Alexandria
    Inhalt:
    Alexandria – Eindrücke über eine Stadt, die Probleme mit dem Jungbleiben hat
    Hafen Alexandria – damals und heute
    Heimat im fremden Hafen
    Badefreuden in Alexandria
    Neubau für die Bibliothek von Alexandria
    Erneuerung der Bibliothek Alexandrias?
    Die Bibliothek von Alexandria
    Alexandria, ewige Suche des Reisenden
 
    FingerzeigSiehe auch "Ägypten vor (mehr als) 100 Jahren":
             Alexandria in alten Reisebeschreibungen 1761—1911
 

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Alexandria –
Eindrücke über eine Stadt, die Probleme mit dem Jungbleiben hat

von Peter Rink

Papyrus-Logo Nr. 9/87, pp. 20—21

"Alexandria ist heute eine gesichtslose, vom Wüstenstaub überpuderte Massensiedlung ohne Farbe, eingetaucht in eine Atmosphäre stumpfer Gleichgültigkeit und sinnloser Hektik. Die einst so glanzvolle und festliche Corniche, die Uferpromenade am Mittelmeer, ist zur Autorennbahn an einer Front verwahrloster Häuserreihen mit toten Fenstern, leeren Cafés und Restaurants abgesunken."
Elef Sossidi, "Nachruf auf eine Stadt: Alexandria", in:
MERIAN: Ägypten, 33. Jg., Heft 12, Dez. 1980, S.10

Was für harte Worte über jene Stadt, die ich vor achtzehn Monaten kennenlernte! Aber hat Sossidi nicht Recht? Gewiß, die Stadt mag viel verloren haben seit dem 'fin de siécle', und wer Justine begegnet, spürt, wie deutlich der Putz abbröckelt, wie sehr hinter den brüchigen Make-up das wahre Alter zum Vorschein kommt.

Und dennoch: Je länger ich hier bin, umso deutlicher wird mir: Sie leben noch, die Liebhaber jener Stadt, die Alexandria mitgestalten, bevor Arabien seinen Siegeszug auch in dieser Stadt hielt. So sehr sich nach einem Jahr des Lebens hier wehmütige Faszination mit stiller Wut und zornigem Fäusteballen in der Manteltasche paaren mag, diese Stadt weiß auch heute noch mehr zu bieten, als es der erste Anschein zulassen mag.

Wie waren doch die ersten Stunden in dieser Stadt von Entsetzen geprägt! Nur das Chaos schien geordnet zu sein. Die ersten Meter mit dem eigenen Auto waren von der schier grenzenlosen Furcht regiert, nicht mit heiler Haut (oder heilem Blech) am Zielort anzukommen. Was machen diese Menschen mit ihrer Stadt, dachte ich, als ich Müllberge, bewohnt von Katzen sah, miterleben mußte, wie Menschen ihre Mülltüten zum Fenster herauswerfen. Ich begriff, daß Sorglosigkeit manches verfallen ließ, was sich erhalten ließe. Stille Wut ergreift mich, wenn in der Nachbarschaft eine wunderschöne Villa abgerissen wird, um einem Moloch von einem Hochhaus zu weichen. Doch wie will diese Stadt ihre Bevölkerungsprobleme anders lösen? Andererseits: Sind Sie schon einmal bei Sonnenuntergang die Corniche entlanggefahren oder -gelaufen, wenn die Sonne zwischen der Abul Abbas-Moschee und dem Kait Bey-Fort im Hafen verschwindet? Ich höre mir dazu gerne Barockmusik an, und dann vergesse ich die Passiva dieser Stadt, befinde mich fast in einer anderen Welt. Sie können natürlich sagen: Wer sich den Blickwinkel verkürzt, kann von allem begeistert sein; aber heißt es nicht auch, den Blick schärfen, nicht überall das Negative zu suchen?

Oder: Setzen Sie sich doch einmal ins Café Pastroudis und beobachten die Menschen: Studenten, Verliebte, alte grauhaarige Männer mit Bart und zerfurchtem Gesicht, das Geschichten von Alexandria zu erzählen weiß. Man braucht die Menschen gar nicht zu fragen, obwohl sie gerne viel erzählen und viel zu erzählen haben.

Ich finde diese Stadt ägyptisch und europäisch zugleich. Ich glaube auch, darin mag ihr Reiz liegen: Ein wenig Mittelmeer und gleich daneben jenes Ägypten, das ein Bewohner oder Besucher Kairos zu schätzen und fürchten mag. Das europäische und das ägyptische Alexandria passen irgendwo nicht zusammen und ergänzen sich doch wieder. Wenn ich sehe, wie der Cafébesitzer in der Straße liebevoll Bäume pflanzt und gießt, dann mag ich jenen "alten Alexandrinern" mit ihren geringschätzigen Bemerkungen über die Arabisierung nicht glauben.

Und doch: Waren Sie schon einmal freitags im Zoo? Die Grenze zwischen Beobachter und Beobachtetem, Affen und Menschen, wird hier fließend. Menschen sitzen in Gehegen und essen. Sie beobachten mich, den Ausländer, als exotisches Tier. Die Giraffen werden zweitrangig. Der benachbarte Antoniadisgarten ist wunderschön gestaltet, phantastische Gartenarchitektur, für die Öffentlichkeit gesperrt.

Wenn ich an Alexandria denke, denke ich an die Menschen. Menschen, die hilfsbereit bis zur Selbstaufgabe sind. Ich denke an den Nachbarn, der sieht, wie ich ein Taxi suche und mich voller Begeisterung in die Stadt führt, obwohl er woanders hin muß. Ich denke an die Nachbarn, die alle Hebel für einen in Bewegung setzen, wenn man etwas braucht. Ich denke auch an die Deutschen: Die Schwestern in der Schule z.B., die jene Ruhe ausstrahlen, die bei aller Hektik des urbanen Lebens so wohltut.

In einem Reiseführer las ich, man solle in Alexandria ein paar Tage vertrödeln. Das klang beim ersten Lesen recht abfällig. Wenn ich es korrigieren darf: man kann und sollte vielleicht in Alexandria einige Zeit 'verleben'. Man wird freilich immer wieder in Situationen kommen, wo die Fremdheit Ägyptens Unruhe provoziert, doch die Vielfältigkeit der Levante, die hier immer noch zu Hause ist, diese Vielfalt bietet Weltläufigkeit, nicht, was die Sehenswürdigkeiten betrifft, nein, daran ist die Stadt doch nicht so reich, ich meine die Menschen. Sie sind es, die es sich zu ergründen lohnt: Den griechischen Uhrmacher, den Besitzer eines Restaurants, wo man sich wie in einem Wiener Kaffeehaus fühlt, den Maler im Attarin, den Verkäufer im Blumengeschäft.

Manchmal denke ich mir, Lessings Nathan könnte auch ich Alexandria spielen; leider ist es nur ein Traum; die Welt des "kein Mensch muß müssen" ist hier nur noch zum Teil daheim. Aber seien Sie doch mal ehrlich: Kennen Sie nicht auch die ältere Dame, genau die: Faltig ist sie, eingefallen das Gesicht, keine Schönheit mehr. Doch man sieht, daß sie einst schön war, noch immer übt sie eine magnetische Anziehungskraft aus, und da können auch Sie nicht widerstehen.

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Hafen Alexandria – damals und heute
von Ekkehart Schmidt

Papyrus-Logo Nr. 4/89, pp. 23—28

Alexandria und der Hafen verdanken ihre Entstehung erst in zweiter Linie Alexander dem Großen. Der Makedonier hatte nämlich in Homers "Odyssee" von einer vor der ägyptischen Küste liegenden Insel gelesen, auf welcher König Menelaus vor über 3.000 Jahren auf dem Heimweg von Troja gelandet war, bevor er nach Sparta zurückkehrte. Als Alexander der Große fast ein Jahrtausend später im Jahre 331 v.Chr. auf dem Weg nach Persien dieses Eiland besuchte, fand er einen nicht mehr benutzten prähistorischen Hafen vor, der wahrscheinlich minoischen Ursprungs war. Von der Lage der Insel, die später Pharos genannt wurde, mit ihrem windgeschützten Naturhafen war Alexander wie vor ihm Menelaus so angetan, daß er auf dem gegenüberliegenden Festland die Stadt bauen ließ, die noch heute seinen Namen trägt. In der Tat war die Küste hier wie geschaffen für die blühende Stadt des Handels und des Geistes, die Alexandria bald werden sollte.

Lange vor jeder Zivilisation in Ägypten gab es noch kein fruchtbares Nildelta, lediglich eine große Meeresbucht, die sich bis über die Gegend des heutigen Tanta erstreckte. Unzählige Nilfluten waren nötig, bis diese Bucht mit Schlamm angefüllt war. Zwei Felsmassive ziehen sich vom Nordwestende des Deltas (vom heutigen Bihag) bis Abukir, 25 km östlich von Alexandria. Der größere dieser langen "Felsfinger" war nicht breiter als zwei Kilometer. Landeinwärts formte sich der Mariutsee. Dies, so läßt sich in E.M. Forsters Buch "Alexandria – A history and a Guide" nachlesen, erklärt den außergewöhnlichen Grundriß und die Lage der Stadt, es erklärt aber noch nicht, warum die Stadt einen Hafen hat. Der zweite Felsfinger zieht sich mehr oder weniger parallel, jedoch einige Meter tiefer etwa einen Kilometer nördlich des ersten entlang. Dies erscheint unwichtig, doch ohne diese zweite Felslinie wäre Alexandria keine Hafenstadt, denn sie bricht die Kraft der Wellen und ermöglicht im ruhigeren Hinterwasser gefahrlose Schiffahrt. Von diesem Riff sind heute nur noch Spuren zu erkennen: die Hügel von Agami, die Insel Marabut, die Pharos-Insel und eine stattliche Anzahl von Felsen draußen im Meer. Unmittelbar westlich des heutigen Ras el-Tin-Palastes befand sich zwischen den Felsen des zweiten Fingers der prähistorische Hafen. Er zog sich vom Abu Bakr-Felsen im Westen bis zu einer östlichen Felsbarriere. Diese beiden Punkte verbindet eine Linie von Felsen, die das Wasser brechen und eine Art Bucht im Meer formen. Seine Zufahrt befand sich im Süden, dort, wo der Leuchtturm des modernen Hafens steht. Die Überreste des Hafens liegen heute im militärischen Sperrgebiet der ägyptischen Marine, die Felsen sind abgesunken und liegen etwa 1—8 m unter Wasser.

Skizze des Hafens

Für Alexanders Zwecke war der prähistorische Hafen viel zu klein. Die Insel ließ er durch eine sieben Stadien lange Landbrücke, das sogenannte "Heptastadion" mit dem Festland verbinden. Links und rechts des Heptastadions, auf dem die neue Stadt entstand, bildeten sich zwei Buchten: der berühmte Doppelhafen von Alexandria. Im Osten legte Alexander den "Portus Magnus", den großen Hafen an, im Westen den "Portus Eunostos" (Gute Rückkehr). Auf der Insel stand eines der sieben Weltwunder, der 180 m hohe "Pharos", wie der Leuchtturm genannt wurde. Der Pharos war das Symbol der Macht Alexandrias überhaupt, sein Leuchtfeuer soll 100 Seemeilen weit zu sehen gewesen sein. Zwei Erdbeben im 14. Jahrhundert zerstörten ihn. Der Eunostos im Westen wurde erst unter Mohammed Ali zum Haupthafen der Stadt und blieb dies bis heute. Der Osthafen jedoch, der Haupthafen der Antike, ist heute nur noch Ankerplatz von Fischerbooten und beschauliche Promenadenbucht der modernen Stadt. Hier soll jedoch in den 90er Jahren eine Marina für Jachten entstehen.

