Nil und Hochdamm
Der Nil Das Wasser aus der Finsternis Die Entdeckung der Nilquellen
Nr. 56/88, pp. 38 Seit dem 3. Jt. v.Chr. wurde die Höhe der jährlichen Nilüberschwemmung in die Annalen aufgenommen. Gemessen wurde sie in den Schächten der Insel Elephantine in Assuan und Ar Rauda in Kairo in griechischen Ellen. "Bei 12 Ellen Hunger, bei 13 Genüge, bei 14 Freude, bei 15 Sicherheit, bei 16 Überfluß", so schrieb der römische Schriftsteller Plinius. Bevor Dämme das Wasser stauten, hatte der Nil in den Monaten Mai/Juni seinen niedrigsten Stand, im Juli, August, September aber überflutete der Nil fast 90 Tage hindurch das Land und düngte die Felder mit seinem fruchtbaren Schlamm. Kein Wunder also, daß der griechische Geschichtsschreiber Herodot Ägypten ein Geschenk des Nils nannte. Er reiste um 450 v.Chr. nilaufwärts, um das Geheimnis der jährlichen Nilschwemme zu lüften, denn die Ägypter konnten ihm über die Ursache dieses Phänomens keine Auskunft geben. Für sie war der Nil "Wasser aus der Finsternis", mystischer Herkunft, und die jährliche Überschwemmung Sache des Nilgottes. Herodots Schiffsreise zu den Nilquellen scheiterte am 1. Nilkatarakt bei Assuan. Nach seiner Rückkehr fand er in alten Schriften verschiedene Theorien für das Hochwasserphänomen. Eine davon kam der Realität am nächsten: Der Nil fließe aus schmelzendem Schnee heraus. Für Herodot, der die Hitze von Assuan kaum ertragen konnte, war diese jedoch die absurdeste aller Theorien. Zwei Jahrhunderte später gibt der in Alexandrien lebende Astronom, Mathematiker und Geograph Claudius Ptolemäus den Nilverlauf von der Mündung bis Khartum recht präzise an, zeichnet auch korrekt die Aufspaltung des Nils in zwei Arme ein, läßt diese jedoch im Süden wieder zusammenfließen und so eine Insel entstehen, der er den Namen "Meröe" gibt, eine nicht existierende "Trauminsel" also, auf die noch viele anerkannte Geographen späterer Jahrhunderte hereinfallen sollten. Südlich dieser Insel kommt er der Realität jedoch wieder recht nahe: Ein Nilarm fließt aus Südosten auf die Insel zu, ein zweiter kommt direkt aus Süden und entspringt zwei mächtigen Seen, die aus Quellflüssen einer schneebedeckten Gebirgskette, "Mondberge" genannt, gespeist werden. Gesehen hat Ptolemäus die schneebedeckten Berge nie. Ein griechischer Kaufmann, der auf seinem Rückweg aus Indien von der ostafrikanischen Küste aus Handelsrouten ins Innere Afrikas gefolgt war, wußte von ihnen zu berichten und fand bei Ptolemäus ein offenes Ohr. Diese Mondberge haben später ganze Heerscharen von Forschern und Abenteurern nach Afrika gelockt. Die meisten blieben unerkannt, weil sie dem höllischen Klima erlagen oder beutegierigen Stammesfürsten zum Opfer fielen. Schon im alten Rom sagte man, wenn man etwas für ganz unmöglich hielt: "Caput Nili quaerere" wie "die Quelle des Nils suchen".
Das Geheimnis um das Quellgebiet des Blauen Nils, das dem Mündungsgebiet am nächsten liegt, wurde zuerst gelüftet. 1770 gelingt es dem verarmten schottischen Adligen James Bruce of Kinnaird, von Massawa aus nach Gondar, der damaligen Hauptstadt Äthiopiens, vorzudringen. Dort wird er von dem damaligen christlichen König Tecla Haimanout, dessen Brutalität jedoch kaum zu überbieten ist, lange Zeit festgehalten und in theologische Diskussionen verwickelt, bevor er an den nur 40 km entfernten Tanasee gelangt. Nur wenige Kilometer neben einem Ausfluß des Sees findet er einen etwa 40 Meter breiten, braungefärbten Wasserlauf, der sich in den See ergießt. Er folgt dem Flußverlauf und entdeckt in einer sumpfigen Wiesenlandschaft, unter Gebüsch verborgen, die Quelle des Blauen Nils: 3 m lang, 2 m breit und 30 cm tief ist das unbefestigte Quellbecken. 152 Jahre zuvor hatte bereits der Portugiese Pedro Paez dieses Tal beschrieben. In seinen Aufzeichnungen fehlten jedoch genaue Positionsbestimmungen, da er im Jahre 1618 keine astronomischen Geräte mit sich führte. So blieb der Entdeckerruhm Bruce vorbehalten. Die Äthiopier nennen diesen Zufluß des Tanasees nicht Nil, sondern Abbai. Die Quelle des Blauen Nils bzw. des Abbai liegt in 2.900 m Höhe. Beim Durchfluß durch den Tanasee ist der Abbai durch sein dunkel gefärbtes Wasser deutlich erkennbar, denn er trägt jährlich 100 Millionen Tonnen Schwebestoffe vulkanischen Gesteins aus dem Gebirge mit sich, die später den fruchtbaren Nilschlamm bilden. 40 km nach Ausfluß aus dem Tanasee stürzt der Fluß als Tissisatfall in die Tiefe. Auf den 800 km bis zur sudanesischen Grenze sinkt er 1300 m tiefer, gleicht in Äthiopien einem reißenden Wildbach und ist nahezu unbefahrbar. Es gelang erst in diesem Jahrhundert einigen Gruppen, verschiedene Streckenabschnitte mit dem Kanu zu bewältigen. Die Erkundung des gesamten Verlaufs konnte erst 1968 von äthiopischen und britischen Soldaten im Auftrag der Regierung von Addis Abeba abgeschlossen werden und damit der Blaue Nil als erforscht gelten. Die Erforschung der Quellen des Weißen Nils gestaltete sich weitaus schwieriger. Viele, die sich auf den gefahrvollen Weg machten, erlagen Irrtümern oder scheiterten. Das Sprichwort der alten Römer von dem ungewöhnlichen Unterfangen, die Quellen des Nils zu suchen, schien sich beim Weißen Nil zu bewahrheiten. Schon Kaiser Nero scheiterte 66 n.Chr. an dem Sumpfgebiet im Süden des Sudan. Daher wählten die meisten seiner Nachfolger als Ausgangspunkt ihrer Suche die Ostküste in der Höhe von Mombasa und quälten sich mit der Last ihrer Vorräte und Ausrüstungen durch unwegsame, bis zu 4.000 m hohe Gebirgsstrecken. Einer von ihnen war Richard Francis Burton, ein Berufsoffizier der britischen Indienarmee, der dort durch einen florierenden Bordellbetrieb zu Reichtum gelangt war. Die Entführung einer jungen Nonne aus dem Kloster setzte seiner Offizierslaufbahn ein jähes Ende und seinem Abenteuer als privater Afrikaforscher den Anfang. Im Auftrag der Royal Geographical Society zieht er in Begleitung des britischen Offiziers John Hanning Speke und bewaffnet mit 5 dtz. Flaschen Branntwein, 3 dtz. Flaschen Champagner, 3 dtz. Flaschen Portwein und seiner übrigen Ausrüstung von insgesamt 30 Zentnern durch die Wildnis 'gen Westen. Nach acht Monaten erreichen Burton und Speke, geschüttelt von Malariaanfällen, einen großen See. Mondberge, die nach der ptolemäischen Karte zum Quellgebiet gehören, können sie nicht entdecken. Als sie am nördlichen Ende des Sees einen Fluß finden, der nicht aus dem See heraus, sondern in ihn hineinfließt, wachsen ihre Zweifel, tatsächlich auf den Quellsee des Nils gestoßen zu sein. Sie waren am Tanganjikasee angelangt, der wie man heute weiß nicht mit dem Nil in Verbindung steht. Aber das Forscherglück hat sie noch nicht ganz verlassen. Auf ihrem Rückweg hört Speke von Sklavenhändlern in der Stadt Tabora, daß sich in nördlicher Richtung ein weiterer großer See befände. Da Burton den Erzählungen keinen Glauben schenkt, macht sich Speke allein auf den Weg und landet 1858 am Victoriasee, den er als Quellsee des Nils zunächst nur vermutet, da er seinen Ausfluß am Nordufer, der heute als der Ursprung des Nils angesehen wird, zu diesem Zeitpunkt noch nicht entdeckt hat. Speke kehrt auf direktem Wege vor Burton nach London zurück und wird als Entdecker des Victoriasees und damit der Quelle des Weißen Nils gefeiert. Burton dringt mit seiner Version, der Tanganjikasee sei die tatsächliche Quelle, nicht mehr durch, schafft es jedoch, berechtigte Zweifel daran zu schüren, daß der Victoriasee tatsächlich die Quelle des Weißen Nils sei. Speke macht sich erneut auf den Weg mit seinem Offizierskollegen James August Grant. Nach dreimonatiger Gefangenschaft bei König Mtesa, der in dem heutigen Kampala, der Hauptstadt von Uganda, residierte, stehen Speke und Grant Ende Juli 1862 vor dem Ausfluß des Nils, der sich als gewaltiger Wasserfall 10 m tief in sein Flußbett stürzt. Seit 1954 ist dieser grandiose Wasserfall verschwunden, da der Owen-Falls-Damm die Wassermassen staut und u.a. für elektrische Energie nutzt. Auf seiner Heimfahrt nilabwärts trifft Speke in der Höhe von Khartum auf ein neuartiges Motorschiff, das fast nur von Frauen besetzt ist und nilaufwärts fährt. Leiterin dieser Expedition zu den Nilquellen ist Alexandrina Petronella Fracina Tinne, kurz Alexine genannt, eine vermögende, abenteuerlustige Holländerin. Sie glaubte, mit dem Motorschiff die unwegsamen Sümpfe im Süden, den "Sudd", durchqueren zu können, aber die langen Wurzeln der Nilhyazinthen verfingen sich immer wieder in den seitlichen Antriebsrädern. Nachdem ihre Mutter und zwei ihrer Zofen dem höllischen Klima erlegen waren, gab sie 1864 den Gedanken an eine Weiterfahrt zum Victoriasee auf. Immer noch herrschen Zweifel darüber, ob Speke und Grant tatsächlich die Quelle des Nils mit dem Ausfluß aus dem Victoriasee entdeckt hatten. So macht sich auch Samuel White Baker 1860 mit seiner Sklavin und treuen Begleiterin Florence auf die Suche nach den Quellen. In Gondokoro, der heutigen Stadt Juba, trifft er Speke, der stolz nach London telegraphiert "The Nile is settled". Nach anfänglicher Enttäuschung Bakers gibt Speke ihm neue Hoffnung, indem er von einem weiteren See westlich vom Victoriasee berichtet, der womöglich eine weitere Nilquelle in sich berge. Von Hunger und Fieberattacken geplagt erreicht er 1864 den Albertsee. Seine Überzeugung, mit dem Albertsee die tatsächliche Quelle