Aus dem Tagebuch einer Mitausgereisten (Glosse)
    Inhalt:
    1. Auf der Suche nach der perfekten Schaghäla
    2. Ramadan und Weihnachten – Feste feiern in Kairo
    3. Ich lerne Arabisch
    4. Die Führerscheinprüfung
    5. Mit Kindern in Kairo
    6. Ich gehe einkaufen
    7. Sorry – mafisch fakka
    8. Keine Angst vor dem Verkehr
    9. Reden wir mal über's Wetter
    10. Wie steht’s um die Sicherheit?
    11. Was machst du eigentlich den ganzen Tag?
    12. Kultur, in Ägypten genossen

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Folge 1: Auf der Suche nach der perfekten Schaghäla
von Bettina Knauth

Papyrus-Logo Nr. 9—10/2000, pp. 33—34

Als ich Anfang August aus Deutschland kam und unser neues Heim in Giza betrat, traf mich fast der Schlag: Überall Kisten, überall Dreck – Spuren, die Handwerker, Möbelpacker und das mit Arbeit ausgefüllte Junggesellenleben meines Mannes in den letzten zwei Monaten hinterlassen hatten.

Keine Frage, eine Haushaltshilfe musste her! Schon in Deutschland hatte ich mich darauf gefreut, in Zukunft ein wenig Unterstützung im Haushalt und damit mehr Zeit für die Kinder zu haben. Mein Mann hatte bereits seinen Fahrer beauftragt, eine Schaghäla zu suchen. Nach zwei Tagen stellte er uns stolz die erste Kandidatin vor. Ich war vorgewarnt worden, dass es nicht so leicht sein würde, eine gute Haushaltshilfe zu bekommen. Besonders schwer sei es, jemanden zu finden, der gleichzeitig putzt und die Kinder hütet. Und die – gemessen an deutschen Maßstäben – zufriedenstellend putzt. Bügeln sei überhaupt nicht drin, das sei Männersache, zumindest als Gewerbe. Und dann die Entfernung von der Stadt zu uns hier draußen... Daher war ich mehr als überrascht, wie schnell R. das Chaos in den Griff bekam. Nicht nur mit dem Haushalt, inklusive Bügeleisen, auch mit den Kindern kam sie prima klar. Na gut, sie erkaufte sich die Zuneigung der drei Racker mit Süßigkeiten, wurde jeden Morgen sehnsüchtig von ihnen erwartet ("Hast du uns auch etwas mitgebracht?"). Aber das Haus war sauber, und ich konnte mich leidlich mit ihr auf Englisch unterhalten. Nach zwei Tagen erteilte sie mir dann aber eine erste Lektion: Ich verabschiedete mich jeden Tag von ihr mit "See you tomorrow" und sie antwortete mit "Bukra, inscha'allah". Leider kam sie am folgenden Tag nicht, dafür aber am übernächsten. In den folgenden Wochen das gleiche Problem: Mindestens einmal pro Woche erschien sie nicht zum "Dienst", jedes Mal mit einer neuen Begründung.

OK, beim ersten Mal ging es ums Geld. Auch eine Einstellung, dass sie auf Rat ihrer Mutter lieber gar nicht mehr kommt und kein Geld verdient als zu wenig Geld. Sorry, aber wir kannten ja die Preise nicht, also besserten wir nach. In der nächsten Woche war es die kranke Mutter, dann die kranke Großmutter (wie groß ist ihre Familie eigentlich?), dann wurde sie auf dem Weg von Männern attackiert (kann ich das glauben?) etc. So konnte das nicht weiter gehen, schließlich muss ich auch meine Termine einhalten und unser Jüngster braucht dazu seinen Babysitter. Dann erzählte mir eine Bekannte, sie habe R. rausgeschmissen, weil ihr plötzlich Sachen gefehlt hätten. Mir fiel das Vorbereitungsseminar ein, die Geschichte von Fatma, die ihre deutsche Madame mit ihren Augen schildert. Lasse ich nicht auch manchmal Geld, Schmuck oder andere Sachen herumliegen, zeige dadurch, fälschlicherweise, wie wenig sie mir bedeuten? Ich fing an, Dinge unter neuen Aspekten zu suchen, bislang hatte ich dafür einen meiner vier "Männer" verantwortlich gemacht. Wo ist mein gelbes Seidentop? Wutentbrannt rufe ich meinen Mann im Büro an ("Stell dir vor, die R. hat..."). Der holt mich gleich auf den Boden zurück, denn er hatte es zufällig unter einem seiner Hemden entdeckt, wo es R. nach dem Bügeln aufgehängt hatte. Und wenn nun Lebensmittel fehlen? Dafür isst und trinkt sie doch nichts, ich komme mir schon wie eine Ausbeuterin vor.

Als R.s Fehltage wirklich zur Gewohnheit werden, suche ich nach Alternativen, höre mich im Bekanntenkreis um. Bei jedem Frauenfrühstück, Grillabend oder Geburtstagsfeier kommt das Thema auf. Wer ist zufrieden, welche Probleme gibt es, wer kennt eine, die frei ist? Einige Bekannte haben gute Erfahrungen mit Sudanesinnen oder Filippinas gemacht. Andere raten ab, berichten von Problemen mit Arbeitsvisa. Außerdem möchten wir niemanden, der im Haus lebt. Eine Besucherin aus Deutschland meint, die Gesprächsthemen hier in Kairo würden sich doch sehr von denen in der Heimat unterscheiden. Recht hat sie, die Probleme aber auch.

Kandidatinnen stellen sich vor, arbeiten einen oder mehrere Tage zur Probe. Doch der einen ist die Arbeit zu viel, sie legt alle zehn Minuten die Füße hoch. Die nächste arbeitet ordentlich, aber auch nur bis 14 Uhr, will aber 50 LE am Tag. Angeblich hat sie zuvor bei Amerikanern so viel verdient. Kandidatin Nummer drei ist ein studiertes Kindermädchen, das spricht auch fließend Englisch, will aber nicht putzen. Sie hat zuhause ihre eigene Putzfrau. Warum sind mir ihre lackierten Fingernägel nicht gleich ausgefallen? Ein weiterer Versuch endet damit, dass das Mädel überall großzügig Insektenvertilgungsmittel verteilt, ungeachtet des Kleinkindes im Hause.

Ich bin verzweifelt und nahe daran, den Putzlappen selber nicht mehr aus der Hand zu legen. Vielleicht ist es doch einfacher, selber zu putzen als eine "Madame" zu sein, immer wieder anzuleiten, einzuarbeiten, klare und präzise Anweisungen zu geben?

Da klingelt es eines Morgens an der Tür und zwei Mädels stehen davor. Ob ich Arbeit für sie habe, sie hätten gehört... Ich teste wieder. Leider haben S. und H. keine Berufserfahrung als Haushaltshilfe. Sie sind aber lernwillig, meine "siamesischen Zwillinge", wie ich die Schwestern scherzhaft nenne, weil sie alles gemeinsam tun. Wenn es zum Beispiel an der Tür klingelt, rennen beide hin um aufzumachen. Zur Familie gehören auch noch mehr Schwestern, die einspringen, wenn eine nicht kommen kann, zur Not kommt auch mal die Mutter. Sie putzen und passen auf den Kleinen auf, bleiben notfalls bis nachts zum Babysitten. Und das Haus ist einigermaßen in Schuss, ohne dass ich immer sagen muss, was gemacht werden soll. Ich lege aber auch schon lange keine strengen deutschen Maßstäbe mehr an. Und nach einigen Wochen können wir uns auch ohne Pantomime und ohne Fahrer als Dolmetscher verständigen. Anfangs sprachen die beiden kein Wort Englisch – und ich kein Arabisch. Selbst das Bügeln habe ich ihnen beigebracht. Vielleicht lernen sie auch noch kochen? So wie H., die Perle einer Freundin, die kann himmlisch backen und kochen. Erst nach über einem halben Jahr hat meine Freundin durch Zufall herausgefunden, dass H. eigentlich keine Ahnung vom Kochen hat, sie hat sich mit der Zeit alles nur von ihrer Madame abgeguckt.

Nach einigen deutlichen Hinweisen meinerseits scheinen in letzter Zeit auch keine Lebensmittel und Kleidungsstücke mehr zu fehlen. Vielleicht habe ich die Sachen aber auch nur verlegt, oder gebraucht. Oder vielleicht liegt es an den Inventarlisten, die ich nun führe, auch wenn ich mir dabei wie eine Archivarin vorkomme...

Ist der "Doppelpack" also die optimale Lösung? Zumindest eine, mit der ich momentan leben kann. Aber ehrlich gesagt, ich trauere immer noch R. nach. Bei ihr haben wohl auch Kleinigkeiten gefehlt aber die Bude war dermaßen auf Vordermann, das hat keine nach ihr geschafft.

Falls jemand einen guten Tipp hat, lasse er/sie ihn mich wissen. Denn ich bin mir sicher, dass diese Geschichte sich zu einem Fortsetzungsroman entwickelt. Und für die Hauptrolle suche ich immer noch die Idealbesetzung. Und ich kenne mindestens fünf Freundinnen, die ebenfalls suchen.

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Folge 2: Ramadan und Weihnachten – Feste feiern in Kairo
von Bettina Knauth

Papyrus-Logo Nr. 11—12/2000, pp. 36—37

Weihnachten nach Deutschland? Für uns kein Thema. Ein Blick auf den herbstlichen Wetterbericht aus der Heimat reichte und unser Entschluss stand fest: Wir bleiben in Kairo!

Es wird ein etwas anderes Weihnachtsfest werden, das ist klar. Was mir als erstes positiv auffällt, das ist die fehlende vorweihnachtliche Berieselung: keine Weihnachtsdekoration in der Stadt (außer in den großen Hotels), keine "Stille Nacht" im Kaufhaus, keine ständigen "Kauf mich"-Verlockungen. Und nicht wie sonst Einkäufe kurz vor Toresschluss am Heiligabend, um auch noch für die letzten der Liebsten eine Kleinigkeit parat zu haben.

Die Vorweihnachtszeit beginnt für unsere Familie mit dem Besuch des Weihnachtsbasars auf dem Gelände der DEO. Ein etwas anderer Weihnachtsmarkt: der Weihnachtsbaum ist winzig und aus Plastik, die Adventslieder wirken angesichts der Temperaturen leicht deplaziert und den Glühwein tausche ich lieber gegen ein kaltes Getränk ein. Trotzdem, die Mischung aus Adventsschmuck und orientalischen Waren ist reizvoll. Wir erstehen neuen Weihnachtsschmuck, darunter der obligatorische Adventskranz, sowie einige Plätzchen. Jetzt ist uns schon etwas vorweihnachtlich zumute.

