Religion: Sufismus und Heiligenverehrung
    Inhalt:
    Sufismus und islamische Mystik
    Der Sufismus – Die mystische Lehre im Islam
    Das Sufitum – Die mystische Dimension des Islam
    Ahmad al-Badawi in Tanta
    Geschichte der Sufi-Meister: Abdel Qadir al-Gilani
    Geschichte der Sufi-Meister: Ahmed Ar-Rifaai
    Sufi-Heilige auf ägyptischen Buntdrucken
    Heiligenverehrung in Ägypten im Islam
    Moulids – Volksfeste mit religiösem Hintergrund
    Moulid el-Nabi – der Prophet hat Geburtstag
    Das Ägyptische Schattenspiel um den Prinzen Wisal

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Sufismus und islamische Mystik
von Alfred Huber

Papyrus-Logo Nr. 10/86, pp. 10—11

Zu den wohl faszinierendsten Aspekten des islamischen Geisteslebens zählt der sogenannte "Sufismus". Neben Sufismus ist im Deutschen auch der Terminus "Sufitum" gebräuchlich. In erster Linie ist darunter die islamische Mystik zu verstehen. Darüber hinaus spielt der Sufismus in der muslimischen Philosophie eine große Rolle, weshalb man auch von "sufischer Philosophie" spricht. Schließlich ging vom Sufismus ein bedeutender Einfluß auf Volksglauben und Volkstradition der verschiedenen orientalischen Länder aus. Der Name Sufismus ist die lateinische Bezeichnung des arabischen Fachausdrucks Tasawwuf und geht auf den deutschen Theologen und Orientalisten Friedrich August Tholuck zurück, der 1821 ein Buch unter dem Titel "Sufismus sive Theosophia Persarum Pantheistica" veröffentlichte.

Ein Anhänger des Tasawwuf wird Sufi (pl. Sufiya) oder Mutasawwif genannt. Die Sufiya (= Sufis) sind in der Regel in Turuq (sg. Tariqa) organisiert, worunter man die einzelnen sufischen Wege oder Orden versteht. Die Turuq sind in allen arabischen Ländern vorhanden. Auch in Staaten, in denen die Turuq offiziell verboten sind (z.B. in der Türkei oder in Saudi Arabien) bestehen geheime Sufi-Bruderschaften.

Ornament

Die sufischen Organisationen in Ägypten unterliegen der formellen Aufsicht des Hohen Rates für Sufische Angelegenheiten, bei dem rund 70 verschiedene Turuq staatlich registriert sind. Diese Orden sind in ihrem Bestand und ihren Aktivitäten an die Befolgung eines eigenen Sufi-Gesetzes gebunden, das seit 1903 mit diversen Abänderungen in Kraft ist und das Interesse des Staates hinsichtlich Organisation, Betrieb und allfälligen Tätigkeiten einer jeden Sufi-Bruderschaft dokumentiert.

So muß jede Tariqa ihre Rechtgläubigkeit und Legitimität unter Beweis stellen. Als Nachweis der Legitimität gilt vor allem die Silsila, die mystische Überliefererkette der Shuyukh (= pl. von Shaykh). Dadurch läßt sich die Abstammung des gegenwärtigen Leiters der Bruderschaft über die jeweiligen Ordensgründer bis zum Propheten Mohammad zurückverfolgen, der als eigentlicher Ahnherr sämtlicher Turuq betrachtet wird.

Die Turuq in den westlichen islamischen Ländern leiten sich von den fünf großen Ordensgründern ab, nämlich von Abd Al-Qadir Al-Gilani, Ahmad Ar-Rifaai, Ahmad Al-Badawi, Hassan Ash-Shadhili und Ibrahim Ad-Disuqi. Die drei letztgenannten haben in Ägypten gelebt und gewirkt. Die nach ihnen benannten Turuq heißen (Tariqa-) Qadiriyya, Rifaaiyya, Ahmadiyya, Shadhiliyya und Disuqiyya. Im Laufe der Jahrhunderte kam es zu zahlreichen Abspaltungen und Affiliationen; viele moderne Bruderschaften bekennen sich zu mehr als einem Ordensgründer.

Die Aktivitäten der Sufi-Orden sind oft nicht nach außen hin sichtbar. Die Muridin (Anhänger oder Aspiranten) sind vor allem zu umfassenden spirituellen Übungen und Prüfungen angehalten, wie dem Lesen spezieller Meditationsgebete (= Awrad), was das normale islamische Gebetspensum bei weitem übersteigt. Neben sonstigen Meditationen und Unterweisungen trifft man sich mindestens einmal pro Woche, meist am Donnerstag abends oder am Freitag nach dem Freitagsgebet, zur Abhaltung einer gemeinschaftlichen Andachtsübung, die Dhikr (= Gedenken Gottes) oder Hadra (= Präsenz oder Gegenwart) genannt wird. Das Spektrum dieser spirituellen, mystischen Übung reicht von der ekstatischen Anrufung der Gottesnamen, über Gesänge und die rhythmische Bewegung von Kopf, Händen und Oberkörper bis hin zu einem rituellen Tanz. Am Dhikr können in der Regel nur Personen männlichen Geschlechts teilnehmen.

Der Dhikr findet meist in einer Moschee oder in der Zawiya, einer Art Kloster oder Ordensniederlassung, statt. Die Anzahl der Teilnehmer am Sufi-Zirkel variiert je nach Stärke der Tariqa. An der Hadra der Tariqa Al-Burhaniyya in der Sayyidna Al-Hussein-Moschee in Kairo nehmen regelmäßig weit über tausend Mitglieder teil.

Neben sozialen und karitativen Tätigkeiten zählt auch der Besuch und die Organisation von Mulids zu den vorrangigen Aktivitäten einer Sufi-Bruderschaft.

(Siehe hierzu auch die Mitwirkung der Sufi-Orden beim Mulid en-Nabi, dem Geburtstagsfest des Propheten –Anm. KFN.)

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Der Sufismus – Die mystische Lehre im Islam
von Alfred Huber

Papyrus-Logo Nr. 4/90, pp. 29—30

Die esoterische und mystische Seite des Islams ist unter dem arabischen Namen Tasawwif bekannt, auf Deutsch sagt man dazu Sufismus oder Sufitum. Ein Anhänger dieser Richtung heißt Sufi, eine Anspielung auf die wollene Kleidung (Suf = Wolle) der frühen Asketen im Islam.

Manche, vor allem europäische Forscher haben auf außerislamische Wurzeln dieser Lehre verwiesen und die Zusammenhänge mit antiken, gnostischen und indischen Vorstellungen betont. Tatsächlich gibt es frappante Ähnlichkeiten mit den mystischen Ausprägungen anderer Religionen und Kulte. Für den praktizierenden Sufi im heutigen Ägypten steht jedoch die koranische und islamische Grundlegung seiner Glaubenshaltung außer Zweifel.

Dem Sufismus, der in Ägypten sowohl unter der intellektuellen Elite als auch in der einfachen Landbevölkerung verbreitet ist, haftet noch immer dar Nimbus einer Geheimlehre an, dies deshalb, weil es im Laufe der islamischen Geschichte öfter zu Konfrontationen mit der orthodoxen Mehrheit kam. Das führte in der Vergangenheit dazu, daß die Sufis ihre Zusammenkünfte geheim und in kleinem Kreis abhielten.

Die Sufis beziehen sich – wie die übrigen Muslime – auf die Šari'a, das äußere religiöse Gesetz; für sie geht die Entwicklung der Seele jedoch weiter über die Tariqa, den mystischen Pfad, bis zur Erfahrung der Haqiqa, der absoluten Wahrheit.

Die Suche nach der Unio Mystica erfordert sowohl eine Gemeinschaft von gleichgesinnten Brüdern, als auch einen Šaykh oder Muršid (= Führer oder Lehrer), nach dem in der Regel der jeweilige Orden (gleichfalls als Tariqa, pl.: Turuq bezeichnet) benannt ist.

Die rund 70 in Ägypten verbreiteten Turuq haben ein verschiedenes äußeres Gepräge, das sich in unterschiedlichen Gewändern und Farben, aber auch in liturgischen Differenzierungen äußert. Der mystische Weg ist gekennzeichnet von Stufen (Maqamat) und Stadien (Ahwal), welche die Suchenden oder Adepten zu überwinden haben und die auf Begriffe im Koran zurückgehen.

Jeder Orden hat seine eigene Kette (Silsila) von mystischen Lehrmeistern, die über die großen Ordensgründer und über die beiden Kalifen Abu Bakr und Ali Ibn Talib bis auf den Propheten Muhammad zurückreicht. Die größten Sufi-Orden in Ägypten sind:

  • die (Tariqa) Šadiliya (begründet von Hasan as-Sadili, gest. 1258),
  • die Rifa'iya (begründet von Ahmad Ar-Rifa'i, gest. 1182),
  • die Burhamiya (begründet von Ibrahim ad-Disuqi, gest. 1288) und
  • die Ahmadiya (benannt nach Ahmad al-Badawi, gest. 1276).

In enger Verbindung zur Tätigkeit der Sufi-Orden steht die Heiligenverehrung im Islam, die vor allem in ländlichen Gebieten Ägyptens einen wichtigen religiösen Faktor darstellt. Manifestationen des Heiligenkults, dar in einzelnen Fällen direkte Entsprechungen in vorislamischer und pharaonischer Zeit aufweist, sind die Mulids (arab. Mawalid, sg. Mulid), die Feste dar Lokalheiligen, an denen sich neben den verschiedenen Sufi-Gruppierungen auch das Volk sehr rege beteiligt. Anläßlich eines Mulid kann man am besten das Hauptritual der Sufis beobachten, den Dikr, (wörtlich: Gedenken Gottes, ähnlich dem griech. Mneme), der von einer stillen Meditation bis zu einem wilden, ekstatischen Tanz reichen kann. Besonders wilde Gestalten, die von einem Mulid zum anderen ziehen, nennt man in Ägypten ein wenig abschätzig Derwische (arab. Darawiš).

Auf der anderen Seite besteht eine enge Beziehung zwischen Sufismus und Literatur. Sufischen Dichtern wie Umar Ibn al-Farid, Ibn Arabi, Galal ad-Din Rumi u.v.a. verdankt die Literatur der islamischen Länder ihre Weltgeltung.

Empfehlenswerte Bücher zum Thema Sufismus:
    • Titus Burckhardt, Vom Sufitum, München-Planegg 1953
    • Tor Andrae, Islamische Mystiker, Stuttgart 1960
    • Annemarie Schimmel, Die Mystischen Dimensionen des Islam, Freiburg-Wien 1986
    • Martin Lings, What is Sufism? London 1975 (erscheint demnächst auf Deutsch)
    • Frithjof Schuen, Sufism: Veil and Quintessence, Bloomington (USA) 1989
    • G.Anawati / R.Gardet, La Mystique Musulmane, Paris 1962.

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Das Sufitum – Die mystische Dimension des Islam
von Baraka Abou-Zeid

Papyrus-Logo Nr. 1—2/92, pp. 67—69

Kurze Einführung

Sufismus ist der allgemein akzeptierte Name für die islamische Mystik. Um den genauen Sinn zu erfassen, muß man zunächst fragen, was Mystik bedeutet. Das Wort leitet sich her vom griechischen 'myein' – die Augen schließen. Mystik ist als der große geistige Strom, der alle Religionen durchfließt, bezeichnet worden.

Das Sufitum fußt auf dem Koran und der Tradition, d.h. den Aussprüchen (Hadithen) des Propheten. Eine große Rolle spielt die Sure 7/172 mit der Frage: "Bin ich nicht euer Herr?" Allah selber fragte, vor aller Schöpfung, noch in seiner absoluten Einheit, als er für einen Augenblick die Kinder Adams hervortreten und antworten ließ: "Ja, wir bezeugen es." Das ist die eigentliche Grundlage des islamischen Glaubens. Wichtig ist dabei, daß die Frage vor der Antwort steht, so wie die Liebe Gottes vor dem Glauben: "Er lieb sie, und sie lieben ihn", heißt es in Sure 5/54. Dem entnimmt der Sufi, daß die Liebe Gottes derjenigen des Menschen vorauseilt. Auf den Kern der Mystik, nämlich das Streben nach der Einheit – mit Gott – weist die Sure 55/26 hin: "Alles auf ihr (der Erde) vergeht, doch es bleibt das Antlitz deines Herrn."

Die Praktiker antworteten auf die Frage, was denn Sufismus sei, unter anderem so: Freude in der Trauer, Gewißheit des Herzens, Großmut der Seele, sittliches Verhalten.

Es gab eine frühe asketische Phase, mit Schwerpunkt in Kufa und Basra im 8./9. Jahrhundert, daraus sich lösend, freiere Strömungen im 9./10. Jahrhundert, bis hin zu einer grenzenlosen Gottesliebe und den Anfängen ordensmäßiger Zusammenschlüsse im 11. und 13. Jahrhundert. Meist hatten diese Orden bis weit in das Land hinein durch ihre Anhänger einen großen Einfluß und waren Zentren geselligen Lebens. Die Keimzelle aller menschlichen Kontakte blieb jedoch die enge, ganz vertraute und im Dienst der Sache oft erstaunliche harte Lehr- und Einweihungsbeziehung zwischen dem Meister und Schüler.

Meister und Schüler lebten gewöhnlich in enger Gemeinschaft, doch auch in Abwesenheit der Meister ist stets der spirituelle Bund und der Bund des Herzens gegenwärtig.

Dem Schüler obliegt letzte Offenheit und Aufrichtigkeit, dem Meister die Führung, die individuell ist. Wie fruchtbar dies Zusammengehen sein kann, beweisen kostbare Werke, die ihr Entstehen den Fragen des Schülers und den Antworten des Meisters verdanken.

