Suez-Kanal
    Inhalt:
    Suez-Kanal: Wasserweg durch die Wüste
    Drei Österreicher als Väter des Suezkanals
    Ägypten den Ägyptern! Zur Geschichte des Suezkanals
    Kaiser-Reise nach dem Oriente

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Suez-Kanal: Wasserweg durch die Wüste
von Rudolf Bamberger

Papyrus-Logo Nr. 11/85, pp. 14—16

Wenn man dem Drehbuch einer im Deutschen Fernsehen ausgestrahltem Serie glauben darf, fing die moderne Geschichte des Suez-Kanals mit dem Heißhunger eines übergewichtigen Prinzen auf Nudeln an. Als Sultan Saïd am 30. November 1854 die erste Konzession für den Bau des Kanals unterschrieb, sah sich Ferdinand de Lesseps seinem Lebensziel ein gewaltiges Stück näher gekommen. Die guten Beziehungen Lesseps zu Saïd rührten aus den Jahren seiner Hauslehrertätigkeit her. Er war es, der dem dicken Prinzen zum Verlust überflüssiger Pfunde verholfen hatte.

Heute ist der Suez-Kanal, den Erich Helmensdorfer den "Schicksalsweg Ägyptens" nennt, ein eminent wichtiger Wirtschaftsfaktor für Ägypten.

Ich hatte im Frühjahr 1985 Gelegenheit, auf Einladung der Suez Canal Authority den Kanal und seine Einrichtungen kennenzulernen. Ausgangspunkt meines Besuches war Ismaïlia.

Kurz nach 13 Uhr taucht die "Orchid Ace" am Horizont auf. Der japanische Frachter, vollbeladen mit Importfahrzeugen, ist das erste Schiff im Konvoi aus dem Süden. In Ismaïlia haben die 32 Schiffe auf ihrem Weg ins Mittelmeer die halbe Passage durch den Suez-Kanal bereits hinter sich. Halbzeit bedeutet nach den Vorschriften der Suez Canal Authority Lotsenwechsel.

Auf dem Schnellboot begleite ich einen der Kanalpiloten zur "Orchid Ace", die er bis zum Hafen von Port Saïd steuern wird. Auf dem 78 Kilometer langen Durchstich zwischen dem Timsah-See und dem Endpunkt des Kanals sind die Spezialkenntnisse des Lotsen ebenso gefragt wie im ersten Teilstück der Süd-Nord-Passage. Für die Ein- und Ausfahrten kommen zwei weitere Lotsen zum Einsatz. Die Vier-Mann-Schicht steht in ständiger Verbindung zur Zentrale der Suez Canal Authority, die in ihrem Leitstand am Lake Timsah über jede Schiffsbewegung genau im Bilde ist. Ein Computer-gesteuertes System gewährleistet die Sicherheit des 24-Stunden-Betriebs auf dem Kanal.

Mein Begleiter vom Public Relations Department der Kanalbehörde berichtet stolz über den neuen Passagerekord, der erst wenige Monate zurückliegt: Am 18. September 1984 durchquerten 71 Schiffe mit fast 1,8 Millionen Tonnen den Wasserweg in beiden Richtungen. Aber schon bald wird man sich auf andere Kapazitätsgrößen einstellen müssen, denn in den 115 Jahren seit der Fertigstellung wurde unablässig an der Ausweitung des Kanals gearbeitet: die heutige Kapazität übersteigt die Möglichkeiten im Einweihungsjahr 1869 um das 14fache. Für die derzeit laufende Entwicklungsphase, die bis 1988 beendet sein soll, sind Investitionen in Höhe von 750 Millionen Dollar vorgesehen. Der zuvor fertiggestellte Ausbau kostete 1,27 Milliarden Dollar. Der Kanal ist bereits heute auf 68 von 195 Kilometern so breit, daß er gleichzeitig in beiden Richtungen befahren werden kann. Östlich der Ölfelder von El-Morgan wird seit Frühjahr des vergangenen Jahres der Weiterbau betrieben. Nach Fertigstellung dieser Teilstrecke wird die tägliche Passagekapazität auf 78 Schiffe ansteigen.

Erfreuliche Aussichten für den Finanzminister: Verlockend erscheint vor allem die Kundschaft der Supertanker. Bereits der jetzige Ausbauzustand macht die Durchfahrt von 400.000-Tonnen-Riesen möglich, sofern sie unbeladen sind. Den Beweis lieferte am 13. April 1985 der kuwaitische Supertanker "Al-Reeka", der mit 492.000 Bruttoregistertonnen in Lloyds Register geführt wird. Teilbeladen reicht die Fahrrinnentiefe für Schiffe bis zu 250.000 Tonnen, und "full cargo" erhalten Pötte von maximal 150.000 Tonnen grünes Licht für die Einfahrt. Für alle Benutzer gilt, daß sie spätestens 48 Stunden vor ihrer Ankunft die Anmeldung samt Daten an die Nord- bzw. Südeingangsstelle gefunkt haben müssen.

Obendrein müssen die Reedereien zahlungskräftig sein. 1984 flossen rund 980 Millionen Dollar an Transitgebühren in die Kassen der Kanal-Behörde. Und das war gegenüber den zurückliegenden Jahren noch vergleichsweise wenig, denn der Krieg zwischen Iran und Irak und die mysteriösen Minenanschläge auf Schiffe im Roten Meer ließen zu Jahresbeginn 1984 den Tagesdurchschnitt von 62 auf 56 Schiffspassagen sinken. Der zehnprozentige Rückgang konnte zum Jahresende hin nicht mehr kompensiert werden, so daß die Einnahme von einer Milliarde Dollar ein Wunschtraum blieb. Der Rekord von fünf Millionen Dollar, der am 3. August 1984 als bisher höchster Tageswert gefeiert wurde, läßt allerdings wieder auf bessere Zeiten hoffen.

Die Gebühren wurden zu Beginn dieses Jahres um durchschnittlich 3,5% angehoben: Kleine Schiffe zahlen mit 4,6% die höchsten Mehrgebühren. Die Riesentanker hatten lediglich mit einer Verteuerung um 0,6% zu rechnen. Summa summarum rechnet die Suez Canal Authority mit einem Plus von 31,5 Millionen Dollar für 1985. Vor wenigen Tagen erst wurde eine neue Erhöhung der Transitgebühren für den 1. Januar 1986 bekannt gegeben. Betroffen sind nur Schiffe unter 20.000 Tonnen. Für alle, die darüber liegen, bleibt die Gebühr unverändert. Tanker über 85.000 Bruttoregistertonnen werden in Zukunft sogar 12% weniger zahlen. Dennoch rechnet man mit 30 Millionen Dollar Mehreinnahmen. Die Dollarentwicklung an der Devisenbörse kann die Einnahmesituation kaum beeinflussen. Bezahlt wird nicht in bar, sondern mit "Ziehungsrechten".

Trotz der hohen Gebühren ist der Kanal in der Kostenkalkulation der Reedereien ein Sparfaktor. Die Passage bringt je nach Zielgebiet eine Wegverkürzung zwischen 17 und 66 Prozent. Wie wichtig die Wasserstraße zwischen dem Roten Meer und dem Mittelmeer für die internationale Wirtschaft geworden ist, haben die Jahre der Sperrung erwiesen. Zwischen 1967 und 1975 machten die kriegerischen Ereignisse in Nahost eine Benutzung des Kanals unmöglich. Die Weltwirtschaft verlor rund 1.700 Millionen Dollar, Ägypten fehlten 1.500 Millionen in der Kasse.

Vor 1956 war der Kassenstand desolat. Vom Gebührenaufkommen erhielt der Hoheitsträger lediglich drei Millionen Dollar, bevor der letzte britische Soldat die Kanalzone verließ. Bis dahin waren die Aktien der Kanalgesellschaft vorwiegend in britischen und französischen Händen gelegen. Die Nationalisierung, heute noch als "Sieg über den Imperialismus" gefeiert, steigerte die Einnahmen der ägyptischen Regierung sogleich auf 100 Millionen Dollar. Befürchtungen, der Kanal könnte unter einheimischer Führung nicht sicher betrieben werden, erwiesen sich als grundlos. Die ihr zukommende Bedeutung läßt die Suez Canal Authority in ihrer Betriebsführung erkennen. Viele ägyptische Unternehmen könnten sich an diesem Management ein Beispiel nehmen.

Die Gesellschaft ist gleichzeitig die Lebensader der Stadt Ismaïlia. Sie verdankt ihre Gründung der Arbeit von 20.000 Ägyptern, die in zehneinhalb Jahren einen Weg zwischen den beiden Meeren schufen. Nach erheblicher Zerstörung durch die Israelis ist sie heute dank der guten Geschäfte mit dem Kanal zu neuer Blüte gelangt. Ein mildes Klima, viele Grünanlagen und die Attraktion des fast lautlos vorbeiziehenden Schiffsverkehrs locken die ersten Touristen an, die in einem französischen First Class Hotel angemessene Unterkunft finden. Der schönste Badestrand ist bislang allerdings noch den Mitarbeitern der Kanalbehörde vorbehalten. Im "Beach Club" am äußersten Ende des Timsah-Sees kann man beim Planschen den Konvois nachschauen.

Als eine der Schlagadern der Weltwirtschaft erfreut sich der Kanal heute in Ost und West großer Aufmerksamkeit. Kriegerische Verwicklungen im Nahen und Mittleren Osten werden stets unter dem Aspekt der Gefährdung dieses Wasserweges durch die Wüste argwöhnisch beobachtet.

Durchfahrt durch den Kanal

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Drei Österreicher als Väter des Suezkanals:
Alois Negrelli von Moldelbe, Kurt Ludwig Freiherr von Bruck und Pasquale di Revoltella

von Rudolf Agstner

Papyrus-Logo Nr. 11—12/94, pp. 15—22

In wenigen Tagen wird Ägypten das 125jährige Jubiläum der Eröffnung des Suezkanals feiern – passenderweise mit einer Aufführung der Oper "Aida" in Deïr el-Bahri.
Heute wird diese bedeutende Verkehrsader des Welthandels meist zunächst mit Frankreich, dann mit Großbritannien als Hauptaktionär, und mit Gamal Abdel Nasser assoziiert, der die Kanalgesellschaft 1956 verstaatlichte. Daß das heutige Binnenland Österreich bei der Planung führend beteiligt war, lange bevor sich England für das Projekt erwärmen konnte, ist völlig vergessen. Dabei war die Idee in Österreich schon im 18. Jahrhundert aufgegriffen worden.
Hier sollen drei Österreicher, die mit Fug und Recht zu den Vätern des Suezkanals gehören, vorgestellt werden: ihnen allen ist gemeinsam, daß sie die Eröffnung des Kanals nicht mehr erleben sollten und heute vergessen sind – ein "österreichisches Schicksal".
Im Zusammenhang mit der erhofften Öffnung des Roten Meeres für die christliche Schiffahrt griff man in Wien bereits die antiken Gedanken über den Durchstich der Landenge von Suez auf. Ein gewisser Carl August Heim erkannte in einer Petition an die Kaiserliche Hofkammer vom 19. März 1792 die Tragweite des zukünftigen Kanals:

"Wenn also das Allerdurchlauchtigste Erzhaus Österreich bei dem guten Vernehmen, in welchem es dermalen mit der Pforte steht, mit derselben einen Traktat schlöße, vermöge wessen es sich anheischig machte, der Pforte zu Durchgrabung der Suetzischen Erdenge die Kosten entweder ganz oder zum Theil unter der Bedingung herzuschießen, daß die Pforte dafür der Österreichischen Flagge, aber auch nur dieser allein, zu ewigen Tagen die freie Durchfahrt durch die alsdann entstehende Meerenge gestattete, wohingegen alle anderen Flaggen ansehnliche Zölle daselbst entrichten müßten; würde nicht Österreich als dann bei dem hiedurch gewonnen werdenden ungleich nähern fast geradlinichten Weg nach Ostindien bei der ihm vor allen anderen Staaten nur allein zustehenden freien Benutzung desselben, und bei seiner auf diesem Wege ohnehin vor allen andern europäischen Staaten ungleich nähern und schicklichern natürlichen Lage, den Handel nach Ostindien beinahe ausschließlich an sich ziehen ?"

Was bei diesem Projekt für Österreich herausschauen würde, war tatsächlich verlockend: Die exklusive Benutzung des Suezkanals könnte "den Hafen zu Triest zum ersten in Europa, den ganzen österreichischen Staat aber zum blühendsten in der Welt machen."
Leider kam Heim mit seinem Vorschlag um 50 Jahre zu früh. Es blieb einem anderen Österreicher vorbehalten, den Gedanken in einen konkreten Plan umzusetzen:

Alois Negrelli Ritter von Moldelbe.

Alois Negrelli kann mit Fug und Recht als Vater des Suezkanals bezeichnet werden; er lieferte die Pläne zu dem Unternehmen. Durch seinen vorzeitigen Tod erlebte er weder den ersten Spatenstich noch die Einweihung des Kanals. Bei der Eröffnung im Jahre 1869 war sein Name schon in Vergessenheit geraten, und Ferdinand de Lesseps ließ sich als Held des Tages feiern. Aber auch er, der sich so wie seine Suezkanal-Gesellschaft in Ismaïlia niedergelassen hatte, wußte offenbar, wem er seinen Erfolg verdankte. Eine schöne Straße in Ismaïlia, die erste parallel zum Süßwasserkanal, wurde nach Negrelli benannt. Seit 1956 heißt die Straße "Armee-Straße". Die in Ost-West-Richtung verlaufende Rue Negrelli querte u.a. die Avenue de l'Impératrice und die Avenue François Joseph. Diese heißt heute Sharia El Thawrah oder "Revolutionsstraße", womit Seine Majestät wohl keine Freude hätte.
Alois Negrelli kam am 23. Januar 1799 in dem Südtiroler Grenzdorf Primör als Sohn eines italienischen Vaters und eine deutschtiroler Mutter zur Welt. Fiera di Primiero, so der italienische Name dieser einst zweisprachigen bedeutenden mittelalterlichen Bergwerkstadt, verfügt aus der österreichischen Epoche über einige schöne Bauwerke, wie das Bergamt und das Palais der Grafen Welsberg. Die spätgotische Kirche ist der von Schwaz in Nordtirol, damals Zentrum des Silberbergbaus der Welt, nachempfunden. Von Interesse ist ein Fresko in deutscher Inschrift. In der Tat bestanden zwischen Primör/Primiero und Schwaz sowie der Fugger-Stadt Augsburg und den Bergbauzentren in Böhmen im Mittelalter engste Kontakte.
War es früher Silber und Kupfer, ist es heute der Fremdenverkehr, der das wirtschaftliche Fundament von Fiera di Primiero bildet. Dazu zählt auch die Erinnerung an den größten Sohn der Stadt, Alois oder Luigi Negrelli. Sein Geburtshaus steht neben der Kirche; im herrlich renovierten k.k. Bergamt befindet sich ein kleines Negrelli-Museum, und vor dem Rathaus steht eine lebensgroße Statue Negrellis. Bürgermeister Dr. Simion amtiert in einem Büro unter Porträts von Negrelli und einiger seiner Vorfahren.
Aus diesem Grenzgebiet, wo Tiroler und Venezianer Kultur seit Jahrhunderten verwoben sind, stammte der Mann, der das mitteleuropäische Eisenbahnnetz entscheidend formte und die Pläne für den Suezkanal entwarf. Es ist daher verständlich, daß Negrelli sowohl als "Österreicher" als auch als "Italiener" vereinnahmt wird. Rechtlich steht fest, daß er österreichischer Staatsbürger und Beamter war, da sein Heimatort erst 1918 an Italien fiel. Obwohl er sich als k.k. Staatsbeamter stets der deutschen Sprache bediente, unterschrieb er meist als "Luigi" Negrelli.

