Religion: Geisterglaube im Islam
    Inhalt:
    Einführung in die arabische Geisterwelt
    Geister im ägyptischen Volksglauben
    Der Geisterglaube im Islam
    Der Dschinn ist aufgebracht
    Der böse Blick
    Aberglaube auf Ägyptisch

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Einführung in die arabische Geisterwelt
von Siegrid el-Gabbas

Papyrus-Logo Nr. 3/87, pp. 9—11

In den Geschichten der 1001 Nächten begegnen wir Dämonen, Geistern und Dschinnen, ebenso ist in anderen arabischen Märchen und Volkserzählungen von verschiedenartigen Ungeheuern die Rede, von denen sich einige bis in unsere Zeit hinübergerettet haben.

Ein Geist

Viele Zaubermärchen haben ihren Ursprung in den Mythen der ursemitischen Religion. Die Götter und Dämonenvorstellung bezog sich meistens auf die für die Wirtschaft wichtigen Naturobjekte wie z.B. Gestirne oder organische Vorgänge, welche von den Göttern oder Dämonen besessen oder beeinflußt, hervorgerufen oder verhindert werden: Krankheit, Tod, Geburt, Feuer, Dürre, Regen, Gewitter. Eine hervorragende Stellung nahm dabei der Regengott ein, welchem jährlich Menschenopfer gebracht wurden, damit dieser den menschlichen Siedlungen Wasser und damit Fruchtbarkeit gewähre. Diesen Regengott findet man in vielen arabischen Märchen in der Figur des Wasserdämons Il-Afrit, dem ein Mädchen geopfert wird, und als Gegenleistung bekommen die Menschen das lebensnotwendige Wasser, welches er bislang zurückgehalten hat. Ebenfalls als Wassergott kann man den Garguf einstufen, und sucht man eine natürliche Erklärung für die mordende, sich in ein wildes Tier verwandelnde Wildstreune, so findet man diese in einer Epidemie, die viele Menschen sterben läßt. Diese zu Dämonen herabgesunkenen Göttergestalten der vorislamischen Zeit finden wir in bestimmten Formen im heutigen Volksglauben wieder.

Aus der Vielzahl der Götternamen wollen wir uns auf den Oberbegriff "Dschinn" beschränken, welcher auch im heutigen Denken der einfachen Menschen seinen festen Platz hat und deshalb von Bedeutung ist. Zur Zeit des Propheten Mohammed wurden diese Geister als unbestimmte, unpersönliche Götter verehrt, heute definiert man sie anders.

Die Dschinne wurden von Gott erschaffen aus rauchloser Flamme, während Engel und Menschen, die beiden anderen Wesen mit Vernunft, aus Licht und Lehm gebildet wurden. Die Dschinne sind selbständige Wesen und werden als luftige oder feurige Körper beschrieben. Sie sind nicht greifbar und in der Lage, in wechselnder Gestalt zu erscheinen. Sie gelten als Mittelwesen zwischen Menschen und Engeln und werden beim jüngsten Gericht ebenfalls Rechenschaft über ihre Taten ablegen müssen.

Dschinne sind unsichtbare Geschöpfe nichtmenschlichen Ursprungs, sie werden direkt in die Geisterwelt hineingeboren. Manche sind intelligent wie kluge Menschen oder gut wie Heilige, andere dagegen können recht boshaft sein. Sie leben nicht auf der Erde, sondern ihr Platz ist unter der Erde. Sie sind sterblich, allerdings soll ihre Lebensdauer einige Jahrhunderte betragen.

In der islamischen Gesellschaft wird die Existenz der Dschinne bestätigt und alle Konsequenzen daraus gezogen. Ihre gesetzmäßige Stellung wurde erörtert und festgesetzt und eventuell mögliche Beziehungen zwischen ihnen und den Menschen, z.B. Ehe und Besitzverhältnisse untersucht. Interessant ist, daß es unzählige Geschichten von Liebesverhältnissen zwischen Dschinnen und Menschen gab und noch gibt.

In der Magie sind die Dschinne ebenfalls voll anerkannt. Einige Zauberer und Magier sind in der Lage, bestimmte Arten von Geistern zu bewegen, dem Menschen zu dienen. Sie leisten Dienste entweder in der sichtbaren oder der unsichtbaren Welt, wie z.B. das Einholen von Nachrichten von Verstorbenen. Unter Magie versteht man in diesem Fall das Wissen, wie man diese Dienste der Geister erzwingt, aber man bedarf einer harten und gefährlichen Lehrzeit.

Neben "Dschinn" hört man häufig die Namen "Ifrit" und "Shaitan". Ursprünglich war Ifrit ein Beiwort mit der Bedeutung "gewaltig", gemeint war also ein gewaltiger Dschinn. Später wurden beide Begriffe gleichgesetzt, aber mehr im Sinne von "bösartig, verschlagen".

Im Volksdialekt ist ein Ifrit der Geist eines Ermordeten oder eines auf nicht natürliche Weise Gestorbenen, aber allgemein bezeichnet mit Ifrit der moderne Sprachgebrauch einen mächtigen boshaften und feindlichen Dschinn, der seinen Gegner in den Staub (afar) wirft.

Betrachten wir nun den Begriff Shaitan in Bezug auf die Geisterwelt, so kann man seine Bedeutung als übermenschliches Wesen auf das arabische Heidentum zurückführen. Auch in den Erzählungen von Salomon ist ein Shaitan nichts weiter als ein Dschinn, der anderen an Wissen und Macht überlegen ist. Andere Bezeichnungen für Shaitan sind Taghut und Dschann, was soviel wie "Vater der Dschinne" bedeutet. Der Begriff Iblis ist als ein Eigenname des Teufels, des bestimmten Shaitans, zu verstehen.

Betrachten wir Dschinn als Sammelbegriff, so können wir

  • einen ungläubigen Dschinn als Shaitan definieren,
  • einer, der gewalttätig und bösartig ist, wird Afrit genannt,
  • Geister, die besonders Knaben überfallen, nennt man Arwah,
  • und ein rebellierender Dschinn ist ein Marid.