Mit dem Ende der Blütezeit des antiken Alexandrias sank auch die Bedeutung des Hafens. 642 hielt schließlich mit dem Feldherrn Amr Ibn el-As der Islam Einzug in Ägypten. Da die Araber Fustat, das heutige Kairo, zur neuen Hauptstadt machten und Alexandria nicht die Kraft hatte, eine ordentliche Betreibung des Hafens – schon damals die Hauptpulsader der Stadt – zu gewährleisten, war der Niedergang nicht mehr aufzuhalten. Zudem war der damals bei Abukir ins Meer mündende Nilarm versandet. Es war der große Kämpfer gegen die Kreuzfahrer, Salah ed-Din (Saladin), der Alexandria im 12. Jahrhundert wieder zum bedeutendsten Hafen der Region entwickelte. Doch schon bald folgte, wie der Wechsel der Gezeiten, ein erneuter Niedergang des Hafens. Die Portugiesen hatten im 15. Jahrhundert den Kap-Weg nach Indien gefunden und Venedig riß den Mittelmeerhandel ganz an sich. Der See- und Handelsverkehr über Alexandria kam völlig zum Erliegen. Die nun unnützen Hafenanlagen und Piers verödeten, die Einfahrten versandeten. Das östliche Mittelmeer war für den Indienhandel eine Sackgasse geworden, an dessen Ende Alexandria lag. Von ehemals sieben Nilarmen blieben nur zwei übrig, die bei Rosetta und Damietta ins Meer fließen. Diese beiden schnell aufblühenden Hafenstädte übernahmen bald den gesamten verbliebenen Handelsverkehr. Vom Spätmittelalter bis ins 19. Jahrhundert war Rosetta der wichtigste Hafen Ägyptens. Erst mit Mohammed Alis Wirtschaftsreformen und mit der Erneuerung der Hafenanlagen begann Alexandrias Stern wieder zu steigen. In Alexandria richtete Mohammed Ali eine Quarantänestation ein und 'identifizierte' die Stadt so als Haupthafen und Eingangstor nach Ägypten. Die nötigen Docks und Lagerhäuser wurden vom französischen Architekten De Cerisy entworfen. Auch eine Flotte entstand. Der Pascha verband Alexandria durch den Bau des Mahmoudiye-Kanals wieder mit dem Nil und so auch mit Kairo. Schlagartig lief wieder mehr Handel über die Hafenstadt. Doch schon der Bau des Suezkanals 1869 verringerte die dominierende Rolle des Hafens wieder. Zwar stieg der Transithandel über Ägypten, doch Port Said und Suez übernahmen viel des Verkehrsvolumens.

Darstellung von 1554
Extrait des Observations de plvsieurs singvlaritez etc. par Pierre Belon du Mans, Paris 1554

Alle Importe und Exporte Ägyptens liefen über Alexandria. Die Stadt war wieder Handelsmetropole, besonders der Baumwollhandel blühte. Deutsche und österreichische Schiffahrtsgesellschaften besorgten einen großen Teil des Warentransportes. Die einzige lokale Schiffahrtsgesellschaft, die "Khedive Mail Line", befand sich in britischen Händen. Als Ende des 19. Jahrhunderts neue Schnelldampfer die Reise von Europa nach Alexandria erheblich verkürzten, wurde die Stadt neben Kaufleuten und Abenteurern auch von der abendländischen Aristokratie "entdeckt". Viele historisch bedeutsame Ereignisse sind mit dem Hafen verknüpft. Nicht nur die Flotten und Armeen, die im Laufe der Jahrhunderte Ägypten besetzten, sind hier gelandet, auch alle Ägyptenreisenden der Vergangenheit, von Herodot über Flaubert und Lane bis zum Tiervater Brehm, kamen im Hafen von Alexandria an. Lange Jahre trainierte im Hafen sogar ein deutscher Ruderverein, der nach 1918 von den Engländern übernommen wurde. Das "Deutsche Seglerheim" rief dann einen zweiten Ruderklub ins Leben, der zum Treffpunkt der "deutschen Kolonie" Alexandrias wurde. Ebenfalls im Hafen versorgte das "Deutsche Kohlendepot" deutsche Schiffe der Levantelinie mit Heizmaterial. Die Geschichte des ältesten Mittelmeerhafens soll ein neues "Maritime Museum" dokumentieren, das bis 1990 in der Nähe der "Stanley-Beach" gebaut werden soll.

Alexandria blieb bis heute der strategisch und wirtschaftlich bedeutendste und mit 600 Hektar Wasserfläche auch größte Hafenplatz des östlichen Mittelmeerraumes. Im Sommer steuern monatlich vier bis sechs Passagierschiffe Alexandria an, Kreuzfahrtschiffe, aber auch Fährschiffe aus Venedig, Athen und Zypern. Sie alle legen am Passenger Terminal inmitten des Westhafens an. Heute, im Flugzeitalter, kommt kaum noch ein Tourist per Schiff nach Ägypten. Die Einfahrt in den Hafen ist ein Erlebnis, das dem modernen Pauschaltouristen, dessen Jet gleich 220 km weiter südlich in Kairo landet, heute entgeht. Nur vom Deck einlaufender Schiffe läßt sich der Hafen heute noch betrachten. Zwischen den draußen auf dem Meer liegenden wartenden Frachtern hindurch fährt das Schiff auf die Silhouette des Ras el-Tin-Palastes zu, weit links davon die Festung Qait Bey, die beide wie gewaltige Felsbrocken vor der Stadt im Meer zu liegen scheinen. Dann läuft das Schiff in den Hafen ein. Für viele Europäer, die beruflich für einige Jahre nach Ägypten ziehen, weicht diese erste Beschaulichkeit schnell. Hafen bedeutet für sie "Horror". Herrmann Wirth, in den 70er Jahren Lehrer an der Deutschen Schule in Alexandria, beschreibt seine Ankunft:
"Der Teufel schien seine Helfershelfer losgelassen zu haben. Gepäckträger, oder was immer sie sein sollten, gestikulierten, schrieen kehlig und heiser, stürzten über einen her, rissen die Gepäckstücke an sich, zankten untereinander, bündelten das Gepäck, ließen es über die Reling an Stricken irgendwohin ins Hafengelände verschwinden."

Um den Westhafen entstanden nach dem 2. Weltkrieg Industrieansiedlungen, Baumwollager und Arbeitermietshäuser. Von der Stadtseite her ist der Hafen heute praktisch nicht mehr einsehbar, er ist eine Stadt für sich. Eine 7 km lange Mauer mit 58 Zolltoren begrenzt ihn zur Stadt. Ein flüchtiger Besucher könnte meinen, Alexandria habe lediglich eine über 25 km lange Promenade und Badestrände, nicht aber einen Hafen. Noch 1936, unter britischer Verwaltung, war dies ganz anders, es gab weder Zoll- noch Hafenbehörden, der Hafen war frei zugänglich, jeder Bürger konnte an die Schiffe. Es existierte lediglich ein Paßamt, in dem ein britischer Offizier ankommende Passagiere kontrollierte.

Nach 1939 übernahmen die Ägypter die Kontrolle über den Hafen. Nach der Revolution baute Gamal Abdel Nasser bis 1954 den Hafen neu aus. 30 bis 35 Millionen Tonnen Fracht konnten hier nun jährlich umgeschlagen werden. Tatsächlich wurde diese mögliche Kapazität nie erreicht. Als die ägyptischen Importe 1983/84 ihr höchstes Niveau erlangten, wurden gerade 30 Millionen Tonnen ein- und ausgeladen. Die Umschlagskapazität des Hafens wird heute längst nicht mehr ausgelastet, 1988 waren es nur noch 20 Millionen Tonnen. 1984 rechnete man aber noch mit einem starken Aufschwung des Seehandels und begann, einige Kilometer westlich bei El Dekheila einen neuen Hafen zu bauen. Beide Häfen zusammen werden in den 90er Jahren eine Kapazität von 55 Millionen Tonnen haben. Dies ist sehr viel, bedenkt man, daß 1981 nur ein jährlicher Verkehr von gerade 18 Millionen Tonnen den Hafen anlief. Im bestehenden alten Hafen stehen 56 Kais mit einer Gesamtlänge von 10,5 km zur Verfügung. Nach Auskunft des Generaldirektors der Port Authority, Admiral Hamdy Mahdy, läuft heute 65% des ägyptischen Schiffshandels über Alexandria. (Port Said und Suez sind die zweitgrößten Häfen, doch werden dort nur vergleichsweise wenig Schiffe beladen oder gelöscht.) Der Hafen wird heute, so Mahdy, jährlich von 3.500 bis 4.000 Schiffen frequentiert. Im September kommen die meisten. Zwischen Ende November und Anfang April wird die See rauh, dann muß der Hafen meist für etwa fünf Tage geschlossen werden.

Die Struktur der Schiffsladungen ist sehr unterschiedlich. 1988 wurden 5,7 Millionen Tonnen Stückgut, 6,5 Millionen Tonnen "dry bank und grain" sowie 6,8 Millionen Tonnen flüssige Güter verladen. Tendenziell wird immer weniger Stückgut verladen. Etwa 5% der Schiffe fahren unter deutscher Flagge. In Wirklichkeit sind es mehr deutsche Schiffe, die aus Steuergründen aber in Ländern wie Liberia registriert sind. 1988 erreichten Schiffe mit 1,7 Millionen Tonnen Importgütern aus der Bundesrepublik den Hafen, Schiffe mit 2,5 Millionen Tonnen Fracht verließen Alexandria mit dem Ziel Bremen oder Hamburg.

Ins ägyptische Inland werden die Güter hauptsächlich mit Lastwagen gefahren, die erheblich langsamere Eisenbahn verliert an Bedeutung, obwohl der Kohlehafen im 19. Jahrhundert einen eigenen Gleisanschluß bekam. Dort ist übrigens auch ein 25 Jahre alter Kohlekran in Betrieb, der noch immer sehr verläßlich arbeiten soll.

Seit 1984 besitzt Alexandria auch einen Containerhafen, der mit Unterstützung der Weltbank und der Port Authority im Westen des Hafens auf einer Fläche von 163.000 m² gebaut wurde. Zum Vergleich: der Container-Terminal in Bremerhaven, der größte geschlossene in Europa, hat 1,6 Millionen m² Stellfläche. Die Weltbank hält 40% der Anteile der im Oktober 1984 neu gegründeten Alexandria Container Handling Co. (A.c.h.co.), die Port Authority und mehrere weitere staatliche Gesellschaften halten 60% der Anteile. Zwischen 550 und 600 Containerschiffe laufen den Häfen jährlich an, ihre Verladung sollen sich nach einem charter agreement die einzelnen Containergesellschaften untereinander aufteilen. Im Hafen könnten sechs Schiffe gleichzeitig be- und entladen werden, wenn darunter Schiffe mit eigener Ladeausrüstung sind. Im Schnitt sind es jedoch nur 1,9 Schiffe pro Tag. Der Containerhafen arbeitet noch nicht mit der vollen Kapazität von 160.000.Tonnen/Jahr, doch befindet sich der Handel über Container seit Jahren in einem steten Aufwärtstrend. Immer mehr Spediteure steigen von Stückgutladung auf Container um. Waren es 1985 noch 35.000 Tonnen, die hier be- und entladen wurden, so stieg diese Zahl 1988 auf 125.000 Tonnen. Gleichzeitig zeigte sich im Stückguthandel ein umgekehrter Trend. In El Dekheila wird deshalb momentan ein neuer Containerhafen gebaut, um für die Zukunft gerüstet zu sein. Der Containerhafen ist nur ein Teil des neuen Hafens. Seit 1986 arbeitet in El Dekheila eine Mineral- und Rohmaterialverladestation. Der Kai ist 660 m lang und kann Schiffe von bis zu 200.000 t bedienen. Die Station kann jährlich 5 Millionen Tonnen Fracht umschlagen. 1,8 Millionen Tonnen erreichen über ein 2 km langes Fließband die unmittelbar am Hafen errichtete Alexandria Steel Company.