Zunächst besuchte Negrelli das Gymnasium der Bischofsstadt Feltre. Ein Stipendium von Kaiser Franz ermöglichte ab 1818 ein Studium an der Akademie der schönen Künste in Venedig und an den Universitäten Padua und Innsbruck. 1819 trat Negrelli als Ingenieur in den Dienst der Provinzialdirektion von Tirol und Vorarlberg in Innsbruck ein. 1820 erhielt er sein Diplom als Ingenieur und fand Verwendung bei Vermessungs- und Straßenbauten. Ab 1826 war er in Vorarlberg mit der Rheinregulierung beschäftigt. 1831 übernahm er die Position des Straßen- und Wasserbauinspektors des Schweizer Kantons St. Gallen, wo er, inzwischen aus dem österreichischen Staatsverband entlassen, bis 1840 tätig war. 1836 rief ihn die Züricher Kaufmannschaft nach Zürich, wo er u.a. die Hafenanlage und die Münsterbrücke über die Limmat baute.
1838 bereiste er England, Frankreich und Belgien, wo er die letzten Neuheiten auf dem Gebiet des Eisenbahnwesens studierte. Dabei kam er zu der Überzeugung, daß Dampflokomotiven für den Einsatz im Gebirge gebaut werden könnten; er setzte diese Überlegungen sofort in die Praxis um und plante das Schweizer Eisenbahnnetz; 1847 wurde die Linie Zürich—Baden fertiggestellt. Schon 1837 regte er den Bau einer Bahnlinie Innsbruck—Kufstein an. Während seines Aufenthaltes in der Schweiz traf er 1838 den berühmten Naturforscher Alexander von Humboldt in Genf. Dieser lenkte die Aufmerksamkeit Negrellis auf das alte Projekt, das Rote Meer mit dem Mittelmeer zu verbinden.
1840 kehrte Negrelli nach Österreich zurück, als ihm die Kaiser-Ferdinand-Nordbahngesellschaft den Posten des Generalinspektors für die Leitung des Ausbaus ihres Bahnnetzes anbot. Negrelli erhielt ein Gehalt von 4.000 Gulden und 2.000 Gulden Reisepauschale jährlich. Als Generalinspektor der Kaiser-Ferdinand-Nordbahn oblag Negrelli der weitere Ausbau des Liniennetzes der Gesellschaft.

Als Kaiser Ferdinand die Eisenbahnen Österreichs in Staats- und Privatbahnen teilte und den Bau der als staatsnotwendig angesehenen Staatseisenbahnen selbst durchführen ließ, wurde Negrelli zur Erweiterung des Baues der Staatsbahnen berufen. "Ich habe mein vorzügliches Augenmerk auf den Generalinspektor der k.k. privilegierten Kaiser-Ferdinands-Nordbahn, Ludwig Negrelli gerichtet...".
Am 1. April trat Negrelli seinen Dienst an. 1843 übernahm Negrelli den Ausbau der Strecke Olmütz—Prag, die 1845 fertiggestellt wurde. Noch heute heißt der lange Viadukt vor dem "Wilson-Bahnhof" in Prag "Negrelli-Viadukt". Der Kaiser verlieh Negrelli den Titel eines k.k. Rates, und die Stadt Prag ernannte ihn zum Ehrenbürger. Von 1845 bis 1848 beschäftigte sich Negrelli mit dem Ausbau der Linien Brünn—Böhmisch-Trübau und Prag—Bodenbach, sowie mit Vorbereitungsarbeiten für den Bau der galizischen Bahnlinien und der Westbahnstrecke von Wien nach Salzburg.
Mit dem Wiederbeginn der Tätigkeit Negrellis in Österreich beschäftigte er sich auch mit der Frage des Baues eines Kanals durch die Landenge von Suez. 1843 unterbreitete der österreichische Generalkonsul in Alexandrien, Laurin, Fürst Metternich einen Vorschlag für den Bau eines Kanals und gab gleichzeitig bekannt, daß Vizekönig Mohamed Ali dem Bauvorhaben zustimme, falls der Kanal für alle Zeiten im Besitz der vizeköniglichen Familie verbleibe. Mit einer Note vom 25. April 1843 erklärte sich Metternich mit den Bedingungen Mohamed Alis einverstanden und gab Laurin den Auftrag, mit dem Vizekönig vertraulich weiterzuverhandeln.
Am 30. November 1846 kam es in Paris zur Gründung der Studien-Gesellschaft für den Suezkanal, die aus einer deutschen, einer englischen und einer französischen Gruppe bestand. Diesen Gruppen standen Alois Negrelli, Robert Stephenson und Paulin Talabot vor. Aufgrund des vorliegenden Materials wurde der Bau des Kanals für grundsätzlich ausführbar erklärt und die eheste Durchführung weiterer, in ihren Einzelheiten auf die drei Gruppen aufgeteilten Vorarbeiten beschlossen. Nach Durchführung dieser Vorarbeiten sollten die Gruppenchefs das Kanalterrain bereisen.
Die deutsche Gruppe entwickelte sofort die größte Tatkraft. Ihre Gründung ist die erstvollzogene. Für Österreich waren die Stadt Triest und deren Handelskammer, der österreichische Lloyd, der Niederösterreichische Gewerbeverein und die Handelskammer Venedig der Gesellschaft beigetreten. Einer der wärmsten Förderer der Gesellschaft war der Direktor des Österreichischen Lloyd und spätere Finanzminister Carl Ludwig Freiherr von Bruck.
Die Ingenieurbrigade der deutschen Gruppe reiste bereits Anfang Mai 1847 unter der Führung des Ingenieurs Jassnüger nach Ägypten und kehrte Ende Juli mit reichen Ergebnissen, welche die Erforschung der Schiffahrtsverhältnisse des Mittelländischen Meeres von Alexandrien bis Tineh sowie Aufnahmen und Höhenmessungen dieser Meeresuferstrecke betrafen, wieder zurück. Negrelli ließ sich deren rascheste Verarbeitung angelegen sein, um sie seiner Regierung und den anderen Gruppenchefs vorzulegen. England ließ keine neuen Aufnahmen machen, es berief sich auf die früheren Aufnahmen der ostindischen Kompanie, die es als seine Aufnahmen für die weiteren Arbeiten der Studienkommission einbrachte. Die französische Gruppe, deren Leiter der Sohn Barthelemy Enfantins war, nahm die ihr aufgetragenen Arbeiten in der Zeit zwischen September 1847 und Januar 1848 vor, deren wichtigstes Ergebnis ein nur geringfügiger Niveauunterschied beider Meere war, was Negrelli zur Anwendung der schleusenlosen Bauweise für den Kanal veranlaßte. Gegen die Reise der drei Gruppenchefs hätte nun kein Hindernis bestanden. Sie kam aber vorläufig doch nicht zustande, da Talabot und Stephenson erklärten, zur Zeit nicht abkömmlich zu sein und Negrelli nicht allein reisen wollte. Zudem hatten sich die politischen Verhältnisse verschlechtert: In Österreich und Frankreich war die Revolution ausgebrochen. Beide Länder waren dadurch außenpolitisch behindert.
1848 setzte Negrelli in Oberitalien die beim Aufstand zerstörten Bahnlinien für das Armeeoberkommando unter Feldmarschall Graf Radetzky wieder instand. Mit Allerhöchster Entschließung vom 15. Dezember 1849 wurde ihm der Orden der Eisernen Krone III. Klasse verliehen; am 21. September 1850 suchte Negrelli um Verleihung des Ritterstandes mit dem Prädikat "von Moldelbe" in Anlehnung an seine Eisenbahnbauten in den Tälern der Moldau und Elbe an.
Im Juli 1855 begab sich Negrelli nach Paris, um einer Sitzung der Studienkommission für den Suezkanal beizuwohnen. Diese kam zu keinem Beschluß, da inzwischen Ferdinand de Lesseps bei seinem einstigen Schützling Saïd Pascha interveniert hatte.

Nach der ergebnislosen Zusammenkunft der Studienkommission im September 1855 berief de Lesseps für den 30. Oktober 1855 die Gründungssitzung der von ihm zu schaffenden und zu leitenden Internationalen Kommission für den Suezkanal ein, in der außer Negrelli kein Mitglied der Studienkommission mehr vertreten war.
Negrelli nahm auch an der Reise der Internationalen Suezkanalkommission teil, die am 18. November 1855 in Alexandrien eintraf. Seine letzte Tagebucheintragung von 1855, knapp vor der Abreise nach Ägypten, lautete: "Wenn der Suezer Kanal zur Wirklichkeit wird, was ich kaum mehr bezweifle, glaube ich demselben mehr als mancher andere für alle ewigen Zeiten genützt zu haben."
Am 11. Januar 1856 landete Negrelli in Triest, am 15. Januar traf er in Wien ein, wo er am 20. von Kaiser Franz Joseph zur Audienz empfangen wurde. Am 8. März 1856 wurde Negrelli zum Generalinspektor der österreichischen Eisenbahnen ernannt.

Inzwischen traten Negrelli in Wien und de Lesseps in Paris in Wort und Schrift für den Suezkanalbau ein. Am 23. Juni 1856 eröffnete de Lesseps in Paris die erste Sitzung der Internationalen Kommission des Meereskanals von Suez, an der Vertreter Frankreichs, Englands, Spaniens, Preußens, Sardiniens, Hollands und Ägyptens sowie Negrelli als Repräsentant Österreichs teilnahmen. Die Frage der Trasse endete mit einem Sieg Negrellis, dessen Vorschlag ebenso wie sein Vorschlag eines schleusenlosen Kanals angenommen wurde.
1857 ernannte Vizekönig Saïd Pascha Negrelli zum Generalinspektor der Kanalbauten. Inzwischen verschlechterte sich Negrellis Gesundheitszustand. Einer Einladung de Lesseps' zu einer Reise nach Ägypten im Frühjahr 1858 konnte er wegen seines schlechten Gesundheitszustandes nicht mehr nachkommen.
Ein letztes Mal beschäftigte sich Negrelli kurz vor seinem Tode mit dem Suezkanal, als er zu den Äußerungen Stephensons, der in der "Times" vom 3. August 1858 gegen den Kanalbau eintrat, Stellung nahm. Diese Haltung war leicht verständlich, schließlich hatte Stephenson gerade die Eisenbahnlinie Alexandrien—Kairo fertiggestellt und war an Konkurrenz nicht interessiert. Negrelli widerlegte Punkt für Punkt die Behauptungen Stephensons. Die persönlichen Angriffe Stephensons erwiderte er in der Österreichischen Tageszeitung vom 26. September 1858.
Am 1. Oktober 1858 starb Alois Negrelli; er wurde am 3. Oktober auf dem Friedhof von St. Marx beigesetzt. Im Jahre 1929 errichtete die Stadt Wien Negrelli ein Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof, das dem Eingang eines antiken ägyptischen Grabes nachempfunden ist.

Nach Negrellis Tod konnte sich de Lesseps dessen Pläne für den Bau des Suezkanals beschaffen. Über das "Wie" gibt es verschiedene Versionen: völlig unglaubwürdig ist die Behauptung de Lesseps', er habe die Pläne kurz vor Negrellis Tod gekauft. Einer ebenso wenig glaubwürdigen Überlieferung zufolge soll de Lesseps die Pläne während eines Kondolenzbesuches bei Negrellis Witwe in einem günstigen Augenblick entwendet haben.
Wahrscheinlich hat Ritter Weiss von Starkenfeld, der Bruder von Alois Negrellis zweiter Frau, die Pläne gestohlen und über Baron Revoltella de Lesseps zukommen lassen. In einem Brief vom 16. Oktober 1858, einige Tage nach Negrellis Tod, informierte Weiss von Starkenfeld Revoltella in Triest, "daß er aus den Papieren seines verstorbenen Schwagers Negrelli alle den Isthmus bezüglichen Papiere entnommen habe."
Im Januar 1859 schrieb Revoltella an de Lesseps nach Paris und schlug in freundlichen Worten vor, dem erwähnten Weiss von Starkenfeld eine Belohnung von 5.000 Franken zukommen zu lassen. Nach dem Tode Revoltellas fanden sich alle die Papiere, die Weiss von Starkenfeld in seinem Schreiben an diesen vom 16. Oktober 1858 erwähnte, in dessen Nachlaß. Es dürfte wohl offensichtlich sein, was hier gespielt wurde.
Erst als Negrellis Tochter Luise im Jahre 1888 in Paris gegen die Suezkanal-Gesellschaft Klage erhob, um die geistige Urheberschaft ihres Vaters am Suezkanal zu beweisen und die Herausgabe von Negrellis Gründeranteilen im Wert von 10 Millionen Francs zu erreichen, wurde der Welt der wahre Vater des Suezkanals bekannt. Negrellis Tochter bediente sich eines berühmten Anwalts, Raymond Poincaré, später mehrfach französischer Premier- und Außenminister und Staatspräsident. 1913 schien die Gesellschaft bereit, sich zu vergleichen. Die Wahl Poincarés zum Staatspräsidenten, der Ausbruch des 1. Weltkriegs und der Zusammenbruch der Monarchie machten alle Bemühungen, Alois Negrelli Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, zunichte.
Als seine Heimat 1918 an Italien fiel, nahm sich Rom Negrellis Sache an. 1930 wurde in Trient ein Denkmal zu Ehren Negrellis mit der Inschrift "Luigi Negrelli – Vater des Suezkanals" errichtet. Nach französischen Protesten mußte die Inschrift entfernt werden. Auch ein 1935 von einem italienischen Senator gemachter Vorschlag, den Prozeß der Tochter gegen die Suezkanal-Gesellschaft wieder aufzunehmen, fiel anderen politischen Überlegungen zum Opfer.

Und so feiert die Welt Ferdinand de Lesseps als den Schöpfer des Suezkanals.

Wenn heute in Ägypten fallweise das Projekt diskutiert wird, das im Jahr 1956 von seinem Sockel an der Einfahrt zum Suezkanal in Port Saïd geholte Monument de Lesseps' wieder aufzustellen, erschiene es auch an der Zeit, Alois Negrelli wenigstens seine Straße in Ismaïlia wieder zurückzugeben.

