Müllentsorgung
    Inhalt:
    Zabalin – oder die Heinzelmännchen von Kairo
    Ein sterbendes Gewerbe – Portrait eines Zabal aus Alexandria
    Die Zabalin – Leben vom Müll der anderen
    Das Müllsystem Kairos – Wer sorgt dafür, daß Kairo nicht im Müll erstickt?

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Zabalin – oder die Heinzelmännchen von Kairo
von Wolfgang Zeese

Papyrus-Logo Nr. 4/87, pp. 32—36

Kairo produziert etwa 4.000 Tonnen Festmüll und Abfall pro Tag. Davon beseitigt die Städtische Müllabfuhr etwa 1.600 t, weitere 1.800 t sammelt ein Heer traditioneller Müllarbeiter mit ihren ca. 1.700 Eselskarren täglich ein. Der Rest (rd. 600 t) bleibt in den Straßen der Stadt liegen und verrottet auf Ödflächen und Bauplätzen. Obwohl Straßenreinigung und die Beseitigung von kommerziellem Großmüll von der Stadtreinigung durchgeführt wird, ist die Beseitigung von Hausmüll nach wie vor Angelegenheit traditioneller Müllsammler, bekannt als die "Zabalin".

Dieses System der Hausmüllbeseitigung ist vollständig in privater Hand, verwaltet und kontrolliert durch eine traditionelle Berufsgruppe, den "Wahija", welche fast alle im Stadtteil Bab El Bahr leben. Vorfahren dieser Wahija kamen vor etwa hundert Jahren aus den Oasen Kharga und Dakhla nach Kairo und schufen sich eine Existenzgrundlage, indem sie in den neuen Stadtgebieten des damals aufblühenden Kairos die Müllbeseitigung übernahmen. Sie sammelten die Abfälle, trockneten sie und verkauften die Fladen den Bäckereien, Tonbrennereien und türkischen Badehäusern, die damit das Badewasser erwärmten. Das Geschäft mit dem Müll dürfte recht einträglich gewesen sein, denn die Wahija achteten von Anfang an auf eine genaue Organisation. Jede Familie hatte eigene Routen, die bedient wurden. Um Neubauten wurde gefeilscht. Die Routen blieben im Familienbesitz, und die Kinder übernahmen das Geschäft der Eltern.

Etwa fünfzig Jahre später, als in Oberägypten der Baumwollanbau im Feudalstil viele Bauern zu landlosen Wanderarbeitern machte, zogen Kopten aus Assiut in großer Zahl nach Kairo in der Hoffnung auf eine Beschäftigung. Wie andere mittellose Zuwanderer auch siedelten sie am Rande der Stadt und begannen jedoch mit der Schweinezucht.

Das Futter für die Schweinezucht bezogen sie von den Wahija. Abnehmer für das Fleisch fanden sie bei den vielen Ausländern, die mit ca. 85.000 Menschen rund 28% der Einwohner Kairos stellten. So entwickelten sich im Laufe der Zeit viele kleine Zuchtbetriebe in diesen fast ausschließlich von koptischen Zuwanderern bewohnten Siedlungen.

Die Wahija, ihre Futterlieferanten, hatten sich mittlerweile etabliert und vermieteten nach und nach ihre Müllrouten an die Kopten, an die Zabalin, wie die neuen Müllsammler genannt wurden.

Heute gibt es mehr als 15.000 Zabalin, die in sieben Siedlungen leben: Manshiet Nasser, Ezbet El Nakhl, Helwan, Barageel, Matamadia, Ein El Sira und Tora. Lagen diese Siedlungen vormals außerhalb Kairos, so sind sie längst vom Wachstum der Stadt eingeholt worden.

Die beiden Gruppen, die Wahija und die Zabalin, entwickelten ein komplexes System von geschäftlichen Beziehungen, das bis heute seine Gültigkeit hat und die Hausmüllabfuhr von Kairo, zumindest in den Stadtteilen wohlhabender Einwohner, garantiert.

