um Hilfe zu bitten. Der Beamte verweigerte seine Hilfe jedoch mit den Worten, daß dieser Vorfall nicht in seinen Aufgabenbereich falle, und er von dort aus leider nicht die Polizei benachrichtigen könne. Auch andere Passanten, die am Gleis warteten, beobachteten das Geschehen, ohne einzugreifen, ja sogar, ohne merklich zu reagieren. Als die Republikaner überzeugt davon zu sein schienen, daß diese Ausländer keine Asylanten oder Gastarbeiter waren, von denen sie zu befürchten hatten, daß sie den Deutschen die Arbeitsplätze, Wohnungen und Studienplätze wegnehmen könnten, forderten sie von jedem der drei 10,- DM, um Bier kaufen zu können. Anschließend ließen sie die Ägypter frei. Von diesem und vielen anderen ähnlichen Erlebnissen erzählte mir mein Freund nach seiner Rückkehr nach Ägypten. Natürlich war ich schockiert über das, was er berichtete nie hätte ich es für möglich gehalten, daß die Situation für die Ausländer in Deutschland so schlimm werden könnte. Ich dachte, so etwas kann doch in einem Land wie der Bundesrepublik nicht passieren nein, der Freund mußte sich geirrt haben oder sehr übertreiben, sagte ich mir im Stillen. Dennoch kam ich nun mißtrauisch in Deutschland an, denn "Vorsicht ist besser als Nachsicht", sagt meine Mutter oft. Sieht dieses Mal alles anders aus? Nein, alles ist, zumindest auf den ersten Blick, ganz "normal"; ich bin nur mit gewissen Vorurteilen hierhergekommen und muß versuchen, sie zu überwinden. Es ist seltsam, ich fühle mich als Ausländer: das Gefühl hatte ich bisher nirgendwo und niemals zuvor gehabt. Nein, nein, ich bin kein Ausländer, ich bin Stipendiat und bleibe höchstens ein paar Monate in der Bundesrepublik. Doch woher sollen die Deutschen das wissen! Ich sehe eben anders aus, habe eine andere Hautfarbe und schwarze Haare. Auf den Straßen, in den Gesichtern der Menschen, an denen ich vorübergehe, lese ich in jedem Blick die Frage: "Was hast du hier zu suchen?" und höre das unausgesprochene Wort "Scheißausländer!" Mir scheint es, als würde ich von allen beobachtet, als betrachte man mein Aussehen, meine Kleidung und mein Verhalten abschätzig.
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Teil 2 Nr. 910/92, pp. 3841 Dies ist, wie ich schon erzählte, bereits meine fünfte Deutschlandreise, doch nie zuvor fühlte ich mich fremd hier und unerwünscht wie dieses Mal. Meine Liebe zur deutschen Sprache und zu den Deutschen bzw. Deutschsprachigen ist vielen bekannt. Während meiner Studienzeit in Kairo habe ich eine "Studentengruppe" mit dem Namen "Freunde der deutschen Sprache" gegründet, später war ich eines der Hauptmitglieder des "Vereins der Touristenfreunde", wo ich (unentgeltlich) Deutsch für Araber und Arabisch für Deutsche unterrichtete. Zu unserer Arbeit gehörte auch die freiwillige und keinerlei Gegenleistung erwartende Hilfe für deutschsprachige Touristen auf der Straße, dem Bahnhof oder am Flughafen. (Siehe hierzu den Beitrag Gesellschaft der Touristenfreunde Anm. KFN.) Meine Zuneigung zu den Deutschen hat mich hoffen lassen, daß auch ich hier in Deutschland nichts zu befürchten hätte, und ich wollte mir durch die Ausländerfeindlichkeit meinen Aufenthalt nicht verderben lassen. Eines Morgens ging ich in der Stadt spazieren, und alles schien mir ganz "normal", wie ich es von den früheren Aufenthalten kannte. Nur eines fiel mir auf und verwunderte mich: einige schwarze und dunkelhäutige Menschen wie ich grüßten mich auf der Straße, indem sie lächelten oder mit dem Kopf nickten. Ich habe natürlich den Gruß erwidert und war sehr froh, ab und zu solch freundlichen Leuten zu begegnen. Dennoch gab es mir zu denken, und ich fragte mich, warum diese Leute dies taten. Vielleicht, weil sie sich als Ausländer