Straßenverkehr
Das neue Verkehrsrecht in Ägypten
Nr. 910/2000, pp. 2023 Als Grundlage für diesen Artikel dienten "Das Gesetz des Dschungels" von Sherine Abdel-Azim, in "Al Ahram Hebdo" vom 22.28. März 2000 und "Sedative or Cure?" von Gihan Shahine in "Al Ahram Weekly" vom 18.24.Mai 2000. Am 1. Januar 2000 wurde das neue ägyptische Verkehrsrecht verkündet und trat am 1. März in Kraft. Ziel war es, angesichts des sich täglich wiederholenden Verkehrschaos auf ägyptischen Straßen, insbesondere in Kairo, den ausufernden Verkehr in geordnete Bahnen zu leiten, die Verkehrssicherheit zu erhöhen und die Anzahl der Unfälle zu reduzieren. Dazu wurde das alte Gesetz 1999 vom Parlament modifiziert und erweitert. Die Bußgelder bei Verstößen wurden dabei zum Teil um ein Vielfaches erhöht, um beim Verkehrsteilnehmer eine größere Abschreckung zu erzielen und um endlich Ordnung auf den Straßen zu schaffen. Aber nicht nur Bußgelder werden erhoben. Die Maßnahmen reichen vom Anbringen einer Parkkralle oder Abschleppen bei falschem Parken bis hin zu Führerscheinentzug für mehrere Monate. Wiederholungstätern drohen sogar Gefängnisstrafen. Verkehrsregeln gab es natürlich schon vor der Neuregelung, nur wurde deren Durchführung oft sehr lasch gehandhabt. Wirklich neu ist die Tatsache, dass ein großes Aufgebot von Ordnungshütern darüber wacht, dass diese Regeln auch wirklich eingehalten werden. Entsprechende Strafen werden verhängt, wenn dagegen verstoßen wird. Was in der Bevölkerung so viel Unmut und Empörung bis hin zu Streiks von Mikrobus- und Taxifahrern ausgelöst hat, war die Tatsache, dass das neue Verkehrsgesetz weite Teile der Bevölkerung völlig unvorbereitet getroffen hat. Weder in der Presse noch in den anderen Medien wurde die Bevölkerung darauf hingewiesen. Erst bei der Verlängerung der Zulassung auf den jeweiligen Verkehrsämtern trifft die Fahrzeughalter die volle Härte des neuen Gesetztes. Bevor die Zulassung verlängert wird, müssen alle bis dahin verhängten Bußgelder beglichen werden, in vielen Fällen Summen von LE 1.000 bis LE 2.000 oder mehr. Für viele immense Summen, mit denen sie nicht gerechnet haben. Entsprechend groß sind Unmut und Verärgerung. Die meisten kennen nicht einmal die Verkehrsregeln, gegen die sie verstoßen haben. Viele fühlen sich auch einfach ausgenommen, weil sie den Zweck der Regeln nicht verstehen, beispielsweise bei Gurtpflicht für Autofahrer und Helmpflicht für Motorradfahrer. Für uns ausländische Verkehrsteilnehmer klingen die neuen ägyptischen
Verkehrsregeln vertraut wie die heimatlichen. Gurtpflicht, Helmpflicht bei
Motorradfahrern, Erlöschen der Betriebserlaubnis bei defekten Autos,
Geschwindigkeitsübertretungen (erlaubt sind 60 km/h innerhalb geschlossener
Ortschaften und 90 km/h auf Landstraßen), Fahren in der falschen Richtung in
der Einbahnstraße, Telefonieren mit dem Handy oder Autotelefon ohne
Freisprechanlage während der Fahrt, Fahren unter Drogen- oder Alkoholeinfluss,
falsches Parken oder Verkehrsbehinderung sind Delikte, die auch bei uns zu Hause
bei Nichtbeachtung mit nicht gerade geringen Bußgeldern belegt werden. Wer sich
wie von zu Hause gewohnt an die Verkehrsregeln hält, dem kann eigentlich nichts
passieren.
Es bleibt abzuwarten, ob das neue Verkehrsgesetz alleine den erhofften Erfolg bringen kann. Nach Ansicht von einigen Experten sind noch mehr Maßnahmen erforderlich, um das Verkehrschaos von Kairo in den Griff zu bekommen. Dazu zählen eine bessere Ausbildung der Auto-, Mikrobus- und Minibusfahrer. 80% der Verkehrsteilnehmer haben wenig oder gar keine Ahnung von Verkehrsvorschriften. Mikrobus- und Minibusfahrer weisen in den Statistiken die meisten Verkehrsverstöße auf. Notwendig wäre aber auch die Schaffung von mehr Parkplätzen beispielsweise durch den Bau von Parkhäusern oder Tiefgaragen. Ein großer Teil der Fahrten im Innenstadtbereich erfolgt aufgrund von Parkplatzsuche. Viele stellen den PKW dann einfach in zweiter Reihe ab. Auch das Netz des öffentlichen Nahverkehrs müsste erweitert und verbessert werden, um die Anzahl der Verkehrsteilnehmer auf den Straßen zu reduzieren. Darüber hinaus müsste aber auch die Ausbildung der Polizisten verbessert werden. Sie sind schlecht bezahlt, unzureichend ausgebildet und oft unfähig den Verkehr zu regeln. Vielfach handelt es sich um einfache Wehrpflichtige, die nicht einmal fähig sind, die Fahrzeugnummern richtig aufzunehmen. Hier ist in Auszügen das neue Verkehrsgesetz. Als Vorlage diente eine Übersetzung aus dem Englischen vom 29.2.2000:
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Eine neue Straßenverkehrsordnung für Kairo (Glosse)
Nr. 1/90, pp. 6772
Angeregt durch zwei kürzlich im PAPYRUS erschienene treffliche Artikel über den Straßenverkehr in Ägypten sowie durch die im Rahmen abgelichtete Bemerkung aus der "Egyptian Gazette" vom 24.10.1989 reifte in mir der Wunsch, meine ganz persönlichen Erfahrungen über dieses reizvolle Thema in einem "12-Punkte-Plan" zu Papier zu bringen. Warum?
Kurz noch etwas zu meiner Person: Ich lebe seit September 1988 in Kairo, und es wäre dem Leser gegenüber nicht fair, bei meinem "12-Punkte-Plan" unerwähnt zu lassen, welches Wildbret in diesem ersten Jahr auf der Strecke blieb: Erstens: Demolierte Vorderfront und kaputte Windschutzscheibe an meinem Auto (Militärlaster setzte zurück. Fahrer stieg entgeistert aus, warf sich zu Boden und küßte meine Füße (!) ein unvergessenes Erlebnis, das ich nicht missen möchte. Schadensregulierung: privat. Ich ließ ihn "natürlich" laufen...) Zweitens: Hintere linke Seitentür eines anderen demoliert (Kein Personenschaden, nur die Tür wirbelte über die Straße. Durch heftige Handzeichen gab mir der Fahrer zu verstehen, weiterzufahren, was ich auch gerne tat, denn bei mir konnte laut Gehör nur die Stoßstange in Mitleidenschaft gezogen worden sein. Außerdem bin ich des Arabischen, insbesondere der Schimpfworte, kaum mächtig. Jedenfalls beschäftigte sich der andere Fahrer statt mit mir lieber handgreiflich mit seinem unvorsichtigen Mitfahrer siehe auch Anm. 14 zu §8: "The Egyptian Mentality"!) Nach so langer Vorrede folgt nun endlich der "12-Punkte-Plan". Die anschließend beigefügten Anmerkungen in Form von Fußnoten mögen dem Neuankömmling helfen, die verwirrende Vielfalt der Paragraphen zu verstehen.
Den Paragraphen 2 könnte man auch auf einen Nenner bringen, der da heißt: Selbst der größte "Softie" sollte "macho-esk" fahren. Zur Einübung wird dem Gringo aber vorsichtshalber für die ersten Wochen folgende Strategie empfohlen, die allerdings nur für breite Straßen mit betoniertem und erhöhtem Mittelstreifen gilt: Man fahre grundsätzlich (s. Anm. 2) ganz links! Jeder andere Verkehrsteilnehmer zieht zwar aus dieser langweiligen Fahrweise automatisch die beiden Schlüsse:
Zum Abschluß noch einen Blick nach Norden!
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Was ich mir von Autofahrern in Ägypten wünsche
Nr. 4/89, p. 44
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Lieber Bruder am Lenkrad...
Nr. 12/83, p. 8 Verzeih diese Anrede, aber ich kenne Deinen Namen nicht. Du bist einer von einer Viertelmillion Autofahrern in Kairo, von denen ich in dem halben Jahr, seit ich hier lebe, sehr viel gelernt habe. Als jemand, der aus einem Land kommt, in dem der Spruch gilt "Von der Wiege bis zur Bahre Formulare, Formulare" und in dem nichts mehr durch Vorschriften geregelt ist als der Straßenverkehr, möchte ich Dir danken...