Karl Ludwig Freiherr von Bruck

Der zweite Österreicher, Karl Ludwig Freiherr von Bruck, war eigentlich gebürtiger Preuße. Am 8. (18.) Oktober 1798 in Elberfeld geboren, und ursprünglich zum Kaufmann bestimmt, machte Bruck den Feldzug 1815 gegen Frankreich in einem preußischen Regiment mit. Danach bereiste er Frankreich und England und hörte staatswissenschaftliche Vorlesungen in Bonn. 1821 wollte er am griechischen Freiheitskampf teilnehmen, blieb aber als Sekretär einer Versicherungsgesellschaft in Triest, was seine weitere Laufbahn bestimmte. In Triest gründete er die Triester Börse und den Österreichischen Lloyd, deren Präsident er später wurde.
1848 war Bruck Abgeordneter in Frankfurt und Bevollmächtigter der österreichischen Regierung beim Reichsverweser, anschließend österreichischer Handelsminister.
Mit Brucks Handelspolitik und großartigen Reformen begann eine neue gewerbliche Periode Österreichs. 1850 kam es zur Aufhebung der Zwischenzölle mit Ungarn und zu dem Zollvertrag mit Preußen und dem Zollverein.
1851 trat er zurück und übernahm die Direktion des Österreichischen Lloyd. Vom 27. März 1853 bis 21. Januar 1855 war Bruck k.k. Internuntius in Konstantinopel, wo er in den entscheidenden Jahren in privilegierter Position war, sich des Suezkanalprojekts anzunehmen. Bruck hatte richtig erkannt, daß dieses insbesondere für Triest und für seinen Österreichischen Lloyd die besten Auswirkungen gehabt hätte. Seine bedeutende Stellung ermöglichte es ihm, die Bedenken der ottomanischen Regierung gegen den Kanalbau zu zerstreuen.
1855 zum Finanzminister ernannt, gelang es ihm nicht, seine Pläne durchzusetzen. Unschuldig in einen Korruptionsskandal verwickelt, wurde er am 22. April 1860 ungnädig entlassen und beging Selbstmord. Die Rolle Brucks beim Suezkanalprojekt wurde erst 40 Jahre nach dessen Tod der Öffentlichkeit bekannt, als im Jahre 1900 die Erben Brucks gegen die Suezkanal-Gesellschaft vor dem Kairoer Gemischten Gerichtshof Klage erhoben; diese erfolglose Klage und die Berufungsverhandlung vor dem Gemischten Gerichtshof in Alexandrien brachten die völlig vergessene Rolle Brucks beim Bau des Suezkanals in Erinnerung:
Als einer der Gründer der Suezkanal-Gesellschaft erhielt Bruck 10 "Gründeranteile (ein Gesamtanteil)" in der von de Lesseps erstellten und Saïd Pascha übergebenen Liste der Gründer. Brucks Name wurde in der Folge als Eigentümer von 10 Gründeranteilen in den Registern der Suezkanal-Gesellschaft eingetragen. "Am 4. Mai 1855 informierte de Lesseps Baron Bruck in Wien schriftlich, daß der Vizekönig Brucks Namen unter den Gründungsmitgliedern gemäß Art. 11 des Firmans vom November 1854 festgehalten hatte."

Am 6. Januar 1856 gewährte Said Pascha de Lesseps einen neuen Firman. Am 2. Mai 1856 schrieb de Lesseps an Revoltella in Triest: "S.E. der Vizekönig hat darüber hinaus S.E. Baron Bruck zur Verteilung in Österreich drei ganze Gründeranteile, teilbar in jeweils 10 Anteile, zur Verfügung gestellt. Diese Anteile sind unabhängig von denen, die schon vorher für Baron Bruck, Ritter von Negrelli und Ritter von Revoltella reserviert worden sind."
Die Zuerkennung von Gründeranteilen an Baron Bruck war damit bestätigt, und in der von Saïd Pascha genehmigten Liste von 60 Namen erschien auch der von Baron Bruck. Am 24. September 1858 schrieb de Lesseps an Negrelli: "Darüber hinaus ist auch Ihr Name im Register der Gründungsmitglieder mit 10 Anteilen eingetragen, Baron Bruck ebenfalls mit 10 und Ritter von Revoltella mit 5."
Als Baron Bruck am 23. April 1860 Selbstmord beging, waren seine Kinder nicht in Wien. Bei Aufnahme des Nachlasses durch die Justizbehörden fand sich nicht die geringste Spur, welche die führende Rolle Brucks in der Suezkanal-Gesellschaft hätte beweisen können. Erst nach dem Tode des Freiherrn von Revoltella tauchte in Triest das umfangreiche Dossier des Baron Bruck wieder auf. Wie kamen diese Unterlagen, die offenbar von interessiertere Seite aus dem Nachlaß Brucks entfernt worden waren, zu Revoltella nach Triest?

Wahrscheinlich hatte der bereits erwähnte, zwielichtige Ritter Weiss von Starkenfeld, ein treuer Mitarbeiter von Baron Bruck, jederzeit Zugang zu dessen Unterlagen gehabt und dürfte Baron Bruck ebenso wie schon vorher Negrelli an de Lesseps "verkauft" haben. Ein Ergebnis des Prozesses war, daß die Erben von Baron Bruck wenigstens die Papiere ihres Vaters nach 31jähriger Verzögerung aus dem Nachlaß Revoltellas zurückerhielten. Die beklagte Suezkanal-Gesellschaft machte 1900 die Einrede der Verjährung geltend, wogegen die Kläger festhielten, daß die Eigenschaft eines Gründers der Suezkanal-Gesellschaft keiner Verjährung unterliegen könne. Es obläge daher der Suezkanal-Gesellschaft, den Nachweis zu erbringen, daß Baron Bruck kein Gründungsmitglied gewesen sei. Die Suezkanal-Gesellschaft verlegte sich darauf, auf eine von Notar M. Mahot de la Guarantonnait verfaßte Erklärung zu verweisen, derzufolge der Name von Baron Bruck nicht auf einem am 18. Mai 1893 bei diesem hinterlegten Papier enthalten sei, welches laut Hinterlegungsurkunde sich als am "4. Mai 1861 in Alexandria durch König Bey erstellte Liste der Gründungsmitglieder der Suezkanal-Gesellschaft, über Befehl des Vizekönigs und in Übereinstimmung mit der Originalliste, die sich in den Archiven des Vizekönigs befand, beglaubigt" darstellte.

Die Kanalgesellschaft verweigerte damals die Herausgabe dieser Liste, nach Ansicht der Erben Brucks ein Hinweis darauf, daß das zitierte Dokument nicht die im Jahre 1861 von König Bey der Kanalgesellschaft übermittelte Liste der Gründungsmitglieder war, da sie nachträglich zum Nachteil einiger Gründungsmitglieder oder deren Erben verfälscht worden sei.
Die Erben Brucks standen vor dem Dilemma, daß entweder Brucks Name auf der bei Notar M. Mahot de la Guarantonnait hinterlegten Liste stand, womit der Fall automatisch sein Ende gefunden hätte, da eine Verjährung der Eigenschaft eines Gründungsmitgliedes nicht hätte eintreten können, oder, wenn sein Name nicht darauf erschien, es gar nicht hätte sein können, daß Brucks Name darauf nicht enthalten war. Das in Paris verwahrte Dokument sei daher falsch.
Als der Verwaltungsrat der Gesellschaft nach Erhalt der Kopie der beglaubigten Liste von König Bey am 24. Mai 1861 zusammentraf, beschloß er, diese Liste in einem mit drei Schlüsseln gesicherten Safe beim Notar der Suezkanal-Gesellschaft zu hinterlegen. Interessant erscheint in diesem Zusammenhang, daß in weiterer Folge offenbar keine Eile geboten war, da diese Liste erst 32 Jahre später hinterlegt wurde, was zwangsweise Gerüchten um nachträgliche Verfälschungen Auftrieb verleihen mußte.
Es stellte sich auch die Frage nach dem Verbleib des Originals der Liste in den vizeköniglichen Archiven. Beim Prozeß der Erben Brucks gegen die Suezkanal-Gesellschaft im Jahre 1900 war das Originaldokument jedenfalls verschwunden. Der k.u.k. Diplomatische Agent und Generalkonsul in Ägypten, Baron Heidler, erhielt am 21. Juni 1897 durch den ägyptischen Außenminister Boutros Pasha Ghali folgende Auskunft: "Trotz genauester Nachforschungen in den Regierungsarchiven und denen der vizeköniglichen Verwaltung wurde keine Liste der Gründungsmitglieder der Suezkanal-Gesellschaft vom 19. Mai 1855 oder vom 4. Mai 1861 oder einem anderen Datum gefunden."
Diese vielen Zufälle ließen bei den Erben Brucks den Verdacht aufkommen, daß es sich dabei um mehr als nur "Zufälle" handelte, nämlich die bewußte Fälschung der Vorgänge um die Gründung der Suezkanal-Gesellschaft.
Die Frage wird sich wohl nie mehr klären lassen, da die Akten über die Verlassenschaftsabhandlung nach Baron Bruck 1927 beim Brand des Wiener Justizpalastes vernichtet worden sein dürften.
Nach dem Anschluß Österreichs 1938 scheint in Berlin Interesse am "Fall Bruck" bestanden zu haben. Anders ist wohl kaum zu erklären, daß 1939 das Auswärtige Amt Berlin dem Amtsgericht Wien 1, Riemergasse, "zwei Aktenstücke betreffend die Verlassenschaftsabhandlung nach dem am 23. April 1860 verstorbenen C.L. Freiherr von Bruck" zurückstellte. Sie betrafen die "Ansprüche der Erben nach dem Freiherrn von Bruck gegen die Suezkanal-Gesellschaft."
Nach der Verstaatlichung des Suezkanals notifizierte der ägyptische Anwalt der Nachkommen Brucks die ägyptische Regierung vom Anspruch der Familie auf Brucks Gründeranteile an der Suezkanal-Gesellschaft. Diesem Brief zufolge gewährte Vizekönig Saïd Pascha von Bruck drei Gründeranteile und zahlte für Bruck über 2 Millionen Francs in bar. Ober diese Angelegenheit soll es 1856 zu einem Briefwechsel zwischen Bruck und de Lesseps gekommen sein. 1956 führte der ägyptische Anwalt als Beweis für Brucks Eigentum an diesen Gründeranteilen das "Grand Livre" der Suezkanal-Gesellschaft, Band 135, an. De Lesseps soll die Bruck'schen Anteile später verkauft haben, um seine 1858 gegründete Suezkanal-Gesellschaft zu finanzieren.
Im Nachlaß Brucks, der in der Österreichischen Nationalbibliothek verwahrt wird, befindet sich ein Brief von de Lesseps an Bruck von Dezember 1858, in dem de Lesseps Bruck den Titel eines "Président Honoraire de la Compagnie Universelle du Canal de Suez" anbot; in dem Schreiben werden sonst keine weiteren Angaben über vorhergegangenen Transaktionen, Verantwortlichkeiten oder Entschädigungen gemacht.
Inwiefern die Behauptung der Nachkommen Brucks, die Gründeranteile seien nach dem 1. Weltkrieg in Wien von britischen oder französischen Besatzungssoldaten aus einem Safe gestohlen worden, glaubwürdig ist, kann nur schwer beurteilt werden.

Pasquale Freiherr von Revoltella

Der bereits erwähnte Pasquale Freiherr von Revoltella war der dritte Österreicher im Bunde. Aus heutiger Sicht spielte er eine eher zwielichtige Rolle. Revoltella war am 16. Juni 1795 in Venedig geboren worden, das 1797 für kurze Zeit, und dann von 1815 bis 1866 Teil Österreichs war.

Revoltella stammte aus bescheidenen Verhältnissen; schon früh kam er nach Triest und wurde bald eine der bekanntesten Persönlichkeiten der Stadt. Er eröffnete eine eigene Handelsfirma und bekleidete in der Folge wichtige Positionen in den größten Reedereien, Versicherungsgesellschaften und Industrie-Unternehmen. 1848 wandte sich Revoltella der Politik zu und schloß Freundschaft mit Baron Bruck, der damals in der Direktion des Österreichischen Lloyd tätig war. Zum Finanzfachmann von europäischem Format aufgestiegen, erkannte er den Wert des geplanten Suezkanals für Triest sowie für den österreichischen Handel und trug sowohl als Bankier als auch als offizieller Repräsentant der österreichischen Interessen zur Realisierung des Unternehmens bei. Er war in den entscheidenden Augenblicken der Initiierung des großen Projekts in Paris und wurde Vizepräsident der Suezkanal-Gesellschaft von Ferdinand de Lesseps. Zwischen 1858 und 1860 hatte er seine größten finanziellen und politischen Erfolge. Die Ereignisse in Österreich nach dem Krieg von 1859, die zum tragischen Ende Brucks führten, erschütterten auch Revoltellas moralische Position. 1861/62 besichtigte er im Auftrag der zuständigen Wiener und Triester Behörden die Arbeiten am Suezkanal und berichtete darüber in seiner interessanten tagebuchartigen Schrift "Voyage en Égypte". 1867 zum Freiherrn geadelt, starb Revoltella am 8. September 1869 in Triest, kaum 10 Wochen vor der Eröffnung des Suezkanals.

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Ägypten den Ägyptern ! – Zur Geschichte des Suezkanals
von Marianne Stern

Papyrus-Logo Nr. 11—12/94, pp. 4—14

Wohl kein anderes Bauwerk hat eine solche ökonomische und strategische Bedeutung, aber auch Symbolkraft erlangt wie der Suezkanal: Für die Briten war der Wasserweg eine lifeline of empire und wichtiger Vorwand, das Land 1882 zu besetzen, für die Ägypter hingegen war der Kanal mehr als siebzig Jahre lang das Symbol einer verhaßten Fremdherrschaft und wurde schließlich zum Symbol der nationalen Befreiung. Der Suezkanal war aber auch ein Symbol für die fehlgeleitete innere Entwicklung eines früh relativ unabhängig gewordenen Landes.

Schon zu pharaonischen Zeiten gab es einen Kanal, der die Schiffahrt vom Roten Meer in das Mittelmeer ermöglichte. Er verband die Bitterseen, dem Wadi Tumilat folgend, mit dem Nil (Anm. 1). Der Kanal wurde mehrere Male aufgegeben und wieder aufgebaut. Er versandete im 8. Jahrhundert (Anm. 2).