Ein weiterer Containerhafen wurde Anfang März in Port Said eingerichtet. In Damietta besteht seit 1986 ebenfalls ein Containerhafen, der größere Schiffe aufnehmen kann und auch flächenmäßig größer ist als der in Alexandria, jedoch weniger frequentiert wird. Laut Angaben von Badr El Din läuft 70% des gesamten Containerhandels über Alexandria. Das sind etwa 150.000 Container. Während das Containergeschäft gut läuft, hat die "Alexandria Shipyard", eine 1964 mit russischer Hilfe gebaute Werft, momentan Probleme, Aufträge zu bekommen. 1988 sah es für die Werft noch gut aus, für die ägyptische Handelsflotte wurden mehrere Schiffe fertiggestellt. 1985 wurde erstmals in der Geschichte der Werft ein Mehrzweckfrachter von 38.500 t gebaut, obwohl die Kapazität der Docks nur 30.000 t beträgt. Man improvisierte einfach: zuerst wurde das Schiff zu zwei Dritteln der Länge fertiggestellt und halbfertig aus dem Dock gefahren, dann wurde der Bug gebaut und im offenen Hafenwasser an das Hinterteil angekoppelt. Die "Operation" gelang. 1989 fehlen solche Großaufträge. Augenblicklich werden in Zusammenarbeit mit der Lübecker Schlichting-Werft, die übrigens schon geschlossen wurde und nur noch diesen älteren Auftrag erfüllt, zwei kleinere Frachter fertiggestellt. Die Zukunft sieht düster aus. Die Werft ist gezwungen, ihre Aktivitäten auch auf fremde Bereiche auszudehnen, um die 6.000 Arbeiter wenigstens halbtags auszulasten: Produziert werden Kücheneinrichtungen und stählerne Fußgängerbrücken. Sogar die Flutlichtmasten für das Alexandriner Fußballstadion stammen aus der Werft.

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Heimat im fremden Hafen
von Rainer Tyrakowski-Freese

Papyrus-Logo Nr. 3/87, pp. 52—55

Deutsches Seemannsheim in Alexandria wiedereröffnet.
Seit einem Jahr arbeitet das Deutsche Seemannsheim in Alexandria wieder für Seeleute auf deutschen Schiffen. Die Sorge um Seeleute in Ägypten geht auf eine lange Tradition zurück. Bereits vor 1884 hielt der Pfarrer der deutschen evangelischen Gemeinde Gottesdienste auf dem Kapellenschiff der englischen Seemannsmission ab.

1912 wurde ein Verein für ein deutsches Seemannsheim gegründet, und ein Seemannslesezimmer mit Übernachtungsmöglichkeit eröffnet, bis 1914 arbeiteten hier die Seemannspastoren Graeber und Klingenburg.

1959 konnte Diakon Busch seine betreuende Arbeit für deutsche Seeleute wiederaufnehmen, später wurde er von Diakon Thürnau abgelöst. Wurde 1959 noch gemeinsam mit dem deutschen Kulturinstitut ein Gebäude in der Rue des Pharaons unterhalten, zeigte sich bald, daß der Raumbedarf auf beiden Seiten größer als anfangs angenommen war. 1960 wurde deshalb ein Haus angemietet und später gekauft, in dem sich auch heute wieder das Deutsche Seemannsheim befindet.

Die Betreuungsarbeit der deutschen Seemannsheime im Ausland ist heute geprägt durch die Situation der internationalen Seeschiffahrt. Das Überangebot an Schiffstonnage auf dem freien Weltmarkt hat seit Jahren zu einem verstärkten Kostendruck und dadurch zu verringerten Frachtraten geführt. Die deutschen Reeder haben daraus seit langem die Konsequenz gezogen, die Kosten des gesamten Schiffsbetriebes zu verringern. So sind seit den 60er Jahren die Mannschaften der deutschen Schiffe verkleinert worden. Von den damals mehr als 60.000 deutschen Seeleuten gibt es heute noch ca. 20.000.

Seemannsheim

Um zudem die Lohnnebenkosten der Heuern zu verringern, und um nicht mehr an den relativ hohen, deutschen, kostenintensiven Sicherheitsstandards auf den Schiffen gebunden zu sein, haben zunehmend deutsche Reeder die Chance genutzt, deutsche Schiffe "abzuflaggen", d.h. unter Recht und Flagge sogenannter "Billigländer" fahren zu lassen. Da dies auch bei anderen Industrienationen üblich geworden ist, läuft heute eine große Anzahl von Schiffen unter Panama-, Liberia- und Zypernflagge. Allein drei Firmen auf Zypern vertreten heute mehrere hundert Schiffe deutscher Eigner.

Für den Seemann hat dieses Ausflaggen zur Folge, daß ihm alle Rechte verlorengehen aus deutschen tariflichen Vereinbarungen, daß in der Regel kein fester Arbeitsplatz mehr geboten wird, sondern Kettenverträge über in der Regel 6—12 Monate Dauer, und daß – neben der Möglichkeit freiwillig weiter Beiträge zur Sozialversicherung zu zahlen – für ihn keine Möglichkeit besteht, sich bei der Arbeitslosenversicherung anzumelden, d.h. heißt keine Absicherung für ihn und seine Familie (außer eben Sozialhilfe) im Falle von Arbeitslosigkeit. Diese rechtliche Situation wird verständlicherweise von Seeleuten kritisiert, weil im Normalfall heute kein Seemann freiwillig auf ein ausgeflaggtes Schiff geht, sondern dem veränderten Management seines Reeders folgt, und weil arbeitslosen Seeleuten oft genug von den Heuerstellen der deutschen Arbeitsämter Arbeitsstellen auf ausgeflaggten deutschen Schiffen angeboten werden.

Nach Aussagen des Verbandes deutscher Reeder sind seit Beginn dieses Jahres bereits mehr als 50 deutsche Schiffe ausgeflaggt worden, wobei Zypern eine zunehmend wichtige Rolle spielt, so daß nun 45% der Schiffe deutscher Eigner unter nichtdeutscher Flagge fahren.

"Auf der Reeperbahn nachts um halb eins..." sang einst Hans Albers vom süßen Seemannsleben an Land nach langem Seeturn. Das muß Seeleuten von modernen deutschen Containerschiffen, wie sie die Mehrzahl der Alexandria anlaufenden Schiffe sind, als Bericht von einem anderen Stern erscheinen. Wenn das deutsche Containerschiff "Kalymnos" nach 12-tägigem Seeturn von Europa kommend in Alexandria anlegt, kann es sein, daß sie von Felixstowe (GB) kommend, vorher an drei Tagen drei Häfen am Kontinent angelaufen haben, darunter Hamburg mit einer Liegezeit von 4—6 Stunden. Kaum Zeit, um in den Seemannsclub "Duckdalben" am Griesenwerderhafen zu gehen, zu telefonieren, Post abzugeben, eine Zeitung zu kaufen...

Reeperbahn – Hamburg – Michel ade...! Wenn dieses Schiff nach vier Wochen seinen Nordeuropa-Mittelmeerturn beendet hat und in Felixstowe die nächste Runde beginnt, kann es sein, daß die Seeleute niemals mehr als 24 Stunden in einem Hafen waren und niemals an Land gehen konnten, vielleicht nur in Alexandria mit unserer Unterstützung etwas von Land und Leuten gesehen haben.

Auf Schiffen deutscher Flagge findet eine ständige Auseinandersetzung zwischen Reedern und Seeberufsgenossenschaft statt, mit dem Ziel der extensiven Auslegung der Richtlinien der Schiffsbesetzungsverordnung, d.h. die Mannschaften immer wieder zu reduzieren. So kann es sein, daß am Containerpier im Hafen von Alexandria zwei etwa gleich große Containerschiffe liegen, das bundesdeutsche Schiff mit 13 Mann Besatzung und ein Schiff aus einem Land mit staatswirtschaftlichem System mit 25 oder mehr Seeleuten an Bord.

Die Reduzierung der Mannschaftsstärke auf deutschen Schiffen hat vor allem in der schnellen Containerfahrt auf Küstenrouten (z.B. Nordsee, Mittelmeer) mit schneller Folge von Häfen zu einer besonders hohen Arbeitsbelastung geführt, die u.E. bei weiterer (geplanter!) Reduzierung zu Sicherheitsproblemen führen wird, die auf Überbelastung und mangelnde Ruhezeiten der Besatzung zurückzuführen sind. In der Fachzeitschrift HANSA schreibt ein Kapitän dazu: "Mit erheblich reduzierter Besatzung bei unbesetztem Maschinenraum, fahren mit einer Wachbefähigung, fahren ohne Funker, fahren mit schneller und größer werdenden Schiffen und zunehmenden Anteilen gefährlicher Ladung und jetzt fahren ohne Ausguck ? – wer und bis zu welchem Alter fährt diese Schiffe und kann diesem Leistungsdruck standhalten?"

Die Analyse der Statistik der Seeberufsgenossenschaft weist heute schon an erster Stelle Magen-Darmerkrankungen bei deutschen Seeleuten aus, als typisches Krankheitsbild aus dem psychosomatischen Ursachenbereich, sowie eine hohe Quote sogenannter "ungeklärter Todesfälle" auf See.

So wie die Arbeits- und Lebensbedingungen an Bord belastender geworden sind, ist auch die seelsorgerische Arbeit der Seemannsheime wichtiger geworden. In der jetzigen Situation ist der Seemannsbetreuer derjenige, der die veränderten Bedingungen an Bord kennt, und wichtige Aufgaben als Mittler zur Heimat und zum Gastland und als Gesprächspartner an Bord im universellen Sinne wahrnimmt.

Die Seemannsheime organisieren heute ein breites Angebot an Dienstleistungen für Seeleute. Die Lebenssituation an Bord bringt ein großes Bedürfnis nach Informationen mit sich, kaum jemand ist mit der Situation, nur auf die deutsche Welle angewiesen zu sein, zufrieden... Zeitschriften, Zeitungen, Bücher und anderes Informationsmaterial aus vielen Bereichen sind gefragt (auch PAPYRUS ist gern gelesene Lektüre: "Sehr interessant" sagte mir ein Schiffsingenieur vom deutschen Hochseeschlepper "Fairplay IX" zur "Sudannummer"). Im Seemannsheim findet der Seemann Chance für Ruhe und Entspannung, sportliche Betätigung, selbstbestimmte Freizeittätigkeit, Möglichkeit, mit Angehörigen zu Hause zu telephonieren und Gesprächspartner, um über die Themen, die ihn gerade berühren, zu sprechen.

Darüber hinaus organisieren wir kurze Ausflugsfahrten in Alexandria und in der Umgebung. Im letzten Jahr waren Abu Mena, das Wadi Natrûn und Rosetta besonders beliebt. Der klassische Ausflug nach Kairo ist heute nur noch für Seeleute auf konventionellen Schiffen möglich, die eine längere Liegezeit in Alexandria haben.

Gerade kleinere Exkursionen bieten die Chance für Seeleute, ihr Gastland etwas kennenzulernen und vielleicht bestehende negative Urteile über Ägypten, die oft aus den nicht unbedingt positiven Erfahrungen im Hafen herrühren, zu revidieren – Ägypten als interessantes Land und Ägypter als freundliche, interessierte Gastgeber kennenzulernen; auch eine ernstzunehmende Aufgabe für deutsche Seemannsheime im Ausland in der heutigen Zeit. Und wenn ein freundlicher Mönch im Bischoi-Kloster im Laufe eines Gespräches die Frage stellt: "was unterscheidet eigentlich das Meer von der Wüste?", dann war dieser Ausflug sicher lohnend.

