Archäologie
    Inhalt:
    Schreckensvision: Pharaonisches Erbe zerfallen oder versperrt
    Denkmalschutz aus ägyptischer Sicht: ein Alptraum
    Die Sphinx bröckelt
    Archäologen warnen vor Nachbildung der ägyptischen Altertümer
    Die Meisterfälscher von Ägypten
    DAI-Kairo – curriculum vitae
    Aus der Arbeit eines Archäologen
    20 Jahre Fotograf am DAI Kairo
    Das Grab als moralische Anstalt

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Schreckensvision: Pharaonisches Erbe zerfallen oder versperrt
von Norbert Hoyer

Papyrus-Logo Nr. 1/90, pp. 4—6

Das muß die Schreckensvision aller in Ägypten tätigen Archäologen, vor allem aber der Tourismus-Manager sein: Das pharaonische Erbe des Nil-Landes ist zerfallen oder versperrt. Vielfach sind nur noch Fotos und Modelle von dem zu besichtigen, was einmal war oder nun hinter verschlossenen Türen aufbewahrt wird. "Echtes" ist allenfalls noch im Museum zu finden. Und selbst das, was nicht abgeschlossen werden kann, bietet sich dann vielleicht in einer völlig neuen Umgebung dar. Über die Pyramiden von Giza spannt sich ein riesiges Kunststoffzelt, die Sphinx, das Wahrzeichen des alten Ägyptens, ist zwar noch zu sehen, aber die glänzend-weißen Steine lassen keinen Zweifel, daß sie neu gebaut wurde.

Bald zu erlebende Wirklichkeit, oder doch ein Alptraum, der mit dem Alltag nichts zu tun hat? Selbst namhafte Archäologen müssen einräumen, daß die Warnzeichen nicht zu übersehen sind. Und nicht immer reicht eine Restaurierung, wenn es überhaupt realisierbare Strategien gibt, denn die Umweltschäden sind es nicht allein, die die bedeutende Hinterlassenschaft der Pharaonen gefährden. "Ja, es gibt einen Konflikt zwischen den Notwendigkeiten einer Erhaltung und den Erfordernissen des Tourismus", bestätigte Zahi Hawas, der Chef der Pyramiden-Verwaltung von Giza, im September 1989 in einem Interview mit "Cairo Today". Und Professor Ali Hassan, in der Altertümer-Verwaltung für die pharaonische Zeit zuständig, nennt die Masse der Touristen ebenfalls "sehr gefährlich" für die Altertümer.

2,4 Millionen Touristen seien 1989 nach Ägypten gekommen, berichtete der zuständige Minister Fuad Sultan schon Anfang November. Erneut eine erhebliche Steigerung gegenüber dem Vorjahr. Und nach wie vor, das ist für das vom Devisenmangel geplagte Nil-Land noch wichtiger, gehören die Einnahmen aus dem Tourismus zu den wichtigsten Devisenquellen neben dem Öl, den Überweisungen der Gastarbeiter und den Gebühren des Suez-Kanals. Ausbaufähig ist vor allem der Tourismus, die Zahl der Hotelzimmer hat sich binnen weniger Jahre verdoppelt. Auf dem Nil kreuzen inzwischen 120 Schiffe. Und es kann keinen Zweifel geben, daß die Masse der Touristen noch immer nach Ägypten pilgert, um das pharaonische Erbe zu erkunden.

Gerade aber, weil es so viele sind, die sich die Ägypten-Reise leisten können, die den Weg an den Nil notfalls auch in einer billigeren Variante finden, gefährden sie das, was sie sehen wollen. Kritisch wird es überall da, wo sich die Masse auf engstem Raum konzentriert, um jahrtausendealte Hinterlassenschaften zu betrachten. Sei es in den Grabkammern der Pyramiden von Giza, sei es in den Gräbern im Tal der Könige bei Luxor. Immer ist der Mensch mit seinem Schweiß, mit seiner Wärme ein Eindringling, der gar nicht zu dem Wüstenklima paßt, in dem Gemälde, Inschriften die Zeiten überdauert haben.