Ich kann Dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich jeden Tag darüber freue, daß Du mir nicht den Vogel zeigst, den ich in Deutschland viel zu oft sehen mußte, sondern mich freundlich anlächelst. Um eines aber möchte ich Dich noch bitten, lieber Bruder am Lenkrad: Drück mir die Daumen, wenn ich beim nächsten Deutschland-Aufenthalt wieder ans Steuer muß, daß ich mich wieder an die rauhen Verkehrssitten dort gewöhne. Herzlichst
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Das "Gespräch" zweier Autos in Kairo
Nr. 34/2000, pp. 5758 Begegnung am Straßenrand:
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Aus der Fahrschule geplaudert
Nr. 4/89, pp. 3740 Wie lernt man in Ägypten Autofahren? Zwanzig Minuten vor der ersten Fahrstunde suche ich mir ein paar Vokabeln heraus. Etwas bange ist mir ja doch. Ich spreche kaum Arabisch und der Mann von der Fahrschule "Nur Kar" in der Sharia Tahrir spricht so gut wie kein Englisch. Also: "badal at Ta'shika" ist das Kupplungspedal; "badal al Sur'a" ist das Gaspedal; "badal al framla" das Bremspedal und (diese Vokabel hätte ich mir sparen können) "nur faq" das Blinklicht. Jetzt kann's also losgehen. Halt, ganz wichtig noch: Was heißt Hupe? "Qalaks". Die dem Tode Geweihten grüßen sich. Als Ausländer bin ich für die anderen Fahrschüler eine unerwartete Erscheinung, aber wir verstehen uns gut. "All kinds of cars" stand auf der Visitenkarte von Nur Kar. Das verspricht einige Professionalität. Auch das bereitstehende neue Fiat-Modell gibt Vertrauen. Zu fünft werden wir nach Mohandessin gefahren und halten an einer ruhigen Straßenecke, dem inoffiziellen Übungsplatz der Fahrschule. Dort stehen dann allerdings nur "all kinds of Fiats" herum. Wir werden auf mehrere Fahrlehrer verteilt. Sechs Stunden habe ich bezahlt (80 Pfund), die meisten Fahrschüler hier nehmen nur drei Stunden. Der Besuch einer Fahrschule ist aber in Ägypten keine zwingende Voraussetzung für den Erwerb eines Führerscheins. Als Fahrlehrer wird mir ein zahnloser Kopte mit grauem französischem Bärtchen vorgestellt. Emile Elias heißt er, und tatsächlich beherrscht er mehr als ein paar Brocken Französisch. Daß ihm diese Spezialaufgabe zugewiesen wurde, macht ihn sichtlich stolz. Im Kreis der erheblich jüngeren Kollegen hat er offensichtlich keinen leichten Stand. Er fährt eine Runde um den Block, erklärt mir, wie ich Kupplung, Gas und Gangschaltung benutzen soll, dann darf ich ans Steuer. Das Auto, ein knatschgrüner Fiat 128 von 1974, ist nicht als Fahrschulwagen gekennzeichnet und ist natürlich auch kein Fahrschulwagen mit doppeltem Innenspiegel, Kupplung, Gas und Bremse. Ein Kabel führt von der Lüftungsöffnung am Beifahrersitz zur Lautsprecherbox am Lenkrad: die Hupe. An beiden Enden kann man mit dem Finger auf den nackten Draht drücken. So können wir gleichzeitig hupen. Eine andere Einflußmöglichkeit hat Emile nicht. Malesch. Emile zeigt mir, daß die Kupplung nur in einem Bereich von zwei Zentimetern reagiert. Er läßt mich drei Runden durch leere Straßen fahren, damit ich im Fuß ein Gefühl für diese zwei Zentimeter kriege. Dann stehen wir plötzlich an der Einmündung einer sechsspurig befahrenen Straße. Auf voller Breite schiebt sich die Blechkarawane in Richtung 6. Oktober-Brücke. Emile schickt mich also schon am ersten Tag ins volle Gewühl. Es wird Schrittempo gefahren, und ich weiß nicht, wie ich mich einordnen soll. Obwohl keine Lücke frei ist, will Emile, daß ich ohne anzuhalten einfach drauflos fahre. Ich zögere, muß tief Luft holen und ziele mutig auf ein Taxi. Eigentlich nur, um Emile einen Gefallen zu tun. Das erwartete Scheppern bleibt aus und ich lerne die erste wichtige Lektion: So etwas klappt tatsächlich. Da die Ägypter zwar chaotisch, aber vorsichtig defensiv fahren, braucht man als Anfänger keine Angst zu haben. Wie ein Wunder bremst mein Hintermann, den ich schon am Kotflügel kleben sah, ich rutsche in die Schlange, muß nur noch haarscharf an einer Menschenmenge vorbei, die ungeduldig auf einen Bus wartet, und schon fahre ich wie selbstverständlich durch Kairo. Das gibt Selbstvertrauen. Gleich nach einer halben Stunde begegnet mir die erste rote Ampel. Sie wird ignoriert ohne daß ich mit der Wimper zucke, das war gar keine Frage, keine Diskussion wert. Ich weiß, daß ich hier nicht "deutsch" fahren lerne, wozu auch? "Du mußt so fahren wie die Ägypter", lacht Emile, "sonst gibt es Probleme". Seit zehn Jahren arbeitet er als Fahrlehrer täglich 12 Stunden, nur freitags hat er frei. Pro Stunde verdient er ein Pfund, damit ist er zufrieden, das macht etwa 250 Pfund im Monat. Am zweiten Tag lerne ich rückwärts einparken. Für die "Ruchsa", die Fahrprüfung, muß ich das können, sonst wird anscheinend nichts verlangt. Auf dem Parkplatz simuliert Emile mit langen Stöcken in Bier- und Weinflaschen eine Parklücke. Immer enger stellt er die vier Flaschen, das Ohr an einem kleinen Taschenradio: Es ist Donnerstag, das Oum Kultoum-Orchester spielt. Etwa zwanzig Mal parke ich ein, erst in eine frontale Lücke, dann in eine Längslücke. Am dritten Tag machen wir weiter, ich lerne jetzt, rückwärts am Bordstein entlang um eine Kurve zu fahren. Wieder und wieder fahre ich auf einen glänzend schwarzen Botschafts-Mercedes zu, knapp vorher halte ich respektvoll. Heute fahren wir schon durch Dokki, über den Fly-over, an der DEO vorbei und zur Sharia Sudan. Emile erklärt mir den Motor und ich lerne auch, den Leerlauf zu benutzen, "morque" nennt Emile ihn ist das Französisch oder Arabisch? Am vierten Tag fahre ich schon zu selbstsicher, zweimal muß Emile panisch die Handbremse ziehen, weil ich zu locker-lässig bremsen will. Ich lerne, daß man sich besonders vor Bussen in acht nehmen muß, wenn man nicht niedergewalzt werden will. Am fünften Tag wird es schon langweilig, nach einer halben Stunden läßt mich Emile vor einem "Bibsi"-Kiosk anhalten. Ich warte eine Viertelstunde, während Emile mit den Kollegen ein Schwätzchen hält. Die anderen Fahrlehrer beschäftigen ihre Schüler mit Rückwärtsfahr-Übungen. Ich soll dann einfach alleine immer um einen Park herumfahren, zehn Minuten lang. Wenn ein Polizist in Deutschland auf einen herrenlosen Fahrschüler wie mich treffen würde, der da alleine seine Runden dreht, wäre der Fahrlehrer garantiert sofort seine Lizenz los. Prompt gerate ich auch in die erste gefährliche Situation: Schwungvoll fährt zehn Meter vor mir eine Frau (es hätte natürlich auch ein Mann sein können) aus einer Parklücke auf die Straße, aber nicht um schnell weiterzufahren, sondern um im Rückwärtsgang wieder zurückzufahren. Ich vollbringe meine erste Vollbremsung, obwohl ich bei dieser sechsten oder siebten Runde schon in einer gefährlich unaufmerksamen Routine fahre. Der Schreck fährt mir so in die Knochen, daß es am vernünftigsten gewesen wäre, für heute aufzuhören. Aber ich soll noch ein paar Mal rückwärts um die Kurve fahren wieder alleine. Ich bin so verärgert über Emile, fahre hippelig und nervös, daß mir prompt doch etwas passiert. Schon vier oder fünf Mal hab ich rückwärts fahrend kurz vor einem knallrot verdeckten und auch unter diesem Staubtuch signalfarbig roten Luxussportwagen angehalten, den l. Gang eingelegt und bin wieder hart am Bürgersteig entlang um die Kurve. Beim sechsten Mal passiert es: Völlig in Gedanken versunken "vergesse" ich, daß ich irgendwann auch bremsen muß. Ich bremse in letzter Sekunde, aber Knall kracht der Fiat gegen den Maserati/Lamborghini/Ferrari. Ich frage mich noch, ob ich automatisch durch die Fahrschule versichert bin, steige aus und betrachte mit Emile und einem herbeigeeilten Bawuab die etwas unkoordiniert lose unter dem Staubtuch herunterhängende Stoßstange, doch plötzlich löst sich alles. "Malesch" sagt der Bawuab, "Malesch" sagt auch Emile, und ich frage verblüfft "Malesch?" Tatsächlich. Emile steigt zu mir, wir fahren zurück. Am letzten Tag bringt Emile mir das "Kitab il Murur", das Buch des Verkehrs, in dem er mir einige Verkehrszeichen erklärt. Wenn ich etwas nicht genau wüßte, wäre das auch nicht schlimm, sagt Emile, vier Fehler dürfe ich insgesamt machen. Vorfahrtsregeln existieren in Ägypten anscheinend nicht, jedenfalls gibt es keine entsprechenden Schilder. Emile gibt mir auch zwei Arztbescheinigungen, die er auf Vordrucken selbst ausgefüllt hat. Dafür und für seine Geduld mit mir kriegt er dann auch 10 Pfund Trinkgeld. Drei Tage vor der Fahrprüfung wird in der Fahrschule der Termin ausgemacht. Da ich in der Innenstadt wohne, werde ich auf der Gezira geprüft. 20 Pfund soll ich für den Fahrschulwagen bezahlen, der mich dorthin fährt. Leider spricht der heute die Geschäfte führende Mann kein Englisch. Es gelingt mir nicht, ihm klarzumachen, daß ich noch wissen will, welche Papiere zu besorgen und welche Behördengänge noch zu gehen sind. Ob ich schon die Botschaftsbescheinigung über meinen Wohnort habe, fragt er. Natürlich nicht, niemand hat mir etwas von einer Botschaftsbescheinigung gesagt. Am Tag der Prüfung hole ich die Bescheinigung ab. Leider habe ich nicht mit 25,50 Pfund Gebühren gerechnet, aber ein freundlicher Herr, der sich als Repräsentant der Friedrich-Ebert-Stiftung herausstellt, hilft mir aus. Wieder bei der Fahrschule fragt mich besagter Mann 20 Minuten vor der Prüfung, ob ich die Zettel heute um 10 Uhr 30 schon bei der Führerscheinstelle abgegeben habe. Natürlich nicht, auch das war mir nicht gesagt worden. Der Mann, der mich zusammen mit einem Sudanesen auf die Gezira zum Ruchsa-"Amt" unter der 6. Oktoberbrücke fährt, regelt das aber noch, obwohl der entsprechende Schalter zu ist. Hier hängt dann auch ein Schild, auf dem geschrieben steht, wie das hätte gemacht werden müssen, wenn einem jemand gesagt hätte, daß man hier vor der Prüfung hin muß.
Ich stelle fest, daß Punkt 2 die leichteste Übung ist. Ich muß lediglich mit dem Fahrschulwagen (allerdings einem anderen als dem gewohnten) 20 Meter geradeaus fahren, anhalten und rückwärts in eine relativ große Parklücke fahren, ohne irgendwo anzuecken. Gelingt dies, darf man den Motor nicht "abwürgen", sondern muß vorwärts wieder herausfahren. Das war's "Mabruk" (Glückwunsch) ruft jemand, keine Fragen nach Verkehrsschildern oder -regeln, keine Fahrt durch Stadtverkehr. Punkt drei ist dann leider nicht ganz so einfach, wie er aussieht. Am Tag nach der Prüfung stehe ich wieder vor Schalter 10 (der nur bis ca. 13 Uhr offen ist), kriege aber nicht sofort den Führerschein, sondern eine Lektion in ausgereifter ägyptischer Bürokratie. Zuerst wird mir eine Rechnung über 30,80 Pfund ausgestellt, die sich dann an der Kasse auf 32 Pfund erhöht. Dafür erhalte ich zwei Quittungen und "Damraas" Steuermarken, die ich zu der Frau an Schalter 10 zurücktrage. Nun fehlt mir noch eine Büromappe für meine Akte, ich kann sie unter der Brücke an einem Kiosk kaufen. Wieder muß ich zehn Minuten warten, dann noch einmal zur Kasse (Schalter 12), neue "Damraas" kaufen und den Führerschein abholen. 176 Pfund habe ich insgesamt ausgegeben, allein 66 Pfund für Bescheinigungen und Gebühren. Noch einmal heißt es warten, bis ein Mann "Il Almani" ruft. Ich eile zu seinem Schalter. Streng fragt er mich prüfend nach meinem Namen, aber der befriedigt ihn nicht. Er sagt irgend etwas definitiv klingendes, das mich befürchten läßt, etwas Elementares würde fehlen und ich könne den Führerschein doch nicht so einfach bekommen. Er läßt den Führerschein wieder sinken, ich erkenne mein Photo, aber er will entschwinden. "Halt", rufe ich und "Stopp", das ist doch meiner, aber er winkt endgültig ab. Irgendwann kommt er zurück an's Gitter, fragt noch einmal nach meinem Namen, entschuldigt sich und gibt mir dann den Führerschein, obwohl der auf "Aki Hart" ausgestellt ist. (Zum Autorennamen Anm. KFN)
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Wie erhält man einen ägyptischen Führerschein?