Zuhause in Haram schmücke ich gleich das Haus. Doch irgend etwas fehlt. Hätte ich noch mehr Schmuck aus Deutschland mitnehmen sollen? Aber was zuhause gut aussah, wirkt in diesem islamisch eingerichteten Haus fehl am Platze. Vielleicht sorgt der Weihnachtsbaum für mehr Atmosphäre. Ich hatte eigentlich immer noch die Hoffnung auf einen echten, aber ein Blick auf die Preise der wenigen Exemplare, die ich überhaupt erblicke, macht diese Illusion zunichte. Also stelle ich doch Papas Plastikweihnachtsbaum auf, den ich für den Fall der Fälle aus Deutschland mitgebracht habe (wo ich ihn seit Jahren erfolglos bekämpft hatte). Er hat auch seine Vorzüge, entfallen doch die lästigen Diskussionen um vorhandene Löcher und schiefe Stämme: Wir biegen uns unseren Baum so lange zurecht bis er uns zusagt.

Die Adventszeit fliegt dahin, Heiligabend steht vor der Tür und der Besuch eines Gottesdienstes gehört dazu. Wir fahren zur Christvesper in den Klostergarten der Borromäerinnen. Zwei unserer Söhne möchten als Hirten am Krippenspiel teilnehmen. Auch hier ist die Atmosphäre eine ganz ungewohnte: Die Sonne sticht, es ist sehr warm, dazu hell, der Gottesdienst findet unter freiem Himmel statt. Die Gemeinde wandert von Station zu Station des Krippenspiels. Und während ich so mitwandere, lasse ich mich immer mehr anstecken von dieser besonderen Stimmung, höre auf Vergleiche zu ziehen. Es kommt tatsächlich so etwas wie Weihnachtsstimmung auf. Zuhause angekommen vollzieht sich das gleiche Ritual wie daheim in Deutschland: erst ein schönes Essen, dann Bescherung. Doch schade, dass von der Familie in Deutschland niemand zugegen ist...

Keine Weihnachtsdekoration auf den Straßen, keine Besucher zum Fest, wenig Geschenke: Alles in allem hat das Weihnachtsfest in Kairo für uns doch einen wesentlich geringeren Stellenwert als es in Deutschland der Fall war. Nachdem die Weihnachtstage hier normale Arbeitstage sind, geht mein Mann am ersten Feiertag sogar ins Büro. Statt um Weihnachten dreht sich zur gleichen Zeit alles um den Ramadan. Der islamische Fastenmonat fiel bereits im letzten Jahr teilweise mit der (Vor-)Weihnachtszeit zusammen, in diesem Jahr decken sich Advent und Ramadan fast völlig.

Wie in Deutschland auf Weihnachten, sind Handel und Medien hier voll auf Ramadan eingestellt. Schon vor dessen Beginn sind die Läden voll mit Dingen, die ich sonst vergeblich gesucht habe; Waren, die mir sonst sehr teuer erschienen, sind plötzlich erschwinglich. Rosinen, Datteln, Feigen, Mandeln, alle Sorten Nüsse – ich kann mich kaum satt sehen an den Säcken voller Köstlichkeiten. Auch Fleisch gibt es in rauen Mengen. Und dann erst diese Süßigkeiten! Zuckergebäck, Teigtaschen – wenn die noch zu Weihnachtsplätzchen, Stollen und Lebkuchen hinzukommen, dann sehe ich schwarz für meine Taille.

Aber halt, war da nicht die Rede vom Fasten? Wie passt das zusammen? Und wie gehen wir als Ausländer mit dem Fasten um? Sollen meine Söhne nun für 30 Tage im Kindergarten auf ihr Pausenbrot verzichten, und sei es nur, um sich mit ihren Freunden solidarisch zu erklären? Beruhigt nehme ich zur Kenntnis, dass kleine Kinder von der Pflicht zu fasten ebenso ausgenommen sind wie Schwangere, Reisende und Kranke. Es geht in Ordnung, wenn wir als Ausländer zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang in der Öffentlichkeit Nahrung zu uns nehmen. Auch andere Genüsse wie Rauchen, sexuelle Kontakte und Wohlgerüche sind uns in dieser Zeit erlaubt, jedoch sollten wir die enthaltsamen Muslime nicht durch unser Tun provozieren. Aber diese Toleranz gegenüber den Gebräuchen unseres Gastlandes sollte selbstverständlich sein.

Der Ramadan sei der "Monat der Geduld", heißt es in einer Hadit. Auch ich lerne in diesem Monat geduldig zu sein, wenn auch in einem etwas anderen Sinne, denn in der Fastenzeit gehen die Uhren anders. Höchstleistungen kann ich nicht erwarten, denn alles scheint nicht so ernst genommen zu werden. Meine Shaghäla erscheint verspätet, müde und unmotiviert zum Dienst. Arbeits-, Schul- und Kindergartentage sind verkürzt. Besorgungen, Geschäftsabschlüsse oder ähnliches verschiebt man besser auf die Zeit nach dem Ramadan. Will ich etwas erledigen, so ist der gewünschte Ansprechpartner entweder noch nicht eingetroffen oder bereits wieder aufgebrochen. Und nie habe ich mich beim Autofahren in mehr Geduld geübt als während des Ramadan. Egal ob ich mich über übermüdete, unkonzentrierte Fahrzeugführer oder das nachmittägliche Verkehrschaos geärgert habe, wenn jeder versucht, rechtzeitig zum Fastenbrechen nach Hause zu gelangen. Wenig später, während des Iftars, sind die Straßen dann menschenleer.

Mit diesem Frühstück am Abend beginnt die angenehme Seite des Ramadan. Mir gefällt, wie ausgiebig der Sieg des Willens über die Sinne gefeiert wird. Es ist eine Zeit der Freude und Geselligkeit, in der die Nacht zum Tag gemacht wird. Überall leuchten die bunten Ramadan-Laternen, ein Relikt aus der Zeit ohne Strom, das längst zum Symbol der Fastenzeit geworden ist. Seit ich die langen reich gedeckten Tische vor Lokalen und Garküchen, vor allem am Khan el Khalili, gesehen habe oder seit ich beobachten konnte, welch tagelange Arbeit die Hausfrauen in die Zubereitung von Unmengen köstlicher Iftar-Speisen investiert haben, verstehe ich, warum der Ramadan gleichzeitig als Zeit der Abstinenz und der Völlerei gilt. Fast hat es den Anschein, als würde in einem Monat Abend für Abend, Nacht für Nacht so viel verzehrt wie sonst im Rest des Jahres zusammengenommen. Die Ausgaben für Lebensmittel müssen im Ramadan astronomische Höhen erreichen. Trotz mancher Auswüchse hat das Fasten eine starke soziale Komponente, denn Bedürftige werden mit kostenlosen Speisen und Almosen bedacht. Angestellte, das gilt auch für die Hausangestellten, erhalten einen Monatslohn extra, sozusagen als Ramadan-Gratifikation.

Ich habe meinen ersten Ramadan als faszinierende Zeit erlebt, nachdem ich mich auf den etwas anderen Tagesablauf eingestellt hatte. Der konsequenten Enthaltsamkeit gilt mein Respekt. Allerdings frage ich mich, wie das Fasten bei den hohen Temperaturen im Sommer überhaupt auszuhalten sein wird. Für meinen Alltag interessant finde ich den Aspekt, dass Fasten nach islamischer Auffassung zur Geduld führen und den Willen der Gläubigen zur Überwindung der Widerwärtigkeiten des Lebens stärken soll...

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Folge 3: Ich lerne Arabisch
von Bettina Knauth

Papyrus-Logo Nr. 1—2/2001, pp. 55—56

Deutsche Sprache, schwere Sprache? Wer diese Behauptung aufgestellt hat, hat nie versucht, sich dem Arabischen zu nähern...

Ein gutes halbes Jahr bin ich jetzt in Kairo, da wird es Zeit, dass ich mich mit der Sprache hier näher auseinander setze. Die Pantomime, mit deren Hilfe ich mich hier zuhause mit meiner Sharälla verständige, ist zwar auch ein Weg der Verständigung, und zur Not hilft immer noch unser Fahrer, der auch schon mal den Übersetzer spielt. Auf Dauer aber bin ich die Zeichensprache leid. Außerdem habe ich mich immer bemüht, wenigstens ein paar Brocken der Sprache unseres Urlaubs- oder Gastlandes zu beherrschen, bekommt man dadurch doch einen ganz anderen Zugang zu Land und Leuten.

Jalla, im Freundeskreis finde ich auch gleich zwei Mitstreiterinnen, die ebenfalls diese für unsere europäischen Ohren unmögliche Sprache erlernen wollen. Die Suche nach einem Lehrer / einer Lehrerin, der oder die bereit ist, zu uns hier draußen ins Haus zu kommen, gestaltet sich etwas schwieriger, aber schließlich finden wir jemanden. OK, sie spricht zwar kein Deutsch, aber schließlich können wir ja auch Englisch, oder?

Zuerst möchte ich die Zahlen lernen, schon wegen der Preisschilder. Aber was haben sie denn hier aus "unseren" arabischen Zahlen gemacht? Unsere Null wird zur Fünf befördert, die arabische Null ist ein läppischer Punkt. Dann ist auch noch eine römische Fünf vertreten, die sich hier als Sieben ausgibt und auch noch zur Acht mutiert, wenn sie sich auf den Kopf stellt. Dafür ist unsere Sieben zur Sechs herabgestuft. Immerhin, die Eins und die Neun sehen sich noch ähnlich.

Und wie, um Himmels willen, soll ich mir diese Wörter bloß merken? Da sind zunächst die für unsere Artikulationsorgane ungewohnten – und bestimmt nicht vorgesehenen – Laute. Dabei erweist es sich auch als Nachteil, dass wir Arabisch über das Englische lernen. Ich bin verloren in diesem Wust an Aussprachen (war das "a" jetzt ein deutsches "a" oder ein englisches "a", und demzufolge ein deutsches "ä"?) Die Lautumschrift ist auch keine Hilfe. Jeder scheint seine eigene Art zu haben, die Wörter mit unseren lateinischen Buchstaben darzustellen. Oft sind die Umschriften so verballhornt, dass man sie kaum wieder erkennt, was besonders bei Ortsangaben hinderlich ist.