Die Wahija kaufen von einem Hausbesitzer das Recht, den Müll abzuholen. Das Recht besteht, solange das Haus existiert und wird innerhalb der Wahi-Familie weitervererbt. Früher war die Zahlung des Wahija an den Hausbesitzer einmalig und betrug je nach Größe LE 25 bis 100. Heute werden für große Apartmenthäuser LE 1.000 bis 2.000 bezahlt. Von den Mietern der Wohnung kassiert der Wahi eine monatliche Gebühr, und zwar je nach Wohngegend, Miete und Status LE 0,25 bis 2,-.

Der Wahi überläßt den Müll einem Zabalin, der diesen täglich aus den Wohnungen abholt. Für eine Route mit ungefähr dreihundert bis vierhundert Wohnungen muß der Zabalin an den Wahi eine bestimmte Summe zahlen, die sich wiederum an der Wohngegend und somit auch an der Qualität des Abfalls orientiert. Eine gute Route bezahlt er mit bis zu LE 1.000, die er in monatlichen Raten tilgen kann.

Dafür kann der Zabalin über den gesamten Müll verfügen. Wiederverwendbares Material wird gesammelt und an Altwarenhändler, die Moalems, verkauft, organische Abfälle werden an die Schweine verfüttert. Dreiviertel seines Einkommens bezieht der Zabalin aus der Schweinezucht, den Rest vom Altwarenverkauf. Vier Großhändler kontrollieren den Aufkauf der Schlachtschweine und drücken somit die Einkaufspreise recht erfolgreich. Im Jahr 1986 betrug das mittlere Monatseinkommen eines Zabalin-Haushalts schätzungsweise LE 80,-.

Durch das komplizierte Aufteilungssystem der Wahija liegen die Häuser einer Route nicht in einem Straßenzug, sondern über ein ganzes Stadtviertel verteilt Die Zabalin dürfen Routen untereinander nicht tauschen, sondern diese gehen immer wieder zurück in die Verfügung der Wahija.

Ein Vergleich der Müllzusammensetzung aus Wohngegenden mit Einwohnern hohen, mittleren und niederen Einkommens macht deutlich, daß der Müll aus Haushalten höheren Einkommens wesentlich mehr weiterverwertbare Bestandteile enthält und somit einen höheren ökonomischen Wert besitzt (siehe Tabelle). Der geschätzte Reingewinn aus Kairoer Hausabfall beträgt zwischen 5,23 LE/t für Haushalte höherer Einkommensstufe und 1,86 LE/t für Haushalte mit geringerem Einkommen.

Müllzusammensetzung aus Kairoer Wohngegenden
mit Haushalten mit höherem, mittlerem und geringem Einkommen
März—Juni 1980
Müllbestandteile Müllzusammensetzung in Gewichts - %
Oberschicht Mittelschicht Unterschicht
Verwertbare organische Abfälle 75 72 27
gemischtes Papier 16 14,5 10
gemischtes Glas 3 2,5 1
Textilien und Knochen 2 4,5 1,5
eisenhaltiges Metall und Konserven 2 1,5
gemischtes Plastik 0,6 0,2
Kupfer 0,01 0,01
Aluminium 0,09
Batterien (Zink) 0,02 0,15
nicht verwertbare Abfälle, Schmutz, Fäkalien u.ä. 1,35 4,64 60,5
  100,07 100,00 100,00

Die Wahija-Zabalin-Organisation war für viele Jahre ein effektives und effizientes System der Müllbeseitigung für die Gesamtheit der Stadt, mit praktisch keinen Kosten für die Gouvernoratsregierung. Allerdings konnte es mit dem enormen Wachstum der Stadt nicht Schritt halten. Untersucht man heute den Müll, der durch die Straßenreinigung der Stadt beseitigt wird, so ist daraus zu schließen, daß bis zu 50% der Stadtbevölkerung nicht mehr durch das Hausmüllbeseitigungssystem der Zabalin bedient wird. Haushalte ohne Müllbeseitigung entbehren jeglicher Alternative und werfen den Abfall auf öffentliche Straßen und Plätze.