Nr. 910/91, pp. 2325 Heute waren meine Frau und ich zusammen mit einigen Kollegen beim Giza Traffic Office, um einen ägyptischen Führerschein zu erhalten. Angeführt wurde unsere Gruppe von Mahmoud, einem unserer Mitarbeiter. Mahmoud ist zuständig für die Erledigung von Behördengängen, sei es bei der Polizei, beim Zoll o.ä. Zu Anfang der Woche hatten wir bei ihm schon unsere Pässe und die deutschen internationalen Führerscheine nebst 80 Pfund pro Person abgegeben. Für dieses Geld hat er uns von einem Augenarzt und einem Internisten bescheinigen lassen, daß wir absolut fahrtüchtig seien. Nachdem wir die Autos der Obhut eines Parkwächters überlassen hatten, stürmte Mahmoud, obwohl er von uns allen zweifellos der älteste war, im Sturmschritt los, und wir alle versuchten wie die Kinder einer Entenfamilie hinter ihm herzukommen. Überall liefen und standen Heerscharen von Männern herum, Frauen waren kaum anzutreffen. Ziel unseres Sturmlaufs war ein Balkon im ersten Stock des Office-Gebäudes, auf dem sich die "Schalter" der Büros befanden: Auf seiner ganzen Länge von etwa 15 Metern befand sich eine halbhohe Mauer mit einem Eisengitter darauf, hinter dem die Schreibtische der Bediensteten standen. In den Wintermonaten dürfte dies wohl ein ebenso ungemütlicher wie luftiger Arbeitsplatz sein. Zielsicher steuerte Mahmoud auf den Schalter Nr. 13 zu. Die dort agierende Dame kannte er offenbar gut, zumindest lächelte sie ihm freundlich zu, als er sie mit dem Namen ansprach. Sie nahm unsere Akten entgegen, ein kurzer Blick, ein paar geschriebene Worte, und schon waren wir dort fertig. Nächste Station war der Schalter Nr. 16. Er war von einem wichtigen Beamten besetzt. Dies konnte man drei Tatsachen entnehmen: 1. Er trug eine Uniform. 2. Er wurde von allen Personen diesseits des Gitters mit Respekt behandelt. 3. und Wichtigstes: Er besaß einen Stempel. Ein Blick in unseren Paß, ein Blick auf uns, ein Stempel auf eines der unzähligen Paßbilder zu unserem Antrag, und fertig war auch er mit uns. Im Sauseschritt ging es wieder die Treppe hinunter zur nächsten Station. Auch sie war wichtig, wie schließlich alles hier. Nun wurden nämlich die letzten eventuell noch bestehenden Zweifel an unserer Fährtüchtigkeit ausgeräumt, denn was bedeutete hier schon die Tatsache, daß wir schon zwei Jahrzehnte einen Führerschein haben und ebensolange in Deutschland gefahren waren?! Ich war als zweiter dran, trat vor den Schreibtisch und wartete. Mahmoud stand als Verstärkung neben mir, um eventuell zu dolmetschen. Der Mann hinter dem Schreibtisch blätterte in meiner Akte, dann wollte er meine Hände sehen. Ich streckte sie ihm entgegen. Zum Glück leben wir schon über ein halbes Jahr hier und haben es uns abgewöhnt, "Warum?" zu fragen. Wir hätten sonst noch darüber nachgegrübelt, ob er damit sehen wollte, ob ich in der Lage bin, das ja hier so lebenswichtige "Schwayya"-Zeichen zu machen, oder ob ich Hände zum Betätigen der Hupe besitze, oder ob ich Hände habe, um am Volkssport der ägyptischen Autofahrer teilnehmen zu können, nämlich Reifen zu wechseln. Alle diese Fragen brauchte ich mir also nicht zu beantworten. Nach dieser Inspektion meiner Finger, bei der ich natürlich wieder einmal durch die fast unvermeidlichen schmutzigen Fingernägel auffiel, murmelte er auf Englisch etwas von Augen, das ich aber nicht verstand. Beim zweiten Male begriff ich besser, ich sollte meine nicht etwa getönte Brille abnehmen, damit mein Gegenüber feststellen könnte, ob, ja wer weiß, vielleicht ob ich denn Augen habe. Nachdem auch dieser Test positiv verlaufen war, durfte ich gehen: Für den ägyptischen Straßenverkehr als tauglich befunden. Die nächste war meine Frau. Von meinem Anblick stark fasziniert, übersah sie die Türschwelle und stolperte ein wenig. Sofort war dadurch das Interesse des Beamten für ihre Beine geweckt, und sie wurde nach Gebrechen ihrer unteren Gliedmaßen befragt. Sie mußte dann aber wohl doch einen gesunden Eindruck hinterlassen haben, denn auch sie wurde für geeignet befunden. Schließlich hatten wir alle sieben das Zeigt-her-eure-Finger-zeigt-her-eure-Schuh erfolgreich bestanden. Frohen Herzens verließen wir das Gelände des Traffic Office. Wer jetzt aber gehofft hatte, daß es geschafft sei, der irrte sich. Jetzt kam eine weitere, speziell ägyptische Episode: Etwa 50 Meter vom Office entfernt stand mitten auf der Straße unter einem großen Baum ein Schreibtisch mit drei Männern. Der wichtigste von ihnen war natürlich wieder man ahnt es schon ein Uniformierter mit einem Stempel. Wir alle, diszipliniert wie wir nun einmal waren, hatten uns brav in einer Schlange aufgestellt. Nachdem die ersten drei fertig waren, kam erst einmal von der anderen Seite ein Ägypter, der mit Küßchen hier und Küßchen da begrüßt wurde. Nachdem die letzten Neuigkeiten ausgetauscht waren, bekamen auch die übrigen vier ihren Stempel. Nun ging es wieder zurück ins Office, Mahmoud voran, wir hinterher, vorbei an dem Büro, in dem mir gerade zuvor so tief in die Augen gesehen worden war. Bei allen ging es gut, bloß nicht beim Kollegen Ludwig. Er ist etwas größer, und wie das bei größeren Menschen häufig üblich ist (sie mögen mir alle verzeihen, aber mir als kleinem dickem kommt es so vor), hat er einen etwas schlaksigen Gang, läßt auch die Schultern etwas hängen. So lief er also auch jetzt in der beschriebenen Weise hinter uns her, als plötzlich der Beamte aus seinem Büro geschossen kam und Ludwig seine Akte, die er sich unter den Arm geklemmt hat, entriß und nun doch lautstark Zweifel an Ludwigs Fahrtauglichkeit anmeldete. Ludwig konnte gar nicht fassen, was geschah und starrte den Mann entgeistert an. Um alle Zweifel auszuräumen, mußte er nun auf dem Hof unter den kritischen Augen aller Anwesenden nachweisen, daß er auf einem Strich geradeaus gehen konnte, und al hamdulillah ihm gelang der Nachweis auf Anhieb. Trotz der schweren Zweifel, die sich in das Gesicht des Beamten gegraben hatten, gab er Ludwig seine Akte zurück, und es konnte weiter gehen. Das Schlimmste hatten wir nun schon überstanden. Es ging wieder hinauf in den ersten Stock zum Balkon mit den 16 Schaltern. Dort lieferten wir alle unsere Akten bei Schalter 14 ab, wo die Führerscheinformulare vorbereitet wurden. Nun mußte Mahmoud nur noch bei Schalter 10 (oder war es doch Schalter 9?) für jeden von uns 40 Pfund einzahlen. Es dauerte lange, bis er fertig war. Offenbar hatte der Umgang mit so vielen vom preußischen Pflichtbewußtsein erfüllten Deutschen abgefärbt, jedenfalls streckte er seinen Arm nicht weit und auffordernd-nervend genug durch das Gitter dem Kassierer unter die Nase, so daß erst einmal viele andere Ägypter bedient wurden. Merkwürdig war nur, daß keiner von ihnen dort 40 Pfund bezahlen mußte die Ägypter zahlen alle nur 10 Pfand ein. (Warum? Ich frage doch nicht mehr warum!) Nachdem wir auch diese gute Viertelstunde Wartezeit überstanden zum Teil auch über"sessen" hatten, denn es gab zum Glück sogar Stühle für die Wartenden, erhielten wir den Stapel mit unseren deutschen internationalen Führerscheinen zurück. Einer fehlte zwar, konnte aber nach längerem Suchen schließlich doch noch gefunden werden. Danach durften wir dann unsere Akten wieder zum Schalter 16 tragen und hier erreichte der Verwaltungsakt seinen Höhepunkt: Der wichtige Beamte mit Uniform und Stempel benutzte diesen für uns ein weiteres Mal und leistete eine letzte Unterschrift. Sodann reichte er uns das Prachtstück über den Tresen: unseren ägyptischen Führerschein! Zum Glück für ihn war über dem Tresen ein Gitter, sonst wäre ihm womöglich noch eine(r) von uns um den Hals gefallen.