mit mir identisch fühlten? Oder vielleicht, weil wir ähnliche Erfahrungen hier gemacht haben, uns als unerwünschte Menschen in diesem Land fühlen? Und vielleicht versucht jeder, dem anderen durch dieses Lächeln ein bißchen Mut zu geben. Es wundert mich selbst, wie sehr ich über diese kleine Begebenheit nachdenke. Ich beginne schon, alle Dinge zu analysieren, was eigentlich nicht meine Art ist. Haben mich die Deutschen schon mit ihrer Art des analytischen Denkens die ich immer bei ihnen kritisiert habe beeinflußt? Besonders das "Zerpflücken" von persönlichen und menschlichen Beziehungen störte mich oft. Ich erinnere mich dabei an eine meiner besten deutschen Freundinnen, die ich in Kairo kennenlernte. Sie war sehr nett und freundlich und hatte viel Verständnis für arabische Kultur bzw. für den "Egyptian way of life". Doch es gefiel mir nicht, daß sie all meine Verhaltensweisen immer kommentierte und analysierte, so daß ich manchmal das Gefühl hatte, daß sie mich für ihr Studium der Psychologie als Versuchskaninchen ansah. Diese Art der psychologischen Betrachtungsweise hat mir bei den Deutschen nie gefallen und erscheint mir irgendwie unmenschlich. Auf dem Spaziergang durch die Stadt kam ich an der Post vorbei; dort hörte ich zufällig, wie jemand auf Arabisch telefonierte. Ich wartete, bis er fertig war und sprach ihn einfach an:
Daraufhin erzählte mir der Freund ja "Freund", denn so schnell kann sich die Beziehung zu anderen Fremden entwickeln, besonders wenn sie aus demselben Land stammen was einem Freund von ihm passiert war: Sein Visum sei abgelaufen und er müßte zur Ausländerbehörde gehen, um seine Aufenthaltsgenehmigung zu verlängern. Er sei auch ein Stipendiat, und sein zweimonatiges Stipendium solle für drei weitere Monate verlängert werden. Mein neuer Freund fragte mich: Hast du Zeit, dann könnten wir ihn morgen begleiten, weil sein Deutsch nicht ausreicht, und vielleicht können wir ihm doch helfen. Am nächsten Morgen sind wir zur Ausländerbehörde gefahren. Es ist ein riesiges Gebäude, und wir mußten ein paarmal fragen, wo man die Verlängerung bekommen kann. Endlich sind wir in einem großen Saal gelandet, der etwa 15 m lang und 4 m breit war. Hier gibt es verschiedene Gesichter zu sehen. Es stinkt sehr nach Schweiß und anderen Gerüchen. Viele sind sogar mit Kindern da. Eine große Anzahl von Menschen bestimmt über 50 sind anwesend, einige sitzen auf Stühlen, einige stehen in einer Schlange, und andere sitzen auf der Erde. Die zehn Stühle, die sich im Saal befinden, reichen bei weitem nicht für alle. Wir wußten nicht, an wen wir uns wenden sollten, aber unser Freund hatte
einen Zettel mit Namen und Zimmernummer bei sich. Sein Betreuer habe mit den
Leuten in diesem Büro vor kurzem telefoniert, und er solle sich an Frau X
wenden. Wir haben das Zimmer leicht gefunden, und der Name der Frau stand auch
an der Tür. Unser Freund hat geklopft und ist sofort hineingegangen.
Mit Händen und Füßen und ein bißchen Englisch und ein bißchen Deutsch haben wir uns mit den anderen Wartenden verständigt, und wir sollten uns ans Ende der Reihe stellen. Endlich waren wir dran. Der Freund ging hinein, und ich begleitete ihn. Hier erwartete uns eine Enttäuschung, denn der Familienname meines Freundes fängt mit K an und bei der Frau X werden nur die Buchstaben A bis H bearbeitet, d.h. wir mußten uns in eine andere Reihe vor einem anderen Zimmer stellen. Es war schon 11.00 Uhr, doch jetzt kamen wir hinein. "Wo sind ihre Papiere?" fragte der nette Beamte. Der Freund zeigte ihm zwei Briefe, einen vom DAAD, daß sein Stipendium
verlängert worden sei und daß er sein Visum verlängert bekommen sollte, und
noch einen Brief von seinem Betreuer an der Uni Münster.