Neun Reisegruppen in einem Grab im Tal der Könige, Erklärungen in neun Sprachen der Welt. Führer, die mit einem Stock die Details der Gemälde erläutern, Neugierige, die es nicht lassen können, die Inschriften zu ertasten, Blitzlicht-Gewitter, die das Dunkel erhellen. Draußen warten längst die Nächsten. Am Abend ist dann in dem Grab die Temperatur kräftig angestiegen, hat sich die Luftfeuchtigkeit drastisch erhöht. Das Problem stellt sich nicht nur in den Gräbern des Tals der Könige und den Grabkammern der Pyramiden, sondern etwa auch in einem Museum neben der Cheops-Pyramide, in dem das berühmte Sonnenboot des Pharaos für die Reise in die Ewigkeit wieder zusammengebaut wurde.

Wenn es eine vernünftige Strategie gibt, können die Erfordernisse der archäologischen Erhaltung und des Tourismus miteinander vereinbart werden, zeigt sich Zahi Hawas optimistisch. Er räumt aber auch ein, daß die Alternativen beschränkt sind, denn noch will natürlich niemand die zahlungskräftigen Touristen ausschließen. "Ich kann doch nicht die Große Pyramide absperren", stöhnt er. "Das geht einfach nicht", unterstreicht auch Professor Ali Hassan auf die Frage, ob nicht das meiste, um es der Nachwelt zu bewahren, verschlossen werden müßte.

Die Reise von pharaonischen Erbstücken in die weite Welt ist jetzt schon weitestgehend gestoppt worden, um Gefährdungen zu vermeiden. Bei einer Schau in Australien seien fünf einmalige Stücke vernichtet worden, hieß es jüngst in einem Kairoer Zeitungsbericht. Wer die pharaonischen Schätze bewundern soll, müsse schon an den Nil kommen. Aber auch da wird er, ohne daß alles versperrt wird, in naher Zukunft bereits nicht mehr alles sehen können. Denn, das ist den Verantwortlichen klar geworden, Restaurierungsmaßnahmen alleine genügen nicht, um den Gefahren wirksam zu begegnen. Auch wenn etwa bald schon damit begonnen wird, in den Gräbern die Wandgemälde mit Glas zu bedecken, um sie zu schützen. Das grundlegende Problem kann aber so nicht gelöst werden.

Wenn jetzt an einem der berühmten Gräber das Schild "Wegen Restaurierung geschlossen" hängt, kann dies und wird es zunehmend die halbe Wahrheit sein. Denn "Steuerung des Touristenstroms" heißt die Devise. Von den drei Pyramiden in Giza wird rundum jeweils eine wohl versperrt sein, und selbst an denen, die geöffnet sind, sollen die Besucher gezählt werden, um bei einer bestimmten Zahl für den Rest des Tages abzusperren. Ähnlich wird es bei den Gräbern geschehen. Natürlich sind dort die Alternativen groß – statt des Tals der Könige kann das der Königinnen besucht werden. Ohnehin seien die Gemälde in den Gräbern der Arbeiter und Noblen noch schöner als die in denen der Pharaonen, sagen Kundige. Doch Massentourismus wälzt sich nun einmal auf ausgetretenen Wegen voran. Bricht er sich eine neue Bahn, so drohen dort bald die gleichen Gefahren, die man vermeiden möchte.

Und wer die weite Reise an den Nil gemacht hat, will natürlich auch bestimmte Dinge sehen. Die Pyramiden von Giza sind ein Muß, das Grab des Tut-Enchamun ist nun einmal das Bekannteste. Wer freut sich schon, wenn dieses abgesperrt würde, und er nur anhand von Fotos oder eines Modells vor Ort erläutert bekäme, was er nicht sehen darf.

Wer mit Verantwortlichen in Kairo darüber spricht, merkt bald, daß er ein heikles Thema angesprochen hat. So sehr allen die Sorge um die Altertümer am Herzen liegt, bei der natürlich auch der Massentourismus nur ein Problem ist, so sehr wissen alle auch, daß schlechte Nachrichten im schwierigen Tourismusgeschäft eine verheerende Wirkung haben können. Gerne wird dann auch darauf hingewiesen, daß Ägypten mehr zu bieten habe. In Kairo islamische Schätze genauso wie den Khan El-Khalili oder gar die Totenstädte, in Luxor das nicht weit entfernte Hurghada mit Rotem Meer, also Strand und Korallen. Doch noch ist Ägypten an erster Stelle nach wie vor das Ziel der Bildungshungrigen.