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Aus dem Tagebuch einer Mitausgereisten:
Nr. 34/2001, pp. 4647 Das kann ja nur reine Formsache sein, dachte ich, als mein Mann mir sagte, wir müssten uns um unseren ägyptischen Führerschein kümmern. Über ein Vierteljahr waren wir zu dem Zeitpunkt bereits in Ägypten. Hatte ich anfangs noch versucht, mich vor jeder Alleinfahrt zu drücken, hatte ich mich inzwischen immer mehr mit der ägyptischen Fahrweise angefreundet. Und auch den Umstand akzeptiert, dass man jede Sekunde auf eine Überraschung gefasst sein muss. Zwei Tage später holten sein Fahrer und er mich ab. Wir fuhren Richtung King Feisal Straße, zur Führerscheinstelle. Ich nahm an, lediglich dabei stehen zu müssen, wenn unser internationaler Führerschein in einen ägyptischen verwandelt wird. Unterwegs erzählt mir mein Mann, dass es sein könnte, dass wir tatsächlich eine Prüfung machen, eventuell sogar Autofahren müssen. Prima, dass hätte er mir ja auch eher sagen können. Mit den Schuhen werde ich kaum fahren können. Na ja, wird schon nicht so schlimm werden. Dabei hätte ich bereits vorgewarnt sein sollen. Schließlich hatte Ali, unser Fahrer, bereits zwei Tage mit den Vorbereitungen unseres heutigen Termins verbracht. Es kam sogar ein Polizeioffizier zu unserem Haus, um sich zu vergewissern, dass wir dort tatsächlich wohnen der von uns vorgelegte Mietvertrag reichte dazu nicht aus. Wer sich über die deutsche Bürokratie aufregt, ist noch nie in die Mühlen der ägyptischen geraten... An der Führerscheinstelle angekommen, heißt es erst einmal Schlange stehen. Wie gut, dass wir Ali dabei haben. So unverschämt würden wir uns nie vordrängeln, kämen vielleicht erst heute abend dran. Trotzdem müssen wir lange warten; ich werde immer nervöser. Was mache ich mich verrückt? Schließlich habe ich knapp die Hälfte meines bisherigen Lebens als Autofahrerin verbracht. Okay, nicht immer unfallfrei, aber in drei Vierteln der Fälle war ich nicht schuld. Und dass ich zweimal durch die Prüfung gefallen bin, konnte ich jedes Mal glaubhaft begründen. Ich sehe viele Ägypter große Blätter mit Verkehrszeichen studieren. Dass erinnert mich an die Unterrichtsstunden in der Fahrschule. Dieser Teil der Prüfung war damals für mich kein Problem. Als uns kurz darauf ein Mann in einer blütenweißen Uniform in einen Raum bittet, kann ich meine theoretischen Kenntnisse nochmals überprüfen. Er fordert mich auf, mehrere Verkehrszeichen zu erläutern. Darunter sind eine Geschwindigkeitsbegrenzung (welche arabische Zahl ist das gleich wieder?), ein Hinweisschild auf ein Krankenhaus und kaum zu glauben das Schild "Nicht hupen". Einmal durchatmen, das wäre geschafft. Aber wir werden doch nicht wirklich Autofahren müssen? Wir müssen. Eine Stunde später soll es losgehen. Doch erst einmal muss der Übungsplatz (man lässt die Prüfungskandidaten nicht auf die Straße!) von dort abgestellten Fahrzeugen geräumt werden. Dabei fährt einer der Männer beim Zurücksetzen schwungvoll in einen parkenden Wagen hinein, da scheint wohl noch jemand die Prüfung noch einmal machen zu müssen... Unterdessen treffen immer mehr Prüfungskandidaten und -kandidatinnen ein, nicht wenige fahren selbst mit dem eigenen Auto vor. Ich würde ja darüber lachen, wenn ich nicht so nervös wäre. Lächerlich, ich fahre seit fast einem halben Jahr unfallfrei durch Kairo, und das bei dem Chaos auf den Straßen. Da werde ich doch wohl noch vorwärts durch ein paar Hütchen fahren können, und rückwärts zurück. Welchen Sinn sollen diese roten Markierungen überhaupt haben? Stellen sie Fußgänger dar? Die wären doch längst geflüchtet, wenn sie mich mit dem Auto kommen sehen. Oder symbolisieren sie eine Fahrt zwischen den Schlaglöchern? Egal, da muss ich durch. Einer nach dem anderen kämpft sich durch die abgesteckte Strecke, so wie sie es tun, müssten fast alle durchgefallen sein. Endlich sind wir an der Reihe, mein Mann fängt an. Stehen die Hütchen nicht ein wenig zu eng für das große Auto? Er berührt das eine oder andere, kommt aber insgesamt ganz gut durch den Parcours. Jetzt liegt es an mir, doch als ich am Steuer sitze, kann ich die Hütchen nicht mehr sehen. Mehr schlecht als recht manövriere ich unser Auto durch den vorgegebenen Bogen und mit leichtem Hin- und Herkorrigieren auch wieder zurück. Ich steige aus und bin gespannt, ob das gereicht hat. Meine Begleiter sehen mich bedenklich an. Ihre Mienen werden noch finsterer werden, denn kurz darauf erfahren wir, dass wir beide durchgefallen sind. Mein Mann kann es überhaupt nicht glauben. Ali hat man gesagt, wir hätten zu viele Hütchen umgefahren und außerdem dürfe man die Fahrlinie nicht korrigieren. Das hat uns aber niemand erklärt. Wir können die Tatsache nicht akzeptieren, wegen einer zu eng gesteckten Fahrstrecke und fehlenden Erläuterungen nicht in den Besitz des ägyptischen Führerscheins zu gelangen. Dabei fahren wir doch bestimmt viel besser Auto als viele Ägypter. Vielleicht können wir es mit einem kleinen Taxi nochmals versuchen? Wir finden einen Taxifahrer, der bereit ist, uns sein Fahrzeug zu überlassen und werden abgewiesen. Taxen sind nicht erlaubt. So bleibt uns nichts anderes übrig als unverrichteterdinge nach Hause zu fahren. Im Freundeskreis sorgt die Geschichte von unserer Fahrprüfung für viel Gelächter, auch mit Spott wird nicht gespart. Hätte man das nicht anders regeln können? Oder die Prüfung woanders ablegen können? Eine Freundin bietet uns spontan ihren Kleinwagen an, mit dem wir dann tatsächlich nach kurzem Üben vier Wochen später wieder an gleicher Stelle vorfahren. Erneut fahren wir ohne Führerschein nach Hause. Man hat uns erst gar nicht vorgelassen, es heißt, wir könnten die Prüfung erst nach drei Monaten wiederholen. Reine Schikane? Die Tochter besagter Freundin schafft wenige Tage später die Prüfung ohne Probleme. Unsere Freundin spottet, ihre Tochter sei ja auch zehn Jahre jünger als wir und außerdem blond. Und das war noch geschmeichelt, sie ist fast zwanzig Jahre jünger. Ein Jahr später, nach einem mit geduldigem Warten, einer stark vereinfachten Fahrprüfung und einem mit einer überraschend modernen Foto-Session verbrachten Vormittag haben wir es tatsächlich geschafft, sind nun im Besitz des begehrten Papiers. Und haben es schon mal wieder abgeben müssen, wie neulich auf dem Weg ans Meer, als wir trotz Tempomat viel zu schnell gefahren sein sollen. Seit Inkrafttreten des neuen Verkehrsrechts sind solche Geschwindigkeitsüberschreitungen recht kostspielig geworden. Wie auch das Fahren ohne Gurt oder mit Handy. Erstaunt beobachte ich, wie über Nacht fast jeder Taxifahrer in Kairo angegurtet durch die Stadt fährt. Einige haben allerdings in letzter Minute abenteuerliche Konstruktionen zusammengebastelt. Wenn der Verkehr hier noch stärker reglementiert und die neuen Regeln ähnlich konsequent umgesetzt würden, dann wird mir nach unserem Aufenthalt die Wiedereingliederung in den deutschen Straßenverkehr doch nicht so schwer fallen. Ansonsten sehe ich schwarz für mein Punktekonto in Flensburg. Und eines darf nicht passieren: Dass es so anwächst, dass ich mich noch einmal einem Fahrprüfer stellen, noch einmal eine Führerscheinprüfung ablegen muss.
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Aus dem Tagebuch einer Mitausgereisten:
Nr. 12/2002, pp. 6162 Was hatte ich nicht alles gehört über Kairo, damals in Deutschland, bevor ich zum ersten Mal nach Ägypten kam: Chaotisch sei die Stadt, ein Moloch, laut, dreckig. Am schlimmsten aber sei der Verkehr. Von letzterem bekam ich kurz nach der Landung einen ersten Eindruck; Todesängste habe ich ausgestanden auf der Fahrt vom Flughafen zum Hotel. Mein Entschluss stand fest: Hier kriegt mich keiner hinters Steuer! Das Auto, das sie mir drei Monate später vor die Haustür stellten, konnte mich nicht locken: Ein alter Peugeot, sieben Sitze, mehr Schiff als Auto, ein alter Lappen statt Tankstutzen, die Türen ließen sich schlecht öffnen und schließen. Mein mir Angetrauter ermutigt mich, nach einigen Wochen Vorsprung an Fahrpraxis durch den Kairoer Verkehrsdschungel, doch wenigstens einmal bis zum nächsten Supermarkt zu fahren. Doch wenn er abends nach Hause kommt, begrüße ich ihn mit den Worten: "Du, wir müssen noch einkaufen" und meine: "Klemm dich bitte noch mal hinters Steuer und besorge das, was ich aufgeschrieben habe". Wenn ich in die Stadt muss, etwa zur deutschen Schule, nimmt mich eine Freundin mit. Sie wechselt ständig die Richtung, fährt eine Straße lang, um plötzlich zu drehen, zurückzufahren und dann in eine andere Straße abzubiegen. Bald darauf wiederholt sich das Spiel. Wie soll ich mich hier jemals allein zurecht finden? Drei Wochen spielen alle das Spiel mit, kaufen für mich ein, chauffieren mich durch die Gegend, bis ich meine Abneigung gegen das Ungetüm auf dem Parkplatz überwinde und mich auf meine erste Einkaufstour begebe. Schön langsam und vorsichtig gleite ich mit meinem Schiff dahin. Schnell stelle ich dabei fest: Wer zu rücksichtsvoll und defensiv fährt, kommt nicht zum Zug. Und viel zu spät ans Ziel. Also, keine Angst, wer wagt gewinnt. Meine Feuertaufe bestand ich, als ich elf Stunden nonstop vom Sinai zurück fahren musste, und als Krönung zum Abschluss zum ersten Mal allein durch die Stadt. Heute fahre ich gern durch Kairos Straßen. Vorsichtshalber bewege ich mich auf bekannten Pfaden, bloß keine Experimente in unbekannte Regionen. So schlimm wie es aussieht, ist das Chaos gar nicht. Es macht mir regelrecht Spaß, mich durch den Verkehr zu schlängeln. Als Fahrerin bewege ich mich dabei in der gleichen Art fort, wie ich sie als Beifahrerin hasse: immer mit dem Blick für die nächste Lücke, ständig die Fahrspur wechselnd, jede Sekunde bereit zur nächsten Vollbremsung. Schnell habe ich die Grundregeln begriffen. Regel Nummer Eins lautet: Seien Sie in jeder Sekunde auf alles gefasst! Ein Radfahrer, der Ihnen in der nächsten Kurve auf Ihrer Fahrspur entgegen kommt, ein Tablett mit Brot auf dem Kopf balancierend. Ein offener Kanaldeckel oder ein havariertes Fahrzeug Hindernisse, die nur wenn Sie Glück haben durch Steine o.