Eine Abart der zu den Dschinnen zählenden Maride ist die Ghul. Die alten Araber bezeichneten mit Ghul einen weiblichen, besonders grausigen menschenfeindlichen Dämonen, der seine Gestalt ändern kann und besonders Reisende von ihren Wegen fortlockt, sie überfällt und auffrißt.

Die Ghul wird manchmal mit der Si'lat gleichgesetzt, die eine ähnliche Macht hat, sich zu verwandeln und deshalb auch die Zauberin (sahira) unter den Dschinnen genannt wird. Das männliche Gegenstück der Ghul ist der Kutrub. Das Wort Ghul wird auch allgemein benutzt für Unglücke, welche über die Menschen kommen. Im Volksmund ist Ghul, auch Ghula oder Kutruba, ein Ausdruck für einen Kannibalen, ganz gleich ob menschlichen oder dämonischen Ursprungs. Man stellt sich die Ghula auch als ein Wesen vor, welches sich auf Friedhöfen aufhält und sich von Leichen ernährt.

Nun kann es auch passieren, daß man nur Stimmen hört und nicht die dazu gehörigen Dämonen wahrnimmt. Diese Stimme nennt man Hatif, und man meint damit eine Wahrnehmung, die einem eine geheimnisvolle Nachricht, Warnung oder Aufforderung übermittelt. Durch Zauberei können solche Stimmen unter Anwendung von bestimmten Mitteln hervorgerufen werden, und so kann man Botschaften für bestimmte Personen anfordern.

Alle diese Begriffe oder Bezeichnungen können regional inhaltlich verschieden sein, was aber beweist, daß sie im Leben des Menschen schon immer eine Rolle gespielt haben.

Literatur:
    • Max Weber, Religionssoziologie
    • Richard Hartmann, Die Religion des Islam
    • Werner Daum, Ursemitische Religion
    • Werner Daum, Märchen aus dem Jemen
    • E.W.Lane, Manners and Customs of the Modern Egyptians
    • Enzyklopädie des Islam, Band I, II, III

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Geister im ägyptischen Volksglauben
von Siegrid el-Gabbas

Papyrus-Logo Nr. 3/87, pp. 12—14

Schon seit alter Zeit ist der Glaube an gute und böse Geister, die unter der Erde oder auf ihr wohnen oder über ihr schweben, bei allen Völkern weit verbreitet, so auch hier in Ägypten.
In den vorangehenden Artikeln wurden die Dschinne genannten Dämone – welche die wichtigste Rolle im Volksglauben spielen – vorgestellt. Im Volk gibt es unzählige Vorstellungen von diesen Geistern. Man glaubt, daß es jüdische, christliche und islamische Geister gibt, daß aber am gefährlichsten die ungläubigen seien, die heidnischen. Wie die Menschen seien sie in Sippen und Stämme gegliedert, und die Interessen der Gemeinschaft sind wichtiger, als die des Einzelnen.

Ein Geist

Man unterscheidet sie auch nach bestimmten Kategorien. So gibt es Landschaftsgeister, die man nur in bestimmten Gegenden und Orten kennt, auch teilt man ihnen Rangstufen zu, so gibt es Sultane, Paschas, Beys, Kadis, Herren und Diener, manchmal sogar Sklaven. Sie haben verwandtschaftliche Beziehungen, es gibt Frauen und Männer und es kommt sogar vor, daß man Kinder der Dämonen erwähnt.

Man stellt sie sich als nicht faßbar vor, sie sind nicht körperlich sondern rein geistiger Natur. Allerdings haben sie die Möglichkeit, sich in Tiergestalten zu verwandeln und sich so den Menschen zu nähern. Sie bevorzugen kriechende Tiere, wie Eidechsen, Skorpione und Schlangen, aber es gibt auch viele Berichte, wo sie den Menschen in Gestalt von Hunden und Katzen begegnet sind, manchmal stellt man sie sich auf anderen Tieren reitend vor. Einige beschreiben sie als kleine, den Menschen ähnliche Wesen, wieder andere sagen, sie seien ihnen in Riesengestalt begegnet.

Anzutreffen sind sie meistens an einsamen Plätzen, in schwer zugänglichen wüstenartigen Gebieten, in der Nähe von Friedhöfen oder an Brunnen und Quellen.
Keiner begegnet ihnen gerne. Wenn sie Menschen und Tieren gegenübertreten, so verbreiten sie Schrecken, verursachen Unglücke, Krankheiten und oft werden sie für den Tod einzelner verantwortlich gemacht. Es kommen aber auch manchmal freundschaftliche Beziehungen zu den Menschen vor, im Grunde sind sie aber den Menschen unheimlich und man möchte lieber nichts mit ihnen zu tun haben, da man nicht weiß, wie sie reagieren.

Einige Personen versuchen immer wieder, mit Magie und Zaubermitteln Kontakt zu den Geistern aufzunehmen, um die guten unter ihnen für ihre Zwecke arbeiten zu lassen, aber auch vor allem, um die bösen Geister abzuwehren. Um sie fernzuhalten, werden vielfältige Abwehrmechanismen eingesetzt, wobei den größten Schutz bestimmte Amulette bieten.

Die Dschinne können auf alle Gebiete des menschlichen Lebens Einfluß ausüben. Eine bestimmte Gruppe unter ihnen – Zar-Geister genannt – werden dagegen nur für Krankheiten, eingebildete oder wirkliche, verantwortlich gemacht.

Daß Krankheiten durch Geister verursacht werden können, ist eine allgemeine Auffassung. Es wird geglaubt, daß ein Geist in den Menschen fährt und sich in den menschlichen Körper wie in einen Mantel einwickelt. Eine andere Vorstellung ist, daß die Geister auf den Menschen reiten. Der Zar-Geist selbst bevorzugt Frauen, es ist selten, daß ein Geist dieser Gattung sich auf Männern niederläßt.