Die genannten Probleme, die die heutige Situation in der Seeschiffahrt kennzeichnen, haben bei der deutschen Seemannsmission und bei den anderen Mitgliedsorganisationen der "International Christian Maritime Association" (ICMA) dazu geführt, nunmehr konkret Position im Interesse der Seeleute zu beziehen. Die Gründung des "Centers for Seafarers' Rights" in New York und die vereinbarte Kooperation mit der "International Transport Workers' Federation" (IIF) zeigen die Richtung der Überlegungen an: In der jetzigen Situation ist auch tätige Hilfe für Seeleute durch die deutschen Seemannsheime angesagt.

Das Schiff ist ein Symbol für Gemeinschaft, ein Gleichnis für die Welt ("Arche Noah"). Das könnte Modellarbeitsplatz sein, das Leben an Bord Beispiel: Menschen aus vielen Ländern arbeiten und leben zusammen; "sitzen in einem Boot".

Doch Traumschiffe fahren selten, meist nur im Fernsehen.

Karikatur
"Wo ist die Besatzung?" – " Wieso? Ich bin hier!"
Auf die drastische Verringerung der Besatzungsstärken an Bord der Schiffe spielt diese Karikatur der Zeitschrift "The Telegraph" der britischen Vereinigung der Schiffsoffiziere an.

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Badefreuden in Alexandria
von Heidewig Hadidi-Feuerherdt

Papyrus-Logo Nr. 6/83, pp. 13—16

In Alexandria leben 3 Millionen Menschen. Im Sommer kommt eine 4. Million zu Besuch: die Touristen.

Während die Corniche (Anm. 1) die "Copa Cabana" des Mittelmeeres, im Winter wie eine Nekropole wirkt, absolut tot, mit bröckelnden Fassaden, erwacht hier Ende Mai, Anfang Juni mediterranes Leben: Großfamilien aus Kairo mit vielen Kindern und bäuerlichen Dienstmädchen, die oft selbst noch Kinder sind, Tanten, Cousinen, Vettern und am Wochenende die Väter – so sitzen sie auf den Balkons ihrer Sommerwohnungen, in der frischen Meeresbrise trocknet die Wäsche des Säuglings. Von der Straße dringt fröhliches Hupen und mischt sich mit den immer von Liebe und Sehnsucht singende Stimmen arabischer Volksschlager.

Gleich auf der anderen Straßenseite schlagen die Wellen des azurblauen Meeres auf den Sand. Wer sich den Weg durch die forsch fahrenden Autos aus den arabischen Bruderländern gebahnt hat, sitzt nun unter dem Sonnenschirm. Frauen immer züchtig in Galabija oder langem Baumwollkleid. Kinder lassen Drachen steigen. Männer betätigen sich ausdauernd mit Ballspielen. Vom alten Hafen über Shatby, Ibrahimiya, Stanley, Glym, San Stefano, Sidi Bishr bis zum Sheraton immer das gleiche Bild: Urlaubsparadies des ägyptischen Mittelstandes (Anm. 2).

Wer es sich leisten kann, zieht weiter raus aus der Stadt, dorthin, wo noch etwas Natur übriggeblieben ist. Für Tagesausflüge beleben sich während der Sommermonate auch im Park von Montazah die Kabinen (Übernachten ist nicht erlaubt). Hier flaniert die Schickeria von Kairo, Beirut und Riyad im Bikini unter Kasuarina-Kiefern und Dattelpalmen, labt sich an Seeigeln und Wimpy-Burgern. Das war schon Nasser ein Dorn im Auge. In einer seiner Reden zog er gegen "jene in Montazah" zufelde – worauf viele der damaligen Mieter eingeschüchtert ihren Vertrag kündigten – wovon andere profitierten. Inzwischen sind alle Kabinen in fester Hand, und da auch Minister und Präsidenten sich hier "Chalets" errichten ließen, besteht vorläufig keine Gefahr, daß etwas frei wird (Anm. 3).

Wem die tägliche Fahrerei zu mühsam ist (oder in Montazah nichts mehr abbekommen hat), zieht mit Sack und Pack aus dem feuchtheißen Zentrum für 2—3 Monate in die moderne Feriensiedlung Maamura, die gleich hinter Montazah auf dem Weg nach Aboukir liegt.

Da wimmelt es in der Hochsaison wie in einem Ameisenhaufen: hier ist des Volkes wahrer Himmel! Karussells, Spielplätze, Glückspielbuden, Caféterias und Discos! Vor allem die studentische Jugend, die sich von der Büffelei der Wintermonate erholen muß, trifft sich auf der Piazza von Maamura (Anm. 4).

Die Jeunesse dorée dagegen tummelt sich in Agami (auch "El Bitash" – Anm. 5). Jeden Abend die gleiche Gruppe in einem anderen Rahmen: mal chez Michael's, mal privat, mal im Garten, mal um den Swimming Pool, mal letzter Hit in der Disco, mal urig bei Tschakos (Anm. 6). Hier kann es einem geschehen, daß Julio Iglesias an einem vorüberschwebt – leibhaftig.

Was wäre Alexandria ohne Agami?! Undenkbar! Vor hundert Jahren war hier noch kein Baum und kein Strauch, nur Feigenbüsche und schneeweißer Sand (besonders in Vollmondnächten!). Da gab es Dünen hektarweise! Blaise und Bianchi waren die Pioniere. Um die Jahrhundertwende erwarb der Tee-Importeur aus der Schweiz die Gegend östlich von der Stichstraße ans Meer, heute noch als "Blaise" bekannt, während der Italiener aus der Baumwollbranche die Sandhügel westlich der Nord-Südroute erwarb, heute "Bianchi". Der Ägypter Hanno legte eine Straße bei km 25 ans Meer an und gründete das eher dörfliche "Hannoville".

Die Spekulation lohnte sich, Europäer erwarben hier Grundstücke, hielten sich an die Auflagen, nur einstöckig zu bauen und Gärten anzulegen. Sie errichteten Villen ähnlich denen, wie sie auf der Nordseeinsel Sylt von Axel Springer bewohnt werden. Sie pflanzten Bäume und blühende Sträucher, deren Schönheit sie jedoch nicht lange genießen konnten, weil Nassers Wirtschaftspolitik sie zurück in ihre Heimatländer zog. Ein Abglanz ist uns geblieben, wenn auch die prächtige Kasuarina-Allee im Zentrum von Bianchi, "Champs Elysée" genannt, während der letzten Jahre unter dem Ansteigen des Grundwassers gelitten hat: viele der hohen Bäume sind abgestorben. Die Ursache dafür führen manche auf die große Zahl der "Dauerwohner" zurück, da die Straßen nicht kanalisiert sind. Andere meinen, der Bau des Assuan-Damms wirke sich bis nach Agami aus...

Das ist Alexandria im Sommer. Wer am High Life nur mal schnuppern will, sollte sich ein Hotelzimmer im Palastine-Hotel im Park von Montazah mieten, das landschaftlichen Reiz mit trüber Badebucht und freudloser Atmosphäre verbindet. Im Sheraton, außerhalb des Parks, ist es im Zimmer sicher adretter, draußen aber nicht reizvoller als der Rest der Corniche.

In Agami hat Hannoville das bestgelegene Hotel mit abgetrenntem und gesäubertem Strand. Das Ambiente ist orientalisch und die Preise gesalzen. Das Meer hat hier seine Tücken, doch der hoteleigene Bademeister pfeift alle Schwimmer zurück, die sich zu weit raus in die Brandung wagen. Wo niemand pfeift, sollte man selbst vorsichtig genug sein, lieber parallel zum Ufer schwimmen als senkrecht gen Griechenland! Kinder sollten immer Grund unter den Füßen fühlen.

Der lange Strand von Agami ist vorwiegend öffentlich und kostenlos. Leider liegen im Sand viele kleine Teerbrocken, doch mit Benzin aus dem Reservekanister ist schnell alles wieder sauber. Das Wasser ist ein Genuß: "Nur noch bei Ceylon ist das Meer so klar" – authentischer Ausspruch eines mitteleuropäischen Touristen.

Je weiter man nach Westen kommt, desto schöner wird das Meer. Leider ist es nicht erlaubt, das Auto irgendwo am Wege stehenzulassen, um über die weißen Dünen zu klettern und die Einsamkeit am tintenblauen Wasser zu genießen. Jeder qkm Strand ist unter scharfer Kontrolle der Küstenwache, um dem Haschisch-Schmuggel zu wehren. Die überall gegenwärtigen Beduinen benachrichtigen den zuständigen Offizier – und schon wird man einem lästigen Verhör unterzogen. Alle Straßen, die ans Meer führen, darf man benutzen.

Ca. 20 km hinter El Alamein liegt einsam das moderne Regierungshotel "Sidi Abd El Rahman". Mit eigenem Strand, aber ohne Atmosphäre. Wer die Mühe nicht scheut und noch 180 km weiter fährt (von Alexandria sind es 280 km) in Richtung Libyen, hat das Vergnügen, den originellen Wirt vom Hotel "Beau Site" in Marsa Matruh kennenzulernen. Mit Khaki-Shorts, Kniestrümpfen und Tropenhelm wirkt er, als hätte Rommel ihn dort zurückgelassen. Er verwöhnt seine Gäste auf griechische Art, bereitet die Eier am Frühstücksbuffet mit eigener Hand und bläst einen Marsch, wenn ein prominenter Gast abreist.

Der samtweiche Sand geht ganz gemächlich in das Blau der ruhigen Meeresbucht über, total ungefährlich (was man vom strömungsreichen Wasser bei Agami nicht sagen kann) und geschützt vor neugierigen Blicken (was man ebenfalls von Agami nicht sagen kann – Anm. 7).

Hiermit wollen wir unseren Bericht über den Sommer in Alexandria abschließen, den wir nach bestem Wissen und Gewissen erstellt haben, obgleich wir noch keinen Sommer hier verbracht haben. Der "Einheimische" (wie das so geht in Touristengegenden) entflieht während der Saison in ruhigere Gebiete oder einfach dahin, wo er der Nehmende ist, nicht der Opfernde.

Zum Schluß noch einen guten Rat vom "Einheimischen": Meiden Sie Alex im Sommer, kommen Sie – wenn es irgend geht – Ende September, Anfang Oktober oder auch im November, wenn Sie das ganze Mittelmeer für sich allein haben – und darüber einen strahlend blauen Spätsommer-Himmel! Wir helfen Ihnen gern, ein stilles Plätzchen in Agami zu finden.