Das Problem ist nicht nur eines aus Ästhetik, der Hygiene und der Verstopfung des eh bereits überlasteten Abwassersystems, es wird auch weitreichende ökonomische Folgen haben durch die Kosten, die dem Gouvernorat durch die Instandsetzung des Abwassersystems und die Reinigung der öffentlichen Straßen zunehmend entstehen werden. Ein Vergleich zwischen der gegenwärtigen Abfallbeseitigung durch Zabalin und der Städtischen Müllabfuhr zeigt, daß die Betriebskosten einer Müllabfuhr durch die Stadt (22,5 LE/t) etwa fünfmal so teuer ist wie durch das Zabalin-System (4,5 LE/t). Das städtische System ist somit ziemlich teuer. Nicht nur wegen seiner administrativen Kopflastigkeit ist das System gegenwärtig noch recht kapital- und arbeitsintensiv. Die Materialkosten belaufen sich etwa auf 1,6 Millionen LE/Jahr. Die Lohnkosten betragen mindestens 15 LE/t Müll im Vergleich zu schätzungsweise 1,5 LE/t der Eselskarren-Technologie.

Eine Ursache für die gegenwärtig unvollständige Entsorgung der Wohngebiete durch das Zabalin-System liegt in den strukturellen Spannungen zwischen den Wahija und den Zabalin. Die Wahija betreiben eine Profitmaximierung durch eine Vergrößerung der Anzahl von Haushalten auf einer Route unter ihrer Aufsicht und verlängern somit diese Route sooft als möglich. Andererseits hat jeder Zabalin nur eine begrenzte Karrenkapazität zur Verfügung und kann nur eine begrenzte Zahl an Haushalten bedienen. Die Konsequenz ist die, daß der Zabalin so lange arbeitet, bis der Eselskarren voll ist, er für den Tag Schluß macht und die restlichen Haushalte wegläßt. Der Wahi ist niemand Rechenschaft schuldig. Niemand überwacht gegenwärtig die Routen, um sicherzustellen, daß der Wahi sie nicht mit Haushalten überbelegt. Der Zabalin andererseits kann aber nicht den vollen Service bieten, für den er zuständig ist.

Seit 1980 laufen mehrere Projekte, um sowohl die Kapazität des bestehenden Müllbeseitigungssystems zu erhöhen, als auch um das Einkommen und die Lebensumstände der Zabalin zu verbessern.

  1. Das "Route Extension Program" soll das Zabalin-System der Müllbeseitigung auf Gebiete minderen Einkommens ausdehnen. 150.000 neue Haushalte wurden durch dieses Programm erstmals an das System angeschlossen.
  2. Das "Internal Clean Up Program" entfernt regelmäßig nicht mehr zu verwertende Abfälle aus den Zabalin-Siedlungen.
  3. Das "Area Upgrading Program" soll für Trink- und Abwasseranschluß, befestigte Straßen, Elektrizität und Kommunaleinrichtungen, wie etwa eine Grundschule, sorgen.
  4. Landerwerb der besiedelten Flächen durch die Zabalin soll die entsprechende politische und soziale Sicherheit schaffen.
  5. Das "Housing Improvement Credit System" gibt finanzielle und technische Hilfe beim Hausbau.
  6. Das "Small Industrial Project" gibt ebenfalls finanzielle und technische Hilfe beim Aufbau von Kleinbetrieben der Recycling-Technologie.
  7. Die "Composting Plant" wird sowohl Fest- als auch Flüssigmist und Fäkalien aus den Zabalin-Siedlungen sammeln und zu Dünger verarbeiten.
  8. Im "Mechanization Program" sollen auf Anweisung der Regierung vom März 1985 die Eselskarren unverzüglich durch mechanische Fahrzeuge ausgetauscht werden. Kleintraktoren (ca. 300 Stück) ersetzen die Esel bereits zum Teil mehr oder weniger sinnvoll.
  9. Ein "Child Health Program" bemüht sich, die Kindersterblichkeit, die im Jahr 1981 in den Siedlungen noch 24% betrug, durch Aufklärung der Mütter über hygienische Maßnahmen des täglichen Lebens zu reduzieren.

