Sozialarbeit und Wohlfahrt
SOS in Ägypten
Nr. 2/84, pp. 3133 Fast keine Männer, sehr viele alleinstehende Frauen und noch viel mehr hilflose Waisenkinder ein selbstverständliches Bild im Nachkriegseuropa. Herman Gmeiner wurde 1949 dadurch zur Gründung von SOS inspiriert, das erste SOS-Kinderdorf wurde in Imst/Tirol gebaut. Jedes verlassene Kind soll eine Mutter bekommen, das ist die Leitidee von SOS. Je eine alleinstehende Frau, sorgfältig geschult, bildet mit acht bis neun Jungen und Mädchen eine Kinderdorffamilie, die in einem "eigenen" Haus wohnt. Dieses Haus ist die Heimat für die Kinder, in die sie auch als Erwachsene gerne zurückkehren. In 34 Jahren gelang es dem Österreicher, ein weltumspannendes Netz von mehr als 200 Kinderdörfern in 70 Ländern aufzubauen. Drei davon sind in Ägypten: in Kairo, das erste und größte in diesem Lande, das zweite in Alexandria und ein noch nicht ganz fertiges in Tanta. Das SOS-Kinderdorf in Nasr-City ist eines der größten überhaupt. Die Schirmherrin ist Frau Jehan Sadat, sie brachte SOS nach Ägypten. Bei den Kindern handelt es sich zum größten Teil um Findlinge. Sie kommen in enger Zusammenarbeit mit dem Sozialministerium entweder direkt aus Waisenhäusern, von sogenannten Pflegeeltern (die meistens arm sind und durch die Aufnahme eines Kindes von der Regierung einen Unterhaltszuschuß bekommen) oder, wenn die Kinder noch ganz klein sind, von sogenannten Ammen, die ebenfalls einen Zuschuß von der Regierung bekommen. In einzelnen Fällen kamen die "Findlinge" aber auch direkt von den Personen, die die Babies gefunden hatten und die SOS-Kinderdorf-Idee kannten. In Kairo befinden sich z.Zt. 227 Kinder, in Alexandria 63 und in Tanta 27. Wir waren sehr beeindruckt von der liebevollen, anheimelnden Atmosphäre, die das gesamte Kinderdorf in Nasr-City ausstrahlt. Der amtierende Dorfleiter, Maged Razek, ist ein in Ägypten sehr bekannter und beliebter Moderator für Kindersendungen im Fernsehen. Er wohnt mit seiner Familie im Dorf (der Dorfleiter muß verheiratet sein) und ist somit jederzeit für Mütter und Kinder ansprechbar. Wir wurden zunächst in den Januar 1982 eröffneten Kindergarten geführt. Mit fünf sehr schön ausgestatteten Gruppenräumen, Waschanlagen, Küche, Lagerräumen und Büro ist der Kindergarten sehr geräumig angelegt. Die Gruppenräume sind sehr schön und kindgerecht eingerichtet und laden auch Erwachsene zum Spielen ein. Die jungen Kindergärtnerinnen (Mindestalter 20 Jahre) durchlaufen eine 68-monatige Ausbildung, die mit einem Abschlußzertifikat gekrönt wird. Die Handarbeiten, die von den jungen Damen während ihrer Ausbildung angefertigt wurden, zieren die Wände des Innenhofes und bezeugen den hohen Standard der Ausbildung. Wir konnten uns davon überzeugen, daß die Kindergärtnerinnen sehr gut in der Lage waren, ihr erworbenes Wissen an die Kinder weiterzugehen. Stolz wurden uns Bastelarbeiten präsentiert. Die älteren Kinder des Dorfes besuchen öffentliche Schulen und werden, soweit nötig, am Nachmittag im Kindergarten zusätzlich unterrichtet. Übrigens können diesen Kindergarten nicht nur die Dorfkinder besuchen, sondern auch Kinder aus Heliopolis. Kindergartensprache ist natürlich Arabisch. Überhaupt bemüht sich das SOS-Kinderdorf sehr um eine Integration in die Umgebung, z.B. verfügt es über eine Moschee, die durchaus auch von Gläubigen außerhalb des Dorfes besucht wird. Außerdem wird z.Zt. ein Ausbildungszentrum für die Jugendlichen gebaut. Hier können Handwerker oder Kaufleute Räumlichkeiten vom Dorf mieten; Bedingung ist, daß Jugendliche ausgebildet werden. Daneben werden hier ein Arzt, ein Zahnarzt und die Hauptverwaltung von SOS Ägypten ihren Platz finden. Weiterhin steht auf dem Programm von SOS der Bau eines Mütterzentrums, in dem die Mütter ausgebildet werden. Hier finden aber auch die alten, pensionierten Mütter, die den Belastungen einer neunköpfigen Kinderschar nicht mehr gewachsen sind, ein Heim. Eines der Hauptprobleme, mit denen SOS zu kämpfen hat, ist die Suche nach Müttern. Es müssen alleinstehende Frauen im Alter zwischen 28 und 40 Jahren sein. Voraussetzung ist, daß sie schreiben und lesen können. In einem Gespräch mit zwei bis drei erfahrenen Mitgliedern von SOS wird, soweit das möglich ist, die Fähigkeit für den kommenden Einsatz im Kinderdorf getestet. Die Mutter bewohnt mit 910 Kindern (Geschwister werden nicht getrennt) ein kleines Haus, für das sie verantwortlich ist. Nur das Waschen wird ihr in der dorfeigenen Wäscherei abgenommen, wie jede andere Mutter muß sie kochen, putzen, mit den Kindern spielen und Hausaufgaben machen. Eben all die vielen, wichtigen Tätigkeiten einer Mutter ausführen, die zusammengenommen, gepaart mit liebevollen Gefühlen, die Wärme und Geborgenheit für die Kinder ausmachen. Wie in jeder "normalen" Familie finden sich auch in den Kinderdorffamilien Altersabstufungen. Pro Kind erhält die Mutter für den Tag 60 Piaster, mit denen muß sie die Ernährungskosten bestreiten. Sie erhält zudem einen Zuschuß für Kleidung u.ä. Strom, Wasser und Gas wird vom Dorf bezahlt. Alle Kinder bekommen im Lauf der Zeit sogenannte Paten, die einen festen Betrag im Monat überweisen. Dieser dient ausschließlich dem Unterhalt des Dorfes. Zusätzliche Geldgeschenke der Paten werden je zur Hälfte an die Mutter, zur Verwendung für das Kind, und auf ein SOS-internes Sparbuch aufgeteilt. Mit Spenden über die Fördervereine (der größte ist der Herman-Gmeiner-Fond in München) werden neue Dörfer im Ausland finanziert und Zuschüsse für alte Dörfer gewährt. Die Paten haben darüber hinaus die Möglichkeit, dem Kind ein Geschenk zukommen zu lassen oder ihm, wie in einem Fall hier in Kairo, evtl. das Studium zu bezahlen. Als wir das Dorf sahen und vor allem die Menschen, die dort arbeiten, den Eifer und Enthusiasmus, mit dem sie Gmeiners Idee folgen, waren wir unfähig, auch nur im Ansatz eine Kritik zu äußern. Für mich war die Verwirklichung von SOS in diesem Dorf ein wirklicher Lichtblick. Es geht man kann auch in unserer gleichgültigen Gesellschaft solche Ideen durchsetzen. Wollen Sie sich nicht auch einmal das SOS-Kinderdorf Kairo anschauen? Seien Sie versichert, Sie sind von Herzen willkommen.