Die Geschichte des heutigen Suezkanals ist eng verbunden mit dem zunehmenden Einfluß der europäischen Mächte im Nahen Osten, die mit der napoleonischen Eroberung Ägyptens begann (Anm. 3). Napoleon plante während seines ägyptischen Feldzuges (1798 – Anm. 4) einen neuen Wasserweg, der diesmal die beiden Meere direkt durch die Landenge von Suez verbinden sollte. Schon 1801 wurden die Franzosen von vereinten osmanisch-britischen Kräften vertrieben. Die Herrschaft der Mamelucken jedoch brach endgültig zusammen, Muhammad Ali, ein Offizier aus dem albanischen Kontingent, konnte sich im Chaos 1805 als militärisch-politischer Führer durchsetzen. Seine Modernisierungspolitik sicherte den Franzosen auch weiterhin großen Einfluß.
Sein oberstes Ziel war es, die Herrschaft über Ägypten für sich und seine Familie zu sichern und die Unabhängigkeit von Konstantinopel sowie den europäischen Mächten zu erlangen bzw. zu erhalten. Mit Hilfe französischer Berater baute er eine der größten Armeen der damaligen Zeit auf. Um diese Militärmacht und die territorialen Expansionen (Anm. 5) zu finanzieren, monopolisierte Muhammad Ali die ägyptische Wirtschaft und versuchte das Land auf staatskapitalistischer Basis zu industrialisieren. Binnen- und Außenhandel wurden ebenfalls monopolisiert, der ägyptische Markt durch eine protektionistische Zoll- und Handelspolitik abgeschirmt. Die noch gültigen Kapitulationen (Anm. 6) wurden dadurch quasi außer Kraft gesetzt und der Einfluß Europas begrenzt.
Das Ägypten Muhammad Alis (Anm. 7), der Versuch, in einem uralten Kulturland einen modernen Staat zu schaffen, übte auf die "Entwicklungstheoretiker" der damaligen Zeit große Anziehungskraft aus. 1833 trat eine Gruppe französischer Saint-Simonisten (Anm. 8) als Experten in die Dienste des Herrschers und schlug ihm den Bau eines Kanals über den Isthmus von Suez vor (Anm. 9). Muhammad Ali aber lehnte den Bau des Kanals strikt ab, weil er fürchtete, Ägypten könne dadurch in europäische Abhängigkeit geraten, eine Sorge, die sich später bestätigen sollte.
Doch seine Politik der Selbstbehauptung gegenüber der Hohen Pforte und den europäischen Mächten scheiterte auch ohne den Bau des Kanals. Die ägyptische Militär-, Handels- und Wirtschaftsmacht war den Briten ein Dorn im Auge. Unter osmanisch-britischem Druck mußte Muhammad Ali große Teile der eroberten Gebiete räumen, seine Armee drastisch reduzieren und freien Handel zu europäischen Bedingungen zulassen, gemäß dem osmanisch-britischen Handelsvertrag von 1838.
Die erzwungene wirtschaftliche Öffnung hatte fatale Auswirkungen auf den Versuch einer selbstbestimmten ökonomischen Entwicklung (Anm. 10). Um finanzielle Engpässe zu überwinden, leitete Muhammad Ali eine Privatisierung von Grund und Boden ein, die den Kern einer neuen Großgrundbesitzerschicht schuf, die an Staatsfabriken keinerlei Interesse hatte, auf eigene Rechnung landwirtschaftliche Produkte ins Ausland exportieren wollte und auf eine Öffnung des Landes zu dringen begann. Daneben hatte sich eine riesige Bürokratie gebildet, die Zahl der ausländischen Kaufleute war angewachsen.
Der Enkel Muhammad Alis, Abbas I., nach der sechsmonatigen Herrschaft Ibrahims 1849 dessen Nachfolger, versuchte eine gegenläufige Politik. Reaktionär und despotisch, häufig isoliert lebend, versuchte er nicht nur, den Einfluß der Europäer einzudämmen und deren Aufenthalt in Ägypten zu erschweren, er war auch mißtrauisch gegen die wenigen Landsleute, die eine europäische Erziehung genossen hatten. Besonders feindlich war er gegen das von den Franzosen vorgeschlagenen Suezkanal-Projekt eingestellt, unterstützte aber den Bau einer Eisenbahnlinie zwischen Kairo und Alexandrien (1852), die auch von den Briten favorisiert wurde. Alle anderen Reformprojekte vernachlässigte er (Anm. 11)

Saïd Pascha (1854—1863), wieder ein Sohn Muhammad Alis, unterschied sich grundlegend von seinem Vorgänger. Er galt als "exzessiv proeuropäisch", wollte Ägypten in ein europäisches Land verwandeln und strebte nach größerer Unabhängigkeit von der Hohen Pforte sowie nach größerem Einfluß in Afrika (Anm. 12). Unter seiner Herrschaft begann der Ausverkauf des Landes. Saïd Pascha, ein dicker, unpolitischer Mensch, war auf Anordnung seines Vaters von Europäern erzogen worden, unter anderem von Ferdinand de Lesseps, der damals Assistent des französischen Konsuls war. Der zwielichtige de Lesseps übte auf seinen Schützling einen verhängnisvollen Einfluß aus. Saïd Pascha blieb auch als ägyptischer Herrscher dem bewunderten Europäer blind ergeben, der die Freundschaft – und die gemeinsame Vorliebe für Pasta – schamlos für eigene Vorteile und die Interessen Frankreichs ausnutzte. Gleich nach seinem Amtsantritt holte er Ferdinand de Lesseps zurück nach Ägypten. Auf einer gemeinsamen Reise nach Alexandria und Fayoum gelang es Ferdinand de Lesseps, der mit seinen Reitkünsten und Gehabe dem gesamten Gefolge imponierte, innerhalb von fünf Tagen den Pascha von der Notwendigkeit zu überzeugen, den Suezkanal zu bauen und sich ein unvergängliches Denkmal zu setzen (Anm. 13). Das Projekt war de Lesseps durch seine alten Kontakte mit den Saint-Simonisten bekannt.
Ursprünglich war geplant, die Suezkanal-Gesellschaft (Compagnie Universelle du Canal Maritime de Suez) mit europäischem Kapital zu gründen und den Kanal mit europäischen Geldern zu bauen. De Lesseps konnte jedoch in Europa nur gut die Hälfte der Aktien verkaufen. Mit geschickt eingefädelten Betrugsmanövern (Anm. 14) und offizieller französischer Unterstützung gelang es de Lesseps schließlich, Saïd Pascha 44% der Anteile der Gesellschaft aufzubürden und Konzessionsbedingungen auszuhandeln, die schlicht unglaublich waren (Anm. 15).
Der Herrscher verfügte jedoch nicht über das Geld für die Kanalaktien (umgerechnet 3,5 Mill. Pfund), und de Lesseps überredete ihn, den Kauf über Schatzanweisungen zu finanzieren. Diese Dette Flottante wurde zum eigentlichen Finanzproblem Ägyptens, die spektakulären langfristigen Staatsanleihen waren zunächst nur eine Folge davon (Anm. 16).
1856 unterschrieb Saïd die Suezkanal-Konzession und verpflichtete sich unter anderem, der Gesellschaft für den Bau eine große Zahl von Fronarbeitern zur Verfügung zu stellen (Corvée-Arbeiter), Monat für Monat 25.000, der Gesellschaft 60.000 Feddan Land entlang des Wasserweges zu übereignen und einen Süßwasserkanal auf eigene Rechnung zu graben (Anm. 17). Der Bau der Suezkanals wurde 1859 begonnen.

Als Ismaïl Pascha 1863 die Macht übernahm, mußte er die Verpflichtungen aus dem Konzessionsvertrag seines Vorgängers übernehmen. Auf Rat seines Ministers Nubar Pascha versuchte er, die Vertragsbedingungen zu ändern und wurde wiederum von den Europäern betrogen. Es war die Zeit des Baumwollbooms (Anm. 18). Monat für Monat wurden – vertragsgemäß – 25.000 Fellachen zwangsweise von den Feldern geholt und zu Fuß an den Suezkanal geschickt, wo sie unter erbärmlichsten Bedingungen arbeiten mußten. Tausende starben. Ismaïl aber brauchte die Fellachen für die Arbeit auf seinen eigenen Gütern, deshalb suchte er die Corvée zu beenden. Außerdem wollte er die Landkonzession für die Kanalgesellschaft annullieren, die seiner Meinung nach die ägyptische Souveränität unterminierte. Seine berechtigten Forderungen führten zu einer scharfen Auseinandersetzung mit der Compagnie Universelle. Schließlich wurde der französische Kaiser Napoleon III. als Schiedsrichter angerufen. Dessen Spruch verpflichtete Ismaïl 1864, 3,3 Mio. Pfund "Entschädigung" für den Verlust der Arbeitskräfte an die Kanalgesellschaft zu zahlen, in einer Zeit, als der Baumwollboom dem Ende zuging, und die Gesellschaft ohnehin daran dachte, die Menschen durch Maschinenkraft zu ersetzen (Anm. 19).
Trotz der rüden Behandlung durch die Europäer ließ es sich Ismaïl, inzwischen Khedive, nicht nehmen, den Suezkanal 1869 mit großer Pracht und illustren europäischen Gästen einzuweihen. Gast war unter anderem die französische Königin Eugenie, für die eigens ein Palast gebaut worden war (Omar Khayyam, heute Marriott-Hotel). Ismaïl, eitel und selbstsüchtig, wollte Ägypten zu einem Teil Europas machen und wähnte sich auf der gleichen Stufe wie die europäischen Herrscher. "Mein Land liegt nicht länger in Afrika, sondern in Europa." (Anm. 20)

Doch das war eine Illusion. Die europäischen Mächte dachten nicht daran, dem Land Gleichheit und Ebenbürtigkeit zu gewähren, auch wenn es wissenschaftlich-technische Neuerungen, Institutionen und Ideen aus Europa übernahm. Zudem waren die produktiven Investitionen (Suezkanal, Bewässerungskanäle, Brücken, Zuckerfabriken, Hafen und Wasserversorgung in Alexandria, Docks in Suez, Eisenbahnen, Telegraphen, Leuchttürme) für sich genommen nicht geeignet, die Wirtschaftsstruktur grundlegend zu verwandeln. Das blühende kulturelle Leben, das Kairo und Alexandria europäisches Flair verlieh, und die im Osmanischen Reich beispiellose Liberalität existierten nur in den beiden Städten (Anm. 21). Die ehrgeizigen Pläne Ismaïls machten Ägypten zu einem Eldorado für europäische Finanzleute, Unternehmer und Spekulanten (Anm. 22). Der Suezkanal aber wurde deren größtes, erfolg- und folgenreichstes Projekt.
Ein großer Teil der Modernisierungen konnte zwar aus den Staatseinnahmen bestritten werden, sie reichten aber nicht aus, um die riesigen Bestechungsgelder an die Hohe Pforte aufzubringen (insgesamt 10 Mio. Pfund – Anm. 23), um die Dette Flottante abzubauen, die für den Kauf der Suezkanal-Aktien aufgenommen worden war, und um den finanziellen Verpflichtungen nachzukommen, die sich aus dem Schiedsspruch Napoleons ergeben hatten. Insgesamt acht Staatsanleihen (Anm. 24), von denen immer geringere Anteile realisiert werden konnten, hatten die Verschuldung in schwindelnde Höhen getrieben.
Der Suezkanal hatte die ägyptische Staatskasse besonders belastet. Während der Herrschaft Saïds (1854—1863) und Ismaïls (1863—1879) mußte Ägypten 21,5 Mio. Pfund für den Kanalbau bzw. für daraus erwachsene finanzielle Verpflichtungen aufbringen. Die Bilanz der ungleichen Verträge noch einmal in Francs: Das Gründungskapital der Compagnie Universelle hatte 200 Mio. Francs betragen, die Zahlungen Ägyptens an die Kanalgesellschaft waren insgesamt höher als das Gründungskapital, nämlich umgerechnet 202 Mio. Francs (Anm. 25).

Nach der Niederlage Frankreichs 1870/71 hatte sich Ismaïl, was Finanzierungen und Investitionen betraf, verstärkt an die Briten gewandt. Bis dahin hatten die Briten wenig Interesse daran, ihren Einfluß in Ägypten auszubauen, weil sie in der Integrität des Osmanischen Reiches die beste Garantie für ihre Verbindungswege nach Indien sahen. Als Ismaïl 1875 vor finanziellem Ruin stand, bot der britische Premierminister Disraeli dem Khediven an, dessen Kanalaktien für die britische Regierung zu kaufen. Ismaïl erhielt für seine Gesellschaftsanteile, für die sein Vorgänger Saïd Pascha 3,5 Mio. Pfund bezahlt hatte und die die Basis für die ägyptische Staatsverschuldung bildeten, ganze 4 Mio. Pfund.
Aber auch dieser Handel konnte die Katastrophe nicht aufhalten, sondern ermöglichte Großbritannien, nun größter Einzelaktionär der Suezkanal-Gesellschaft, den Zugriff auf das Land. Ägypten wurde nach Aden der erste britische Stützpunkt im Nahen Osten.
In einer Rede vor dem Parlament verteidigte Disraeli die neue britische Politik und den Kauf der Suezkanal-Aktien "als politische Transaktion", "die das Empire stärkt" und den "Verbindungsweg zu unserem indischen Empire und unseren anderen Kolonien sichert" (Anm. 26). Der britische Außenminister Salisbury bekundete zur gleichen Zeit das englische Interesse an einer "neutralen" ägyptischen Regierung, solange der britische Einfluß unangetastet bliebe. Falls das Osmanische Reich zusammenbreche und falls Ägypten unabhängig würde, seien Englands Interesse die Seeküste, die Eisenbahn und die anderen Verbindungslinien über Suez (Anm. 27).
Ismaïl versuchte zwar, mit der britischen Finanzwelt zu einer Übereinkunft zu gelangen. Das gewünschte gentlemen's agreement aber scheiterte. Die englischen und französischen Gläubiger begnügten sich nicht mit der Caisse de la Dette Publique, die den Schuldendienst der auf 91 Mio. Pfund festgesetzten Gesamtschuld abwickeln sollte. Sie wurde der Aufsicht eines französischen und eines britischen Generalkontrolleurs unterstellt (Dual Control). Ägypten war, im Gegensatz zum Osmanischen Reich, für voll zahlungsfähig erklärt worden. Als der Schuldendienst nicht klappte, war das ein Vorwand für die Europäer, auf eine neue Regierung zu drängen, der ein Engländer als Finanzminister und ein Franzose als Minister für öffentliche Arbeiten angehörten (Anm. 28).
Diese europäische Regierung bedeutete eine weitgehende Entmachtung Ismaïls, ließ aber auch die Opposition in Ägypten gegen den Khediven und die europäische Bevormundung anwachsen. Als dieser die Opposition für den eigenen Machterhalt ins Spiel bringen wollte, wurde Ismaïl kurzerhand abgesetzt und sein Sohn Tawfiq auf den Thron gehoben (Anm. 29).
In diesem "Machtvakuum" entwickelte sich von 1880 an unter der Führung Ahmed Urabis eine breite ägyptische Opposition (Anm. 30), die sich gegen die europäische Kontrolle und Expansion in Ägypten und gegen das bisherige Machtmonopol des nichtägyptischen Kerns der herrschenden Schicht wandte. Die Opposition zerbrach, als deutlich wurde, daß die Europäer ihre Ziele mit Gewalt durchzusetzen gedachten. Die so geschwächte Opposition erleichterte es den Briten, die Intervention Ägyptens zu legitimieren, die sie mit der Aufrechterhaltung der rechtmäßigen Ordnung begründeten.

Im September 1882 wurde Ägypten von britischen Truppen (Anm. 31) besetzt, um, wie es hieß, die finanzielle Stabilität wiederherzustellen und den Suezkanal zu schützen. Urabi und seine Anhänger wurden ins Exil verbannt. Zu keiner Zeit indes war die freie Schiffahrt auf dem Suezkanal bedroht gewesen, und auch die Zinsen und Tilgungsraten waren den europäischen Gläubigem pünktlich bezahlt worden, allerdings hatte die Urabi-Regierung ein weiteres administratives und ökonomisches Vordringen der Europäer eindämmen wollen (Anm. 32).
Zu einer erneuten Auseinandersetzung um den Suezkanal kam es, als die Suezkanal-Gesellschaft schon 1909 die Verlängerung ihrer Konzession, die 1968 auslaufen sollte, bis 2008 (!) forderte. Sie bot dafür der ägyptischen Regierung 4 Mio. Pfund und – erstmals – einen jährlichen Anteil an den Profiten. Der finanzielle (britische) Berater schlug der ägyptischen Regierung vor, der Offerte zuzustimmen. Das Angebot scheiterte jedoch in der General Assembly am Widerstand der Nationalisten. Sie sahen darin eine unzumutbare Verlängerung ausländischen Einflusses in ihrem Land (Anm. 33).