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Denkmalschutz aus ägyptischer Sicht: ein Alptraum
von Dr. Mohammed Saleh, ehemaliger Direktor des Ägyptischen Museums

Papyrus-Logo Nr. 1/90, pp. 41—42

Ägypten ist ein Land mit unzähligen antiken Kunstschätzen unterschiedlichster Kulturen: Pharaonische, griechisch-römische, christliche und islamische Zeugnisse der Vergangenheit machen das Land zu einem einzigartigen Kolossal-Museum.

Günstige Witterungsverhältnisse und der Wüstensand, der sich schützend über sie breitete, haben die Kulturdenkmäler Jahrtausende überdauern lassen. Doch in den letzten Jahrzehnten sind einschneidende Veränderungen eingetreten. Nicht nur die Witterungsverhältnisse sind ungünstiger geworden. Umweltverschmutzung, explosives Bevölkerungswachstum und Massentourismus bedrohen Hand in Hand mit der Natur die Zeugnisse der Vergangenheit. Falsche Restaurierungsmaßnahmen und achtloser Umgang mit den antiken Werten machen das übrige. Beobachten wir die Menschenmassen und Autoschlangen in den Straßen Alt-Kairos, wird deutlich, warum sich die Lage der arabisch-islamischen Bauwerke derart verschlechtert hat. Alte Moscheen und Mausoleen sind zu Wohnungen oder Verkaufsräumen umfunktioniert. Das steigende Grundwasser dringt in die Fundamente der jahrhundertealten Gemäuer, die nie restauriert wurden. Touristenbusse parken vor historischen Stätten mit laufenden Motoren, um ihre Klimaanlagen in Gang zu halten. Niemand denkt daran, wie sehr die Erschütterungen und Abgase den Baudenkmälern schaden. Hier muß dringend ein Gesetz her, das das Parken mit laufendem Motor streng bestraft.

Die Besucher von Gräbern, Tempeln und Museen lehnen sich überall an, fassen alles an, wollen mit Blitzlicht die alten Wandmalereien für die Ewigkeit festhalten, ohne zu merken, wie sehr sie dadurch deren Lebensdauer verkürzen.

In Theben und Luxor sind mehrere Gräber und Tempel durch den Massentourismus stark mitgenommen. Der Atem der Hundertschaften, die sich täglich durch die engen Gräber schieben, zerstört ebenfalls die Farbe der Wandmalereien und die Reliefs. Das Grundwasser ist auch hier gestiegen und hat die Säulen der Halle von Amenophis III. im Luxortempel ins Wanken gebracht.

In der Oase Siwa zerfällt der Tempel des Amun. In Tanis (San el Haggar im Ost-Delta) gefährdet das Grundwasser die antiken Reste dieser einmaligen Hauptstadt Ägyptens (21.—22. Dynastie). Reliefs und Obelisken schwimmen schon längere Zeit im Wasser, inzwischen auch die Fürstengräber.

All diese Zeugen jahrtausendealter Menschheitsgeschichte vor Zerfall und Zerstörung bewahren zu wollen, gerät zum Alptraum. Denn was können wir schon tun, wenn in der Al-Moes-Straße (Alt-Kairo) die schönen alten Häuser zerfallen, weil viel zu viele Menschen dort leben, die mit ihrem Schmutz und ihren Abwässern diesen Prozeß noch beschleunigen.

Was können wir in Nazlett el Samman (Giza) machen, wo die Menschen ihre Häuser ganz dicht an das Pyramiden-Plateau herangebaut haben, mit ihren Abwässern das Gestein der Sphinx zerstören, welche außerdem den ständigen Abgasen und Erschütterungen durch den Autoverkehr ausgesetzt ist?

Es ist höchste Zeit, effektive Strategien zu entwickeln, die ägyptischen Denkmäler vor der restlichen Zerstörung zu bewahren. Die Probleme von sachgemäßer Aufbewahrung und Ausstellung der Kunstschätze müssen öffentlich mit ägyptischen und ausländischen Experten diskutiert werden. Grab- und Tempeldekorationen gehören hinter Glas und in klimatisierte Räume.