Wir nahmen die Papiere und versuchten sie auszufüllen. Und hier sahen wir,
daß alle sich gegenseitig befragten, was diese oder jene Frage bedeuten solle,
und ob irgendeiner gut Deutsch könne. Die Papiere sind nur auf Deutsch
geschrieben, so als ob es selbstverständlich wäre, daß all diese Ausländer
die deutsche Sprache lesen und schreiben können.
Am nächsten Tag ging der Freund dorthin und dachte, jetzt müsse alles gut
laufen, denn er hatte ja jetzt alle Papiere bei sich. Er wurde jedoch
enttäuscht, als der Beamte ihn fragte: "Wo ist Ihr Mietvertrag?"
Sein Freund, bei dem er wohnte, hat den Beamten angerufen und ihm die Geschichte erzählt und ihm auch erklärt, daß er selber Untermieter sei und keinen Mietvertrag ausschreiben könne. Auf jeden Fall und nach vielem Hin und Her ist mein ägyptischer Freund mit seinem deutschen Freund zum Hausbesitzer gefahren, und beide haben ihn überzeugt, daß er einen Mietvertrag auf das Papier für den Ägypter schreiben soll. Am nächsten Tag ging der Freund mit den Papieren und dem Mietvertrag zu dem
Beamten. Er wurde gefragt, wo er in den letzten zwei Monaten gewohnt habe?
"In einem Studentenheim", antwortete er.
Er ist schnell zu dem Wohnheim gelaufen, um dieses Auszugsformular zu
besorgen, dort aber mußte er erfahren, daß es nicht möglich ist, die
Heimleiterin außerhalb der Sprechstundenzeiten zu sehen, d.h. er mußte noch
zwei Tage warten. Drei Tage später ging er dann wieder zu dem Beamten mit den
Papieren, dem Mietvertrag und dem Auszugsformular.
Und er ging zu einer Schublade, schlug dort ein Buch auf, und plötzlich sah
er zu ihm herüber, als ob etwas ganz Schlimmes geschehen wäre und sagte:
"Sie sind gar nicht bei der Ausländerbehörde registriert."
So einfach, wie der Freund es sich vorstellte, war es nicht; abgesehen davon, daß er jedesmal in einer langen Reihe anstehen mußte, war er auch noch unter Zeitdruck, denn sein Visum war abgelaufen. Er mußte ja auch für seine wissenschaftliche Arbeit etwas tun. Er hätte nie gedacht, daß er so viel Zeit opfern müßte, vor allem, weil er selbst wußte, daß die Visumverlängerung im Al-Mugammaa-Gebäude in Kairo nicht so lange dauert. Er ging zur Ausländerbehörde, stellte sich in die Reihe. Auch hier wurde er
nach allen Papieren gefragt, Mietvertrag, Paßfotos, seinem Paß. Alles war in
Ordnung.
Vor diesem freundlichen Lächeln der Beamtin war er aber doch schwach, denn sie konnte doch nichts dafür.