Um diesen Zar-Geist nun gut zu stimmen und ihn zu besänftigen, werden Zar-Feiern veranstaltet. Bei diesen Feiern werden Tänze nach besonderen Melodien aufgeführt, es werden Tieropfer bereitet, die betreffende kranke Person muß besondere Kleidung tragen und bestimmte, vom Geist verlangte Schmuckamulette anlegen. Die ganze Zeremonie wird von einer Scheicha überwacht, einer Frau, die Kontakt zur Geisterwelt hat und der die Aufgabe obliegt, festzustellen, welcher Geist aus der Vielzahl der Dschinn die Kranke – die arusat az-zar – die "Zar-Braut" beherrscht und welche Bedingungen er stellt, um von ihr abzulassen. Um dies zu erfahren, muß sie erst einmal den Namen des Dschinn herausfinden, damit sie ihn ansprechen kann. Mit Hilfe unterschiedlicher Melodien kann sie den Geist bestimmen und mit an ihn gerichteten Liedern bitten, sein Opfer nicht gar zu sehr zu quälen und von ihm abzulassen. (Siehe auch "Der Dschinn ist aufgebracht" von Ekkehart Schmidt –Anm. KFN.)

Ein anderer, weit verbreiteter Geisterglaube ist, daß aus dem Blut eines gewaltsam ums Leben gekommenen Menschen ein Gespenst – ein afrit – entsteht. Diese Geister sind eng an einen Menschen gebunden, ein Seelentrümmerstück, das von seiner Seele absplitterte. Einige Menschen werden von Totengeistern besessen und geben Auskunft über Sachverhalte, Krankheiten und Todesursachen. Um sich zu äußern, brauchen diese Geister ein Medium, welches an ihrer Stelle Auskunft auf Fragen gibt. Erscheint so ein Totengeist in einem Besessenen, so ist man bemüht ihn freundlich zu stimmen, und nicht selten wird dem so Offenbarten ein Grabmal oder eine Kapelle erbaut, und man gibt ihm den Beinamen Scheich. Diese Scheichs – angefangen von den großen Theologen und Mystikern der Vergangenheit bis herunter zum heiligen Dorfnarren – gelten als Vermittler oder Verbindungsglied zu der jenseitigen Welt. Ihre Grabmäler und Kapellen werden oft zum Mittelpunkt des religiösen Lebens, denn ein solcher Totengeist hat durch sein Erscheinen seine Macht gezeigt.

Man könnte die Geisterreihe noch beliebig fortsetzen. Da gibt es die überall gefürchtete mächtige Karina, welche es besonders auf Säuglinge und Kleinkinder abgesehen hat, nicht zu vergessen die Poltergeister, die manchmal Passanten mit Ziegelsteinen und Dreck von den Dächern der Häuser herunter bewerfen. Es gibt aber auch – und das ist sehr tröstlich – mittlerweile viele Amulette und Verhaltensregeln, die es einem Geist unmöglich machen, sich den Menschen zu nähern.

Literatur:
    • E.W.Lane, Manners and Customs of the Modern Egyptians
    • N.Salima, Harems et Musulmanes
    • Hans Alexander Winkler, Ägyptische Volkskunde
    • Hans Alexander Winkler, Die reitenden Geister der Toten
    • Enno Littman, Arabische Geisterbeschwörungen
    • Rudolf Kriss – Hubert Kriss-Heinrich, Volksglaube im Bereich des Islam, Band II

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Der Geisterglaube im Islam
von Alfred Huber

Papyrus-Logo Nr. 3/87, pp. 5—8

In allen Religionen nimmt der Glaube an die Geister einen mehr oder weniger großen Raum ein. Der Geisterglaube im Islam beruht, wie alle anderen Glaubenslehren, auf Koran und Sunna.

Die Geister im Islam sind unter der Kollektivbezeichnung "Dschinn" (arab. ğinn, sing. ğinnî) bekannt. Sie gelten als mit Intelligenz behaftete Wesen, die Gott aus dem Feuer erschaffen hat. Sie sind für die menschlichen Sinne im allgemeinen nicht wahrnehmbar, es sei denn in Ausnahmefällen.

Der Begriff Dschinn wird vom Verb ğanna / yağinnu oder yağunnu abgeleitet, welches "verborgen sein" bzw. "verbergen, verhüllen" bedeutet. Das Passivpartizip mağnûn steht für "von einem Dschinn besessen", sowie "wahnsinnig" und "verrückt".
Die Etymologie dieses Wortes wird von manchen Forschern auch mit der lateinischen Vokabel "genius" in Verbindung gebracht. Die meisten orientalischen Quellen lehnen diese Deutung jedoch ab.

Unter den Geistern gibt es solche, die sich zum Islam bekennen und andere, die ungläubig sind. Daraus folgt, daß es gute Dschinn und böse Dschinn gibt. Die guten Dschinn sind den Menschen hilfreich eingestellt, sie dienen ihnen und werden als fähig erachtet, ins Paradies zu gelangen. Die Mehrzahl der Dschinn wird aber nach islamischer Auffassung den bösen Geistern zugeteilt; sie verfolgen die Menschen mit Haß und Eifersucht; ihr Lohn ist das ewige Feuer.

Die Geister (ğinn oder auch ğânn) sind in zahlreichen Stellen im Koran belegt. So berichtet die 72. Sure, die auch den Titel "Ğinn" trägt, über eine Gruppe von Geistern, die vom Propheten den Koran gehört und sich daraufhin bekehrt haben.

An anderen Stellen wird auf den Unterschied zwischen Menschen und Geistern hingewiesen (Sure 55, Vers 14 und Sure 15, Vers 27). Demzufolge ist der Ursprung des Menschen die Erde (Tonerde), während die Dschinn Wesen aus rauchlosem Feuer sind (die dritte Art der intelligenten Geschöpfe, die Engel, werden aus Licht erschaffen).
Auch die Tatsache wird im Koran dokumentiert, daß die Geister in vorislamischer Zeit als Gottheiten verehrt wurden (Sure 6, Vers 100 und Sure 34, Vers 41).