Der mystische Pfad der Sufis wird in einzelnen Stufen und Stationen unterteilt, von der Reue über Armut, Reinigung, Geduld, Gottvertrauen und Zufriedenheit bis hin zur Liebe und Erkenntnis. Der Weg erfordert absolute Hingabe. In den Exerzitien, beispielsweise Koranrezitationen und Gottgedenken (dhikr), teilweise stunden- oder tagelang, geht es um die Zähmung der Triebseele, nicht um deren Tötung, denn sie soll dem Geiste ja noch dienen. Die Frucht der Exerzitien ist, trotz allen eigenen Bemühens, eine Gottesgabe. Der Schüler kann aus eigener Kraft die 'Stationen', z.B. Gottvertrauen und Standhaftigkeit, Armut und Dankbarkeit, erreichen, während die 'Zustände', wie Beklommenheit und Freude, Sehnsucht, Liebe und Erkenntnis, niemals erworben, sondern immer nur als Gottesgeschenk empfangen werden können.

Es ist schwer, über den Sufismus zu schreiben, über jene Wirklichkeit, die unaussprechlich ist, die durch keinen normalen Erkenntnisakt begriffen werden kann. Sufismus ist die Weisheit des Herzens. Die Sufis sagen: "Wir polieren den Spiegel unseres Herzens und dazu bedarf es einer geistigen Erfahrung."

Doch zunächst muß der Sucher sich auf den Weg machen.

Das weibliche Element im Sufismus

Die Meinung der Sufisten über 'das schwache Geschlecht' ist gespalten, doch mehr als die strenge Orthodoxie bot der Sufismus den Frauen einige Möglichkeiten, aktiv am religiösen und sozialen Leben teilzunehmen.

Die Liebe des Propheten zu seinen Frauen und seinen vier Töchtern schlossen jenes Gefühl der Verachtung des Weiblichen aus, das man so oft im mittelalterlichen Mönchstum findet. Auch die Gräber der weiblichen Nachkommen des Propheten, Sayyida Zeinab und Sayyida Nafisa, werden heute noch täglich von Muslimen aus der ganzen Welt besucht, weil sich diese Frauen durch Frömmigkeit und Tugend ausgezeichnet haben.

Doch wie auch im mittelalterlichen Christentum, gibt es im Sufitum eine Tendenz, nämlich "die Welt" mit der Frau gleichzusetzen. So konnte das Eheleben als Ersatz für das Höllenfeuer angesehen werden; und doch wurde zur Heirat geraten, "denn die Heimsuchungen die auf dich warten, werden dich gewiß auf den Weg zu Gott führen".

Der Asket sollte sich nicht um das Weib "Welt" kümmern. Die "Nafs" (niedere Seele), die sozusagen die individuelle Verkörperung der Welt und ihrer Verführungen ist, wurde mit dem 'Weib' verglichen, das mit seinen Listen und Ränken den reinen Geist zu fesseln und in die Falle des weltlichen Lebens herabzuziehen versucht. Jedoch haben die Äußerungen selten die Intensität des Hasses erreicht wie bei den mittelalterlichen christlichen Schriftstellern in ihren Tiraden über die Frauen und ihre Verdammung. So ist z.B. auch Eva niemals für den Fall Adams verantwortlich gemacht worden.

Die Sufis wußten sehr wohl um die positiven Seiten des Weiblichen. Für den großen Mystiker Ibn Arabi "enthüllt die Frau das Geheimnis des barmherzigen Gottes." Die Liebe zu den Frauen gehört zu den Vollkommenheiten der Gnostiker, denn sie ist vom Propheten ererbt und ist göttliche Liebe. Außerdem läßt er die Möglichkeit zu, daß Frauen zu den 'Abdal', den Vierzig in der Hierarchie der Heiligen gehören können. So findet man auch z.B. in einigen Tariqats (Orden) in der Reihe der Scheichs durchaus Frauen, die verehrt werden.

Die wohl größten Möglichkeiten zur aktiven Teilnahme bot der Bektashi-Orden in der osmanischen Türkei. Hier gab es eine völlige Gleichstellung von Mann und Frau, was jedoch auch zu Klagen Anlaß gab. Eine andere Art weiblicher Aktivität bestand darin, Häuser als Treffpunkte zu gründen, bestehende Institutionen wachsen zu lassen, Sufi-Versammlungen in ihre Wohnungen einzuladen und auch einzelne Mystiker zu betreuen.

Im 9. und 10. Jahrhundert wird in arabischen und persischen Quellen eine beachtliche Anzahl von Frauen wegen ihrer ungewöhnlichen Frömmigkeit erwähnt, und es wird berichtet, daß sogar einige Kidhr (Führer der Mystiker, Begleiter Moses in Sure 18) persönlich geleitet wurden und geistige Instruktionen erhielten.

Die Bekannteste der großen Heiligen ist Rabia Al-Adawiyya, gest. 801. Sie hat den Sufismus entscheidend mitgeprägt, indem sie den Aspekt der reinen Gottesliebe einführte. Zwei ihrer Zeitgenossinnen haben ebenfalls große Namen: Maryam von Basra und Rihana, die Enthusiastische.

Auch einige Frauen, die mit führenden Sufis ihrer Zeit verheiratet waren, erlangten große Berühmtheit. So z.B. Rabia, die Syrerin, Frau von Ahmed Ibn Abil-Hawari, war wegen ihrer geistigen Intuitionen bekannt, die sie in lieblichen Versen ausdrückte.

Am Eindrucksvollsten unter den verheirateten Sufi-Frauen war sicherlich Fatima von Nishapur, Frau von Ahmed Khidruyas. Sie diskutierte frei mit Dhun-Nun und Bayezid Bistamöi. Man erzählte, Dhun-Nun habe einmal eine Gabe von ihr zurückgewiesen, weil sie von einer Frau stammte; sie aber ließ ihm sagen, daß ein wahrer Sufi derjenige sei, der wisse, daß jedes Geschenk letztlich von Gott komme.

Eine besonders hohe Stellung hat die Mutter inne. Der Prophet hatte gesagt: "Das Paradies liegt zu den Füßen der Mütter." Es gibt Geschichten von Sufis, die ihre betagten Mütter auf ihren Schultern nach Mekka trugen, um ihnen die Pilgerreise zu ermöglichen. Viele religiöse Führer haben berichtet, daß sie nicht nur ihre erste religiöse Erziehung, sondern auch ihr anfängliches Training auf dem mystischen Pfad von ihrer Mutter erhalten haben. Da sind z.B. die Mutter von Farid Ganj-i Shakers in Indien und auch Mutter und Tante von Abdel Qadir Al-Gilani.

Es wird auch alten Frauen, vor allem Witwen, viel Macht zugeschrieben und gesagt, ihr Gebet könne Heere stoppen, ihre Klage den Sinn eines Herrschers wandeln, und ihre Appelle an das göttliche Gesetz könnten erhört werden.

Manch eine schlichte Seele fand ewiges Heil durch reine Liebe und Glauben, wie die Geschichte der alten Lalla Mimunah im Maghrib zeigt. Sie war eine arme Negerin, die den Kapitän eines Schiffes gebeten hatte, sie das Ritualgebet zu lehren, aber sie konnte die Formeln nicht schnell genug behalten, darum lief sie hinter dem abfahrenden Schiff her und ging dabei auf dem Wasser. Ihr einziges Gebet war: "Mimunah kennt Gott und Gott kennt Mimunah." Sie wurde zu einer in Nordafrika hochverehrten Heiligen.

Auch heute noch wird ein verhältnismäßig großer Anteil an der Sufi-Lehre von Frauen getragen, im Orient wie auch in Europa. Sie haben tiefen Einfluß auf kleinere oder größere Gruppen von Suchern, die Trost und Hilfe in ihrer Gegenwart finden. So ist der Vers über Rabia noch immer gültig.

"Wären alle Frauen so wie sie, die wir genannt,
so wären Frauen wohl den Männern vorzuziehen.
Der Sonne schadet nicht das weibliche Geschlecht.
Noch dient das männliche zur Ehre für den Mond."

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Ahmad al-Badawi in Tanta
von Peter Schienerl

Papyrus-Logo Nr. 10/86, pp. 12—13

Die Verehrung des Ahmad al Badawi, der als der ägyptische Nationalheilige bezeichnet werden könnte, ist aus vielerlei Gründen von großem kulturhistorischen und ethnographischen Interesse. Die Daten der drei zu Ehren des Heiligen in Tanta abgehaltenen Feste (Jänner, März und der große mawlid im Oktober) richten sich nämlich nicht etwa nach dem islamischen Mondkalender, wie dies bei anderen Heiligenfesten üblich ist, sondern sie werden durch den koptischen Kalender bestimmt. Allein daraus wird der vorislamische Charakter der in Tanta stattfindenden Feste ersichtlich. Während dieser Veranstaltungen ist Tanta von Pilgern, die aus ganz Ägypten angereist kommen, überschwemmt. Die Märkte, die zu Beginn dieses Jahrhunderts bis zu einer Million Besucher anzogen, waren von ungeheuerer wirtschaftlicher Bedeutung für die Stadt und deren Umland. Auch außerhalb der Festzeiten, an ganz gewöhnlichen Wochentagen, wird jeder Besucher der prachtvoll ausgestatteten Grabmoschee von dem regen Treiben in dem Heiligtum und von den reichlichst gefüllten Opferstöcken beeindruckt sein.

Ahmad al Badawi war kein Ägypter, sondern er wurde im Jahre 1200 in Fez geboren. Mit seiner Familie, die als Pilger vier Jahre brauchte, um nach Mekka zu gelangen, kam er als Kind in die heilige Stadt des Islam, wo er aufwuchs. Als Twen scheint er durch einen nicht gerade heiligmäßigen Lebenswandel aufgefallen zu sein, doch begann er sich als Dreißigjähriger für religiöse Fragen zu interessieren. Als er einige Jahre später durch eine Vision aufgefordert wurde, sich in Tanta niederzulassen, lagen noch vier Jahrzehnte strengster asketischer Lebensweise vor ihm.

Wie einer der christlichen Säulenheiligen soll er auf dem Dach eines Hauses regungslos gestanden und in die brennend heiße ägyptische Sonne gestarrt haben. Er beeindruckte allerdings seine Zeitgenossen nicht nur dadurch, sowie durch rigoroses Fasten und durch andere Beweise heiligmäßigen Lebens, sondern es wird auch eine Reihe von Wundern überliefert, die seinen Ruhm im ganzen Land verbreiteten. Selbst der Sultan Baybars soll von dem Heiligen so tief beeindruckt gewesen sein, daß er ihm die Füße küßte.

Ahmad al Badawi hatte natürlich einen großen Zulauf von Schülern, und aus diesem Kreis entwickelte sich allmählich die Sufi-Bruderschaft der Ahmadiyya, deren Mitglieder auch heute noch bei keiner religiösen Prozession in Kairo fehlen.

Ein recht interessanter Aspekt der Verehrung des Ahmad al Badawi ist der weit verbreitete Glaube an seine Fähigkeiten, Verlorenes dem Eigentümer wieder herbeizuschaffen. In dieser Hinsicht entspricht der Sufi-Heilige dem heiligen Antonius von Padua, der von Katholiken in solchen Situationen angerufen wird. Diese Vorstellung von der Macht Ahmad al Badawis geht auf eine Überlieferung zurück, wonach ein Pascha, der als Kriegsgefangener in einem spanischen Kerker schmachtete, in seiner Verzweiflung den Heiligen um Hilfe angerufen habe. Sofort sei die Hand des Heiligen aus dem Grabe hervorgekommen und habe den Pascha mitsamt seiner Eisenkette und einem Stein der Kerkermauer nach Tanta gebracht. Zur Erinnerung an diese Wundertat wurde die Kette und der Stein am Grabe des Heiligen niedergelegt.

Ahmad al Badawi wurde solchermaßen zum Schutzheiligen jener Muslime, die in christliche Gefangenschaft geraten waren. Es wird berichtet, daß auch später dieser Glaube an die wunderbare Wirkungskraft des Heiligen auf eine recht einfache, aber anschauliche Weise lebendig gehalten worden ist. Da man meinte, daß am Tage des mawlids Ahmad al Badawi jeweils drei Muslime aus maltesischer Gefangenschaft befreie, erschienen während des Festes tatsächlich jedesmal drei Männer in Ketten, die den umstellenden Pilgern erklärten, sie seien eben auf wunderbare Weise aus christlichen Kerkern nach Tanta verbracht worden.

Die Bedrohung durch maltesische Piraten gehört heute ebenso der Vergangenheit an, wie die Aktivitäten der von den Christen gefürchteten Seeräuber aus den Barbareskenstaaten. (Islamische Seeräuberstaaten Nordafrikas im 15.—19. Jh.: Tripolitanien, Algerien, Marokko –Anm. KFN) Doch ein Heiliger, der in feindliche Hand gefallene Menschen wieder zu befreien vermag, wird auch für fähig gehalten, in Verlust geratenes Vieh oder andere Wertgegenstände seinem Besitzer wieder zurückzubringen. Diese Vorstellung ist aber heute noch lebendig.