des Nils entdeckt zu haben, wird in London nicht geteilt. Livingstone, der sich durch die Entdeckung des Sambesi bereits gewisse Autorität als Forscher erworben hatte, sollte 1866 Gewißheit über die Quelle des Weißen Nils verschaffen. Er landet am Lualabafluß, der westlich des Tanganjikasees nach Norden fließt, und hält ihn für den Oberlauf des Nils. Später entdeckt man jedoch, daß der Lualaba zum Flußsystem des Kongo gehört. Drei Jahre lang gilt Livingstone als vermißt. Der "New York Herald" schickt seinen Reporter Henry Morton Stanley in der Hoffnung auf eine gute Story auf die Suche nach ihm. Er trifft Livingstone am Tanganjikasee im Dorf Ujiji. Von Stanley mit Proviant und Medikamenten versorgt, macht sich Livingstone erneut auf, dem Flußlauf des Lualaba zu folgen und entdeckt südlich vom Tanganjikasee den kleinen Bangweolosee, aus dem der Lualaba fließt. In seinen Fieberphantasien wächst der 60 km lange See zu einer Ausdehnung von 300 km an, denn der Bangweolosee ist Livingstones Ursprung des Nils und darf daher nicht kleiner sein als der Victoriasee. Am ersten Mai 1873 stirbt Livingstone im afrikanischen Busch. Dank seiner Diener, die den Leichnam mumifizieren, kann Livingstone am 18. April 1874 in Westminster Abbey beigesetzt werden. Zwei Jahre nach seiner Begegnung mit Livingstone macht sich Stanley erneut an das immer noch ungelöste Problem der Quelle des Weißen Nils. 1874 beginnt er seine zweite Expedition von der ostafrikanischen Küstenstadt Bagamoyo aus. Mit sich führt er 8 Tonnen Ausrüstung und ein 5 Tonnen schweres zerlegbares Dampfboot. Die Lasten werden von 270 Trägern geschleppt, die allerdings auch sehr schnell seine mitgeführten Nahrungsvorräte aufzehren. Halb verhungert erreicht er im April 1875 den Victoriasee. 57 Tage Vermessungsarbeiten bestätigen schließlich Spekes Theorie, daß der Victoriasee das größte Binnengewässer Afrikas sei und sein mächtiger Ausfluß tatsächlich den Ursprung des Nils darstellt. Auf dem Rückweg trifft er am Hofe König Mtesas auf einen französischen Oberst namens Linaut de Bellefond, der von General Gordon aus Khartum geschickt worden war, um zu erkunden, wie das Gebiet der Nilquellen von Truppen gefahrlos besetzt werden könne. Bereits ein Jahr zuvor hatte der amerikanische Offizier Chaillé-Long, ebenfalls im Dienste der Engländer unter General Gordon, den Weg zum Victoriasee ausgekundschaftet und auf einer Landkarte festgehalten. Er kam über Gondokoro, der heutigen Stadt Juba, mit dem Schiff und legte nur 400 km zurück. 11 Jahre später entdeckt Stanley durch Zufall aus der Ferne das sagenumwobene Mondgebirge, das Massiv des Ruwenzori, nur l00 km vom Albertsee entfernt. Der Name "Ruwenzori" bedeutet soviel wie "Regenspender". Durch seine Regenschleier blieb er zuvor den Blicken verborgen. 1906 wird der Ruwenzori von einem Italiener, dem Prinzen Ludwig Amadeus von Savoyen, bezwungen. Damit sind auch die letzten Geheimnisse um die Nilquellen endlich gelöst. Nachdem der Streit, ob der Nil am Victoriasee oder dem Gewässersystem um den Albertsee herum entspringe, schließlich von selbst erlosch, einigten sich die Geographen auf eine Nillänge von insgesamt 6.648 km Länge (lt. Konzelmann in: Der Nil; in verschiedenen Lexika findet sich noch die Angabe von 6.671 km). Er ist damit der längste Fluß Afrikas. Obwohl 1892 O.Baumann den Kagera, dessen Ursprung im Hochland von Burundi liegt (entdeckt 1937 von B.Waldecker), als Hauptzufluß des Victoriasees und damit indirekt als Hauptquellfluß des Weißen Nils feststellt, gilt der Ausfluß am Nordufer des Sees weiterhin als Ursprung des Nils. Nach Kyogasee und Albertsee schießt der Weiße Nil über Stromschnellen nach Norden und wird unterhalb der Stadt Juba Bahr Al Jebel genannt. Er durchquert eine fruchtbare Lehmlandschaft und wird alsbald von der üppigen Vegetation des Sudd, der Nilsümpfe, aufgesogen wie ein Schwamm. Nur die Hälfte der vom Süden kommenden Wassermenge fließt bei Malakal wieder in ein normales Flußbett, da durch die große Sumpffläche 100 Millionen Kubikmeter Wasser jährlich verdunsten. Dieser Verdunstung soll der Jongleikanal entgegenwirken, durch den der Nil in gerader Linie von der Stadt Bor bis zur Einmündung des Sobat rd. 350 km nach Norden geführt werden soll. Wegen politischer Unruhen ist er bisher erst in Teilabschnitten fertiggestellt. Welche Auswirkungen dieser Kanal auf Klima und die Vegetation haben wird, ist bislang noch nicht abzusehen. Dieser Kanal wird den Sumpf jedoch trockenlegen und 1 Million Menschen dort den Lebensraum entziehen. Die segensreiche jährliche Nilschwemme kommt jedoch aus dem Hochland von Äthiopien. Sintflutartige Regenfälle mit gewaltigen elektrischen Entladungen werden alljährlich durch Passatwinde vom Indischen Ozean ausgelöst, die Feuchtigkeit mitbringen und im äthiopischen Hochland auf kalte Luftmassen stoßen. Die gewaltigen Regenfälle spülen tonnenweise Partikel aus dem vulkanischen Gestein, die mit der Flutwelle nach Ägypten getragen werden und vor dem Bau des Hochdammes Ägyptens Felder düngten. Um eine ausreichende Bewässerung des Bodens das ganze Jahr über zu gewährleisten, begann man schon im letzten Jahrhundert, das Flutwasser durch Dämme aufzustauen. Von 18431861 ließ Mohamed Ali von französischen Ingenieuren die Delta-Barrages nördlich von Kairo bauen, um die Baumwollernte im Delta sicherzustellen. Sie wurden 1890 von den Engländern überholt. 1902 wurde in Oberägypten der erste Assuan-Damm errichtet, den man 1912 und 1933 jeweils erhöhte. Ferner entstanden Staudämme in Assiut (1902), Zifta (1903), Esna (1903) und Nag Hammadi (1930). Ab 1951 kontrolliert der Edfina-Damm im nördlichen Delta den Rückfluß aus dem Mittelmeer. Den Blauen Nil zähmte man durch den Sennar-Damm (1925) und den Roseires-Damm (1966). Der Weiße Nil wurde südlich von Khartum durch den Jebel Auliya-Damm aufgestaut (1937). 1971 endlich wurde der umstrittene Hochdamm fertiggestellt. Der Mensch hat das segenbringende Wasser aus der Finsternis bis in seinen letzten Winkel ausgekundschaftet und ihn in diesen Jahrhundert weitgehend gezähmt. Ob zu seinem Segen oder Fluch, wird die Zukunft zeigen.
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Die Landwirtschaftliche Bewässerung vor dem ersten Damm
Nr. 56/88, pp. 2225 "Es ist sicher einer der wesentlichsten Schritte in der Menschheitsentwicklung der Frühzeit gewesen, die doch sicher zunächst als Naturkatastrophe empfundene Überschwemmung des Niltals zu einer hochentwickelten Bewässerungswirtschaft umzufunktionieren." (H. Schamp, Ägypten, S. 45) Dabei profitierte man besonders von dem Sedimentreichtum des Nils. In der Frühzeit steigt der Schwebstoffgehalt auf über 2.500 mg/1 an. So wurden in früheren Zeiten jährlich rund 1,5 t pro Hektar auf überflutetem Land abgelagert. Nach dem Abfließen des Flutwassers wurde die Saat in den frisch abgelagerten Schlamm eingearbeitet, und dann wartete man auf die Ernte. Dies ermöglichte nur eine Ernte pro Jahr und die Anbaufläche wurde von der Höhe der Flut bestimmt. Daneben gab es aber im Niluferbereich auf hochwasserfreien Flächen schon zu Urzeiten Gärten, die ganzjährig bewässert und bebaut wurden. Zur Bewässerung wurde das Nilwasser auch in niedrigen Jahren mit verschiedenen Wasserhebevorrichtungen auf den Uferdamm angehoben. Gängige Instrumente waren das von einem Esel, Rind oder Kamel angetriebene Göpelwerk, das ziehbrunnenartige Schaduf oder die archimedische Schraube. Alle drei findet man noch heute im Gebrauch, wenn sie auch mehr und mehr von den Dieselpumpen verdrängt werden. Jedes dieser Schöpfinstrumente war für eine bestimmte Hubhöhe besser geeignet als die anderen. Die wachsende Bevölkerung zwang im Laufe der Zeit den Nahrungsraum auszuweiten und die Überflutungs- und damit die Anbauflächen zu erweitern. Dies gelang mit der Anlage von Bassins. Die Anlage der Bassins wurde erleichtert durch das natürliche Gefälle vom Flußufer zur Wüste hin. Die Aufrißzeichnung gibt einen Eindruck von dem geologischen Profil des Niltales. Die Darstellung ist in den Teil A und den Teil B aufgeteilt, wobei die Anlage A als vorteilhafter angesehen wird, da hier bei niedriger Flut alle Unterbassins ausreichend bewässert werden können. Zunächst wird der obere Teil mit Wasser angefüllt und die tiefer gelegenen Becken mit dem restlichen Wasser. Nach 40 Tagen wird der obere Damm durchstoßen und die unteren Becken werden mit dem fehlenden Wasser aufgefüllt. Das bedeutete natürlich eine Verzögerung in der Aussaat und gewisse Ernteeinbußen, was aber immer noch vorteilhafter war als größere Flächen ganz aus der Produktion herauszunehmen.
Die Bassins wurden durch Deiche aus Erde begrenzt. Ein Erddeich bildet die Begrenzung zum Fluß hin und ein weiterer quer zum Fluß die nördliche Begrenzung, während die vierte Seite von der Wüste gebildet wird. Zum Teil waren die Bassins noch weiter durch kleinere Dämme untergliedert, um niedriger gelegenes Land von höher gelegenem zu trennen. Die Bassins wurden durch Kanäle mit dem Flutwasser versorgt. Im Durchschnitt hatten die Bassins eine Größe von knapp 7.000 Feddan (1 Feddan = 0,42 ha), aber es gab auch Bassins von bis zu 75.000 Feddan. Von Assuan bis Kairo gab es 212 Bassins, von denen die meisten auf der linken Uferseite lagen. Anhand der nächsten Zeichnung soll die Handhabung der Bassins im einzelnen erläutert werden.