Die Planung eines großen Museums außerhalb Kairos (etwa in der 6. Oktober-Stadt) muß jetzt in Angriff genommen werden, um die Ausstellungsstücke nicht länger den Erschütterungen des Autoverkehrs und der Metro auszusetzen. Außerhalb Kairos ist die Luft besser, der Autoverkehr geringer und es gibt genügend Platz für parkende Autos.

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Die Sphinx bröckelt
von Elke Marold

Papyrus-Logo Nr. 4/88, pp. 42—43

Der 7. Februar 1988 war ein schwarzer Tag für die Erben der pharaonischen Vergangenheit Ägyptens, denn die weltberühmte Sphinx verlor einen Stein aus ihrer rechten Flanke.

Der etwa 200 Kilo schwere Brocken von "Abu el Hawl", dem "Vater des Schreckens", wie er hier genannt wird – fiel nicht nur in den antiken Staub, sondern tief in die Herzen der Ägypter. So jedenfalls beschreibt es Dr. Sayed Salama im Februar-Heft der Illustrierten "Oktober" und fragt sich, wo die 100 Millionen ägyptischen Pfunde, die in den letzten fünf Jahren von der Regierung für Restaurationsobjekte zur Verfügung gestellt wurden, geblieben seien.

Der zum Stein des Anstoßes erklärte Sphinxbrocken wurde von den Journalisten quer durch's Land gerollt, vom Fort Kait-Bay in Alexandrien über Kairos Sultan Hassan-Moschee und Armee-Museum zum Luxortempel und den Felsengräbern von Assuan. Überall wurden unzureichende, falsche oder vernachlässigte Restaurationsarbeiten angeprangert. Dem rollenden Stein fiel der Präsident des ägyptischen Antikendienstes, Ahmed Kadri, zum Opfer. Ihm wird in erster Linie vorgeworfen, den zahlreichen Reporten über den schlechten Zustand der Sphinx nicht durch geeignete Restaurationsmaßnahmen entsprochen, sondern lediglich mit Zement und Farbe den katastrophalen Zustand "vertuscht" und der Sphinx damit mehr geschadet als genützt zu haben.

Seine pathetischen Rechtfertigungsartikel in der ägyptischen Presse, die letztlich in einen wütenden Rundumschlag ausarteten, hätte er eigentlich nicht nötig gehabt, meinte der deutsche Journalist Thomas Ross in der "Frankfurter Allgemeinen". Denn zweifellos sei Kadri ein Mann, der sich in seinen frühen Jahren unbestrittene Verdienste erworben hat und von den Ägyptologen der ganzen Welt anerkannt, ja bewundert wurde. Um so mehr, so führt Ross aus, irritierten seine Blößen, die er sich in jüngster Zeit gegeben hatte. Ross erwähnt, daß Kadri sogar einem japanischen Schatzsucher auf den Leim gegangen sei. Der beredte Sakuji Yoshimura, Associated Professor für Ägyptologie an der Waseda-Universität Tokio gab bekannt, daß er einem Hohlraum in der linken Tatze der Sphinx auf die Spur gekommen sei und seine Instrumente Metall anzeigen würden. Er wollte mit Hilfe einer Bohrung – und dafür hatte er von Kadri bereits die Genehmigung – seine Periskopmikrokamera auf Schatzsuche schicken. Dieses Unternehmen wurde durch den Sturz Kadris unterbunden, und der jetzige Generaldirektor des Antikenarsenals von Giza, Zahi Hawass, konnte aufatmen. Er hatte schon vor Kadris Abgang verkündet, gebohrt würde nur über seine Leiche, denn er befürchtete durch die Erschütterung des Bohrvorhabens weitere Schäden. Ferner hielt er die Schatztheorie ohnehin für eine Ausgeburt der Phantasie, da Kalkstein im Laufe der Zeit durch chemische Prozesse feine Metallschichten entwickelt. Und der Kalkstein, aus denen die Giza-Monumente errichtet wurden, ist immerhin 50 Millionen Jahre alt!