Die Nachhaltigkeit jeglicher Entwicklungsprogramme hängt von der Fähigkeit der Gemeinschaft ab, nach Beendigung der aufbauenden finanziellen und technischen Hilfe das Projekt selbständig weiterzuführen. Es müssen Trägerorganisationen mit angemessener Struktur geschaffen werden. Im Falle der Zabalin wurde eine bestehende Organisation, die im Jahr 1974 durch eine kirchennahe Gruppe gegründet worden war, im Jahr 1982 säkularisiert und reorganisiert, um die Aufgaben der Kommunalentwicklung übernehmen zu können. Neben kirchlichen Trägern, finanziert durch Spenden, werden diese Zabalin-Kommunalentwicklungsprojekte unterstützt u.a. durch die Ägyptische Regierung, Oxfam und die Ford Foundation.

Federführend beteiligt seit 1980 an der Durchführung von Studien zum Müllmanagement und bei der Implementierung der Projekte ist eine ägyptische Consulting-Firma, die "Environmental Quality International" (EQI). Unter der Leitung des Firmendirektors Dr. Mounir Neamatalla sind etwa 36 Mitarbeiter interdisziplinär tätig, mit einer mittleren Projektlaufzeit von 2 Jahren. Als programmatischer Ansatz gilt der Ausbau des existierenden Müllbeseitigungssystems und die Verbesserung der Lebensumstände auf den Müllkippen der Stadt, da in absehbarer Zeit es keine vernünftige Alternative zum bestehenden Zabalin-System geben wird.

Literatur:
    • Wilms, Anno: "Zabalin. Die Müllmenschen von Mokattam, Cairo". Bremen, Edition CON 1985.

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Ein sterbendes Gewerbe – Portrait eines Zabal aus Alexandria
von Heidewig Hadidi

Papyrus-Logo Nr. 4/87, p. 42

Das leichtfüßige Trappeln der Eselskarren morgens gegen fünf Uhr, wenn Motorenlärm und Hupkonzert noch nicht Macht über unsere Ohren gewonnen haben, ist ein vertrauter Klang für Frühaufsteher: die Zabalin fahren in die Vorstädte, wo an den Kreuzungen große Berge von Haushaltsabfällen sich türmen.

Unser Zabal, Ali, klingelt jeden Monatsersten an der Küchentür, um das Pfund zu kassieren, das ihm für seine staatstragende Tätigkeit zusteht. Ali ist 62 Jahre alt und begeht in diesem Jahr sein 50jähriges Firmenjubiläum, denn er ist freier Unternehmer. In seiner Familie hat dieser Beruf Tradition: sein Vater kam aus Oberägypten nach Alexandria, als Ali zwei Monate alt war. Als.12jähriger stieg der Sohn ins Geschäft seines Vaters ein, gemeinsam mit dreien seiner Brüder, die bis heute in den angrenzenden Revieren tätig sind.

Seinerzeit bestand der Kundenkreis fast ausschließlich aus Ausländern, die den Jungs 1 Piaster im Monat zahlten und ansonsten für deren leibliches Wohl sorgten: ein Brot mit Marmelade oder Gibna, eine Banane oder auch mal eine abgelegte Hose von den eigenen Kindern.

So wuchs Ali heran und nahm sich mit 18 eine Frau. Heute besitzt er außerdem einen Esel und einen Karren, für die er der Stadtverwaltung im Jahr LE 7,- für eine Lizenz zahlt. Weitere Unkosten entstehen ihm durch die Fütterung des Esels, die mit 65 Piastern täglich zu Buche schlägt (sagt er – aber uns ist nicht klar, was ein Esel außer Gemüseabfällen noch fressen könnte, und die liefern wir ihm doch reichlich).