Auch die Sunna des Propheten widmet der Erklärung über Geister große Aufmerksamkeit. Ein bekannter Hadith bei Ahmad Ibn Hanbal lautet:
Der Prophet Gottes (a.s.) sagte: "Es gibt keinen von euch, dem nicht ein Begleiter (qarîn) von den Dschinn und ein Begleiter von den Engeln zur Seite gestellt wurde."
Sie sagten: "Auch dir, Gesandter Gottes?"
Er antwortete: "Auch mir. Doch Gott bewahrte mich (vor dem qarîn), so daß dieser mich nur zum Guten antreibt."
In einem ähnlichen Hadith bei Muslim erklärte der Prophet, sein Begleiter sei ein Dschinn, der sich zum Islam bekenne.

Die Dschinn wohnen mit Vorliebe auf Plätzen, die schmutzig sind, oder sonst irgendeine Art Unreinheit aufweisen. Dazu zählen vor allem Toiletten, Bäder oder Ställe. Auch Ruinen oder Hausdächer werden von den Geistern als Behausungen benutzt. In einer Überlieferung heißt es, daß auf dem Dach eines jeden Hauses, in dem Muslime leben, Geister wohnen. Diese würden jeweils zum Mittag- und Abendessen die Menschen aufsuchen und mit ihnen speisen.

Den Menschen wird angeraten, sich vor den Geistern in acht zu nehmen und zu schützen, besonders vor denjenigen, welche die Toiletten bevölkern. In diesem Fall soll man den Namen Gottes anrufen (d.h. die Basmala rezitieren) oder den Ausspruch sagen: "Oh Gott, ich suche meine Zuflucht bei Dir vor dem Bösen und Widerwärtigen" – Allahumma a'ûdu bika min al-hubut wa-l-habâ'it.

Zu den Schutzmaßnahmen gegen böse Geister gehört die absolute Reinheit in allen Dingen. Daneben verhilft die Rezitation des Korans oder bestimmter Suren daraus zu einem umfassenden Schutz vor bösartigen Geistern. Viele Muslime tragen ein Amulett (= hiğâb) mit sich herum, das in der Regel aus Koranversen, Gebeten und allerlei geheimnisvollen Formeln, Zeichen und Zahlen besteht (siehe Illustration).

Amulett
Modernes islamisches Amulett (Hiğâb), gedruckt in Medina

Obwohl in der islamischen Tradition stets die Meinung vertreten wird, daß die Dschinn dem Menschen nur selten von selbst nachstellen (außer sie werden von ihren Wohnorten aufgescheucht), ist immer wieder von merkwürdigen Verbindungen, ja sogar eheähnlichen Verhältnissen zwischen Geistern und Menschen die Rede.

Über derartige Phänomene und ihre Folgen gibt es eine reiche Literatur. Sind Schutzmaßnahmen wie Amulette und dergleichen nicht mehr ausreichend, um böse Geister zu bannen, hilft nurmehr die Heranziehung eines Spezialisten zur "Geisterheilung". Dabei handelt es sich meist um einen "Scheich" oder um Personen, die von Geistern in paranormale Wissenschaften initiiert wurden und die in irgendeiner Weise mit ihnen in Kontakt stehen. Von diesen werden bei Notwendigkeit exorzismusähnliche Praktiken durchgeführt.

Von orthodoxer Seite wird oft gewissen Außenseitern der islamischen Gesellschaft, wie Derwischen und Einsiedlern, der Vorwurf gemacht, sie stünden mit Geistern in Verbindung, von denen sie Magie und Zauberkünste lernen würden.

Von einfachen islamischen Volksschichten werden die Grenzen zwischen Heiligen, Zauberern und von Geistern besessenen Personen als fließend betrachtet. So wurde zahlreichen Volksheiligen das Epitheton "Mağnûn" verliehen und zwar durchaus nicht in abschätziger Bedeutung. Der sogenannte Scheich Guyushi, dessen Grab sich auf dem Muqattam-Hügel bei Kairo befindet, soll sowohl ein Heiliger sein, als auch ein Herrscher der Dschinn, die auf seinen Befehl hin das Nilbett ausgegraben hätten.
(Anderen Berichten zufolge ist der Scheich Guyushi gleichbedeutend mit dem Fatimiden-Emir Badr Ed-Din Gamali mit dem Beinamen Amîr al-Ğuyûš = "Anführer der Streitkräfte", dessen Moschee am höchsten Punkt von Kairo dem Zweck dienen soll, daß er auch nach dem Tod seine im Tal beigesetzten sieben Ehefrauen mit verklärten Augen sehen kann. Nach: R.u.H. Kriss, Volksglauben im Bereich des Islam I, S. 67/68.)

Was die Speise der Geister angeht, so werden ebenfalls einander widersprüchliche Angaben gemacht. Einerseits wird ihnen das gleiche Essen wie den Menschen zugeschrieben, nämlich: Brot, Fleisch, Obst und Gemüse; in anderen Quellen werden Abfälle, Dung und Knochen als Nahrung der Dschinn genannt. Auch ein Hadith des Propheten (von Buchari nach Abu Huraira) spricht von Mist und Knochen (rawt wa-'azm) als Lebensunterhalt der Geister. An Knochen, die der Mensch nach seinem Mahl auf den Boden wirft, soll das Fleisch nachwachsen, worauf sich die Geister ihrer bemächtigen würden.

Signifikant ist in diesem Zusammenhang die volkstümliche Auffassung in Ägypten, daß weggeworfene Dattelkerne die Kinder der Dschinn töten würden, was deshalb tunlichst zu vermeiden sei.

Nach weit verbreiteter Lehrmeinung im Islam wird der Mensch, der in einer schweren Sünde verstirbt, ohne Gott um Verzeihung gebeten zu haben, zu einem Dschinni im Barzach, d.h. in der Zwischenwelt zwischen Diesseits und Jenseits, in der die Toten auf ihre Auferstehung warten.

Einige Quellen nehmen folgende vier Körperformen der Geister an,

a) lichtförmige Geschöpfe (ohne eigentlichen Körper oder physikalische Form),
b) schlangenartige Kreaturen,
c) Dschinn in Tiergestalt (als Säugetiere, z.B. Hunde oder Katzen),
d) menschenähnliche Geister.