Dann die Wörter selbst! Ich versuche es mit Eselsbrücken. Die sind zwar nicht so kreativ wie die von Daniel Reichenbach (s. Papyrus 1—2/2000), aber praxisbezogen: Gamal, Kamel: Gamal heißt unser Wächter vorn am Parkplatz, der sieht zwar nicht aus wie ein Kamel, einen Höcker hat er auch nicht, aber ist er nicht von stattlicher Statur, groß gewachsen? Dieses Wort kann ich mir jetzt merken. Toom, Knoblauch: Da gibt es doch in Deutschland diesen Supermarkt gleichen Namens, die verkaufen auch frischen Knoblauch, schon gebongt. Alf – habe ich nicht schon tausend Mal über dieses Wesen aus dem All gelacht? Alf schukr, Alf, dieses Wort habe ich auch gelernt. Und moos, Bananen, das Lieblingsobst meiner Kinder, kann ich ohne Geld nicht kaufen – ohne Moos keine moos. Doch ich kann nicht für alle Vokabeln solche Vergleiche anstellen. Für den Rest hilft nur pauken.

Und die Vokabeln sind ja erst der Anfang. Wer hat sich bloß diese Grammatik ausgedacht? Auf den alterersten Blick wirken die Sätze leicht, oft lässt man das Verb einfach weg, wie praktisch. Das erinnert mich zwar ein bisschen an das Deutsch, das wir mit Ausländern reden, von denen wir annehmen, dass sie kein Deutsch verstehen ("Ich Tina, wer du?"), aber wenn das hier üblich ist, warum sich mit Verben das Leben schwer machen. Schon schlimm genug, dass die Araber ihre Geschlechtertrennung nicht nur im öffentlichen Leben praktizieren, sondern auch noch auf die Sprache anwenden.Min fadlik, min fadlak – bitte, bitte sagt mir, warum ist es notwendig, dass ich mir jedes Mal vergegenwärtige, ob es sich bei meinem Gesprächspartner um Männlein oder Weiblein handelt, dann das entsprechende Wort wähle, bevor ich den Mund aufmache. Und das mir, die ich doch lieber anfange zu reden und dann erst nachdenke, was ich sagen will (oder sagen sollte).

Warum bitte muss man immer alles in ein Wort packen? Kitabi, kitabak (mein Buch, dein Buch – oder bist du weiblich, dann heißt es ja kitabik). Da wird mein Ehemann zum gosi, hört sich ja recht liebkosend an, aber irgendwie sind mir die deutschen besitzanzeigenden Pronomen doch lieber (zumal mein gosi schnell zum ghost wird, denn wenn er viel zu tun hat, verschwindet er schon einmal für eine Weile). Die Verben schaffen mich vollends, dagegen sind die deutschen Konjugationen kinderleicht. Hier müssen die Verben ja gleich hinten und vorne verändert werden, um von einer Person zur anderen zu gelangen (so wird aus amel, ich mache, am Ende ein jamelu, sie machen). Und als Infinitiv dient die dritte Person, die "er"-Form. Da sieht man wieder, wer in dieser Kultur das Sagen hat!

Inzwischen habe ich zwei Hauslehrer hinter mir, mit mäßigem Erfolg, nicht zuletzt bedingt durch ständige Absagen. Ich habe den Papyrus-Sprachkurs durchgearbeitet, dabei zwar Vokabeln gelernt, aber ständig mit der Aussprache gehadert. Nun starte ich einen neuen, professionelleren Versuch und belege einen Arabischkurs an einem renommierten Institut. Wenn ich mir die Zeit nehme, die Stunden nachzuarbeiten, merke ich langsam Fortschritte, schwaja, schwaja. Jetzt kann ich bereits ein paar Worte Arabisch mit dem Verkäufer wechseln. Das Handeln macht damit umso mehr Spaß. Ich bilde mir sogar ein, die paar Brocken Arabisch ersparten mir bereits ein paar Pfunde (Geld, nicht Gewicht, leider!) Schließlich bin ich ja keine Touristin, die man so einfach über's Ohr hauen kann. Trotzdem, in meinen Ohren klingt der "Sie spricht Arabisch"-Hinweis des Verkäufers an seinen Kollegen eher warnend als anerkennend. Als wollte er sagen: "Pass' auf, was du sagst, sie versteht dich". Doch spätestens wenn er dann auf mich einredet, ist es mit meinen Sprachkenntnissen vorbei. Reden geht ja noch, aber Verstehen...

Dennoch plane ich bereits, mich der nächsten Herausforderung zu stellen: den arabischen Schriftzeichen. Die Erfahrung beim Autofahren hat mich gelehrt, dass an den entscheidenden Stellen zum Abbiegen immer nur Schilder in Arabisch stehen. Aber wenn ich dann lese, dass jeder Buchstabe drei verschiedene Schreibweisen aufweist, je nachdem er am Wortanfang, in der Mitte oder am Ende des Wortes steht, wenn ich höre, dass Vokale erst gar nicht geschrieben werden, was in meinen Augen zum fröhlichen Ratespiel einlädt, dann werde ich mein Vorhaben doch noch mal überdenken...

Alles Lamentieren hilft nichts, da will und muss ich jetzt durch. Was mögen Ägypter stöhnen, die Deutsch als Fremdsprache lernen, sie können wahrscheinlich ähnliche Geschichten erzählen. Das fängt schon mit den Artikeln an. Unter uns gesagt, ich hin froh, dass Deutsch meine Muttersprache ist. Ich hätte diese Grammatik auch nur widerwillig lernen wollen.

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Folge 4: Die Führerscheinprüfung
von Bettina Knauth

Papyrus-Logo Nr. 3—4/2001, pp. 46—47

Das kann ja nur reine Formsache sein, dachte ich, als mein Mann mir sagte, wir müssten uns um unseren ägyptischen Führerschein kümmern. Über ein Vierteljahr waren wir zu dem Zeitpunkt bereits in Ägypten. Hatte ich anfangs noch versucht, mich vor jeder Alleinfahrt zu drücken, hatte ich mich inzwischen immer mehr mit der ägyptischen Fahrweise angefreundet. Und auch den Umstand akzeptiert, dass man jede Sekunde auf eine Überraschung gefasst sein muss.

Zwei Tage später holten sein Fahrer und er mich ab. Wir fuhren Richtung King Feisal Straße, zur Führerscheinstelle. Ich nahm an, lediglich dabei stehen zu müssen, wenn unser internationaler Führerschein in einen ägyptischen verwandelt wird. Unterwegs erzählt mir mein Mann, dass es sein könnte, dass wir tatsächlich eine Prüfung machen, eventuell sogar Autofahren müssen. Prima, dass hätte er mir ja auch eher sagen können. Mit den Schuhen werde ich kaum fahren können. Na ja, wird schon nicht so schlimm werden.

Dabei hätte ich bereits vorgewarnt sein sollen. Schließlich hatte Ali, unser Fahrer, bereits zwei Tage mit den Vorbereitungen unseres heutigen Termins verbracht. Es kam sogar ein Polizeioffizier zu unserem Haus, um sich zu vergewissern, dass wir dort tatsächlich wohnen – der von uns vorgelegte Mietvertrag reichte dazu nicht aus. Wer sich über die deutsche Bürokratie aufregt, ist noch nie in die Mühlen der ägyptischen geraten...

An der Führerscheinstelle angekommen, heißt es erst einmal Schlange stehen. Wie gut, dass wir Ali dabei haben. So unverschämt würden wir uns nie vordrängeln, kämen vielleicht erst heute abend dran. Trotzdem müssen wir lange warten; ich werde immer nervöser. Was mache ich mich verrückt? Schließlich habe ich knapp die Hälfte meines bisherigen Lebens als Autofahrerin verbracht. Okay, nicht immer unfallfrei, aber in drei Vierteln der Fälle war ich nicht schuld. Und dass ich zweimal durch die Prüfung gefallen bin, konnte ich jedes Mal glaubhaft begründen.

Ich sehe viele Ägypter große Blätter mit Verkehrszeichen studieren. Das erinnert mich an die Unterrichtsstunden in der Fahrschule. Dieser Teil der Prüfung war damals für mich kein Problem. Als uns kurz darauf ein Mann in einer blütenweißen Uniform in einen Raum bittet, kann ich meine theoretischen Kenntnisse nochmals überprüfen. Er fordert mich auf, mehrere Verkehrszeichen zu erläutern. Darunter sind eine Geschwindigkeitsbegrenzung (welche arabische Zahl ist das gleich wieder?), ein Hinweisschild auf ein Krankenhaus und – kaum zu glauben – das Schild "Nicht hupen".

Einmal durchatmen, das wäre geschafft. Aber wir werden doch nicht wirklich Autofahren müssen? Wir müssen. Eine Stunde später soll es losgehen. Doch erst einmal muss der Übungsplatz (man lässt die Prüfungskandidaten nicht auf die Straße!) von dort abgestellten Fahrzeugen geräumt werden. Dabei fährt einer der Männer beim Zurücksetzen schwungvoll in einen parkenden Wagen hinein, da scheint wohl noch jemand die Prüfung noch einmal machen zu müssen...

Unterdessen treffen immer mehr Prüfungskandidaten und -kandidatinnen ein, nicht wenige fahren selbst mit dem eigenen Auto vor. Ich würde ja darüber lachen, wenn ich nicht so nervös wäre. Lächerlich, ich fahre seit fast einem halben Jahr unfallfrei durch Kairo, und das bei dem Chaos auf den Straßen. Da werde ich doch wohl noch vorwärts durch ein paar Hütchen fahren können, und rückwärts zurück. Welchen Sinn sollen diese roten Markierungen überhaupt haben? Stellen sie Fußgänger dar? Die wären doch längst geflüchtet, wenn sie mich mit dem Auto kommen sehen. Oder symbolisieren sie eine Fahrt zwischen den Schlaglöchern? Egal, da muss ich durch. Einer nach dem anderen kämpft sich durch die abgesteckte Strecke, so wie sie es tun, müssten fast alle durchgefallen sein.

Endlich sind wir an der Reihe, mein Mann fängt an. Stehen die Hütchen nicht ein wenig zu eng für das große Auto? Er berührt das eine oder andere, kommt aber insgesamt ganz gut durch den Parcours. Jetzt liegt es an mir, doch als ich am Steuer sitze, kann ich die Hütchen nicht mehr sehen. Mehr schlecht als recht manövriere ich unser Auto durch den vorgegebenen Bogen und – mit leichtem Hin- und Herkorrigieren – auch wieder zurück. Ich steige aus und bin gespannt, ob das gereicht hat. Meine Begleiter sehen mich bedenklich an. Ihre Mienen werden noch finsterer werden, denn kurz darauf erfahren wir, dass wir beide durchgefallen sind. Mein Mann kann es überhaupt nicht glauben. Ali hat man gesagt, wir hätten zu viele Hütchen umgefahren und außerdem dürfe man die Fahrlinie nicht korrigieren. Das hat uns aber niemand erklärt.