Ali befreit etwa 100 Haushalte an der Freiheits-Avenue vom täglichen Müll. In die Seitenstraßen geht er nicht mehr, seitdem die Stadt Plastiktüten verteilt und diese kostenlos von der motorisierten Müllabfuhr einsammeln läßt. Da der Betrag unterschiedlich ist, kommt Ali durchschnittlich auf LE 70,- im Monat. Zusätzliche Einnahmen erzielt er durch den Verkauf von Abfällen, die er im eigenhändigen Recycling-Verfahren aussortiert: an altem Brot verdient er täglich etwa 15 Piaster, an Glas nur noch wenig, weil als Verpackung jetzt Plastik bevorzugt wird. Auch Papierreste bringen nicht viel ein. Als ich mich erkundige, zu welchem Sammelplatz Ali den Müll z.Zt. bringe, antwortet er: "Gleich hinter dem Haus an die Eisenbahn." Ich blicke ihn ungläubig an und frage noch einmal genau nach. Mit seinen Ortsangaben begebe ich mich am Nachmittag zu Alis Müllhalde. Keine 200 m entfernt zwischen der Hauptstraße und der Eisenbahnlinie Alexandria—Kairo erkenne ich am Bahndamm ganze Schichten bereits kompostierter Abfälle. Die frischen Lieferungen sind abgerutscht und gestalten die kleine Straße zu einer gebirgigen Schlucht. Ich fasse einen Entschluß: unser Abfall wird ab sofort den städtischen Containern anvertraut. Wenn wir weiter LE 1,- an Ali zahlen, kann die Einbuße für ihn nicht allzugroß sein, da wir nur sehr selten altes Brot wegwerfen.

Müllkarre

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Die Zabalin – Leben vom Müll der anderen
von Lucia Nitz

Papyrus-Logo Nr. 5—6/90, pp. 101—103

Ein Besuch auf der Müllsiedlung in Moytamadea

Sie gehören zum Straßenbild Kairos, zum Alltag der Millionenstadt: die Eselskarren mit Müll, die Männer und Jungen, die mit Flechtkörben die Abfälle von den Wohnungen abholen oder die großen Container durchwühlen – die Zabalin. Ohne sie würde die Stadt im eigenen Dreck versinken. Doch wie leben Menschen von und mit diesem Müll?

Im westlichen Randgebiet der Stadt liegen hinter dem Kanal Felder, grüne Oasen zwischen den Neubauten der näherrückenden Stadt. Unmengen von Plastik an den Wegrändern und in den grün überwucherten Wassergräben stören die Idylle; schon ein Stück weiter existiert sie nicht mehr: Hier liegt Moytamadea, eine der sieben Müllsiedlungen Kairos.

Mit den großen, umzäunten Deponien Deutschlands, ihren Müllbergen und Räumbaggern ist diese nicht zu vergleichen. Hier leben Menschen im Müll. Beißender Geruch nach Fäulnis, Abwässern und Tieren, schwarzer Rauch, schwarzbraun und voller Unrat der Boden, dunkle Wände aus Wellblechresten und anderen Abfallmaterialien zusammengeflickt, eine Gasse zwischen kleinen Höfen, in den Türöffnungen Müllhaufen. Hühner laufen darüber und picken sich die besten Brocken heraus, Frauen und Kinder sitzen daneben, ziehen Stücke heraus, sortieren sie. So sammeln sich im Hof Haufen von Blech, Glas, Plastik, Lumpen und Papier. Auch ein Hüttendach wird zur Lagerung benutzt, denn den größten Platz beanspruchen die Schweine: Zwischen fünf und zwanzig sind es, die sich über die restlichen Abfälle hermachen.

Schon um vier Uhr morgens ziehen die Männer in die Stadt und sammeln ihre Wagen voll. Dabei sind die Sammelgebiete streng eingeteilt, jede Familie hat "ihre" Häuser. Gegen Mittag laden sie alles am Eingang ihres Hofes ab, wo ihn die Frauen sortieren.