Die drei wichtigsten Klassen der Dschinn sind: ġûl, 'ifrîţ und si'lât. (zu Details siehe den Beitrag "Einführung die arabische Geisterwelt" –Anm. KFN.)

Aufgeklärte muslimische Gelehrte vertreten mitunter einen Standpunkt, der an die Leugnung der Geister und aller damit in Zusammenhang stehenden Spekulationen grenzt. Beispielsweise erklärte der bekannte arabische Philosoph und Arzt Ibn Sina (gest. 1037), daß den Geistern keine Seinsrealität zukäme. In ähnlicher Weise interpretierte der Sozialhistoriker Ibn Chaldun (gest. 1406) die Überlieferungen in Koran und Sunna. Nach ihm seien die Koranverse über die Dschinn den nichterklärbaren, allegorischen und dunklen Stellen (mutašâbihât) im Heiligen Buch der Muslime zuzuzählen. Das Verständnis darüber habe sich Gott selbst vorbehalten (Encyclopaedia of Islam, Art. Djinn).

Auch moderne Muslime schließen sich diesen Lehrmeinungen an. Mehrere zeitgenössische muslimische Philosophen vertreten den rationalistischen Standpunkt, daß der Mensch über Geister und ihre Existenz eigentlich nichts oder sehr wenig aussagen könne.

Der größte Unterschied zur althergebrachten Geisterlehre des Islams findet in der weitgehend säkularen Feststellung seinen Ausdruck, wonach die Dschinn keine eigentlich existierenden Wesen seien, sondern den Kräften des menschlichen Unterbewußtseins entsprechen würden.

Dementsprechend heißt es in einem modernen islamkundigen Lehrbuch: "Die ğinn sind, modern gesprochen, lokalisierte Naturkräfte, Ideen oder Erscheinungen: Fixideen, Obsessionen, Halluzinationen, Wahnvorstellungen. Diese Vorstellungen können gute, fromme, böse, frevelhafte usw. sein. Die ğinn als geistige Triebkräfte oder seelische Störungen gehören zum Interessenbereich von Psychiatrie, Psychologie und Psychoanalyse." (Smail Balić, Ruf vom Minarett – Weltislam heute. Eine Selbstdarstellung, Hamburg 1983)

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Der Dschinn ist aufgebracht
von Ekkehard Schmidt

Papyrus-Logo Nr. 4/90, pp. 26—28

Hinter der tausendjährigen Al Azhar Moschee, der ältesten Universität und Lehrstätte des Islam, verliert sich der bunte Basartrubel des Khan el Khalili in den schmalen dunklen Gassen von Darb el Ahmar. Noch vor wenigen Jahren war dieses Viertel Kairos größter Drogen-Umschlagplatz. Heute ist es wieder still geworden. Von nahenden Schritten aufgeschreckt, huschen Katzen um die Ecke. Hier, am ärmlichen Rand der Altstadt, nahe der nördlichen Totenstadt, wohnt Sheikha Sabiha. "Sheikha" ist eine Art Berufsbezeichnung. Sabiha ist hauptberuflich Exorzistin.

Wenn sie über die unsichtbare Welt von Dämonen und Geistern redet, glaubt man kaum, daß sie aus diesem Jahrhundert ist. Die Welt, in der sie lebt, findet sich im modernen Kairo nicht mehr. Doch der Schein trügt. Man wird ihr nicht gerecht, wenn man nur an mittelalterliche Geisterbeschwörung, Teufelsaustreibung und Abrakadabra denkt. Sie ist sehr wohl von dieser Welt und redet über "Zar" – etwas, von dem Anthropologen wissen, daß es aus Äthiopien über den Sudan nach Ägypten kam. In Amharisch, der offiziellen äthiopischen Sprache, bedeutet Zar "ein Tanzritual zum Vertreiben der bösen Geister" – und das nimmt Sabiha offenbar sehr ernst. Sie ist eine "Kodia", nach eigenen Worten eine "Vermittlerin zwischen unserer Welt und der der versteckten Geister, die unser Leben beeinflussen". Sabiha glaubt, daß jedem Menschen bei der Geburt ein "Dschinn" zugeordnet wird, ein Geist, der ihn wie ein Schatten durch das Leben begleitet. Alles geht gut, solange der Geist mit seinem Begleiter zurechtkommt. Sollte er aber beleidigt werden, wird es gefährlich. Dschinns werden auch im Koran erwähnt, sie seien "von Gott aus rauchloser Flamme erschaffen". Mit den Geistern, die Sabiha meint, haben sie aber nur den Namen gemein. Die Sheikha betont, daß Geister – ob sie jetzt böse sind oder zufrieden – leicht zu zähmen sind, solange ein kompetenter Vermittler, wie sie zum Beispiel, zur Kommunikation eingeschaltet wird.

Männer scheinen seltener mit dem bösen Dschinn zu kämpfen, zumindest werden Zars in Ägypten fast ausschließlich für Frauen veranstaltet. Die Frauen kommen mit einer farbigen Palette von Problemen zu ihr. Diese reichen von schlichten Erkältungen bis hin zu Schwierigkeiten in der Ehe oder der Unfähigkeit, ein Kind zu empfangen. Meist handelt es sich um eine bestimmte Gruppe von Frauen: Verwitwete, Geschiedene, oder aus ähnlichen Gründen unglückliche Frauen. Was auch immer sie bedrückt, Sabihas Medizin bleibt stets die gleiche: "Der Dschinn ist aufgebracht", sagt sie, "eine Zar-Party muß abgehalten werden, um Buße zu tun". Es gibt zwei Behandlungstechniken. Bei der "afrikanischen" Methode, die vor allem im Süden des Sudan und in Äthiopien praktiziert wird, bleibt der Patient auf einem Stuhl sitzen, während Trommeln geschlagen werden, in Ägypten und Ländern der Sahel-Zone handelt es sich um eine mehr "psychodramatische" Technik, in der die Frau ermutigt wird, vor Zuschauern wie auf einer Bühne zu agieren.