Im Dezember 1914, kurz nach Beginn des 1. Weltkrieges, erklärten die Briten Ägypten zu ihrem Protektorat. Vielen Ägyptern erschien das als zwangsläufige kriegsbedingte, jedoch vorübergehende Maßnahme, die Hoffnungen auf Unabhängigkeit nach Kriegsende nährte (Anm. 34). Davon war am Ende des 1. Weltkrieges keine Rede mehr: England und Frankreich hatten den Nahen Osten in Interessenssphären aufgeteilt, die sie möglichst direkt kontrollieren wollten (Anm. 35). Die USA erkannten auf der Pariser Friedenskonferenz das britische Protektorat über Ägypten an.
Wie auch in anderen Ländern des ehemaligen Osmanischen Reiches gewann die Nationalbewegung in Ägypten neue Kraft (Anm. 36). Deren Führer Saad Zaghlul (Anm. 37) war zu keinem Kompromiß mit der Besatzungsmacht bereit. Die britische Regierung mußte angesichts der Unruhen in Ägypten, angesichts der Widerstandsaktionen und des Verhandlungsboykotts der nationalen Bewegung schließlich einlenken.
Am 28. Februar 1922 gab der neue britische Hochkommissar Allenby seine einseitige Declaration of Egypt ab: Nominell wurde Ägypten unabhängiger Staat, die Briten schränkten seine Souveränität jedoch durch wichtige Vorbehalte ein. Sie forderten das Recht, für die Sicherheit ihrer imperialen Verbindungswege zu sorgen, Ägypten zu verteidigen und die ausländischen Minderheiten und Interessen zu schützen. Britische Truppen blieben im Niltal stationiert (Anm. 38).
Auch der ehemalige ägyptische Khedive nutzte die Gelegenheit. Des osmanischen Sultans ledig, erklärte er sich zum König. Die Briten aber hofften, genügend ägyptische Politiker zu finden, die zu einer positiven Zusammenarbeit bereit wären. Die neugewählte Regierung unter Saïd Zaghlul aber lehnte kompromißlos jede Verhandlung über eine vertragliche Regelung auf der Basis der Erklärung Allenbys ab (Anm. 39).
Erst 1936 kam es mit der Wafd-Regierung unter Mustafa an-Nahhas zu einer vertraglichen Regelung (Anm. 40): Die Verfassung von 1923 wurde wieder eingesetzt, die Kapitulationen abgeschafft und die britische Militärpräsenz beschränkt. Ägypten erhielt erstmals 7% des Profites der Suezkanal-Gesellschaft. Der Vertrag blieb jedoch in der Nationalbewegung umstritten, denn eine starke Garnison von Land- und Luftstreitkräften war weiterhin in der Suezkanalzone stationiert, und für den Kriegsfall waren den Briten umfassende Rechte eingeräumt worden (Anm. 41). Im 2. Weltkrieg wurde Ägypten wiederum von britischen Truppen besetzt.

Nach 1945 blieben die Briten im Land. Die ägyptische Regierung forderte, entsprechend dem Abkommen von 1936, den vollständigen Rückzug der britischen Truppen aus den Städten in die Militärbasen am Suezkanal. Der britische Labour-Premier Attlee stimmte angesichts der Unruhen in Ägypten einem solchen Plan für September 1949 zu, gegen den Widerstand der konservativen Oppositionsführer Winston Churchill und Anthony Eden. Beide betonten die Wichtigkeit des Suezkanals als imperial lifeline und sahen bei einem Rückzug ihrer Truppen die vitalen Interessen Großbritanniens und die internationale Sicherheit bedroht (Anm. 42).
Wie auch in anderen Teilen des Nahen Ostens aber war die britische Regierung zu Zugeständnissen gezwungen. 1951 bot sie den Abzug ihrer Truppen aus der Suezkanal-Zone an, falls die ägyptische Regierung zu Verteidigungsvereinbarungen bereit sei. Die ägyptische Regierung lehnte ab.
Die Positionen verhärteten sich. Am 6. Oktober 1951 erklärte das ägyptische Parlament einseitig die Auflösung des Abkommens von 1936. Die nationalen Gefühle schäumten über, und die Zeitungen feierten den Akt als Schlag gegen den britischen Imperialismus. Der Ausnahmezustand wurde verhängt, die Briten verstärkten ihre Truppen in der Kanalzone. Die Wafd-Regierung hingegen erlaubte Muslimbrüdern und Linken, Verteidigungsbataillone zu bilden, die Hilfspolizei erhielt Waffen, Nahrungsmittellieferungen in die Kanalzone wurden blockiert, ägyptische Arbeiter aus der britischen Basis zurückgezogen.
Die Ereignisse spitzten sich zu. Am 25. Januar wurden die Polizei-Kasernen in Ismaïlia, die sich nicht ergeben wollten, von britischen Panzern angegriffen. Fünfzig Polizisten wurden getötet, Hunderte verletzt, am nächsten Tag, dem Schwarzen Samstag, begannen in Kairo schwere Unruhen. In den nächsten sechs Monaten gelang es dem König nicht, eine stabile Regierung zu bilden, er fühlte sich von Verschwörern umgeben. Am 22. Juli putschten die Freien Offiziere (Anm. 43).

Das neue Regime hatte den Abzug der Briten zum obersten Ziel erklärt, die Verhandlungen über die Evakuierung der Kanalzone begannen unverzüglich. Schließlich gingen die Briten auf einen Kompromiß ein (Anm. 44). Im Oktober unterzeichneten sie ein Abkommen mit Nasser, innerhalb von 20 Monaten alle britischen Truppen abzuziehen, mit der Einschränkung, sie wieder ins Land zu bringen, falls ein Staat der Arabischen Liga oder die Türkei von einer äußeren Macht attackiert würden (Anm. 45). Allerdings fehlte es nicht an Kritik im Innern, besonders von seiten der einflußreichen Moslembrüder und der Linken: Nasser habe nur das alte Abkommen von 1936 in neuer Form unterzeichnet, so hieß es.
Damals hatte Nasser seine Macht im Innern noch nicht gefestigt und war keineswegs der unumstrittene arabische Held. Die haschemitischen Königreiche, Saudi-Arabien und Israel akzeptierten die westliche Hegemonie. Eine enge Zusammenarbeit mit dem Westen zu dessen Bedingungen oder gar ein Beitritt zum geplanten Bagdad-Pakt kam für Nasser nicht in Frage. Er wollte die britische Präsenz am Suezkanal herausfordern, das Land reformieren und die führende Rolle im arabischen Raum übernehmen (Anm. 46).
Im Februar 1955 entschloß sich Nasser, nachdem der Irak dem Bagdad-Pakt beigetreten war, und Israel den von Ägypten kontrollierten Gaza-Streifen angegriffen hatte, die Sowjetunion um Waffen zu bitten, die ihm der Westen nicht ohne ein gemeinsames Verteidigungsbündnis liefern wollte (Anm. 47). Die neue Strategie Nassers traf mit dem Höhepunkt der Blockfreien-Bewegung zusammen (Bandung-Konferenz 1955), die Nasser als gleichberechtigten Partner Tschou Enlais, Nehrus und Sukarnos feierte (Anm. 48).
Die Amerikaner betrachteten diese Entwicklung mit Mißtrauen und zogen am 19. Juli 1956 unter demütigenden Bedingungen ihre Finanzierungszusage für den Bau des Assuan-Staudammes zurück. Nasser aber erklärte der staunenden Welt, daß er die Suezkanal-Gesellschaft zu verstaatlichen gedenke. Am 26. Juli, genau vier Jahre, nachdem Faruk ins Exil geschickt worden war, hielt der Präsident in Alexandria vor einer riesigen Menschenmenge eine flammende Rede (Anm. 49). Er kündigte das Ende des britischen Einflusses an. Dann schilderte er die Verhandlungen mit Großbritannien, Amerika und dem Präsidenten der Weltbank, Mr. Black, über die Finanzierung des Assuan-Staudammes: "Ich begann auf Mr. Black zu schauen, der auf einem Stuhl saß, und in meiner Vorstellung sah ich ihn als Ferdinand de Lesseps." (Anm. 50) De Lesseps, das war das Codewort für die ägyptischen Kräfte, die Besitzungen und Einrichtungen der Suezkanal-Gesellschaft in Port Saïd, Ismaïlia und Suez zu übernehmen.
Für Eden, nun Premierminister, war die Nationalisierung der Suezkanal-Gesellschaft schlicht Diebstahl. Eden hatte eine persönliche Abneigung gegen Nasser, den er für einen zweiten Hitler hielt. Seine Überzeugungen verführten ihn dazu, Aktionen zu unternehmen, die sich als katastrophal für seine Karriere und für die britische Position im Nahen Osten erweisen sollten (Anm. 51). Aber auch den Franzosen war Nasser ein Dorn im Auge (Anm. 52). Die Nationalisierung des Kanals lieferte beiden Mächten den Vorwand, seinen Sturz zu versuchen und die britische Position in der Kanalzone wiederzugewinnen. Wie schon während der Urabi-Bewegung hatten die Briten keinen wirklichen Grund für ein militärisches Eingreifen. Der Kanal funktionierte und Ägypten war bereit, der Gesellschaft Entschädigungen zu zahlen. Kompromißangebote der ägyptischen Regierung jedoch wurden von den Briten und Franzosen zurückgewiesen (Anm. 53).
Aber die Konfrontation verlief nicht mehr nur zwischen den alten Kolonialmächten England und Frankreich. Die beiden Großmächte USA und Sowjetunion verfolgten ebenfalls eigene Interessen bei der Schaffung einer Nachkriegsordnung im Nahen Osten. Zudem: Die Nationalisierung der Suezkanal-Gesellschaft und die Bereitschaft Nassers, Israel zu widerstehen und die palästinensische Sache zur ägyptischen zu machen, hatten Nasser die Rolle des arabischen Helden zufallen lassen (Anm. 54). Gleichzeitig aber hatte er damit Israel zum Schicksal seines Landes und seines Lebens gemacht (Anm. 55).
Das Drama nahm seinen Lauf. Israel schloß sich den französisch-britischen Plänen an. Der Zeitpunkt war günstig. Die Weltöffentlichkeit – und die Sowjetunion – waren mit dem Aufstand in Ungarn beschäftigt. Der israelische Ministerpräsident Ben Gurion hatte schon vorher erklärt, daß die größte Gefahr vom ägyptischen Diktator drohe (Anm. 56). Am 29. Oktober 1957 begannen israelische Truppen, den Sinai zu besetzen. Frankreich und England forderten die Suezkanal-Anrainer, Israel und Ägypten, ultimativ auf, die Feindseligkeiten einzustellen, landeten aber selbst in Port Saïd. Zwei Tage später bombardierten sie ägyptische Flughäfen und strategische Einrichtungen. Am 2. November forderte die UN-Generalversammlung einen Waffenstillstand, der von den drei angreifenden Ländern, Großbritannien, Frankreich und Israel zurückgewiesen wurde. Erst als die USA den alten Kolonialmächten deutlich machten, daß sie grundsätzlich gegen den Einsatz von Gewalt in dieser Frage seien (Anm. 57), und die Sowjetunion beiden Ländern drohte, gegebenenfalls gewaltsam einzugreifen, wurden am 7. November die Kämpfe eingestellt. Die britischen und französischen Truppen verließen Ägypten am 22. Dezember 1957. Knapp zwei Wochen später hob die ägyptische Regierung das Abkommen von 1954 über die Suezkanal-Basis der Briten auf (Anm. 58).
Der Kanal aber war durch über 50 gesunkene Schiffe blockiert worden, und erst im April des nächsten Jahres konnte er wieder vollständig für die Schiffahrt genutzt werden. Die Briten mußten fortan ebenfalls Kanalgebühren zahlen, in Pfund Sterling. Für israelische Schiffe hingegen war der Kanal gesperrt (Anm. 59).
Die entschiedene Haltung der USA in dieser Frage lag nicht in freundlichen Gefühlen der nasseristischen Politik gegenüber begründet. Washington wollte eine geordnete Dekolonialisierung und sich nicht an militärischen Abenteuern der alten Kolonialmächte die Finger verbrennen. Mit einer entschiedenen Absage an koloniale Politik, so hofften die USA, würde es leichter sein, die neuen Staaten in das westliche Lager und in die Containmentpolitik gegen die Sowjetunion einzubinden (Anm. 60). Auf diese Weise wollten sie ihre strategischen Interessen im Nahen Osten, vor allem die Erdölversorgung, sichern. Für Nasser dagegen und seine Zeitgenossen erschienen die Ereignisse als großer Sieg. Die frühen Erfolge machten den charismatischen Führer zu einem Gefangenen seiner Politik (Anm. 61). Er ging den Weg der Konfrontation mit Israel und den Weltmächten weiter, ohne zu realisieren, daß die damaligen Erfolge nicht wiederholbar waren. Dieser Weg hatte für Ägypten katastrophale Folgen. Die bevorzugten Bündnispartner der Vereinigten Staaten im Nahen Osten wurden Saudi-Arabien und Israel.

Im Juni 1967 griffen israelische Truppen Syrien, Jordanien und Ägypten überraschend an. Innerhalb von sechs Tagen besetzten sie die Golanhöhen, die Westbank, den Gaza-Streifen und die Sinai-Halbinsel. Das rechte Ufer des Suezkanals war nun von Israel besetzt. Der Suezkanal blieb für acht Jahre für die Weltschiffahrt geschlossen.
Nach der vernichtenden Niederlage von 1967 begann Nasser umzudenken. 1970 stimmte er der Initiative des damaligen amerikanischen Außenministers Rogers zu und stellte zunächst für drei Monate den Abnutzungskrieg am Suezkanal ein (Anm. 62). Nach dem Tode Nassers im gleichen Jahr änderte der neue ägyptische Präsident Sadat dessen Politik grundlegend. Er stützte sich fortan auf die Hilfe der USA, die seiner Meinung nach allein in der Lage waren, Druck auf Israel auszuüben und das Land zu Zugeständnissen zu zwingen. Schon 1971 bot er Israel Frieden an, für die Wiederöffnung des Suezkanals und für einen Teilrückzug israelischer Truppen vom anderen Kanalufer sowie für das Recht, ägyptische Truppen beiderseits des Kanals zu stationieren. Aber selbst der amerikanische Außenminister Rogers konnte die Israelis nicht von der Ernsthaftigkeit des ägyptischen Angebots überzeugen und sie zu Kompromissen bewegen (Anm. 63).
Ein weiterer Nahostkrieg war nötig, um die Friedensverhandlungen in Gang zu bringen. Diesmal überquerten ägyptische Truppen überraschend den Suezkanal und konnten so den Mythos der israelischen Unbesiegbarkeit zerstören. Nach dem Truppenentflechtungs-Abkommen von 1974 und einjährigen Reparaturarbeiten konnte der Suezkanal am 5. Juni 1975 wieder für die Schiffahrt geöffnet werden. Erstmals seit 1957 durften auch israelische Schiffe den Kanal befahren, seit dem Friedensschluß zwischen Ägypten und Israel (Anm. 64) als gleichberechtigte Benutzer (Anm. 65).