ä. gekennzeichnet sind. Dicke Steine, die liegen geblieben sind, wenn diese Verkehrshindernisse längst beseitigt wurden. Neue Schlaglöcher oder durch Fahrbahnabsenkungen entstandene Sprungschanzen, die selbst einem Geländewagen zu schaffen machen. Lastwagen, deren Ladung einem Steinschlag gleichkommt. Oder Minibusse, die den Hausrat ihrer Passagiere auf dem Dach derart aufgetürmt haben, dass sie jeden Moment umzukippen drohen. Fußgänger, die seelenruhig auf Hauptverkehrsstraßen spazieren gehen oder Kinder, die auf Zu- bzw. Auffahrten zu denselben Fußball spielen. Todesmutige Straßenkehrer. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Auch an den Anblick von Eselskarren, Pferdewagen oder Kameltransporten mitten in der Großstadt muss ich mich noch immer gewöhnen. Regel Nummer Zwei: Vergessen Sie nahezu alles, was Sie in der Fahrschule an Verkehrsregeln gelernt haben! Vorfahrtsregelungen, Blinker setzen, nach Spiegel fahren, auf Fußgänger Rücksicht nehmen, mit Licht fahren, etc. sind reine Theorie. Auch TÜV-gerechte Fahrzeuge werden Sie vergeblich suchen. Dem defekten Bremslicht meines Vordermanns verdanke ich manche Vollbremsung. Oder die Bremsen sind gleich ganz defekt: Einem Freund fuhr ein städtischer Bus in sein Fahrzeug, der Busfahrer entschuldigte sich damit, dass seine Bremsen nicht funktionieren würden. In Kairo gelten eigene Regeln. Eine weitere wichtige lautet: Wer die (Auto-)Nase vorn hat, hat Vorfahrt (eine Annahme, die mir regelmäßig im Deutschlandurlaub Ärger einbringt). Je größer das Auto, desto mehr kann man seine Rechte durchsetzen. Je weniger man auf seinen Lack achtet, desto besser. Blicke in die Rück- und Außenspiegel verwirren nur unnötig. Statt Blinker geben Handzeichen die Richtung vor, oder entsprechende Hinweise fehlen ganz. Eine umgeschriebene Regel scheint zu sein, dass derjenige, der ganz rechts fährt, links abbiegen will, und umgekehrt. Der Kreisverkehr ein einziges Abenteuer. Andere Autofahrer legen sich nicht gerne fest und fahren in der Mitte zwischen zwei Fahrspuren. Oder wollen sie nur den Rasern den Weg versperren, die gern in der Mitte hindurch sausen oder auf der Außenbahn überholen? "Platzangst" darf man sowieso nicht haben, denn im sehr wahrscheinlichen Falle eines Staus werden aus zwei Fahrspuren leicht drei oder vier. Einzig Abstand gilt es auch in Kairo zu halten, falls sich niemand dazwischen drängelt, schon wegen der defekten Bremslichter. Was seltsamerweise nie kaputt geht, das ist die Hupe, die allgegenwärtig ist im Kairoer Verkehrslärm. Als Fußgänger hat man es nicht leicht in diesem Dschungel, manch einer riskiert sein Leben, wenn er versucht eine Hauptverkehrsstraße zu überqueren. Wer hingegen als Autofahrer für Fußgänger bremst, riskiert einen Auffahrunfall. Und irritiert den Fußgänger, der sichtlich nicht mit einem rücksichtsvollen Autofahrer gerechnet hat. Es gibt aber auch solche Fußgänger, die sich wie Schlafwandler auf der Straße bewegen, vielleicht im Vertrauen darauf, dass ihr Schicksal vorbestimmt ist? Wieder andere spurten zum Bus, springen in letzter Sekunde auf ihn auf oder von ihm ab. Schon wegen der ständig und abrupt haltenden Busse und Minibusse empfiehlt es sich, die rechte Fahrspur weitgehend zu meiden. Besondere Vorsicht gilt bei Fahrten im Dunkeln. Mit Licht zu fahren gilt als unhöflich, man will den entgegenkommenden Verkehrsteilnehmer ja nicht blenden, höchstens Standlicht wird geduldet. Defekte Bremslichter fallen bei fehlendem Tageslicht noch weniger auf, ebenso Kanal- und Schlaglöcher sowie Fahrzeuge mit Reifen- oder ähnlichen Schäden. Wer glücklich und heil sein Ziel erreicht hat, scheitert oft an der Suche nach einem geeigneten Parkplatz. Ich habe inzwischen keine Scheu mehr davor, in zweiter Reihe oder vor Ausfahrten zu parken. Gang raus, damit der Wagen im Bedarfsfall hin- und hergeschoben werden kann. Das ist mir immer noch lieber als meinen Schlüssel irgendeinem Bauwäb in die Hand zu drücken. Oder unverrichteterdinge wieder nach Hause zu fahren. Übrigens: Sollte Ihr Fahrzeug Ihnen einmal den Dienst versagen und einfach stehen bleiben, so lohnt es sich, die Qualität des getankten Benzins in Betracht zu ziehen. Bei Freunden war ein Benzin-Wasser-Gemisch die Ursache des Defekts. Immerhin kann man beobachten, dass seit Einführung des neuen Verkehrsrechts manche Regel eher beachtet wird: Nicht jede rote Ampel dient mehr der reinen Zierde, fast alle Autofahrer sind angeschnallt, Telefonieren am Steuer wird hart bestraft, etc. Geschwindigkeitskontrollen haben zugenommen, die unkontrollierbaren Ergebnisse müssen nicht immer gerecht sein. Berüchtigt ist die Strecke nach Ain Sukhna, wo vielen Bekannten trotz Fahrens mit Tempomat wegen angeblich überhöhter Geschwindigkeiten der Führerschein entzogen wurde. Unfälle gibt es trotzdem zuhauf, vor allem auf den Ausfallstraßen kommt es immer wieder zu folgenschweren Zusammenstößen. Natürlich kann ich nicht davon ausgehen, dass ich von Zwischenfällen verschont bleibe. Trotzdem macht mir das Autofahren Spaß, so anstrengend es auch ist. Inzwischen plane ich schon für die Zeit nach Kairo. Warum soll ich nicht den Schritt zurück in den Beruf wagen? Und wenn ich mich bewerbe, dann mit den Tugenden, die mich das Autofahren hier gelehrt haben: Geduld ohne Ende, äußerste Konzentrationsfähigkeit und absolute Flexibilität, die es mir ermöglicht, mich jede Sekunde auf eine neue Situation einzustellen und entsprechend zu reagieren.
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Radfahren in Kairo
Nr. 56/2001, pp. 1820
"Was, Sie wollen hier in Kairo Rad fahren? Da hätten Sie vor 2530 Jahren kommen müssen! Damals war es üblich, mit dem Rad zur Schule zu fahren und sich nachmittags per Rad zu besuchen." Heute sieht man nur noch die 'Botenschicht' in Kairener Verkehr, vom Bäcker über den Gasflaschen- und Milchmann zum Austräger und Bawab. Schauen Sie sich um. Gibt es irgendwo Radwege? Nein! Auf Radfahrer wird überhaupt keine Rücksicht genommen. Ein heutiger Radfahrer braucht mindestens 3 Dinge:
"Ja, aber gerade im Stau kommt man doch als Radfahrer viel besser voran. Außerdem braucht man keinen Parkplatz zu suchen, was hier Zeit und Nerven kosten kann! Und das Rad kann meine Markteinkäufe tragen." Ich war zwar nachdenklich geworden, aber mein Wunsch nach Unabhängigkeit war stärker. In Boulak entdeckte ich "mein" Rad, mit Handbremsen, Klingel und vorn einem kleinen Korb, aber ohne Licht. Da ich schon als Autofahrerin versuche, hier nicht im Dunkeln zu fahren, werde ich es mit dem Rad erst recht nicht tun, also wozu dann Licht? Die Reaktionen der Ägypter erstreckten sich von Kichern, Auslachen, Nachrufen, Radtorero spielen bis zum Klatschen und freundlichem Einweisen eines Parkwächters. Wenn ich auf der Markstraße einmal ohne Fahrrad einkaufe, wird nach dem Rad gefragt. Die Kommentare von Deutschen variierten von "mutig" bis lebensmüde". Zugegeben, es gibt Situationen, bei denen ich sehr aufpassen muss: ein Autofahrer hat mich gerade überholt, um dann knapp vor mir nach rechts abzubiegen! Busse, aus denen Leute herausspringen, und Taxen, die plötzlich halten, um Fahrgäste aufzunehmen oder aussteigen zu lassen. Alles Sachen, die mir als Autofahrer auch passieren können. Aber kann ich mit dem Auto kurz vor einem Geschäft anhalten, um mir die Auslagen anzusehen? Sehr selten, da es kaum Parkplätze gibt. Das Rad gibt mir mehr Freiheit. Zu meinen kurzen Einkaufsfahrten in Dokki kamen dann noch Fahrten zur DEO, zur Mutter-Kind-Gruppe, Nachhilfe in Dokki und Mohandessin und ab und zu freitags Besuche im DAI/Zamalek, um für "Hippo und Hippa" aus dem alten Ägypten zu recherchieren. Zum Schluss habe ich mir jetzt noch einen Wunsch erfüllt zu den Pyramiden mit dem Rad! Nachdem wir ausprobiert hatten, dass das Fahrrad in unser kleines Auto passt, stand ich an einem Freitagmorgen auf (und das mir, die ich gern länger schlafe), und machte mich auf den Weg. Mein Mann, der mit dem Auto später losfuhr, fotografierte mich mit dem Rad und den Pyramiden im Hintergrund. Das hat doch was! Die Rückfährt in größerer Hitze und mit mehr Verkehr sparte ich mir dann. Lieber etwas gedrängt im Auto sitzen!