Die Sphinx selbst setzt sich allerdings aus zwei verschiedenen Kalksteinsorten zusammen: Der Kopf ist aus besonders hartem Kalkstein gehauen und damit sehr viel schwerer als der Leib, der aus besonders weichem, also leichtem Kalkstein gearbeitet wurde. Allein diese Konstellation macht die Sphinx wohl zum problematischsten Restaurierungsobjekt der Welt. Das war schon lange vor Kadris Amtszeit bekannt. Ende der siebziger Jahre wurde vom Deutschen Archäologischen Institut in Zusammenarbeit mit dem American Research Center eine umfassende photogrammetrische Aufnahme von der Sphinx erstellt, die über die Ausweitung der Schäden keine Zweifel ließ. Der Amerikaner Dr. Lal Ghory, ein weltbekannter Experte für Gesteinsrestaurierungen im allgemeinen und für den problematischen Kalkstein im besonderen, wurde damals hinzugezogen. Seine Vorschläge wurden allerdings vom damaligen Präsidenten des Antikendienstes, Shahada Adam, ad acta gelegt, da ja die Sphinx "völlig gesund" sei.

Die Krankheitsgeschichte der Sphinx reicht jedoch schon sehr weit zurück. Jener Stein, der sich jetzt löste, wurde bereits in römischer Zeit restauriert, worauf eine Steinverschalung aus dieser Zeit verweist.

Am letzten Februarsonntag haben nun ägyptische und ausländische Experten begonnen, die Risse, die sich aus dem weichen Kalksteinleib über den Hals hinauf zum schweren Kopf ziehen, von Sand und Salz zu befreien. Erkenntnis: Die versalzten Risse gehen viel tiefer als befürchtet. Schon der nächste Regen kann durch die wasseranziehende Eigenschaft des Salzes und den dadurch entstehenden Druck den nächsten Stein absprengen!

Die osmotische Wirkung des Salzes ist aber nicht die einzige Ursache für die Zerstörung des Gesteins. Erst seit den 20er Jahren wurde der Zustand der Sphinx bedenklich. In früheren Jahrhunderten hat der Wüstensand, der die Sphinx trotz mehrerer Entsandungsaktionen immer wieder verschüttete, für weitgehende Konservierung gesorgt. Aber seit menschliche Siedlungen ohne Abwasserregulation und Abfallentsorgung an das Gizaplateau herangerückt sind, unzählige Busse und PKWs täglich den Boden erschüttern und ihre Abgase der Sphinx ins Gesicht blasen, Millionen von Touristen trotz der Verbote auf den Monumenten herumklettern, Pferde und Kamele tonnenweise ihre Exkremente verstreuen und Einheimische sich in Ermangelung öffentlicher Freizeitanlagen zwischen Sphinx und Pyramiden ihre Grillplätze suchen, seitdem wird auch der dickste Wüstensand der Sphinx keinen ausreichenden Schutz mehr bieten können.

Ahmed Kadri hatte Programme zur Steuerung der Touristenflut in Giza in seiner Schublade. Sein Nachfolger wird nicht umhin können, sie schnellstens herauszuholen, aufgrund der neuesten Erkenntnisse zu überarbeiten und strikt in die Tat umzusetzen, damit zunächst die Hauptursachen weiterer Beschädigungen der Sphinx unterbunden werden, bevor die sicherlich schwierigen Restaurierungsarbeiten in Angriff genommen werden können.

Ein kleiner Trost bleibt: Die Pyramiden – durch ihren höheren Standort zweifellos begünstigt – sind nach Meinung der Experten bislang tatsächlich noch für die Ewigkeit gebaut! – Insha'allah!

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Karikatur der Sphinx

Die Sphinx: Es wird weiter operiert
Leserbrief von Ulrich Kapp

Papyrus-Logo Nr. 9/88, p. 30

Mit großem Interesse habe ich Ihren Beitrag über den "Verfall" der Sphinx Giza gelesen, zumal ich 1979 in einer "joint-venture"-Aktion des American Research Centre Cairo – DAI an der photogrammetrischen Vermessung und damit an der Kartierung des letzten historischen Bestandes des Bauwerkes beteiligt war.
Anbei gebe ich Ihnen einen Ausriß aus der Zeitschrift "The Middle East" vom April 1980, die über den Beginn der neuen Restaurierungsarbeiten berichtet.
Als jemand, der sich fast vier Wochen Tag für Tag in greifbarer Nähe dieses Objektes befand, kann ich nur mit dem schließenden Absatz des Berichtes, der einen Ausspruch des Arbeiters Ali Abu-Ouda wiedergibt, übereinstimmen: "Aboul Hol (der Name ist der Sphinx von den Arabern gegeben) hat hier seit Beginn der Erschaffung gestanden. Er wird hier bis zum Ende stehen. Sollte irgend etwas mit ihm schiefgehen, so ist das eine Warnung Gottes, daß das Ende bevorsteht".