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SOS-Kinderdörfer in Ägypten
Nr. 12/92, pp. 2730 Heutzutage hat jeder schon mal von den SOS-Kinderdörfern gehört. Doch als 1949 das erste Kinderdorf in Imst, Österreich, eröffnet wurde, hatte man für den Gründer nur ein höfliches Lächeln. Angesichts des Kinderelends dieser Welt wäre es doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein, meinte man. Und doch hat dieser Mensch bewiesen, daß ein Tropfen sehr wohl Macht besitzen kann, denn was mit der Idee eines Einzelnen begann, ist heute eine ganze Organisation zum Wohle der Kinder. Es existieren heute 248 Dörfer in 90 Ländern für ca. 35.000 Kinder. Dazu gehören 454 Projekte wie Kindergärten, Schulen, Jugendhäuser, Trainingscenter, Handwerksstätten, Kliniken usw. Der Mensch, der dieses wunderbare Lebenswerk hinterlassen hat, war Herman Gmeiner, ein Österreicher. Er lebte von 1919 bis 1986, war Sohn eines Bauern, verlor selbst seine Mutter mit fünf Jahren, studierte Medizin und erlebte als junger Mann das Elend der Nachkriegsjahre, das ja gerade für die Kinder sehr hart war. So wurde die Idee geboren. Der von ihm ernannte Nachfolger ist Helmut Kutin, ein SOS-Kinderdorf-Kind. Er gründete das erste Kinderdorf in Vietnam während des Krieges und war der Repräsentant für ganz Asien, mit der Aufgabe also bestens vertraut und zudem ein lebendiges Peispiel für die Idee des Gründers. Die Idee ist, von den großen unpersönlichen Institutionen der Waisenhäuser wegzukommen und die Kinder in familiären Verhältnissen wachsen und gedeihen zu lassen. Wie dies sogar internationale Brücken schlagen kann, läßt sich gut in Ägypten sehen. In Ägypten gibt es drei Kinderdörfer, und zwar in Kairo, Alexandria und Tanta. 1977 wurde in Kairo das größte Dorf eröffnet. Hier leben 137 Kinder mit 23 Müttern und Tanten in 19 Familien. Jede Familie besteht aus 79 Kindern unterschiedlichen Alters und Geschlechts und einer Mutter, die sie Tag und Nacht betreut. Sie leben zusammen in kleinen Häusern umgeben von blühenden Grünflächen zum Spielen. Die "Mutter" fungiert als Mutter, wird auch so genannt, und trägt auf ihren Schultern alle mütterlichen Sorgen. Es beginnt mit den Schwierigkeiten des morgendlichen Aufstehens. Das eine Kind muß in den Kindergarten, das nächste zur Schule und das dritte wird wieder nicht wach. Wie in jeder Familie ergibt sich die täglich sich wiederholende Frage, was gekocht wird, mit der anschließenden Diskussion, warum es denn nichts anderes gäbe. Den Müttern besteht eine Mütterberatung zur Seite und den Kindern ein Sozialberater, der auch in Kinderpsychologie ausgebildet ist. Außerdem gibt es einen Dorfleiter, der nach Möglichkeit verheiratet sein sollte und die Vaterfigur symbolisiert. So gilt es also, den Alltag zu bewältigen, wobei ein größeres Team zu Hilfestellungen bei möglichen Auseinandersetzungen bereit ist. Es gibt immer mehr Mütter als Familien, damit auch Urlaubs- und Krankheitszeiten abgedeckt sind. Die Tanten sind sozusagen "auf dem Weg zur Mutter". Sie lernen durch interne Kurse, theoretisch und praktisch zugleich, alles notwendige über Pädagogik, Haushaltsführung, Hygiene usw. Oft ist es nicht leicht, genug Mütter zu haben, denn diese unverheirateten Frauen sollen ja so lange wie möglich der Familie erhalten bleiben. Am besten geeignet sind Frauen Mitte Dreißig, die entweder verwitwet oder geschieden sind, kinderlos geblieben sind, nicht unbedingt an Wiederheirat denken, aber ihre Muttergefühle ausleben möchten. Im Dorf gibt es eine Mutter-Ausbildungsschule, die jedoch zur Zeit nicht in Betrieb ist. Bei Dorfgründung wurden in Kursen 22 Erzieherinnen unter Leitung einer deutschen Expertin ausgebildet. Davon wurden einige übernommen, die ihrerseits wieder Kurse für Erzieher und Mütter geben. Zugrunde liegt das Froebel-Prinzip (Begründer der Institution Kindergarten): Lernen durch Spiel. Im Dorf gibt es auch einen Kindergarten, der sowohl Dorfkinder als auch Nachbarschaftskinder aufnimmt. Dies ist ein Beispiel dafür, wie versucht wird, die Kinder so normal wie möglich aufwachsen zu lassen und in die Gesellschaft zu integrieren. Und umgekehrt, aber genauso wichtig, die Gesellschaft zu integrieren. Zur Zeit nicht in Betrieb ist ein Altersheim für Mütter und ein Trainingscenter mit Werkstätten für Schuster, Näherinnen usw. In Planung ist eine Schule; es bedarf nur noch des Baugrundstückes. Die Schule wird, wie der Kindergarten, öffentlich allen zugänglich sein. Zur Zeit gehen die Kinder noch auf die staatlichen, arabischen Schulen in der Umgebung. Im Mai 1990 wurde in Darrassa, in der Nähe des Basars, das Jugendhaus eröffnet. Hierhin kommen die Jungen mit ca. 14 Jahren, wo sie dann mit männlichen Betreuern zusammenleben. Die Kontakte zur "Öffentlichkeit" erweitern sich, so daß dieser Schritt ein Schritt in Richtung Integration und Selbständigkeit der Jugendlichen bedeutet. Zur Zeit leben ca. 76 Jugendliche dort, wobei 52 im Haus leben und die anderen auf zusätzliche Wohnungen verteilt sind. Sie leben zu dritt oder viert, sind über 18 Jahre, verdienen ihr eigenes Geld oder studieren und werden von einem Sozialberater betreut. Dies ist sozusagen der letzte Schritt zur "Entlassung". Übers Wochenende herrscht meist mehr Trubel im Jugendhaus, denn da kommen auch die, die ihren Militärdienst absolvieren. Sie sind Gäste, werden verköstigt und bekommen ein Taschengeld. Die Mädchen bleiben bis zur Heirat im Dorf. Diese Trennung der Geschlechter während der Pubertätszeit ist eine Anerkennung der hiesigen Sitten. Auch hier die Idee des Gründers: das SOS-Kinderdorf ist Familienersatz und zwar je nach der landesüblichen Familienstruktur. Wenn die Kinder ins Leben entlassen werden, so geschieht das nur auf dem Papier; niemals bricht jedoch der persönliche Kontakt ab. Der Schutz der Familie ist ein menschlicher und getragen von Verantwortung und somit nicht lösbar, auch bei SOS. Wie in jeder Familie bekommen die Kinder bei ihrer Heirat eine Aussteuer, und die Wohnung wird mit der notwendigsten Grundeinrichtung versehen. Ein Studium wird finanziert bis zum Abschluß. Die Dörfer in Alexandria und Tanta sind kleiner.
Im Dorf in Seberbay/Tanta, eröffnet im November 1984, leben 65 Kinder in sieben Familien. Auch hier gibt es einen Kindergarten, dazu zwei Jugendhäuser, wobei sich eines noch im Bau befindet. Sämtliche Verwaltungsangelegenheiten werden in Kairo geregelt. Die Kinder kommen, in erster Linie durch das Sozialministerium vermittelt, aus den Waisenhäusern und sind zu 90% Findlinge. Es gibt auch die Möglichkeit der direkten Aufnahme, was jedoch einen langen bürokratischen Weg (polizeiliche Nachforschungen, Urkundenbeschaffungen usw.) nach sich zieht. Es gibt zwei Anlaufstellen, einmal das head office, The Egyptian Society for SOS Children Villages und das National Coordination Office Cairo (NCO). Das NCO ist das Verbindungsglied zwischen dem head office und dem Dachverband SOS Kinderdorf International (KDI), mit Hauptsitz in Innsbruck. Vom Hauptsitz aus wird die gesamte Finanzierung durchgeführt. In ganz Europa verteilt gibt es die sogenannten Fördervereine (in Deutschland ist das der Herman-Gmeiner-Fond München), und mit den hier eingegangenen Spenden werden Projekte im Ausland finanziert, wie z.B. der Bau von Dörfern. Für das Alltagsleben und die Kinder gibt es einmal die Dorfpatenschaft und die individuelle Kindspatenschaft. Das bedeutet einen monatlichen Mindestbeitrag zu spenden, z.B. als Dorfpate ca. 40 DM und als Kindspate ca. 50 DM. Der Dorfpate erhält dann eine bebilderte Beschreibung "seines" Dorfes, einmal jährlich die neuesten Nachrichten und viermal jährlich den internationalen SOS Kinderdorfboten. Der Kindspate erhält jährlich Bild- und Lebensbeschreibung und kann direkten Kontakt, z.B. brieflich oder auch persönlich haben. Die Vermittlung läuft zunächst wieder über Innsbruck, und der weitere Kontakt dann über das Patenschaftsbüro im NCO, es sei denn, ein lokaler Spender nimmt sofort Kontakt mit dem NCO auf. Um leben zu können, braucht ein Kind mehrere Paten. Geldgeschenke, die die Kinder zum Geburtstag oder ähnliches erhalten, werden zur Hälfte als Spargut angelegt, während die andere Hälfte direkt an das Kind ausbezahlt wird. Es wird dann ein Dankbrief geschrieben mit Angabe darüber, was gekauft worden ist. So sind alle Beteiligten abgesichert und haben Kenntnis über Verbleib und Gebrauch des Geldes. Gleichzeitig wird durch diesen brieflichen Kontakt ganz persönliche Aufklärungsarbeit über Landesgrenzen hinweg geleistet. Dabei werden Informationen über die verschiedenen Bräuche und Sitten ausgetauscht und so eine Brücke der Toleranz gebaut. Beim Ausscheiden des Kindes wird der Pate benachrichtigt. Das Sparguthaben wird dem Kind ausbezahlt oder beispielsweise als Schlüsselgeld für eine Wohnung angelegt. Damit jedes Kind ein Startkapital hat, wurde ein unteres Limit festgesetzt. Hat ein Kind dieses Limit unterschritten, wird der fehlende Betrag ausgeglichen. Hat es mehr, behält es alles. Selbstverständlich hat der Pate jederzeit die Möglichkeit, seine Patenschaft zu kündigen. Die Arbeit von SOS-Kinderdorf hier in Ägypten hat für ca. 370 Kinder ein Zuhause geschaffen. Das ist eine große Leistung. Doch hier in Ägypten ist der heiße Stein, der durch den Tropfen zu kühlen ist, besonders heiß. Der Tropfen braucht viele andere Tropfen zur Unterstützung. Kontaktadresse: NCO Cairo, 17, Sharia Ibn er-Rumi
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Informationen zum SOS-Kinderdorf
Nr. 12/94, pp. 4447
Diese Organisation wurde von Herman Gmeiner 1949 in Tirol (Österreich) gegründet. Die vielen Kriegswaisen nach dem 2. Weltkrieg sollten familiennah aufgezogen werden; Witwen und alleinstehende Frauen wurden für diese Idee gewonnen. SOS ist keine reine Wohltätigkeitsorganisation. Alle Mitarbeiter werden bezahlt.
Eröffnung eines SOS-Kinderdorfes in Kairo 1977 Frau Saddat hat das
Gelände von Wafa El Amal zur Verfügung gestellt.
SOS lebt von Spenden, Fundraising, Patenschaften. Aus
den Patenschaftsbeiträgen werden die Angestellten und der Unterhalt der Kinder
bezahlt. Mit den Geldbeiträgen aus den Spenden werden Projekte gebaut,
Reparaturen durchgeführt usw.