Anmerkungen:
    • Anm. 1 
      Necho (um 600 v.Chr., 26. Dynastie) begann den Bau, er wurde von Darius (um 500 v.Chr., 27. Dynastie) vollendet. Vgl. Eberhard Otto, Ägypten, der Weg des Pharaonenreiches, Stuttgart 1979, S. 233/234, S. 241/242.
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    • Anm. 2 
      Vgl. Alain Gresh, Dominique Vidal, A to Z of the Middle East, London 1990. Stichwort: Suezkanal.
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    • Anm. 3 
      Großbritannien begann daraufhin eine aktive Politik im Nahen Osten. Der Kampf um die Aufrechterhaltung des Mächtegleichgewichts in Europa schloß fortan die europäischen Einflußsphären im zerfallenden Osmanischen Reich ein. Vgl. L.Carl Brown, International Politics and the Middle East, Old Rules, Dangerous Game, London 1984.
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    • Anm. 4 
      Der Feldzug war als langdauernde Besetzung gedacht und stand im Kontext der französisch-britischen Auseinandersetzungen (Kontrolle der Verbindungswege nach Indien), diente aber auch den unmittelbaren wirtschaftlichen Interessen Frankreichs (ägyptische Weizenlieferungen und Absatz französischer Produkte). Vgl. Alexander Schölch, Der arabische Osten im neunzehnten Jahrhundert 1800 bis 1914, in: Ulrich Haarmann (Hg.), Geschichte der Arabischen Welt. München 1987.
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    • Anm. 5 
      Unter anderem bis hinauf nach Syrien und Libanon.
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    • Anm. 6 
      D.h. die Rechts-, Handels- und Steuerprivilegien europäischer Kaufleute im Osmanischen Reich.
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    • Anm. 7 
      Er betrachtete im übrigen Ägypten als sein Privateigentum, das möglichst hohen Profit abzuwerfen hatte. Die einheimischen Ägypter waren für ihn nur ein Heer schmutziger Bauern, die als Kanonenfutter und Fronarbeiter gut waren. Vgl. A.Schölch, a.a.O., S. 370.
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    • Anm. 8 
      Die Saint-Simonisten wollten Ägypten zu einem Eckpfeiler ihres industriellen Weltsystems machen und den Orient mit dem Okzident versöhnen.
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    • Anm. 9 
      Vgl. A. Schölch, a.a.O., S. 368.
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    • Anm. 10 
      Das ägyptischen Monopolsystem war schon vorher in eine Krise geraten. Folgende Faktoren hatten dazu beigetragen: die Dezimierung der einheimischen Händler- und Handwerkerschicht; der Zwangscharakter vieler Entwicklungsmaßnahmen, der Bauern zu Revolten und zur Flucht, die Arbeiter zu Sabotage in den Fabriken und zur Selbstverstümmelung trieb; der Mangel an Rohstoffen und eine unzureichende technologische Entwicklung. Vgl. A. Schölch, a.a.O., S. 373/374.
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    • Anm. 11 
      Vgl. P.J.Vatikiotis, The History of Modern Egypt, From Muhammed Ali to Mubarak, London 19914, S. 71—73.
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    • Anm. 12 
      P.J.Vatikiotis, a.a.O., S. 72.
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    • Anm. 13 
      Nach den Memoiren Nubar Paschas, die, 1894 im Exil geschrieben, erst 1983 im Libanon in französischer Sprache erschienen und auszugsweise ins Arabische übersetzt wurden. Nubar Pascha war unter Ismaïl Pascha einer der einflußreichsten und fähigsten Minister und Ministerpräsidenten.
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    • Anm. 14 
      De Lesseps überschrieb dem Pascha einfach die restlichen Anteile an der Gesellschaft, hinterlegte das Schreiben bei dessen Sekretär, informierte seinen "Freund" erst fünfzehn Tage später und erklärte den Vertrag für rechtskräftig. Nach Einschaltung französischer Anwälte mußte Saïd zahlen, und zwar 88 Mio. Francs. Nach den Memoiren Nubar Paschas, der im übrigen de Lesseps für einen Betrüger hielt und weitere Beispiele nennt.
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    • Anm. 15 
      Vgl. A.Schölch, a.a.O., S. 392.
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    • Anm. 16 
      Vgl. A.Schölch, a.a.O., S. 392.
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    • Anm. 17 
      Vgl. P.J.Vatikiotis, a.a.O., S. 84.
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    • Anm. 18 
      Während der amerikanischen Sezessionskriege 1861—1865.
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    • Anm. 19 
      Vgl. P.J.Vatikiotis, a.a.O., S. 84/85, A.Schölch, a.a.O., S. 392.
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    • Anm. 20 
      Vgl. P.J.Vatikiotis, a.a.O., S. 73.
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    • Anm. 21 
      Vgl. A.Schölch, a.a.O., S. 403.
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    • Anm. 22 
      Ein Zeitgenosse schrieb: "Der englische Löwe, der französische Tiger, der ägyptische Ochse, der griechische Schakal, sie alle scheinen für ein Leben in diesem Land unter Ismaïl bestimmt – ein Bacchanal von Verrücktheiten macht Ägypten zu einer Brutstätte für die Parasiten der Zivilisation. Eine Kairener Bürokratie mästet sich an Fellachen und eine ausländische Alexandriner Plutokratie mästet sich wiederum am Khediven." Francis Adams, The New Egypt, London 1893, S. 69, zit. nach Vatikiotis, a.a.O., S. 87.
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    • Anm. 23 
      Mit den riesigen Bestechungsgeldern an die Hohe Pforte versuchte Ismaïl, die von seinem Großvater Muhammad Ali erreichte weitgehende Autonomie Ägyptens innerhalb des Osmanischen Reiches fortzuschreiben und die Erbfolge für seine Söhne zu sichern. 1867 erhielt er zwar vom Sultan den Titel Khedive (Vizekönig), trotzdem zögerte dieser nicht, ihn auf Drängen und Druck der Europäer 1879 vom Thron zu verweisen und ins Exil zu schicken. Vgl. P.J.Vatikiotis, a.a.O., S. 77, A.Schölch, a.a.O., S. 393—395.
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    • Anm. 24 
      Nur der kleinste Teil davon floß in produktive Projekte (Steigerung der Produktivität der Privatgüter Ismaïls, Ausbau des Eisenbahnnetzes, Ankauf der Güter eines exilierten Prinzen). Für den wachsenden Geldbedarf wurde nicht eine verfehlte Politik, sondern wurden Katastrophen und unvorhergesehene Finanzverpflichtungen verantwortlich gemacht (Erneuerung des Viehbestandes nach verheerenden Seuchen, der "Schiedsspruch" Napoleons, Hilfe für verschuldete Großgrundbesitzer nach dem Ende des Baumwollbooms).
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    • Anm. 25 
      Vgl. A.Schölch, a.a.O., S. 392/93.
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    • Anm. 26 
      Disraeli am 21.2.1876, zit. nach: P.J.Vatikiotis, a.a.O., S. 172.
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    • Anm. 27 
      Zit. nach P.J.Vatikiotis, a.a.O., S. 172.
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    • Anm. 28 
      Vgl. A.Schölch, a.a.O., S. 394, Derek Hopwood, Egypt, Politics and Society 1845—90, London 1993, S. 11.
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    • Anm. 29 
      Das Urteil des Vaters über den Sohn: "Kein Kopf, kein Herz, keine Courage." Vgl. A.Schölch, a.a.O., S. 400.
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    • Anm. 30 
      Die Urabi-Bewegung umfaßte folgende Gruppen: einheimische Offiziere, die mit loyalen Anhängern unter den Intellektuellen politische und soziale Reformen forderten, die das Los der Bauern erleichtern sollten; einheimische Großgrundbesitzer und Kaufleute, die an der Macht nach Vorbild der europäischen Bourgeoisie beteiligt werden wollten; Intellektuelle verschiedener Provenienz, muslimische Reformer, konservative Ulama, christliche Journalisten, einheimische Technokraten, die jeweils ihre eigenen ideologischen Konzepte einbrachten. Vgl. A.Schölch, a.a.O., S. 400/404.
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    • Anm. 31 
      Frankreich wir damit beschäftigt, seine Macht im 1881 besetzten Tunesien zu konsolidieren.
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    • Anm. 32 
      Formal blieb Ägypten Bestandteil des Osmanischen Reiches, Repräsentanten der Besatzungsmacht waren der Generalkonsul, die Befehlshaber der Armee und die britischen Berater der ägyptischen Minister. In den folgenden vier Jahrzehnten britischer Herrschaft wurde die ägyptische Wirtschaft in hohem Maße auf die spezifischen Bedürfnisse und Interessen Englands ausgerichtet, Ansätze einer industriellen Produktion stagnierten oder verkümmerten. Vgl. A.Schölch, a.a.O., S. 418/419.
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    • Anm. 33 
      P.J.Vatikiotis, a.a.O., S. 211 u. S. 259. Saad Zaghlul, damals schon Parlamentsmitglied (bis 1914) und Minister (1906—1913), war bis zu seinem Tode 1927 Führer dieser Nationalbewegung.
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    • Anm. 34 
      Die Osmanische Oberhoheit über Ägypten war dadurch aufgehoben, und anläßlich des amerikanischen Kriegsbeitrittes hatte Präsident Wilson als Prinzipien für eine Nachkriegsordnung das Selbstbestimmungsrecht der Völker und eine liberale Handelspolitik der "offenen Tür" aufgestellt. Vgl. Helmut Mejeher, Der arabische Osten im zwanzigsten Jahrhundert 1914—1918, in: U.Haarmann, a.a.O., S. 461.
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    • Anm. 35 
      Die USA hatten die nahöstliche Bühne noch nicht betreten, das bolschewistische Rußland sie nach der Revolution verlassen.
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    • Anm. 36 
      Sie wollte stärker an der Regierung beteiligt werden, richtete sich gegen die imperiale und ökonomische Dominanz der Briten und forderte die Abschaffung der Kapitulationen und wirtschaftliche Unabhängigkeit.
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    • Anm. 37 
      Vgl. H.Mejeher, a.a.O., S. 461. Auf die Geschichte der Nationalbewegung und die Rolle Saad Zaghluls kann in diesem Zusammenhang nicht näher eingegangen werden.
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    • Anm. 38 
      Vgl. H.Mejeher, a.a.O., S. 464.
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    • Anm. 39 
      Saad Zaghlul forderte die bedingungslose Streichung des Vier-Punkte-Vorbehalts und erklärte die politische Einheit des Niltals für unverzichtbar. Vgl. H.Mejeher, a.a.O., S. 464—466.
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    • Anm. 40 
      Der Vertrag war nicht Folge des Verhandlungsgeschicks der damaligen ägyptischen Regierung, unter veränderten außen- und innenpolitischen Bedingungen waren die Briten zu Zugeständnissen bereit. Vgl. H.Mejeher, a.a.O., S. 467.
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    • Anm. 41 
      Die diese auch während des 2. Weltkrieges – durchaus mit dramatischen Effekten – nutzten: Im Februar 1942 zwang der britische Botschafter den ägyptischen König Faruk mit vorgehaltener Pistole, den achsenfreundlichen Premier Ali Mahir abzusetzen und Mustafa an-Nahhas erneut zu ernennen. Vgl. H.Mejeher, a.a.O., S. 367.
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    • Anm. 42 
      Vgl. D.Hopwood, a.a.O., S. 26.
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    • Anm. 43 
      Vgl. D.Hopwood, a.a.O., S. 30—32.
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    • Anm. 44 
      Im September erklärte die britische Regierung, es gäbe keine strategische Alternative zur Aufrechterhaltung der Militärbasis in der Kanalzone. Der britische Außenminister Eden schrieb an Churchill: "Wenn wir die Kanalzone evakuieren, bevor wir ein Nahost-Verteidigungsbündnis schaffen, würden wir uns selbst ägyptischer Erpressung ausliefern." Mit solchem Denken waren die nationalen Bestrebungen der Freien Offiziere natürlich nicht zu vereinbaren. Vgl. D.Hopwood, a.a.O., S. 38/39.
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    • Anm. 45 
      Nasser nannte das Abkommen "die größte einzelne Errungenschaft in Ägyptens nationalen Bestrebungen bis heute. Wir wollen den Haß in unseren Herzen loswerden und beginnen, unsere Beziehungen mit Großbritannien auf eine solide Basis des gegenseitigen Vertrauens zu stellen, die in den letzten 70 Jahren gefehlt hat." Diese Hoffnungen sollten in weniger als zwei Jahren zunichte gemacht werden. Zit. nach: D.Hopwood, a.a.O., S. 41.
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    • Anm. 46 
      "Diese Rolle schien mir", so schreibt er in Philosophie der Revolution, "auf der Suche nach einem Helden durch den Nahen Osten zu wandern." Vgl. L.C.Brown, a.a.O. (Seitenangabe fehlt, Anführungszeichen ergänzt –Anm. KFN).
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    • Anm. 47 
      Mit den Waffenlieferungen an Ägypten – zunächst via Tschechoslowakei – betrat die Sowjetunion unter Chruschtschow die nahöstliche Bühne. Sorgsam hatten die drei westlichen Siegermächte das zu verhindern versucht. Der Nahe Osten war in Jalta kein Tagesordnungspunkt gewesen.
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    • Anm. 48 
      Vgl. L.C.Brown, a.a.O., S. 164/165.
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    • Anm. 49 
      Und zwar auf dem Platz, auf dem 20 Monate vorher gegen ihn ein Attentatsversuch von den Moslembrüdern unternommen worden war.
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    • Anm. 50 
      Zit. nach: D.Hopwood, a.a.O., S. 48.
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    • Anm. 51 
      Vgl. D.Hopwood, a.a.O., S. 49.
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    • Anm. 52 
      Nasser unterstützte die Befreiungsbewegung in Algerien.
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    • Anm. 53 
      Die drei Westmächte einigten sich auf eine Konferenz der Kanalbenutzer und luden Nasser, ohne den Versuch direkter Verhandlungen, zu dieser Konferenz ein. Nasser war zunächst bereit, teilzunehmen; doch als er vom Angriff Edens im Fernsehen erfuhr: "...unsere Auseinandersetzung ist nicht mit Ägypten, noch weniger mit der arabischen Welt; sie ist mit Colonel Nasser allein..." weigerte er sich daraufhin, an der Konferenz teilzunehmen, die Konferenz fand ohne die wichtigste Person statt. Zit. nach: D.Hopwood, a.a.O., S. 49.
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    • Anm. 54 
      Vgl. L.C.Brown, a.a.O., S. 165.
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    • Anm. 55 
      Vgl. H.Mejeher. a.a.O., S. 483.
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    • Anm. 56 
      Vgl. D.Hopwood, a.a.O., S. 52.
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    • Anm. 57 
      Die USA, insbesondere der damalige Außenminister John Foster Dulles, wollten sich von der Kolonialpolitik alten Stils absetzen. Sie fürchteten, eine offene Unterstützung Israels könne die arabischen Staaten verprellen, die wegen der Erdölversorgung für die USA von strategischer Bedeutung waren.
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    • Anm. 58 
      Vgl. P.J.Vatikiotis, a.a.O., S. 393/394.
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    • Anm. 59 
      Vgl. D.Hopwood, a.a.O., S. 56. Der israelische Rückzug vom Sinai gestaltete sich schwieriger. Nur auf großen Druck der USA räumten sie bis zum März die besetzten Gebiete vollständig.
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    • Anm. 60 
      Als die Entwicklung im Nahen Osten sich allerdings nicht kontrollieren ließ, antworteten die USA mit der Eisenhower-Doktrin und ließen 1958 Kriegsschiffe vor der libanesischen Küste kreuzen.
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    • Anm. 61 
      Vgl. L.C.Brown, a.a.O., S. 177.
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    • Anm. 62 
      Dieser Krieg wurde mit einem hohen Einsatz an Menschen und Material wenig gewinnbringend geführt.
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    • Anm. 63 
      Vgl. D.Hopwood, a.a.O., S. 106/107.
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    • Anm. 64 
      Der spektakuläre Auftritt des ägyptischen Präsidenten im November 1977 vor der israelischen Knesseth leitete die Friedensverhandlungen ein, die allerdings nur durch großen amerikanischen Druck auf den israelischen Partner und mit großen finanziellen jährlichen Zuwendungen an beide Kontrahenten zu einem erfolgreichen Abschluß gebracht werden konnten.
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    • Anm. 65 
      Vgl. A.Gresh, a.a.O. (ohne Seitenangabe –Anm. KFN)
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Kaiser-Reise nach dem Oriente
von Dr. Beda Dudik – Wien 1870

bearbeitet von Rudolf Agstner

Papyrus-Logo Nr. 11—12/94, pp. 23—28

"Eröffnung des Suez-Kanals"

Montag, 15. November

Der "Greif" hatte eine ganz gute Fahrt gehabt. Nachdem er um 2 Uhr bei Jaffa flott wurde ... liessen, je weiter er sich von der syrischen Küste entfernte, desto mehr Wind und Seegang nach, so dass er am 15. Morgens um 9 Uhr beim schönsten Wetter in Port-Said gelandet werden konnte. Der "Greif" benötigte hiezu 18½ Stunden Fahrzeit.
Ich war leider nicht Zeuge des Empfanges, ... gebe daher die Beschreibung desselben, wie ich sie ... in der Wiener Zeitung vom 28. November lese.