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Geschichte der Sufi-Meister: Abd Al-Qadir Al-Gilani
von Alfred Huber

Papyrus-Logo Nr. 10/86, pp.14—15

Einer der Vorläufer von Sayyid Ahmad Al-Badawi ist der ebenfalls im ganzen Orient bekannte Meister Abd Al-Qadir Al-Gilani. Auch auf ihn geht eine noch heute existente mystische Schule zurück. Es heißt von ihm, er habe schon als Kind paranormale Kräfte entwickelt, die er im Laufe der Zeit immer mehr vervollkommnete. Abd Al-Qadir, der im Jahre 1166 in Baghdad gestorben ist, gilt als erster der großen sufischen Ordensgründer. Wie viele andere Weise der Weltgeschichte hat er selbst keine Werke hinterlassen. Da er jedoch allgemein als Heiliger verehrt wird, sind zahlreiche Hagiographien, also legendenartige Lebensbeschreibungen, in mehreren orientalischen Sprachen in Umlauf, in denen die verschiedenen Episoden seines Lebens in Form von erbaulichen Geschichten wiedergegeben werden.

Aus einer dieser Hagiographien stammt die folgende Geschichte, auf die sich in späteren Jahrhunderten auch Autoritäten der chassidischen Mystik, wie Martin Buber, berufen haben. Die Geschichte behandelt das oft mißverständliche Erscheinungsbild von weisen Menschen und Lehrern.

Die drei Lehrer und die Maultiertreiber

So groß war der Ruhm des Abd Al-Qadir, daß Mystiker der verschiedensten Glaubensrichtungen sich in der Empfangshalle seines Hauses um ihn scharten. Bei all seinen Gästen herrschte edelster Anstand und Beobachtung der überlieferten Sitten. Die frommen Männer ordneten sich je nach Rang und Alter ein, entsprechend dem Ruhm ihrer früheren Lehrer, aber auch nach dem Rang, den sie selbst in ihren eigenen Gemeinschaften hatten.

Außerdem wetteiferten sie miteinander in Aufmerksamkeiten für den "Sultan der Lehrer", Abd Al-Qadir. Sein eigenes Benehmen war unfehlbar, und bei diesen Zusammenkünften gab es niemanden von niedriger Bildung oder mangelnder Schulung.

Eines Tages jedoch kamen die drei Scheichs von Chorassan, Irak und Ägypten – von der Pilgerfahrt nach Mekka zurückkehrend – zu seinem Wohnort, begleitet von drei ungebildeten Maultiertreibern, die ihnen den Weg gezeigt hatten. Während der Reise waren ihnen die Unsitten und Dummheiten dieser drei Männer eine rechte Last gewesen. Als sie nun in die Gesellschaft des großen Scheichs kamen, waren sie von dem Gedanken beglückt, die Begleiter los zu sein.

Im Gegensatz zur üblichen Sitte kam der große Lehrer selber auf sie zu, um sie zu begrüßen. Den Maultiertreibern aber gab er nicht den geringsten Gruß. Später am Abend allerdings, als sich die drei Scheichs zu ihren Quartieren begaben, konnten sie zufällig beobachten, wie Abd Al-Qadir den Maultiertreibern eine gute Nacht wünschte. Als diese respektvoll sein Zimmer verließen, küßte er sogar ihre Hände. Die drei waren über alle Maßen erstaunt und sie begriffen, daß nicht sie die Scheichs waren, sondern die Maultiertreiber. Sie folgten ihnen und versuchten, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Deren Anführer sagte aber nur: "Geht an eure Gebete und euer Gemurmel, ihr Scheichs, geht zu eurer Mystik und eurer Suche nach der Wahrheit, mit der ihr uns 36 Reisetage lang geplagt habt. Wir sind einfache Maultiertreiber und wollen davon nichts wissen."

Das ist also der Unterschied zwischen eigentlichen Mystikern und Weisen, die im Geheimen wirken, und denen, die es nur an der Oberfläche sind.

Karawane bei der Rast

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Geschichte der Sufi-Meister: Ahmed Ar-Rifaai
von Alfred Huber

Papyrus-Logo Nr. 10/86, pp.16—18

Ahmad Ar-Rifaai gilt ebenfalls als einer der fünf großen Ordensgründer im mystischen Islam, auf ihn geht der Orden der Rifaaiyya zurück, der in der ganzen islamischen Welt verbreitet ist und der auch in Ägypten über zahlreiche Anhänger verfügt. Ahmad Ar-Rifaai lebte von 1106 bis 1182, er stammte aus der Stadt Bata'ih im Irak, wo er den größten Teil seines Lebens verbrachte und wo er auch begraben liegt.

Die Rifaai-Moschee in Kairo, gegenüber der bekannten Sultan Hassan-Moschee gelegen, beherbergt das Grab eines Urenkels des Ordensgründers, der unter dem Namen Ali Abu ash-Shubbak ar-Rifaai bekannt ist. Auch diesem werden, wie seinem Vorfahren, mehrere Wundertaten zugeschrieben, worauf auch der Beiname (eig. die Kunya) Abu ash-Shubbak = "Vater des Fensters" hinweist. Er soll nämlich mehrere Mamelukenemire, die seine Anhänger an der Abhaltung ihrer Übungen hindern wollten, von einem Fenster der Moschee aus zurechtgewiesen und sie in der Folge durch die Verrichtung von Wundern in Panik versetzt haben.

In dieser Moschee fanden interessanterweise der letzte ägyptische König Faruk und vor wenigen Jahren der iranische Schah Reza Pahlavi die letzte Ruhe. Die Moschee wurde übrigens erst zu Beginn dieses Jahrhunderts fertiggestellt und zwar unter der Leitung des österreichischen Architekten Herz Pascha, der darüber auch ein Buch geschrieben hat.

Das umliegende Stadtviertel ist alljährlich im Monat Radjab Mittelpunkt eines großen Mulid, zu dem Mitglieder der Rifaai-Bruderschaft aus ganz Ägypten anreisen. Auch heute noch halten die Rifaais an uralten absonderlichen Gebräuchen fest, wie Schlangenbeschwörungen, Feuerschlucken oder dem Durchbohren von Wange und Zunge in tranceähnlichen Zuständen. Derartige Praktiken werden, wie ein moderner Autor (Mustafa Kamil Wasfi) schreibt, dadurch entschuldigt, daß die Lauterkeit und Heiligkeit von Sidi Ahmad Ar-Rifaai die Unverletzlichkeit seiner Anhänger garantiere.

Auf Ahmad Ar-Rifaai geht nicht nur die Gründung eines mystischen Ordens zurück, sondern, wie gesagt, auch die Urheberschaft von zahlreichen Weisheitsgeschichten und Aussprüchen, die von seinen Schülern gesammelt wurden.

Eine dieser Weisheitsgeschichten wollen wir hier vorstellen. Dabei handelt es sich um eine Geschichte, die Rifaai anläßlich einer Begegnung mit dem bekannten Ayyubidensultan Saladin erzählt haben soll, und zwar als Antwort auf die Frage des Herrschers: "Was für einen Grund – falls es überhaupt einen gibt – hast du für die Annahme, daß die Einsetzung von Gesetzesregeln nicht ausreicht, um Glück und Gerechtigkeit zu erreichen?" Die Begegnung zwischen den beiden soll im Jahre 1174 stattgefunden haben. In der Folge wurde die Geschichte in mehreren Weisheitssammlungen wiedergegeben, wobei man darauf hinweist, daß sie die Unabhängigkeit des menschlichen Glücks, sowie die Möglichkeit eines anderen Bewußtseinszustandes des Menschen illustrieren soll.

Die eigenwillige Prinzessin

Es war einmal ein König, der an das glaubte, was man ihn gelehrt hatte und der davon überzeugt war, daß das, was er glaubte, das Rechte sei. In vieler Hinsicht war er ein aufrichtiger Mensch. Seine Vorstellungen jedoch waren begrenzt.

Eines Tages sagte er zu seinen drei Töchtern: "Alles, was ich besitze, gehört euch oder wird euch gehören. Durch mich habt ihr euer Leben empfangen. Mein Wille entscheidet über eure Zukunft und daher über euer Schicksal."
Zwei der Töchter stimmten pflichtschuldig bei, überzeugt von der Wahrheit des Gesagten.
Die dritte Tochter aber sagte: "Obgleich ich in meiner Lage den Gesetzen des Landes gehorchen muß, kann ich jedoch nicht glauben, daß mein Schicksal immer durch deine Ansichten und Absichten bestimmt werden muß."
"Das werden wir sehen", sprach der König.
Und er befahl, die Prinzessin in eine kleine Zelle zu sperren, in der sie jahrelang schmachtete.

Inzwischen verbrauchten der König und seine gehorsamen Töchter unbekümmert das Vermögen, das eigentlich ihr zustand.
Der König sagte sich: "Das Mädchen liegt nicht im Gefängnis, weil es ihr Wille ist, sondern weil es mein Wille ist. Das beweist jedem logischen Verstand hinlänglich, daß mein Wille, und nicht der ihre ihr Schicksal bestimmt."

Von Zeit zu Zeit besuchte der König das Mädchen. Obgleich sie durch die Gefangenschaft blaß und geschwächt war, weigerte sie sich, ihre Einstellung zu ändern.
Schließlich war der König mit seiner Geduld am Ende. "Dein ständiger Trotz", so sagte er zu ihr, "wird mich nur immer mehr ärgern und scheint meine Rechte zu schmälern, wenn du im Königreich bleibst. Ich könnte dich töten lassen, aber ich lasse Gnade walten. Darum verbanne ich dich in die an mein Reich angrenzende Wildnis. In dieser Wildnis leben nur wilde Tiere und jene Überspannten und Ausgestoßenen, die in unserer vernünftigen Gesellschaft nicht überleben können. Da wirst du bald merken, ob es möglich ist, ein Leben außerhalb der Familie zu führen und falls das möglich sein sollte, ob du es dann dem Leben mit uns vorziehst."

Sein Befehl wurde sogleich ausgeführt und man schaffte die Prinzessin an die Grenze des Königreiches. Da fand sie sich nun in einem unwirtlichen Gebiet ausgesetzt, das wenig Ähnlichkeit mit der behüteten Umgebung hatte, in der sie aufgewachsen war. Aber schnell lernte sie, daß eine Höhle als ihre Wohnung dienen konnte, daß sie Nüsse und Früchte ebenso gut von den Bäumen wie von goldenen Schüsseln essen konnte und daß sie allein mit der Wärme der Sonne leben konnte.

"Hier", so sagte sie zu sich selber, "ist ein Leben, in dem die Elemente zusammenstimmen. Sie bilden ein Ganzes und doch gehorchen sie in keiner Weise den Befehlen meines Vaters, des Königs."

Eines Tages geschah es, daß ein verirrter Reiter – und wie das Schicksal es wollte, war es ein reicher und gleichzeitig aufrichtiger Mensch – die verbannte Prinzessin entdeckte. Er verliebte sich in sie und nahm sie mit in sein eigenes Land, wo sie heirateten.

Nach einiger Zeit beschlossen die beiden, in die Wildnis zurückzukehren. Sie errichteten dort eine weitläufige und blühende Stadt, in der ihre Weisheit, ihre Klugheit und ihre Redlichkeit aufs Beste regierten.

Die Stadt und das Land ringsum wurden bald in der Welt berühmt. Es dauerte nicht lange, bis ihre Macht und Schönheit das Königreich des Vaters der Prinzessin weit in den Schatten gestellt hatten.
Durch die einstimmige Wahl der Bewohner waren die Prinzessin und ihr Gemahl gewählt worden, diesem neuen und vollkommenen Königreich vorzustehen.
Endlich entschloß der König sich, den merkwürdigen und geheimnisvollen Ort aufzusuchen, der mitten in der Wildnis aufgeblüht war und, wie er hörte, zumindest teilweise von jenen Leuten bevölkert wurde, die er und seinesgleichen verachteten.

Als er sich mit geneigtem Haupte dem Fuße des Thrones näherte, auf dem das junge Königspaar saß, und er seine Augen aufhob, um jenen zu begegnen, deren Ruf der Gerechtigkeit, des Glücks und der Einsicht den seinen weit übertraf, da hörte er die geflüsterten Worte seiner Tochter: "Siehst du, Vater, jeder Mann und jede Frau hat ihr eigenes Schicksal, und jeder Mensch hat selbst die Möglichkeit, sein Glück, oder sein Unglück zu wählen."

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Sufi-Heilige auf ägyptischen Buntdrucken
von Peter Schienerl

 Nr. 10/86, pp. 19—20

Die Bedeutung von Buntdrucken mit religiösen bildlichen Darstellungen (s. PAPYRUS 1/85, S. 13f.) als dekorativer und segenbringender Wandschmuck einfacher Leute ist in den letzten Jahren so stark zurückgegangen, daß viele Motive, die noch vor wenigen Jahren auf dem religiösen Markt zum Kauf angeboten wurden, heute überhaupt nicht mehr gedruckt werden. Dazu gehört auch einen Reihe von Darstellungen muslimischer Heiliger.

Außer Sheikh Ahmad Al-Badawi, dem Begründer der Ahmadiyya (Abb.1), gab es noch Darstellungen des Abd Al-Qadir Al-Gilani (Abb.2), der als einer der größten Sufi-Heiligen gilt und der der Sufi-Bruderschaft der Qadiriyya seinen Namen gegeben hat. Diese auch in Ägypten sehr weit verbreitete Bruderschaft ist jedem Leser von Karl Mays "Im Lande des Mahdi" wohlbekannt, doch ist das darin gezeichnete äußerst sinistere Bild der "Kadirine" nicht für bare Münze zu nehmen.

Auch das Grab Ahmad Al-Rifaais (Abb. 3), des Begründers der Bruderschaft der Rifaaiyya, deren Mitglieder als vor Schlangenbissen gefeit galten, war einst ein beliebtes Thema volkstümlicher ägyptischer Buntdrucke.