Die mit A, B, C und D bezeichneten Flächen sind Unterbecken eines Bassins. Der Zufuhrkanal beginnt direkt am Nil. Vor dem 12. August war der Eingang des Zufuhrkanals durch einen Erdwall verschlossen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Nilflut die notwendige Höhe erreicht, um das Wasser mit hoher Geschwindigkeit bis in das hintere Becken fließen zu lassen. Die Geschwindigkeit war die Voraussetzung dafür, daß die Sedimente auch bis in das letzte Becken transportiert werden konnten. Im letzten Becken (D) befindet sich dann auch wieder der Ausgang zum Nil zurück, Die Schleusen an den Querdämmen bleiben offen bis das Becken D bis auf 30 cm unter maximaler Höhe gefüllt ist. Zu diesem Zeitpunkt wird das Schleusentor zwischen C und D geschlossen, und Becken C wird gänzlich gefüllt. Diese Prozedur setzt sich so lange fort, bis auch Becken A gefüllt ist. Wenn keine Schleusentore vorhanden sind, erfolgt das Schließen durch Auffüllen von Erde und Steinen. Normalerweise begann das Füllen der Bassins am 12. August und war nach 40 Tagen beendet, also am 22. September. Bei hoher Flutwelle konnte das Füllen auch schon am 1. September abgeschlossen werden. Dagegen konnte es bei niedriger Flut bis zum 1. Oktober dauern, bis das Wasser wieder abgelassen werden konnte. Der Wasserstand in den Becken lag zwischen 1,50 m und 2 m. Die Bassins glichen einer großen Seelandschaft. Die Dörfer lagen wie kleine Inseln auf aufgeschütteten Flächen. Verbindung konnte nur mit dem Boot oder über die Wege auf den Dämmen gehalten werden. Im Süden konnte in der Regel ab dem 5. Oktober mit der Aussaat begonnen werden. Die Aussaat endete in den nördlichen Landesteilen meist gegen den 30. November. Diese Vorgehensweise ermöglichte aber nach wie vor nur eine Ernte auf solcherweise bewässertem Land. Die Flächen zwischen Nil und dem Bassindamm wurden durch den sogenannten Syphonkanal bewässert. Der Name stammt von der Tatsache, daß dieser kleine Kanal mittels eines Syphons unter dem großen Zufuhrkanal des Bassins durchfließt. Mit diesem Wasser konnten während der Flutzeit auch die nicht überfluteten Uferflächen ausreichend bewässert werden. Das Funktionieren eines solchen Systems setzte eine gut eingespielte Verwaltung und Organisation voraus. Die Ingenieure mußten ihr Handwerk verstehen, denn wenn ein Becken zuviel Wasser erhielt, konnte es passieren, daß die Zwischendämme brachen. Dann mußte in den folgenden Becken ebenfalls Wasser vorzeitig abgelassen werden, um Überschwemmungen der Ansiedlungen zu vermeiden. Diese Pannen waren dann auch begleitet von kostspieligen Reparaturarbeiten. Diese Art der Bewässerung war noch bis gegen Ende des letzten Jahrhunderts vorherrschend, wurde aber dann nach und nach durch die ganzjährige Bewässerung auf immer größer werdenden Flächen verdrängt. Diese ganzjährige Bewässerung wurde durch die Anlage von Stauwehren und neu angelegten Kanälen ermöglicht. So wurde 1863 die sogenannte Barrage du Nil bei Qalyub errichtet. Die Stauwehre führten zu einer Erhöhung des Wasserspiegels oberhalb dieser Wehre, wo dann die neuen Kanäle abzweigten. Damit konnte dann auch im Sommer bewässert werden, was die Voraussetzung für die Einführung des Baumwollanbaues im letzten Jahrhundert war. Ein weiterer Grund für die Anlage der Wehre lag aber auch darin, daß man damit etwas unabhängiger von der Höhe der Flutwelle war und die Folge von mageren und fetten Jahren in bestimmtem Umfang ausgleichen konnte. Diese von Mohamed Ali begonnene Wasserpolitik wurde in der Folgezeit konsequenterweise mit dem Bau von weiteren Wehren, der Anlage des ersten Dammes und schließlich in unserer Zeit mit dem Bau des Assuan-Hochdammes fortgesetzt. Literaturempfehlungen
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Kairo im Sommer 1965 die letzte große Nilflut
Nr. 56/91, pp. 2021 Die sandstürmischen Apriltage glitten langsam in zwei sehr heiße Maiwochen über, wobei die Temperaturen schon einmal auf 40°C kletterten. Im Gezira-Klub blühten die Bäume und Sträucher. Allmorgendlich trafen sich die Damen am kleinen Swimmingpool, um sich den neuesten Klatsch zu erzählen. Am Nachmittag, so gegen fünf, wenn man sein Mittagschläfchen beendet hatte, stieß dann die männliche "Diplomatie" dazu. Regelmäßig trafen sich der russische Militärattaché und sein deutscher Kollege am Schwimmbecken, um gemeinsam im neuesten "Spiegel" zu blättern. Kairo war so beschaulich! Alle kannten sich und der Gezira-Klub war Mittelpunkt für alles Geschehen. Heliopolis und Maadi waren weit entfernt, nur bei sportlichen Anlässen berührten sich die verschiedenen Klubs. In den ruhigen Straßen Zamaleks gab es massenhaft Parkplätze, und die frühsommerliche Zeit wurde nur ab und zu von einem Eselsschrei oder den lauten Anpreisungen eines Händlers unterbrochen. Meist war der Juni mit seinen Temperaturen sehr moderat, aber gegen Ende des Monats nahm die Luftfeuchtigkeit immer stärker zu. Der Juli mit seiner beißenden Hitze zwang auch frühmorgendliche Marktbesucher schon einmal die Straßenseite zu wechseln, um dem Sonneneinfall zu entfliehen. Telefonaktionen mußten gestartet werden, um die Neuigkeit zu verbreiten, daß bei "Thomas" oder "Leventis" eine Sendung bulgarischer Käse eingetroffen war, oder wo es gerade mal wieder Öl zu kaufen gab. Tagtäglich wuchs der Nil fast unbemerkt um ein kleines Stückchen. Immer mehr Strudel bildeten sich an den Brückenpfeilern und an der breitesten Stelle des Flusses. An der südlichen Inselspitze Geziras (Zamalek), auf der heute das Gezira Sheraton-Hotel steht, nagten die Fluten an den Wurzeln der Bäume und Palmen. Im August dann, wenn die Wasser ihren Hochstand erreicht hatten, war diese Inselspitze bis an die heute noch stehenden Mauern des Marinecamps überflutet. Vereinzelt trieben Wasserhyazinthen, Strünke und Holz auch mal ein totes Tier nilabwärts. Der Wasserstand der grau-grün-modrigen Fluten erreichte mit seinen wirbelnden Bewegungen den unteren Rand der Fontaine, die aus der Mitte dieser unendlich erscheinenden Wassermassen fast verschwand. (Die Fontaine war damals defekt.) Für viele war es ein Wochenendvergnügen, sich nach zehn Uhr abends auf der kühlen Dachterrasse des Semiramis-Hotels zum Dinner-Dance zu treffen. Man vergnügte sich da bis in die frühen Morgenstunden, genoß die Brise, die von der großen Wasserfläche herauffächelte und schob das Schlafengehen immer wieder hinaus, weil man sich vor den heißen, stickigen Schlafzimmern fürchtete. Alle Bewohner Kairos lebten damals noch ohne Airconditioner! Vom Shepheards- und Semiramis-Hotel (das alte Semiramis natürlich, welches ja längst abgerissen war, bevor der neue Prachtbau entstand!) hatte man die beste Aussicht auf die Brücken und Inseln. Auf Rhoda reichte das Wasser bis zur damaligen Bauruine des heutigen Meridian-Hotels, die jahrelang als Relikt eines bankrotten deutschen Hoteliers das Ufer verschandelte. Unter den Brücken war für Nilbarken und andere Schiffe kein Durchkommen mehr, und nur nachts öffnete man die Drehbrücken, damit einige Schiffe passieren konnten. Die heutige Rhagab-Insel, sowie zwei oder drei kleinere Eilande bei Maadi
waren total unter den Wassern verschwunden.
Feuchtheiß war es überall, und die Sonne stach wie mit Nadeln. Myriaden von Moskitos schwirrten über den Wassern. Aber die Sonnenuntergänge vom Nile Hilton-Hotel aus betrachtet waren nie wieder so schön wie in dieser Jahreszeit, wenn sich die Strahlen der rot untergehenden Sonne in der endlosen Wasserfläche spiegelten. So ganz allmählich, Ende August / Anfang September, zeigte der Wasserstand an der Fontaine und unter den Brücken an, daß der Nil gefallen war. Bis Ende September wichen die Wasser fast ganz auf ihren Normalstand zurück. Häßliche, ausgewaschene und verkarstete Ränder säumten dann die Inseln und Ufer. Einige Bäume, deren Wurzelwerk von den Fluten so unterhöhlt worden waren, stürzten um oder brachen ab. Auf den Feldern jedoch begann jetzt das Pflanzen und Säen. Die Temperaturen rutschten wieder auf angenehme Grade, und das Nordfenster in der Wohnung brachte am Abend wieder erfrischenden Wind für einen ruhigen Schlaf. Im darauffolgenden Sommer stiegen die Wasser nur noch geringfügig, da der große Staudamm bereits seinen Betrieb aufgenommen hatte.
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Energie- und Wasserkraft der Assuan-Hochdamm
Nr. 10/85, pp. 3032 Der Assuan-Hochdamm und seine Auswirkungen auf das Ökosystem des Nils sind bekannt wenn auch immer noch umstritten. Die Probleme sind vielfältig:
Während noch unter Nasser jede Kritik tabu war der Hochdamm galt als Symbol des arabischen Nationalismus, der Unabhängigkeit und der Befreiung vom Kolonialismus ist vorsichtige Kritik heute möglich, wenn auch die positive Einschätzung des Dammes immer noch überwiegt. "Der Hochdamm ist unschuldig", ist die Überschrift eines Artikels in der "Al-Ahram" und meint damit, daß die Beeinträchtigung der Agrarproduktion nicht allein mit dem Fortbleiben des Nilschlamms erklärt werden kann.
Der Hochdamm staut Wasser, welches unterschiedlichen Nutzungsansprüchen dient. Die wichtigsten sind:
Neu ist die Diskussion um die Bedeutung der verschiedenen Nutzungsansprüche:
Während der Hochdamm bisher vor allem die Wasserversorgung der Landwirtschaft und der Städte wirksam sichergestellt und geregelt hat, blieb die Energieproduktion von Anfang an hinter den hohen Zielerwartungen zurück. Schon bald nach der Fertigstellung des Hochdammes zeigten sich Schäden an den zwölf Turbinen, so daß das Kraftwerk nie mit voller Kapazität hat arbeiten können. (Geplante Gesamtkapazität: 10 Mrd. Kw/h jährlich, tatsächlich kann heute nur knapp die Hälfte wirklich ausgeschöpft werden.) Mit finanzieller Hilfe der USA soll der Schaden bis 1990 behoben werden, und die Generatoren sollen dann wieder voll funktionsfähig sein.
"Szenarien" Neueste wissenschaftliche Untersuchungen (Egyptian Water Planning Group) nehmen sich der Problematik der konkurrierenden Nutzungsansprüche an und versuchen mit Hilfe von "Szenarien" Bilder vom gegenwärtigen und zukünftigen Betrieb des Assuan-Hochdammes zu entwerfen. Dreh- und Angelpunkt bei der Bewertung der Szenarien ist die Gefahr eines möglichen Wassermangels, welche mit allen Mitteln verhindert werden soll. Empfohlen wird deshalb ein Modell, das sich jeweiligen Bedingungen anpaßt. Im Falle von einem Wasserüberangebot ist der Betrieb mit Gewichtung auf die Energieversorgung angebracht. Ist der Zustrom von Wasser eingeschränkt (z.B. während der Dürreperioden), sollte der Schwerpunkt auf der Wasserversorgung liegen.