Wir können die Tatsache nicht akzeptieren, wegen einer zu eng gesteckten Fahrstrecke und fehlenden Erläuterungen nicht in den Besitz des ägyptischen Führerscheins zu gelangen. Dabei fahren wir doch bestimmt viel besser Auto als viele Ägypter. Vielleicht können wir es mit einem kleinen Taxi nochmals versuchen? Wir finden einen Taxifahrer, der bereit ist, uns sein Fahrzeug zu überlassen – und werden abgewiesen. Taxen sind nicht erlaubt. So bleibt uns nichts anderes übrig als unverrichteterdinge nach Hause zu fahren.

Im Freundeskreis sorgt die Geschichte von unserer Fahrprüfung für viel Gelächter, auch mit Spott wird nicht gespart. Hätte man das nicht anders regeln können? Oder die Prüfung woanders ablegen können? Eine Freundin bietet uns spontan ihren Kleinwagen an, mit dem wir dann tatsächlich – nach kurzem Üben – vier Wochen später wieder an gleicher Stelle vorfahren. Erneut fahren wir ohne Führerschein nach Hause. Man hat uns erst gar nicht vorgelassen, es heißt, wir könnten die Prüfung erst nach drei Monaten wiederholen. Reine Schikane? Die Tochter besagter Freundin schafft wenige Tage später die Prüfung ohne Probleme. Unsere Freundin spottet, ihre Tochter sei ja auch zehn Jahre jünger als wir – und außerdem blond. Und das war noch geschmeichelt, sie ist fast zwanzig Jahre jünger.

Ein Jahr später, nach einem mit geduldigem Warten, einer stark vereinfachten Fahrprüfung und einem mit einer überraschend modernen Foto-Session verbrachten Vormittag haben wir es tatsächlich geschafft, sind nun im Besitz des begehrten Papiers. Und haben es schon mal wieder abgeben müssen, wie neulich auf dem Weg ans Meer, als wir trotz Tempomat viel zu schnell gefahren sein sollen. Seit Inkrafttreten des neuen Verkehrsrechts sind solche Geschwindigkeitsüberschreitungen recht kostspielig geworden. Wie auch das Fahren ohne Gurt oder mit Handy. Erstaunt beobachte ich, wie über Nacht fast jeder Taxifahrer in Kairo angegurtet durch die Stadt fährt. Einige haben allerdings in letzter Minute abenteuerliche Konstruktionen zusammengebastelt. Wenn der Verkehr hier noch stärker reglementiert und die neuen Regeln ähnlich konsequent umgesetzt würden, dann wird mir nach unserem Aufenthalt die Wiedereingliederung in den deutschen Straßenverkehr doch nicht so schwer fallen. Ansonsten sehe ich schwarz für mein Punktekonto in Flensburg. Und eines darf nicht passieren: Dass es so anwächst, dass ich mich noch einmal einem Fahrprüfer stellen, noch einmal eine Führerscheinprüfung ablegen muss.

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Folge 5: Mit Kindern in Kairo
von Bettina Knauth

Papyrus-Logo Nr. 5—6/2001, p. 39

"Mama, Papa, was machen wir heute?" Gute Frage, wohin mit den lieben Kleinen, was unternehmen? In Deutschland würden wir am Wochenende auf den nächsten Spielplatz, in einen Park oder Wald, vielleicht auch in den Zoo gehen.

Wer jemals an einem schulfreien Tag in Kairo versucht hat, eine Grünfläche aufzusuchen, weiß, dass es hier nicht so einfach ist, Erholung und Ruhe außerhalb der eigenen vier Wände zu finden. Zum Beispiel Tierpark: Neulich, während der Halbjahresferien, habe ich es wieder einmal riskiert und bin mit meinen drei blonden Jungs nach Giza in den Zoo gefahren. Das reicht dann wieder, mindestens bis zum nächsten Jahr: Bereits beim Anstehen in der Kassenschlange werden wir derart in Augenschein genommen und ausgefragt, dass ich mit dem Gedanken spiele, lieber selbst Eintrittskarten zu verkaufen und uns zur Besichtigung freizugeben. Anfangs habe ich alle Fragen nach Namen und Herkunft noch bereitwillig beantwortet, aber irgendwann ist dann meine Geduld am Ende. Wir versuchen uns den Tieren zu widmen. Gedanken über eine artgerechte Tierhaltung kommen mir in den Sinn; ich verdränge sie schnell wieder. Dafür nehmen die Jungs mit Begeisterung die Möglichkeit wahr, Elefanten, Giraffen und Flusspferde zu füttern. Nur gut, dass ich genügend Kleingeld für die Wärter eingesteckt habe.

Während einer kleinen Ruhepause gebe ich eine Runde Kekse aus. Sofort sind wir wieder umringt von einer Traube Kindern und Erwachsenen: "Welcome to Egypt" und "What's your name?" höre ich von allen Seiten. Die Fragesteller sind ja irgendwie nett, aber in diesen Massen nervig. Soll ich ihnen vielleicht die Kekse hinhalten, damit sie uns füttern können?

Oder sind wir jetzt die Tiere im Streichelzoo? Wie auch immer, mir reicht es jetzt, ich beschließe nach einer Stunde, den Zoo fluchtartig zu verlassen. Auch die Kinder haben längst genug von den ständigen Fragen und reichlichen Streicheleinheiten.

Andererseits hat die Aufmerksamkeit, die Kinder hier erregen, auch seine Vorteile. Die Toleranzgrenze für laute, lebhafte und nicht immer wohlerzogene Kinder scheint in Ägypten weitaus höher zu liegen als in Deutschland. Keine hochgezogenen Augenbrauen am Nebentisch, wenn es beim Essen im Restaurant nicht leise zugeht, kein "Können Sie denn nicht aufpassen?" vom Kellner, der die Folgen eines umgestoßenen Glases beseitigt, keine Nachbarn, die sich wegen Ruhestörung beschweren, wenn eine Horde Kinder ein Bobbycar-Rennen um den Pool veranstaltet.

Interesse, Herzlichkeit und Gastfreundlichkeit statt Kinderfeindlichkeit. Überall, wo ich mit den Kindern auftauche, werde ich angesprochen, erregen wir Aufmerksamkeit im positiven Sinne. Habe ich in Deutschland das Gefühl, erklären zu müssen, warum wir eine "kinderreiche" Familie sind, meine ich hier mitunter eine leichte Bewunderung zu verspüren: Als Mutter von drei Söhnen bin ich bestimmt etliche Kamele wert oder? (Hoffentlich kommt mein Mann nicht auf dumme Gedanken!)

Unsere Kinder fühlen sich hier sehr wohl, schon weil sie fast das ganze Jahr draußen spielen können. Mit Freunden im Freien toben, Schwimmen im Pool, Mitgliedschaft in einem Sport- und Freizeitklub, Fahrten zum Spielplatz des nächstgelegenen Hotels. Ausflüge in die Wüste haben unsere Alternativen zu Wald, Spaziergängen, Radtouren. Fußballclub gefunden. Langeweile ausgeschlossen.

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Folge 6: Ich gehe einkaufen
von Bettina Knauth

Papyrus-Logo Nr. 9—10/2001, pp. 49—50

Einkaufen in Kairo ist vor allem eines: zeitraubend. Nicht nur wegen der Anreise zum Tante-Emma-Laden, Supermarkt oder Basar. Dort angekommen vollzieht sich zuerst das Begrüßungsritual: Man wünscht sich einen guten, erleuchteten, jasminigen oder rosigen Morgen oder Nachmittag, erkundigt sich nach dem werten Befinden, und wie geht es der Familie? Dann kann man, schwaja, schwaja, zur Sache kommen. Fiih (gibt es) X, ana aiez / aiza Y (ich möchte Y haben), mumkin Z (kann ich Z haben), bi käm da (wie teuer ist das)? Gerade auf die letzte Frage darf man aber keine direkte Antwort erwarten: "Für Sie umsonst", heißt es oft, "wieviel wollen Sie bezahlen?" Jetzt bloß keinen Fehler machen: Sage ich zuwenig, ist der Verkäufer beleidigt, sage ich zuviel, zahle ich drauf. Auf dem Stoffmarkt ist es mir mal passiert, dass sich ein Verkäufer brüsk abwandte und mich fortan wie Luft behandelte. Inzwischen habe ich aber mehr Übung im Handeln und Feilschen. Soll er doch einen Preis nennen. Was, so viel? Ich bin doch keine Touristin. Meine Preisvorstellung kontert er mit einem Hinweis auf die zehn Kinder, die er ernähren müsse, verweist auf seinen bevorstehenden Bankrott. Was denn mein Höchstpreis sei? Wie weit ist er denn bereit, herunter zu gehen? In zähem Ringen nähern wir uns nach und nach einander an, schließlich finden wir einen Kompromiss. Einverstanden. "Mabruk". ich bekomme meine Tüte ausgehändigt. "Schokran, ma'a salama." Habe ich gut gehandelt? Ich bin zufrieden, der Händler sicher auch.

Gewürzbasar, Stoffbasar, Zeltmacherbasar, Khan el Khalili, Kerdassa – die Basare gehören für mich zu den faszinierendsten Einkaufserlebnissen in Ägypten. Wenn ich durch die Straßen Kairos fahre, faszinieren mich auch die kunstvoll und farbenfroh aufgeschichteten Waren, wie sie in Schaufenstern und an Straßenständen präsentiert werden: Orangenpyramiden, stapelweise Waschmittelkartons, Anhänger mit Blumenkohlbergen oder Möhrenbündeln. Beim näheren Hingucken vergeht einem zwar manchmal der Appetit, doch habe ich in den zwei Jahren Kairo schon manche Abstriche in punkto Sauberkeit gemacht.

Obst und Gemüse kaufe ich am liebsten ein. Das reichhaltige Angebot und die Art seiner Präsentation verlocken mich immer wieder dazu, den Kühlschrank bis an die Kapazitätsgrenze zu füllen. Manchmal verzichte ich auf den Gang zu meinem Lieblingsgemüsehändler und kaufe lieber direkt bei den Fellachen am Straßenrand. Da muss es immer etwas mehr sein: Statt des verlangten Kilos werden mir mindestens zwei Kilo Gurken eingepackt und statt drei Kilo Kartoffeln habe ich fünf Kilo gekauft, wenn ich nicht aufpasse. Zum Schluss packen mir die Mädchen immer noch ein großzügiges "Bakschisch" ein, Paprikaschoten, ein mir fremdes Blattgemüse, Zucchini – ein untrügliches Indiz dafür, dass ich wieder mal zuviel bezahlt habe? Oder einfach die Belohnung für meinen Großeinkauf?