Als erstes muß Sabiha den Geist kontaktieren und herausfinden, wie er zu versöhnen ist. Meistens ist ein Tieropfer nötig, um den Geist zu besänftigen – ein Huhn oder eine Ziege. Wenn der Dschinn identifiziert ist, beginnt die eigentliche Zeremonie. Meist findet sie in der Wohnung der Unglücklichen statt. In Kairos bewohnter Totenstadt und im Süden der Stadt, bei der Moschee von Sheikh Abu Es-Saud wird aber auch regelmäßig ein Festzelt aufgestellt, in dem ein halb öffentlicher Zar abgehalten wird. Er steht Fremden offen und wird für mehrere Patienten veranstaltet. Dies wird vor allem deswegen bevorzugt, weil es billiger ist.

Bei handfesten Problemen hilft aber nur ein Zar, der ausschließlich für eine Person und bei ihr zuhause abgehalten wird. Eine Gruppe von etwa zehn Frauen nimmt die "Besessene" in ihre Mitte auf, formt einen Kreis. Ein wiegender, später auch rasend-wirbelnder Tanz beginnt. Begleitet und angetrieben werden die Tänzer durch laute Trommeln und spitze Triller-Gesänge einer Gruppe von Musikern. Unaufhaltsam verdichtet sich die Stimmung zu einer gemeinsamen Ekstase. Die Sheikha ruft derweilen die Geister an. Der immer gleichbleibende Rhythmus treibt die Tänzerin in eine Trance. "Allah, ... Allah!", seufzen die Umstehenden im Takt der Musik. Dies kann Stunden dauern. Der Patientin ist es erlaubt, zu rauchen, Alkohol zu trinken und andere Dinge zu tun, die der Islam eigentlich verbietet. Sie soll aus sich herausgehen, sich an den Rand eines Kollapses tanzen. Es kommt vor, daß sie sich in Trance an den Umstehenden festklammert, zuweilen auch an den Musikern. Da darf kein leicht erregbarer Mann zugegen sein. Nur homosexuelle Männer dürfen bei einem Frauen-Zar musizieren. Ebenso sind die Zars für unverheiratete Frauen tabu.

Tina, eine in Kairo lebende Europäerin, besucht regelmäßig Zar-Partys. "Was einen in Trance fallen läßt, ist dieser eintönige, eigentlich unmelodische Trommelrhythmus", sagt sie. Es sei wie eine Art Ohnmacht, "man ist einfach weg, nicht mehr da". Die Frauen passen auf, bemerken sofort, wenn die Tänzerin sich nicht mehr kontrollieren kann. Sie helfen ihr, damit sie sich nicht etwa in Trance die Haare ausreißt. Schwitzend und unkontrolliert zitternd wird sie mit Opfertierblut bespritzt, in ein Tuch gehüllt und aus dem Raum geführt. Sie wäscht sich und kleidet sich neu ein. Wenn sie mit der Vermittlerin zurückkehrt, ist sie ruhig und gefaßt, der böse Geist ist ausgetrieben. Blutige Handabdrücke an Türpfosten und Haus nehmen der "Gereinigten" die Angst vor einer Rückkehr des Dämonen. Doch nicht immer zeugen sie von einer Zar-Party: Sie werden auch zur Abwehr des "Bösen Blickes" eingesetzt, oder stammen von einem Dankopfer, das traditionell die Pilgerfahrt nach Mekka beschließt. Es kommt dennoch vor, daß man den Geist ein Leben lang nicht mehr loswird.

Ähnlich, aber doch anders verlaufen Zar-Partys in der Totenstadt. Tina geht dort öfters hin, seitdem sie zufällig einmal eingeladen wurde. Der exorzistische Charakter eines privaten Zar läßt sich hier nur noch ansatzweise feststellen, es herrscht eher Vergnügungsatmosphäre. Die Ägypter tanzen gerne auf Hochzeiten, bei der Geburt eines Kindes oder auch ohne Anlaß. Diese sehr ägyptische Freude am Tanz ist sicher ein Grund für die Popularität von Zar. In der Totenstadt läßt sich beobachten, wie die ursprünglich kulturfremden Zar-Zeremonien ägyptisiert worden sind. Die Frauen haben den Tanz aus dem exorzistischen Rahmen gelöst und in ihre islamisch-arabische Kulturwelt übertragen. Es werden keine Tieropfer erbracht, und auch von Dschinns ist kaum die Rede. Die Frauen sind gekommen, um sich gemeinsam an der Atmosphäre zu berauschen. Nur, wer gerade Lust hat, tanzt auch, keine muß tanzen. Wer sich aber mitreißen läßt, muß einen Obolus entrichten. Jede Frau tanzt anders, manche wiegen sich sehr ruhig zur Musik, andere toben sich aus. Über der Szenerie liegt eine schwere Wolke Weihrauch. Ein solcher Zar hat mehr Ähnlichkeit mit einer Diskothek als mit einer Geisterbeschwörung.

Es wäre zu einfach, "unverfälschte" Zar-Zeremonien, wie sie Sheikha Sabiha organisiert, als primitive Form von Exorzismus abzutun, oder als Produkt exzessiven Aberglaubens zu erklären. In der restriktiv geprägten ägyptischen Gesellschaft haben Frauen weniger Möglichkeiten, angestaute Spannungen und Aggressionen loszuwerden, als Männer. Ein Zar bietet ein befreiendes Ventil zum Dampfablassen. Psychologen interessieren sich schon lange für dieses Phänomen. Das Abgleiten in einen hysterischen Geisteszustand und aggressives Verhalten betrachten sie als Manifestation einer "mentalen Unordnung". Die Person sei unfähig, ihre Probleme zu lösen, und tendiere dazu, in eine Phantasiewelt zu flüchten. Für ägyptische Frauen kann ein Zar auch ein Vehikel sein, mit dem sie auf sich und ein Problem aufmerksam machen. Ein Zar ist eine große Angelegenheit, die jeder Nachbar mitkriegt. Durch einen Zar macht die Frau indirekt ihr Anliegen bekannt – in aller Öffentlichkeit. Das kann ein Hilfsmittel sein, um sich beispielsweise gegen den Ehemann zu behaupten. Wenn er vorhat, sich von ihr zu trennen, kann es der Frau durch einen Zar gelingen, gesellschaftlichen Druck auf ihn auszuüben.