Die Frauen müssen alleinstehend sein; bevorzugt werden Witwen oder geschiedene Frauen. Das Alter sollte nicht jünger als 35 Jahre sein; jüngere Frauen können als sogenannte Tanten beginnen. Die Frauen können jederzeit das Projekt verlassen.
Die ausgewählten Frauen erhalten 12 Monate ein praktisches und theoretisches Training. Sie werden zuerst als "Tanten" eingesetzt und übernehmen später eine Familie als Mutter.
Die Kinder werden unabhängig von der Religion aufgenommen. Da die meisten Kinder Findelkinder sind, sind sie automatisch Moslems. Im Dorf gibt es mehr Mädchen als Jungen, da die Jungen im Alter von 14 Jahren in ein dem SOS-Dorf angeschlossenes Jugendhaus kommen, in dem sie bis zum 21. Lebensjahr bleiben können. Die Mädchen bleiben im Dorf, bis sie heiraten.
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Das Sozialkomitee an der DEO
Nr. 12/92, pp. 4445 Mit einer Brotaktion der DSB und der DEO fing alles an: An beiden Schulen wurden Tüten mit Käsebroten, Orangen und Waffeln gepackt, welche dann von uns Schülern in einem Heim für geistig Behinderte in Abbassiya verteilt wurden. Die dortigen Mißstände weckten bei vielen das Interesse an sozialer Arbeit, so daß Herr Namgalies auf die Idee kam, mit uns ein Sozialkomitee zu gründen. Wir wollten uns auf ein Heim konzentrieren, welches besondere Hilfe benötigte. Um ein solches Heim zu finden, verschafften wir uns einen Überblick über einige soziale Einrichtungen im Raum Kairo. Hierbei half uns Sherin, eine Ehemalige der DSB, die jetzt Mitarbeiterin bei der CARITAS ist. Wir merkten jedoch bald, daß die meisten Heime über das Nötigste verfügen, und daß es hauptsächlich an Pflegepersonal und Ärzten mangelt. Als erstes besuchten wir ein Heim für Leprakranke außerhalb Kairos. In Gruppen von drei bis vier Personen gingen wir in die verschiedenen Räume und besichtigten das Gelände. Die Begegnung mit den Kranken war sehr eindrucksvoll. Überall wurde man freundlich empfangen, z.T. wurden sogar gemeinsame Spiele gespielt. Da in diesem Heim die CARITAS arbeitet, und wir für uns nicht viele Möglichkeiten zum Helfen sahen, besichtigten wir als nächstes ein Heim für geistig behinderte Mädchen in Helwan. Auch hier wurden wir herumgeführt, spielten mit den Kindern, verteilten Süßigkeiten. Jedoch hofften wir noch auf ein Heim, welchem wir mit unseren geringen Mitteln trotzdem helfen könnten; also ein Heim, dem es so schlechtgeht, daß wir mit unseren Händen und unserer Anwesenheit allein den Heimbewohnern schon das Gefühl geben können, nicht allein zu stehen. Wir wollten vor allem die wichtigsten Grundlagen schaffen, ihnen Kleider besorgen, sie waschen, ihnen Essen mitbringen, Wände streichen etc. So besuchten wir noch ein Heim für Taubstumme und ein weiteres Heim für geistig Behinderte, die jedoch nicht Hilfe in größerem Maße benötigten. Unser erster Aktionstag im neuen Schuljahr erschütterte uns tief, so daß wir uns ernstlich fragten, ob die Arbeit hier nicht unsere Kräfte übersteigen würde. Wir hatten uns im Heim für geistig Behinderte in Abbassiya (wo wir mit der Brotaktion angefangen hatten) die Kinderabteilung angesehen. Die Kinder in dieser Abteilung sind zwischen sieben und achtzehn Jahre alt, haben weder ausreichende Kleidung noch Lebensmittelversorgung. Zum Teil hausen sie in abgezäunten Pferchen im Freien. Das Pflegepersonal kümmert sich kaum um sie, die mangelnde Hygiene wirkte sehr deprimierend auf uns. Jedoch waren wir uns einig, daß wir nicht einfach wegsehen konnten. Wir teilten unsere Gruppe auf und beschlossen, daß jede Woche eine der beiden neu gebildeten Gruppen die Kinderabteilung besuchen, die Kinder waschen und ihnen Essen kochen soll. Besonders Wert legen wir auf den Kontakt mit den Kindern, was durch die mangelnde Versorgung und das Desinteresse der Pfleger sehr schwierig sein wird. Jedoch wird die Arbeit in diesem Heim nicht unsere einzige Aktion sein. Wir wollen auch weiterhin ab und zu Heime besuchen. So fand am 7. November 1991 eine Brotaktion unserer Gruppe statt. Unser größtes Problem ist zur Zeit unsere finanzielle Lage. Allein für die Brotaktion mußten wir 900 aish und Waffeln, 900 Orangen und 5 kg Käse kaufen. Glücklicherweise spenden immer wieder Schüler und Lehrer Geld, und wir haben die Möglichkeit, durch Stände beim Flohmarkt und beim Basar unsere Kasse aufzubessern. Man sieht also, daß man als Mitglied unseres Komitees viel Arbeit erledigen und oft freie Wochenenden opfern muß, um Aktionen zu organisieren und Berichte zu schreiben, wodurch es auch mal zu Auseinandersetzungen unter den Mitgliedern kommt. Dennoch bringt unsere Arbeit, insbesondere der Rückblick auf Erfolge, viel Freude mit sich.
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Der Weg ist das Ziel
Nr. 12/92, pp. 4647 Zu Beginn waren es nur wenige, die sich in recht unregelmäßigen Abständen zusammenfanden, um über soziale Probleme zu diskutieren und verschiedene ägyptische Heime und Institutionen zu besuchen. Doch seit etwa sechs Jahren ist die Sozialarbeit im schulischen Leben der DSB fest verankert und mit ihren vielfältigen Aktivitäten und der großen Zahl engagierter Teilnehmerinnen aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Bei dem Bemühen, dem sozialen Engagement unserer Schülerinnen eine konzeptionelle Basis zu geben, stand uns von Anfang an CARITAS ÄGYPTEN hilfreich zur Seite. In vielen gemeinsamen Gesprächen versuchten wir, unsere Ziele zu definieren und die Wege aufzuzeigen, sie zu realisieren. Daß dabei getreu der weithin bekannten Maxime der Weg als solcher schon zum Ziel werden konnte, wurde uns im Laufe unserer Überlegungen immer mehr bewußt: Der Weg, den unsere Schülerinnen gehen mußten, um aus ihrem durch Herkunft und Erziehung des öfteren recht begrenzten sozialen Umfeld zu neuen Horizonten zu gelangen, oder ganz einfach: um zu erkennen, daß die Herausforderung ihres persönlichen Lebens nicht auf den familiären und schulischen Bereich begrenzt ist, sondern weit über ihn hinausgeht, ja jenseits davon eigentlich erst beginnt und damit ihr Weg zum Nächsten in eine Welt, die ihnen und vielen von uns Erwachsenen, die wir sie begleiteten , vielfach völlig unbekannt, zunächst auch unbegreiflich und des öfteren bedrückend, ja schockierend erschien. Sie ihnen begreifbar und "ergreifbar" zu machen, wurde für uns zu einem wesentlichen Ziel. Daß wir dabei auf so viel Sensibilität, spontane Hilfsbereitschaft, mitfühlendes Engagement und begeisterte Zustimmung stoßen würden, hätten wir nicht zu hoffen gewagt. Die Aktivitäten, die wir durchführen und die Projekte, die wir realisieren konnten, waren vielfach und vielschichtig:
Besonders dankbar sind wir dafür, daß aus den Reihen der Schülerinnen Leiterinnen hervorgingen, die auch nach Abschluß ihrer Schulzeit noch regelmäßig unsere Unternehmungen begleiten und betreuen eine von ihnen hat sich sogar völlig in den Dienst der Sozialarbeit gestellt. Daß dies alles erst ein Beginn ist, daß in der konstanten und konsequenten Weiterführung unserer Sozialarbeit eine besondere Herausforderung liegt, ist uns allen bewußt. Schulleitung und Kollegium der DSB stehen überzeugt hinter dem sozialen Engagement ihrer Schülerinnen. Ohne den bereitwilligen Einsatz und die spontane Hilfe vieler aus unserer Schulgemeinschaft wäre die Realisierung der meisten Projekte nicht möglich. Besonders verpflichtet fühlen wir uns Sr. M.Antonia vom Orden der Borromaerinnen und unserem Freund Essam von CARITAS ÄGYPTEN sie tragen unsere Sozialarbeit in entscheidender Weise. Sie wiesen uns auch den Weg, den wir weiter gemeinsam gehen wollen.