Anmerkungen:
    • Anm. 1 
      1936 aufgeschüttet, zieht sie sich 25 km lang vom Ras-El-Tin-Palast, der ehemaligen offiziellen Sommerresidenz des Königs, im Westen bis nach Montazah, dem privaten Sommersitz der königlichen Familie, im Osten der Stadt, heute ein öffentlicher Park.
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    • Anm. 2 
      Die Jahresmiete für eine Kabine, die dicht an dicht auf den Strand gebaut wurden, beträgt (in Stanley) LE 250,-.
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    • Anm. 3 
      Offizieller Vermieter ist eine staatliche Gesellschaft, die für das Jahr 1983 LE l.000,- pro Kabine kassiert. Da Ägypter wenig Interesse haben, außer in den Ferienmonaten sich in freier Natur zu bewegen, besteht durchaus die Chance, das Nutzungsrecht an einer Montazah-Kabine während der Wintermonate zu erwerben, allerdings nur "unter der Hand" und durch private Kontakte. Der Preis ist dann Verhandlungssache.
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    • Anm. 4 
      Wohnungen zu mieten über MENATOURS, neben dem Cecil Hotel in Alexandria, Ramle-Station. Preis für eine möbl. Wohnung am Meer, 3 Schlafzimmer, 2 Badezimmer, im August LE 2.750,- (sic!), im Dezember LE 250,-. Preis für eine möblierte Wohnung 500 m vom Meer entfernt im August 1.700,- LE, im Dezember l00,- LE. Die Strände von Montazah und Maamura sind abgesperrt, nach Entrichtung eines Eintrittsgeldes aber öffnet sich der Schlagbaum.
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    • Anm. 5 
      Wer in Agami eine Wohnung mieten will, wende sich bei flüssigem Arabisch an einen der Beduinen, die an markanten Kreuzungen sitzen und als Makler fungieren. Bei mangelnden Sprachkenntnissen helfen die Kaufleute, z.B. "Petrou" in Blaise oder "Safy" neben einer Apotheke auf dem Wege zu "Petrou", noch vor "Tschakos". Preise von Wohnungen bzw. Häusern bewegen sich zwischen LE 3.000,- und 5.000,- für 12 Monate, von Oktober bis Mai bekommt man schon etwas ab LE l.000,-.
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    • Anm. 6 
      "Chez Michael's": ein intimes Restaurant, idyllisch unter Bäumen gelegen, mit guter europäischer Küche, die Michael in der Schweiz erlernt hat. Michael kocht auch im Winter, dann aber nur an den Wochenenden (Spezialität: Fondue!); denn er lebt ganzjährig mit seiner Mutter, und seinen Geschwistern auf dem gleichen Grundstück.
      "Tschakos": der griechische Chef agiert in der Badehose vor dem Pizzaofen; er bietet alles, was ums Mittelmeer Klang und Namen hat (Gandofli = Muscheln, Galamaris = Tintenfische, gebratene Täubchen, gedeckte Apfeltorte, die seine kanadische Frau fabriziert). Man sitzt sozusagen auf der Straße – dennoch hat das Plätzchen seinen Charme.
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    • Anm. 7 
      Um nicht besondere Unannehmlichkeiten heraufzubeschwören, sollte man grundsätzlich in Ägypten auf den Bikini am Strand verzichten. Er widerspricht so völlig den Vorstellungen, die ein Moslem von einer tugendhaften Frau hat. Und warum sollte man sich dem Verdacht aussetzen, nicht tugendhaft zu sein?
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Neubau für die Bibliothek von Alexandria
aus: "epi" 10/89

Papyrus-Logo Nr. 2/90, p. 54

Paris. Ein Entwicklungshilfeprojekt von bedeutendem kulturgeschichtlichen Wert rückt in Ägypten näher. Es handelt sich um den Neubau und die "Wiedergeburt der Bibliotheca Alexandrina", einer der bedeutendsten Bibliotheken des Altertums. Einen mit 60.000 Dollar ausgestatteten Architekturwettbewerb für die Verwirklichung des Projekts gewann jetzt die norwegische Gruppe Snohetta Arkitektur Landskap und Partner. Eine internationale Jury, die kürzlich in Alexandria die Entscheidung traf, prüfte bei dem Wettbewerb 524 Projekte. Außer den Preisen entschied sie, daß 13 Projekte gute Noten und 18 weitere ebenfalls besonders erwähnt zu werden verdienten. Nach Angaben der UNESCO haben an dem mit rd. 600.000 Dollar durch das Programm der Vereinten Nationen für die Entwicklung (PNUD) finanzierten Wettbewerb 1.366 Architektengruppen aus der ganzen Welt teilgenommen. Die Wiedergeburt der Bibliothek von Alexandria ist eines der großen internationalen Projekte des "Weltjahrzehnts für die kulturelle Entwicklung", zu dem am 21. Januar 1988 bei der UNESCO in Paris der Anstoß gegeben wurde.

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Erneuerung der Bibliothek Alexandrias?
von U.Reinelt

Papyrus-Logo Nr. 9/90, pp. 21—24

In mehreren Ausgaben der "Gazette" las man, die berühmte Bibliothek solle mit UNESCO-Geldern wiedergeherstellt werden. Doch blieb der Zusammenhang mit der antiken Bibliothek ziemlich dunkel. Will man eine international anerkannte Forschungs-, Lehr- und Archivierungsstätte einrichten (die antike Bibliothek war Teil des Universitätskomplexes, genannt Museion)? Oder will man alles verfügbare fundamentale Wissen unserer Zeit zusammentragen und katalogisieren (damit begann damals Kallimachos)? Will man Alexandria – in ihrem Verfall – kulturell liften, indem man die Stadt zu einem Sammelpunkt von Weltliteratur (mit Übersetzertätigkeit) macht? Oder will man den Gründern und geistigen Schöpfern der Stadt eine erste offizielle Referenz erweisen?

Als Alexander starb, fiel das kleinste, aber reichste Stück aus seinem Riesenerbe dem fähigsten und klügsten seiner Feldherrn zu. Ptolemäus, Sohn eines gewissen Lagos, festigte bald seine Stellung im fremden Land und brachte Ackerbau, Handel, Gewerbe und Finanzen rasch voran. Soter (Retter) erhielt er als Ehrentitel. Erst 305 v.Chr. nannte er sich König. Bis dahin hatte er 18 Jahre lang das politische und wirtschaftliche Leben des Landes stabilisiert und durch kluge Bündnispolitik und den Bau einer großen Flotte Ägypten sicher gemacht.

Großzügig und realistisch von Charakter verkörperte er als Herrscher jene megalopsychia (magnitudo animi), die in den Fürstenspiegeln der Antike zu den Kardinaltugenden gehören: Trotz Machtfülle erkannte und förderte er die Begabungen und klugen Ideen anderer – natürlich auch zum eigenen Ruhme. So nahm er einen gewissen Demetrios von Phaleron an seinen Hof, einen Schüler des Peripatetikers Theophrast aus Aristoteles' Schule, den die Athener 307 vertrieben hatten. Der nun brachte offenbar Ptolemäus den Gedanken nahe, die kulturell noch unbedeutende Stadt durch Gründung einer Universität mit dazugehörender Bibliothek berühmt zu machen. Dieses Museion – Haus der Musen, d.h. der Literatur, Künste und Wissenschaften – sollte mit den Universitäten von Athen und Pergamon in Wettbewerb treten und Alexandrias Ruhm mehren.

"Wahrscheinlich von des Aristoteles' fleißigem Sammeln und Klassifizieren von Büchern, Wissen, Tieren, Pflanzen und Verfassungen angeregt, scheint Demetrios den Bau einer Gruppe von Gebäuden empfohlen zu haben, die nicht nur eine große Büchersammlung beherbergen, sondern auch Gelehrte aufnehmen konnten, die ihr Leben der Forschung widmeten." (Durant)

Soter stellte großzügig Mittel zur Verfügung, und die neue Universität nahm in der regia, dem königlichen Stadtteil, auch brucheion genannt, Gestalt an. In einer Speisehalle nahmen die Gelehrten ihre Mahlzeiten ein, diskutierten und referierten in der exhedra (Vortragssaal), studierten und forschten in Lesesälen oder der Bibliothek oder zogen sich in ihre privaten Räume zurück. Auch von einem Hof, einer schattenspendenden Wandelhalle, einem Garten und einem astronomischen Observatorium wird berichtet.

Vier Gruppen von Wissenschaftlern lebten im Museion: Astronomen, Schriftsteller, Mathematiker und Physiker, alles Griechen, die aus der Staatskasse ein außerordentlich hohes Salär bezogen. Ihre Aufgabe war nicht, jedenfalls zunächst nicht, zu lehren, sondern zu forschen. Erst später gab es auch die Lehrtätigkeit.

Hafen und Umgebung

Im Alter von 82 Jahren (285 v.Chr.) übergab Soter seinem Sohn Philadelphos die Regierung. Er geriet ganz anders als sein Vater. Fürs Krönungsfest gab er (umgerechnet) 10 Millionen Mark aus, als Anhänger der Epikurer entschlossen, jeden Genuß auszukosten, den der Augenblick gewährte (monóchronos hedoné). "Er aß sich einen dicken Bauch an, probierte eine Reihe von Mätressen aus, verstieß seine Frau und heiratete – daher sein Beiname nach gut pharaonischer Tradition – im Jahre 278 seine Schwester Arsinoë, eine scharfsinnige und politisch agile Frau. Während Arsinoë das Reich regierte und seine Kriege führte, regierte Philadelphos unter seinen Küchenchefs und Gelehrten des Hofes." (Durant). In Kunst und Wissenschaft übertraf er das Beispiel seines Vaters, lud berühmte Dichter, Gelehrte, Kritiker, Techniker, Philosophen und Künstler als seine Gäste an die Universität. Während seiner 43-jährigen Regierungszeit wurde die Stadt zum literarischen und wissenschaftlichen Zentrum des Mittelmeerbereiches.

So forschte im Observatorium der Astronom Aristarch von Samos. Er gab um 270 v.Chr. ein Werk heraus. ("Über Größe und Entfernung von Sonne und Mond"), worin er entgegen der Auffassung des Aristoteles das heliozentrische Weltsystem begründete. Herophilos erforschte die Krankheitsdiagnose mit Hilfe des Pulses uns wies motorische und sensorische Nerven nach. Der Arzt und Physiologe Erasistratos erkannte den Zusammenhang zwischen Hirnwindungen und Intelligenz und nahm das Fieber als Begleiterscheinung von Infektionskrankheiten an. Um 260 v.Chr. erfand Archimedes in der Technischen Fakultät von Alexandria den Flaschenzug. Später nahm er ein noch verlockenderes Angebot in Syrakus an. Hier mag er die Wasserschnecke zum Heben von Wasser entwickelt haben, dort die Auftriebsgesetze und das Verhältnis von Wasserverdrängung und spezifischem Gewicht von Körpern.

In der Universität von Alexandria forschte auch Euklid, der Schöpfer der klassischen Geometrie, und hier maß Eratosthenes aus Kyrene zum ersten Mal den Erdumfang und verfaßte eine durch eine Karte illustrierte Beschreibung der Erde. Gleichsam Computermaterial und zentrale Datenbank von Wissenschaft und Literatur war die Bibliothek. Eigentlich gab es deren zwei: die "Große Bibliothek" im Palastbezirk am Meer und die im Serapeion, dem Heiligtum des neu gestifteten Serapiskultes (bei der heutigen Pompeiussäule). Zweck der Gründung war es, das gesamte geistige Erbe der Griechen zu sammeln. Die Große Bibliothek brachte es unter Philadelphos auf etwa eine halbe Million Buchrollen, die im Serapeion auf etwa 45.000. Wenn wir heute Tragödien des Aischylos, Komödien des Aristophanes, Geschichtswerke von Herodot und Thukydides lesen, so verdanken wir dies der Abschreibertätigkeit in der Bibliothek von Alexandria. Die Ptolemäer scheuten weder Kosten noch Mühen, ihrer Bibliothek neue Schätze zuzuführen. Ptolemäus III. Euergetes (Wohltäter), 246—221 v.Chr., befahl, jedes nach Alexandria kommende Buch in der Bibliothek abzuschreiben. Der Besitzer erhielt die Abschrift, das Original verblieb in der Bibliothek. Euergetes ließ sich z.B. von Athen die Originalhandschriften des Aischylos, Sophokles und Euripides schicken, wofür er (umgerechnet) 400.000 Mark an Sicherheit hinterlegte. Er sandte jedoch nur die Abschriften nach Athen zurück und bat die Athener um Verzeihung: das Geld sollten sie als Buße behalten.