Energie vom Hochdamm billige Elektrizität hat die Elektrifizierung der Dörfer und die Ausdehnung der Industrie erlaubt. Kunstdünger in Assuan wird mit Energie vom Hochdamm produziert. Ein weiterer Ausbau von Kapazitäten bedeutet einen Ausbau industrieller Entwicklung entlang des Nils eine zusätzliche Belastung zur bisherigen Verschmutzung des Flusses durch Herbizide, Pestizide, Kunstdünger, Gifte und Abwässer industrieller Produktion. Eine weitere Industrialisierung verlangt nach wirksamen Umweltschutzmaßnahmen. Die Lage des Kraftwerks, die Lage von Industriestandorten, Leitungsverluste beim Transport alles Faktoren, die in weitere Überlegungen zur Industrialisierung miteinbezogen werden müssen. Ein Ausbau der Industrialisierung Ägyptens ist geplant. Zum "mehr produzieren" drängt nicht nur die Regierung. Die Weltbank, amerikanische Berater in Kairo, europäische Entwicklungsorganisationen ebenfalls. Literatur:
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Hochdamm und Hohe Politik
Nr. 56/88, pp. 910 Wenn heute so viel über die ökonomischen und ökologischen Folgen des Assuan-Staudammes diskutiert wird, verliert man völlig aus den Augen, welche symbolische Bedeutung dieses Bauwerk für das nachrevolutionäre Ägypten hatte. Die Revolutionsgeneration setzte all ihre Hoffnung in den Dammbau, er personifizierte ihren Glauben an eine neue, bessere Zukunft, den Aufbruch in das Industriezeitalter, den Abschied von Rückständigkeit. In diesem Bauwerk sollte sich die Fähigkeit in einer neuen sozialistischen Gesellschaft manifestieren, im gemeinsamen Willen, als einheitliches, homogenes Gebilde für den Fortschritt zu kämpfen, die Kräfte der Natur zu überwinden. Gleichzeitig symbolisierte sich im Hochdamm Nassers Charisma: Das Projekt war kurz nach dem Coup d' Etat der "Freien Offiziere" begonnen und 1970 beendet worden, dem Jahr von Nassers Tod. Und nicht zuletzt ist mit dem Hochdammprojekt Ägyptens politische Neuorientierung verbunden, die in der damaligen Zeit von der revolutionären Generation als Überwindung des Imperialismus interpretiert wurde. Damit wurde der Sadd el-Ali auch zum Symbol für die nationale Größe und Unabhängigkeit des Landes, für die Unabhängigkeit von einer westlichen Politik, die Ägypten als koloniale Kontrolle empfand. Kurz nach der Revolution hatten die Offiziere bereits existierende Pläne für einen Überjahresspeicher auf ägyptischem Boden wiederaufgegriffen: Technische Expertisen und Pläne holte man sich von den deutschen Firmen Hochtief und Union Brückenbau, ein internationales Expertengremium wurde berufen. Westliche Länder, u.a. USA und Großbritannien signalisierten Kreditbereitschaft, ebenso die Weltbank. Doch den potentiellen Kreditgebern mißfiel Ägyptens Außenpolitik: Nassers Rolle bei der Gründung der Blockfreien-Bewegung, Ägyptens Kampf gegen israelische Überfälle, noch dazu mit tschechoslowakischen Waffen, da die Amerikaner ihre Waffenlieferungen an für Ägypten demütigende Bedingungen gebunden hatten. Gleichzeitig gab es in den USA eine jüdische Lobby und eine Baumwollobby der Südstaaten, die wenig ägyptenfreundlich waren, in Großbritannien vertrat diese Richtung eine sudanorientierte Rechte. In einer Fehleinschätzung der Einflußmöglichkeiten westlicher Politik auf jene Länder der Dritten Welt, die sich auf den Weg zu neuer nationaler Identität befanden, beschlossen die USA, Ägypten zu bestrafen und eine Lektion zu erteilen: Im Juli 1956 erklärte US-Außenminister John Forster Dulles dem ägyptischen Botschafter eine Zurücknahme des amerikanischen Kreditangebotes, dieselbe Ankündigung folgte am nächsten Tag von seiten Großbritanniens. Die Antwort Ägyptens bestand am 26. Juli 1956 in der Nationalisierung des Suez-Kanals, was auch durch die militärische Intervention Englands, Frankreichs und Israels nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte. Um dem Westen ganz deutlich zu zeigen, daß das neue Ägypten jede als imperialistisch empfundene Einmischung zurückweise, unterzeichnete Nasser 1958 mit der Sowjetunion einen Finanzierungsvertrag für die 1. Baustufe des Hochdammes Ägyptens außenpolitische Abwendung vom Westen war damit demonstrativ vollzogen. Am 9. Januar 1960 konnte Präsident Nasser dann das Signal für den Baubeginn geben, nachdem zuvor der Vertrag über die Wassernutzungsrechte mit dem Sudan unterzeichnet worden war und Ägypten für die Umsiedlung der sudanesischen Nubier eine Entschädigung von 15 Mio. Pfund Sterling versprochen hatte. 10 Jahre wurde gebaut, mehr als 57 Mio. m³ an Material bewegt, zeitweise arbeiteten mehr als 27.000 Menschen an diesem gigantischen Bauwerk. Ein Viertel Jahr nach Nassers Tod wurde der Hochdamm "als Symbol gemeinsamer Schöpferkraft der Völker der Sowjetunion und des ägyptischen Volkes" feierlich eingeweiht von Nikolaj Podgorny und Anwar El Sadat, dem Nachfolger Nassers, der wenige Jahre später eine neue Kehrtwendung in der ägyptischen Außenpolitik vollziehen sollte. Das Symbol hatte seine Bedeutung eingebüßt, nun öffneten sich die Schleusen der Kritik.
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Nilwassernutzung ein Anlaß zu politischem Streit?
Nr. 56/88, pp. 1114 "Immer weniger Wasser für immer mehr Menschen." Dieser Satz charakterisiert die vitale Abhängigkeit Ägyptens vom Nil und von seinen Nachbarn am Oberlauf. Für Ägypten bestand und besteht ein Zwang zu politischer Kooperation. Diesem Ziel dient die unermüdliche und mit großem Engagement betriebene Reisediplomatie des ägyptischen Staatsministers Dr. Boutros Ghali in den Staaten des Nilbeckens. Besonders aufmerksam beobachtet Ägypten als letzter und volkreichster Nil-Unterlieger die Lage im Süd-Sudan, in Äthiopien sowie alle Versuche, die dazu führen könnten, regulierend auf Wassermenge, Wasserbeschaffenheit und Fließgeschwindigkeit des Nils Einfluß zu nehmen.
Zunächst ein Blick auf einige Fakten. Sie beleuchten die Interessenvielfalt, die in der politischen Diskussion eine Rolle spielen.
Was folgt daraus?
An dieser Interessenlage orientierte sich die politische Geschichte des Nilbeckens. Man unterscheidet grob zwei Perioden:
Die wachsende Bevölkerung in Ägypten und dem Sudan weckte das Bedürfnis nach effektiverer Nutzung des Nilwassers. Intensive Studien über Wasserstände, Volumen und Fließgeschwindigkeit des Nils waren die Folge. In diese Zeit fällt auch eine Kette von internationalen Verträgen zwischen Großbritannien einerseits und Äthiopien und den Kolonialmächten Belgien, Frankreich und Italien andererseits (siehe Kasten 1). Die Verträge hatten eines gemeinsam: die beiden Wüstenstaaten Ägypten und den Sudan gegen einseitige künstliche Eingriffe in das Ökosystem des Nils zu schützen.
Das Geflecht von Verträgen hatte jedoch eine Schwachstelle: war Ägypten und Großbritannien (für den Sudan) gegen Eingriffe in den Wasserhaushalt des Nils seitens der übrigen Oberlieger abgesichert, so traf Großbritannien selbst keinerlei Verpflichtung auf Ägypten Rücksicht zu nehmen. Diese Lücke sollte 1924 zu einer Krise zwischen Großbritannien und dem seit 1922 formal unabhängigen Ägypten führen. Nach dem Mord an dem britischen Generalgouverneur Sir Lee Starck im November 1924 teilte Großbritannien mit, es habe gestattet, daß die sudanesische Regierung in Zukunft beliebige Wassermengen zu Bewässerungszwecken abzweigen könne. Dieser Vorfall war Anlaß zu intensiven Verhandlungen, die 1929 zum Abschluß des Nilwasservertrags zwischen Ägypten und Großbritannien (für den Sudan und die ostafrikanischen Kolonien) führten. Er bildet noch heute die Grundlage der Nilwasserquotierung der Nilanrainerstaaten.
Naturgemäß besonders eng sind die Beziehungen Ägyptens mit dem Sudan. Das
Übereinkommen über den Bau des Assuan-Dammes ergänzt den Nilwasservertrag von
1929. Er kann als Musterbeispiel eines völkerrechtlichen Vertrages zur Lösung
von wasserwirtschaftlichen Problemen bezeichnet werden. Eine "Gemeinsame
Kommission" überwacht die Erhebung von Daten sowie die Einhaltung von
Wasserquoten. 1974 schlossen die beiden Staaten ein Abkommen über den Bau des
Jonglei-Kanals am oberen Nil; durch den Kanal soll der Lauf des Nils verkürzt
werden. Er soll verhindern, daß jährlich 13 Mrd. m³ Wasser in den
Sumpfgebieten des Sudd versickern. Doch schon bald nach Bekanntgabe dieses
Vorhabens kam es im Süd-Sudan zu Unruhen. Die dort lebenden teilweise
christianisierten Völker begehren gegen die Tatsache auf, daß alle
wirtschaftlichen Entscheidungen allein im islamischen Norden und zu dessen
Gunsten getroffen zu werden scheinen. So auch die in Sachen Jonglei-Kanal. Das
Projekt ruht einstweilen, eine Wiederaufnahme der Bauarbeiten ist nicht in
Sicht.
Äthiopien seinerseits bietet für Ägypten Anlaß zur Beunruhigung. Es hat den Nilwasservertrag von 1902 (siehe Kasten 1) gekündigt. Ägypten fürchtet die Verwirklichung von Plänen, die den Ausbau des Tana-Sees zu einem Stausee vorsehen. Äthiopien besteht auf dem "unveräußerlichen Recht eines jeden Anliegerstaates, einseitig die Entwicklung der Wasservorkommen innerhalb der nationalen Grenzen vorzunehmen, da es an einem internationalen Abkommen fehlt", so der äthiopische Delegierte auf der internationalen Wasser-Konferenz in La Plata 1977, eine Auffassung, die wohl kaum mit der völkerrechtlichen Prinzipien zur konkurrierenden Gewässernutzung zu vereinbaren ist (siehe Kasten 2).
Argwöhnisch beobachtet Ägypten in diesem Zusammenhang auch die Aktivitäten Libyens in der Region. Hier sorgt Ghaddafis seit 1984 verfolgtes Projekt des "Künstlichen Flusses" für Unruhe. Er läßt Wasser aus einer riesigen wasserführenden Schicht unter den Staaten Libyen, Ägypten und Sudan in Richtung Mittelmeer fließen. Schon 1977 hatte die Verwüstungskonferenz in Nairobi eine transnationale Nutzung dieses Aquifers gefordert. Dazu ist es bis heute jedoch nicht gekommen. Ägypten hat seine Sorge bekundet, daß Libyen den Aquifer rasch leeren und damit den Grundwasserspiegel auf ägyptischem Territorium absinken lassen könnte. Zwei interessante Abkommen (von 1953 und 1959) regeln die Nilwassernutzung zwischen Ägypten und Uganda. Sie ergänzen den Nilwasservertrag von 1929. Hintergrund war ein Dammbau bei den Owen-Wasserfällen in Uganda. Das Problem: die Wassermenge, die Ägypten zur Bewässerung benötigt, entspricht nicht der, die zur Stromerzeugung in Uganda gebraucht wird. Die Lösung: Aufteilung der Kosten für den Dammbau, Zahlung einer Entschädigungssumme von 980.000 englischen Pfunden an Uganda als Ausgleich für den Verlust an Kapazitäten zur Stromerzeugung, Stationierung eines ägyptischen Wasseringenieurs zur Regelung der Abflußmenge. Wegen politischer Differenzen mancher Nilanrainer untereinander steckt die multilaterale Zusammenarbeit der Staaten des Nilbeckens noch in den Kinderschuhen. Von der Undugu-Gruppe der Nilanrainer sind keine schnellen Fortschritte zu erwarten. Undugu (Swahili: Freundschaft) geht auf eine von Ägypten initiierte Resolution der Organisation für afrikanische Einheit von 1980 zurück und trifft sich jährlich zur Diskussion wasserwirtschaftlicher Probleme. Seit letztem Jahr nimmt auch Äthiopien wieder an den Sitzungen teil. Aussichtsreicher sind eher technische Konferenzen unter der Schirmherrschaft des UNDP oder der World Metereological Organization mit dem Ziel, hydrometereologische Daten zu sammeln, auszunutzen und nutzbar zu machen.