Sheikh Ahmad Al-Badawi
Abb. 1: Sheikh Ahmad Al-Badawi
Abd Al-Qadir Al-Gilani
Abb. 2: Abd Al-Qadir Al-Gilani
Grab des Ahmad Al-Rifaai
Abb. 3: Grab des Ahmad Al-Rifaai

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Heiligenverehrung in Ägypten im Islam
von Siegrid el-Gabbas

Papyrus-Logo Nr. 10/86, pp. 5—9

Die Lehre des Islam kennt eigentlich keinen Mittler zwischen Mensch und Gott. Einfache Fellachen, Tagelöhner oder ungebildete Frauen wagen es aber nicht, mit ihren kleinen Anliegen des Alltags sich direkt an Gott zu wenden, sie suchen näherstehende Mittler und finden diese in den zahllosen Heiligen.

Überall in der islamischen Welt findet man ihre Grabstätten, welche besucht und geehrt werden. Die Gräber sind meist sehr einfach und schmucklos gebaut, oft wurde später eine Moschee angebaut, so daß das eigentliche Grabmal in einem Nebenraum zu finden ist. Dieses Grabmal, oft ein Sarkophag, ist meist von einem Gitter umgeben, an dem die Gläubigen ihre Gebete aufsagen und ihre Wünsche und Anliegen vorbringen.

An den Geburtstagen der Heiligen finden Feste rund um die Grabstätte und Moschee und oft auch im ganzen angrenzenden Viertel statt. Diese Feste – Mulids oder Moulids genannt – haben im Volke eine wichtige Bedeutung. Viele Beschreibungen finden wir in der arabischen Literatur. (In deutscher Übersetzung: Yahya Hakki, Die Öllampe der Umm Haschim, Edition Orient; Farahats Republik, Zeitgenössische ägyptische Erzählungen, herausgegeben von Nagi Naguib, Verlag der Olivenbaum.) Die bekannteste Darstellung ist aber wohl das Puppenspiel des verstorbenen Karikaturisten Salah Gahin (s. PAPYRUS 5—6/86, S. 66ff.). "El leila el kebira" (die große Nacht) ist fast schon ein Volkslied geworden.

Die größte Verehrung wird dem Propheten Mohamed entgegengebracht. Der Besuch seines Grabes in Medina ist ein wichtiges Ereignis im Leben eines Moslem. Sein Mulid findet in diesem Jahr im November (15. Nov.) statt, man erkennt es an den vielen Straßenständen, welche besondere Süßigkeiten anbieten und zur Freude der Kinder Zuckerpuppen und Reiter mit Pferden. (Siehe hierzu: "Moulid el-Nabi – der Prophet hat Geburtstag" von Robert Binson –Anm. KFN.)

In einigen Städten der islamischen Welt werden Reliquien aufbewahrt. Auch in Kairo gibt es einige Erinnerungsstücke, welche in der Sayyidna al Hussain-Moschee aufbewahrt werden. Ebenfalls gibt es einige Fußabdrücke, welche im Volksglauben dem Propheten zugeschrieben werden (z.B. im Qaitbay Mausoleum im Nördlichen Friedhof).

Besondere Verehrung gilt den Verwandten des Propheten, wie z.B. seiner Tochter Fatima und deren Söhnen Hassan und Hussein. Gründer von Sufibruderschaften waren stolz, wenn sie ihre Abstammung von Hassan und Hussein herleiten konnten, wie zum Beispiel der in Tanta verehrte Ahmad al Badawi, der zur Familie des Propheten gehört, zur Ahl al bait.

In der Beschreibung von Grabstätten (turba oder mashad) möchte ich mich auf einige wenige beschränken, die eine wichtige Bedeutung für das religiöse Leben haben:
Eine besondere Rolle im Volksglauben spielt das mashad (Anm.) Sayyidna Hussain, in dem das Haupt des Enkels des Propheten aufbewahrt sein soll. Dabei spielt es anscheinend keine Rolle, ob die Reliquie echt ist. Die Wallfahrt oder der Besuch geschieht in guter Absicht und zu Ehren des Propheten. Außer in Kairo wird das Haupt des Hussain, welcher 680 im Kampfe gegen die Umayyaden fiel, noch an sechs anderen Orten verehrt. Hier wird der Opfertod Hussains symbolisiert, welcher überall der Verehrung würdig ist. Sein Mulid ist in der zweiten Hälfte des Monats Rabie.

Eine genaue Beschreibung des Festes finden wir in dem Buch "Volksglaube im Bereich des Islam" von Rudolf Kriss und Hubert Kriss-Heinrich, S. 55—57:

"Bei unserer zweiten ägyptischen Reise im Jahre 1955/6 hatten wir Gelegenheit, den maulid Husains persönlich miterleben zu dürfen, da der vierte arabische Monat gerade in den Monat Dezember fiel. Unsere ägyptischen Freunde führten uns in der feierlichen Hauptnacht, die sich damals zwischen Montag, dem 12., und Dienstag, dem 13. Dezember, abspielte, auf den großen Platz vor der Moschee. Schon durch die ganzen Zufahrtsstraßen, besonders durch die Mûskî, drängte sich eine lebhafte Menge. Am Platz vor der großen Moschee selbst herrschte ein unsagbares Getümmel, denn die ekstatische Begeisterung des Volkes erreichte an diesem Abend ihren Höhepunkt. (...) Jüngere Männer (bilden) lange Ketten und drängen, auf diese Weise sich brutal Platz schaffend, durch die bewegte Menge. Alle Cafés rings um den Platz sind dicht besetzt von dem mehr behaglich zuschauenden Teil des Volkes und rings um die Moschee, vor allem an ihren Außenwänden, stehen allerhand Krambuden, deren Verkäufer immer wieder aromatisch duftenden Weihrauch entzünden, dessen Schwaden über den ganzen Platz dahintreiben und das Ihre dazutun, das Volk in eine Art gehobene Bewußtseinslage geraten zu lassen. Grelle Lampen erhellen unregelmäßig den Platz, während dazwischen geheimnisvolles Dunkel sich ausbreitet. Es gibt Verkäufer von Farbendrucken, die fromme Legenden und Glaubenshelden darstellen, Rosenkranz- und Amuletthändler und was sonst alles dazu beiträgt, dem Feste zugleich auch einen jahrmarkthaften Charakter zu verleihen. Besonders beliebt sind Zuckergüsse, welche menschliche Figuren, Pferde und Reiter darstellen. Mit Rauschgold und bunten Bändern geschmückt, erfreuen sie das naive Gemüt der einfachen Leute. Sie werden mit dem Sammelnamen 'arûsa bezeichnet, was soviel bedeutet wie 'Braut'. Dieser ursprünglich nur für die weiblichen Figuren benützte Name ging dann auf die ganze Gattung über. Unter diesen Figuren trifft man zuweilen auch die Gestalt des Reiters, welcher einen unter ihm liegenden Dämon mit der Lanze tötet. Manche Forscher glauben in dieser Figur eine Reminiszenz an den altägyptischen Gott Horus erblicken zu können, obwohl das Vorbild des christlichen heiligen Georg eigentlich viel näher 1iegt. Die Darstellungen dieses Heiligen auf koptischen und griechisch-orthodoxen Ikonen könnten dabei sehr wohl eine Vermittlerrolle gespielt haben.

Die verschiedenen Gruppen von Derwischen haben riesige Zelte aufgestellt, die noch größer waren als im Vorjahre jene bei der Rifâ'îya-Moschee, um darin den dikr aufzuführen; aber auch unmittelbar vor dem Haupteingang der Moschee bemerkten wir zwei getrennte dikr-Gruppen in voller Aktion.

Es ist für Ausländer nicht ungefährlich, sich hier aufzuhalten, obwohl wir ja von unseren ägyptischen Freunden begleitet wurden. So ist es an sich nicht verboten einem dikr zuzusehen, und immer wieder finden sich Leute, die einem bereitwillig Platz machen und denen es sogar Freude bereitet, wenn sich ein Fremder für ihr Fest interessiert. (...)

Unsere Begleiter meinten, wir sollten uns eine Zeitlang in eines der Caféhäuser zurückziehen und sie würden später versuchen, uns Eingang in eines der Derwisch-Zelte zu verschaffen. Auch in den Caféhäusern ging es sehr lebhaft zu. Akrobaten erschienen und führten Kunststücke auf, und wir konnten unter anderem einen jungen Mann im Bilde festhalten, der einen Stuhl nur mit den Zähnen an der Lehne festhielt und ihn mit den vier Stuhlbeinen nach oben balancierte. Inzwischen war es einem unserer Begleiter gelungen, mit Hilfe eines Polizisten das Einverständnis derjenigen Personen zu erlangen, die mit der Verwaltung der Moschee in Verbindung standen, auf Grund dessen wir tatsächlich in eines der großen Zelte eintreten konnten, in dessen Mitte die Derwische in einer langen Reihe standen. Zu beiden Seiten saßen dichtgedrängt die Zuschauer. Die Derwische hatten gerade einen neuen dikr begonnen, an dessen Anfang die Bewegungen immer noch in einer Art ruhigen Gleichmaßes vollführt werden. Nach etwa einer Viertelstunde verfielen sie aber mehr und mehr in Raserei, und da man nie weiß, wie das Publikum, wenn es in Ekstase gerät, reagiert, wurde uns bedeutet, uns allmählich zurückzuziehen. In solchen Fällen ist auch die höchste Behörde machtlos, und es blieb uns nichts anderes übrig, als zu folgen. Zudem hatten wir ja im vergangenen Jahre Gelegenheit gehabt, bei der Rifâ'îya-Moschee einen solchen dikr studieren zu können. Wir traten aus dem Zelt wiederum hinaus auf den freien Platz, um unsere Eindrücke vom Ablauf eines orientalischen Festes zu vertiefen. Man glaubt sich tatsächlich in die märchenhafte Welt von Tausendundeiner Nacht zurückversetzt. Alles trägt dazu bei, eine Art unwirkliche Stimmung zu erzeugen: Der süße Duft des Weihrauchs – man redet nicht umsonst von den Wohlgerüchen Arabiens – die grellen Lampen, die hin und her wogende Volksmenge, die offenen Buden der Händler mit ihren bunten Plakaten und all dem farbigen Flitter und Tand, den sie feilbieten. Aber den wuchtigen Mittelpunkt bilden doch immer wieder die schweren Quadern der riesigen Moschee, deren hohe Wände im Dunkel des Nachthimmels zu verschwinden scheinen."

Die Lieblingsheilige der Kairiner ist zweifellos Sayyida Zainab, liebevoll "Sitta Zainab" im Volk genannt.
Sie soll die Schwester Hussains und Zeugin seines Opfertodes bei Karbala gewesen sein. Es gibt andere Quellen, die behaupten, sie sei die Tochter des Hussainiden Yahya al Mutawwady und habe ihrer ebenfalls als Heilige verehrten Tante Nafisa 40 Jahre treu gedient.

Im Volksglauben nimmt man die erste Version an. Sayyida Zainab wollte die ihr noch verbliebenen Lebenstage in der Nähe des Grabes ihres Großvaters, des Propheten, verbringen. Den Umayyaden war dies unangenehm, allein ihre Anwesenheit genügte, um die Bevölkerung gegen die Obrigkeit aufzubringen. Sie wurde vom Statthalter aufgefordert, Medina zu verlassen. Widerstrebend leistete Zainab der Anweisung Folge und kam nach Ägypten. Hier wurde sie achtungsvoll aufgenommen und verbrachte den Rest ihres Lebens im Gebet.

In der ersten Hälfte des Monats sha'ban wird der mulid von Sitta Zainab gefeiert, unbeeinflußt von historischen Überlegungen über ihre wahre Persönlichkeit.
Als Schutzpatronin Kairos und als wahre Heilige wird Sayyida Nafisa angesehen. Sie wurde in Mekka geboren und wuchs in Medina auf und war wegen ihrer Frömmigkeit bekannt.
Mit ihrem Mann kam sie nach Fustat, wo sie sieben Jahre bis zu ihrem Tode wohnte. Viele Legenden erzählen von Wundern und Heilungen, die sie vollbracht hat. Als sie starb, baten die Ägypter ihren Mann, sie in Kairo zu bestatten. Auch nach ihrem Tode werden Wunder auf ihre Fürsprache zurückgeführt.

Eine weitere Gruppe von Heiligen sind die Sufi-Heiligen, wie z.B. Sultan al Hanafi. Er war ein Nachkomme des ersten Kalifen Abu Bakr und wuchs als Waise auf. Er zog sich in die Einsamkeit zurück und lebte in einer unterirdischen Klause. Durch Predigten zog er die Aufmerksamkeit der Leute auf sich und konnte durch seinen Einfluß Druck auf die Herrschenden seiner Zeit ausüben. Neben seinem Wissen wird seine Freigebigkeit und seine große Tierliebe gerühmt. Der dreimalige Gang zwischen den Heiligtümern der Sayyida Zainab und des Sultan al Hanafi (wobei der Weg durch die an Heiligengräbern reichen Gassen Darb al Djadid und Suwaiqa Lala führt), gilt als besonders verdienstvoll und die dabei gesprochenen Gebete sollen Erhörung finden.