Im Sudan steigt seit Jahren die Zahl der Zar-Besessenen. Dies ist wohl hauptsächlich auf die katastrophale wirtschaftliche und soziale Lage des Landes zurückzuführen. Im Kulturleben Ägyptens sind Zar-Zeremonien eher Randerscheinungen. Hier sind es meist Frauen der Unterschicht, die in dörflicher Umgebung leben und mit der modern vorwärtsstrebenden ägyptischen Gesellschaft nicht zurechtkommen. Dennoch: ein Zar ist kein exaltierter billiger Spaß, Sheikha Sabiha streicht eine ansehnliche "Vermittlungsgebühr" von bis zu 200 ägyptischen Pfunden ein. Das sind etwa 150 Mark – mehr als ein Monatslohn.

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Der böse Blick
(ohne Autorenangabe)

Papyrus-Logo Nr. 1/85, pp. 35—36

WER HAT ANGST VOR DEM BÖSEN BLICK?

Sure 113: Das Frühlicht

Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes
Sag: "Ich suche beim Herrn des Frühlichts Zuflucht vor dem Unheil, (das) von dem (ausgehen mag), was er (auf der Welt) geschaffen hat,
von hereinbrechender Finsternis,
von (bösen) Weibern, die (Zauber)knoten bespucken
und von einem, der neidisch ist."

(wörtl.: von einem Neider, wenn er neidisch ist)

(Übersetzung von Rudi Paret)

Meine erste Begegnung mit dem "bösen Blick" traf mich ziemlich unvorbereitet. Unsanft wurde ich samt Baby und Milchflasche ins schwiegermütterliche Schlafzimmer eingesperrt, da eine entfernte Verwandte, der man nachsagte, sie habe den "bösen Blick", zu Besuch ins Haus kam. Später konnte ich beobachten, daß man sie besonders zuvorkommend und höflich bewirtete und behandelte, damit sie freundlich gestimmt blieb, aber auch aufatmete, wenn sie das Haus verließ und hoffte, unbeschädigt davonzukommen. Zerbrach eine Vase oder ein anderer Gegenstand, so war man froh, noch einmal glimpflich davongekommen zu sein, wehe aber, wenn sich ein Kind verletzte oder jemand krank wurde.

Ein weit verbreiteter Volksglaube im Orient ist der Glaube an den "bösen Blick". Die meisten Krankheiten, Unglücksfälle und Mißgeschicke werden angeblich durch ihn verursacht.
Man glaubt, daß einige Menschen die Kraft oder die Macht haben, durch Anschauen oder durch "Blicke" Personen, Tieren oder Gegenständen Schaden zuzufügen.

Die Furcht vor dem "bösen Blick" hat der Islam, als er sich im vorderen und mittleren Orient ausbreitete, mit von den Babyloniern und Assyrern übernommen. Diese glaubten an Hexen, deren Waffe der "böse Blick" und das "böse Wort" waren.

Eine der vielen überlieferten Geschichten, welche vom Leben des Propheten Mohamed berichten, zeigt, daß auch er an die Macht des bösen Auges glaubte. Einer Mutter, welche mit ihrem Säugling in der Nähe des Propheten weilte, empfiehlt er vor dem Eintreffen einer bestimmten Person, an Stelle des Babys einen großen Stein in das Umschlagtuch zu wickeln und ihr Kind in ein Nebenzimmer zu legen. Als die Frau nach dem Verlassen des Besuches diesen Stein auswickelt, ist er gespalten durch den "bösen Blick", welcher dem Kinde galt.

Da der Glaube an den "bösen Blick" durch diese Geschichten und Erzählungen mit dem Islam verbunden ist, ist die Furcht vor ihm auch heute noch weit verbreitet und in den Volksschichten tief verwurzelt. So lernt man schnell damit umzugehen, und falls einem etwas zustößt, sucht man die Person, welche einem mit einem "bösen Blick" bedacht hat. Erstaunlicherweise findet man schnell einige, denen man zutrauen würde, daß sie einem die Urlaubsreise mißgönnt haben, so daß das Auto auf halber Strecke liegen blieb. Daß sie Gefallen fanden an ein neuen kleinen Kätzchen, so daß dies auf unerklärlicher Weise verschwand! Daß sie einem den neuen Goldschmuck neideten, so daß er gestohlen wurde! Daß...

Denn heute verbindet man den "bösen Blick" mit Neid, beide sind unzertrennbar miteinander verbunden. Es gibt auch die Meinung, daß eine übernatürliche Macht indirekt durch den "bösen Blick" wirken kann, ohne daß der Mensch, welcher das "böse Auge" besitzt, schuldig ist. Die Folgen werden durch ihn unbewußt hervorgerufen, wobei nicht auszuschließen ist, daß man bösartigen Menschen auch zutraut, mit Hilfe ihres "bösen Auges" anderen kräftig Schaden zuzufügen.

Besonders gefährdet sind Kinder, Schwangere, Bräute und selbstverständlich alles, was einem wertvoll und teuer ist. Es kann auch vorkommen, daß man selbst den eigenen bewundernden Blick in den Spiegel fürchten muß, denn das "böse Auge" kann auch einen selber treffen.

Man kann generell sagen, daß jede Art von Schädigung auf den "bösen Blick" zurückzuführen ist. Zerreißt mein neues Kleid oder wird Tee darüber verschüttet, zerbricht der Absatz an den ach so bequemen Schuhen, geht plötzlich die so mühsam gezogene Blattpflanze ein oder das heißgeliebte Kätzchen wird von einem Auto überfahren usw. usw... – dies alles kann das "böse Auge" oder der "böse Blick" verursacht haben. Wobei die Wirkung besonders gefährlich ist, wenn sich der Neider verstellt, und an Stelle seines Neides Bewunderung und Lob ausspricht.