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Wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen in Ägypten
Nr. 1/87, pp. 2123 "Sozialpolitik ist der Einsatz politischer Mittel zur Erreichung sozialer Ziele. Zu diesen gehören Hebung des Lebensstandards, Sicherstellung eines ausreichenden Einkommens im Falle von Krankheit, Invalidität und im Alter, Umverteilung des Sozialprodukts zugunsten wirtschaftlich schwächerer Personenkreise." (Anm. 1) Die Mittel zur Erreichung dieser Ziele sind verschieden und werden je nach wirtschaftlicher Lage und politischem Interesse unterschiedlich eingesetzt. In Ägypten wurde nach 1952 mit Hilfe der Einkommenspolitik, d.h. durch staatliche Lohnregulierung, u.a. Verdoppelung des Minimallohnes, eine Hebung des Lebensstandards der unteren und mittleren Bevölkerungsschichten sowie eine Verringerung der Einkommensunterschiede erreicht. Zwar hat das schnelle wirtschaftliche Wachstum infolge der infitah-Politik, d.h. der wirtschaftlichen Öffnung nach außen, wieder zu größeren sozialen Ungleichheiten geführt. Dennoch weist Ägypten auch in dieser Zeit "größere Einkommensgleichheit auf als die meisten anderen Entwicklungsgesellschaften." (Anm. 2) Eine Erhöhung des Lebensstandards und ein Weg aus der Unterentwicklung wurde auch von einer forcierten Bildungspolitik erhofft. Die Einschulungsquote betrug 1969/70 75% gegenüber 46% im Jahre 1953/54. Bildung bot die Möglichkeit, sozial aufzusteigen und war der Maßstab für den sozialen Status in der Gesellschaft. Jeder graduierte Universitätsabsolvent bekam 1961 vom Staat garantiert, in den Staatsdienst oder in den öffentlichen Wirtschaftssektor aufgenommen zu werden. Diese Garantie war für den Hochschulabsolventen insofern begehrenswert, als sie nicht nur einen sicheren Arbeitsplatz bedeutete, sondern dieser zudem ein Paket sozialer Sicherung einschloß. 1950/51 war die erste Rentengesetzgebung verabschiedet worden. Die ausgezahlte Rentenhöhe beträgt heute 80% des Monatseinkommens der beiden letzten Versicherungsjahre, mindestens aber 29 LE und höchstens 209 LE. Seit 1955/56 gibt es ein Sozialversicherungssystem, durch das 42 von 46 Millionen Ägypter (1983) versichert waren. Die Beitragssätze für die ägyptische Sozialversicherung in Prozent des Lohns oder Gehalts gliedern sich wie folgt: (Stand 1984)
Versicherungspflicht besteht nur bis zu einer Einkommensobergrenze von monatlich 250 LE. Die Krankenversicherung gibt es wie die Arbeitslosenversicherung seit 1964. Sie stellt dem Versicherten alle "Stufen medizinischer Dienste von der Behandlung bei einem praktischen Arzt bis zur Behandlung im Ausland, wenn diese notwendig ist zur Verfügung." Innerhalb der öffentlichen Wirtschaftsbetriebe herrscht eine arbeitnehmerfreundliche Arbeitsgesetzgebung. Als Mitbestimmungsregelung gilt: vier vom zuständigen Ministerium ernannte Direktoren und ein Vorstandsvorsitzender neben vier von der Belegschaft gewählten Vertretern. Durch Mitbestimmungsgremien auf Betriebsebene, die von der Arbeitnehmerschaft gewählt werden, wird gewährleistet, daß sowohl im öffentlichen wie aber auch im Privatsektor Kündigungen durch den Arbeitgeber nur im Falle von großen Verstößen gegen die geltenden Arbeitsbestimmungen möglich sind. Die Aufnahme der Hochschulabsolventen galt dem Ziel, die durch die Bildungspolitik entstandene Akademikerschwemme aufzunehmen. Innerhalb des Staatsapparats kam es jedoch zu einer Überbeschäftigung, die mit jedem Jahr zunahm. 1973 wurde die Garantiebestimmung dahingehend geändert, daß Hochschulabgänger 2 Jahre und Sekundarschulabsolventen 3 Jahre bis zu ihrer Einstellung beim Staat warten mußten. Über die Hälfte warteten. Zwei Drittel des Arbeitskräftezuwachses wurden in den 70er Jahren vom öffentlichen Dienst aufgenommen. In den 70er Jahren eröffnete sich durch den Ölboom in den Golfstaaten eine neue Möglichkeit, den Druck auf den Arbeitsmarkt durch Abwanderung der Arbeitskräfte zu schwächen. Die liberalere Politik der Sadat-Ära erleichterte nicht nur Emigration und Arbeitskraftmigration sondern förderte sie sogar. Folge der Abwanderung der meist gut ausgebildeten Ägypter ins arabische Ausland war ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften in Ägypten. Facharbeiter und Handwerker, die schon aufgrund der zu akademischen und wenig praxisbezogenen Ausbildungsmöglichkeiten knapp waren, konnten in einer Zeit, in der Angebot und Nachfrage wieder mehr die Preise und Löhne bestimmten, enorme Lohnerhöhungen verzeichnen. Ebenso hatten die meisten im Privatsektor Beschäftigten wie infolge des neu ausgelösten Baubooms im Bausektor Arbeitende Teil am Wirtschaftsaufschwung. Die im Staatsdienst Beschäftigten dagegen hatten infolge der allgemeinen Verteuerung der Lebenshaltungskosten zum Teil erhebliche Reallohn-Einbußen zu verkraften. Nicht so in der öffentlichen Wirtschaft, hier stiegen unter dem Druck der Konkurrenz die Löhne. Von der Verpflichtung, Hochschulabsolventen aufzunehmen, wurden die Staatsbetriebe befreit. Trotz der Möglichkeit, in den Ölländern Arbeit zu finden, die zeitweise vier Millionen Ägypter (Familien eingeschlossen) wahrnahmen, der zunehmenden Zahl im Staatsdienst Beschäftigter, die zu Beginn der 80er Jahre 30% aller Arbeitskräfte ausmachten und des Baubooms nahm die Beschäftigungszahl aller Arbeitswilligen prozentual nicht zu. Ein Grund hierfür war das zunehmende Bevölkerungswachstum von heute ca. 2,7%. Nicht vermehrte Geburten, sondern ein an sich begrüßenswertes Fallen der Todesrate infolge der seit den 60er Jahren verstärkten Gesundheitspolitik hatten die Bevölkerungszahl in die Höhe schnellen lassen. Im Rahmen dieser Gesundheitspolitik entstanden medizinische Zentren, die die Versorgung auf dem Land verbessern sollten (heute: 2.500 in 4.200 Dörfern); Ärzte wurden nach dem Studium zu zwei Jahren Dienst auf dem Lande verpflichtet, Impfkampagnen und Kampagnen gegen die wichtigsten ägyptischen Krankheiten wie Bilharziose werden ebenso durchgeführt wie gesundheitsfördernde Ernährungsprogramme. Mütter-Kinder-Betreuungszentren entstanden, Kindergärten wurden gesundheitsmäßig beaufsichtigt und medizinische Untersuchungen in Schulen vorgenommen. 1981/82 kamen 1,97 Krankenhausbetten auf 1.000 Bürger und ein Arzt auf 600 Einwohner. Familienplanungsprogramme, die auch seit den 60er Jahren existieren, führten bisher nicht zu nennenswerten Erfolgen, obwohl die Regierung ihnen verstärkt Priorität einräumt. Mit der wachsenden Bevölkerung wurden zunehmend Lebensmittelimporte notwendig. Schon während des Zweiten Weltkriegs und danach wurden Preiskontrollen und Nahrungsmittel-Subventionen eingeführt, um die Ernährung der Bevölkerung zu tragbaren Kosten zu garantieren; die hierfür notwendigen Staatsausgaben steigerten sich erheblich. Auch das Wohnen wurde vom Staat sozial abgesichert. In den 60er Jahren wurden die Mieten staatlich festgelegt, Mieterhöhungen verboten und Kündigungen von seiten der Vermieter so gut wie unmöglich gemacht. Im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus wurden Billigwohnungen erstellt, die jedoch das erschreckende Ausmaße annehmende Wohnproblem nicht zu lösen vermochten. Viele Häuser verfielen, da die Mietgesetze deren Erhaltung von seiten der Besitzer uninteressant und unmöglich machten. Der ständig wachsenden Bevölkerung und der Flut der Landflüchtigen waren Städte wie Kairo und Alexandrien kaum mehr gewachsen. Zwar war in den 70er Jahren ein Bauboom ausgebrochen, der, von privaten Investitionen ausgelöst, aber vorwiegend gewinnbringende Luxuswohnungen betraf; diese waren durch die Forderung hohen illegalen Schlüsselgeldes für die Mehrheit der Wohnungssuchenden unerschwinglich. Steuern sind Einnahmequellen des Staates und Mittel zur Vermögensumverteilung. Wie sieht die Steuerpolitik Ägyptens aus? Die "Steuerrechts-Tradition wurde aus Frankreich übernommen". Die indirekte Besteuerung von Waren und Dienstleistungen spielt eine weit größere Rolle als die direkte. Haupteinnahmequellen waren und sind bis heute die Importsteuer, die indirekte Besteuerung der Landwirtschaft und die Umsatzsteuer (Erdöl/Suezkanal). Die wohlfahrtsstaatliche Gesetzgebung Ägyptens ist für ein Entwicklungsland sicher bemerkenswert. Die jeweiligen Leistungen sind jedoch abhängig von den dem Staat zur Verfügung stehenden Mitteln. Anmerkungen und Literatur:
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Private Hilfsorganisationen in Ägypten