Einmal in der Woche fahre ich zum richtigen Großeinkauf in den Supermarkt. Auch hier will man mir Unmengen verkaufen: wie viele Kilo Fleisch, Käse und Wurst dürfen es denn sein? Immer wieder ernte ich Kopfschütteln, wenn ich nur ein halbes Kilo Fleisch oder ein Stückchen Gouda kaufen möchte. Neuankömmlinge, die den nächsten großen Alfa-, Metro- oder Sainsbury-Supermarkt aufsuchen, werden vom Warenangebot her kaum noch Unterschiede zur Heimat feststellen. Bei einigen Preisschildern verfliegt allerdings der Heißhunger auf die gewohnten Leckereien schnell. Sicher, ich vermisse noch immer die eine oder andere liebgewonnene Marke und suche nach Alternativen zu Schweinefleisch, Quark, Sauerkraut und Sauerkirschen. Doch manche Lücke im Warensortiment lässt sich gut durch angebotene orientalische Köstlichkeiten schließen. Und überteuerte Importe habe ich nach und nach durch einheimische Waren ersetzt. So bin ich auch flexibler, denn immer wieder drohen Importverbote oder steigende Importpreise, bekannte ausländische Waren verschwinden zu lassen.

Momentan geht das Angebot in Ordnung. Man muss nur schnell genug reagieren, wenn man etwas Außergewöhnliches entdeckt. Diese Hamstermentalität wollte ich mir eigentlich abgewöhnen. Das hatte ich mir geschworen, als beim Ausräumen unserer Kellerregale in Deutschland manches gehortete Sonderangebot aufgrund des überschrittenen Verfallsdatums in den Mülleimer gewandert war. Hier muss man zuschlagen, wenn es plötzlich Apfelmus, Sauerkirschen oder auch Sahne in rauen Mengen zu kaufen gibt. Ich setze mich lieber gleich ins Auto, wenn mir eine Bekannte erzählt, sie habe z.B. gerade Christbaumkerzen im Baumarkt entdeckt. Da spielt es auch keine Rolle, dass wir erst Anfang September haben. Wenn es auf Weihnachten zugeht, sind garantiert keine Kerzen mehr zu bekommen... Es gilt beim Horten solcher Waren nur an die Lagerkapazitäten zu denken: Gerade in den heißen Sommermonaten muss fast alles in den Kühlschrank, und die ersten Kerzen habe ich weggeworfen, nachdem ich sie in einem sonnenüberfluteten Raum gelagert hatte.

Nie macht Einkaufen in Kairo aber so viel Spaß wie kurz vor der Fastenzeit: Vor und während des Ramadan finden wir volle Regale mit seltenen Köstlichkeiten: Nüsse, Mandeln, Rosinen – und andere Trockenfrüchte, Pistazien, Maronen – mir läuft schon jetzt das Wasser im Mund zusammen. Und das alles wird es wieder kurz vor der Adventsbäckerei geben. Rechtzeitig bevorraten werde ich heuer auch Zucker, denn im letzten Herbst wurde er plötzlich knapp und sehr teuer. Kein Wunder, bei dem Zuckerverbrauch der Ägypter, erst recht im Fastenmonat mit seinen ausgiebigen geselligen Zusammenkünften. Bekannte, die schon über zehn Jahre hier sind, erzählen mir Geschichten, die mich stark an die Nachkriegserlebnisse meiner Mutter erinnern: Zucker etwa gab es damals nur mit einer Art Lebensmittelkarte, unter dem Ladentisch. Und dann war er stark verunreinigt. Butter dagegen war meistens ausschließlich in der Geschmacksrichtung "ranzig" zu bekommen.

Dagegen präsentiert sich das heutige Kairo als wahres Einkaufsparadies: Vom Beta-Markt an der Ecke bis zu modernsten Shopping Malls finden wir fast alles für unsere Bedürfnisse. Und dann die Ladenöffnungszeiten, himmlisch. Einkaufen fast rund um die Uhr, sieben Tage in der Woche. Schnell gewöhnt habe ich mich auch an den Service: Wenn ich am Supermarkt vorfahre, wird mir ein Parkplatz angewiesen, meine Einkäufe brauche ich nicht selbst in die Tüten packen, die Taschen werden mir zum Auto getragen und in den Kofferraum gepackt, beim Ausparken bin ich nicht auf mich allein gestellt usw. Oder ich lasse mir die Einkäufe gleich auf Bestellung ins Haus liefern. Es empfiehlt sich nur, immer genügend Kleingeld in der Tasche zu haben, denn jeder noch so kleine Service hat auch seinen Preis.

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Folge 7: Sorry – mafisch fakka
von Ursula Frank

Papyrus-Logo Nr. 11—12/2001, pp. 53—54

Es hat sich einiges getan in diesem Land seitdem wir hier sind. Kairo erscheint sauberer, an allen Ecken fegen Putzkolonnen die Straßen. Der Verkehr kommt mir seit in Kraft treten des neuen Verkehrgesetzes weniger chaotisch vor – oder ist das nur ein Gewöhnungseffekt? Sobald ich jedoch zum Einkaufen gehe, beim Schuster meine Sandalen abhole und bei den Reparaturkosten von 7,- LE mit einer 10-Pfundnote bezahlen will, dann ertönt zum wiederholten Mal: "Sorry, Madame, mafisch fakka!" Aber mein Schuster weiß sich zu helfen. Er geht in den Laden nebenan oder gegenüber und kommt nach einiger Zeit mit den fehlenden 3,- LE zurück.

Was das Wechselgeld anbelangt, scheint es in ganz Ägypten permanent zu wenig zu geben. Es gibt sie, die Einpfundnoten, die Scheine und Münzen zu 50, 25, 10 und 5 Piaster. In den Münzsammlungen der Touristenläden kann man sogar noch 1-Piaster-Münzen finden. Als ich zu Beginn unseres Aufenthaltes mit diesen 10 und 5-Piasterscheinen nach Hause kam, haben die sich meine Kinder sofort unter den Nagel gerissen. Ach, sind die niedlich! Die kann man wunderbar bei Monopoly als Spielgeld verwenden! Vielleicht schaffen die vielen Touristen das gesamte Kleingeld außer Landes und bringen es der Verwandtschaft als Souvenir mit?

Die ägyptischen Händler und Gewerbetreibenden haben für dieses Problem eine einfache Lösung gefunden – sie runden. In der Mathematik gibt es dafür eine Definition, wann aufgerundet wird und wann abgerundet. Es versteht sich von selbst, dass in einem Land mit knappen Wechselgeldressourcen nur aufgerundet wird. Das heißt, dass der Kunde (fast) immer mehr zahlen muss. Begleiche ich z.B. die Telefonrechnung, wird immer auf das ganze Pfund aufgerundet, es sei denn, ich habe den geforderten Piasterbetrag passend bei der Hand. Aufpassen muss man zu Stoßzeiten am Kartenschalter an der U-Bahn. Wenn sich lange Warteschlangen bilden, dann soll es schnell gehen und dann wird gnadenlos "gerundet". Nicht vergessen: selbst bei Eile das Wechselgeld nachzählen! Taxifahrer haben sowieso grundsätzlich kein Kleingeld. Man sollte vor dem Start immer den passenden Betrag im Portemonnaie haben. Kürzlich kam die Gasrechnung, Kostenpunkt 8,- LE. Ich gab dem Kassierer eine 10-Pfundnote. Daraufhin schickte der sich zum Gehen an. Als ich hörbar empört einschnaufte, erwiderte er nur mafisch bakschisch?

Wer erdreistet sich in diesem Land zu bestimmen, ob und wie viel Bakschisch ich geben möchte? Den Gipfel dieser "Rundungspyramide" scheinen die Angestellten an einigen Tankstellen zu bilden. In den meisten Fällen funktioniert an der Zapfsäule nur die Angabe für die entnommene Menge an Litern, die Angabe für den entsprechenden Geldbetrag steht auf Null. Den zu zahlenden Betrag sollte man sich auf jeden Fall ausrechnen. Zum wiederholten Mal passierte es meinem Mann und mir, dass man sich um 5 LE nach oben "verrechnete". Die Entschuldigung ist immer die gleiche: sorry, ein Versehen, es wird nie mehr vorkommen, der arme Mann hat 5 Kinder zu versorgen. Gibt ihm das das Recht seine Kunden zu betrügen?

Der kleine Supermarkt um die Ecke löst dieses Problem auf eine andere Weise. In den Fächern der Kasse, die eigentlich für die Münzen vorgesehen sind, befinden sich kleine Päckchen mit Kaugummis und Bonbons, jedes 10 bzw. 5 Piaster "wert". Wechselgeldbeträge unter 25 Piaster werden damit beglichen. Dieses "Kleingeld" sammle ich inzwischen in meinem Geldbeutel. An entsprechender Stelle kann ich mich dann revanchieren, was den Kassierer jedes Mal zu einem Grinsen veranlasst. Er kennt mich inzwischen schon. Einfacher hat es hingegen der Gemüsehändler. Mit einer Hand voll Lamun lässt sich jedes Wechselgeldproblem lösen.

Das amüsanteste in dieser Hinsicht passierte mir gleich zu Beginn unserer Kairozeit: Mein Gemüsehändler hatte keine 50-Piasternote. Kurzentschlossen griff er zu einer schönen großen Importbanane und gab diese als Wechselgeld. Er vergaß natürlich nicht mich darauf hinzuweisen, dass ich damit ein gutes Geschäft machen würde. Normalerweise verkauft er diese Superbanane für 1 Pfund an seine Kunden. Nur in dieser ausweglosen Situation, in der es ihm an Wechselgeld mangelt, bekomme ich diese Banane zu einem Schnäppchenpreis von 50 Piaster! Muss ich noch erwähnen, dass ich seitdem Stammkunde bei diesem Gemüsehändler bin?

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Folge 8: Keine Angst vor dem Verkehr
von Bettina Knauth

Papyrus-Logo Nr. 1—2/2002, pp. 61—62

Was hatte ich nicht alles gehört über Kairo, damals in Deutschland, bevor ich zum ersten Mal nach Ägypten kam: Chaotisch sei die Stadt, ein Moloch, laut, dreckig. Am schlimmsten aber sei der Verkehr.