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Wasser bald kostbarer als Öl
Nr. 12/2000, pp. 7576 Schon vor Jahren hat der damalige UNO-Generalsekretär Boutros Boutros Ghali eindringlich gewarnt, die nächsten Kriege im Nahen Osten würden um die schrumpfenden Wasservorräte geführt, weil Wasser bald kostbarer sein werde als Erdöl. Es gibt Leute, die solche finsteren Prognosen für übertrieben halten. Die Fakten aber alarmieren. "Die Region steuert in den kommenden 20 bis 25 Jahren auf eine Periode wachsenden Wasserbedarfs zu", stellt die von der UNO eingesetzte Wirtschafts- und Sozialkommission für Westasien (ESCWA) fest. "Wasserreservoire werden die Bedürfnisse nicht mehr decken." Der ESCWA-Raum erstreckt sich von Ägypten bis zum Persischen Golf und umfasst 13 Länder (ausgenommen Israel). Laut einer Statistik der Kommission wird in dieser Region der Bedarf an Wasser für den privaten, industriellen und landwirtschaftlichen Gebrauch bis zum Jahr 2000 auf 170 Milliarden Kubikmeter und bis zum Jahr 2005 auf 228 Milliarden steigen. 1990 verbrauchten dieselben Länder erst 140 Milliarden Kubikmeter. Hauptgründe dafür seien das Bevölkerungswachstum, die daraus folgende Steigerung der Nahrungsmittelproduktion und die industrielle Entwicklung. 1970 bis 1997 hat sich die Bevölkerung der Region fast verdoppelt auf heute 151 Millionen; bis 2005 wird sie auf 233 Millionen anwachsen.
Nur drei Länder verfügen über eine Wasserkapazität, welche die von der UNO-Landwirtschaftsorganisation FAO empfohlene Menge von 1.600 Kubikmeter pro Person und Jahr übersteigt die Türkei (4.500), Irak (4.400) und Libanon (3.000). Unter diesem Wert liegen Syrien und Ägypten mit 1.300 und 1.200 Kubikmetern eine Menge, die viele Wasserexperten noch für ausreichend halten. Dies gilt bei weitem nicht für Israel, Jordanien und die palästinensischen Selbstverwaltungsgebiete: Ihnen stehen durchschnittlich nur rund 300 Kubikmeter Wasser pro Person und Jahr zur Verfügung, den Palästinensern gar noch weit weniger.
Die Region schöpft ihr Wasser aus drei Hauptquellen: den in der südöstlichen Türkei entspringenden Flüssen Euphrat und Tigris (welche die Türkei, Syrien und Irak versorgen), dem Nil (von dem Ägypten, Sudan und neun weitere afrikanische Länder leben) sowie dem Jordan (der auf den von Israel besetzten syrischen Golanhöhen entspringt). "Das größte Problem", betont Habib Ayeb, Wasserspezialist des Centre de Documentation Economique Juridique et Sociale in Kairo, "liegt in der Tatsache, dass Wasser in der Region hohe geostrategische Bedeutung besitzt, da die Quellen in den meisten Fällen außerhalb der Kontrolle der Mehrheit der Benutzer liegen." Experten schätzen, dass mehr als 60 Prozent des Wassers, das den arabischen Staaten zur Verfügung steht, außerhalb ihrer Länder entspringt.
Irak und Syrien stehen seit Jahren mit der Türkei wegen eines gigantischen Projekts von rund zwanzig Staudämmen und Kraftwerken am Euphrat und Tigris, das von Ankara vorangetrieben wird, in Konflikt. Dagegen drängen Damaskus und Bagdad die Türkei, Syrien einen größeren Anteil am Euphrat-Wasser zu garantieren bisher vergeblich. Israelis und Palästinenser führen einen erbitterten Kampf um die schwindenden Quellen ihrer Region, und ein riesiges Bewässerungsprogramm in Ägypten beunruhigt die anderen Nilanrainerstaaten. Schon heute muss Ägypten sechzig Prozent seiner Nahrungsmittel importieren. Um einen Ausweg aus der Krise zu finden, gab Präsident Mubarak vor zwei Jahren den Startschuss zum "zweiten Nildelta", einem riesigen Bewässerungsprojekt, das nach seiner Vollendung im Jahr 2002 mit Wasser aus dem Nasser-Stausee 210.000 Hektar Wüste zum Blühen bringen soll. (Siehe hierzu den Beitrag "Der Toshka-Kanal, Teil eines Jahrhundert-Projekts" Anm. KFN.) Mit Hilfe von Privatinvestoren soll ein riesiges Netz von Großfarmen entstehen, das rund sieben Millionen Menschen ein Auskommen bieten soll. Kairo begann mit der Umsetzung dieses Planes, ohne die anderen Nilanrainer zu informieren. Zugleich arbeiten die Ägypter an der Verwirklichung eines anderen Plans: Durch den 240 Kilometer langen Salam-Kanal sollen dereinst aufbereitete Abwasser mit Nilwasser vermischt in den Nord-Sinai gepumpt und so 84.000 Hektar Land urbar gemacht werden.
Bis heute hat Ägypten, das die größte und höchstentwickelte Volkswirtschaft aller Nilanrainer besitzt, nahezu ungehinderten Zugang zum Nilwasser. Dies könnte sich bald ändern, denn auch Sudan möchte seine Wüste bewässern. Vorerst freilich verhindert der Bürgerkrieg ehrgeizige Pläne: Erst wenn die Waffen schweigen, könnten die kurz vor Kriegsausbruch 1983 begonnenen Arbeiten am Jonglei-Kanal wieder aufgenommen werden, der dem Land jährlich 4,5 Milliarden Kubikmeter zusätzliches Nilwasser verschaffen könnte. Alle diese Entwicklungen beunruhigen vor allem Äthiopien, das nicht länger die Rolle des "Wasserturms" für andere Länder spielen will: "Die Zeit ist gekommen, Dämme und Reservoirs am Nil zu errichten", verkündete unlängst Außenminister Seyoum Mesfin. Experten errechneten, dass Äthiopien seine landwirtschaftliche Produktion jährlich um mindestens vier Prozent steigern müsste, um ein bedrohliches Nahrungsmitteldefizit zu überwinden. Adis Abeba liebäugelt schon lange damit, eine Reihe von Staudämmen am Blauen Nil zu errichten, welche die nach Sudan und schließlich nach Ägypten fließenden Wassermengen um bis zu 20 Prozent reduzieren könnten. Mit etwa zwölf Milliarden Kubikmeter Nilwasser könnte Äthiopien rund 900.000 Hektar Land künstlich bewässern.
Der konfliktträchtigste Strom der Region ist aber der Jordan mit seinen Nebenflüssen, obwohl er rund hundertmal weniger Wasser führt als der Nil. Syrien, Libanon, Israel, Jordanien und die Palästinenser teilen sich sein Wasser in krass unterschiedlichem Maß. Neue Wasserquellen lassen sich aber fast nur noch mit kostenaufwändigen Entsalzungsanlagen oder durch den Import von Wasser aus der Türkei erschließen. Ankara hat den Arabern ein "Friedens-Projekt" offeriert: die Verschiffung von Wasser aus anatolischen Flüssen über das Mittelmeer. Der Argwohn gegenüber den Türken steht einer solchen Lösung vorerst im Wege. "Kein arabisches Land kann die schwierige Frage der Wasserversorgung für sich alleine lösen", sagt ein arabischer Experte. Die Wassernot zwingt die Länder der Region in gegenseitige Abhängigkeit und diese Erkenntnis lässt bereits beruhigende Zeichen von Pragmatismus erkennen. Doch sie hat (noch?) nicht zur Überwindung des tiefen gegenseitigem Misstrauens geführt.