Seit Beginn dieses Schuljahres sah ich an der DEO regelmäßig mindestens ein anderes Rad stehen. Dadurch neugierig geworden, startete ich eine kleine Umfrage. Fast 30 Personen haben mir netterweise Rede und Antwort gestanden. Vielen Dank auf diesem Wege. Bei meinen ersten Anrufen bekam ich meistens zu hören: "Als ich den Verkehr hier sah, habe ich kein Rad mitgebracht. Es ist viel zu gefährlich!" Zum Glück konnten mir aber meine Ansprechpartnerinnen die Namen einiger Radfahrer nennen. Bei der weiteren Umfrage kristallisierte sich heraus, dass es mindestens drei verschiedene Gruppen gibt:
Von den Befragten hatten 19 ihre Räder mitgebracht (Normal, Mountain Bike, Touren- und Rennrad). Sieben kauften hier im Land (von "typisch ägyptisch" mit Kiste vorn, über einfach und normal bis zum Tourenrad und City Bike). Wenn Reparaturen anfallen, haben es nur die schwer, die spezielle Teile brauchen. Die meisten sichern inzwischen ihre Räder gut ab. Der sicherste Ort ist immer noch die Wohnung! Auf meine, mit einem Lächeln vorgebrachte Anfrage nach Verkehrsregeln in Kairo hieß es überwiegend: Jeder fährt, wie er oder sie will, z.B. entgegen der Einbahnstraße. Dabei muss man natürlich sehr aufpassen und mit allem rechnen, wie beim Autofahren, nur dass es hier schmerzlicher ausgehen könnte. Es gab nur zwei Befragte, die sehr defensiv fahren. Eine weitere Frage lautete: Was ist das Schlimmste für Sie im Kairener Verkehr? Drei nannten die Luftverschmutzung, sieben, dass es keinen Sicherheitsabstand gibt und dass dem Radfahrer die Fahrt abgeschnitten wird. Aus nicht vorhandenen Radwegen folgen Gefahrensituationen, wenn z.B. unerwartet Türen geöffnet werden. Interessanterweise sagten drei Bewohner aus Maadi, dass Autofahrer sich gegenüber Radfahrern rücksichtsvoller verhalten als gegenüber Fußgängern. In Dokki habe ich eher den umgekehrten Eindruck. Nach positiven Begebenheiten befragt, antworteten fünf, dass man im Stau schneller vorankäme. Morgens zur Schule und zum Training zu fahren, mache Spaß. In Maadi genießt man beim Radfahren die blühenden Bäume, im Wadi Digla die Landschaftseindrücke und Lichtverhältnisse (z.B. Abendrot). Andere Radfahrer, z.B. Ausfahrer vom Markt, grüßen freundlich. Radfahren bietet Kommunikation. Einer wurde bei seiner Ausfahrt ins Fruchtland zum Tee eingeladen. Einem anderen Fahrer eilte man nach seinem Sturz gleich zu Hilfe. Leider gibt es auch einige negative Erlebnisse. Im Fruchtland ist es schon häufiger vorgekommen, dass Kinder und Jugendliche mit Steinen und Stöcken warfen. Warum??? Unbedarft-ungezogen aus Langeweile?! Weitere Varianten: am Arm festhalten oder Verfolgungsjagden. Schulkinder spielen gern Radtorero oder halten das Rad fest! Auf den Ausfallstraßen kann es passieren, dass der Radfahrer von LKWs abgedrängt wird oder dass diese Ladung verlieren (Melonen / Zementsack). Auch die Begegnung mit einem Rudel wilder Hunde ist nicht so angenehm! Für Radfahrerinnen kommt noch die verbale Anmache oder Beschimpfung hinzu, was eine passionierte Radlerin dazu veranlasste, hier überhaupt nicht zu fahren. Ich nahm diesen Grund als Alibi, mich nicht stärker mit der arabischen Sprache vertraut zu machen, um nicht zu verstehen, was mir nachgerufen wird. Als ich nach dem Radclub in Maadi fragte, wussten einige davon, aber erst einer hatte an Ausfahrten teilgenommen. Die meisten schreckte die frühe Zeit am Freitagmorgen (7 Uhr!). Außerdem sagten ihnen Gruppenfährten auf der Straße (z.B. zum Mokkatam und nach Katamaya) nicht so zu. Zum Schluss hatte ich gefragt, welche Radtour ihnen vorschweben werde. Einige würden gern auf (aber bitte mit dem Wind im Rücken!) und um den Sinai fahren. Mindestens drei reizt die ganze Oasenstrecke, andere Baharia und die Weiße Wüste. Als nicht so weite Ziele wurden genannt: Maidum, Fruchtland, Fayoum und der Karun-See. Meine Umfrage bei ägyptischen Sprachschülerinnen ergab, dass fast alle Rad fahren können. Die Kinder lernen es im Club, und als Familie fährt man in seinem Feriendomizil am Mittelmeer oder in Hurghada, natürlich nicht in Kairo! Mir ist nur eine deutsche Familie bekannt, die ihre Töchter in Maadi Rad fahren ließ. Alle anderen finden den hiesigen Verkehr zu gefährlich. Seit Anfang Januar gibt es an der DEO für die 3. und 4. Klassen eine Fahrrad-AG.
Wie schon zu Beginn gesagt, sieht man in Kairo das Rad überwiegend als Nutzfahrzeug. Nur freitags und an Feiertagen fahren Kinder und Jugendliche (meist männlich) aus der unteren Schicht auf geschmückten Leihrädern herum. Gehören Sie auch zu den Menschen, die glauben, dass die hohen Bürgersteige nur dazu gebaut wurden, um Fußgängern eine sportliche Betätigung zu verschaffen und damit Autos vom Parken abgehalten werden? Weit gefehlt. Kairo ist radfahrerfreundlich! Diese Behauptung nach all dem, was vorher im Artikel stand: da stimmt doch etwas nicht. Gemach. Wenn z.B. der Postbote oder ein Ausfahrer kommen, können sie an den hohen Bordsteinkanten praktisch und bequem mit den Pedalen parken!
Wie ich hörte, wurden in El Gouna schon Radwege angelegt. Wann schwappt diese Welle auf Kairo über? Hier ist so vieles im Wandel; von roten Ampeln, an denen man nun tatsächlich halten muss, bis zu einer neuangelegten Corniche, die Sitzbänke und freie Sicht auf den Nil bietet. Ich nehme demnächst Abschied von Kairo und freue mich schon auf die Radfahrten entlang der Elbe. Ein Nilwanderweg wäre auch schön gewesen! Ma'a salama.
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Mit dem Fahrrad zur Schule
Nr. 4/89, pp. 4243 Zuerst der Grund, warum ich zur Schule mit dem Fahrrad fahre: der Schulbus ist zwar schneller und auch wärmer, aber zwischen Chaoten und jammernder Busmadame hocken? Kommt bei mir nicht mehr in Frage!! Lieber auf dem "langsamen" Fahrrad und durch kaltes Wetter. Um 7 Uhr trage ich mein Fahrrad vom 4. Stock hinunter. (Die Tatsache, daß ich ca. 5 bis 10 Minuten auf meinen kleinen Bruder warten muß, berücksichtige ich aus besonderen Gründen nicht.) Ich fahre los. Kalter Fahrtwind weht unter den Brillengläsern hindurch und lassen die Augen tränen (meine Augen!!). Ich trete weiter und schneller (soweit es meine Beine zulassen!!) und muß auf Hindernisse achten: Plötzlich aufgehende Autotüren, die mir so einen Schreck einjagen, daß mein Herz stehenbleibt und ich zu fluchen vergesse!! Auch scharf vor mir abbiegende Autos gibt es. Natürlich auch die Leute, die die Straße überqueren wie Gamousa! Sogar Hund und Katz sind vernünftiger und schrecken vor Verkehrsmitteln zurück. All diese Menschen glauben, sie können alles wieder gut machen, indem sie lächeln, immer nur lächeln. Dies Lächeln ist zwar gut gemeint, doch ich muß schon einige Male schlucken, um mich vom Schrecken zu erholen. Bevor ich in den Souk einbiege, der um diese Zeit leer ist, fahre ich um die "Todesecke" (Ich nenne sie Todesecke, weil ich als Profi-Radfahrer fast nie stürze.) Diese Ecke ist aber morgens naß! Und als ich sie einmal zu schnell nahm und zu scharf ... lag ich "platsch" auf der Straße im nassen Schlamm. Wenn ein Auto da gewesen wäre: Ich könnte diesen Artikel heute sicher nicht schreiben. Ich fahre nun durch den Souk, weil auf der offenen Straße die Menschen auf den Bus warten. Ich fahre voller Freude der Schule entgegen meinen Freunden und FREUNDINNEN... (Ich will jedoch nicht vom Thema abweichen.) Ich biege dann unter dem "Dokki-Fly-over" nach rechts und fahre weiter. (2. Tatsache: Ich muß öfters auch dort auf meinen Bruder warten, doch dies berücksichtigen wir auch nicht.) Bei der Doppelkreuzung unter der Brücke bei der Sharia Tahrir warte ich, bis die Autofahrer stehenbleiben müssen. Dann rufe ich: "Weichet!", und fahre wie ein König über die Straße. Unter der Brücke treffe ich manchmal eine meiner liebsten Freundinnen, die gemütlich im VW-Bus an mir vorbeifährt. Ich winke ihr nach, mir wird heiß... (ich weiche wieder vom Thema ab!) Nach der Brücke fahre ich dann geradeaus zur Schule. Doch diese Straße ist "busbelagert". Ich muß öfter eine dieser überladenen rot-weißen Karosserien überholen, weil sie die Fahrgäste ablädt. Doch kaum habe ich ihre Mitte erreicht, gibt sie Gas, und ich fahre auf einmal mitten auf der Straße! Gott sei Dank die Abbiegung zur Schule ist erreicht! Erleichtert biege ich nach rechts. "Oops!" ein Auto kommt mir entgegen, hupt, quietscht, bremst. Sein Fahrer steckt voller Wut den Kopf aus dem Fenster und schreit: "Haram Aleik!" Mit letzter Kraft trete ich in die Pedale. Auf dem Lehrerparkplatz mache ich diesmal die Vollbremsung: Fast hätte ich den Parkplatzaufsichtslehrer umgefahren! Ich stelle mein Rad hin, sperre es ab, atme auf und lobe Gott ich lebe ja noch!! (Die 3. Tatsache: Zuletzt muß ich auch noch in der Schule auf meinen Bruder warten! Berücksichtigen wir auch nicht!) Dann marschiere ich mitten ins "Biladi" hinein, und alle Schüler singen mich an (auch meine Freundinnen...).