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Teil 3 Nr. 1112/92, pp. 9092 Kurz vor meinem Geburtstag beschloß ich, eine Reise durch Deutschland zu machen. Da ich vom Süden begeistert bin, fuhr ich zuerst nach München. Dort spricht man 'bayrisch', und ich konnte natürlich nicht alles verstehen; nur mit denjenigen, die sich bemüht haben, mit mir hochdeutsch zu sprechen, war die Verständigung möglich. Allerdings bin ich mit den älteren Leuten gut zurechtgekommen. Mir ist aufgefallen, daß viele der Bayern sehr stolz darauf sind, echte Bayern zu sein. Sie tragen zu speziellen Gelegenheiten ihre traditionelle Tracht. Das hat mich an unsere Oberägypter erinnert, die des Klimas wegen leichte Kleidung tragen, die vor der Sonnenglut schützen soll und die bei der Arbeit nicht hinderlich werden darf. Bei uns in Ägypten erkennt man einen Oberägypter (Saidi) an der Galabija, in Deutschland einen Bayern u.U. an der Lederhose. In Deutschland sind die Bayern oft Zielscheibe des Humors, wie auch hier in Ägypten gern über die Saidis gelacht wird. Glücklicherweise habe ich das Oktoberfest nicht verpaßt. Es war ein schönes Erlebnis, denn es wurde auf allen Straßen gesungen und getanzt, und man konnte sich dabei vor allem frei fühlen. Die Wärme und die Aufgeschlossenheit der Leute dort haben dazu beigetragen, daß ich diese Atmosphäre sehr genossen habe. Allerdings erschien es mir ein bißchen komisch, in welchem Maße sich die Leute betrunken haben. Wie kann das Bier so wichtig sein? Als ich mir ein "bleifreies" Bier bestellte, fragte mich mein Tischnachbar: "Warum trinkst Du keinen Alkohol? Es ist doch gesund!" Natürlich wollte ich ihm nicht den Spaß verderben und mit ihm über religiöse Gründe diskutieren. Es reichte ihm aus, daß ich antwortete: "Ich bin krank." Es ist schon verwunderlich, denn nach all den Erfahrungen, die ich in Deutschland gemacht habe, haben mich noch immer viele gefragt: "Warum ißt Du kein Schweinefleisch? Warum trinkst Du keinen Alkohol? Warum tragen die Frauen bei Euch einen Schleier? Warum...? Warum...? Warum...?" Das hat mich empfindlich gemacht, und ich fühlte mich angegriffen oder in eine Situation gedrängt, in der ich mich verteidigen mußte für das, was ich bin. Ich habe dabei das Gefühl gehabt, daß manchmal mit zuviel europäischem Selbstverständnis der Orient betrachtet wird. Als Ratschlag fällt mir hierzu ein Vers aus Hermann Hesse's "Morgenlandfahrt" ein: "Wer weit gereist, wird oftmals Dinge schauen, sehr fern von dem, was er für Wahrheit hält. Erzählt er's dann in seiner Heimat denen, so wird ihm oft als Lügner mitgespielt. Denn das versteckte Volk will ihm nicht trauen, wenn es nicht sieht und klar und deutlich fühlt. Die Unerfahrenheit, ich kann's mir denken, wird meinem Sange wenig Glauben schenken."; Es ist offensichtlich, daß ein sehr großer Unterschied zwischen Deutschland und Ägypten besteht. Die hiesigen Sitten und Gebräuche sind vollkommen anders, auch die Art der Erziehung ist verschieden. Man sollte daher keine Vergleiche anstellen. Zum anderen hat es mich aber auch gestört, als ich hier in Ägypten viele Fragen gehört habe wie z.B.: "Stimmt es, daß die Leute in Deutschland miteinander auf der Straße
und im Freien schlafen oder daß die Frauen dort mit jedem ins Bett gehen oder
daß die Kinder keine richtige Erziehung genießen oder daß die Deutschen sich
zu Hause so hochnäsig benehmen, oder daß sie nur deutsch sprechen, so daß
man, wenn man als Ausländer etwas fragt, keine Antwort bekommt?" etc.