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Nilentwicklung und Zukunftsplanung
Nr. 56/88, pp. 4245 Eine Götterdämmerung eigener Art. Der Hochdamm bei Assuan ist als ein gigantisches Bewässerungsbauwerk für die Niloase errichtet worden. Der lebensspendende Strom sollte endgültig gezähmt werden, er sollte nicht mehr wie zuvor durch Jahrtausende den Lebensrhythmus der Menschen bestimmen, Wohl und Wehe sollten künftig nicht mehr von seinem Puls abhängen, die Höhe der Flutwelle, mit der er das Land für die Saat vorbereiten sollte, nicht das Maß liefern für fette oder magere Jahre. Zu Recht hatten die Ägypter im Altertum den Fluß in den Rang eines Gottes erhoben. Kein anderes Geschehen entschied über Gedeih und Verderb schicksalhafter als die jährliche Flut des Nils. Wie eine Götterdämmerung eigener Art also, ein Triumph der Technik über die Natur, die Befreiung des Menschen aus der Willkür ihrer Lebensumstände, beinahe wie ein neues Geschenk des Prometheus mußte jener Tag erscheinen, an dem der Hochdamm geschlossen wurde und der Nil dem Willen des Menschen unterworfen schien. Mit der Bausumme von DM 4,3 Mrd. ist erreicht worden, was vorrangig regelungsbedürftig erschien: Das Wasser für die Felder der Stromoase und des Deltas kann bewirtschaftet werden, das Reservoir des Nassersees gestattet die stetige Speisung des Flußtales, speichert Wasser für die Notzeiten, und die Turbinen des Dammes zwingen den Fluß zur Arbeit. Die Erfolge lassen sich in Zahlen schreiben. Bis zu drei Ernten jährlich sind nun möglich, wo früher nur eine geborgen werden konnte, im Durchschnitt wird in Ägypten jeder Feddan 1,7fach jährlich bestellt. Die letzten neun Jahre, in denen das Hochwasser unter dem Durchschnitt blieb, wären überwiegend magere gewesen. Auf 700 Mio. US-Dollar wird allein der Wert der Nahrung des Dürrejahres 1972 veranschlagt, die trotz des Wassermangels durch den Stausee erzeugt werden konnte. Auch jetzt noch, nach neun Jahren geringer Zuflüsse aus den Quellgebieten, hat Ägypten für drei weitere Jahre hinein keine Sorge um das Wasser für die Bewässerung. Etwa 20% der Elektrizität in Ägypten werden am Nassersee erzeugt. Das Land ist sicher vor den Zerstörungen, die früher die Hochwasser bringen konnten. Die Wasserbauer jedoch wissen: Zu jeder Bewässerung gehört eine Entwässerung, und die zweite ist zumeist so teuer wie die erste. Dabei kann der Begriff "Entwässerung" bei einem so nachhaltigen Eingriff in die Natur nicht als Drainage der bewässerten Flächen begrenzt werden, vielmehr muß die Beherrschung aller Folgen hinter dem Damm einbezogen werden, die durch den Stau des Wassers vor dem Damm entstehen. Dazu gehören die Effekte der Ablagerungen von Schwebstoffen im Stausee ebenso, wie die der ausbleibenden Fluten. Erosion, Rückgang des Fischfanges, Gefährdung von Bauwerken, Rattenplage, Verbreitung von Krankheiten, die durch das Wasser begünstigt werden, sind die Stichworte, zu denen in anderen Beiträgen dieses Heftes Näheres gesagt wird (Siehe die Beiträge unter der Rubrik "Folgeschäden des Staudammes"). Zunächst ist der Verlust von Schwemmland im Niltal und im Delta zu erwähnen, der durch dessen Überlagerung mit dem Sand entsteht, den die Winde aus den Wüsten herbeitragen und der früher von der Flutwelle entweder fortgespült oder doch mit fruchtbarer Erde vermischt wurde. Weiter zählen die Experten auf: Bodenvernässung, Verkrautung der Bewässerungskanäle, Abnahmen der Feuchtbiotope, Verbreitung von Schädlingen, Veränderung der Grundwasserschichten und des Baugrundes. Es ist leicht, diese Wirkungen des Dammes zu einem apokalyptischen Bild zusammenzufügen. Doch dagegen stehen andere Zukunftsdrohungen: Ägyptens explosive Bevölkerungsentwicklung, die mit Sicherheit noch für Jahrzehnte andauern wird, die negative Nahrungsmittelbilanz, die für die unabsehbare Zukunft dazu zwingt, die Bevölkerung durch immer steigende Einfuhren zu ernähren, und die trüben wirtschaftlichen Aussichten, die keine Erträge versprechen, aus denen die Nahrungsmittellücke finanziert werden könnte. (s. PAPYRUS 1/87 und 3/88 [zu letzterem die Rubrik "Bevölkerungsexplosion" Anm. KFN]). Das Land im Niltal, einst Kornkammer der Antike, wird für lange Zeit ein Kostgänger der übrigen Welt sein, ausgehalten womöglich mit dem Ansinnen politischer Willfährigkeit. Der gelegentlich vorgebrachte aberwitzige Gedanke, den Damm wieder abzutragen, knüpft an eine Zeit vor dem Bau an, da Ägypten 26 Mio. Einwohner hatte. Heute, bei der doppelten Zahl und den beschriebenen düsteren Prognosen, kann die Möglichkeit, die in natürlicher Weise begrenzte Ackerfläche des Landes intensiver zu nutzen, kaum hoch genug bewertet werden. Freilich darf es nicht bei dieser Feststellung bleiben. Zuviel Zeit ist bereits verstrichen, die hätte genutzt werden sollen, die sozialen und technisch beherrschbaren Folgen zu meistern. Zwar hat es dazu immer wieder Vorschläge und Symposien gegeben, und auch der neue Fünfjahresplan greift das Thema der Nilentwicklung auf, doch ist man über Absichtslösungen bisher kaum hinaus gekommen. Zu ihnen gehören auch ein Abkommen mit den Kanadiern und Kontakte zu den Bundesdeutschen über technische und finanzielle Zusammenarbeit in diesem Feld. Die Maßnahmen, die dabei erwogen wurden, laufen nach der Einschätzung eines deutschen Experten darauf hinaus, den Hochdamm "zu Ende zu bauen". Zu ihnen gehören die Rehabilitation und der Neubau von Wehren, Uferbefestigungen, erwogen wurde auch die Zugabe neuer Schwebstoffe in den Fluß hinter dem Damm all dies, um vor allem die Erosion zu mindern. Bereits im Bau sind Drainagesysteme, doch reichen sie nicht aus und sind verbesserungswürdig. Die sparsame Verwendung von Wasser in der Landwirtschaft und die Bekämpfung von Ratten, Schädlingen und Krankheiten erfordern Aufklärung vor allem der Landbevölkerung. Zu der Vollendung des Hochdammes gehört auch der Schutz des Niltales vor seinem Überfluten in Zeiten extrem hoher Wasserzufuhren. Das ursprüngliche Bauwerk sah vor, das Wasser ins Tal zu leiten, wo es verheerende Schäden an Ufern und Wehren anrichten würde. Inzwischen ist ein Abfluß in die Toschka-Senke gebaut worden, der aber technisch unzureichend ist. Schließlich ist das Wasser des Nils noch immer nicht sparsam genug genutzt; in der Winterpause, wenn nicht bewässert wird, laufen für Elektrizitätserzeugung und Schiffahrt ca. 2 Mrd. m³ durch den Damm, die für die Bewässerung verwendet werden könnten, wenn es gelänge, sie hinter dem Damm aufzufangen und später einzusetzen. Dazu werden drei Möglichkeiten erwogen: Die Speicherung in einem der Seen im Norden, in einer der Depressionen oder als Bestandteil des Grundwassers. Alle künftigen Projekte aber müssen in eine Planung eingegliedert werden, in der die ökologischen, ökonomischen und sozialen Folgewirkungen bedacht und alle notwendigen Ergänzungen einbezogen sind. Dieser zweite Teil der Zähmung des Nils kann nicht mehr lange aufgeschoben werden, wenn die schädlichen Folgen der ersten Zähmung die nützlichen nicht übertreffen sollen. Dies wird Ägypten sicher nicht ohne Hilfe von anderen leisten können, aber auch mit Unterstützung rückt die Aufgabe in einen Rang, in dem menschliches Handeln in der Vergangenheit oft an seine Grenzen gestoßen ist: das Gleichgewicht in einem Mikrokosmos im Altertum einmal eine ganze Welt so zu gestalten, daß das Erwünschte eintrifft und das Unerwünschte vermieden wird. Werden die Menschen obsiegen bei dem Versuch, den Gott Nil endgültig gefügig zu machen und sich an seine Stelle zu setzen?
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Folgeschäden des Staudammes: Bodenversalzung
Nr. 56/88, pp. 3031 "Keine Bewässerung ohne Entwässerung", so lautet eine weltweit gültige Regel im Bewässerungslandbau. Gerade unter den in Ägypten herrschenden ariden Klimabedingungen die Verdunstung ist in allen Monaten größer als der natürliche Niederschlag sind Entwässerungsanlagen unerläßlich. Die Landwirtschaft Ägyptens ist eine reine Bewässerungslandwirtschaft, der Wasserbedarf der Kulturpflanzen wird fast ausschließlich aus dem Nil gedeckt. Damit ist natürlich die chemische Beschaffenheit des Nilwassers für die ägyptische Landwirtschaft von großer Bedeutung, denn das Nilwasser ist mit Verunreinigungen der verschiedensten Art belastet: Sand und Schlamm, häusliche und industrielle Abwässer, Salze, etc. Auch wenn sie im Wasser unsichtbar als gelöste Salze vorliegen, spielen diese in der Landwirtschaft eine wichtige negative Rolle. Bei Fahrten durch das Niltal, das Delta und die Oasen fällt dem aufmerksamen Beobachter auf, daß der ansonsten braun bis schwarz gefärbte Boden vor allem im Sommer mit einer feinen weißen Schicht bedeckt ist. Hier ist niemand mit der Puderdose oder dem Kalkstreuer zugange gewesen, nein, hier handelt es sich um eine natürliche Anreicherung von Salzen an der Bodenoberfläche. Jeder wird sich nun fragen:
Auf diese Fragen soll im folgenden versucht werden, eine Antwort zu geben. Chemisch reines Wasser ist nur destilliertes Wasser, im Flußwasser sind je
nach Jahreszeit und Wasserführung unterschiedliche Mengen an Salzen gelöst. Im
Nilwasser nahm der Gesamtsalzgehalt seit Errichtung des Hochdammes von Assuan
erheblich zu, so beträgt der Salzgehalt bei Kairo etwa 250 mg/l. Dieses
entspricht immer noch allerbester Trinkwasserqualität, aber für
Bewässerungslandwirtschaft kann das schon seine Nachteile haben. Im Stausee
selbst liegt der Salzgehalt bei nur 175 mg/l. Die Gefahr einer zunehmenden
Versalzung des Nilwassers geht jedoch nicht vom Stausee aus, sondern von der
Einleitung von Drainagewasser sowie von häuslichen und industriellen
Abwässern.
Im Nildelta beträgt die jährliche Bewässerungsmenge etwa 1.250 mm oder 12.500 m³ pro Hektar. Mit dieser Wassermenge gelangen allein aus dem Nil etwa 3.100 kg Salz auf jeden Hektar Ackerland. Diese gelösten Salze steigen in den kapillaren Hohlräumen des Bodens auf und kristallisieren bei hoher Verdunstung an der Bodenoberfläche aus. Unter ungünstigen Umständen hoher Grundwasserspiegel, hoher Salzgehalt und hohe Verdunstung reichert sich im Oberboden im Laufe der Zeit das Salz derart an, daß es, wie in der Oase Siwa, eine Konzentration von über 25% erreichen kann. Natürlich läßt sich etwas gegen die Bodenversalzung unternehmen, das Salz muß nur von der Bodenoberfläche entfernt werden. Eine auf Dauer nicht effektive Möglichkeit der Bodenentsalzung ist das Tiefpflügen, die salzhaltige Bodenkrume wird einfach tief eingepflügt. In der Oase Siwa wird die Salzkruste mit mehr als 25% Salz vom Feld entfernt, und bis noch in jüngste Zeit verwandte man diese festen Blöcke mangels anderer Materialien zum Hausbau. Auch mit Chemikalien, wie Schwefel, Gips, schwefelsaurem N-Dünger etc. läßt sich eine Entsalzung durchführen, allerdings ohne nachhaltigen Erfolg, denn hier wird ein Salz durch ein anderes ersetzt. Die einfachste und billigste Methode zur Entfernung der Salze ist immer noch, den Boden bei ausreichender Drainage mit soviel Wasser zu bewässern, daß alle Salze gelöst und nach unten abgeführt werden. Dieser Vorgang kann ständig durchgeführt werden, indem immer mit überschüssigem Wasser bewässert wird, um so im Boden eine nach unten gerichtete Fließrichtung des Wassers zu erhalten. In größeren Tiefen kann dann das überschüssige und mit Salz beladene Wasser abgepumpt oder einfacher über Gräben abgeleitet werden. In größerem Umfang sind deswegen in neuerer Zeit in Ägypten, besonders im Nildelta, neben Bewässerungs- auch Entwässerungskanäle angelegt worden, um auch bei Dauerbewässerung und ganzjähriger Bodennutzung eine zunehmende Bodenversalzung zu vermeiden. Alle Salze haben große schädliche Wirkungen auf die Pflanzen. Insbesondere die empfindlichen Keimlinge werden leicht verätzt, die Pflanze wächst schlecht, und der Ertrag bei den Nutzpflanzen wird geringer. Allerdings ist die Salztoleranz unserer Kulturpflanzen außerordentlich verschieden, selbst innerhalb einer Art findet man Sorten mit hoher Salzverträglichkeit. Ferner kann man eine zunehmende geringe Bodenversalzung im Laufe der Wachstumszeit einer Pflanze tolerieren, Voraussetzung sind geringste Salzmengen zur Zeit der Keimung und anschließende Salzauswaschung nach der Ernte bzw. zu Beginn der Neubestellung der Felder. Dieses System hat in Ägypten Jahrtausende ohne Schäden für die Landwirtschaft funktioniert: Einmal im Jahr werden mit den regelmäßig wiederkehrenden Nilüberschwemmungen alle an der Bodenoberfläche angereicherten Salze ausgeschwemmt. Im Laufe der Trockenzeit erfolgte wieder eine langsame Bodenversalzung, die jedoch nicht so stark war, wie man sie heutzutage beobachten kann. Der Grundwasserspiegel sank im Laufe der Trockenheit um bis zu 8 m ab, so daß die Salznachlieferung mit aufsteigendem Wasser bald unterbunden war. Auch in Zukunft kann dieses natürliche System der Bodenentsalzung in abgewandelter Form eingesetzt werden zur Erhaltung der natürlichen Bodenfruchtbarkeit des Niltales und des Deltas. Bei ausreichender Drainage und wassersparenden Bewässerungsmethoden müssen Bewässerungssysteme nicht zwangsläufig zu stärkerer Bodenversalzung führen. Beachtet werden muß der Grundsatz "Keine Bewässerung ohne Entwässerung".