Mit herzlichen Grüßen

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Archäologen warnen vor Nachbildung der ägyptischen Altertümer
aus: "Al-Akhbar" vom 6.11.1991

Papyrus-Logo Nr. 01—02/92, p. 57

Eine Anzahl ägyptischer Wissenschaftler und Archäologen hat davor gewarnt, dem Gedanken einer originalgetreuen Nachbildung der ägyptischen Altertümer zuzustimmen. Dem Kulturministerium rieten sie eindringlich, diese Idee, die der Internationale Verein der Freunde der ägyptischen Königsgräber in der Schweiz aufgebracht hatte, abzulehnen. Es gäbe keine Garantie gegen eine mögliche Vervielfältigung der Kopien und den Wertverlust der historischen und Kunstgegenstände.

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Die Meisterfälscher von Ägypten
von Elke Marold

Papyrus-Logo Nr. 10/88, pp. 35—37

Unter diesem Titel berichtete Peter Ehlebracht im Heft 2/1981 der deutschen Monatszeitschrift "art" über die traditionelle Fälscherkunst in Ägypten.
Da die Nachfrage nach echten Artefakten auf dem internationalen Antikenmarkt bis heute noch nicht abgedeckt werden kann von den Fundgruben Ägyptens, ist das Fälscherhandwerk auch noch keineswegs vom Aussterben bedroht und der erwähnte Artikel nach wie vor aktuell.

Der letzte große Münzfälscher, den Ehlebracht in seinem Dorf El-Dab'iya zwischen Luxor und Armant ausfindig gemacht hatte, war allerdings 1981 bereits achtundsiebzig Jahre alt und leider ohne Nachfolger. Auf seine "Alexandriner", "Griechen" und "Römer", wie die ptolemäischen Münzen in der Fachsprache heißen, sind schon zahlreiche gewiefte Numismatiker hereingefallen. Sein Name: Dschad Hagar. Sein Arbeitsmaterial: ein primitiver Schamotte-Ofen, abgedeckt von einer durchgebrannten Emailschüssel, eine Eisenkanne für die Metallschmelze, eine Feile, feinkörniges Sandpapier für den letzten Schliff und als Wichtigstes: Gußformen originaler Münzvorlagen aus Ton – seit Generationen bestgehütetes Familienerbstück.

Worin liegt nun der Unterschied zwischen Hagars Meisterwerken und den massenhaft auf den Markt geworfenen ptolemäischen Münzen, die jeder Fachmann schon auf den ersten Blick als Fälschung erkennt?

Die originalen Prägevorlagen machen allein noch keine perfekten Kopien. Hagar, der in die gute Schule seines Vaters gegangen ist, hat auch die alten Mischungsverhältnisse für Münzbronze im Kopf. Die richtige Kupfer-Zinn-Legierung erst garantiert Übereinstimmung in Gewicht, Färbung und Porigkeit – alles ausschlaggebende Kriterien, die Kennerblicke überzeugen. Massenfälschungen nämlich zeigen neben schlechter Detailverarbeitung jedem Sammler unter der Lupe Poren, die durch Säureätzungen künstlich erzeugt wurden.

Aber nicht nur Hagar weiß, wie die Materialanalyse extrem schwierig wird, wenn derart "antiker Werkstoff" verwendet wurde. Das "antike Material" bildet die Grundvoraussetzung einer jeden guten Fälschung, nicht nur beim Münzhandwerk.

So führte beispielsweise ein talentierter Skarabäus-Schnitzer Fachleute jahrelang an der Nase herum, die seine Werke für echte antike Grabbeigaben hielten, da er sein Material – Knochen – aus alten Katakomben bezog, auf denen er sein Haus errichtet hatte. Um seinen kleinen Kunstwerken auch die unzweifelhaft "echte" Patina zu verleihen, verfütterte er sie an Truthähne. Erst wenn sie auf natürlichem Wege den Truthahn wieder verließen, waren sie reif für den Antikenmarkt.