Aber so ganz schutzlos ist man dem "bösen Blick" nicht ausgeliefert. Es gibt Abwehrmittel und Gegenzaubermittel in der Form von geschriebenen Amuletten, bestimmte Edelsteine, Tierbilder, Kräuter und hauptsächlich blaue Perlen, Augenabbildungen, Handamulette und Handabbildungen, sowie kleine Pantoffel oder Babyschuhe (oft in Taxen und an Lastwagen zu sehen) – dies alles und je nach Region noch anderes, sind Schutzmittel gegen Neid und den "bösen Blick".

Schutz gegen den bösen Blick

Man weiß aber nie, wer stärker ist – mein Schutzamulett oder der böse Blick!
Ach ja – und manchmal kann es vorkommen, daß man selber den bösen Blick hat! Oder haben Sie sich noch nie gefreut, wenn.........

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Punkt Punkt Punkt

   

Aberglaube auf Ägyptisch
von Siegrid el-Gabbas

Papyrus-Logo Nr. 4/83, pp. 36—37

Es fing damit an, daß sämtliche heißgeliebten Eulenstofftiere meiner Tochter verschwanden. Kurz danach zerbrachen Keramik- und Porzellan-Eule auf unerklärliche Weise, und als dann noch ein Wandteller – mit Eulenmotiv versteht sich – herunterfiel, ohne daß der Nagel in der Wand oder die Halterung am Teller irgendwelche Defekte aufwiesen, da verstand ich gar nichts mehr. Fatma aber, meine damalige treue Seele im Haushalt, atmete auf und erklärte mir: "Eulen bringen ganz schlimmes Unglück"!

Als dann ein befreundeter deutscher Künstler meiner Tochter für ihr Zimmer eine wunderschöne gemalte Eule schenken wollte, griff ich schnell ein und lehnte dieses unglücksbringende Geschenk stotternd, aber energisch ab – was auf völliges Unverständnis stieß, hatte doch der betreffende Künstler gerade seine "Eulenphase" und malte Eulen in allen Größen und Farbschattierungen. Na, wenn er gewußt hätte....

Anders verhält es sich da mit Schildkröten, sie bringen grundsätzlich Glück und Frieden ins Haus. Mit einer Schildkröte kann Ihnen gar nichts passieren. Falls man schnell zu Reichtum kommen möchte, so ist dabei die Ratte sehr hilfreich – allerdings im toten Zustand. Man vergrabe sie nur unter seine Türschwelle und das Geld läßt nicht lange auf sich warten. Vielleicht ist dies ein Geheimrezept einiger Leute!

Mit Katzen verhält es sich wieder anders. Einmal sind sie in der Lage uns mitzuteilen, wann Besuch zu erwarten ist, nämlich wenn sie ständig auf dem Boden herumkratzen. Sie können einem auch so noch einige Unannehmlichkeiten bereiten. In ihnen können die Seelen verstorbener Pharaonen wohnen! Daher ist es ratsam, eine Katze, bevor man sie verjagt, erst zu füttern und ihr Milch anzubieten, was ich auch brav getan habe. Als ich mich aber der Katzenscharen auf meinem Dachgarten nicht mehr erwehren konnte, da habe ich mir einen Hund angeschafft; möge ihn der Fluch der Pharaonenseelen treffen, er hat ein dickeres Fell.

Wenn man ein Baby erwartet, so sollte man sich besonders hübsche Menschen intensiv betrachten, damit die Schönheit sich auf das Baby überträgt. Es ist dringendst von einem Zoobesuch abzuraten, denn man kann ja nie wissen, wenn man von einem Äffchen besonders fasziniert wird, was das für Folgen haben kann!

Von den ersten Haaren eines Kindes sollte man ein paar Locken oder Strähnen abschneiden und in den Nil werfen, das garantiert dem Kinde einen üppigen Haarwuchs. Um seinen eigenen Haarschopf zu erhalten, steige man nie über ein schlafendes Kind – es sei denn, man möchte eine Glatze bekommen.

Begehrt man mal wieder ein neues Kleidungsstück, so stelle man sich unter einen Baum, in dessen Ästen es fröhlich zwitschert. Hat man dann das Glück, daß ein Vogel etwas auf einen fallen läßt, so wird man sich demnächst mit einem neuen Gewande schmücken können.

Will man für sich selber Kummer vermeiden, so wasche man nie am Freitag. Finger- und Fußnägel kann man aber freitags getrost schneiden, man bekommt keine Zahnschmerzen davon – ich habe es ausprobiert!

Ist man eines Freundes überdrüssig, so schenke man demjenigen ein paar Taschentücher. Es wird nicht lange dauern, und die Freundschaft wird zerbrechen!

Zank und Streit im eigenen Haus kann man dadurch vermeiden daß man seine Schuhe immer schön ordentlich nebeneinander stellt und ja nicht die Sohle nach oben zeigen läßt. Auch vom Klatschen mit den Schuhen gegeneinander ist unbedingt abzuraten. Befolgen meine Familienmitglieder diese Regeln nicht – also da mache ich unbedingt Ärger!

Auch der eigene Körper ist in der Lage, einem nette und böse Überraschungen anzuzeigen – man muß nur darauf achten. Wenn das rechte Auge zuckt, so wird es Tränen geben, das Zucken des linken Auges dagegen verheißt Freude.

Verspürt man einen Juckreiz in der rechten Hand, so bekommt man bald Besuch, während das Jucken der linken Hand einem Geld verspricht. Kribbeln in den Beinen sollte man nur merken, wenn man gerne ausgehen möchte. Auch sollte man aufpassen, wenn man ein Haus zum ersten Male betritt, daß dies mit dem rechten Fuß geschieht es sei denn, man wünscht den darin Wohnenden ein Unglück. Aber man möchte doch niemanden zusätzlich belasten, hat man doch schon genug zu tun, um sich vor dem bösen Blick zu schützen, der......

Aber darüber ein anderes Mal!
Übrigens, wenn Sie versehentlich den linken Strumpf an den rechten Fuß gezogen haben sollten dann...sind Sie in den April gefallen.

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