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Folgeschäden des Staudammes: Ablagerungen, Erosion und Bodenverarmung im Niltal
Nr. 56/88, pp. 3233 Schwebstoffe sicherten die Schwebe.
Diese Partikel schwebten nicht nur in den Unterlauf des Nils, sie garantierten auch ökologische Schwebezustände: Der Fluß hatte sich ein Bett gegraben, das sich nur noch geringfügig veränderte, es hatte sich ein Gleichgewicht zwischen Wasserfauna und ihrer Nahrung eingependelt, und die Nährstoffe und Spurenelemente, die der Boden im Niltal durch die Feldbestellung verlor, wurden mindestens teilweise durch Schlammablagerung ersetzt. Südlich von Assuan wurden jährlich ca. 15 t/ha abgesetzt, im Delta immerhin noch 12 t/ha. Der Rest der Fracht des Nils gelangte ins Meer und lagerte sich vor der Küste ab. Alles dies änderte sich schlagartig nach dem Bau des Dammes, und die Folgen sind einstweilen nur teilweise abzusehen. Gewiß wird es nach Schätzungen von Experten rund 1.000 Jahre dauern, bis die Sedimente im Nassersee die Funktion des Hochdammes gefährden. Doch nimmt diesseits des Staudammes das Wasser neue Fracht auf und trägt dabei das Erdreich des Flußbettes an Grund und Ufern ab. Böschungsschäden und teilweise ernste Landverluste, die Gefährdung von Ufergebäuden sowie Gefahr für die Stauwehre im weiteren Flußverlauf durch Unterhöhlung (Unterholkung in der Fachsprache) sind die Folge. Dennoch gelangen nicht mehr so viele Ablagerungen wie früher ins Mittelmeer vor das Delta. Die überwiegende Zahl der Kommentare wissenschaftliche und andere führt darauf die seit dem Schluß des Hochdammes beträchtlich angewachsene Küstenerosion zurück, andere machen geltend, daß es auch schon früher Perioden verstärkter Erosion gegeben hat. Der Wert der Schwebstoffe für die Pflanzenernährung ist ein wenig umstritten. Unstrittig ist jedoch, daß auch die ursprüngliche Menge für die bis zu drei Ernten pro Jahr, die durch die kontinuierliche Bewässerung möglich sind, nicht mehr ausreichen würde. Dies führt zwangsläufig zu verstärkter Düngung mit der Gefahr für Böden und andere Bereiche der Umwelt. Wenn man in Ägypten wartet, bis sich unter den veränderten Bedingungen ein neues Gleichgewicht, ein neuer Schwebezustand als Komponente des Stromes also eingestellt hat, könnten die Folgen verheerend sein.
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Folgeschäden des Staudammes: Erosion im Delta
Nr. 56/88, pp. 3335 Seit Jahren machen Schreckensmeldungen in der ägyptischen und der ausländischen Presse auf eine nicht vorhergesehene Auswirkung des Assuan-Staudammes aufmerksam vom Mittelmeer her nagt die Erosion an der Küste des Nildeltas, die Küstenlinie wird rückverlegt. Strände und landwirtschaftlich nutzbare Flächen werden abgetragen, an anderen Stellen sind Straßen, Docks, Leuchttürme von Überflutung bedroht. In Baltim wurden Sommerhäuser weggespült, in Ras El Bar bei Damietta Strandgebäude und bei Rosetta gingen 1.500 Hektar landwirtschaftlicher Fläche verloren. Alarmierend sind diese Meldungen nicht allein wegen der Gefahr für die Städte (Alexandria, Rashid, Damietta, Port Said), sondern auch weil wertvolles Agrarland verlorengeht in Ägypten ist dies besonders tragisch, da ohnehin nur ca. 4% des Landes landwirtschaftlich nutzbar sind. Das Nildelta hat eine Fläche von ca. 23.000 km² (im Vergleich dazu die Fläche des Niltals: ca. 13.000 km²). Dies bedeutet, daß zwei Drittel der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen Ägyptens im Delta liegen. Bevölkerungspolitisch hat das südliche Nildelta auch eine herausragende Stellung mit 1.800 Einwohnern pro km² gehört es zu den am dichtesten besiedelten Agrargebieten der Erde. Etwa 23 km nördlich von Kairo verzweigt sich der Nil in seine beiden Mündungsarme Rosetta im Westen und Damietta im Osten. Das Gefälle des Nils beträgt zwischen Kairo und dem Mittelmeer nur 12 m auf 170 km Entfernung. Vor dem Bau des Assuan-Staudammes führte der Damietta-Mündungsarm weniger Wasser und versandete schneller, während der Rosetta-Mündungsarm ein höheres Wasservolumen und somit auch mehr Sedimentfracht transportierte. Herodot (484425 v.Chr.) und Ptolemäus berichten in ihren Beschreibungen Ägyptens noch von 5 bzw. 8 Mündungsarmen, die auf breiter Front Sedimente in das Delta brachten. Durch die intensive landwirtschaftliche Nutzung des Deltas über Jahrtausende veränderte sich auch das Delta. Die Rosetta- und Damietta-Mündungsgebiete sind zwischen 1800 und 1900 um 58 km gewachsen, seit Beginn des Jahrhunderts gingen sie allerdings zurück, besonders schnell seit 1964.
Die Gründe für die rasant fortschreitende Erosion sind im Bau des Assuan-Staudammes zu suchen. Normalerweise wächst ein Delta durch die Ablagerungen des Flusses immer weiter ins Meer hinaus. Vor dem Bau der Dämme in seinem Verlauf transportierte der Nil Sedimente aus dem äthiopischen Hochgebirge, der Quelle des Blauen Nils im Tana-See, und lagerte sie im Nildelta und an der ihm vorgelagerten Küste ab. Schätzungen besagen, daß die vom Nil transportierte und im Niltal und Deltagebiet abgelagerte Sedimentmenge etwa 134 Millionen Tonnen pro Jahr betrug. Durch den Bau der Dämme wird die natürliche Ausgewogenheit zwischen Sedimenttransport im Fluß und Abtragung durch das Meer gestört. Der Tidenhub an der Mittelmeerküste beträgt 34 dm, bei auflandigen Winden 5 dm. Es sind die küstenparallelen Strömungen, in West-Ost-Richtung verlaufend, die das Delta erodieren. Das über Jahrtausende intakte Ökosystem hat eine einschneidende Veränderung erfahren. Seit dem Bau des ersten Assuan-Darnmes im Jahre 1902 steigt die Geschwindigkeit des Landfraßes:
Andere offizielle Statistiken besagen, daß zwischen 1800 und 1964 die Erosionsrate von 16 m auf 41 m pro Jahr stieg. Durch das in Flußläufe und Kanäle eindringende Meerwasser nimmt außerdem die Versalzung der landwirtschaftlichen Flächen zu. Im Delta entstammt das Grundwasser dem versickernden Nilwasser, wobei sich ein Gleichgewicht zwischen dem Salzwasser des Mittelmeeres und dem Süßwasser einstellt. Der Grundwasserspiegel hat sich durch intensive Bewässerung im Delta so geändert, daß das Gleichgewicht gestört ist und stärker salzhaltiges Wasser aufsteigt. Andere Untersuchungen haben ergeben, daß sich die Höhe des Landes verringert infolge der mangelnden Schlammzufuhr. Daraus folgt ein relativer Anstieg des Meereswasserspiegels. Inzwischen sind Projekte begonnen worden, um dem Landfraß standzuhalten. Betonwälle direkt am Meer werden verstärkt (Borollo östlich von Rosetta); grobe Sand- und Kiesschüttungen bedecken die Strände bei Baltim und Gamaliya westlich von Port Said; in Alexandria erhalten Wellenbrecher Verstärkung durch Beton. Längerfristige Projekte schließen den Bau eines 5 km langen Wellenbrechers in Rosetta und die Verstärkung des Wellenbrechers in Abou Sir ein. Nicht zu unterschätzen ist ein weiterer Eingriff in die schon gestörte Ökologie des Nils: es handelt sich um die Entnahme von Nilschlamm zur Herstellung von Ziegeln als Baumaterial für Hütten und Häuser. Die ägyptische Regierung hat diesen Raubbau an der Natur untersagt, da dadurch die schon geringe landwirtschaftliche Fläche weiter verkleinert wird. Außerdem ist dies ein weiterer Angriffspunkt für die Erosion sowohl im Niltal als auch im Delta, da von der natürlichen Vegetation befreite Flächen schneller der Abtragung durch Wind und Wasser zum Opfer fallen. Eine Vielzahl von Organisationen und Institutionen beschäftigen sich mit dem
Thema der Erosion und arbeitet Pläne zu ihrer Bekämpfung aus:
Literatur:
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Folgeschäden des Staudammes: Die Feldrattenplage
Nr. 56/88, pp. 3638 Wer im Sommer 1982 die ägyptischen Zeitungen aufschlug, fühlte sich in biblische Zeiten zurückversetzt; wahrlich, wahrlich, die Presse beklagte ein Phänomen, das an die Plagen zu Josephs Zeiten erinnerte. Es handelte sich um die Rattenplage von Ägypten; diese allerdings dicht an der Zeitenwende zum 3. Jahrtausend, nach Chr. wohlgemerkt. Die Berichte, wie glaubwürdig auch immer, versuchten einander zu übertreffen: Da wurden von Ratten Kinder an- und Säuglinge aufgefressen. Da stürzten sich blutgierige Nager zähnewetzend auf kleine, niedliche Wasserbüffel von 1020 Zentnerchen Lebendgewicht und verursachten Stampeden. Da sahen Weizen- und Reisfelder mit Rattenbefall schon vor der Ernte aus, als sei der Mähdrescher durchgefahren. Und die Tomatenfelder glichen denen aus der Zeit des großen vaterländischen Krieges von anno 1973, nach Tieffliegerangriffen, versteht sich. Flammenwerfer wurden gegen Rattenlöcher eingesetzt und überhaupt wurde der Krieg gegen die Nager ausgerufen. Allerdings Ende August 1982 mußten Fachleute zugeben, daß die ersten Runden wohl an die Ratten gegangen waren. Doch wo die Not am größten, ist die Rettung am nächsten.... Die GTZ hatte sich den Hilferufen nicht verschlossen und so marschierte im September 1982 am Horizont eines der größten Pflanzenschutzprojekte auf, um den Kampf zu unterstützen. Fähige Zoologen vorneweg, machte man sich erst einmal Gedanken über die möglichen Ursachen der Rattenplage. Ein Blick in die Geschichte zeigte, daß die Rattenplagen hin und wieder (aperiodisch) aufgetreten waren (z.B. 1792, 1901, 1902, um nur die rezenten zu nennen). Sie waren also nichts Neues, nur eben keine "Dauerbrenner" wie in den 70er und 80er Jahren. Als wichtigstes Glied in der Kausalkette dazu wurde u.a. der Hochdamm identifiziert. Zum besseren Verständnis muß man sich dafür die Lage vor dem Bau des Dammes vor Augen führen.