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Traffic Office Giza
Nr. 9/89, pp. 4850 Auf der Autobahn von Kairo nach Alexandrien, etwa 10 km vor dem Rasthaus Wadi Natrun, hat es mich mit meinem 10 Jahre alten VW-Bus erwischt; traffic conltrol. Ein Polizist, das Ohr am Sprechfunkgerät, wollte "rochsa" und "license" haben. Meine Familie stieg sofort aus und brachte sich in Positur, da der Anblick kleiner Kinder und einer schwangeren Frau die Lösung komplizierter Probleme oft unerwartet beschleunigt. Doch hier half nichts. Eine verfallene Steinbank am Straßenrand mit quäkendem Transistorradio wurde zum Tribunal, und zusammen mit acht Ägyptern nahm ich Abschied von meinem Führerschein. Niemand sprach ein Wort und protestierte. Der Polizist schmierte mit unbewegter Miene einige Zeichen auf das in Folie eingeschweißte Dokument und händigte mir einen Quittungszettel mit drei verschiedenen Stempeln aus. Ich hätte die erlaubte Höchstgeschwindigkeit um acht Stundenkilometer überschritten. "Traffic Office Giza". Von Kollegen hatte ich einiges über die umständliche Prozedur gehört, um den Führerschein wiederzubekommen. Konnten früher solche Probleme von Angestellten der Firma erledigt werden, so ist jetzt offenbar das persönliche Erscheinen des Schuldigen vonnöten. "The Gentleman must come in person." Schlimme Gerüchte von mehrstündigem Warten, Suchen, Herumlaufen und Umhergeschicktwerden ließen mich erschauern. Wieder ein halber Sonntag im Eimer. Einige arme Sünder sollen gar dem Verkehrsrichter in Imbaba vorgestellt worden sein. Zudem sollen schlimme Drohworte gefallen sein: beim zweiten Mal LE 100 Strafe, beim dritten Mal Gefängnis und Ausweisung. Mit dieser Art von Vorkenntnissen und einer von einem Kollegen erstellten Ortsbeschreibung des Büros ausgestattet, machte ich mich an einem Sonntagvormittag auf den Weg und nahm mir vor, mich nicht aufzuregen, mich ganz zu entspannen und immer zu lächeln. Neben dem Paß und allen erdenklichen, möglicherweise erforderlichen Dokumenten hatte ich noch eine Anzahl von Kugelschreibern, Geldscheinen in jeder Größenordnung bis zum 5 Piasterschein, Zigaretten, Stecknadeln und einen Bleistiftspitzer eingesteckt. Die Mitnahme eines Stempelkissens hatte ich erwogen, den Plan dann aber verworfen. Und dann geschah das Unerwartete: mit Hilfe der Beschreibung ging ich vorbei an langen Schaltern, mitten durch Menschentrauben, durch lange Gänge, über Stiegen und vorüber an Wegen, die im Bauschutt endeten. In jedem Zimmer Unmengen von Akten, dicken Registern, Stapeln von eingestaubten Papieren. So gelangte ich erstaunlicherweise fast ohne Zögern vor den richtigen Schreibtisch. Dort fand der khakigekleidete Polizist Usama in einem dicken Buch gleich meinen Namen, notierte (mit einem geliehenen Kugelschreiber) etwas auf der Rückseite meiner Führerscheinquittung, und das Fräulein am Schreibtisch nebenan zog darauf meinen Führerschein aus ihrer Schublade. Zum Eintrag in ihr Buch lehnte sie den von mir angebotenen Kugelschreiber jedoch ab und kramte lieber einige Minuten in ihrer Handtasche. Dann nahm Usama die für meinen Fall angelegten Papiere, und weiter ging's in ein Zimmer nebenan. Der Eingang war von Unmengen von Männern belagert. Ein Soldat hatte sich in die Tür gestellt und den Arm im Türrahmen verkeilt, um so eine Absperrung zu bilden. Manchmal nahm er ihm zugereichte Papierstücke an und gab sie ins Innere weiter, manchmal war ihm das lästig, und er sah in die Luft. Im Inneren saß an einem großen Schreibtisch ein makellos in Weiß gekleideter Offizier (Staatsanwalt, Richter?), jedenfalls mit einigen Sternen auf den Schulterstücken und vielen Orden auf der Brust. Inmitten des dichten Männerpulkes vor der Tür versuchte ich immer in der Nähe des Eingangs zu bleiben und durfte das intime Bauch-an-Bauch-Gefühl genießen. (Was machen Frauen in so einer Situation?) Sich an der Wand des Ganges abzustützen war nicht ratsam, wollte man nicht in abgerissene Stromkabel hineingreifen. Einer der Wartenden versuchte einen lose hängenden Faden am Ärmel des Wachsoldaten abzureißen, es gelang nicht; der Soldat beschäftigte sich darauf selbst lange vergeblich mit dieser Angelegenheit, so daß ich drauf und dran war, mit meinem Schweizer Offiziersmesser der Sache ein Ende zu bereiten, wurde aber von einem plötzlichen Ruck der Menge einen Meter auf die Seite geschoben. Manche Leute durften in das Heiligtum hinein, andere nicht. Ein ziemlich Kleiner lief mit seiner Kehle immer wieder gegen die im Türrahmen verspannte Hand des Wachsoldaten, bis dieser ihn mit einem leidenden "Wenn-es-denn-nun-sein-muß"-Gesichtsausdruck durchließ. Das verunsicherte mich. War es nun richtige daß ich wartete, oder mußte ich auch drängen, damit sich etwas tat? Immer neue Leute umringten inzwischen im Zimmer den weißen Offizier, und immer neue Akten wurden auf seinem Tisch aufgetürmt. Plötzlich wurde ich ins Zimmer gewinkt, stand einige Sekunden vor dem Gewaltigen, dessen Gewalt ich nicht kannte, der mich nicht ansah und nicht zu mir sprach. Zurück in meinem Stammbüro bekam ich den Auftrag, irgendwo 50 LE zu zahlen. Nach einigem Umhersuchen fand sich die richtige Stelle, ich zahlte 50 LE und 15 Piaster (hier war das Kleingeld wichtig und auch der Kugelschreiber). Ich erhielt eine Quittung und mit dieser wieder im Startbüro meinen Führerschein. "Challas"! "El-Hamdullilah"! Nach 30 Minuten stand ich wieder auf der Straße.
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They took your number
Nr. 1112/91, pp. 6568 Es war im August, gleich an unserem ersten Tag in Kairo nach drei Monten Europa. Nach zwei Stunden Grobaufräumen zu Hause waren wir fix und foxi. Wir beschlossen, uns mit einer Pizza zu stärken und fuhren zur Pizzeria auf der 9. Straße. Zu unserer Freude bekamen wir sogar fast direkt vor der Tür einen Parkplatz, es war alles ganz leer dort. Als wir nach dem Essen wieder herauskamen, wußten wir auch warum: An unserer Windschutzscheibe hingen nämlich gleich zwei Strafzettel, es war wohl nicht unser Tag... Aber als dann Amin, der Kaufmann von gegenüber, zu mir sagte: "They took your number!", konnte mich das nicht weiter aufregen, schließlich bezahlen wir unsere Strafzettel jährlich mit einem Pauschalpreis. Freundlich lächelte ich die beiden Polizisten an, die immer noch damit beschäftigt waren, Strafzettel zu verteilen und fuhr nach Hause. Am nächsten Morgen waren alle Spuren beseitigt, denn der Boab hatte die Strafzettel entfernt. Als mir dann aber später am Vormittag ein Kollege berichtete, daß dem Kollegen Klaus am Abend zuvor von der Polizei die Nummernschilder vor der Pizzeria abgeschraubt worden seien, wurde ich hellwach und von einer bösen Ahnung befallen, hatte doch Klaus genau das gleiche Auto wie wir. Eine Besichtigung unseres Autos bestätigte alle bösen Vorahnungen: nicht Klaus, sondern mir war das Nummernschild abgeschraubt worden! Wie hatte Amin doch gesagt: "They took your number!" Bloß hatte er es ganz anders gemeint, als ich es verstanden hatte. Nun war guter Rat teuer. Auch nach kurzer Beratung mit den altgedienten Kollegen wurde mir nicht wohler. Es wurde nämlich von Hans erzählt, dem sie ebenfalls einmal die Nummernschilder abgeschraubt hatten: Er mußte dreimal nach Alexandria fahren, um sie wiederzubekommen. Dummerweise werden solche einkassierten Sachen ja immer an die Stelle geschickt, die sie ausgegeben hat, und das ist für unsere Nummernschilder der Zoll in Alex: zweieinhalb Stunden hin, ein paar Stunden auf dem Zoll und zweieinhalb Stunden zurück. Dagegen half nur schnelles Handeln, das hieß, sie möglichst wiederzubekommen bevor sie Kairo verlassen hatten. Also ging ich die Sache frontal an. Da ich uns sowieso registrieren lassen mußte, ging ich zur Polizeistation in Maadi am Polizeikreisel. Gleich unten rechts im Erdgeschoß saß ein Offizier mit drei Sternen auf den Schulterklappen, der einigermaßen Englisch sprach. Nach der Registrierung erklärte ich ihm dann, daß ich mein Nummernschild verloren habe (eine sehr ägyptische Umschreibung des Tatbestandes, wie später unser Vermieter dazu meinte). In aller Seelenruhe notierte er meine Angaben. Währenddessen wurde neben mir ein Mann befragt, der offenbar in eine tätliche Auseinandersetzung verwickelt worden war. Er war am Kopf verletzt und konnte nur auf zwei andere Männer gestützt humpeln. Während seiner Befragung durch einen anderen Offizier erschien ein weiterer Mann, der offenbar ebenfalls in diese Rauferei verstrickt gewesen war und sprach den anderen an. Ich konnte leider nicht verstehen, was er sagte. Im Bruchteil einer Sekunde war der Dreigesternte von 0 auf 100: Er brüllte den Hinzugekommenen an und schoß aus seinen funkelnden Augen gallige Blitze ab, so daß sämtliches Treiben im Raum auf der Stelle erstarb. Grabesstille legte sich über den Raum. Keiner wagte sich zu regen, bis der Beschimpfte schließlich mit einer Demutsgebärde rückwärts dienernd den Raum verließ. Als der Offizier dann mit mir fertig war, schickte er mich mit dem Zettel hinaus auf den Flur zu einem Schreibtisch. Dort saß ein einfacher Polizist, dem ich dem Beispiel der Ägypter folgend sofort meinen Zettel unter die Nase hielt, um auf die Dringlichkeit meines Anliegens hinzuweisen. Nach einer Weile nahm er sich dann meines Zettels an, studierte ihn ausführlich und begann dann in seiner Schreibtischschublade zu kramen. Schließlich brachte er zwei leicht zerknitterte, aber noch unbenutzte karierte Blätter und einen Packen mit Steuermarken hervor. Zuerst klebte er auf jedes der beiden Blätter vier Steuermarken und knöpfte mir dafür ein Pfund und vierzig Piaster ab. Dann übertrug er alles vom Zettel des Offiziers auf das eine karierte Papier. Während er schrieb, hörte man im Hintergrund die lauten Schreie einer Frau, und mein Blick wanderte von dem maschinenpistolenbewaffneten Wächter im Flur zu der mit schweren Eisengittern versehenen Tür im hinteren Trakt des Komplexes. Dort hinein zu kommen ist sicherlich nicht das reine Vergnügen... Als der Polizist fertig war, drückte er mir die drei Zettel wieder in die Hand und schickte mich weiter: hinaus, rechts herum (noch vor dem Zaun natürlich) und dann in die zweite Tür. Dort ging es sehr viel gemütlicher zu, zwei Männer und vier Frauen saßen da, lachten und erzählten. Einer der Männer forderte mich auf, noch einmal 50 Piaster zu bezahlen. Während er die Quittung (mit Stempel) ausstellte, fragte er mich, wo ich denn herkäme. Auf meine Antwort hin brach ein allgemeines Palaver darüber aus, wie gut doch