Von letzterem bekam ich kurz nach der Landung einen ersten Eindruck; Todesängste habe ich ausgestanden auf der Fahrt vom Flughafen zum Hotel. Mein Entschluss stand fest: Hier kriegt mich keiner hinters Steuer! Das Auto, das sie mir drei Monate später vor die Haustür stellten, konnte mich nicht locken: Ein alter Peugeot, sieben Sitze, mehr Schiff als Auto, ein alter Lappen statt Tankstutzen, die Türen ließen sich schlecht öffnen und schließen. Mein mir Angetrauter ermutigt mich, nach einigen Wochen Vorsprung an Fahrpraxis durch den Kairoer Verkehrsdschungel, doch wenigstens einmal bis zum nächsten Supermarkt zu fahren. Doch wenn er abends nach Hause kommt, begrüße ich ihn mit den Worten: "Du, wir müssen noch einkaufen" – und meine: "Klemm dich bitte noch mal hinters Steuer und besorge das, was ich aufgeschrieben habe". Wenn ich in die Stadt muss, etwa zur deutschen Schule, nimmt mich eine Freundin mit. Sie wechselt ständig die Richtung, fährt eine Straße lang, um plötzlich zu drehen, zurückzufahren und dann in eine andere Straße abzubiegen. Bald darauf wiederholt sich das Spiel. Wie soll ich mich hier jemals allein zurecht finden?

Drei Wochen spielen alle das Spiel mit, kaufen für mich ein, chauffieren mich durch die Gegend, bis ich meine Abneigung gegen das Ungetüm auf dem Parkplatz überwinde und mich auf meine erste Einkaufstour begebe. Schön langsam und vorsichtig gleite ich mit meinem Schiff dahin. Schnell stelle ich dabei fest: Wer zu rücksichtsvoll und defensiv fährt, kommt nicht zum Zug. Und viel zu spät ans Ziel. Also, keine Angst, wer wagt gewinnt. Meine Feuertaufe bestand ich, als ich elf Stunden nonstop vom Sinai zurück fahren musste, und als Krönung zum Abschluss zum ersten Mal allein durch die Stadt.

Heute fahre ich gern durch Kairos Straßen. Vorsichtshalber bewege ich mich auf bekannten Pfaden, bloß keine Experimente in unbekannte Regionen. So schlimm wie es aussieht, ist das Chaos gar nicht. Es macht mir regelrecht Spaß, mich durch den Verkehr zu schlängeln. Als Fahrerin bewege ich mich dabei in der gleichen Art fort, wie ich sie als Beifahrerin hasse: immer mit dem Blick für die nächste Lücke, ständig die Fahrspur wechselnd, jede Sekunde bereit zur nächsten Vollbremsung.

Schnell habe ich die Grundregeln begriffen. Regel Nummer Eins lautet: Seien Sie in jeder Sekunde auf alles gefasst! Ein Radfahrer, der Ihnen in der nächsten Kurve auf Ihrer Fahrspur entgegen kommt, ein Tablett mit Brot auf dem Kopf balancierend. Ein offener Kanaldeckel oder ein havariertes Fahrzeug – Hindernisse, die nur wenn Sie Glück haben durch Steine o.ä. gekennzeichnet sind. Dicke Steine, die liegen geblieben sind, wenn diese Verkehrshindernisse längst beseitigt wurden. Neue Schlaglöcher oder durch Fahrbahnabsenkungen entstandene Sprungschanzen, die selbst einem Geländewagen zu schaffen machen. Lastwagen, deren Ladung einem Steinschlag gleichkommt. Oder Minibusse, die den Hausrat ihrer Passagiere auf dem Dach derart aufgetürmt haben, dass sie jeden Moment umzukippen drohen. Fußgänger, die seelenruhig auf Hauptverkehrsstraßen spazieren gehen oder Kinder, die auf Zu- bzw. Auffahrten zu denselben Fußball spielen. Todesmutige Straßenkehrer. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Auch an den Anblick von Eselskarren, Pferdewagen oder Kameltransporten mitten in der Großstadt muss ich mich noch immer gewöhnen.

Regel Nummer Zwei: Vergessen Sie nahezu alles, was Sie in der Fahrschule an Verkehrsregeln gelernt haben! Vorfahrtsregelungen, Blinker setzen, nach Spiegel fahren, auf Fußgänger Rücksicht nehmen, mit Licht fahren, etc. sind reine Theorie. Auch TÜV-gerechte Fahrzeuge werden Sie vergeblich suchen. Dem defekten Bremslicht meines Vordermanns verdanke ich manche Vollbremsung. Oder die Bremsen sind gleich ganz defekt: Einem Freund fuhr ein städtischer Bus in sein Fahrzeug, der Busfahrer entschuldigte sich damit, dass seine Bremsen nicht funktionieren würden.

In Kairo gelten eigene Regeln. Eine weitere wichtige lautet: Wer die (Auto-)Nase vorn hat, hat Vorfahrt (eine Annahme, die mir regelmäßig im Deutschlandurlaub Ärger einbringt). Je größer das Auto, desto mehr kann man seine Rechte durchsetzen. Je weniger man auf seinen Lack achtet, desto besser. Blicke in die Rück- und Außenspiegel verwirren nur unnötig. Statt Blinker geben Handzeichen die Richtung vor, oder entsprechende Hinweise fehlen ganz.

Eine umgeschriebene Regel scheint zu sein, dass derjenige, der ganz rechts fährt, links abbiegen will, und umgekehrt. Der Kreisverkehr – ein einziges Abenteuer. Andere Autofahrer legen sich nicht gerne fest und fahren in der Mitte zwischen zwei Fahrspuren. Oder wollen sie nur den Rasern den Weg versperren, die gern in der Mitte hindurch sausen oder auf der Außenbahn überholen? "Platzangst" darf man sowieso nicht haben, denn im sehr wahrscheinlichen Falle eines Staus werden aus zwei Fahrspuren leicht drei oder vier. Einzig Abstand gilt es auch in Kairo zu halten, falls sich niemand dazwischen drängelt, schon wegen der defekten Bremslichter. Was seltsamerweise nie kaputt geht, das ist die Hupe, die allgegenwärtig ist im Kairoer Verkehrslärm.

Als Fußgänger hat man es nicht leicht in diesem Dschungel, manch einer riskiert sein Leben, wenn er versucht eine Hauptverkehrsstraße zu überqueren. Wer hingegen als Autofahrer für Fußgänger bremst, riskiert einen Auffahrunfall. Und irritiert den Fußgänger, der sichtlich nicht mit einem rücksichtsvollen Autofahrer gerechnet hat. Es gibt aber auch solche Fußgänger, die sich wie Schlafwandler auf der Straße bewegen, vielleicht im Vertrauen darauf, dass ihr Schicksal vorbestimmt ist? Wieder andere spurten zum Bus, springen in letzter Sekunde auf ihn auf oder von ihm ab. Schon wegen der ständig und abrupt haltenden Busse und Minibusse empfiehlt es sich, die rechte Fahrspur weitgehend zu meiden.

Besondere Vorsicht gilt bei Fahrten im Dunkeln. Mit Licht zu fahren gilt als unhöflich, man will den entgegenkommenden Verkehrsteilnehmer ja nicht blenden, höchstens Standlicht wird geduldet. Defekte Bremslichter fallen bei fehlendem Tageslicht noch weniger auf, ebenso Kanal- und Schlaglöcher sowie Fahrzeuge mit Reifen- oder ähnlichen Schäden.

Wer glücklich und heil sein Ziel erreicht hat, scheitert oft an der Suche nach einem geeigneten Parkplatz. Ich habe inzwischen keine Scheu mehr davor, in zweiter Reihe oder vor Ausfahrten zu parken. Gang raus, damit der Wagen im Bedarfsfall hin- und hergeschoben werden kann. Das ist mir immer noch lieber als meinen Schlüssel irgendeinem Bauwäb in die Hand zu drücken. Oder unverrichteterdinge wieder nach Hause zu fahren. Übrigens: Sollte Ihr Fahrzeug Ihnen einmal den Dienst versagen und einfach stehen bleiben, so lohnt es sich, die Qualität des getankten Benzins in Betracht zu ziehen. Bei Freunden war ein Benzin-Wasser-Gemisch die Ursache des Defekts.

Immerhin kann man beobachten, dass seit Einführung des neuen Verkehrsrechts manche Regel eher beachtet wird: Nicht jede rote Ampel dient mehr der reinen Zierde, fast alle Autofahrer sind angeschnallt, Telefonieren am Steuer wird hart bestraft, etc. Geschwindigkeitskontrollen haben zugenommen, die unkontrollierbaren Ergebnisse müssen nicht immer gerecht sein. Berüchtigt ist die Strecke nach Ain Sukhna, wo vielen Bekannten trotz Fahrens mit Tempomat wegen angeblich überhöhter Geschwindigkeiten der Führerschein entzogen wurde. Unfälle gibt es trotzdem zuhauf, vor allem auf den Ausfallstraßen kommt es immer wieder zu folgenschweren Zusammenstößen.

Natürlich kann ich nicht davon ausgehen, dass ich von Zwischenfällen verschont bleibe. Trotzdem macht mir das Autofahren Spaß, so anstrengend es auch ist. Inzwischen plane ich schon für die Zeit nach Kairo. Warum soll ich nicht den Schritt zurück in den Beruf wagen? Und wenn ich mich bewerbe, dann mit den Tugenden, die mich das Autofahren hier gelehrt haben: Geduld ohne Ende, äußerste Konzentrationsfähigkeit und absolute Flexibilität, die es mir ermöglicht, mich jede Sekunde auf eine neue Situation einzustellen und entsprechend zu reagieren.

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Folge 9: Reden wir mal über's Wetter
von Bettina Knauth

Papyrus-Logo Nr. 3—4/2002, p. 64

Gespräche übers Wetter erübrigten sich in Kairo, das hatte man uns schon vor der Ausreise beim Vorbereitungsseminar beigebracht. In Ägypten müsste man Alternativen zu diesem typischen Smalltalk-Thema finden, sei das Wetter hier doch immer gut. So ganz stimmt das aber nicht. "Ist das eine Hitze!", "Macht dich das Wetter auch so müde?" oder "Heute ist es ganz schön windig!" sind durchaus als Auftakt zu einem Gespräch geeignet.

Spätestens ab Mai wird allerorten über die Hitze gestöhnt. Doch an die hohen Temperaturen gewöhnt man sich schnell. Neu-Kairener erkennt man daran, dass sie im November noch immer mit kurzen Hosen herumlaufen, während die "Alteingesessenen" längst herbstlich gekleidet sind.