Nr. 12/92, pp. 4953 Die sogenannten 'Private Voluntary Organisations' (PVOs), oder auch 'Non-Governmental Organisations' (NGOs) meist als "auf freiwilliger Basis entstanden", "regierungsunabhängig" und "nicht profitorientiert" oder auch als "Selbsthilfegruppen" definiert nehmen auf dem sozialen Sektor und in anderen Bereichen der ägyptischen Gesellschaft wichtige Aufgaben wahr. Ihre Geschichte läßt sich bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts zurückverfolgen, als sie abgesehen von den sozialen Diensten, die die religiösen Stiftungen leisteten die einzigen Organisationen dieses Typs waren. Sie wurden oft von wohlhabenden Einzelpersonen oder Gruppen, die sich aus sozialer Verantwortung heraus der Armen verpflichtet fühlten, gegründet, und waren in den Bereichen sozialer Wohlfahrt, Kultur, Erziehung und Religion aktiv. Vor der Gründung des Sozialministeriums im Jahre 1939 oblag die Fürsorge für die Armen allein diesen unabhängigen Organisationen, die bis in die 50er Jahre auch im politischen, kulturellen und sozialen Leben der ägyptischen Gesellschaft eine wichtige Rolle spielten. Sie wurden dann allmählich mehr und mehr der Kontrolle und Aufsicht der Regierung unterstellt und in die Arbeit und Programme des Sozialministeriums (Ministry of Social Affairs MOSA) eingebunden. Durch verschiedene die PVOs betreffende neue Gesetze bzw. Gesetzesänderungen und durch eine völlige Restrukturierung und Neuorganisation der PVO-Bereiches im Jahre 1964 durch das Gesetz 32 über Associations (= PVOs) verloren die PVOs ihre Eigenständigkeit und Unabhängigkeit. Eine ganze Reihe von ihnen sind heutzutage mehr oder weniger Abteilungen des MOSA, das viele dieser PVOs selbst gegründet bzw. initiiert und deren Mitarbeiter benannt hat. Darin ist auch die Inaktivität vieler PVOs begründet. Das erste Gesetz, das die Aktivitäten der PVOs regelte, wurde 1945 verabschiedet. Darin wurde festgelegt, daß PVOs die einzige legale Form sind, in der Bürger nicht-kommerzielle Aktivitäten entfalten dürfen. Die PVOs müssen sich bei MOSA registrieren lassen und unterliegen in ihrer Arbeit einer engen Aufsicht und Begleitung des Ministeriums. Mit dem Gesetz 32 von 1964 wurde der gesamte PVO-Bereich einer umfassenden Reorganisierung unterzogen, und das legale System, unter dem alle PVOs bis heute aktiv sind, trat in Kraft. Mit Verabschiedung des Gesetzes wurden alle damals existierenden PVOs (ca. 4.000 Organisationen und Institutionen) aufgelöst. Sie mußten sich, um mit ihren Aktivitäten fortfahren zu können, innerhalb von sechs Monaten neu beim MOSA registrieren lassen. Die Neuregistrierung konnte von den zuständigen Behörden abgelehnt werden. Die Bestimmungen des Gesetzes geben den Behörden (i.d.R. MOSA-Abteilungen und Sicherheit) weitreichende Möglichkeiten, einem Antrag auf Registrierung einer PVO nicht zu entsprechen, wie z.B. in Artikel 2 bei Zuwiderhandlung gegen öffentliche Ordnung und Sitten oder bei illegalen Zielen, die gegen die Sicherheit, das Regierungssystem oder die soziale Ordnung des Landes gerichtet sind, oder auch in Artikel 12, falls die Gemeinde diese Dienstleistungen nicht braucht oder es eine andere Organisation gibt, die diese Dienste anbietet. Die Anwesenheit auf einem Treffen einer nicht-registrierten, also illegalen Organisation ist strafbar. Der Regierungsantrag ist mit großem bürokratischen Aufwand verbunden und muß in seiner detaillierten schriftlichen Form in die Raster der jeweiligen Genehmigungsbehörde passen. Die Bearbeitungszeit liegt je nach Begleitumständen zwischen drei Monaten und zwei Jahren (i.d.R. sechs Monate). Weiterhin hat das MOSA gemäß dem Gesetz das Recht, gewählte Vorstandsmitglieder oder den ganzen Vorstand einer registrierten PVO abzusetzen und einen eigenen Vorstand auf drei Jahre zu ernennen, es kann eine PVO auflösen, kann ihre Gelder konfiszieren oder einer anderen PVO zukommen lassen und kann jede Entscheidung des Vorstandes oder der Vollversammlung einer PVO bezüglich ihrer Aktivitäten rückgängig machen, ohne dafür einen gerichtlichen Beschluß zu benötigen. Die PVOs sind laut Gesetz dazu verpflichtet, monatliche Protokolle ihrer Vorstandssitzungen an die zuständigen Behörden zu schicken. Sie sind Gegenstand von Inspektionsbesuchen und Befragungen durch Angestellte des MOSA, das auch Vertreter der zuständigen Behörden in den Vorstand einer PVO beruft. Die wichtigsten Funktionen der PVOs bestehen neben ihren eigenen Aktivitäten darin, Programme und Projekte des MOSA bzw. des MOSA in Zusammenarbeit mit Gesundheits- und Erziehungsministerium in den Gemeinden, Stadtteilen und Dörfern durchzuführen. Eigentlich sind die MOSA-Direktorate auf Gouvernoratsebene für die Programmdurchführung zuständig, delegieren diese Aufgabe jedoch an die PVOs, denen von den Direktoraten entsprechend Personal und Mittel zugeteilt werden. Darüber hinaus gewähren die Direktorate direkte Unterstützung für die PVO-eigenen Projekte, die in den Durchführungsplan des Sozialministeriums aufgenommen wurden. So dienen die vom MOSA ausgewählten und beauftragten PVOs als Netzwerk und kleinste Einheiten zur praktischen Durchführung verschiedener Sozialprogramme (wie z.B. der Winterhilfe) und Projekte, die vom Ministerium entworfen und finanziert werden. Obwohl die PVOs in den letzten Jahren eine größere Rolle bei der Bereitstellung von sozialen Dienstleistungen und allgemein in der Entwicklung der ägyptischen Gesellschaft zugedacht ist, und sie zu vermehrten Eigenanstrengungen angehalten werden, haben sich die Rahmenbedingungen, zumindest was das Gesetz 32 betrifft, nicht geändert. Sowohl um selbst Mittel mobilisieren und Spenden sammeln zu können (z.B. durch Basare, Versteigerungen Wettkämpfe usw.) von denen übrigens 40% an das MOSA abgeführt werden müssen , als auch um eigene Projekte durchführen zu können, muß ein detaillierter Antrag beim MOSA gestellt werden, der dann einen aufwendigen bürokratischen Prozeß durchläuft und zumindest im ersten Fall oft nicht genehmigt wird. Daneben droht der steigende Druck, die Staatsausgaben zu senken und Budgetkürzungen vorzunehmen, die jährliche Hilfe für laufende PVO-Programme des MOSA zu kürzen, mit wenig Aussicht auf MOSA-Mittel für neue Programme. Dies in einer Zeit, in der die Arbeitslosigkeit sowohl in städtischen als auch in ländlichen Gebieten alarmierende Zahlen insbesondere unter Jugendlichen erreicht und die staatlichen Einrichtungen im Gesundheits- und Erziehungsbereich völlig unzureichend sind, um den Bedürfnissen einer rasch zunehmenden Bevölkerung nachzukommen. Hier sind große ausländische Geldgeber (donors) wie die staatlichen Entwicklungsagenturen anderer Länder, z.B. US-AID, und internationale Organisationen, z.B. UNICEF, aktiv geworden und haben in Zusammenarbeit mit dem MOSA oder dem Gesundheits- oder Erziehungsministerium Programme ausgearbeitet und finanziert, die dann über die offiziellen Kanäle (administrative Strukturen der Ministerien bis zu den PVOs/top-down-Struktur) laufen und oft unter immensem bürokratischen Aufwand durchgeführt werden. Weiterhin hat sich das PVO-Budget des MOSA in den letzten Jahren bei steigender Inflation und starkem Anwachsen der Zahl der PVOs kaum erhöht (1990 ca. 14 Millionen LE), so daß nur ein Teil der PVOs auf Antrag finanzielle Unterstützung für eigene Projekte vom MOSA erhält, die jedoch nur bei maximal 1.200 LE pro Jahr liegt. Es können zwar Zusatzanträge für Mittel gestellt werden, diese sind jedoch noch geringer und erfordern ein zeit- und arbeitsaufwendiges Antragsverfahren. Entscheidungen des MOSA über Anträge, Projekte und Finanzen der PVOs hängen zumeist von persönlichen Beziehungen zu MOSA-Angestellten auf lokaler und regionaler Ebene sowie Art und Form des Antrages ab. Wie weiter oben erwähnt, sind viele Mitarbeiter der PVOs selbst MOSA-Angestellte. Mit den Geldern des MOSA einher geht immer auch eine weitaus stärkere Aufsicht und Kontrolle des Ministeriums über Arbeit, Finanzen und Entscheidungen der PVOS, so daß viele PVOs gar keinen Antrag auf die geringe finanzielle Unterstützung des MOSA stellen, sofern sie Projektgelder von ausländischen Organisationen oder Geldgebern bekommen. Im Zuge der entwicklungspolitischen Diskussion in den westlichen Ländern in den siebziger Jahren und der damit einhergehenden Aufwertung der Rolle lokaler und ausländischer PVOs bzw. NGOs im Entwicklungsprozeß von Dritte-Welt-Ländern wuchs auch in Ägypten das Interesse staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen und Institutionen des Auslands an den ägyptischen PVOs. Mitte der siebziger Jahre begannen z.B. einige ausländische Botschaften, direkt von ihnen oder von ägyptischen PVOs entworfene Projekte im Sozialbereich zu finanzieren. Nur wenige ägyptische PVOs hatten damals den Mut, an diese ausländischen Institutionen heranzutreten und mit ihnen über eine Projektfinanzierung zu sprechen, da sie Repressalien des MOSA befürchten mußten, das in einem Brief an alle PVOs damals solche Kontakte untersagt hatte. Diese Kontakte entwickelten sich jedoch im Laufe der Jahre ziemlich schnell, und heutzutage arbeitet eine große Anzahl ausländischer Organisationen und Institutionen direkt mit ägyptischen PVOs zusammen, entwerfen Programme und Projekte und finanzieren diese. Diese Zusammenarbeit geschieht jedoch nicht ohne Überwachung und Kontrolle des MOSA: die ausländischen Organisationen und Institutionen müssen in Ägypten einen legalen Status, d.h. ein Abkommen oder einen Vertrag mit einer zuständigen Behörde oder einem Ministerium haben, der ihre Aktivitäten hier regelt. Alle Projekte und Programme bedürfen der Genehmigung des MOSA bzw. des MOSA-Direktorats auf Gouvernoratsebene, und die ägyptischen PVOs sind auch in dieser Zusammenarbeit den weitreichenden Bestimmungen und Regelungen des Gesetzes 32 unterworfen. Darüber hinaus haben die ausländischen Organisationen bestimmte Aufgaben, wie z.B. community-fees, an das Ministerium zu zahlen. Internationale Freundschaft und Gemeindeentwicklung:
Auch große staatliche und internationale Entwicklungsagenturen wie US-AID und Weltbank sind dabei, ihre Politik zu ändern und die PVOs bzw. ausländischen NGOs, die als Mittler und Bindeglied zwischen PVOs und großen Geldgebern fungieren, stärker und direkter in ihre Tätigkeit einzubeziehen. Dies hat vor allem drei Gründe: erstens bleiben aufgrund der Korruption, Vetternwirtschaft und des Mißmanagements ungefähr 70% der Gelder in den offiziellen Kanälen, d.h. MOSA und anderen Ministerien, hängen, nur 30% der Mittel erreichen letztendlich die Programme und Projekte. Zweitens ist der bürokratische Aufwand bei der Kooperation mit den Ministerien gewaltig, und drittens wird nunmehr versucht, das Geld vor allem dem "privaten Sektor", d.h. vor allem Kleinindustrieprojekten und einkommensschaffenden Programmen, zukommen zu lassen. Diesbezüglich hat es bei den großen Donors eine Verschiebung der Zielgruppen gegeben: nicht mehr die Armen sind Hauptziel der Mittelvergabe, sondern Organisationen wie z.B. die Business Association. Heute wird die Zahl aller ägyptischen PVOs mit ca. 14.000 (die letzte offizielle Zahl von 1986 liegt bei 11.776) angegeben, die sich gemäß Gesetz 32 nach folgenden, zumeist wohlfahrtsorientierten Tätigkeitsfeldern aufgliedern: Mutter-und-Kind-Fürsorge, Familienwohlfahrt, soziale und finanzielle Unterstützung, Behindertenfürsorge, Dienste in den Bereichen Kultur, Erziehung und Religion, Altenfürsorge, Alphabetisierung, Organisation und Verwaltung, Fürsorge für Gefangene und ihre Familien, Familienplanung. Das größte Problem und die größte Herausforderung, denen sich die PVOs gegenübersehen, sind die neuen Rollen und Aufgaben, die ihnen im Entwicklungsprozeß Ägyptens und bei der Bereitstellung sozialer Dienstleistungen zugedacht sind. Rollen, die je nach Standpunkt des Akteurs in diesem Bereich Unterschiedliches meinen. Die Palette reicht von sozialen Dienstleistungseinrichtungen über "empowerment of the poor", Katalysator eines Sozialwandels und der Demokratisierung bis hin zur Schaffung eines Mittelstandes. Die ägyptischen PVOs sind jedoch für eine Übernahme solcher Aufgaben abgesehen davon, ob sie diese Funktionen überhaupt wahrnehmen können und wollen überhaupt nicht vorbereitet. Das Erbe der Nasserzeit, Bürokratismus und Autoritarismus, wie er im Gesetz 32 zum Ausdruck kommt, ist für eine Revitalisierung und -aktivierung dieses Bereiches eines der Hindernisse. Ein anderes ist das Fehlen von Kooperation und Meinungsaustausch auf allen Ebenen zwischen den verschiedenen involvierten Parteien, die oft in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stehen. Ein weiteres ist der Mangel an ausgebildeten und engagierten Mitarbeitern in den PVOs. Nicht zuletzt das Auseinanderklaffen kultureller Werte und Wertesysteme und der Ethnozentrismus bei der Zusammenarbeit zwischen ausländischen Organisationen und ägyptischen PVOs in Projektgestaltung und -durchführung behinderte die Entwicklung. In einigen Punkten wird zur Zeit auf eine Verbesserung hingearbeitet. Es ist z.B. in letzter Zeit eine Reihe von Trainingszentren für PVO- und NGO-Mitarbeiter entstanden, Workshops zu den verschiedensten Projekten und Programmen werden angeboten, und auch das Gesetz 32 ist seit zwei Jahren Gegenstand einer Verfassungsklage des ägyptischen Menschenrechtsvereins. Inwieweit sich die soziale Situation von Benachteiligten und armen Gruppen der ägyptischen Gesellschaft jedoch in nächster Zukunft verändern wird, bleibt fraglich.
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Auch in Ägypten brechen Familienstrukturen auf
Nr. 1112/98, pp. 4243 "Nächste Woche heirate ich", platzt es aus Sayeda El Gohary heraus. Nur dass die alte Frau ganz und gar nicht wie eine glückliche Braut aussieht. Zusammengesunken kauert die über Siebzigjährige in einem schäbigen Sessel; das Grau ihres einfachen Kleides hebt sich kaum ab von dem verschlissenen Bezug. Viele Falten im Gesicht erzählen ebenso viele Geschichten, die meisten sind eher traurig und handeln von Vernachlässigung, Armut und Schmerz. Vor sechs Jahren haben ihre Tochter und deren Mann sie hier an der Pforte des Altenheims "abgegeben". Es ist ein Heim für Habenichtse, finanziert aus Spenden einer islamischen Hilfsorganisation. Seit dem Tag ihrer Ankunft hat Sayeda El Gohary keinen Besuch bekommen; "dabei wohnt die Tochter gar nicht weit weg", seufzt Gamila Shouab, Verwalterin und gute Seele in Sayeda Zeinab. "Ich bin Mutter, Tochter und Schwester", sagt sie. Auf zwei voneinander getrennten Fluren leben knapp 40 Frauen und Männer dichtgedrängt zusammen, die meisten teilen sich ein Zimmer zu dritt oder viert. Die Lebensgeschichten ähneln sich. Immer blieb nichts übrig von den kargen Einkünften, Renten sind entweder winzig oder gar nicht erst vorhanden. Etwas zurückzulegen war einigen Heimbewohnerinnen sowieso nicht möglich. Sie haben ihr ganzes Leben als Köchin, Putzfrau, "Mädchen für alles" in Mittel- und Oberschichtshäusern verbracht, bis sie im Alter ins Armenhaus regelrecht abgeschoben wurden. Die Analphabetinnen wissen gar nicht, dass das ägyptische Arbeitsrecht zwingend vorschreibt, dass Hausherren Rentenzahlungen für ihre Bediensteten leisten. Freilich ist es in der Praxis auch eher die Ausnahme. Während in Heimen für wohlhabende Pensionäre viele Aktivitäten angeboten werden, die medizinische Versorgung gut ist und die Heimleitungen sich bemühen, den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten, gibt es in Sayeda Zeinab so gut wie keine Abwechslung. Manche Bewohner stehen den ganzen Tag nicht auf, der Überdruss hat sie übermannt. Andere verschwinden schon morgens und treiben sich den Rest des Tages herum, um dem offensichtlichen Elend im Heim zu entgehen. Die meisten der alten Frauen sind einfach anwesend, hocken den ganzen Tag im Gemeinschaftsraum und warten darauf, dass irgendwann der Fernseher eingestellt wird. Zeit ist ein Riese. "Sie tun absolut gar nichts", muss Verwalterin Gamila zugeben. Eine wachsende Zahl alter Menschen sucht Zuflucht in einem der 65 ägyptischen Altenheime; knapp die Hälfte davon befindet sich in Kairo. In ländlichen Gegenden ist es nach wie vor unvorstellbar, den Eltern nicht im eigenen Haus ihren Lebensabend zu gönnen. Alle Heime sind dem Sozialministerium untergeordnet, aber aufgrund der minimalen staatlichen Unterstützung auf Spenden angewiesen. Die Unterbringung in insgesamt 15 Heimen ist kostenlos, bietet dafür aber entsprechend wenig. Die teuersten Altenheime kosten LE 600 monatlich. Überall gibt es Wartelisten. "Wir müssen auswählen", sagt Nabil Hefzella, Zahnarzt im koptischen "Evergreen"-Heim in Heluan. "Kopten und Muslime wollen gerne bei uns wohnen, weil es sauber ist und das Personal nett ist", aber nachdem es ein paar Mal vorgekommen ist, dass der Monatsbeitrag nicht bezahlt wurde, wird der familiäre Hintergrund der Bewerber genauestens überprüft. Dafür können sich die Bewohner ihre Zimmer so einrichten, wie sie es möchten, eigene Möbel und Erinnerungsstücke mitbringen. Alles ist in hellen, freundlichen Farben gehalten; nachmittags wird im Garten Bridge gespielt. "Zuletzt wurde mir alles zu viel", sagt eine 83-jährige Dame, die bis vor zwei Jahren alleine in einer großen Villa in Maadi gelebt hat. "Ich fühle mich hier wohl, weil ich unter meinesgleichen bin", sagt die elegante Architektenwitwe. Sechs Prozent der ägyptischen