Welche Bedeutung haben die Heiligen im religiösen Leben des Volkes?
Es gibt Schutzpatrone für Orte oder Länder, aber auch für bestimmte Berufsgruppen. Im Ganzen gesehen sind sie individuelle Helfer in allen Nöten, in denen man einer höheren Macht zu bedürfen glaubt. Man wendet sich an sie, um von den Übeln und Krankheiten bewahrt zu bleiben, die von den vielen Geistern drohen, um Heilung zu finden, man bittet um eine reiche Ernte, um gesundes Vieh, um Regen und Wasser. Daneben haben sich manche Heilige zu Spezialisten für bestimmte Bedürfnisse entwickelt: zur Behebung von Kinderlosigkeit, zur Befreiung von Geisteskrankheiten. Ihre Macht und ihr Einfluß sind unterschiedlich. Zuerst bittet man den Heiligen, der am nächsten ist, versagt dieser, geht man zu einer mächtigeren Instanz. Die Fürbitte erfordert auch Opfer. Der kleine Dorfheilige, in dessen Nähe man lebt und mit dem man vertraut ist, teilt die bescheidene Lebeweise, die mächtigen Heiligen, die von überall besucht werden, verlangen größere Opfer, z.B. Tieropfer. Oft wird das Tier verkauft und der Erlös dem Heiligtum gegeben. Meist aber wird es wirklich zu Ehren des Heiligen geschlachtet, bevorzugt am Heiligtum, wenn das Mulid gefeiert wird. Die Opferung kann aber auch im eigenen Haus geschehen. Mit dem Fleisch werden Gäste bewirtet und ein bestimmter Anteil an Arme und Diener des Heiligtums verteilt. Oft werden mit dem Blute der Opfertiere Zeichen an den Wänden angebracht. Das Anbinden von Fetzen von Kleidungsstücken am Gitter des Grabmals soll den Heiligen an den Besuch und das Opfer des Verehrers erinnern.

Während der bewußte Moslem die Opfer und Gelübde nur als Gott dargebracht anerkennen kann und dabei nur ein beschränktes Verdienst dem Heiligen zugesteht, durch dessen Vermittlung der Gläubige sich Gott zu nähern sucht, folglich auch eine direkte Anrufung des Heiligen und ein Schwören bei ihm ablehnt, ist sich der einfache Mann aus dem Volke dieser Einschränkung keineswegs immer bewußt.

Literatur:
    • Bannert, Ernst: Islamische Wallfahrtsstätten Kairos, Enzyklopädie des Islam, Bd. III, (Otto Harrassowitz), Leipzig 1936
    • Goldziher, Ignaz: Muhammedanische Studien II, Halle 1890
    • Hartmann, Richard: Die Religion des Islam, Berlin 1944
    • Kriss, Rudolf und Kriss-Heinrich, Hubert: Volksglaube im Bereich des Islam, Bd. 1, (Otto Harrassowitz), Wiesbaden 1960
    • Lane, Edward W: Manners and Customs of the Modern Egyptians, 1836 (Reprint: East-West Publications 1981)
Anmerkung: 
    • Als mashad = Bezeugungsstätte wird ursprünglich ein Grab bezeichnet, das leer und nur von symbolischer Bedeutung ist. In der Umgangssprache jedoch wird kaum zwischen turba und mashad unterschieden.
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Zusatz zum Luxor-Fest
von Elisabeth Claus
Papyrus-Logo Nr. 10/86, p. 9

Einer der bekanntesten Heiligen Oberägyptens, zu dessen Ehren jährlich in Luxor ein großes und berühmtes mulid stattfindet, ist Yussuf Abu al-Haggag. Seine Grabmoschee dürfte allen Besuchern Luxors bekannt sein, da sie sich unübersehbar auf einem Erdhügel innerhalb des Bereiches des Luxor-Tempels erhebt und an dieser Stelle weitere Ausgrabungen verhinderte, da man wegen der Heiligkeit des Ortes die Kultstätte nicht abzureißen wagte.
Kriss berichtet in seinem Buch "Volksglaube im Bereich des Islam" sehr ausführlich über Legenden und Brauchtum rund um diesen populären Heiligen.

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Moulids – Volksfeste mit religiösem Hintergrund
von Marianne Morsi

Papyrus-Logo Nr. 1—2/95, pp. 4—12

Es soll Ägypter geben, die noch nie auf einem Moulid waren. Ausländer können nach jahrelangem Aufenthalt Ägypten verlassen, ohne eines dieser einmaligen Volksfeste erlebt zu haben. Ein Moulid ist überwältigend, bunt, laut, mystisch, profan, manchmal erschreckend – ein unvergeßliches Erlebnis.

Moulids sind eine Welt für sich. Das Volk liebt sie, reist zu ihnen manchmal von weit her, und große Moulids haben eine Teilnehmerzahl, die nicht weit von einer Million entfernt ist. Moulids sind rein ägyptisch. Es gibt islamische, koptische, (über die in einem anderen Artikel in diesem Heft zu lesen ist – s. den Beitrag von Hans Rahm: Die christlichen Feste in Ägypten –Anm. KFN) und auch ein jüdisches Moulid. Sie sind nicht auf den Propheten zurückzuführen, die orthodox Religiösen dulden sie gerade noch, die Fundamentalisten verdammen sie, die Regierung unterstützt sie jetzt wieder.

Es gilt als historisch gesichert, daß Moulids pharaonischen Ursprungs sind. Vielen Menschen ist die reine Religion zu fern. Sie suchen eine Nähe, die sie erleben können. Das war in den alten Zeiten nicht anders als jetzt. Nur daß Anlässe und Personen ausgetauscht wurden. Am deutlichsten ist das in Luxor erkennbar. Zum Opet-Fest wurden im Neuen Reich in einer Prozession drei Barken vom Karnak- zum Luxor-Tempel geführt. Heutzutage führt die Prozession während des Moulid von Sidi Abu el-Haggag ebenfalls drei Boote mit. Die vielen Feste zu pharaonischen Zeiten – es waren 162 unter Ramses III. pro Jahr – hingen meist mit dem Nil, den Überschwemmungen, der Fruchtbarkeit und lokalen Göttern zusammen. Wenn auch der Nil nicht mehr im Mittelpunkt steht, haben doch die Heiligen und ihre speziellen Barakas (Segen, Hilfe, Fürsprache usw.) dieselbe Funktion.

Moulids...
Sie feiern Geburts-, manchmal auch Todestage von Heiligen (der Islam kennt keine Heiligen, das Volk jedoch glaubt an sie), die zu Lebzeiten gottesfürchtige Männer waren und ihren Weg (Tariqa) zu Gott gefunden haben. Ihnen werden Wunder zugeschrieben, die sie – häufig schon zu Lebzeiten – vollbracht haben sollen. Da fast jedes größere Dorf sein Heiligengrab oder Heiligtum (Maqam) besitzt, für das einmal im Jahr ein Moulid abgehalten wird, gibt es in Ägypten das Jahr über Tausende von Moulids.

Die etwa 70 Sufi-Orden (Tariqa = Weg = Orden) mit einigen Millionen Mitgliedern sind national organisiert und zelebrieren die Moulids. Lokale Gruppen werden vom örtlichen Verantwortlichen des Ordens, dem Khalifa geleitet. Sie besuchen mehrere Moulids, die nicht unbedingt zu ihrem eigenen Orden (Tariqa) gehören müssen, manchmal weit entfernt liegen. Übernachten können die Teilnehmer dann in Moscheen, bei Familien oder auch in z.T. ausgedehnten Zeltlagern. Letzteres besonders dann, wenn das Moulid auf dem Lande stattfindet.

Ein Moulid wird zugleich als Handelsplatz genutzt, wo man praktisch alles kaufen bzw. verkaufen kann: u.a. Plastiksachen, Geschirr, Weihrauch und viele Bücher.

Der Großteil der Menschen bei einem solchen Fest gehört nicht unbedingt einem Orden an. Abgesehen von seinen Anhängern und Pilgern die sich Baraka erbitten, sind es auch viele, denen es um das Vergnügen am Essen, an Darbietungen und Musik, am geselligen Zusammensein, um Kauf und Verkauf und um spezielle Dienste geht, wie z.B. Beschneidungen von Jungen und Mädchen, Teufelsaustreibungen. (Beides soll, wenn es während eines Moulids geschieht, mit Baraka bedacht sein.) Außerdem gibt es professionelle Schausteller (Mawalidiya), die von Moulid zu Moulid reisen und sich damit ihren Lebensunterhalt verdienen: so z.B. mit Schiffschaukeln, Schießbuden, Puppentheater, Karussells. Es gibt Tanzbären, Schlangenmenschen, Feuerschlucker usw. Natürlich zieht so ein Fest auch viele Bettler und Taschendiebe an. Das Gedränge ist (wenn es nicht zu eng dazu wäre) "umwerfend", der Lärm von Lautsprechern mit Anpreisungen und Musik ohrenbetäubend, aber alle sind gutgelaunt und freundlich.

Jedes Moulid hat seine Besonderheit, hat seine traditionellen Aktivitäten, die eng mit dem jeweiligen religiösen Orden und mit streng festgehaltenen Bräuchen und Ritualen verbunden sind. Und jedes hat seine besonderen Segnungen und Wohltaten, eben Baraka.

Allgemein gilt, daß ein Moulid meistens eine Woche dauert. Die Eröffnungszeremonie besteht aus dem Lesen von Koranversen und aus Reden. Schon vorher füllt sich das Dorf oder die Stadt mit Derwischen (Sufis) bzw. Anhängern der betreffenden Tariqa, die mit Familie und transportabler Küche gekommen sind. Die oben genannten Händler und Schausteller bauen ihre Stände auf. Mehr und mehr Familien kommen dann zum Höhepunkt des Festes, der Laila el-Kibbira, der Nacht vor dem Ende des Moulid.

Tagsüber ist nie viel los. Alle sind müde von der durchwachten Nacht. Man schläft oder trinkt bei den Sufis Tee. Gastfreundschaft ist eine ihrer Haupteigenschaften. Essen und Trinken zu geben und zu empfangen ist Baraka.

Nachts ist dann alles phantastisch beleuchtet. Leider wird dann auch phantastisch gelärmt. Die Sänger des Zikr ("Z" = ein weiches "S"), die Munshids, stellen die Lautsprecher auf eine Stärke, daß alles nur noch verzerrt zu hören ist. Jeder der Zikr-Sänger versucht, den Zikr neben sich zu übertönen. Das ist schade; denn die Musik ist schön. Einige Sheikhs haben sie auf Kassette aufnehmen lassen, man kann sie während eines Moulids kaufen.

Was ist nun ein Zikr? (Das Wort heißt auf hocharabisch "Gedenken, Erinnerung"). Zikr repräsentiert den Kern des Bestrebens der Sufis, Gott näherzukommen, soll den Geist bzw. die Seele leeren von allem anderen. Dazu gehören Atemkontrolle und das ständige Wiederholen des dreimaligen Anrufens Gottes, "Allah Allah Allah" oder des Rufes "la illaha illa allah" (es gibt keinen Gott außer Gott) oder der 99 Namen Gottes. Rhythmische Körperbewegungen dazu, bei jedem Orden verschieden, bringen den Betenden in Trance, oft in Ekstase. Der Rhythmus, von Trommeln bestimmt, steigert sich, die Anrufungen werden kürzer, manchmal so kurz, daß nur noch ein einziger Laut "Huu" zu hören ist, was von Außenstehenden dann häufig als das "Heulen" der Derwische bezeichnet wird. Ein Höhepunkt ist nach ca. 20 Minuten erreicht. Dann geht es wieder zum Anfang zurück.

Es gibt Zikrs, die Musik nicht zulassen. Doch hat es sich für die meisten herausgebildet, daß im Wechselgesang die Taten des entsprechenden Heiligen gepriesen werden.

Eigentlich gäbe es Zikr-Vorschriften. Zum Beispiel, daß es Frauen nicht erlaubt ist, daran teilzunehmen, daß Musik verboten ist. All das wird jedoch bei den meisten Moulid-Zikrs nicht beachtet. Fest steht, daß sie die Hauptattraktion sind. Sie finden in Zelten und anderen Räumen statt, die mit den traditionell bedruckten bunten Stoffbahnen verkleidet sind, und dauern die ganze Nacht. Jeder Teilnehmer kann kommen und gehen, wann er will.

Vor wenigen Jahren gab es zu manchen Moulids noch Dosa. Der Sheikh ging über Schwerter oder große Messer, die auf Nacken, Bauch oder dem Mund seiner Glaubensbrüder lagen. Die Gläubigen durchstachen sich die Wangen mit Nadeln, Glasscherben wurden gekaut, Skorpione und Schlangen gegessen. Inzwischen wurde das verboten und dieses Verbot wird auch eingehalten, da sonst im nächsten Jahr das Moulid nicht mehr abgehalten werden dürfte.

Während eines Moulid wird viel Essen gespendet – Baraka. Jedes hat seine speziellen Süßigkeiten. Und zu jedem Moulid gehören Kichererbsen (Hommus), in Oberägypten Erdnüsse (Sudani) und die Zuckerpuppen, die es in Kairo nur zum Geburtstag des Propheten (Moulid en-Nabi) gibt. Ebenfalls typisch für oberägyptische Moulids sind die "Pferderennen" (Mirmah), in denen jeweils ein einzelner Reiter seine Künste und die Schnelligkeit seines Pferdes vorführt, sowie die fingierten Stockkämpfe (Tahtib) zur Musik von Trommeln und traditionellen Saiteninstrumenten. Diese Stockkämpfe werden manchmal bei hiesigen Moulids als "Stocktänze" zelebriert.

Am Nachmittag vor der Laila el-Kibbira oder mittags am Tage danach finden farbenprächtige Prozessionen (Zaffa) um das Grab des Heiligen, in Kairo durch die Straßen, statt. Ordensfahnen, Schrifttafeln, Wimpel werden mitgeführt, alle in den Farben des Ordens wie auch die Turbane der Männer. Von den Balkonen regnet es Bonbons, so daß der Sheikh auf seinem Pferd meistens einen Schirm als Schutz mit sich führt.