In einer Oase am Jussuf-Kanal sorgt Hanafi dafür, daß auch die Uschebtis – Figuren, die den Toten als Helfer im Jenseits dienen sollten – nicht ausgehen. Getreu der Überlieferung seiner Vorväter formt er seine Fayencen aus Töpferton und Quarzsand und seine Glasurmasse besteht – wie schon vor 1.000 Jahren – aus Pottasche und Sodamehl. Seine nach antiken Modellen meisterhaft kopierten Tonfigürchen brennt er auf sorgfältig übereinandergeschichteten Kamelfladen. Die bronzene Herdplatte bestreut er vorher mit Knochenmehl, damit seine kleinen Kostbarkeiten nicht anbrennen. Ist das Blech mit Uschebtis wohl gefüllt, wird es mit einer Bronzeplatte abgedeckt, auf die Hanafi wiederum sorgfältig Kamelmist schichtet. Nun wird der ganze "Mist" angesteckt. Ist das Feuer niedergebrannt, glüht der Kamelmistofen noch 28 Stunden nach, bevor die kleinen Statuetten Antikensammler erfreuen können.

Kleine antike Raritäten sind zwar transportabler, aber begehrter sind noch größere Stücke, wie Reliefs und antike Köpfe. In Qena, der Stadt für schönes Tongeschirr, lebt Hussein Khabir. Er erlernte das Töpferhandwerk auf Vaters Drehscheibe und brachte es zur wahren Meisterschaft. Seine Reproduktionen sind bereits zahlreich außerhalb Ägyptens zu finden, denn er vervollkommnete seine Geschicklichkeit nach der väterlichen Schulung auf der "Art School of Qena" und perfektionierte sein Können als Steinbildhauer und Reliefschneider. Da die einheimischen Antikenhändler seine auf "alt" getrimmten Meisterwerke zu Spottpreisen aufkauften und von ihren hohen Verdienstspannen nichts abgaben, beschloß Hussein, rationeller zu arbeiten und spezialisierte sich auf bestimmte Bildszenen aus dem Amun-Tempel in Karnak. Als Vorlage dienten ihm Fotos aus dem Bildband "Ancient Egyptian Art". Verlockend war das leicht zu bearbeitende und stets hierzulande verfügbare antike Arbeitsmaterial Sandstein. Sein Werkzeug ist nicht moderner als das seiner Kollegen aus der Zeit der Pharaonen: Vier aus altem Sägeblattstahl geformte Stichel und Schaber, ein Hammer zum Klopfen der "echt antiken" Bruchkanten und ein Schmirgelstein zum Glätten. Eine Brühe aus Erde und Wasser sorgt für das "erste Wetter" – ein Fachausdruck im Fälscherhandwerk für die notwendige Patina. Sie wird von dem porösen Sandstein aufgesaugt. Damit das Relief auch angefressen wird oder gar Salzausblühungen zeigt, bestreut er sein Kunstwerk anschließend mit Salpetergrus. Inzwischen schafft Hussein ein Relief Ramses' II. von 35 × 22 cm in sechs Stunden, d.h. zwei Platten pro Tag, wobei die Händler unter zwanzig verschiedenen Variationen aussuchen können. Die Branche diktiert auch die Schadstellen, da sie weiß, wonach ihre Käufer suchen. Es gibt immer noch genügend Leichtgläubige und Kritiklose unter ihnen, die, von ihrem Kauferfolg geblendet, die Originalreliefs an den Tempelwänden übersehen.

Wissenschaftler kann man natürlich heutzutage nicht mehr so leicht hinters Licht führen, und auch die Kuratoren haben aus den Fehlkäufen ihrer Vorgänger gelernt. Durch den Ehrgeiz der fälschenden Kunsthandwerker, die Identifizierung ihrer Kopien zu erschweren, werden sie oft zu "vollkommen" – gemessen an ihren antiken Vorbildern. "Gute Fälschungen sind oft zu ägyptisch, um echt zu sein", heißt daher eine Regel in der Fachbranche.