Die Bibliothek stand bald gleichrangig neben dem Museion. Das Amt des Oberbibliothekars war eines der höchsten, das der König zu vergeben hatte. Der Dichter und Gelehrte Kallimachos katalogisierte die riesige Büchersammlung in 120 Rollen (pinakes). Es war kein primitives Verzeichnis, vielmehr umfaßte es außer einer Inhaltsangabe auch biographische, literaturgeschichtliche und bibliographische Daten. Man schrieb nach und nach die Geschichte der Literatur- und Wissenschaftszweige, man verfertigte textkritische Ausgaben der Meisterwerke und verfaßte Kommentare dazu.

So begann z.B. Zenodot die textkritische Ausgabe der Ilias und Odyssee, Aristophanes von Byzanz führte sie weiter und Aristarch aus Samothrake schloß sie ab. So entstand Literaturwissenschaft.

Mit dieser Sammler-, Herausgeber- und Kommentierungstätigkeit der Gelehrten, die oft zugleich auch dichteten, hängt es zusammen, daß wir in der alexandrinischen Dichtung des Hellenismus vielfach Gelehrtenpoesie zu sehen haben, im Dichter einen poeta doctus. Die Dichtung mußte dem Geschmack eines kritischen und intellektualisierten Publikums entsprechen. So gewinnt Kallimachos in seinen Hymnen und Epigrammen (die sich zu einer von Götter- bzw. Totenkult abgelösten eigenen Literaturform entwickelten) den tradierten Dichtungen neue, pointierte und oft überraschende Wendungen ab, die wiederum nur der Gelehrte heraushörte und verstand. In der literarischen Form der Aitia (Gründungssagen von Städten, heiligen Orten etc.) werden aus mehreren mythologischen Überlieferungen neue geistreiche Wendungen erfunden und mit seltenen Wörtern verfremdet.

Selbst der Syrakusaner Theokrit, der – Vergil am Hofe des Augustus vergleich bar – idyllische Hirtengedichte (bucolica) und feinsinnige Verherrlichungen des Königshauses schrieb (man denke an Horaz an Augustus' Hof), zeigt sich in seinen Werken von rationaler Bewußtheit, weniger von ursprünglicher Gestaltungskraft. Außenstehende Kritiker wie der Skeptiker Timon von Phlius sprachen von den Gelehrtendichtern Alexandrias als "Masthühnern im Käfig".

Das Museion bestand viele Jahrhunderte hindurch, wenn auch die späteren Ptolemäer nicht mehr so viel Anteilnahme zeigten. Immerhin hat noch Kleopatra (VII.) an den Diskussionen in der exhedra teilgenommen, hat der Philhellene Hadrian die Bauten erweitert, bis Caracalla 216 n.Chr. die Tradition abrupt abbrach (nach Cassius Dio). Die Bibliothek wurde mehrfach in den Religionskämpfen zwischen Heiden und Christen beschädigt und 272 vernichtet.

Literatur zur Einführung und Vertiefung:
    • Körte/Händel, Hellenistische Dichtung, Kröner Nr. 47
    • W.Durant, Leben Griechenlands, Bern 1957
    • A.Lesky, Geschichte der griechischen Literatur, Bern 1963

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Die Bibliothek von Alexandria
von Michael Ghattas

Papyrus-Logo Nr. 5—6/2002, pp. 5—7

Am 23. April 2002 eröffnet die ägyptische Regierung die neue Bibliothek von Alexandria, die "Bibliotheca Alexandrina". Sie wird als die "vierte Pyramide" bezeichnet. In kurzen Worten werde ich einen Überblick über die Geschichte der antiken alexandrinischen Bibliothek geben und anschließend die neue Bibliothek darstellen.

In seinem Artikel "Alexandria – Weltstadt und Residenz" konstatiert H.Heinen:
"Alexandria war nicht einfach irgendeine bedeutende Stadt des antiken Mittelmeerraums, sondern eine der größten Metropolen der damaligen Zeit überhaupt, sowohl in der hellenistischen als auch in der römischen Kaiserzeit" (Anm. 1).

Alexandria zeichnete sich in vielfacher Hinsicht als Weltstadt aus: Schon die Ausmaße der Stadt machten auf die Menschen der damaligen Zeit einen gewaltigen Eindruck. So wetteifern beispielsweise Strabo, der uns die vollständigste Beschreibung der Stadt hinterlassen hat (Anm. 2), und Diodor mit gewaltigen Zahlenangaben hinsichtlich ihrer Ausdehnung (Anm. 3). Ebenso trugen die Bauwerke der Stadt zu ihrem Ruhm bei (Anm. 4). Zu den berühmten Bauten Alexandriens gehörte nicht nur der zu den sieben Weltwundern zählende Leuchtturm auf der vorgelagerten Insel Pharos (Anm. 5), sondern auch das Grab des Weltherrschers und Stadtgründers Alexander (Anm. 6) und das Mouseion (Anm. 7), die "Akademie der Wissenschaften" (Anm. 8): Es beherbergte möglicherweise neben dem Serapeum und manchen Lagerhäusern Teile der weltberühmten Bibliothek nach deren teilweiser Zerstörung durch Caesar (Anm. 9). Vor allem die Bibliothek bzw. das Mouseion ermöglichten, verbunden mit entsprechender Förderung schon unter den Ptolemäern, Alexandria den Aufstieg zu einem der kulturellen bzw. wissenschaftlichen Zentren des Hellenismus (Anm. 10). Dort wurde über eine Zeitdauer von etwa sechshundert Jahren eine bedeutende Sammlung wissenschaftlicher, philosophischer und literarischer Werke aufgebaut. Als Mittelpunkt der Lehre und der Forschung zog sie unzählige Gelehrte an, die hier einen Hafen fanden, oder die Inspiration für ihre Arbeit suchten. Hier blühte die griechisch-römische Kultur, die der gesamten westlichen Kultur zugrunde liegt und ebenso eine der reichsten Quellen der klassischen arabischen Kultur darstellt, besonders für die Wissenschaften und insbesondere für die Philosophie.

Seit den Zeiten des ersten Ptolemäers war Alexandria eine Hochburg der hellenistischen Wissenschaft und Kunst. Ptolemaios Philadelphos (Anm. 11) ist der Gründer der berühmten Bibliothek, deren Errichtung schon sein Vater ins Auge gefaßt hatte. Außerdem hatten die Gelehrten, Schriftsteller und Dichter im Mouseion, in der Nähe des königlichen Palastes gelegen, eine Heimstatt. Demetrios von Phaleros hatte den ersten Ptolemäer zu der Gründung dieser berühmten Akademie angeregt, die im Verein mit der Bibliothek das geistige Leben der Stadt zu höchster Blüte führte. Etwa 300 v.Chr. wurde Demetrios von Phaleros, einer der Schüler von Aristoteles, aus Athen verbannt, so dass er Schutz für zehn Jahre in Alexandria suchte und fand. Dort wurde er Berater von König Ptolemäus (Ptolemäus Soter – Anm. 12). So entstand die Bibliothek von Alexandria in ihren Beständen als eine Nachbildung der Bibliothek des Aristoteles in Athen. Das Ziel war kein geringeres als, "die Bücher aller Völker" dort vollständig zusammenzustellen.

Ptolemaios Philadelphos setzte die Arbeit seines Vaters fort. Zwei Jahrhunderte später, als sich Alexandria zu einer Weltstadt entwickelt hatte und an zweiter Stelle im römischen Reich stand, befanden sich in der Bibliothek, die nun ihren Zenith erreicht hatte, Schätzungen zufolge zwischen 400.000 und 700.000 Papyrusrollen, etwa 30.000 Menschen arbeiteten dort. Um eine solch große Sammlung aufzubauen, wurde ein Heer von Schreibern verpflichtet und an Ort und Stelle untergebracht. Ihre einzige Aufgabe bestand darin, unablässig Kopien von Manuskripten anderer Bibliotheken anzufertigen. Einer Legende zufolge soll Ptolemaios einen Brief an jeden König und Gouverneur gesandt haben, in dem er sie aufforderte, ihm die Werke der Dichter und Prosaautoren, der Redner und Sophisten, der Ärzte, Wahrsager und Historiker für die Bibliothek zur Anfertigung einer Abschrift zu leihen. Schiffe wurden ausgesandt, um jedes erreichbare Schriftwerk für die Bibliothek von Alexandria kopieren zu können. So entstand die bekannte "Schiffs-Sammlung" (Anm. 13).

Die bekannten Direktoren der Bibliothek waren (Anm. 14):

  • Demetrios von Phaleros, Zenodotus von Ephesus (282—ca. 260 v.Chr.),
  • Callimachus von Cyrene (ca. 260—240 v.Chr.),
  • Apollonius von Rhodos (ca. 240—ca. 230 v.Chr.),
  • Eratosthenes von Cyrene (ca. 230—195 v.Chr.),
  • Aristophanes von Byzanz (195—180 v.Chr.),
  • Apollonius (180—ca. 160 v.Chr.) und
  • Aristarchus von Samothrakis (ca. 160—131 v.Chr.).

Als im Jahre 48 v.Chr. Caesar die Schiffe der geschlagenen Ptolemäer verbrannte, wurde von dem auf die Hafenanlagen übergreifenden Feuer schließlich auch die Bibliothek ergriffen und mit ihren wertvollen Manuskripten zu einem erheblichen Teil ein Raub der Flammen. Ein völliger Neuaufbau der unersetzlichen Schätze gelang nicht mehr. Die wohl ebenfalls schon auf Ptolemaios Philadelphos zurückgehende Bibliothek des Serapeions trat an die Stelle der stark reduzierten großen königlichen Bibliothek, die nun mit dem Mouseion verbunden wurde. Die Grundlagen für das wissenschaftliche Arbeiten blieben so jedenfalls erhalten. Auch in der römischen Periode blieb Alexandrien daher das führende Wissenschafts- und Kunstzentrum der griechisch-römischen Welt (Anm. 15).

Am 25. März 1987 wurde in Ägypten "der Nationale Oberausschuss der Bibliothek von Alexandria" unter dem Patronat des Präsidenten Hosni Mubarak gegründet. Das Ziel dieses Projektes war, eine "Bibliotheca Alexandrina " zu gründen nach dem Vorbild der alten alexandrinischen Bibliothek vor zweitausend Jahren. Da von der alten Bibliothek nichts erhalten geblieben ist und es gegenwärtig nicht darum geht, das Vergangene wie in einem Museum zu restaurieren, soll mit der neuen Bibliothek in Alexandria eine Institution der Wissenschaften und des Lernens entstehen, die sich vornehmlich der Geschichte, aber auch der Geographie und der Kultur von Alexandria, seiner Umgebung, des Mittelmeerraums und des Nahen Ostens widmet (Anm. 16).

Ausgestattet mit den modernsten technischen Möglichkeiten und versehen mit einem ebensolchen Dienstleistungsangebot öffnet die neue Bibliothek von Alexandria ihre Pforten nicht nur für die breite Öffentlichkeit, sondern auch für die Forscher auf den Gebieten von Archäologie, Geschichte, Architektur, Philosophie, Philologie, christliche Theologie und Islamwissenschaft, Chemie und Naturwissenschaft etc. Außerdem dient das neue Wissenschaftszentrum Alexandrias als Zentrum für die Beratung und Wiederherstellung der alten Manuskripte, die in Moscheen, Museen und Klöstern lagern, die bisher noch nicht in einem Katalog vollständig erfasst und die teilweise von Zerstörung bedroht sind. Ihre Zahl geht in die Zehntausende.