In Oberägypten ist Mahmal eine alte Tradition. Auf einem Kamel ist eine farbige Decke, Kiswa, aus dem Heiligtum über ein Holzgestell gebreitet. Sie zu berühren oder sein Kind hinaufzuhalten, bringt Baraka.
Diese Prozessionen hinterlassen einen überwältigenden Eindruck.

Zum Abschluß des Moulid werden noch einmal Koranverse rezitiert und dann ist innerhalb von ein oder zwei Stunden nichts mehr da, was darauf deutet, daß dort gerade noch ein Volksfest größten Ausmaßes stattgefunden hat.

Man fühlt sich an mittelalterliche Feste zu Todestagen eines Heiligen erinnert. Religiöse und weltliche Aktivitäten entstanden um sie herum. Auch da wurden Prozessionen abgehalten, Pilger, Besucher, Schausteller und Bettler kamen. Dieselben Attraktionen wurden geboten, Tanzbären und dressierte Affen gehörten dazu, Feuer- und Schwertschlucker, Wahrsager, Geschicklichkeitswettkämpfe, Karussells und Schaukeln nebst anderen Belustigungen für Kinder und Erwachsene.

Aus der großen Anzahl der Moulids sind im folgenden einige, teils wegen ihrer Besonderheit, teils, weil sie leicht zu erreichen sind, aufgeführt. Ich muß vorausschicken, daß die meisten sich nach dem islamischen Kalender, der Higra, richten. Was für das Jahr 1995 gilt, liegt im nächsten Jahr dann 11 Tage früher. Und auch darauf kann man sich nicht unbedingt verlassen; denn der Beginn und auch die Laila el-Kibbira des jeweiligen Moulids muß auf einen bestimmten Wochentag, z.B. Mittwoch, fallen. Dann gibt es wieder die auf dem Lande, besonders im Delta, die ihr festes Datum nach dem Sonnenkalender, unserer Zeitrechnung also, haben. Die Zeiten des Säens, Bewässerns, Erntens müssen berücksichtigt werden. Auch das kann sich aber ändern, wenn das Fest in den Ramadan oder auf den Geburtstag des Propheten fallen würde. Dann wird eben umdisponiert.

Eine Datumskuriosität: Das Moulid von es-Sultan Farghal in Abu Tig beginnt am letzten Tag der Universitäts-Examina.

Ein Ratschlag: Gehen Sie nicht ohne ägyptische Freunde zu einem Moulid!
Wer an einem Moulid interessiert ist, sollte einen ägyptischen Freund bitten, ihm das Datum aus der Tageszeitung zu geben (Dauer eines Moulids: meistens eine Woche) oder, noch besser, ihn im Büro der Sufi-Organisation (Tariqa Sufi) in der Azhar anrufen lassen. Bitte beachten Sie, daß dort nur arabisch gesprochen wird! (...)

  • Imam esh-Shafi:
    Anfang Shaaban, beginnt am Mittwoch. Kairo, südliche Totenstadt.
    Besonderheit: Sein Mausoleum mit der riesigen Kuppel, auf der ein Boot ruht, in dem immer Vogelfutter sein soll.
  • Abu el-Haggag:
    Beginnt zwischen 14. und 17. Shaaban. Luxor, in der Mitte des Amon-Tempels.
    Besonderheit: Größtes Moulid in Oberägypten, Bootsprozession, Pferderennen, Stockgefechte, Mahmal.
  • Ahmed er-Rifa'i:
    2. Woche Shaaban. Kairo, bei der Zitadelle.
    Besonderheit: Die Rifa'i-Orden kommen aus allen Teilen Ägyptens. Das Gebiet um die Zitadelle ist voller Zelte. Besonders große Prozession von der Sayyida Zeinab-Moschee zur er-Rifa'i-Moschee. Die Farbe des Ordens ist Schwarz. (Siehe hierzu: Geschichte der Sufi-Meister: Ahmed Ar-Rifaai von Alfred Huber –Anm. KFN.)
  • Moulid en-Nabi:
    Am 12. Rabi el-Awwal, dauert nur diesen Tag. Feiern im ganzen Land, in Kairo besonders bei der Hussein-Moschee, wo die Prozession, von der Gaffari-Moschee in Darassa kommend, endet.
    Besonderheit: Prozessionen aller Orden (sehr beeindruckend). Regierungsoffizielle nehmen daran teil. (Siehe hierzu: Moulid el-Nabi – der Prophet hat Geburtstag von Robert Binson –Anm. KFN.)
  • Sayyedna el-Hussein:
    Mitte Rabi e-Tani (el-Akhir), dauert zwei Wochen. Kairo, bei der Hussein-Moschee. Großer Tag am Dienstag, Laila el-Kibbira am Mittwoch.
    Besonderheit: Beliebtester Heiliger der Kairener. Sowohl Schiiten als auch Sunniten verehren ihn, daher Prozession vieler Orden.
  • Sidi Ahmed el-Bayoumi:
    Am 5. Ragab ist die Laila el-Kibbira. Kairo, el-Bayoumi-Moschee in Husayniya.
    Besonderheit: Besonders eindrucksvolle Prozession, alles in Rot, von der el-Hussein-Moschee durch Altstadt, Stadttor Bab el-Futouh und die engen Straßen von el-Husayniya zu seinem Grab in der el-Bayoumi-Moschee. Sich unablässig drehende "Derwische" in ihren weitschwingenden (hier roten) Röcken begleiten den Zug.
  • Sayyida Nafissa:
    Mitte Gumad e-Tani (el-Akhir), fängt an einem Mittwoch an, endet an einem Dienstag. Kairo, südliche Totenstadt (Fustat). Sie soll wegen ihres Grabs und der damit verbundenen Baraka entstanden sein.
  • Sayyida Zeinab:
    Mitte Ragab, dauert 15 Tage, Die Laila el-Kibbira ist in der Nacht von Dienstag zu Mittwoch. Kairo, Sayyida Zeinab-Moschee beim Islamischen Museum.
    Besonderheit: Die Prozession durch die Altstadt, die an diesem Tag für jeden Verkehr gesperrt ist. Ihr Moulid ist das größte Kairos.
  • Hamid esh-Shazli:
    Am 27. Ragab. Kairo, Mohandessin, esh-Shazli-Moschee.
    Besonderheit: Der Orden der Shazleya hat Grün als seine Farbe. Prozession in Mohandessin.
  • Ahmed el-Badawi:
    Geht nach westl. Zeitrechnung, 30. Oktober, Tanta.
    Dieses größte Moulidfest in Ägypten zum Ende der Baumwollernte im Oktober leitet eine ganze Kette von Moulids im Delta ein. Es ist zu Ehren von Saiyid Ahmed el-Badawi, dem Gründer der Sufi-Orden der Ahmediya. Zu dem achttägigen Fest kommen ca. eine Million Menschen nach Tanta. Tanta soll durch seine Anhängerschaft zur Großstadt geworden sein. Das Moulid bietet neben den üblichen Attraktionen Zirkusaufführungen mit Löwen, Tigern usw. Dort findet man auch erstaunliche Vorführungen von frei schwebenden Menschen. Ordensfarbe Rot. (Siehe hierzu: Ahmad al-Badawi in Tanta von Peter Schienerl –Anm. KFN.)
  • Sidi Abu el-Abbas el-Mursi:
    Geht nach westlicher Zeitrechnung. Einzige Auskunft: Im Juli. Alexandria.
    Besonderheit: Man zahlt Eintritt in Zelte, in denen Jongleure, Bauchtänzerinnen, Schlangenmenschen, der berühmte sprechende Kopf, der Gedanken liest, und Abnormitäten bestaunt werden können.
  • Abu Khatzeira:
    War am 22. Dezember 1994, geht nach Mondkalender, also 1995 am 11. Dezember, dauert zwei Tage.Damanhour.
    Dieses einzige jüdische Moulid in Ägypten soll nicht unerwähnt bleiben. Es findet bei dem Grab des jüdischen Heiligen Abu Khatzeira in Damanhour statt und dauert zwei Tage. Nur Juden nehmen daran teil, meistens von Israel, Frankreich und Marokko sowie die wenigen, die noch in Ägypten sind.
    Einige tausend Teilnehmer werden von tausend Sicherheitspolizisten bewacht. Ebenfalls aus Sicherheitsgründen dürfen keine nichtjüdischen Ägypter daran teilnehmen. Dieses Fest muß einst sehr groß gewesen sein; sicher haben damals – wie bei den christlichen und moslemischen Moulids noch heute – auch Andersgläubige daran teilgenommen.
    Am ersten Abend wird der Schlüssel zum Heiligtum versteigert – in Dollarwährung. Kerzen werden beim Grab angezündet, mitgebrachtes Wasser geweiht – Baraka –, und man schlachtet rituell ein Schaf – für den eigenen Verzehr. Kranke Verwandte werden mitgebracht, und man bittet um Fürsprache des Heiligen. Das Fest findet mit viel Essen, Trinken, Singen und Lustbarkeiten im Zelt neben dem Schrein statt. Die ägyptisch-moslemische Nachbarschaft zeigt wie immer bei den religiösen Festen Andersgläubiger Toleranz. Vielleicht amüsiert man sich über zu lautes Feiern und den Alkoholkonsum: "Bei Abu Khatzeira gewesen? Waren wieder alle betrunken?"

Dank an Jallan Abbas, deren Doktorarbeit über Moulids mir auch geholfen hat.

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Moulid el-Nabi – der Prophet hat Geburtstag
von Robert Binson

Papyrus-Logo Nr. 1—2/95, pp. 22—26 und Nr. 5—6/99, pp. 21—24

Am 12. Rabi' el-Auwal, im dritten Monat des islamischen Kalenderjahres, feiern Muslime den Geburtstag des Propheten Mohamed – mit Gottesdiensten und Almosengaben, mit offiziellen Feierlichkeiten und Volksfeststimmung. Wie er dieses Geburtsfest des Propheten, den Moulid el-Nabi, in Kairo erlebte, von wo aus sich der Brauch über die ganze islamische Welt verbreitet hat, berichtetet Robert Binson, der zur Zeit in Ägypten an entwicklungspolitischen Themen arbeitet.

Wie selbstverständlich setzt sich das Mädchen, nach einer fragenden Handbewegung zu uns. Nirgends sonst gibt es noch einen freien Stuhl. Dicht nebeneinander gezwängt sitzen um uns die Menschen, meist Familien mit vielen Kindern. Wir haben selbst Glück gehabt, einen Platz zu finden, denn nur zwei, drei schmale Reihen von Tischchen stehen heute vor den Teehäusern an der Westseite des Platzes.

Unmittelbar an der vordersten Reihe der Sitzenden vorbei schieben sich die Menschen zur Mitte des Platzes, wo sich bereits eine stattliche Menge drängt. Jeder möchte möglichst nahe an der Hussein-Moschee sein, deren abweisende Fassade heute weitgehend verdeckt wird von einem langen, zum Platz hin offenen Zelt. Die mit Arabeskenmustern bedruckten Stoffbahnen bestimmen mit ihrem dominierenden Rot auch das Bild auf der Gegenseite des Platzes, auf der sich ein anderes Zelt bis um die Ecke zur Hauptstraße herum zieht – dort, wo gegenüber die ehrwürdige Azhar-Moschee liegt, die älteste und angesehenste Universität des Islam.

Doch nicht zur Azhar zieht es die Gläubigen, wenn es gilt, ein religiöses Fest zu feiern oder, in schwereren Zeiten, Gott um Hilfe anzuflehen. Dann strömen die Gläubigen zur Hussein-Moschee, in der das Haupt des bei Kerbela erschlagenen Prophetenenkels Hussein bestattet ist. In Hussein verehren sie einen "Zeugen" des Islam, auch wenn sein Martyrium ein entscheidender Anstoß für die endgültige Abspaltung der Schiiten von der sunnitischen Mehrheit der Muslime wurde und sein Grab in Kerbela im Süd-Irak zu den heiligsten Stätten der Schia gehört.

Aber die politischen und die theologischen Auseinandersetzungen in der frühislamischen Geschichte und die theologischen Auseinandersetzungen, die sich daran anschlossen, spielen für den Volksglauben keine Rolle. Schließlich waren auch die Fatimiden, die während ihrer Herrschaft in Ägypten (968—1171) als erste den Geburtstag des Propheten zu feiern begannen, Schiiten. Ihre sunnitischen Nachfolger – die von Sultan Saladin begründete Dynastie der Aiyubiden – ahmten sie nach; und später unter osmanischer Herrschaft wurde aus diesem lokalen Brauch eines der höchsten Feste des Reiches. Seitdem haben sich Moulid-Feiern allmählich überall dorthin verbreitet, wo Muslime leben, die gerne einmal der Routine ihres Alltags entfliehen möchten.

Dieses Ziel scheint all die Menschen zu vereinen, die auf die Hussein-Moschee zu drängen. Viele Frauen haben schöne Kleider angezogen und besonders die Kinder festlich herausgeputzt. Einige tragen mit Silberpapier umwickelte Spitzhüte oder rotglänzende Feze, die ein Händler auf einem Holzgestell durch die Menge balanciert und lauthals gegen den allgemeinen Lärm anzupreisen versucht. Die Menschen sind fröhlich, laut und undiszipliniert – sehr zum Leidwesen der Polizisten und Ordner, die vergeblich versuchen, einen Weg zum Zelt vor der Moschee freizuhalten.