Reichlich Gesprächsstoff bietet der Winter, erst recht wenn es regnet. Land unter in Kairo, nichts geht mehr. Da das Wasser nicht weiß wohin in all dem Asphalt und Beton, bleibt es eben auf der Straße stehen. Die Autos stehen auch, wenn sie Glück haben nur im Stau. Andere haben Pech, bleiben liegen, weil ihr Motor den ständig steigenden Wassermassen nicht standgehalten hat. Andere Fahrer schalten die Warnblinkanlagen an, um ihre Blechkarossen im Zeitlupentempo durchs Wasser zu fahren. Manche LKWs und Jeeps sind da weniger rücksichtsvoll: Wasserkanone um Wasserkanone, eine schlammiger als die andere, schwappt auf die Windschutzscheibe und nimmt dem Fahrer jede Sicht. Die Fahrtzeiten in die City, eh schon lang genug, verdoppeln sich nun. Statt pünktlich zum Gottesdienst komme ich gerade noch rechtzeitig zum Segen, immerhin.

Der Wassersegen von oben zeigt auch so manche Behausung von einer anderen Seite. So erwies sich der Wintergarten in unserem ersten Haus als nicht regenfest; gleich an sechs Stellen regnete es hinein. Nasse Wände und Decken, wieder angefeuchtete Wäsche auf der Leine, durchweichte Gartenmöbel, abfärbende Dachziegel, die auf unseren Balkonen rote Spuren hinterlassen: In diesem Land ist man einfach nicht auf Regen eingestellt. Und nicht auf Kälte, denn in den Häusern ist es von Dezember bis Februar bitterkalt, viel kälter als draußen.

Oft dauert es Stunden, bis die Pumpwagen eintreffen, um die schlammigen Wassermengen aufzusaugen. Tröstlich ist nur die Aussicht auf baldige Wetterbesserung. Regenperioden deutschen Ausmaßes gibt es kaum, oft ist der Himmel bereits am nächsten Tag wieder blau. Und wie strahlt Kairo nach einem reinigenden Regen; selten war es so schön wie heute. Saubergewaschene Fassaden, Palmen, die tatsächlich grün sind, klare Luft. Mein verdrecktes Auto lässt erahnen, was da alles heruntergekommen ist...

Jetzt steht die Zeit der Sandstürme bevor. Was sich da mitunter am gelb-bräunlichen Himmel zusammenbraut, wirkt geradezu apokalyptisch. Sand total, auch im Haus. Zwei Jahre in Folge hat uns der Chamsin während der Bairam-Ferien je ein Gartenzelt zerlegt, jetzt haben wir es abgeschafft.

Das Wetter in Kairo hält sich selten an die üblichen Jahreszeiten. Regenmassen, Kälte, Sandstürme, Hitze, Smog und Kreislaufbeschwerden bieten reichlich Gesprächsstoff. Doch überwiegend verwöhnt uns das schöne Wetter viel zu sehr, weshalb mir mitunter schon ein verhangener Himmel die Stimmung verhagelt. Doch wenn mir hier widrige Umstände, wetterbedingt oder anderer Art auf die Nerven gehen – dann schaue ich mir einfach die Wetterprognose für Deutschland an. Die bessert meine Stimmung fast immer.

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Folge 10: Wie steht’s um die Sicherheit?
von Jutta Zeppelzauer

Papyrus-Logo Nr. 5—6/2002, p. 50

Wann immer wir zuhause in Österreich erzählen, dass wir zur Zeit in Ägypten leben, wird ganz selbstverständlich die Frage gestellt: "Ist es da auch sicher?" Ohne lange nachzudenken, lautet meine Antwort: "Ja, natürlich ist es sicher!"

Mit dieser Antwort allein kann ich die Daheimgebliebenen nicht überzeugen, da muss ich schon mehr ins Detail gehen: Unsere Freunde und Helfer, die Polizisten, sieht man an jeder Straßenecke; selten alleine, meistens zu zweit oder in Gruppen, je nachdem wie wichtig das zu bewachende Objekt ist. Die Bekleidung ist denkbar verschieden, die mit den dicken Wollpullovern und der dunklen Sonnenbrille finde ich besonders interessant. Auch die Transportmittel variieren: Manche haben ein Kamel oder ein Pferd, die meisten einen Pickup, normale Autos oder Motorräder. Ich hatte bisher das Glück, auf sehr freundliche Polizisten zu treffen, die hilfsbereit und zuvorkommend waren. Auch wenn sie mich in ihrem Eifer schon mal in die falsche Richtung schickten.

Fast hätte ich die Polizei-Checkpoints im Land vergessen. Sobald man Kairo verlässt, schießen die Polizeisperren wie Schwammerln aus dem Boden. Ohne diese Fahrtunterbrechungen würde mir etwas fehlen. Abenteuerlich ist teilweise die Art der Absperrungen, von bemalten Benzinfässern bis hin zu Panzersperren. Von einem bis zu zehn Polizisten (auch die mit dunkler Brille) werden die unterschiedlichsten Papiere kontrolliert. Führerschein, Autopapiere, Pässe – immer wird etwas anderes verlangt. Nach welchem System dabei vorgegangen wird, haben wir auch nach mehreren tausend Kilometern quer durch Ägypten noch nicht durchschaut. Brav sagen wir unser Sprüchlein auf. "Wir sind vier Österreicher, kommen aus Kairo, wollen nach X und zwar soundsolange." Ist die Autonummer notiert, dürfen wir weiter fahren. Meistens, denn mitunter bekommen wir Begleitschutz: Mehrere gut bewaffnete Polizisten im Jeep folgen unserer Fahrt oder bahnen uns den Weg. Als uns plötzlich ein Radpanzer "verfolgt", traue ich meinen Augen kaum! Wir fühlen uns wie Prominente, aber geben wir so nicht ein gutes Ziel ab? Selbst zum Tee hat man uns an einem der Kontrollpunkte schon eingeladen. Bei der letzten Kontrolle in der Nacht überraschte uns eine neue "Vorschrift": Wir sollten die Scheinwerfer abschalten, die Warnblinkanlage betätigen und durften dann weiterfahren.

Besonders gut behütet fühle ich mich durch die Anwesenheit der zahlreichen Personen um mich herum: Die Hilfe in der Wohnung, die alle unsere Angewohnheiten und Gäste kennt. Unser Fahrer, der die täglichen Strecken und Ziele weiß und immer auf dem laufenden bleibt. Der Security-Beauftragte vor der Haustüre, der mir immer beim Tragen hilft und der sieht, wer wen wann besucht. Das "warum" wird dann nicht mehr so schwer herauszufinden sein. Die Bauwabs, die immer "zufällig" auftauchen und die sowieso alles genau wissen.

Verkettet man nun alle Mitwisser unseres normalen, täglichen Lebens, kann ich mit ziemlicher Sicherheit behaupten: "In Ägypten können wir kaum verloren gehen!"

Die Familie und die Freunde, die Gelegenheit hatten, sich selbst ein Bild zu machen, sind überrascht und begeistert. Egal, ob ich als Frau alleine oder mit den Kindern in welchem Stadtteil auch immer unterwegs war, ich habe mich noch nie bedroht gefühlt. Obgleich dieser Umstand am Beginn befremdend, störend für mich war: So sicher und gut bewacht wie in Ägypten habe ich mich noch nirgends gefühlt!

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Folge 11: Was machst du eigentlich den ganzen Tag?
von Bettina Knauth

Papyrus-Logo Nr. 9—10/2002, pp. 43—44

Mitausgereiste – ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich diesen Fachterminus zum ersten Mal gehört habe. Es war beim Vorbereitungsseminar, zu dem uns die Firma geschickt hatte. Mitausgereiste – von dem Wort fühlte ich mich überhaupt nicht angesprochen. Mitausgereist – das klang so passiv, hörte sich nach Anhängsel an. Wie ein Möbelstück, das man in den Container stellt. Oder ein Kleidungsstück, das man in den Koffer packt. Aber immerhin durfte ich mich glücklich schätzen, weil ich mit auf Reisen bzw. ausreisen durfte. Und außer mir hatte mein Mann auch noch unsere drei Kinder im Gepäck.

Drei Jahre sind seitdem vergangen, sind es wirklich schon so viele? Zeit, einmal Bilanz zu ziehen über mein Leben als Mitausgereiste. Und Gelegenheit, mit der gängigen Vorstellung der Ausgereisten aufzuräumen, dass wir hier ein Leben wie im Paradiese führen.

Was machen wir Mitausgereiste eigentlich den ganzen Tag? Im Haushalt haben wir nicht viel zu tun, dafür leisten wir uns ja schließlich eine Hausangestellte, die Shaghäla. Vielleicht kommen noch ein Bügler, Fensterputzer, Babysitter, Fahrer, Bauwäb, Gärtner etc. hinzu. Aber mal ehrlich, wer ist schon rundum zufrieden mit dem Personal? Wenn es eine nahezu perfekte Shaghäla gibt, dann haben wir sie doch erst dazu gemacht. Wir haben ihr gezeigt, dass man durchaus auch in den Ecken und unter den Möbeln sauber machen kann. Dass ein Bad auch sauber wird, wenn man es nicht vorher flutet. Wie man Geschirr spült, ohne gleich die halbe Flasche Spülmittel zu verbrauchen. Besonders dieser sparsame Umgang mit Ressourcen aller Art, den musste ich den Mädels erst beibringen. Denn da ich nicht auf Anhieb die richtige Hilfe fand und mehrmals enttäuscht wurde, habe ich schon Übung im Einarbeiten, habe einige Shaghälas kommen und gehen sehen. Auch der Fensterputzer musste lernen, dass Fenster sich durchaus säubern lassen, ohne dass man dafür Wälder abholzen muss, ganz ohne Papier. Und dem Bügler erspart das moderne Dampfbügeleisen das Spucken auf die Wäsche. Der Bauwäb oder der Fahrer schließlich brauchen regelmäßig neue Anreize, damit das Auto tatsächlich gewaschen wird. Um nur einige Beispiele zu nennen.

Viel Zeit geht für die täglichen Instruktionen drauf. Was soll wann wie erledigt werden. Nicht nur einmal habe ich die Arbeit lieber gleich selbst getan – und das Erklären aufgegeben. Nicht wenige, die wieder selber putzen und spülen. Und sich dann nur über sich selber ärgern müssen, wenn wieder etwas zu Bruch geht. Dabei ist eine Haushaltshilfe in Kairo schon deshalb anzuraten, weil es hier einfach viel dreckiger ist als zuhause. Was am Morgen sauber geputzt aussah, ist am Nachmittag bereits wieder von einer ordentlichen Staubschicht überzogen. Richtig sauber ist das ganze Haus eigentlich nie.