Die neue Bibliothek beherbergt in ihrem neuen Gebäude derzeit eine Sammlung von ca. 200.000 Bänden. Es ist geplant, den Bücherbestand auf ca. 8.000.000 Exemplare zu steigern. Sie ist mit modernsten Kommunikationsmitteln und -möglichkeiten ausgestattet. Außerdem bietet sie Räumlichkeiten für ca. 2.500 Menschen einschließlich eines großen Saals für internationale Kongresse.

Anmerkungen:
    • Anm. 1 
      Heinen, H., Alexandria – Weltstadt und Residenz, in: Alexandria. Kulturbegegnungen dreier Jahrtausende im Schmelztiegel einer mediterranen Großstadt (Aegyptiaca Treverensia 1), Mainz 1981, S. 3.
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    • Anm. 2 
      Strabo XVII 1,6—13.
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    • Anm. 3 
      Diodor XVII 52,3.
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    • Anm. 4 
      Vgl. Müller, A., Die Anfänge des Christentums in einer antiken Weltstadt am Beispiel Alexandriens dargestellt. Eine Wissenschaftliche Hausarbeit zum ersten theologischen Examen der EKvW, Frühjahrstermin 1993, S. 2ff.
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    • Anm. 5 
      Strabo XVII 1,6.
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    • Anm. 6 
      Strabo XVII 1,8.
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    • Anm. 7 
      Vgl. Marrou, H.I., Geschichte der Erziehung im klassischen Altertum, München 1957, S. 279—282.
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    • Anm. 8 
      Vgl. Schubart, W, Art Alexandria, in: RAC 1 (1950), Sp. 271—283.
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    • Anm. 9 
      Vgl. Huzar, E.G., Alexandria ad Aegyptum in the Juleo-Claudian Age, in: ANRW 11 10/1, Berlin/New York 1988, S. 627, 644f.
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    • Anm. 10 
      Vgl. Heinen, H., oben Anm. 1, S. 6; Hengel, M., Judentum und Hellenismus. Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des 2. Jh.s v.Chr., Tübingen 1988, S. 128; Schubart, W., oben Anm. 8, Sp. 279f.
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    • Anm. 11 
      Ptolemaios Philadelphos ist im Winter 309/308 v.Chr. auf der Insel Kos geboren; Regierungszeit 284—246 v.Chr.
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    • Anm. 12 
      Vgl. Parsons, E.A., The Alexandrian Library. Glory of the Hellenic World. Its Rise, Antiquities, and Destruction, London 1952, S. 124—138.
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    • Anm. 13 
      Vgl. Budik, P.A., Die Bibliothek zu Alexandria, Serapeum XI, 1850; Delapierre, O., Le canard de lalioth d'Alexandrie, London 1862; Ritschel, F., Die alexandrinischen Bibliotheken unter den ersten Ptolemäern, Breslau 1838.
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    • Anm. 14 
      Vgl. Parsons, E.A., The Alexandrian Library, oben Anm. 12, S. 160ff.
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    • Anm. 15 
      Vgl. Davis, H.T., Alexandria, The Golden City, Vol. II: Cleopatra's City, Evanston/Illinois 1957, S. 466—467; Parson, E.A., The Alexandrian Library, oben Anm. 12, S. 274—429.
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    • Anm. 16 
      Vgl. "Bibliotheca Alexandrina: The Revival of the first Universal Library". A report from UNESCO, in: Alexandria. The Journal of the western cosmological traditions, ed. von Fideler, Michigan 1993, S. 26ff.
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Alexandria, ewige Suche des Reisenden –
Hommage an Albert Camus

von Markus Meßling

Papyrus-Logo Nr. 5—6/2002, pp. 8—13

Der vorliegende Beitrag erschien in einer gekürzten Form erstmalig in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Ausgabe 296, 20.12.2001; wir bedanken uns bei der FAZ und dem Autor, ihn (ungekürzt) veröffentlichen zu können.

In seinem vitalen und vorn Erleben der südlichen Sonne und der mediterranen Landschaft geprägten Essay Hochzeit des Lichts beschreibt Albert Camus die Liebe zu seiner Heimatstadt Algier:
"Unsere Liebe zu einer Stadt ist oft eine heimliche Liebe. Städte wie Paris oder Prag oder sogar Florenz gehen nicht leicht aus sich heraus und gefallen sich in dieser Zurückhaltung. Einige Städte aber, die das Glück haben, am Meer zu liegen – und unter ihnen Algier – öffnen sich dem Himmel wie ein Mund oder eine Wunde. Was wir in Algier lieben, gehört allen: das Meer an jeder Straßenecke, die Lichtfülle, die Schönheit der Rasse. Doch dieses Hingegebensein ohne Scham birgt auch sein Geheimnis."

Wesentlicher als die hier geteilte Erfahrung von der Unmittelbarkeit der mediterranen Reichtümer, die sich dem Menschen in Licht und Leben offenbart, ja sich ihm aufdrängt wie die Hitze der afrikanischen Sonne oder das abendliche Treiben in den Gassen, wesentlicher als das Bild von der Hingebung des Körpers einer Stadt an den Blick des Betrachters ist wohl der Hinweis auf das Moment des Geheimnishaften. Denn so wie Neapel und Algier, Istanbul und Beirut durch jenes komplexe mediterrane Geflecht aus Licht und Schatten, Hafengestank und Meerduft, Lärm und Lieblichkeit mit einander verbunden sind, das dem Reisenden kaum entgehen kann, so liegt das ihnen Eigene in der intimen Verborgenheit. Keine levantinische Stadt aber treibt ihr Wechselspiel aus Offenheit und Intimität so hartnäckig, kein anderer Ort des Lichts spielt so sehr mit den Schichten der eigenen Identität wie Alexandria.

"So viele Reiseführer ich auch gelesen hatte", schreibt der spanische Schriftsteller und Reisende Rafael Chirbes in seinem Buch Am Mittelmeer, "Alexandria hatte mich überrascht. Es war ganz anders." Darin liegt die Wahrheit eines sich ewig wiederholenden Spiels: In jeder neuen Ankunft keimt das Erstaunen, bisweilen die Enttäuschung, und jede neue Begegnung mit der alten Stadt an der Nilmündung gleicht einem Irrweg.

Denn Alexandria liest sich wie eine Erzählung von Italo Calvino, die die Erwartung aufbaut, ein Märchen zu sein, um sich als nüchterne Täuschung des Lesers zu entpuppen. So erweckt der Name der Stadt das Bild einer pulsierenden Mittelmeermetropole, die Vorstellung des Hellenistisch-Lieblichen, den Traum einer prächtigen architektonischen Blüte der Kolonialvergangenheit des Landes am Nil. Doch wo der Reisende große Monumente der Antike oder die italianisierten Bauten einer pompösen Kolonialzeit sucht, zeigt sich das Moderne von seiner hässlichen Seite: mit den Steinen der Tempel und Paläste glorreicher Epochen hat man seinerzeit Straßen gepflastert und Molen angelegt, von den Plätzen ist aller Glanz abgebröckelt, und das, was an antiken Ruinen noch übrig geblieben ist, liegt heute eingekeilt zwischen Sozialbauten aus der Nasserzeit und den Hochhaussiedlungen jüngerer Tage. Dort liegen sie wie Fremdkörper, in einer Form inneren Exils. Die Bewohner Alexandrias haben mit ihnen nicht den Pakt der Ewigkeit geschlossen, der die Römer auf so unzertrennliche und emotionale Weise an ihre alten Bauten bindet. In Alexandria ist das Antike nicht lebendig, es ist nicht Teil des Stadtbildes, sondern wirkt eher wie ein unverstandener Luxus, den man sich für die Fremden leistet.

Weine Deine Träne, Alexandria,
Weine sie.
Tränke mir ihr die Sehnsucht
Des Suchenden.
Denn nichts ist deine Größe
Als der Traum des Reisenden,
Doch in den Ruinen deines hellen Turms
Weht mit Macht
Die Erinnerung.

Die Wellen des östlichen Mittelmeeres rollen noch immer mit langen weißen Schaumkronen auf Alexandria zu und treiben ihr lebendiges Spiel wie vor den Stränden von Akko oder Tel Aviv. Doch ihre Zungen lecken heute an teerverschmutztem Strandgut und Müll, hier und da liegt der Gestank von Kloaken in der Luft. Von der Corniche, der etwas höher gelegenen Küstenstraße, die im 19. Jahrhundert der Stolz einer selbstbewussten Stadt war, ist aller historischer Ruhm gewichen. Über 18 Kilometer lang winden sich an ihr die Silhouetten halbbelebter, skelettförmiger Hochhäuser, von denen man nicht weiß, ob sie noch nicht fertig gestellt sind oder schon wieder verfallen. Ein Stück morbider Ewigkeit in Beton.

Nein, diese ehemalige "Perle des Mittelmeeres", wie die selbstherrlichen europäischen Kolonialherren die Stadt gerne nannten, ist nicht leicht zu verstehen. Bereits Gustave Flaubert, der hier, in Alexandria, zusammen mit dem Fotografen Maxime du Camp seine lange Reise begann, deren Aufzeichnungen das europäische Bild vom Orient im 19. Jahrhundert entscheidend prägen sollte, wurde bereits kurz nach der Landung von den Stockhieben, die ihm einige Knaben aus Spaß gegen die Beine versetzten, aus seinen Träumen geschreckt. Das Gemisch der Stadt sollte ihm fremd erscheinen und schwer verdaulich bleiben. Kurz vor dem Aufbruch nach Kairo, im November 1849, schreibt er in sein Reisetagebuch: "Wir bleiben bis Sonntag, den 25., in Alexandria. Viel Besuche. Bauchweh." Auch heute ist die Begegnung mit der Realität hier besonders problematisch, bisweilen schmerzhaft. Denn Alexandria ist nicht einfach eine Stadt. Alexandria ist ein Ort des Lichts in der Erinnerung eines ganzen Kulturkreises, der fortlebt in der Imagination des Reisenden, aufgeht in seiner inneren Bilderwelt. Alexandria ist die ewige Sehnsucht des Suchenden.

Diesem inneren Bild des Reisenden steht heute die Realität einer durch und durch arabisierten und arabischen Stadt gegenüber, die seit den Eroberungszügen der arabischen Heere in Nordafrika den Namen "El Iskandereya" trägt. Die Stadt pulsiert längst nicht mehr im Rhythmus der ein- und auslaufenden Schiffe, der Hafenkontore und Baumwollhändler, sondern erklingt im Fünftakt der täglichen Gebetsrufe. Auf den Stränden tummelt sich keine Jugend in Aufbruchstimmung mehr, unter den Palmen der Corniche flanieren keine Damen in luftigen Sommerkleidern, vermengen sich kaum noch die unzähligen Gesten und Sprachen von Menschen, für die das Kosmopolitische kein Aushängeschild, sondern der Teil einer über die Jahrtausende gewachsenen levantinischen Identität war.

Der Lebenswelt der islamischen Stadt kann sich der Reisende nicht entziehen, wenn er die Küstenstraße verlässt und einige Meter ins Innere des Häusermeers vordringt. Nur wenige Häuserblocks vom Meer entfernt betritt er die ungeteerten Gassen einheimischer Viertel, in denen zwar Wasser fließt und niemand hungert, in denen das Leben jedoch kaum mehr über die Erfüllung basaler Bedürfnisse hinausgeht als auf dem ägyptischen Lande. Hier bestimmen die unzählbaren Kinder das Straßenbild, vermengt sich der Müll mit den regenaufgeweichten Lehmstraßen und vor dem Eyt al-A'tar, dem Fest zum Gedenken der Errettung Isaaks, blöken Hunderte von Schafen ihre Todesahnung vom Balkon. Und wenn in den Stunden nach der Mittagshitze noch immer viele Menschen die alte Straße am Meer bevölkern, so ist die Ader ihres Lebens heute dennoch weniger der Reichtum an Sonne, Wind und Meer, den Camus in seinen Algerien-Essays beschreibt, als die Gesetze und Riten des Islam.