Die Schweinezucht ist die Haupteinnahmequelle der Zabalin, dazu kommt der Verkauf der Rohstoffe fürs Recycling und der Obolus der Haushalte.

Man sagt, das Recycling funktioniere hier besser als in Europa. Möglich ist das allerdings nur durch die Arbeit der Zabalin, und den größten Profit haben, wie sooft, andere.

Der "Wahi" teilt den Familien ihre Sammelgebiete zu und bekommt dafür Geld von jedem "Pächter"; er vermietet auch die Pick-ups, die die Zabalin für Zamalek, Mohandessin und andere Gebiete brauchen, in denen die Eselskarren verboten sind. Geld erhalten auch die Grundbesitzer, die die Landparzellen der Deponie jährlich an die Familien verpachten. Nur wenige Zabalin sind auch Eigentümer ihres Hofes oder ihrer Pick-ups. Und schließlich machen die Zwischenhändler den eigentlichen Profit mit den Rohstoffen. Mit großen Trucks holen sie die Materialien, die sie an Fabriken weiterverkaufen können: auch die Schweine werden direkt von der Deponie aufgekauft, von Großhändlern, die die Preise festlegen können.

Vom Erlös können die Menschen hier immerhin besser leben als in ihrer ursprünglichen Heimat Oberägypten. Das ist auch der Grund, warum vor ca. 100 Jahren die ersten von ihnen nach Kairo kamen. Doch sind die Probleme nicht zu übersehen: Zuallererst die zahlreichen Verletzungen, überwiegend Schnittwunden an Händen und Füßen durch Dosen, Glas und anderen Müll. Im Sommer verstärkt die Hitze die schlechte Luft, im Winterregen wird der Boden ein schlammiger Brei. Wegen der katastrophalen Hygiene-Verhältnisse ist die Kindersterblichkeit sehr hoch (40%, landesweit 9%), Krankheiten wie die Ruhr u.a. sind an der Tagesordnung, und die Abwehrkräfte der Menschen hier reichen dagegen nicht aus. Zwar kommt jede Woche der Arzt, dreimal wöchentlich gibt es im nahegelegenen Kindergarten eine Ambulanz, doch gehen sie oft erst sehr spät dorthin, manchmal zu spät. Die Frauen bevorzugen immer noch die Hilfe der "dayya" (eine Art Hebamme), einer Frau aus ihrer Gemeinschaft, die sich auf Geburtshilfe "versteht", ohne medizinisch ausgebildet zu sein.

Auch haben die Zabalin kaum die Möglichkeit, aus diesem Kreis herauszukommen. Zum einen sind sie sozial isoliert ("kein Kairener würde diese Arbeit machen"); die Familien bleiben zusammen und untereinander durch Heirat verbunden.
Außerdem haben sie keinerlei Schul- oder Ausbildung, die ihnen eine andere Lebensweise denkbar oder möglich werden ließe.

Es gibt seit einigen Jahren in Müllsiedlungen verschiedene Hilfsprojekte, staatliche und private, z.T. mit internationaler Unterstützung. (vgl. PAPYRUS 4/87: Zabalin – oder die Heinzelmännchen von Kairo) Ein zentraler Punkt dabei ist – neben direkter, z.B. medizinischer Hilfe – das Problem der (Aus-)Bildung. Genau da wird in Moytamadea seit einigen Jahren Hilfe geleistet. Schwester Maria Grabis versucht, durch Ausbildungsangebote und Hilfe zur Selbsthilfe den Zabalin ein besseres Bewußtsein ihrer Möglichkeiten zu geben und ihre Fähigkeiten zu fördern.

In einer Haushaltsschule können die Mädchen lernen, Nahrungsmittel gesünder zu verarbeiten und hygienischer zu leben; die Nähschule ermöglicht ihnen, Kleidung für sich und ihre Familien selber herzustellen; seit 1988 ist eine Grundschule im Aufbau, in die z.Zt. 72 Schüler in die 1. und 2. Klasse gehen. Die Kinder hier verstehen langsamer als andere; in "ihrer" Schule werden ihre besonderen Schwierigkeiten berücksichtigt. Ein neuer Brunnen wird gebohrt, weil der alte verunreinigt ist, es gibt einen "Kleiderladen", in dem gebrauchte Kleidung verteilt wird.