Und dann diese Reparaturen. Ständig scheint etwas kaputt zu gehen. Von den Problemen mit der Wasser- und Stromversorgung will ich ja gar nicht reden. Durch die Toilette rauschen schon wieder die Wasserfluten, obwohl der Klempner sie schon dreimal repariert hat. Dafür hat er die Ursache des Wasserschadens im Wohnzimmer noch nicht gefunden. Aber ich bin schon froh, dass der Handwerker überhaupt kommt, wenn auch selten zur verabredeten Zeit. Den Fernsehtechniker haben wir einmal hinausgeworfen: Als er um ein Uhr nachts noch immer die Sender scannte, wollten wir dann doch langsam schlafen gehen...

Unsere Haustiere sollen auch nicht unerwähnt bleiben, beanspruchen sie doch auch einiges von meiner Zeit. Nein, ich meine nicht die üblichen, wie Hunde, Katzen oder Vögel. Alle Arten von Ameisen haben unser Haus unterwandert und durchlöchert, von den ganz kleinen, fast unsichtbaren bis hin zu den Mega-Ameisen, die neuerdings sogar Flügel haben und sich bevorzugt in der Küche aufhalten. Dort können sie dann wenigstens den Kakerlaken Gesellschaft leisten. Nur die Mücken halten sich in letzter Zeit merklich zurück. Nahezu ungestört können wir abends fernsehen, ohne wie sonst mit dem "Mückengrill" auf die Jagd zu gehen. Momentan ist es den kleinen Plagegeistern wohl zu heiß. Oder sollte der Mückensprayer, der jeden Abend unseren Compound vernebelt, doch etwas bewirkt haben? Unsere Kinder jedenfalls hat das Leben in Ägypten bereits stark geprägt. Wo in Deutschland würden sich Vier-, Sechs- und Siebenjährige wohl mit "Du alte Kakerlake!" beschimpfen oder sich einen Sport daraus machen, Ameisen zu zertrampeln?

Eine meiner Lieblingsbeschäftigungen ist das Einkaufen, das immer wieder ein zeitraubendes Erlebnis ist. Schon die Fahrt zum Supermarkt schafft mich. Bis ich erst einen Parkplatz und dann die gewünschten Waren im Regal gefunden habe (wieso nur räumen sie alles ständig um?), bin ich reif für die nächste Dusche. Erst nach gut anderthalb Stunden treffe ich mit einem Auto voller Tüten wieder zuhause ein, in denen wenigstens ein Teil dessen steckt, was ich tatsächlich einkaufen wollte.

Nun will ich aber nicht klagen. Die Annehmlichkeiten eines Hausfrauen- und Mutterdaseins inklusive Haushaltshilfe, Home Delivery Service, Bügler und Babysitter sollen nicht verschwiegen werden. Die meisten Vormittage habe ich zur freien Verfügung, die Kinder sind im Kindergarten oder in der Schule. Zeit für mich, Zeit zum Sport, zum Shoppen, zum Artikel schreiben oder Arabisch lernen. Es gibt auch diese Phasen, in denen eine Einladung die andere jagt, ein Frühstück in geselliger Runde das andere ablöst. Ansonsten trifft man sich beim Sport, im Club oder anderswo. Die meisten Bekannten spielen entweder Tennis oder Golf oder gehen Reiten. Wer mehr machen möchte, findet genügend Gelegenheiten zu einem sozialen Engagement.

Der Nachmittag gehört den Kindern. Hausaufgabenbetreuung, Spielen, für ein paar Runden Schwimmen im Pool bleibt immer Zeit. Denn fast jeden Tag lacht die Sonne, was ein großer Vorteil gegenüber der Heimat und Balsam für die Seele ist. Und das Wetter vereinfacht die Freizeitgestaltung mit den lieben Kleinen sehr.

Im Allgemeinen lässt es sich gut leben als Mitausgereiste in Kairo. Die Annehmlichkeiten überwiegen manch widrigen Umstand. Warum soll ich nicht das beste daraus machen? Mitunter mag ein wenig Neid mitschwingen, wenn mein mir Angetrauter meinen morgendlichen Golfdress mit den Worten kommentiert: "Gehst du schon wieder Golf spielen?" Soll heißen: Hast du nichts anderes zu tun als dich auf dem Golfplatz zu vergnügen, während ich so hart unsere Brötchen verdienen muss? Dabei ist das Golfen beileibe nicht immer das reinste Vergnügen. Aber davon will ich beim nächsten Mal ausführlich berichten.

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Folge 12: Kultur, in Ägypten genossen
von Bettina Knauth

Papyrus-Logo Nr. 11—12/2002, pp. 55—56

Man solle sich die Verdi-Oper dort ansehen, wo sie hingehört. Mit diesen Worten warben Plakate im Stadtgebiet für den Besuch des Opernereignisses des Jahres, Aida an den Pyramiden.

Viele potentielle Besucher waren skeptisch, wir auch. Zwei Jahre in Folge war Aida abgesagt worden, sollte es wirklich wieder einmal statt finden? Wir zögerten mit dem Kartenkauf, hielten wir doch im letzten Jahr bereits die Karten in der Hand – genützt hatten sie uns nichts. Und warum müssen wir eigentlich für unseren Gast aus Deutschland den gleichen Preis bezahlen, nur in Dollar statt in Pfund? Ganz schön happig. Angesichts der Einmaligkeit des Ereignisses entschlossen wir uns doch, noch am letzten Abend hinzugehen. Nachdem wir zuvor die unterschiedlichsten Erfahrungsberichte von Freunden und Nachbarn über die vorhergehenden Aufführungen eingeholt hatten, wollten wir uns eine eigene Meinung bilden.

Besser frühzeitig aufbrechen, so sagten wir uns. Der Besuch anderer kultureller Großereignisse hatte uns diese Erfahrung gelehrt. Ich erinnere mich noch gut an das Konzert von Sting am Fuße der Sphinx, das als abschreckendes Paradebeispiel in Sachen reibungsloser ägyptischer Organisation herhalten konnte. Und hatten wir nicht bereits vor drei Jahren vor Beginn von Aida mehr als eine Stunde gebraucht, bis wir den Parkplatz oberhalb der Pyramiden erreicht hatten?

Um so größer ist unsere Überraschung, als wir zügig die zahlreichen Absperrungen passieren können. Mehrmalige Blicke auf unsere Tickets, kurz wird ein Spiegel unters Auto gehalten, Hunde schnüffeln einmal um das Fahrzeug hertun, das alles geht rasch vonstatten. Zahlreiche Wachposten, ausgerüstet mit Leuchtstäben, säumen die dunkle Auffahrt zum Ort des Geschehens, wir fahren vorbei an den mysteriös erleuchteten Pyramiden: die Szenerie wirkt gespenstig und schüchtert mich irgendwie ein. Am Parkplatz angekommen, geht ebenfalls alles reibungslos. Der Eingangsbereich ist mit Teppichen ausgelegt, zuvor jedoch muss man den beschwerlichen Weg über steinigen und sandigen Boden bewältigen. Stöckelschuhe sind eben wenig wüstentauglich.

Abendkleider auch nicht. Wer Aida sehen will, muss sich zunächst einmal warm anziehen. Entsprechend vorgewarnt trotzten wir mit dicken Lederjacken und Paschmina-Tüchern dem Wind und der Kälte der Wüste. Unsere mitleidigen Blicke galten den nichtsahnenden Opernbesuchern, die kurzärmelig oder im Spaghettiträgerkleid daher kamen. Glücklich konnte sich jede schätzen, die einen mitleidigen Partner mit Sakko zur Seite hatte.

Unsere Plätze sind nicht schlecht, trotzdem scheint die Bühne meilenweit entfernt. Warum haben wir nur das Opernglas vergessen? Die vielen leeren Stuhlreihen überraschen uns. Immerhin blieb uns erspart, was eine Freundin beim Besuch eines Gastspiels von "Holiday on Ice" erlebte: Vehement beanspruchte eine wohl genährte Ägypterin mit offensichtlich identischem Ticket ihren Sitzplatz. Sie weigerte sich, diesen zu räumen, worauf die Ägypterin mit all ihrem Gewicht auf ihrem Schoß Platz nahm...

Endlich fängt Aida an, nur eine Viertelstunde verspätet. Wir versuchen uns auf die Musik zu konzentrieren, was nicht leicht ist. Anders als bei Konzerten im Opernhaus klingeln zwar weniger Handys – oder man hört sie im Freien weniger. Es wird auch nicht an den falschen Stellen geklatscht. Störungen gibt es trotzdem zuhauf. Noch gegen Ende des ersten Aktes fahren Fahrzeuge die Straße hinauf, bringen verspätete Besucher, die kurz darauf mit ihren Schuhen die Stufen der Tribüne hinauf klappern (wenigstens waren die Holztreppen weniger laut als die Metalltreppen vor drei Jahren). Die Zuspätgekommenen erreichten noch rechtzeitig den Höhepunkt des Abends, denn seien wir ehrlich: Die meisten kommen doch sowieso nur, um den Triumphmarsch, die inoffizielle ägyptische Nationalhymne, zu sehen. Der erste und dritte Akt sind da nur schmückendes Beiwerk, wenn nicht nach Meinung vieler gar überflüssig – und zu lang allemal.

Gegen Ende des zweiten Aktes begann dann auch der Auszug der mehrheitlich ägyptischen Besucher. Das wichtigste war vorbei, worauf sich ein älterer Herr neben uns während des dritten Aktes veranlasst sah, eine lautstarke Unterhaltung mit seinem Nebenmann zu führen. Immerhin haben wir ihn wieder zum Schweigen gebracht, ebenso wie die kichernde Schulklasse im Block hinter uns.

Mit dem Verklingen des letzten Tones der Oper gab es dann kein Halten mehr, die Besucher verließen fluchtartig den Ort des Geschehens. Kaum standing ovations für die großartigen Stimmen, das moderne Bühnenbild, die bravourös aufspielenden Musiker, das bemühte Ballet, die funktionierende Technik (die Probleme mit der Akustik am ersten Abend waren vergessen). Schade, denn es war wirklich eine schöne Aufführung. Wenn man Verdi-Opern mag, denn Aida ist keine leicht verdauliche musikalische Kost. Der Ansturm der abziehenden Besucher geht wiederum erstaunlich problemlos und schnell über die Bühne.

Zwei Tage nach unserem Besuch von "Aida" geht die Nachricht von finanziellen Unregelmäßigkeiten um, Mitwirkende seien zunächst nicht bezahlt worden. Hoffentlich müssen wir jetzt nicht wieder ein paar Jahre auf dieses musikalische Großereignis warten. Denn trotz aller Länge, Kälte und Unruhe: ein sehenswertes Event ist die Oper Aida vor der Kulisse der Pyramiden allemal.

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