"Heute Früh", so heisst es darin, ... "bald nach Sonnenaufgang, wurde in Port-Said ein Kriegsschiff, das den Kurs von der syrischen Küste hielt, signalisirt. Die freudige Vermutung, daß sich Se. Majestät der Kaiser an Bord desselben befinde, war kaum zur Gewissheit geworden, als sich im Hafen das regste Leben entwickelte. Im Nu waren alle Schiffe reich bewimpelt und hissten die östereichische Fahne am Hauptmaste auf. Die Matrosen kletterten die Raaen hinan, die Feuerschlünde donnerten ihren Salut, dass eine Rauchwolke das schöne Bild dem Blicke entzog. Der k.k. Botschafter, Feldzeugmeister Freiherr von Prokesch-Osten, welcher den 14. auf dem Vulcan anlangte ... fuhr in einem Boote dem kaiserlichen Schiffe – es war der 'Greif' – entgegen, das langsam und feierlich die Well durchschnitt. Am Bord des französischen Linienschiffes 'Themis' wurde die österreichische Volkshymne intonirt, und brausendes 'Vive l'Empereur! ' ertönte von allen Raaen, während auf dem Quai eine dichte Menge von Zuschauern durch Hüteschwenken ihrer Sympathie Ausdruck gab.
Mit dem 'Partant pour la Syrie' erwiederte die Musik-Kapelle des 'Greif' diese Begrüssung, die sich von allen anderen Schiffen aus wiederholte. ... Während der Einfahrt in den Hafen stand Se. Majestät in der großen Marschalls-Uniform ... am Deck. Hier empfing der Kaiser den Herrn Botschafter und das k. und k. Consular-Corps. Der 'Greif' lavirte mit graciöser Wendung, und legte sich am südöstlichen Ende des Bassin Ismail an der Seite der viceköniglichen Yacht 'Mahroussa' vor Anker. Unmittelbar, nachdem der Anker geworfen war, kam Se. Hoheit der Vice-König mit großer Suite, worunter Scherif Pascha, Conseil-Präsident und Minister des Innern und des öffentlichen Unterrichtes, und Nubar Pascha, Minister des Äußeren die von nun an dem Kaiser zugeteilt blieben, an Bord des 'Greif', um Seine Majestät den Kaiser zu bewillkommen. Se. Hoheit der Prinz der Niederlande folgte. Beide Besuche wurden von Sr. Majestät alsbald erwiedert....
Später nahm der Kaiser die Aufwartung des Herrn von Lesseps und der Direction des österreichischen Lloyd ... entgegen. Sodann wurde die Deputation der österreichischen Colonie in Alexandria empfangen, welche ankam, um Sr. Majestät für den telegraphisch allergnädigst zugesagten Besuch des von ihr zu veranstaltenden Ballfestes ehrfurchtsvoll zu danken, und die Bestimmung des Tages für das Fest entgegenzunehmen. Se. Majestät liess sich die Deputations-Mitglieder durch den General-Consul, Freiherrn von Schreiner, vorstellen. ... Bei diesem Anlasse wurde bekannt, daß der Kaiser jeden Österreicher, der sich hier befindet, zu empfangen bereit sei, von welcher gnädigen Äusserung das stattliche Häuflein hier weilender Landeskinder mit begreiflicher Freude Kenntniss nahm. Nach Empfang der Commerz-Deputation zog sich Se. Majestät für den Rest des Tages zurück."

Dienstag, 16. November

"... Am 'Greif' war es lebendig. Besuche kamen und gingen, obwohl es noch ziemlich frühe war. Gegen 9 Uhr kündigten Kanonen das Einlaufen der Kaiserin von Frankreich an, die den Tag vorher aus Alexandria gekommen war, und die Nacht auf ihrem der ausgesuchten Pracht wegen schon oft besprochenen 'Aigle' zugebracht hatte. Sie stand in einem am Radkasten angebrachten Pavillon im weissen Morgenkleide, mit einem blauen grossen Schleier am Hute, als sie uns in Sicht kam ... Se. Majestät gab den Befehl, um 12 Uhr der Kaiserin in voller Parade einen Besuch auf ihrem Schiffe abzustatten. Kaum von dem 'Aigle' zurückgekehrt, wurde Abd-el-Kader angesagt. ... Ich gestehe, dass ich ungemein gespannt war, den grossen Araber-Häuptling, welcher durch 16 Jahre gegen die Übermacht der Franzosen so siegreich gekämpft hatte, ... zu sehen. Im schneeweissen Burnus, mit ähnlicher Kopfhülle und gelben Pabutschen erschien dieser ehemals so gefürchtete Häuptling würdevoll. ... Sein ruhiges, melancholisches ziemlich weisses Gesicht umrahmt trotz der 62 Jahre, welche auf den Schultern des Emirs lasten, ein schwarzer, kurz gehaltener Vollbart. ... Der Grosskreuz der Ehrenlegion mit dem rothen, und, wenn ich nicht irre, jenes des Stephans-Ordens am grünen Band, störte ungemein die poetische Erscheinung dieses seinen heimischen Sitten und seiner Tracht treu gebliebenen Patriarchen der Wüste. Die modernen Ordens-Decorationen verhalten sich zum Beduinenkleide wie ein Beduinenlager zur Wiener Ringstrasse. ... Nicht fünf Minuten dauerte es, da ward der Besuch der Kaiserin angesagt. Sie erschien auf einer gedeckten, weiss lackirten Barke, begleitet von zwei Damen. ... Der Besuch dauerte etwa 10 Minuten, worauf die vornehme Gesellschaft unter der französischen Volkshymne, die unsere Musik spielte, dem Kronprinzen von Preussen, welcher vor Abd-el-Kader auf dem 'Greif' anwesend war, auf dessen Yacht 'Hertha' einen Besuch abstattete.

Gegen 3 Uhr sollte die Weihe des Suez-Canals vor sich gehen. So ziemlich am nördlichen Ende der Mündung des Canalhafens, dessen langgestreckter Quai den Namen 'Franz Joseph' erhielt, standen die Capellen-Zelte: das türkische weiss und grün, heraldisch rechts, das katholische links. Das letztere ruhte auf vier mit dem Halbmonde gezierten Säulen. ... Ein Crucifix ragte aus der Mitte des ziemlich hoch gestellten Altars, dessen Hintergrund das an diesem herrlichen, sonnigen Tage spiegelglatte Meer bildete. Der Totaleindruck des auf mehreren Stufen ausgerichteten Capellen-Zeltes war ein äusserst würdevoller, noch dadurch gehoben, dass an der Frontseite zwischen den Fahnen aller Nationen ein riesiger Schild mit dem Wappen von Jerusalem prangte.
Ein zahlreicher Clerus, an dessen Spitze der Pontificat, Monsignore Ciurcia, apostolischer Vicar für Ägypten, umgab den Altar und den Festredner, den in Wien wegen seiner gediegenen Kanzelvorträge und der Liebenswürdigkeit im Umgange wegen vorteilhaft bekannten Convertiten, nunmehrigen apostolischen Proto-Nuntius, Monsignore Bauer.
Mit weithin hörbarer Stimme sprach der begeisterte Redner von den Wundern der christlichen Civilisation, und in einer gelungenen Apostrophe an den Vice-König, an die anwesende Kaiserin und an den Kaiser und apostolischen König, von den Mitteln, die zur christlichen Civilisation führen müssen. ... Zum Schlusse erinnerte der Redner noch an die während dieses Unternehmens hier Verstorbenen, und indem er Sr. Majestät dem Kaiser für das diesem grossen Unternehmen durch seine Gegenwart abgelegte Zeugnis einer ganz besonderen Sympathie dankte, bat er für Ihn, für sein Haus und das Reich um den Segen jenes Gottes, den der Kaiser eben in Jerusalem in Demut angebetet hatte.
Kanonen-Salven und Musik der aufgestellten Zuaven bezeichneten den Schluss der Rede, welche eine halbe Stunde gedauert, und einen guten, tiefgehenden Eindruck bei allen Confessionen hervorgebracht hatte.
Der Vice-König und seine beiden Söhne wohnten der Feierlichkeit, die mit dem Te Deum und der üblichen Benediction schloss, in einem eleganten Kiosk bei. Dort war auch die Kaiserin ... diesmal mit vier Damen, ihr zur Rechten der Kaiser, zur Linken der Kronprinz von Preussen, dann der Prinz der Niederlande, der Prinz von Hessen und Prinz Murat. In zweiter Reihe sassen Abd-el-Kader, unsere Herren Minister und die bei der Pforte accreditirten Botschafter von Russland, England und Österreich, dann der Staatsrath von Braun, Sections-Chef von Hofmann und noch einige europäisch gekleidete Damen, darunter die Prinzessin Louise der Niederlande.
Für das größere Publicum waren die Seitentheile dieses offenen Pavillons bestimmt, welcher statt des Wappens mit einem Schilde, worin zwei kreuzweise gelegte Anker in gelbem Felde lagen, geziert war.
Die Gegend, wo diese drei Pavillons standen, ist trostlos. So weit nur das Auge reicht, nichts als feiner Flugsand, in welchem man bei jedem Tritte bis über die Knöchel einsinkt. Dabei ausgedehnte Sümpfe, durch welche jetzt eine Art von Damm gemacht und mit Brettern belegt wurde, um nur zum Festplatze gelangen zu können. Dies war auch der Weg, den der Kaiser in Marschalls-Uniform und mit dem Grosskreuze des Osmanie-Ordens, die Kaiserin im Arme führend, durchschritt. Eine riesige österreichisch-ungarische Fahne wurde ihm von seinen Untertanen, die hier beim Baue beschäftigt sind, vorgetragen.
Längs dieses Brettweges stehen an einer Stelle hölzerne Häuser für die Beamten dieses Riesen-Unternehmens, dessen Seele, Lesseps, im Pavillon in der Nähe unseres Kaisers gestanden hatte. So mochten die grossen Städte Amerikas begonnen haben, dachte ich mir, als ich da vorüberging.
Das gut aussehende ägyptische Militär bildete zwischen Flaggenstangen Hecke, und Abends eine Lampionkette gleichsam den Wegweiser, damit die anwesende Fremdenmenge den Weg nicht verfehle. Port-Said ist ja erst im Werden und zählt doch schon an 12 000 Einwohner.
Alle seefahrenden europäischen Nationen, mit alleiniger Ausnahme der Türkei, waren beim Feste vertreten. Um 4 Uhr hatte die etwas gedehnte, aber vom schönsten Wetter begleitete Festlichkeit ihr Ende erreicht.
Herrn von Lesseps wurde an diesem Tage die Ehre zu Theil, zur Tafel Sr. Majestät am 'Greif' gezogen und auf das Huldvollste ausgezeichnet zu werden. Später erhielt Lesseps das Großkreuz des Leopold-Ordens.
Abends Beleuchtung der Stadt und der zahlreichen Schiffe im Hafen, die alle in der großen Flaggengala erglänzten."