Augenfälligstes Beispiel für die Veränderungen sind die neuen Häuser, die neben den Höfen der Zabalin entstehen. Hier können Männer, die zwei Jahre lang täglich 2—3 Stunden beim Hausbau mithelfen und anschließend einen Teil der Kosten monatlich abtragen, ein festes Haus für ihre Familie bauen. Wohn- und Schlafraum, Küche, Waschraum mit fließendem Wasser, eine ausbaufähige Dachterrasse und zwischen den Häusern eine schattige Gasse mit frischgepflanzten Bäumen: Hilfe zur Selbsthilfe mit ermutigenden Erfolgen, die gleichzeitig ein praktischer Schritt zur Verbesserung der Lebensweise sind.

Aber: Tief verwurzelte Strukturen lassen sich nicht von heute auf morgen verändern – nötig sind Geduld und Ausdauer.

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Das Müllsystem Kairos –
Wer sorgt dafür, daß Kairo nicht im Müll erstickt?

Aus der Seminararbeit von Katharina Eisele, Claudia Fink und Janine Magg
ausgewählt und gekürzt von Heidrun von Boetticher

Papyrus-Logo Nr. 3—4/2000, pp. 55—56

In Kairo existiert eine städtische Müllabfuhr, die jedoch völlig überfordert ist. Außerdem gibt es zwei Bevölkerungsgruppen in Kairo, die das System der Müllabfuhr aufrecht erhalten. Die eine sind die Zabbalin mit ihren Eselskarren, die jeder kennt. Die andere sind die Müllkontraktoren. Die Letzteren sind weniger auffällig. Sie sind historisch gesehen die Vorgänger der heutigen Müllsammler und werden als "Wahija", die Leute aus den Oasen, bezeichnet. Sie bilden eine geschlossene Sozialgruppe, die durch ihrer Herkunft und ihre berufliche Tätigkeit verbunden ist. [...]

Um 1880 kamen die ersten Wahija nach Kairo. Ihr Einkommen bestand aus den Gebühren, die die Haushalte für die Müllabfuhr zahlen mussten, und aus dem Erlös, den sie beim Verkauf von brennbarem Material erzielten.

Nach und nach nahmen die Einnahmen aus dem Verkauf brennbarer Abfälle deutlich ab. Daher begannen die Wahija den Müll an Schweine haltende Kopten zu verkaufen. Das war der Beginn der Entwicklung, die in den 30er Jahren zum völligen Ausstieg der Wahija aus dem aktiven Sammeln und Aufbereiten des Mülls führte. Es kam ihnen gerade recht, dass die mittellosen koptischen Neuankömmlinge aus Oberägypten jede Tätigkeit annahmen, die ihnen ein, wenn auch geringes Einkommen sicherte. Natürlich traten die Wahija ihre Arbeit nur gegen ein Entgelt ab, ihre neue Erwerbsquelle. Trotzdem verzichteten sie nicht darauf, auch weiterhin von den jeweiligen Haushalten Gebühren zu kassieren, und das für Leistungen, die nicht von ihnen, sondern von den Zabbalin erbracht wurden. Dieses System konnte nur aufrecht erhalten werden durch die Etablierung eines öffentlich eingeschriebenen Müllkontrakter-Verbandes. [...] Der Verband wird von einem gewählten Direktorium geleitet und fungiert einerseits als offizielle Interessenvertretung gegenüber staatlichen Stellen, andererseits sorgt er dafür, dass keine Außenstehenden sich Zutritt zu dem lukrativen Müllkontrakter-Geschäft verschaffen, das so gesehen ein Monopol ist. Der Verband scheut keine Mittel, um Konkurrenten auszuschalten und scheut auch vor Gewalt nicht zurück. Trotzdem müssen sich die Kontraktoren das einträgliche Geschäft mit den Hausbesitzern teilen. Praktisch läuft dieses System dann folgendermaßen ab:

Wenn irgendwo ein neuer Hauskomplex gebaut wird, so bietet der Hausbesitzer dem Müllkontrakter-Verband das Müllbeseitigungsrecht zum Kauf an. Der zu zahlende Preis wird bei Versteigerungen festgelegt. Er richtet sich nach der Menge und der Qualität des zu erwartenden Mülls und vor allem nach der Einschätzung der Müllabfuhrgebühren. Diese sind gestaffelt nach Verdienst und Zahlungsfähigkeit der Mieter und liegen monatlich zwischen 0,25 und 2 LE (1 DM entspricht heute ~ 1,80 LE). Ende der siebziger Jahre wurden für das Recht auf die Mullabfuhr aus größeren Appartementkomplexen mehrere tausend LE geboten.

Verteilungsschema
Der Vorlage aus "Praxis Geographie" Nr. 3, 88 (abgedruckt in Papyrus 3—4/2000, p. 55) nachempfunden
(Anm. KFN)

An die Zabbalin tritt dann der Kontraktor gegen einen Einstandsbetrag das Recht auf die Verwertung des Mülls ab. Dabei müssen für eine Route, die zur täglichen Füllung eines Eselskarrens nötig ist, je nach Abfallart einmalig zwischen 100 und 500 LE gezahlt werden. Zusätzlich kassieren die Kontraktoren jeden Monat Gebühren von den jeweiligen Haushalten. Dadurch verdienen die Wahija, die mehrere Touren kontrollieren, monatlich mehr als 1.000 LE, was das Gehalt eines einfachen Beamten weit übersteigt. Für das Eintreiben der Gebühren stellen sie meist ärmere Verwandte ein. Sie selbst sind oft Laden- oder Supermarkbesitzer, Ingenieure, Rechtsanwälte oder Ärzte. Die Wahija betreiben das Geschäft des Müllkontraktors heute oftmals nur noch als Nebenjob. Die Zabbalin verdienen deutlich weniger. Das monatliche Nettoeinkommen der Müllsammlerbetriebe liegt zwischen 60 und 300 LE. Ein einfacher ägyptischer Beamter bezieht ein Gehalt von ca. 60 LE, also kann man die Müllsammler durchaus nicht zu den Allerärmsten zählen. Man sollte jedoch nicht vergessen, dass die angegebenen Betriebseinkommen die Arbeitsleistung einer ganzen Familie und nicht nur die einer einzelnen Person ist. Eine Zabbalin-Familie besteht meistens aus etwa 10 Personen, von denen 2—4 Erwachsene und ebenso viele Kinder im Alter zwischen 5 und 12 Jahren mitarbeiten. [...] Ein Drittel ihrer Einnahmen stammt vom Müll direkt, durch den Verkauf der wieder verwertbaren Altmaterialien wie Kunststoff- und Textilabfälle, Papier, Pappe, Glas, Knochen, alte Schuhe, Blechdosen, Aluminiumabfälle und sonstiges Altmaterial. Aus einer Karrenfüllung Müll können die Zabbalin, je nach Sozialschicht und Konsumverhalten der den Abfall liefernden Haushalte, Altmaterial im Verkaufswert von 0,70—1,20 LE aussortieren. [...] Der organische Abfall wird an die Schweine verfüttert. Denn die Haupteinnahmequelle der Zabbalin ist die Schweinehaltung. Normalerweise lassen sich etwa 30 Schweine mit den organischen Abfällen einer Karrenfüllung Müll pro Tag versorgen. [...]

Es gibt in Kairo insgesamt über 30.000 Müllsammler, die mit ihren Autos, Kleinlastern, Pick-ups und hauptsächlich Eselskarren ihrer Arbeit nachgehen. Eine Arbeit, die die weltweite Rekordquote von 80% bei der Wiederverwertung errungen hat.

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