Trotz vieler Versuche seitens des Bildungswesens, die Leute hier zu kultivieren, finde ich, daß es immer noch zu wenig ist. Die Menschen hier haben kaum eine Ahnung über das Leben in Deutschland bzw. in Europa, und meiner Meinung nach gibt es auch viele Deutsche bzw. Europäer, die auch keine große Ahnung von Ägypten haben, zurückzuführen auf das mangelnde Informationsbedürfnis der Leute. Hier wie dort fehlt es an guten Berichten seitens der Medien, das Informationsbedürfnis der Menschen ist gering. Ich kann es nicht vergessen, daß mich jemand in Deutschland fragte, ob wir in Ägypten Farbfernseher haben oder ob man mit dem Esel oder Kamel zur Arbeit reitet. Sehr interessant waren auch die Fragen: "Wieviel Geld braucht man, um eine Frau vom Frauenmarkt zu kaufen?" "Warum schließen die moslemischen Männer ihre Häuser ab und sperren ihre Ehefrauen darin ein, solange sie selbst außerhalb des Hauses sind?" Ich denke, man müßte auf diesem Gebiet noch vieles tun, damit mehr Völkerverständigung herrscht. Nachdem ich ein paar schöne Tage in München verbracht hatte, bin ich nach Bonn weitergefahren. Hier wirkten die Menschen neutral, liberal eingestellt, und jeder ging gezielt seines Weges, allerdings gab es auch überall ernste Gesichter. Mich hat es gewundert, daß dieses "Dorf" die Hauptstadt Deutschlands ist. Außer einem Spaziergang am Rhein entlang bietet die Stadt kaum etwas. Ein paar Kilometer weiter, in Köln, ist das Leben anders. Hier kann man das Nachtleben genießen, und das kulturelle Angebot der Stadt ist immens: der Dom, das römisch-germanische Museum, verschiedene Kunstmuseen und eine große Einkaufszone locken Jahr für Jahr viele Reisende an. Die schönste und faszinierendste Stadt in Deutschland ist für mich Berlin. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands, wie auch schon vorher, ist Berlin eine multikulturelle Stadt, in der man vieles erleben kann, Gutes und Schlechtes. Diese Stadt mit ihrem Nachtleben erinnert mich an Kairo, vor 3.00 Uhr morgens bin ich nie nach Hause gekommen, weil immer überall was los ist, es wird nie langweilig. Durch die Motivierung meiner Freunde dort habe ich es gewagt, viele Dinge zu unternehmen, die ich sonst allein nicht getan hätte. Ich habe an Kongressen teilgenommen und mir verschiedene orientalische Ausstellungen angeschaut und mit den Leuten darüber diskutiert. Aber ich habe auch durch die Augen eines Oberägypters die große weite Welt bestaunt. In Berlin gibt es Frauen, die nachts wenig bekleidet wartend auf der Straße stehen und immer so freundlich sind. Zuerst dachte ich, daß sie auf den Bus oder ein anderes öffentliches Verkehrsmittel warten, als ich aber eine Freundin darum bat, in ihrem Auto eine dieser armen Frauen mitzunehmen, damit sie nicht so lange in der Kälte stehen muß, hat mich meine Freundin aufgeklärt. Als ich für die Freundin ein Geschenk kaufen wollte, bin ich in ein Geschäft gegangen, wo es allerlei seltsame Geräte gab, von denen ich nicht wußte, was man damit anfangen kann. Als ich dieses Geschäft verwirrt verließ und noch einmal das Schild über dem Eingang betrachtete, fiel mir auf, daß dieses Geschäft kein gewöhnliches Kaufhaus war... Am selben Abend ging ich mit Freunden an diesem Geschäft vorbei und erzählte ihnen diese Geschichte. Sie haben sich totgelacht! Aus der Erfahrung eines ägyptischen Freundes von mir kann ich berichten, daß sich auch Sprachprobleme zu kleinen Katastrophen auswachsen können, z.B. wenn man statt Corned Beef Katzenfutter oder statt Waschpulver Mehl kauft. Ich war überhaupt sehr erstaunt, wieviel Geld die Deutschen für die Ernährung und Pflege ihrer Haustiere investieren, so daß ich mir oft gewünscht habe, eine deutsche Katze zu sein. Als ich eines Tages zum Friseur gehen wollte, bin ich in einen entsprechenden Laden gegangen, um den Preis für Haareschneiden zu erfahren und um zu schauen, wie man in Deutschland Haare schneidet. Im Laden traf ich einen Mann mit Hund an. Dann kam der Friseur hinzu und fragte mich, wo denn mein Haustier sei. Dabei stellte ich fest, daß ich bei einem Hundefriseur gelandet war. Natürlich würde mir hier keiner glauben, daß es in Deutschland Hundefriseure gibt. Glücklicherweise habe ich in Berlin nicht das erlebt, was andere Ausländer an Diskriminierung erfahren haben und der sie gerade jetzt in verschärftem Maße ausgesetzt sind.