Mittwoch, 17. November

"... begann die feierliche Fahrt durch den Canal. Alle Schiffe, welche sich an der Fahrt betheiligen wollten – es waren ihrer an 36 –, erhielten eine fortlaufende Nummer, und wurden in vier Gruppen getheilt. In die erste Gruppe nahm man die Yachten mit den Majestäten, den Prinzen, Botschaftern und Ministern, in die zweite alle die anwesenden Kriegsschiffe, in die dritte die Privat-Dampfer mit den geladenen Gästen und in die vierte die Handelsschiffe, welche des Festes wegen eine unentgeltliche Passage erhielten. Sr. Majestät Yacht 'Greif' hatte Nr. 2. Sein Vordermann war die Yacht Ihrer Majestät der Kaiserin.
Um 9 Uhr Vormittags begann die Einfahrt in den Canal, dessen Mündung in den Hafen durch zwei Holzobeliske markirt ist. Der Canal läuft ... in ununterbrochener gerader Richtung, und immer 100 Meter breit, bis hinter Kantara. ... Von Kantara bis El-Ferdane vom 50. bis 65. Kilometer ist der Canal viermal gebrochen, und da er bei El-Ferdane von 100 Meter auf 56 Meter zusammenschrumpft, glauben die Sachkundigen, daß hier derselbe einer wesentlichen Abänderung bedürfe. ...
Als wir in Port-Said ausliefen, war das Wetter klar, aber nicht übermässig warm. Die Yacht der Kaiserin eröffnete, wie schon gesagt, den Zug. Auf ihrem Bord befand sich M. Lesseps. Der Vice-König war schon am Abende des 16. auf seiner Corvette 'Latir' vorausgeeilt, um in Ismailia – denn dahin ging die Festflotte – die allerhöchsten Gäste zu empfangen. Wir verliessen erst um halb zehn Uhr Port-Said. Am Bord des 'Greif' befand sich der erste Ingenieur und zugleich Director der Arbeiten am Suez-Canal, M. Voisin-Bey. Auf der Brücke, von welcher Se. Majestät während der Durchfahrt kaum abstieg, lag ein Plan im grossen Massstabe zur Orientirung. Der Botschafter, Baron von Prokesch, und der österreichische General-Consul aus Alexandrien, Baron von Schreiner, leisteten Gesellschaft.
Als Laie und Tourist kenne ich keine langweiligere Fahrt, als die auf dem Canale von Suez. Man hatte am heutigen Tage seine beste Seite hervorgekehrt, und doch mussten wir, um nicht aufzufahren, mit der grössten Langsamkeit vorwärtsgehen. Wir legten kaum drei Seemeilen in der Stunde zurück ! kamen allerdings glücklich durch, aber nicht die uns nachfolgende 'Elisabeth'; sie fuhr einige Male auf, und musste viel Kraft und Geduld anwenden, um wieder flott zu werden. Die Ursache mochte wohl in örtlichen, kaum vorauszusehenden Verhältnissen liegen.
Allerdings stehen gar viele riesige Bagger-Maschinen, etwa 10 der grössten Gattung und 30 kleinere nebst 12 Elevatoren im Canale, doch wie wollten sie gegen das hiesige Terrain den Sieg davontragen? Der Canal ist, wenigstens bis Ismailia, also in einer Ausdehnung von 10½ deutschen Meilen, seinem bei weitem grösseren Theile nach im Flugsande gebaut. Hohe Ufer dieses fahlgelben, dem Auge wehthuenden Materials dehnen sich längs des Canals aus und benehmen dem flachgehenden Schiffe jegliche Aussicht. ... So weit das selbst mit einem guten Fernrohre bewaffnete Auge reicht, erblickt man nichts als Sand oder langgestreckte Pfützen. Hie und da wächst in dem Sande eine Art von Binse, nach der nicht einmal das Kameel greift, das doch den stacheligen Feigencactus mit Wohlbehagen verzehrt. Lebendiger ist es in den grossen Wassersümpfen, die man für Meere halten könnte. Von der Haltstation Kantara sahen wir in dem See Menzaleh Tausende von Flamingos, die wie eine weisse Armee in Reih und Glied dahinschwammen, und flogen sie auf, dann bildete ihr rosenrothes Halsgefieder ein das Auge überraschendes Prachtsegel.
Diese scheuen Vögel boten die einzige Abwechslung in der sandigen Monotonie, denn die Anfänge der Haltstationen, wie z.B. Ras-el-Ech (Vorgebirge des Brotes) und Kantara hinterlassen, statt zu erfreuen, einen der düstersten Eindrücke. Da stehen in diesem Sandmeere einige elende Holzhütten – in Kantara ein einziges gut aussehendes Haus, trotzdem dass Kantara eine alte Karawanen-Station ist – und die schwarzen grossen Maschinen, sie bilden den grossen Contrast und sagen, dass sie Zweck sind, während alles Andere nur Mittel ist. Und in der That, die Männer, die man hie und da sah, sie erinnern an die alte Pharaonenzeit, als die Pyramiden gebaut wurden. Es sind durchgängig Ausländer, namentlich Dalmatiner, die hier arbeiten, ohne Schule und ohne Kirche. Allerdings ist in Ismailia eine katholische Kirche und Schule, doch wo liegt Ismailia und wo Ras-el-Ech!
In der Nähe von Ismailia, bei El-Ferdane in den Lagunen des Sees Balla, und bei dem ziemlich bedeutenden Dorfe, El-Gisr, waren beflaggte Pavillons aufgestellt, und bei denselben etwa hundert gutgekleidete Herren und Damen versammelt. Man sah es dem Häuflein an, dass es dahin commandirt wurde, um, wie einst bei der Kaiserin Katharina, eine Fata morgana der Civilisation hervorzuzaubern. Bei Kantara salutirte den 'Aigle' und unseren 'Greif' die ägyptische Corvette 'Latif' mit Kanonen-Salven. Um 5½ Uhr nachmittags warf der 'Greif' im See Timsah, an welchem Ismailia liegt, ... die Anker aus. Die im Hafen stationirten drei ägyptischen Schiffe gaben mit den Landbatterien den üblichen Salut. Der Vice-König hat ja ein ganzes Regiment Artillerie nach Ismailia beordert. ...
Bei einbrechender Nacht illuminirte Ismailia, diese Wunderschöpfung mitten in der Wüste; auch die nach und nach angelangten Schiffe der ersten Gruppe – die anderen übernachteten im Canale – liessen Raketen und unterschiedliche Feuerkörper steigen. Aus der Ferne hörten wir Musik, Trommeln und Pfeifen, denn in Ismailia war ein Volksfest. Noch spät Abends ging der Kaiser, und in seinem Gefolge alle die Herren Officiere des 'Greif' aufs Land, um demselben zuzusehen. ..."

Donnerstag, 18. November

"... erschien schon um 10 Uhr der Vice-König ohne jegliches Ceremoniel am Bord des 'Greif'. Es wurde auf 2 Uhr Nachmittags eine Fahrt durch Ismailia verabredet. Zuvor jedoch empfing noch der Kaiser die österreichische Colonie von Ismailia, deren Repräsentanten Ihm von dem Consular-Agenten Bader vorgestellt wurden. Darauf fuhren der Kaiser und die Herren vom 'Greif' und der 'Elisabeth', welche eben anlangte und an unserer Seite vor Anker kam, zur festgesetzten Stunde mit Ruderbarken und den hier üblichen kleinen Schrauben-Dampfern zu dem mit einer Triumph-Pforte reich geschmückten Landungsplatze, wo bereits die Kaiserin von Frankreich anwesend war.
Ein Pariser offener Wagen, bespannt mit vier Prachtfüchsen und bedient mit Jockeys nach englischer Art, nahm die Kaiserin und den Kaiser auf. ...
Die französische und österreichische Suite bestieg mehrere bereit stehende, theils dem Vice-König gehörige, theils auch gemietete europäische Wagen, und nun ging es bis El-Gisr auf der gut gebahnten Strasse zwischen einem Militär-Spalier in das Innere der Stadt, die fächerartig von dem Canale des Süsswassers sich ausbreiten soll. Noch im Jahre 1862 waren in dieser Sandwüste nur Zelte; jetzt zählt die Stadt 4500 Einwohner, worunter 3000 Europäer und darunter wieder 800 Österreicher. Kein Wunder daher, dass die Häuser europäischen Comfort, und was mich besonders Wunder nahm, ganz hübsche Vorgärten aufweisen. Palmen, Bananen, Zuckerrohr, Rhicinus, Bambus, blutrothe, riesig blühende Euphorbien und ein mir unbekanntes hohes Schilf mit reiherähnlichen weissen Blütenbüscheln ragen über die zierlichen Gitter hervor, und fächeln dem Hause Kühlung zu. Der hiesige Sand lässt sich nämlich durch häufiges Giessen mit Süsswasser binden, und so der Cultur zuführen. Der Palast des Vice-Königs im westlichen Theile der Stadt ist neben der katholischen Kirche das schönste Gebäude. Auch das Werkhaus ist gut und solide gebaut.
Da der grössere Theil der Bewohner dieser nach Nationalitäten getheilten Stadt der katholischen Religion angehört, wurde durch Lesseps Zuthun eine ansehnliche katholische Kirche aufgeführt und mit allem Nothwendigen hinreichend versehen. Sie steht unter dem General-Vicariate von Alexandria und geniesst jegliche bürgerliche Freiheit. Auch eine Schule mit französischer Unterrichtssprache wurde bei derselben eröffnet. Barmherzige Schwestern, welche im ganzen Oriente in grosser Achtung stehen, besorgen ein eben errichtetes Spital, und denken schon wieder an die Errichtung einer Mädchenschule und eines Waisenhauses. Man merkt selbst auf der Strasse den französischen Einfluss. Frankreichs Sprache ist, so zu sagen, die allgemeine in der Stadt und Umgebung, trotzdem dass, wie bemerkt, an 800 Österreicher, meist Dalmatiner, in der Stadt und bei 2000 im Bezirke von Ismailia leben. Die grösseren Bauten, wie am Canal so an der Eisenbahn, werden nur von Europäern geleitet. Auch die Beamten sind Europäer. Die Wohnhäuser, mit der Fronte nach Süden, und somit gegen den Süsswasser-Canal, sind blos Holzbauten im Style unserer Schweizerhäuser, wenn nicht blos ebenerdig, so doch nie höher als ein Stockwerk. Bunte Farben und allerlei Schnitzwerk verkleiden sie. ...
Abends nach 10 Uhr veranstaltete der Vice-König in seinem, mit einem Vorgarten gezierten Palaste einen Ball nach europäischer Art. Bei Beleuchtung kann sich Ismailia's Treiben vielleicht poetischer gestalten, hat doch der Orient das Eigenthümliche, dass er nur in der Vogelperspective und nach Sonnenuntergang betrachtet sein will. Man muss hier die Totalität, nie aber das Detail aufzufassen streben. ...
Um 11 Uhr Nachts hiess es, dass sich die Kaiserin von Frankreich bereits zum Balle von ihrer Yacht verfügt habe. Dies war das Signal auch für den 'Greif'. Se. Majestät im Civil-Anzuge folgte mit seiner Suite nach, und blieb bis nach ein Uhr im Palaste des Vice-Königs.
In einem mit lebenden Blumen verzierten Saale wurde, wie es auf dem in ungewöhnlicher Grösse gedruckten Menu heisst, das 'Grand Soupee', bestehend aus 23 Gängen, auf mehreren Tafeln aufgetragen. ...
Die Kaiserin hatte den Ehrenplatz, ihr zur Rechten sass der Kaiser, zur Linken der Khedive. An 60 Gedecke mochte der Ehrentisch getragen haben. Zum Balle sollen an 2000 Personen erschienen sein – eine echte Musterkarte civilisirter und uncivilisirter Völkerschaften. ...
In den etwas abgelegneren Theilen des Lagers da geht es freilich bunter zu. Hier tanzen Jünglinge von 12 bis 15 Jahren bei den scharfen Tönen der Darabuka und der Rohrpfeife, dort noch jüngere Mädchen, die mit Glöckchen ihre Schritte und Sprünge, ihr Zittern und Niederknien begleiten. Doch, solche Tänze und die sie begleitenden Gesänge haben kein Bürgerrecht, sie gehören eben zur Hefe. ...
Das freundliche, aus einem Stockwerk bestehende hölzerne Haus des Schöpfers des Canals, de Lesseps, liegt an der rechten Ecke zur Avenue, die, wie ein großer Quai in Port-Said, den Namen Seiner kaiserlichen und königlichen apostolischen Majestät trägt. ...
Durch eine Veranda, zu der man drei Stufen hinaufsteigt, und die, um vom Winde geschützt zu sein, zwischen zwei Vorsprüngen des Hauses steht, tritt man in ein geräumiges, luftiges, durch hohe Fenster erleuchtetes Gemach, das Empfangszimmer des Herrn Lesseps. ...
... War der Abend des 17. November durch die herrliche Luft und die Lichtreihen längs des Quais und die nach allen Seiten abgebrannten Feuerwerkskörper zauberhaft, so wurde er heute, den 18. bezaubernd. Vor Ismailia lagen bereits 49 Schiffe und die alle hatten beleuchtet. Mir kommt so ein beleuchtetes Schiff wie ein vorweltlicher Johanniskäfer vor, wenn er in lauer Juni-Nacht die grünen Matten einer Prairie durchschwirrt. Je nach der Wendung ist sein Lichteffect und der Wiederschein im Wasser ein verschiedener. Bis tief in die Nacht stand ich am Verdecke. "

Freitag, 19. November

"Den Namenstag unserer geliebten Kaiserin und Königin, Elisabeth, feierten wir am Freitage den 19. November noch in Ismailia. Am Bord wohnte der Kaiser einer heiligen Messe bei und empfing dann die Glückwünsche für die Kaiserin von unseren Ministern, die von der 'Elisabeth' auf den 'Greif' gekommen waren. Da die Abfahrt erst nach 12 Uhr, und zwar für heute nur bis in die Bitterseen, erfolgen sollte, liess sich Se. Majestät mit dem Fürsten Hohenlohe und dem Grafen Bellegarde noch an's Land rudern, und kehrte unmittelbar vor Ankerlichtung zurück.
Nach 12 Uhr verliessen die vor Ismailia ankernden Schiffe in derselben Ordnung den Hafen, in welcher sie eingelaufen waren. Der 'Greif' folgte wieder dem 'Aigle' nach, berührte die Haltstationen Tussum und Serapeum, die wegen der Nähe des Süsswasser-Canals und der von Alexandria über Cairo bei Ismailia vorüber nach Suez gehenden Eisenbahn schon mehr Abwechslung darboten und ging um 4½ Uhr Nachmittags beim Süd-Leuchtthurme der Bitterseen vor Anker, legte demnach in 4 Stunden blos 40 Kilometer zurück, Beweis genug, wie vorsichtig wir fahren mussten.
Kaum hatten wir Anker geworfen und zu dinieren angefangen, wurde der Besuch des Kronprinzen von Preussen angesagt. Nach dem Diner erwiederte der Kaiser denselben, und besuchte auch den 'Aigle', den Abends die Kaiserin Eugenie, wie sie auf den 'Greif' melden liess, zur Feier des Namenstages unserer Kaiserin hat beleuchten und auf demselben ein Feuerwerk abbrennen lassen, welche Höflichkeit der 'Greif' durch die französische Volkshymne, die unsere Musikbande auf der Brücke spielte, und gleichfalls durch griechische Feuer erwiederte."

Samstag, 20. November

"... Wir haben Suez ohne jeglichen Unfall um 11 Uhr erreicht, und unter Kanonendonner um 11¾ auf der Rhede von Suez neben dem 'Aigle' geankert. Die ganze Fahrt von Port-Said bis Suez beträgt etwa 83 Seemeilen und war in ca. 17 Stunden vollendet. Der 'Gargnano' kam uns nach, nicht aber die 'Elisabeth'. Ein grosses französisches Schiff, die 'Peluse' von 1800 Tonnen, blieb vor ihr im Canal stecken, und verlegte ihr so den Weg.
Suez, hart am Fusse eines ziemlich ausgedehnten Gebirgsrückens, des Gebel Attaka, und am Busen des rothen Meeres, hat eine sowohl für die Gesundheit als auch für den Handel und die Schifffahrt ungemein vorteilhafte Lage, daher das stete Zuströmen der europäischen Bevölkerung, welche jene Vortheile erfasst hatte, und ihre Capitalien in der fleissigen Benützung der von da nach Cairo und Alexandria über Ismailia gehenden Eisenbahn zu verwerthen trachtet. Die Häuser sind hier fast durchgängig von Stein gebaut. Die Stadt soll etwa 20 000 Einwohner zählen.
Unmittelbar nach der Ankunft auf der Rhede von Suez kamen Scherif Pascha und Nubar Pascha an Bord, der Kaiser ... machte dem Kronprinzen von Preussen, welcher gleich nach Oberägypten abfuhr, und der Kaiserin von Frankreich den Abschiedsbesuch.
Mit der Landung in Suez am Samstage, den 20. November war der Zweck so vieler Reisenden erreicht – die Festlichkeiten der Canal-Eröffnung waren zu Ende.
Gleich nach dem Dejeuner fuhr der 'Greif' in den Bassin de commerce von Suez. Hier bestieg der Kaiser eine Barke, und begab sich mit dem Fürsten Hohenlohe und dem Grafen Bellegarde an's Land, mit dem Bedeuten, um 4 Uhr mittels Eisenbahn nach Cairo abzufahren."

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