Deutschland sei und ob ich aus Deutschland-West oder aus Deutschland-Ost sei. Mit jetzt schon vier Blättern wurde ich dann zurück zum Offizier geschickt. Er begann nun, den ganzen Vorgang in sein großes Buch zu schreiben, drehte es dann schließlich um, und ich mußte alles unterschreiben. Wer weiß, was da alles stand! Mir wurde die Sache allmählich unheimlich, schließlich war ich nicht gekommen, um eine Vermißtenanzeige aufzugeben, sondern um mein Nummernschild wiederzuholen. Deswegen fragte ich ganz zaghaft nach, ob es denn nicht möglich sei, daß die Polizei das Nummernschild genommen habe. Mit einem kurzen "Nein" wurde ich abgewiesen und wieder nach draußen geschickt. Dort schrieb der Polizist das ganze nun noch einmal auf den zweiten karierten Zettel, um mich dann wieder zu dem Offizier zurückzuschicken. Dort unternahm ich den zweiten Anlauf, ihn auf das richtige Gleis zu setzen. Er hielt mir aber nur die Frage entgegen, warum denn die Polizei wohl Nummernschilder abschrauben solle, unterschrieb beide Protokolle und wies mich an, nach oben zu gehen und mir einen Stempel zu besorgen. Also stieg ich die Steintreppe empor und begab mich in den Vorraum, in dem der Mann mit dem Stempel saß. Dort waren zwei Polizisten in zerschlissenen Uniformen, die eine Waschmaschine wie eine Nähmaschine hätten brauchen können. Freundlich boten sie mir gleich einen Sitzplatz an, und der ältere der beiden verschwand gleich mit meinen Protokollen zum Abstempeln. Der Jüngere machte sich an einem Schreibtisch zu schaffen, unter dem eine Kochstelle eingerichtet war: zwei Stapel mit Ziegelsteinen, darüber ein Teekessel, dazwischen ein Gaskocher an einer Gasflasche. Dann gab es noch eine Blechdose mit Wasser, das zum Teekochen und Abwaschen benutzt wurde. Ehe ich mich aber versah, waren die Protokolle schon gestempelt, und ich ging wieder hinunter. Der dreigesternte Offizier saß nicht mehr an seinem Schreibtisch. Also wandte ich mich vertrauensvoll an seinen Nachbarn, hielt ihm das Protokoll unter die Nase und fragte ihn, was denn nun zu tun sei. Das einzige, was ich aber aus ihm herausbrachte war "Chalas". Das befriedigte mich allerdings nur wenig, schließlich wollte ich mir nicht das Protokoll als Ersatz an die Stoßstange schrauben. Zum Glück erschien aber der Dreigesternte wieder auf der Bildfläche und erklärte mir, nun sei ich fertig und könne gehen. Auf meine Vorhaltungen, daß ich aber doch gekommen sei, um mein Nummernschild wiederzubekommen, erklärte er mir, daß ich dies nun auch wiederbekommen könne. Ich solle nur mit dem Protokoll zu der Stelle gehen, von der ich die Nummernschilder bekommen habe. Mir lief es heiß und kalt über den Rücken. Diese Stelle war der Zoll in Alexandria, und da wollte ich ja gerade nicht hin. Ich setzte also zu einem letzten Großangriff an und erzählte von dem Mann, der mir berichtet hatte, daß die Polizei meine "Nummer genommen hätte". Aber mein Gegenüber blieb standfest. Dies sei absolut unmöglich, die Polizei würde prinzipiell keine Nummernschilder abschrauben! Schließlich würden sie ja Strafzettel verteilen, das würde doch reichen. Ich solle doch nun nach Alex fahren, nur der Zoll dort sei berechtigt, mir ein neues Nummernschild zu geben. Betrübt und verärgert zugleich ließ ich ihn stehen. In meiner Ratlosigkeit beschloß ich, nochmal zu Amin zu fahren. Zum Glück traf ich ihn auch gleich vor seinem Laden und erzählte ihm kurz, was mir widerfahren war. Er konnte es nicht fassen, machte mir aber Mut, daß die Nummernschilder noch in Kairo seien. Zum Glück traf es sich, daß gerade wieder an der Stelle zwei Polizisten dabei waren, Strafzettel zu verteilen. Sie waren von derselben Abteilung wie die Polizisten am Abend zuvor. Amin sprach einen von ihnen an und kam mit der Botschaft zurück, daß ich das Nummernschild in Maadi in der 77. Straße bis zwei Uhr am Nachmittag abholen könne. Mir hüpfte das Herz im Leibe; warum nicht gleich so? Seinen Versuch, mir zu erklären, wo diese Straße sei, gab Amin gleich wieder auf, als er mein ratloses Gesicht sah. Kurzentschlossen holte er einen seiner Laufburschen, erklärte ihm die Sachlage und setzte ihn zu mir ins Auto. Dieser lotste mich dann in eine Ecke von Maadi, in die wohl nur selten Ausländer kommen. Die Straßen erinnerten an eine Berg- und Talbahn. Der Junge führte mich dann in ein Haus, das kaum besser aussah als die anderen ringsherum. Aber tatsächlich, hier hatte die Motorradpolizei von Maadi ihr Quartier. Ich betrat einen Raum, in dem nicht nur zwei Dreigesternte residierten, sondern auch der offensichtliche Chef der Station mit einem Adler auf den Schulterklappen und einem Namensschild auf dem Schreibtisch. Auf meine Frage, ob er vielleicht etwas über den Verbleib meines Nummernschildes wisse, lehnte er sich in seinen Schreibtischsessel zurück, griente mich an und fragte: "You made a mistake, he?" Ich erzählte ihm meine herzerweichende Story. Ich sei drei Monate in Deutschland gewesen und nun gleich am ersten Abend in Maadi mein Nummernschild losgeworden. Dies konnte ihn aber gar nicht weiter erschüttern. Schließlich seien überall gut sichtbare Verkehrsschilder aufgestellt, und das Parkverbot gelte dort doch schon seit zehn Wochen. Es sei überhaupt sehr bedauerlich, daß die Menschen ihre Augen nicht gebrauchen würden, usw. usw... Zum Schluß teilte er mir mit einer Trauermiene mit, daß ich mein Nummernschild leider nur gegen Zahlung einer Strafe von 5 Pfund und einer Gebühr von 30 Piastern zurückerhalten könne. Mir fiel ein Stein vom Herzen; das würde ich noch verschmerzen können. Frohen Mutes bezahlte ich, worauf einer der beiden Dreigesternten verschwand, offenbar um das Nummernschild zu holen. Nach zwei Minuten kam er zurück und erklärte mir, leider sei der Offizier mit dem Schlüssel nicht da. Ich könne das Nummernschild jetzt nicht bekommen, ob ich warten oder später wiederkommen wolle. Natürlich entschied ich mich fürs Warten, denn schließlich lag das Ende der ganzen Geschichte in greifbarer Nähe; da wollte ich natürlich nicht locker lassen. Etwa zwanzig Minuten verfolgte ich mit Interesse das Treiben auf der Polizeiwache. Dann nahm derselbe Offizier einen Schlüsselbund aus seinem Schreibtisch und verschwand damit im Hinterzimmer, um nach kurzer Zeit mit dem heißersehnten Stück zurückzukommen. War er der Offizier mit dem Schlüssel? Egal, ich hatte es ja wieder, al hamdulillah! Wer hätte das zu hoffen gewagt? Und dabei wußte ich drei Stunden vorher noch nicht einmal, daß mir ein Nummernschild gefehlt hatte! Den ganzen Tag bin ich wie auf Wolken gegangen. Es war ein gutes Gefühl, dieses Problem aus eigener Kraft, nur mit Hilfe von Amin gelöst zu haben. Und wenn ich jetzt in mein Auto einsteige, schaue ich jedesmal verstohlen nach, ob die Nummernschilder noch dran sind...
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Geschichten aus Alexandria: Fanfarenfrust
Nr. 56/90, pp. 108109 Das meiste, was Herrn Markus B. (der Name ist dem Verfasser bekannt) neben seiner Arbeit in Alexandria faszinierte, war der Straßenverkehr. Auf den ersten Blick chaotisch, als aktiver Verkehrsteilnehmer profitiert man aber von der defensiven Fahrweise der Ägypter. Optische und vor allem akustische Signale ersetzen andernorts übliche Verkehrszeichen. Der Polizist versucht mit erhobenen Armen und unter Einsatz seines Lebens und der Trillerpfeife, den Verkehr anzuhalten, obwohl die Ampel rot zeigt. Dem Fahrer des gelb-schwarzen Taxis fällt der linke Arm aus dem Wagenfenster. Durch diese Gleichgewichtsverlagerung driftet der Wagen nach links. Der linke Nachbar hat das Zusammenwirken der physikalischen Kräfte durchschaut und hupt. Markus B. hat sehr schnell gelernt, und es macht ihm Spaß, in Alexandria Auto zu fahren. Doch schon bald merkte er, daß die Hupe seines Wagens (Marke ist dem Verfasser bekannt) diesem Straßenverkehr nicht gewachsen ist. Sie findet kein Gehör! Alle hupen lauter, schriller, bedrohlicher. So sann er darauf, eine Fanfare zu kaufen, die ihm gebührenden Respekt verschaffen sollte. Ein Vier-Klang-Horn wertete seinen Wagen zumindest akustisch merklich auf. Damit war er ein vollwertiges Mitglied der alexandrinischen Straße geworden. Daß größere Autos, wie Stadtbusse und LKWs noch lautere Hupen hatten, akzeptierte er, das war in Ordnung. Ein schöner Frühlingsmorgen lockte ihn auf dem Weg zu seiner Arbeit auf die Corniche. Er hatte es etwas eilig, weil er verschlafen hatte; das war nichts Ungewöhnliches, hier hat es jeder eilig, der vier Räder zügeln muß. Sein Vier-Klang-Horn spielte die gewohnte Melodie, wenn Markus B. sich eine Fahrlücke suchen mußte bis die Fahrlücke nur durch einen Motorradfahrer eingeengt war; es hätte ein Tuut genügt aber der Kompressor arbeitete präzise und entließ vier Schreie, die den Polizisten auf dem Motorrad fast aus seiner Bahn warfen. Das tatü-ta-ta-tü traf ihn unvorbereitet, er schwankte, konnte sich aber noch fangen. Und der ihn aus seinen morgendlichen Träumen so jäh geweckt hatte, wurde kurz darauf von ihm fast profihaft an den Straßenrand gewunken. Der nachfließende starke Verkehr beantwortete diese Verkehrsstörung mit lautem Hupen. Das störte den Polizisten wenig. Das Vier-Klang-Horn saß in der Falle. Sein Besitzer versuchte es zu retten und bot dem Polizisten Führerschein und Rohsa als Geisel an. Der Polizist akzeptierte und entließ die Fanfare aus der Straßensperre. Nach einigen Tagen ärgerte Markus B. sich doch über den Verlust seiner Fahrerlaubnis; die Fanfare bemerkte seinen Schmerz und stieß von da an weniger heftig ins Horn. Nach langen und zähen Verhandlungen auf unterschiedlichen diplomatischen Ebenen stand der Austausch der Geisel-Fanfare gegen Fahrerlaubnis unmittelbar bevor. Die Fanfare brachte keinen Ton mehr zustande. Sie wußte, es ging um "Kompressor und Horn"! Da ließ sich Markus B. zur Rettung seiner geliebten Fanfare dazu überreden, ein arbeitsloses Zwei-Klang-Horn zur Polizei mitzunehmen und es gegen seine Fahrerlaubnis einzutauschen. Doch bei der anberaumten "Anhörung" wurde der Coup entdeckt und die Übergabe in letzter Minute abgeblasen. Freunde von Markus B. boten ihm bereitwillig ihr eigenes Drei-Klang-Horn an,
aber die natürlich nicht aufeinander abgestimmten Hörner des Quintetts
konnten die geschulten Polizeiohren nicht überlisten.
Probe ist jeden Donnerstag um 20 Uhr in der Jossep-Street 3. Vier-Klang- und
Zwei-Klang-Hörner auf der rechten Straßenseite. Drei-Klang-Fanfaren,
VW-Flöten und Ford-Tuten linke Straßenseite.
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