In seiner Geschichte ist Alexandria zerstört und niedergebrannt worden, und immer wieder wie ein Phönix aus der Asche auferstanden. Die Bewegungen dieser Geschichte haben eine ausdrucksstarke eigene Bilderwelt. Aus den Steinen des Leuchtturms von Pharos, eines der sieben Wunder der antiken Weit und einstmals strahlendes Symbol für den hellenistischen Geist Alexandriens, der zwischen Spanien und Mesopotamien widerspiegelte, wurde als Fort Qait-Bay unter der türkischen Besatzungsmacht ein finsteres Bollwerk gegen die Außenwelt. Die Geschlossenheit des Mittelmeerhafens ist dabei durchaus als Geschlossenheit des Landes am Nil zu verstehen, das zwar unter den Türken eine in Saus und Braus lebende mameluckische Oberschicht und deren Darstellungswelt in Kairo hervorbrachte, aber in geistiger Finsternis lag. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts zählte El Iskandereya kaum mehr 5.000 Einwohner und war zu völliger Bedeutungslosigkeit verkommen. Nach der französischen Ägyptenexpedition unter der Leitung von Napoleon Bonaparte und den Reformen von Mohammed Ali kehrte die Stadt zurück ans Licht, erlebte eine neue kulturelle und wirtschaftliche Blütezeit und fand schließlich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück zu einem Leben in levantinischer Offenheit. Mit der Ausstrahlung des vornehmeren und westlicheren Beirut, dem "Paris des Nahen Ostens", konnte die Stadt im Ansehen der Europäer allerdings nicht mehr konkurrieren. Doch die älteren unter den gebildeten Ägyptern schwärmen noch heute von der kosmopolitischen Offenheit jener Tage.

In der unmittelbaren Folge der Revolution von 1952, bereits zwanzig Jahre bevor Beirut sich in die Wirren eines wahnwitzigen Bürgerkrieges verstrickt, verschließt sich Alexandria seinen ureigenen Reichtümern. Gamal Abd en-Nassers panarabisch-nationalistische Verstaatlichungspolitik erstickt den Handel, Tausende von Italienern, Türken und Griechen, Franzosen und Engländern, Juden und Armeniern verlassen die Stadt, Alexandria blutet finanziell aus. Mit dem wirtschaftlichen Niedergang geht der geistige einher: Der bittere Verlust an Menschen verschiedener mediterraner Herkunft erstickt Alexandrias multiethnisches und multikulturelles Erbe, die islamisch-dogmatische Monokultur hält Einzug und mit ihr vorerst das Ende der geistigen Offenheit. Die Erbin des weltoffenen Alexandriens ist eine Großstadt, die ihrer Geschichte gegenüber gleichgültig, ja vorrübergehend sogar feindlich gesinnt ist, und die ihre Herkunft verleugnet, indem sie sich dem von Albert Camus mit Hochachtung beschriebenen "Mittelmeerischen Denken", einer maßvollen, gemäßigten Geisteshaltung verschließt.

Mit dem Abschied vom Vielvölkergemisch und dem Niedergang des Seehandels hat El Iskandereya auch einen Perspektivwechsel vorgenommen. Der Blick der Stadt ist heute nicht mehr ein unruhiger Blick nach außen, jener rastlose, besitzergreifende Blick auf der Suche nach Austausch mit den Ideen, Menschen und Waren anderer Ufer des Mittelmeers. Die ehemals selbstbewusste Stadt hat die Augen gesenkt und blickt von nun an ins Innere, von der Küste ins Delta und das Niltal. Von hier aber strahlt übermächtig der Glanz einer anderen Welt herüber, das arabisch-ägyptisch-afrikanische Element der jüngeren Metropole Kairo, die eher in Konkurrenz zum levantinischen Denken denn aus dessen Geiste geboren wurde. Die erdrückende Dominanz des wirtschaftlichen, kulturellen und geistlichen Zentrums etwa 180 Kilometer Nil aufwärts muss die kleinere Konkurrentin am Meer jeden Sommer über sich ergehen lassen, wenn die Wüstenhitze in Kairo so unerträglich wird, dass die Kairener zu Hunderttausenden ans Mittelmeer flüchten, wo der Seewind die Temperatur auch im Sommer auf 35° C drückt. Alexandria, das heute etwa 5 Millionen Einwohner zählt, platzt dann aus allen Nähten. Der Umgang der Einheimischen mit den "Touristen" und ihrer Hauptstädter-Arroganz ist dabei durchaus nicht immer unproblematisch. Und doch weht mit den Kairenern ein Hauch vom Puls der Zeit in die Stadt, denn Ägyptens Tor zur Welt ist längst die "Siegreiche" mit ihrem großen internationalen Flughafen, den ausländischen Schulen und der Amerikanischen Universität, ihren Botschaften und Banken. Alexandrias Bedeutung hingegen ist heute eine vorwiegend innerägyptische.

Ist also alles Sinnlich-Mediterrane im Laufe der Jahre verflogen, der hellenistische Geist ausgehaucht, und das kosmopolitische Bild, das der Reisende von Alexandria in sich trägt, nicht nur ein nostalgisches sondern auch ein totgeweihtes, das die Berührung mit der Realität nicht überleben kann?

Marguerite Yourcenar, die Grande-Dame der französischen Erinnerungsliteratur, bemerkt in ihren ästhetischen Schriften, dass auch in der zerstörtesten aller antiken Skulpturen noch ihre Seele, die Intention des Schöpfers, zu erkennen sei. Alexandria erfüllt heute nicht mehr die hellenistische Vorstellung der Einheit von Ideal und Form, und doch schimmert durch die grauen Betonberge von El Iskandereya das Gesicht des alten Hafens, sind in die moderne Oberfläche der Stadt die Symbole Alexandriens eingeflochten. Und der Reisende tunkt sehnsüchtig und dankbar die unzähligen Erinnerungsfleckchen in sein Unterbewusstes und erweckt seine innere Bilderwelt zum Leben, um sie mit der Gegenwart zu verweben. Durch Alexandria zu flanieren heißt, sich in einem geografisch und zeitlich verdichteten Raum zu bewegen, der erscheint wie "ein gedankliches, auf den mediterranen Konstanten Licht, Luft und Wasser errichtetes Gebäude", schreibt Raphael Chirbes, "ein zartes Gebäude der Phantasie, dem wenige Andeutungen genügen, um bildhaft zu erstehen. Die Pompejussäule, die alten Grabanlagen, die Statuen mit ihren zerbrochenen Gliedmaßen und leeren Blicken in den Hallen des Museums griechisch-römischer Altertümer..."

Wenn die Begegnung mit dem Antiken räumlich eingeschränkt ist, so offenbart sich in der "Hauptstadt der Erinnerung", wie der Schriftsteller Lawrence Durrell die Stadt taufte, dem suchenden Blick am Hafen und auf den großen Plätzen, in den Kaffeehäusern entlang der Corniche, in der orangefarbenen Straßenbahn und hinter jeder Straßenecke die feine Grammatik des mittelmeerischen Lebens vergangener Tage. Sie begegnet einem im Dominospiel der alten Männer, in den Modeläden der Sharia Nabi Daniel und auf den Speisekarten von Bars und Cafés, die "Trianon" oder "Délices" heißen und in denen man noch heute eine ordentliche Quiche lorraine oder eine gute Moussaka essen kann. Sie ist im Kichern der Pärchen, die auf der Corniche scheu über den Fremden lästern, im Wurf der Angler auf den Brandungsmauern, im Glitzern der afrikanischen Sonne auf der Metallwaage eines Straßenverkäufers, der gesalzene Hülsenfrüchte feilbietet.

Wer die liebevoll angeordneten Garnelen, Tintenfische und Makrelen im Fischmarkt von Alexandria gesehen hat, wer einmal durch den Bazar von Alexandria geschlendert ist und die frischen, wohlsortierten Waren bestaunt hat, der begreift, dass in diesen verborgenen Momenten des Mittelmeerischen auch heute noch die eigentliche Differenz zu Kairo liegt. Und er wird den Stolz in den Augen der Alexandriner verstehen, die bis heute – nach ihrer Herkunft befragt – lieber antworten, dass sie "Iskanderoni", als dass sie "Masriyin" seien – "Masr" steht im Ägyptischen für Ägypten wie für Kairo gleichermaßen.

Doch dieser mediterrane Reichtum ist heute ein intimer, und die Begegnung mit ihm ist stets flüchtig, ja ebenso ungewiss wie das Morgenmeer, das Konstantin Kavafis, der große Alexandrinische Beschwörer der Flüchtigkeit von Zeit und geschichtlicher Wahrheit, 1915 beschreibt: "Hier will ich innehalten, will auch ich ein wenig die Natur betrachten./Des Morgenmeeres und des wolkenleeren Himmels leuchtend Blau und gelbe Strände. Alles/hell und schön im Licht./Hier will ich innehalten, will so tun, wie wenn ich all dies sähe;/(wahrhaftig sah ich's einen Augenblick, als ich eben innehielt);/und nicht auch hier noch meine Phantasien/und Erinnerungen und die trügerischen Bildnisse der Lust."

Vor einigen Jahren hat El Iskandereya seine Alexandrinische Seele wiedererkannt. Seither sind Plätze restauriert worden, Strände werden neu angelegt und die Fassaden der verbliebenen kolonialen Palazzi zu altem Glanz erweckt. Kein Unterfangen aber ist so ehrgeizig wie der Neubau der Alexandrinischen Bibliothek, deren moderne Architektur von weitem sichtbar wie eine überdimensionierte Stahlplatte am Meer liegt. Doch wird sie zum Symbol einer zukunftsweisenden Rückbesinnung werden können? Ihr antikes Pendant, das Museion, in dem etwa 700.000 Schriftrollen aufbewahrt wurden, und das allen späteren Museen ihren Namen gab, stand für das Wissen der in der Antike bekannten Welt. Wie aber kann eine das "Weltwissen" umfassende Bibliothek in unserer Zeit der exponentiellen Wissensvermehrung verstanden werden, wenn nicht – in Anlehnung an André Malraux' Begriff vom "Imaginären Museum" – als imaginäre (vernetzte) Bibliothek? Die Zukunft wird zeigen, ob der Neubau zum Symbol eines freien Geistes und einer sich wieder öffnenden Stadt werden wird, das, man mag es hoffen, eines Tages wieder über die ägyptischen Grenzen hinaus hell erstrahlt. Doch der Faden dieser Vorstellung ist dünn. Denn die Zensur von Presse und Büchern, das undemokratische politische System und der religiöse Dogmatismus lassen einen eher fürchten, dass auch dieses traditionsreiche Gebäude zu einem Monument der sich selbst zelebrierenden ägyptischen Baugigantomanie verkommt, das für den Zwiespalt der modernen ägyptischen Gesellschaft zwischen Fortschrittsbejahung und geistig-moralischer Entwicklung steht.

Die Rückbesinnung auf die Vergangenheit ist manchmal der Weg zu neuer gesellschaftlicher Blüte. Doch an kaum einem Ort der Welt wird so deutlich wie in Alexandria, dass die Sehnsucht, die Suche des Menschen nach dem Vergangenen die wesentliche Bedingung für deren Wirksamkeit in der Gegenwartserfahrung ist. Denn die Erinnerung ist, wie das von Albert Camus beschriebene Meer:

"Im nächsten Augenblick wird es sich umwälzen und der Sonne seine feuchte Seite darbieten, die noch in den Wellen und den Dunkelheiten geborgen ist."

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