Die langen Zelte auf beiden Seiten des Platzes sind durch Stoffbahnen in etwa quadratische, mit Teppichen ausgelegte Räume unterteilt. In den meisten steht vor der Rückwand oder auch an allen drei Wänden, dem Platz zugewandt, eine Reihe von Holzsesseln, wie sie Ägypter besonders lieben: im Louis XV-Stil gedrechselt, mit rotem Samt bespannt. So sieht es in allen Zelten aus, die in Ägypten für offizielle Anlässe, für Feste oder auch für Trauerfeiern aufgestellt werden. Doch die meisten Räume sind noch leer, nur grüne oder rote Transparente verraten, daß sie für die verschiedenen religiösen Bruderschaften – die Sufi-Orden oder, wie sie selbst sich nennen, "Tariqat" – reserviert sind. Denn heute, am Tag vor dem Geburtstag des Propheten, ist der große Tag der Orden, auf deren Prozessionen alle warten.

Doch noch ist es nicht so weit, und so haben wir uns dem Geschiebe entzogen, um noch ein Glas Tee mit frischer Minze zu trinken und uns in Ruhe die Menschen um uns herum anzusehen. Ne'mat – so heißt, wie wir bald erfahren, das etwa 10jährige Mädchen an unserem Tisch – hat sich einen frisch ausgepreßten Mangosaft bestellt, dessen klebrige Süße all ihre Erwartungen zu erfüllen scheint. Ihr Kleid ist sicher ihr schönstes: weiß und gelb abgesetzt, mit goldenen Knöpfen und schmaler Spitzenbordüre. Eine Kette und goldglänzende Ohrclips passen gut zur dunklen Haut ihres lebendigen Gesichts. In einigen Jahren wird sie eine Schönheit sein, bei der ich den Atem anhalten würde – vorausgesetzt, daß sie dann nicht unter einem Schleier verschwunden ist. Zu welcher der Familien um uns herum sie wohl gehört?

Ne'mat beobachtet uns unverhohlen und lächelt jedes Mal, wenn ein Blick von uns sie streift. Sie scheint keine Scheu vor uns zu haben – also frage ich sie direkt, wo denn ihre Eltern sind. "Zu Hause!" Die Eltern hatten keine Lust auf das Gedränge und haben ihr erlaubt, allein "zum Hussein" zu fahren, um sich die Prozession anzuschauen. Sie kennt ja schon alles vom letzten Jahr – und so ist sie denn mit Bus und Umsteigen von ihrem Wohnviertel hierher in die Altstadt gekommen. Nun verstehe ich auch, warum sie einen Geldschein dabei hat, den sie keinen Moment aus ihrer Hand läßt. Im Stillen bewundere ich das Vertrauen ihre Eltern, aber mehr noch die Selbstverständlichkeit, mit der sich dieses Kind im Chaos der Stadt und jetzt hier im Gedränge bewegt. Doch in einem Land, in dem ILO-Statistiken immer noch fast 10% der Kinder unter 14 Jahren zu den "Erwerbspersonen" zählen, treffe ich öfter auf solche Selbständigkeit.

Was denn für sie am Moulid das Schönste sei, frage ich sie. "Zum Hussein gehen!", kommt, wie aus der Pistole geschossen, die Antwort. "Und die Süßigkeiten?", hake ich nach. Ja, die auch: Sie hat wieder eine Puppe aus Zucker bekommen und ihr Bruder ein Pferd mit Reiter, wie letztes Jahr. Beides – so erkläre ich Steffi, meiner Begleiterin – , die "Arousa", die Brautpuppe, und der Ritter, sind Moulid-Geschenke, die bereits auf die Fatimiden-Zeit zurückgehen. Ne'mat muß kichern: "Diesmal werde ich die Puppe nicht so lange aufheben! Letztes Jahr ist sie eines Tages umgefallen und war unten ganz hohl: die Ameisen ... !"

Was denn ihre Eltern heute am Moulid machen? Der Vater war mit ihrem älteren Bruder zum Freitagsgebet in der Moschee; aber da geht sie nie mit hin. Sie betet mit ihrer Mutter zu Hause, wie das die meisten Frauen tun, die lieber zu Hause als in einer kleinen abgetrennten Ecke der Moschee beten. Moulid ist aber erst morgen, und da würden die Eltern sicher etwas mit ihnen unternehmen, vielleicht in den Zoo gehen oder herausfahren in eins der Gartenrestaurants im Grünen.

Das schönste am Moulid ist, "zum Hussein gehen". Das ist heute, und deswegen sind ja auch wir hier. Aber der eigentliche Feiertag ist erst morgen, denn der Prophet wurde am 12. Rabi' el-Auwal geboren; das war in der islamischen Geschichte immer bekannt, ist also nicht irgendwann später einmal festgelegt worden – so wie der Geburtstag von Jesus auf einen Termin um das germanische Fest der Wintersonnenwende...

Wann denn nun eigentlich der Moulid anfängt, hat mich gestern und noch einmal heute ziemlich verwirrt. Dabei begann sich das Fest schon vor Tagen anzukündigen: Überall in Kairo haben die Süßwarengeschäfte ihr Angebot erweitert, oft mit zusätzlichen Ständen vor dem Laden, auf denen sich Zuckerwerk, kandierte Nüsse und andere Leckerbissen zu Bergen türmen; dazwischen, immer gut plaziert, Reihen von Reitern und große Puppen – letztere allerdings heutzutage sehr oft nicht mehr aus gefärbtem Zucker; heute findet man mehr Puppen aus Plastik mit aufwendigen Stoffkleidern.

Für den notwendigen Schatten an den Ständen und zugleich für die entsprechende Aufmerksamkeit sorgen vielfach eben solche mit Arabeskenmustern bedruckte Stoffbahnen wie die, aus denen hier jetzt die Festzelte bestehen. Noch vor wenigen Wochen, vor dem Opferfest (dem "großen Beiram"), hingen dieselben Bahnen vor den Schlachterläden und gaben den davor zusammengepferchten Hammeln in ihren letzten Tagen Schatten. Und im Frühjahr während des Fastenmonats Ramadan dieses Jahr, machten sie auf Läden aufmerksam, in denen man die bunten Ramadan-Laternen kaufen konnte. So weiß jeder, wo man sich im islamischen Kalenderjahr gerade befindet. Rotes Zeltdach über Zuckerwerk heißt: Der Moulid el-Nabi ist nah.

Bevor er am gestrigen Donnerstag spätnachmittags mit seiner Familie zu einem verlängerten Wochenende aufbrach, brachte mir mein Wohnungsvermieter noch eine Schachtel mit Süßigkeiten vorbei. Moulid. Das gab mir die Idee, meine letzten Vorräte an Gummibärchen auszugraben, mit denen ich bei den Kindern meines Hausmeisters immer größte Zufriedenheit ernte. Ich erntete erneut, und besonders Vater Shawky strahlte über die Geste. (Ich weiß natürlich, daß er sich immer Gummibärchen von seinen Kindern abgeben läßt, wenn ich gegangen bin.) Moulid. Auch Fararag, der Taxifahrer, der sich die nächste Straßenecke zum Standplatz auserkoren hat, unterstreicht seine Klage über eine teure Reparatur mit der für alle Feste geeigneten Segensformel "Kullu s-sana wainte taiyib" – "Möge es dir das ganze Jahr über gut gehen!" Der Prophet hat die Seinen zur Mildtätigkeit aufgefordert, und es ist sein Geburtsfest. Moulid.

Doch dann geriet mir einiges durcheinander. Aus Büchern und Artikeln weiß ich, daß jedes Jahr am Nachmittag vor dem 12. an der Hussein-Moschee der Umzug der Sufi-Orden stattfindet; und wie bei den anderen Moulid-Feiern – etwa für die Prophetenenkel Hussein und Sayeda Zeinab oder für die Gründer von Sufi-Orden oder für "Heilige", die es im Islam natürlich nicht gibt, deren Geburts- oder manchmal Todestage aber trotzdem gefeiert werden – wie bei solch anderen Moulid-Feiern auch sollen die Derwische bereits in der Nacht vor dem eigentlichen Gedenktag ihren "Dhikr" veranstalten, ihre spezielle "Sitzung" mit ihren jeweiligen Praktiken des Gottesgedenkens und der mystischen Versenkung. Um die Moschee der Sayeda Zeinab beginnt das Fest mit frommem Dhikr wie mit ganz weltlichen Belustigungen bereits Tage vorher, kaum anders beim Moulid Husseins – zwei Volksfesten, die über die Jahrzehnte so an Bedeutung gewonnen haben, daß neben ihnen der Moulid des Propheten immer mehr Anlaß für die mehr offiziellen Feiern wurde.

Eine hochoffizielle Feier zum Geburtstag des Propheten wird denn auch im Beisein des Präsidenten, des Premierministers, des Groß-Scheichs der Azhar und vieler in- und ausländischer Würdenträger am morgigen Samstag in Alexandria stattfinden. Viele Männer in den Teehäusern und auf den Straßen werden dann ihre Trick-track- und Domino-Spiele unterbrechen und werden in Trauben vor dem Fernseher sitzen wie früher bei Festen vor den Geschichtenerzählern und Dichtern... Aber vielleicht werden sie auch nachdenklich, wenn dann Präsident Mubarak zwölf Religionsgelehrte auszeichnet, die sich auf herausragende Weise um das religiöse Verständnis der Menschen verdient gemacht haben. Einer von diesen Gelehrten ist nämlich ein Christ – eine wichtige, nicht einfach nur symbolische Geste in einem Land, das in den letzten Jahren so viel religiösen Fanatismus erlebt hat...

Es war gestern Abend bei der Lektüre in Edward William Lanes 160 Jahre altem Klassiker über die Manners and Customs of the Modern Egyptians, als sich schlagartig einige Unstimmigkeiten in meinen gesammelten Informationen auflösten: Die "große Nacht" eines Festtages geht diesem voraus! Denn da die Muslime einen Mondkalender haben, kann nur der Experte, der nach dem Neumond das erste Zeichen der Mondsichel wahrnimmt, den Beginn des neuen Monats bzw. Jahres festlegen. Der "Tag" des Muslims beginnt also mit der ihm vorausgehenden Nacht und endet bei Sonnenuntergang. Zu Lanes Zeit wurden sogar noch die Stunden des Tages ab Sonnenuntergang gezählt.

Und jetzt ist es schon Mitternacht! Also seit über fünf Stunden der 11. Rabi' el-Auwal – fünf Stunden der Nacht vor dem eigentlichen Gedenktag, der dann morgen abend beginnen wird: fünf Stunden der Nacht mit den "Vorfeiern" vergangen ...!

Natürlich ist Farag nicht mehr da; aber ich finde bald ein Taxi, das mich in 2 Minuten zur Hussein-Moschee bringt. Schon von weitem sehe ich Lichterketten aus Hunderten von Glühlampen, die den Platz vor der Moschee fast taghell erleuchten. Das Rot der Zelte löst Vorfreude aus. Allerdings vermisse ich die Menschenmassen, wie ich sie vom Moulid Husseins oder von mancher Nacht im Ramadan her kenne. Auf dem Platz angekommen, wird mir denn auch schnell klar: Hier ist für den nächsten Tag aufgebaut worden. Denn die Derwische "tanzen" dann in ihren "Zawiyas" in ihren eigentlichen Bet- und Versammlungsräumen, irgendwo in der Stadt, nur nicht hier.

In den Gassen um die Hussein-Moschee ist sicher mehr los als an einem normalen Donnerstag: Viele Käufer stehen trotz der späten Stunde noch vor einem Süßwarenladen gleich neben der Moschee. Im Teehaus um die Ecke herrscht Hochbetrieb – aber das ist wegen der lebhaften Musikgruppe mit ihren traditionellen Blas-, Schlag- und Zupfinstrumenten eigentlich immer so. Auf der anderen Seite der Moschee bieten Straßenhändler neben vielerlei Allerweltskram auch Papierhüte für das Fest an ... Doch wo sind die Feuerschlucker und die Männer mit zahmen Äffchen, zahnlosen Schlangen oder Tanzbären, die früher zu Festen kamen?

Immerhin entdecke ich eine Gasse weiter einen von Jungen jeden Alters belagerten Schießstand, bei dem man mit Luftgewehren auf schießpulvergefüllte Papierbällchen schießen kann, die bei Treffern knallend zerplatzen. Mit lautem Hallo werde ich herbeigewunken: Der "Khawaga", der Ausländer, soll mal zeigen, was er kann! Fünf Schuß für ein Pfund: fast 50 Pfennig. Eigentlich kann man einen kirschgroßen Ball aus eineinhalb Metern Entfernung gar nicht verfehlen – aber ich schaffe es, unter allgemeinem Gejohle, gleich dreimal. Dann weiß ich, wieviel und in welche Richtung das Gewehr verzieht. Mit zwei lauten Knalls stelle ich meine Selbstachtung wieder her und scheide als Held.

Das war gestern Abend – oder eigentlich: heute Nacht. Versäumt hatte ich wohl nichts – obwohl ich dann heute Morgen noch einmal einen Schrecken bekam, als ich auf einer ausländischen Tageszeitung das Datum 12. Rabi' el-Auwal sah und schon fürchtete, ich hätte gestern den Umzug des Sufi-Ordens verpaßt. Aber auf ägyptischen Zeitungen ist glücklicherweise der 11. – denn wie das mit der Mondsichel so ist: Die einen sehen sie früher als andere, und da die Eifersüchteleien zwischen Azhar-Gelehrten und den Gelehrten im saudiarabischen Mekka selbst vor dem Datum nicht haltmachen, hat der Prophet denn an zwei Tagen Geburtstag: Heute nach saudischem Kalender und morgen nach dem ägyptischen!