Bevölkerung sind heute über 60 Jahre alt. Im Jahr 2020 werden es zehn Prozent sein. Das scheint sehr wenig zu sein, aber Experten sagen, dass das Angebot schon jetzt nicht ausreicht und der Staat zu wenig unternimmt, um den wachsenden Bedarf zu decken. "Ägypten experimentiert halbherzig mit den Alten herum", sagt Abdel Moneim Ashour, Gerontologe und Gründer der "Ägyptischen Gesellschaft für Geriatrie und Gerontologie". "Sie [die staatlichen Institutionen] halten andere Probleme für dringender, wie z.B. das Wohlergehen der Kinder oder Mutter-und-Kind-Gesundheitsprogramme". Ashour warnt: "Im Moment mag es noch ein Randphänomen sein, aber in zwanzig Jahren wird es sich zu einem ernsten Problem entwickelt haben." War es vor zwanzig Jahren noch unvorstellbar, berichtet die Soziologin Azza Korayem vom "Nationalen Zentrum für Soziale und kriminalistische Studien", dass sich eine ägyptische Ehefrau über die mit im Haus lebende Schwiegermutter beschwerte, so könnte es heute schon einmal sein, dass der Mann seine Mutter vor die Tür setzt. "Die Leute denken einfach mehr an sich", meint die Fachfrau, die das Problem aus eigener Erfahrung kennt. Die Vollzeitbeschäftigte hat zu Hause eine 85-jährige, bettlägerige Tante ihres Mannes zu versorgen. "Heutzutage müssen die meisten Frauen dazu verdienen, um mit den explodierenden Lebenshaltungskosten mitzuhalten. Die Kleinfamilie hat weder die Zeit noch das Geld, um für die Generation der Alten aufkommen zu können." Anstelle von Dankbarkeit ernten die älter und gebrechlicher werdenden Eltern Isolation und Gleichgültigkeit. Weil sie sich nicht mehr alleine aus dem Haus trauen, sind sie den ganzen Tag ans Haus gefesselt, manchmal jedweder Privatheit beraubt, weil die Schwiegertochter sie in der Enge des Hauses in das Kinderzimmer verbannt hat. "Wenn gleichzeitig ein Kind und ein alter Mensch in der Familie krank sind", so der Gerontologe Ashour, "wird nur für das Kind Medizin gekauft. Da gibt es viel Leid." Die nachfolgenden Generationen sind egoistischer geworden. Die jungen Leute wollen ausgehen, sich besser kleiden und reisen. "Sie wollen ein besseres Leben haben als ihre Eltern", sagt Azza Korayem. Die ersten Altenheime entstanden etwa vor 100 Jahren, als erwachsene Kinder von Ausländern für ihre Eltern einen Platz in Ägypten suchten, bevor sie in andere Länder zogen. 1939 wurden diese privaten Institutionen dem Ministerium zugeordnet. Die winzigen Renten des Durchschnittsägypters reichen einfach nicht aus, um einen Platz in einem schönen Heim zu bezahlen. Die gerade mal LE 30 Zusatzrente, die Präsident Sadat 1980 eingeführt hat, sind allemal ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die Regierung versucht durchaus, neue Wege zu gehen. Im Delta wurde vor einiger Zeit ein Projekt "Essen auf Rädern" gestartet. Marie Khalil, Leiterin der Familienabteilung im Sozialministerium, würde das gerne auch in Kairo einführen: "Es ist eigentlich nicht teuer". Aber die tatsächliche Umsetzung dauert noch. Seit drei Jahren bemüht sich das Ministerium auch darum, das Modell der ambulanten Hilfe in Ägypten bekannt zu machen. Für LE 300 kommt jeden Tag eine speziell geschulte Krankenschwester ins Haus. So richtig gezündet hat die Idee allerdings noch nicht. Manchmal fehlt es an Geld, in anderen Fällen schrecken die alten Leute davor zurück, sich von einer fremden Person pflegen zu lassen. Der Arzt Ashour berichtet, dass er in dem Ausbildungsprogramm auch Schwierigkeiten hat, neue Kandidatinnen zu finden. Viele strenggläubige Musliminnen wollen nicht mit einem Mann, sei er auch noch so alt und gebrechlich, alleine in einer Wohnung sein. Aber dennoch hält er mobile Serviceleistungen für viel geeigneter als den Einzug ins Heim. "Dort bist du doch tot, bevor du gestorben bist." Seiner Ansicht nach sollte der Staat Familien finanziell und personell unterstützen, so dass sie besser in der Lage seien, sich um die Alten zu kümmern, damit sie so lange wie möglich zu Hause leben können. Fachleute machen außerdem einen neuen Trend zur Rentnerehe aus. Diese Ehen sind nicht unbedingt im Himmel geschlossen, sondern vielmehr praxisorientierte Zweckgemeinschaften. In den meisten Fällen heiraten ältere verwitwete oder geschiedene Männer wesentlich jüngere Frauen, die vorwiegend unteren Gesellschaftsschichten entstammen. Die jungen Frauen ziehen eher vor, einen alten Mann zu heiraten, als überhaupt nie zu heiraten. Viele Gleichaltrige ihrer sozialen Klasse können sich oft gar keine Ehe leisten. Für Mütterchen Sayeda El Gohary kommt das alles in Wahrheit natürlich nicht in Frage. Der Traum zu heiraten wird für den Rest ihres Lebens ein unerfüllbarer Wunsch bleiben.
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Hope Village Society Hoffnung und Hilfe für ägyptische Straßenkinder
Nr. 910/2000, pp. 711
Immer mehr Kinder, manchmal schon Kleinkinder, leben auf der Straße und müssen dort ihre Existenzgrundlage finden; nur die wenigsten haben keine leiblichen Eltern mehr. Das ist ein weltweit aktuelles und sichtbarer werdendes Phänomen und unabhängig von der soziokulturellen oder religiösen Ausrichtung einer Gesellschaft. Folgende Faktoren begünstigen aber oder sind Ursache für die zunehmende Anzahl der auf der Straße lebenden Kinder: extreme Unterschiede innerhalb einer Gesellschaft in der Einkommens- und Besitzverteilung und ein extrem niedriger Lebensstandard breiter Bevölkerungsgruppen, die Abwanderungsbewegungen der Landbevölkerung in Städte, Bürgerkriege, zunehmende Arbeitslosigkeit, einschneidende Veränderungen in den soziokulturellen Strukturen u.v.m. "Straßenkinder" sind eine Randgruppe, die wie wilder Wuchs aus dem Gefüge einer Gesellschaft treiben, denn offiziell sind sie gar nicht existent: "auf der Straße leben" und als Kind oder Jugendlicher keiner familiären oder familienähnlichen sozialen Gruppe anzugehören ist in keiner Gesellschaft vorgesehen und findet vor keinem Gesetz Bestand. Kairo. Für die Ausländer, die noch nie in einem Entwicklungsland lebten und ihren Wohnsitz neu in Kairo haben, gehören die Kinder, die betteln oder für Pfennigbeträge brauchbare oder unnütze Dinge verkaufen wollen oder ebenso brauchbare oder unnütze Dienstleistungen anbieten, zu den Eindrücken, die anfangs nur schwer zu verarbeiten sind. Sicher steigt man in Kairo noch nicht über die Körper von leblos am Boden liegenden Gestalten wie in anderen Metropolen; aber dass an bestimmten Plätzen verwahrloste Mädchen und Jungen Passanten oder Wartende ansprechen, auffordern oder bedrängen, manchmal auch mit einem unglaublichen Charme "entwaffnen", zeigt ein Grundproblem auf: diese Mädchen und Jungen haben oft keinen anderen Platz zum Leben oder Arbeiten. In Ägypten ist die Straße der Lebensraum für ca. 100.000 Kinder, die allen damit verbundenen Gefahren ausgesetzt sind: ihre Gesundheit ist durch mangelnde und einseitige Ernährung, unbehandelte Krankheiten (vor allem Hautkrankheiten), körperliche Schwächen und Drogenmissbrauch (hier vor allem "Schnüffeln") und Umweltbelastungen bedroht; das illegale Verhalten reicht von Betteln, Mundraub, Stehlen bis zu organisierter Bandenkriminalität; durch ihre Bedürftigkeit sind sie extrem gefährdet, als Arbeitskräfte mit Niedrigsteinkommen oder für Prostitution ausgebeutet und missbraucht zu werden. Seit April 1988 existiert in Ägypten der Verein "Hope Village Society", eine nicht-staatliche Organisation. Sie ist heute die bekannteste Initiative in Ägypten, die sich der Fürsorge, Erziehung und Ausbildung von Kindern in besonders schwierigen Lebensumständen annimmt und das öffentliche Interesse auf diesen Bereich lenkt. Die Initiative zur "Hope Village Society" ging von Richard Hamsely, dem englischen Direktor einer Sprachenschule aus; sein Anliegen war es ursprünglich, eine Einrichtung für Waisenkinder aufzubauen. Im April 1989 richtete "Hope Village" eine betreute Gruppe für zunächst acht Waisenjungen ein. Richard Hamselys Aufmerksamkeit und Interesse waren aber auch auf die verwahrlosten Jungen gerichtet, die ihm im Straßenbild auffielen. Systematisch wurden Bahnhöfe und Brücken, Plätze und Gebäude, an denen sich häufig herumstreunende Kinder aufhielten, von Sozialarbeitern aufgesucht und die Situation der Kinder, die dort anzutreffen waren, analysiert. Bald wurde auf seine Initiative hin eine Einrichtung mit dem Namen "R.A.Y." (Licht)-Strahl gegründet: "Rescue and Assistance for Youth". Wenn es den Sozialarbeitern von "Hope Village" gelang, Kontakt mit den Kindern aufzunehmen, wurden sie eingeladen, das neu eingerichtete "Reception-Center", die Aufnahmestation, zu besuchen.