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Teil 4 Nr. 12/94, pp. 8687 Es ist sicherlich nicht so einfach, wenn verschiedenartige Kulturen aufeinandertreffen. Gegenseitiges Verständnis muß erst gelernt werden. Ich will nicht bewerten oder kritisieren, nur eine kleine Geschichte am Beispiel eines Oberägypters nennen wir ihn Ali erzählen. Ali kannte nur sein Dorf und die Provinzuniversität, als er nach Deutschland geschickt wurde. Die Art und Weise des Verhaltens der Europäer mußte seinen naiven Dorf-Augen sehr exotisch vorkommen. Besonders das Thema "Frauen", die unser Freund bisher als schönes, liebes und sehr geheimnisvolles Element seines Lebens betrachtet hatte. Jeder von uns hat seine eigenen positiven oder negativen Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht schon gemacht oder hat sie noch vor sich. Ali hatte von Freunden gehört. Was ihm in Deutschland begegnete, war damit überhaupt nicht zu vergleichen; denn zwischen theoretischem Wissen und praktischer Erfahrung liegen Welten. Genauso muß es einem Touristen ergehen, der viele Bücher über Ägypten gelesen hat, sich gut informiert glaubt, und dann feststellen muß, daß doch vieles anders ist. Noch ganz neu in dieser fremden Welt saß er einmal in einem Café, ganz in der Ecke. Von diesem Platz aus sah er auf ein Pärchen. Die Frau war Deutsche, ihr Begleiter ein Afrikaner. Sie streichelte ihren Begleiter fast von Kopf bis Fuß. "Mein Gott! Wenn jetzt jemand kommt oder reagiert!! Oh, oweh, oweh, sie küßt ihn jetzt auch noch! Wäre einer meiner strenggläubigen Freunde hier, der hätte jetzt 'Haram, Haram' (verboten, verboten) gerufen, vielleicht sogar einen Herzinfarkt bekommen." Gut, daß Ali so weit weg saß, sonst hätte er sich geschämt, die beiden immer weiter anzustarren. Aber er konnte nicht wegsehen. An einem anderen Tisch saßen zwei junge Mädchen, die sich offenbar trefflich amüsierten. Mal warfen sie einen Blick zu den beiden, mal einen auf Ali, der starrte und starrte. Sie flüsterten miteinander und lachten. Galt das ihm oder dem Pärchen? Ali wußte es nicht. Vielleicht war es seine Ähnlichkeit mit dem jungen Mann dort. Die Frau war jetzt aktiver geworden, was ihr Freund mit großer Vorsicht genoß. Er war wohl auch in die Frau verliebt, konnte es aber als Orientale nicht zeigen. Sicher hatte er Hemmungen, seinerseits seine Freundin zu streicheln oder zu küssen. Oder hatte er Angst? Konnte es sein, daß er die ganze Zeit an die Sittenpolizei dachte? Er saß da, so scheu wie ein ägyptisches Mädchen, das zum ersten Mal mit seinem Freund die "Bühne der Öffentlichkeit" betritt, und sich bei jeder Berührung oder jedem Kuß heimlich umsieht, ob sie wohl jemand dabei beobachtet. Der Arme! War ihm denn nicht klar, daß er sich nicht in Kairo, in einer etwas dunkleren Gegend befand, wo er die Hand seiner Freundin fest drückt und das Mädchen heimlich küßt? Nein, anscheinend dachte er die ganze Zeit daran, wie die romantische Atmosphäre zerstört werden könnte, wenn plötzlich die Sittenpolizei die beiden erwischte. Er malte sich vielleicht aus, wie die Personalausweise eingesammelt würden. Katastrophal würde es sein, wenn sie ihre Ausweise nicht dabei hätten. Dann wären beide auf frischer Tat ertappt und einer strengen Befragung ausgesetzt. Vielleicht könnte er sich retten, wenn er die Frau wütend beschimpfen und ihr einen Vortrag über Sitte und Moral halten würde. Vielleicht würden sie dann freigelassen... Was aber, wenn der Polizist herausfinden sollte, daß sich die beiden nur oberflächlich kennen, daß sie zum Beispiel nicht weiß, wie seine Mutter heißt oder er keine Ahnung hat, wo sie zuhause ist?? Dann würde es schlimm aussehen! All das ging Ali im Kopf herum, als er das Pärchen im Café beobachtete, und er konnte mit dem armen dunkelhäutigen Mann nur Mitleid empfinden .... Was Ali wohl jetzt, nach fast zwei Jahren Deutschland, empfinden würde?
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