Inzwischen dringt Paukenton und dann die Musik einer Blaskapelle zu uns herüber. Noch ist nichts zu sehen, obwohl die Menge plötzlich in die Gegenrichtung zur Azhar-Straße hinzudrängen scheint. Auch dort stehen viele Menschen und schauen die Straße hoch. Die Sonne steht jetzt am Spätnachmittag schon sehr schräg. Es wird Zeit, daß wir uns einen Platz suchen, von dem aus wir gut sehen können. Ne'mat kommt natürlich mit uns und klinkt sich mit einer freien Hand bei Steffi ein.

Das Zelt vor der Moschee ist im Mittelteil dreifach breit, mit Stuhlreihen bis an eine Brüstung. An ihren Kopfbedeckungen sind zahlreiche religiöse Würdenträger zu erkennen, daneben die staatliche Prominenz in dunklen Anzügen, auch Frauen in eleganten Kostümen. Doch viele andere tragen "Galabiyas", die nachthemdartigen traditionellen Gewänder der Ägypter, die bei den Sufis nach wie vor zusammen mit dem turbanartig um den Kopf geschlungenen Tuch die übliche Kleidung bilden. Vorne steht der neugewählte oberste Repräsentant aller Sufi-Orden mit einigen anderen Würdenträgern und schaut der Prozession entgegen, die nun schon recht nah gekommen ist.

In einem Bogen umgehen wir die Trauben vor dem Zelt und kommen gerade noch auf die andere Seite, bevor die Spitze des Zuges den Platz erreicht: Junge Polizisten in schmucken weißen Uniformen reiten auf Araberhengsten dem Zug voran. Seitwärts tänzeln sollen ihre Pferde, doch die vielen Menschen und der Lärm machen diese sichtlich nervös. Mit mehr Lautstärke als Musikalität kommt gleich nach ihnen eine Polizeikapelle vorbei.

Mit würdevollem Abstand folgen nun unter grünen Transparenten und teils mit ebenso grünen Schärpen die ersten Sufis, die ersten "Derwische" – wie wir sie meist nennen. Transparente wie Schärpen tragen den Namen des Ordens: Muhammadiya Schaziliya, andere Transparente den Namen des "Scheichs", des Oberhauptes, oder Korantexte und religiöse Formeln, die für das Ordensleben zentral sind. Langsam bewegt sich der Zug auf das mittlere Zelt zu, wo die führenden Vertreter des Ordens begrüßt werden. An dieser Stelle löst sich der Zug dann auf: Die Transparente werden eingerollt und zum Zelt des Ordens getragen, wohin sich auch viele Mitglieder begeben.

Welch gegensätzliches Bild bietet der nächste Orden, der dichtauf folgt: Unter wogenden roten Transparenten bewegen sich die Derwische zum rhythmischen Schlag einer großen Trommel. Immer wieder knicken sie mit ihren Oberkörpern aus der Hüfte nach vorn, wobei sie jedesmal Gott anrufen: Allah, Allah, Allah! Diese Praktik gehört in manchem "Dhikr" zu den Grundbewegungen, mit denen sich die Gläubigen aus der Alltäglichkeit herausziehen und allmählich in einen religiösen Trancezustand versetzen, durch den sie ganz eins mit Gott zu werden suchen. Wann immer der Zug ins Stocken gerät, tanzen einige – im wahrsten Sinne des Wortes – "aus der Reihe", drehen sich um sich selbst: Oh Gott! Oh Gott! Oh Gott!

Beim nächsten Orden springt eine ganze Gruppe von Männern in kurzer Folge immer wieder hoch, wobei sie die Arme nach oben reißen. Im Gegensatz zu den vorherigen, die alle Galabiyas trugen, sind diese überwiegend mit Hemd und Hose bekleidet und so durchgeschwitzt, daß ihnen die Sachen am Leibe kleben. Dann kommt wieder ein Orden, dessen Zug von einheitlich in Galabiyas gekleideten Schärpen tragenden alten Männern angeführt wird, die sich langsam in einem von unserem Standort aus kaum hörbaren, aber wohl von religiösen Formeln diktierten Rhythmus bewegen. Die nächste Gruppe dagegen heizt ihre Mitglieder sogar über einen Lautsprecherwagen auf...

So folgt Orden auf Orden, über eine Stunde lang, jeder unter Transparenten oder auch mit Bannern in Ordensfarben, jeder mit eigenem Charakter – Ausdruck des eigenen Weges (tariqa) zu Gott: darum auch "Tariqa" als Selbstbezeichnung der Orden. Bei Sonnenuntergang hat der letzte Orden das Zelt erreicht: eine letzte Begrüßung, und alle laufen schnell auseinander. Denn in diesem Moment ertönt aus den Lautsprechern der Moschee der Ruf zum Abendgebet. Viele der Männer drängen hinein... Nun hat also der Geburtstag des Propheten begonnen: Für die Ordensoberen wird es in der Moschee nach dem Gebet noch Feierlichkeiten geben.

Da können wir aber nicht mit hinein, und so wandern wir denn an den Ordenszelten entlang: In vielen sitzen die Derwische und schwatzen; manchmal sind Kinder und sogar Frauen dabei. In anderen geht es formeller zu wie bei einem Empfang. Nur in einem einzigen Zelt haben sich die Männer Kreis um Kreis aufgestellt und rufen unter rhythmischen Verbeugungen Gott an.

Hier bleiben aber so viele Menschen stehen, daß es uns bald zu eng wird. So ziehen wir weiter, trinken noch einmal Minztee und Saft und schlendern durch die Gassen, wo diesmal mehr Menschen sind als gestern; doch sonst scheint alles gleich. Irgendwann hebt vor dem Nachtgebet der Lautsprecher der Moschee wieder an. Eine ruhige Stimme rezitiert die 112. Sure des Koran, die mit dem Namen "Einheit (Gottes): Sprich: Er ist Gott, der Eine. Gott, der immerwährend Beständige. Er zeugt nicht und wurde nicht gezeugt. Und keiner ist ihm ebenbürtig."

Langsam gehen wir zurück zur Straße und suchen ein Taxi, mit dem wir zunächst einmal Ne'mat nach Hause bringen.

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Das Ägyptische Schattenspiel um den Prinzen Wisal
von Ursula Schernig

Papyrus-Logo Nr. 10/86, pp. 21—23

Ägyptische Schattenspiele (khayaliy), aufgeführt besonders an den Mulids in Straßen und auf Plätzen um die Moscheen, dienten der Unterhaltung und Belehrung. Man darf sie nicht mit den Puppentheatern (ara'uz) verwechseln, die in der ganzen arabischen Welt populär waren.

Die sich bewegenden Schatten flacher Puppen aus bemaltem Leder fielen auf ein großes Tuch. Ein sich verdeckt haltender Puppenspieler, der rayyis, lieferte zusammen mit bis zu fünf Helfern den Dialog und die Lieder. Ein Junge imitierte die Frauenstimmen.

Diese Schattenspiele stammen ursprünglich aus Ostasien. In Ägypten erreichten diese Aufführungen ihren ersten Höhepunkt in der Fatimidenzeit. Später wurden sie, wegen ihrer sich ewig wiederholenden Abläufe und Inhalte, nur noch mechanisch aufgeführt, und das Interesse der Zuschauer ließ allmählich nach.

Im 13. Jahrhundert erfolgte eine Wiederbelebung. Bekannte Poeten schrieben Dramen für Schattenpuppen, teils tragischen, teils komischen Inhalts. Sie beschäftigen sich mit Moral, Religion, Geschichte und geben viel Information über damalige islamische Gesellschaftsstrukturen.

Schattenriss eines Bootes

Es sind "heroische" Puppen in Ägypten überliefert; Reiter für ganze Armeen, Schiffe für Seeschlachten, Schwerbewaffnete mit Schwert, Speer und Bogen, zerstörte Burgen. Es gab "Puppen" aus der Geisterwelt, schreckliche Dschinns und Afrids. Außerdem benützte man Figuren aus dem Alltag, Fischer, die im Netz Fische fangen, Rennkamele, die durch die Wüste rasen u.a.

Eines der damals entstandenen Stücke, von dem sich Szenen bis in die heutige Zeit überliefert haben (Mulid Badawi in Tanta), ist der "Schattengeist", Tayf al Khayal, von Ibn Daniyal.

Es beginnt mit einer kurzen Einführung und Begrüßungsworten ans Publikum. Gesprochen werden sie von Tayf, dem Buckligen, der anschließend ein Loblied auf die Schönheit seines Buckels singt und ihn vergleicht mit einem Kamelhöcker, einer Laute, einem Bootsrumpf.
Dann tanzt er einen traditionellen Tanz. Darauf betet er inbrünstig um Gottes Beistand und preist den regierenden Fürsten.

Nun geht es erst richtig los, er beschreibt in rhythmischer Prosa die verschiedenen Stadien seines bisherigen sündigen Lebens in Mossul. Er bereue jetzt und sei nach Kairo gekommen, weil er seinen alten Freund, Prinz Wisal, hier treffen wolle. Er finde ihn nicht, weil der Sultan von Ägypten, Baybars, einen schrecklichen Feldzug gegen die Armeen des Satans unternommen habe. Alle vergnüglichen Plätze Kairos seien wie ausgestorben!
Da erscheint Prinz Wisal, ein Soldat mit komischer Kopfbedeckung und ungepflegtem, riesigem Schnurrbart. Er beschreibt in der rhythmischen Prosa der Makamen (orientalische Stegreifdichtung in kunstvoll gereimter Prosa mit eingestreuten Versen –Anm. KFN), aber im lächerlichen "heroischen" Stil, seine wilde Vergangenheit, seine amourösen Abenteuer mit Männern und Frauen. Jetzt aber wolle er sich bessern und heiraten. Sein Sekretär, der sich um die Finanzen kümmert, taucht auf. Es ist ein Kopte. Sie sprechen über des Prinzen Grundstücke, Gräber und Ruinen am Rand von Alt-Kairo, die er nur besitzt, wenn er keine "Freude" dieser Welt, sei sie noch so unmoralisch, ausläßt. So wird er als der arabische "Prinz Trunkenbold", der "Herr der Unordnung", der "Stolz von Narren und Verrückten" gekennzeichnet.
Der Prinz ruft nach der Heiratsvermittlerin, Umm Rashid, die natürlich gerade die richtige Frau für ihn hat: jung, schön, eben geschieden. Ein Heirats-Beamter hält eine Rede. Der Name der Braut ist "Dabba bint Muftah" (Schlüsselloch). Jeder unter den Zuschauern kennt sie und weiß, die ist alt, fürchterlich häßlich und hat bleckende Zähne.
Der Prinz muß das Dilemma lösen, moralisch zu leben und trotzdem zu Geld zu kommen. Er geht weg und kommt wieder auf einem herrlichen Roß, umgeben von Kerzen, gefolgt von Trompeten und Trommeln.
Die Braut erscheint verschleiert, umgeben von einigen Frauen. Das Geld wird übergeben. Er verbeugt sich galant und lüftet zärtlich ihren Schleier. Sie stößt dabei einen trompetenden Ton wie ein Maulesel aus, er sinkt, entsetzt über ihre Häßlichkeit, ohnmächtig vom Pferd. Der Ritter erschrecke sie und ihren kleinen Jungen zu Tode, lamentiert sie vor der Heiratsvermittlerin. Der Junge, in Wirklichkeit ihr Enkel und vom Teufel besessen, riecht den Geruch des Prinzen und fängt an zu stöhnen, zu husten, zu furzen. Er rezitiert schreiend obszöne Verse in Kairener Umgangsarabisch. Dies bringt den Prinzen augenblicklich wieder auf die Beine. Er fängt an zu toben, daß Braut und Junge und alle anderen Frauen in Panik fliehen.
Tayf und Wisal, die alten Freunde, besprechen die Ereignisse "unter Männern". Sie beschließen, Umm Rashid und deren Mann, Shaykh 'Aflag, für den Betrug zu strafen.
Der Shaykh taucht auf, brabbelnd und singend. Er ist sehr alt, hat aber jugendlich gefärbte Haare. Er lamentiert über seine verlorene Jugend und gibt mit seinen früheren Abenteuern an. Dann erklärt er plötzlich, seine Frau, Umm Rashid, sei eben an der falschen Medizin gestorben. Der anfängliche Trauergesang artet in eine zittrige Freudenarie aus.
Prinz Wisal, so plötzlich den Tod und das Alter vor Augen, ist so erschüttert, daß er beschließt, sich von den vergangenen Sünden zu reinigen und auf eine Pilgerfahrt nach Mekka zu gehen.

Vieles, was man in diesem ägyptischen Schattenspiel findet, gilt auch für die anderen. Jedes Stück hat einen zentralen Helden, um den die Ereignisse aufgebaut sind. Die Charaktere kommen meist aus der Unterschicht und vor allem die komischen Szenen zeigen Leute aus dem Volk, "so schlimm wie sie sind". Die Zuschauer haben einen robusten Geschmack. Bestimmte Gruppen der ägyptischen Gesellschaft, wechselnd in den verschiedenen Jahrhunderten, werden ohne Gnade lächerlich gemacht. Erstaunlich ist, wie man immer wieder glaubt, den Typen von damals im heutigen Kairo zu begegnen.
Situationen müssen nicht plausibel sein. Man denkt an einen, und schon erscheint er und stellt sich dem Publikum auch noch selber vor. Seine Art der Sprache drückt seinen Charakter aus.

Die Schattenspiele werden nicht nur zur Unterhaltung und zum Zeitvertreib gespielt, sondern sie wenden sich an ein "informiertes" Publikum, das bestimmte Zitate und Anspielungen versteht. Sie versuchen, es zu beeinflussen und darum ist es ganz wichtig: Der Schluß des Spiels darf nie billig oder vulgär sein.

Literatur:
    • M.M. Badawi, The Egyptian Bulletin Nr. 7, London, 1983)

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