Dies ist auch heute noch und immer die erste Station für die vier- bis sechzehnjährigen Kinder, in der sie sich zwischen einem Tag und maximal ca. sechs Monaten aufhalten. In den drei Aufnahmestationen, die ambulanzähnlich als Tageseinrichtungen geführt werden (eine in Sayyeda Zeinab, zwei in Shoubra), werden die Jungen erst einmal elementar versorgt: sie erhalten Mahlzeiten und Kleidung, sie können sich waschen, sie werden ärztlich versorgt und sie können sich ausruhen. "Hope Village" verfolgt zwei Grundsätze, wenn es ein Kind aufnimmt. Die Priorität liegt immer darin, die leiblichen Eltern aufzufinden, den Kontakt zu ihnen zu suchen und zusammen mit den Eltern oder einem Elternteil herauszufinden, warum das Kind auf der Straße lebt oder das Leben auf der Straße dem in der Familie vorzieht. Wenn die Familie ein Interesse daran hat, das Kind (oder manchmal auch die Kinder) wieder zurückzuholen und aufzunehmen, wird sie in Gesprächen beraten. Liegt die Ursache für seine Ausgrenzung bzw. sein Weggehen vorwiegend in der schwierigen materiellen Lage der Familie, lässt ihr "Hope Village" eine finanzielle Hilfe zukommen. Zeigt sich im anderen Fall, dass für den Jungen keine Aussicht besteht bzw. er auch selbst nicht bereit ist, wieder zu seinen Eltern zurückzugehen, nimmt sich das Zentrum gezielt seiner gesundheitlichen Probleme an und er erfährt eine sozialpädagogische und psychologische Betreuung. Wenn er nicht sofort in den normalen Schulbetrieb eingegliedert werden kann, besucht er Alphabetisierungskurse, und er übt sich in handwerklichen Fertigkeiten und Tätigkeiten. Die Tageseinrichtung der "Club" , die Betreuer, die Atmosphäre im Zentrum und seine Angebote sollen für sie attraktiv werden. Dazu zählt auch, dass sich die Jungen daran gewöhnen müssen, dass man (pädagogische) Forderungen an sie stellt. Wenn sich abzeichnet, dass sie all das nicht annehmen können, trennt sich "Hope Village" allerdings auch von ihnen, d.h. nur Jungen, die motiviert sind und deren weitere Betreuung erfolgversprechend ist, werden in die Übergangseinrichtungen weitergeleitet.
Hier kann die Verweildauer von einem Tag bis zu etwa einem Jahr betragen. Die Jungen sind dem Stadium der Notfallhilfe und der Beobachtung entwachsen und leben nun mit ihren Betreuern in zur Zeit zwei Wohngruppen (Mokattam, Hadayek El Kobba). Ziel ist die soziale und psychische Rehabilitation und die allgemeine Erziehung der Kinder. Kontinuierliche medizinische, psychologische und sozialpädagogische Hilfe, das Aufarbeiten der Familiensituation und religiöse Unterweisung sind die Basis dafür. Sie lernen ihre Freizeit zu gestalten, besuchen Alphabetisierungsklassen oder die öffentlichen Schulen oder nehmen an vorbereitenden beruflichen Trainingsprogrammen wie dem Erlernen der Teppichweberei oder von Khan-El-Khalili-Handwerk im Haus oder "draußen" teil. Die Erzieher legen den Zeitpunkt fest, an dem sie die Jugendlichen in der Lage sehen, wieder in ihre Familien zurück zu gehen oder in eine der Dauerwohngruppen zu wechseln.
Zur Zeit leben ca. 30 Kinder in drei Etagenwohnungen in normalen Wohnhäusern in Nasr City; eine Gruppe ist ausschließlich Babies und Kleinkindern vorbehalten. Die Jungen haben nun einen "ganz normalen" Tagesablauf mit Vorschule oder Schule, Mittagessen, Mittagsruhe, Hausaufgaben und Nachhilfe, Koranstunden und Gebet, Geburtstagsfeiern und Festen, Fernsehen, Sport und anderen Freizeitbeschäftigungen, Schulferien und Ferienprogrammen und jeden Abend wird um 10 oder 11 Uhr das Licht über einem eigenen Bett ausgemacht. Über den Alltag und das familienähnliche Leben sollen die Kinder Stabilität und eine soziale und psychologische Orientierung gewinnen. Es gibt viel zu lernen für diese Kinder. Neben dem Einüben allgemeiner Umgangsformen und der Anpassung an die alltäglichen Forderungen der Einrichtung müssen viel schwierigere Probleme im psychologischen Bereich, wie Suchtverhalten, massive Selbstwertprobleme und seelische Verletzungen, behandelt werden. Das Selbstbild der Kinder spiegelt die Einschätzung und die Reaktion ihrer Umwelt wider: sie sehen sich als "Last", "Bürde" und "unerwünschte Kreatur"; es fühlt sich vernachlässigt, abgelehnt, aufgegeben und zurückgestoßen. Die Jungen müssen lernen, Kontakt mit den Erziehern aufzunehmen und mit ihnen zu sprechen. In Einzel- und Gruppentherapie nähern sie sich einer anderen Sicht sich selbst und ihrer Umgebung gegenüber. Ein wichtiges Element in diesem Zusammenhang sind die sogenannten Clean-up Programme. Langsam lernen die Jungen nicht nur, dass ihre eigenen Bedürfnisse als Kinder wichtig genommen werden, sondern dass sie oder das Zentrum auch als Gebende und Handelnde Teil der Gesellschaft sind. Es ist wichtig, dass die Zentren in das soziale Umfeld in ihre Nachbarschaft integriert sind und dass Feindbilder abgebaut werden. Die Jungen nehmen sich deshalb der Sauberhaltung der unmittelbaren Umgebung und der Baumpflege im Viertel an, wecken damit das Interesse der Nachbarschaft und letztlich deren Wunsch zu helfen, weil sie beginnt, die Kinder als Opfer und nicht als (zukünftige) Kriminelle zu sehen. Die älteren Jungen beginnen eine Berufsausbildung, arbeiten in umliegenden Betrieben oder leisten den Militärdienst ab. Sie bleiben in "Hope Village" bis sie eigenverantwortlich und alleine leben können (i.d.R. bis nach Ende der Militärzeit) und erhalten beim Verlassen der Einrichtung ein Grundkapital, mit dem sie eine Wohnung kaufen können. Die Sozialarbeiter halten den Kontakt zu den Jugendlichen allerdings weiter, um sie darin zu unterstützen, ihr Leben "draußen" erfolgreich aufzubauen. Für diese Jugendlichen ist auch das "Boys' Home" gedacht, eine von "Hope Village" angemietete Wohnung in 10th of Ramadan; dort können sechs junge Männer zeitweise oder übergangsweise zur Miete wohnen, bis sie ihre eigene feste Unterkunft gefunden haben.
In 10th of Ramadan ist auch die vierte Langzeiteinrichtung für ca. 30 ältere Jugendliche niedergelassen, die in drei Häusern in betreuten Wohngemeinschaften leben und auf demselben Grundstück ihrer Arbeit und Ausbildung nachgehen. Ungefähr ein Drittel der Jugendlichen ist dort bereits in das schon seit 1999 laufende Treibhaussalat-Projekt von "Hope Village" eingebunden, die anderen zwei Drittel gehören einem Berufsbildungsprojekt an, von dem PAPYRUS 910/99 und 57/00 berichtet hat. Die Jugendlichen sollen dort eine berufliche Ausbildung in verschiedenen Ausbildungszweigen erhalten, für einen Teil der Jugendlichen hat das Projekt bereits begonnen.
Neu in der über 10jährigen Geschichte von "Hope Village" ist, dass nun auch auf der Straße lebende Mädchen in einem Pilotprojekt angesprochen werden. Dies stellt neue methodische Herausforderungen an die Mitarbeiter, über die der Leiter der Mädchengruppe berichtet: "Mädchen fassen im Vergleich zu den Jungen nicht so leicht Vertrauen, der Kontakt zu den Eltern ist viel schwieriger herzustellen und es stehen ihnen mehr Möglichkeiten zur Verfügung. Einmal auf der Straße, können sie zu Arbeiten in Häuser geholt werden, sie können sich organisierten Straßenhändlern anschließen oder zur Prostituierten werden. Es ist schwieriger, sie von der Straße wegzuholen." Als ich im April mit Mr. Abd El Wahab Farid, Mitbegründer und Berater von "Hope Village", ein paar der Einrichtungen besichtigt habe, war das "Mädchenhaus" gerade ein paar Wochen eröffnet. In zwei Stockwerken (ein drittes soll angemietet werden, wenn das Projekt erweitert wird) sind sechs Mädchen untergebracht. Nicht nur der Geruch frischer Farbe und die strahlendweißen Türrahmen und Türen oder die noch nicht komplett eingerichteten Räume vermittelten den Eindruck des Neuen. Der Alltag schien noch nicht eingespielt zu sein, es war spürbar, dass sowohl die Mädchen im Haus, als auch das Haus für die Mädchen noch neu und ungewohnt waren, der praktische und pädagogische Alltag muss für alle Beteiligten erst noch gefunden werden. Neue Konzepte für die Rehabilitation der Mädchen müssen erprobt werden. Ihre Lebenssituation, ihre Situation auf der Straße und ihre Integration in die ägyptische Gesellschaft weicht in vielen Punkten von der "männlichen Erfahrung" ab. Aber von Beginn an haben "Hope Village" Vorstand, Mitglieder und die gut ausgebildeten Mitarbeiter nicht auf eine vorhandene Methodik oder auf sozialpädagogische Vorbilder zurückgreifen können. Das sehr klare Konzept wurde von Verein und Mitarbeitern selbst entwickelt, "denn jedes Land hat seine eigenen Bedingungen und in jeder Gesellschaft äußert sich das Problem der Straßenkinder anders", so Mr. Farid. Die Tageseinrichtungen von "Hope Village" werden von ungefähr 2.000 Kindern im Monat besucht. Alle Einrichtungen, die ich mit Mr. Farid besucht habe, fielen nicht aus ihrer Umgebung und Nachbarschaft heraus als wäre das große Ziel, die Kinder in diese Gesellschaft zurückzuführen bzw. überhaupt erst hinzuführen, schon erreicht. Nicht unerwähnt bleiben sollen auch andere Organisationen und Initiativen, die sich obdachloser Kinder annehmen, SOS-Kinderdorf International oder die zahlreichen Waisenhäuser in Ägypten, die durch ihre Arbeit dafür sorgen, dass nicht noch mehr Kinder auf Ägyptens Straßen zuhause sind.
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