Überall dort, wo der Mensch Boden kultiviert, schafft er für die (bereits) vorhandenen Fauna-Gruppen z.T. ungünstige Bedingungen (dann: Kulturflüchter) und z.T. günstige (dann: Kulturfolger). Verfügen Letztere über hohe Reproduktionskapazität, kommt es unweigerlich zu Massenvermehrungen (Anm. 1), die dann im Kulturland zu Plagen werden, wenn ja, wenn nicht ein Regulativ eingreift, sprich dem übersprudelnden Leben den Hahn abdreht. Und das war mit großer Wahrscheinlichkeit die alljährlich wiederkehrende Nilflut gegen die sehr vermehrungsfreudigen Feldratten. Jedes Jahr waren sie gezwungen, ihre angestammten Wohnräume (Habitate) zu verlassen. Jeder, der schon einmal umgezogen ist, weiß, was für ein Streß das ist, jedenfalls nicht sehr gesundheitsförderlich. Auf dem Weg zu den letzten trockenen Inseln waren sie verstärkt dem Zugriff von Freßfeinden (Prädatoren) ausgesetzt. Dort angekommen es waren bestimmt schon weniger galt es, sich den knappen Platz und die noch knapperen Ressourcen mit den anderen Individuen zu teilen. Weitere Folge: Inner- und zwischenartlicher Streß und Wettbewerb kaum reproduktionsfördernd. Fast unnötig zu sagen, daß die weniger beweglichen ganz Jungen und ganz Alten "auf der Strecke geblieben waren" oder in den angestammten Gebieten schon kieloben in der Flut dümpelten. Jedes Jahr also wurde dem sicherlich angewachsenen Ratten-Besatz ein gewaltiger Schlag versetzt. Die Nilflut (die prinzipiell auch nicht durch den Assuan-Damm von 1903 und die verschiedenen Schleusen außer Kraft gesetzt wurde) war also dieses besagte Regulativ, das dafür sorgte, daß die Bäume nicht in den Himmel wuchsen. Plötzlich, so ab 1969 die Ratten konnten es wohl kaum fassen fiel dies alles weg. Mehr noch, jetzt wurden bis zu drei Ernten pro Jahr eingefahren, der Tisch war reichlich gedeckt und der jährliche Rattenkahlschlag fiel aus (Anm. 2). Das führte unweigerlich zu Massenvermehrungen. Die wurden zunächst einmal recht konventionell mit einem Akutgift (welches innerhalb 24 Std. tötet), dem Zinkphosphid, bekämpft. Das war billig und tödlich, wenn es aufgenommen wunde. Die Feldratten aber, schlaue Tierchen, bringen den Köder (i.d.R. Getreide) plus graues Pulver mit den folgenden Bauchschmerzen in Verbindung, sie werden köderscheu und rühren alles, was nach Zinkphosphid riecht, nicht mehr an. So konnte sich der Besatz auf schwindelerregende Höhen hochschaukeln, die Rattenplage als Dauerzustand war da. Da man das Regulativ (sprich Nilflut, bzw. Abbruch des Dammes) kaum wieder herbeiführen konnte, bedurfte es gewaltiger Anstrengungen und ausgefeilter Techniken, um den Besatz zu reduzieren. Hierüber soll an anderer Stelle berichtet werden. Wenn nun, wie anfangs angedeutet, die Presse ein Indikator ist, dann läßt sich seit 1985 beim Aufschlagen der ägyptischen Zeitungen doch eins bemerken: Von Mäusen und Menschen ist seit diesem Jahr kaum noch die Rede. Man ist zu anderen Themen übergegangen. Dabei erinnert sich der Verfasser wie zufällig an das, was ihm der Landwirtschaftsminister, Dr. Youssef Waly, im Jahr des Aufatmens dazu sagte: "No news are good news." Ob sich die Ratten auch in Zukunft daran halten werden? Anmerkungen:
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Folgeschäden des Staudammes: Mehr wasserinduzierte Krankheiten durch den Assuanstaudamm?
Nr. 56/88, pp. 3940 Allgemein war von Experten befürchtet worden, daß es nach dem Bau des Staudammes zu einer Zunahme wasserinduzierter Krankheiten kommen könnte: vor einem Anstieg von Malaria, Kala Azar (= Viscerale Leishmaniose), Hakenwurmkrankheit und mückenübertragenen Virusinfektionen wurde gewarnt. Doch diese Befürchtungen sind glücklicherweise nicht eingetreten. Gefunden dagegen wurde der Rattenlungenwurm, der eine oft tödlich verlaufende Hirnhautentzündung verursacht. Angesichts der ungeheuren Rattenvermehrung ist eine überproportionale Zunahme des Parasitenbestandes zu erwarten, somit eine nicht zu übersehende Bedrohung der Menschen im Niltal. Eine Verschlechterung der Situation ist außerdem bei der Bilharziose zu beobachten. Sie kommt in zwei Formen vor:
Die Aufklärung der Biologie dieser beiden Arten des Pärchenegels begann im Jahr 1915. Der Lebenszyklus läuft fast ausschließlich zwischen Mensch und Wasserschnecken ab. Wurmeier werden von erkrankten Menschen ausgeschieden und gelangen ins Süßwasser von Flüssen, Bewässerungsanlagen und Seen, wo sie sich in bestimmten Schneckenarten zu Larven entwickeln. Diese Larven dringen beim Aufenthalt im Wasser durch die normale, unverletzte menschliche Haut ein, gelangen auf dem Blutwege über das Herz und die Lunge in die kleinen Lebervenen, wo sie innerhalb von 23 Wochen heranwachsen und sich paaren. Die Würmer verlassen danach die Leber und wandern in die der Blase bzw. dem Darm benachbarten Mesenterialvenen, wo sie geschlechtsreif werden und etwa zwei Monate nach der Infektion mit der Eiablage beginnen. Die Eier durchdringen das umgebende Gewebe und werden mit dem Urin oder Stuhl ausgeschieden. Frühe Krankheitszeichen sind starke Abgeschlagenheit, Gewichtsverlust, Leibschmerzen, Bronchitis und Lungenbeschwerden. Die Schäden summieren sich erst im Laufe der Jahre und führen über Lethargie und Siechtum zu Arbeitsunfähigkeit. Die Übertragungskette kann man durch Ausschalten des Schneckenwirtes unterbrechen. Schneckenbekämpfung wird in Ägypten seit 1963 mit wechselndem Erfolg durchgeführt. Eine Infektion kann man nur durch Vermeidung des Kontaktes mit kontaminiertem Wasser verhindern. Ist man bereits infiziert oder erkrankt, so kann man den Zyklus nur durchbrechen, indem man parasiteneierhaltige Exkremente von Oberflächengewässern fernhält. Beides ist der ländlichen Bevölkerung in Ägypten nicht möglich. Alle aussichtsreichen Bilharziose-Bekämpfungsaktionen bauen daher auf gleichzeitiges Eingreifen an mehreren Stellen:
Trotz ehrgeiziger Bekämpfungsprogramme sieht die Prognose der Bilharziose-Situation in Ägypten düster aus. Bei einer rückgängigen oder zumindest stagnierenden Häufigkeit der Blasenbilharziose im Niltal und im Delta scheint dagegen die Darmbilharziose sich nicht nur zahlenmäßig, sondern auch geographisch immer mehr auszubreiten. Dies steht im Einklang mit der gegenwärtigen Arealausbreitung der Zwischenwirtschnecke Biomphalaria alexandrina nach dem Bau des Assuan-Hochdammes. Diese Schnecke bevorzugt ruhige Gewässer und scheint den Blasenbilharzisoe-Zwischenwirt (Bulinus truncatus) dort zu verdrängen. In letzter Zeit eroberte der Darmbilharziose-Zwischenwirt neue Gebiete im Fayoum wie auch in einem 45 km langen Talbereich von Assuan flußabwärts. Galten menschliche Fälle von Darmbilharziose südlich von Kairo vor dem Hochdammbau zu Recht als eingeschleppt, dürfte diese Krankheitsform sich inzwischen dort als Zyklus etabliert haben. Quellen:
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Folgeschäden des Staudammes: Fischerei & Assuandamm
Nr. 56/88, p. 41 Die ägyptische Fischerei hat in den letzten Jahrzehnten einige Rückschläge erhalten. Infolge der Kriege von 1967 und 1973 waren Teile des Roten Meeres und des Mittelmeeres einige Jahre gesperrt, worauf die Fischereiflotte verfiel und der Fischfangbetrieb merklich zurückging. Auch der Bau des Assuan-Hochdammes hatte nachteilige Folgen für die Fischerei. Nach Schließung des Dammes wurden Abfluß, Abflußschwankungen, Temperatur, der Anteil der Schwebstoffe und damit die Nahrung und der Nährstoffgehalt des Wassers verändert, so daß das Verhalten der an die vorher herrschenden Umweltbedingungen angepaßten Organismen nachhaltig gestört wurde. Die angestammten Laichzonen in den Überschwemmungsgebieten, die gleichzeitig als "Kinderstuben" der Fischbrut dienten, gingen verloren. Der Fischbestand nahm ab. Im Nilmündungsgebiet fehlten ebenfalls die Sedimente, und so blieben die Sardinenschwärme aus und die Fangergebnisse nahmen rapide ab (von 18.000 t 1959 auf 500 t 1977, ein Minus von 97%). Man benötigte nun größere Boote, um in tieferen Gewässern fischen zu können, die herkömmlichen flachen Boote für die Küstenfischerei konnten nur noch begrenzt Verwendung finden. Etwa drei Viertel der Fischfänge entstammen der Binnenfischerei im Nil, den Seiten- und Bewässerungskanälen sowie den Binnenseen und Lagunen. Im Nilbereich konzentriert sich die Fischerei bei Luxor, Sohag, Minia und Kairo. Meeresfischerei wird sowohl im Mittelmeer als auch im Roten Meer betrieben, wobei die Wetter- und Seeverhältnisse im Bereich des Roten Meeres als schwierig gelten und die Fänge im Mittelmeer, angeblich wegen Überfischung, rapide zurückgegangen sind. Die Entwicklung der letzten Jahre hat die Aufmerksamkeit auf das Fischpotential des Nasser-Sees gelenkt. Leider fehlt es an angemessenen Fang- und Weiterverarbeitungsanlagen, sowie an modernen Lagerungs- und Transportmöglichkeiten, so daß die Fänge nicht verwertet werden können. Die Fischereierträge gehen seit einigen Jahren jedoch auch im Nasser-See zurück, wohl bedingt durch Wassermangel und durch eine nicht einheitlich organisierte Fischereipolitik (siehe hierzu einen Artikel von Al-Shab vom 21.7.87). Die Fänge seit 1981 betragen, nachdem eine Aufteilung des Sees in vier Fischereizonen erfolgte:
Zwar stehen nur dürftige statistische Daten zur Verfügung, doch kann man zusammenfassend sagen, daß die entstandenen Verluste in der Fischerei durch straffe Organisation und Modernisierung der Verarbeitungs- und Transportmöglichkeiten nur zum Teil ersetzt werden konnten.
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