Ein Beispiel für solche "Überperfektionierung" bieten die Reproduktionen von Hadsch Mahmud im Asasíf. Bekannt wurde er mit seinen Echnatonköpfen, Statuen von Thutmosis' III., Mykerinos und dem Kopf der Nofrete, deren Original im Ägyptischen Museum zu finden ist. Seine Plastiken vergräbt er monatelang in einer Salpetermulde, um sie in die 4. oder 18. Dynastie zurückzuschicken. Selbst seine Anilinfarben sind dann nur noch für Fachleute erkennbar. Aber Hadsch Mahmud ist auch – leider – besser als seine altägyptischen Kollegen, die seinerzeit in den Nekropolen hämmerten. Dennoch stehen seine Reproduktionen in vielen privaten Galerien und Sammlungen, weil sie eben Meisterwerke ägyptischen Kunsthandwerks sind.

"Schlechte Fälschungen entlarven sich selbst", lautet ein weiteres Motto. Und wer dem Gerücht glaubt, daß der Ägyptenboom seit Beginn des 19. Jahrhunderts ganze Fälscherschulen im Lande entstehen ließ, der ist Behauptungen von gestolperten Kunstkäufern aufgesessen. Das Fälscherhandwerk ist seit jeher das Metier begabter Einzelgänger, die sich individuell ihre Schüler von klein auf heranziehen. Die allgemeine Souvenirproduktion überlassen sie den großen Familienverbänden.

Auch heute noch gibt es eine Handvoll genialer Fälscher, die über das ganze Land verstreut hämmern, sticheln, formen, brennen und interessierte Schüler, von sechs Jahren an aufwärts, sehen ihnen über die Schulter. Obwohl ihre Arbeitsmethoden archaisch anmuten, bedienen sie sich heutzutage durchaus der modernen Forschung und Wissenschaft. Die Publikationen über Technologien, Materialien und Alterungsprozesse sind für die Fälscherkönige Ägyptens die besten Gebrauchsanleitungen – und Konjunkturprobleme werden sie wohl auch in ferner Zukunft noch nicht haben.

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DAI-Kairo – curriculum vitae
von Iris Zerrath

Papyrus-Logo Nr. 1/90, pp. 7—10

Die erste deutsche Expedition nach Ägypten wurde 1842—45 vom preußischen König Friedrich Wilhelm IV. unter Leitung von Richard Lepsius entsandt. Danach kamen einzelne Wissenschaftler, u.a. Heinrich Brugsch, der von 1870—79 in Kairo im Auftrag des Khediven Ägyptologie lehrte. Wegen großer Reiseschwierigkeiten und der großen Entfernung zu Deutschland kam der Wunsch nach einem festen Forschungszentrum auf, wie es seit 1829 in Rom und 1874 in Athen bestand. Im November 1881 richtete der Heidelberger Ägyptologe August Eisenlohr ein Gesuch an den deutschen Kaiser Wilhelm I. Aufgabe dieses Instituts sollte die Aufnahme und Publikation von Inschriften sein, die Unterstützung der im Lande tätigen deutschen Gelehrten und die Vergabe von Stipendien.

Ludwig Borchardt trat im Oktober 1899 eine zunächst befristete Stelle als Wissenschaftlicher Attaché des Generalkonsulats Kairo unter Aufsicht der deutschen Akademien in Kairo an. Die "Kommission zur Herausgabe des Wörterbuches der ägyptischen Sprache" sollte die Vertretung der Akademien wahrnehmen. Borchardt wirkte am Unternehmen des Wörterbuchs mit und stellte gleichzeitig eigene Forschungen an, die vor allem baugeschichtlichen Problemen galten.

1902 schenkte der Khedive Abbas Helmi II. ein Grundstück auf der thebanischen Westseite, der deutsche Kaiser Wilhelm II. die finanziellen Mittel für die Errichtung des "Deutschen Hauses".

Umfangreiche Grabungen und zahlreiche Publikationen Borchardts machten die jährliche Verlängerung seiner Stelle bald selbstverständlich.

1903 wurde die Stelle eines Assistenten genehmigt. Nachdem Borchardt einen Ruf an die Universität Wien abgelehnt hatte, wurde er am 5. August 1907 zum Direktor des "Kaiserlich Deutschen Instituts für Ägyptische Alterthumskunde" ernannt. 1909 zog das Institut in ein Haus um, das Borchardt neben dem seinen gekauft hatte. Es ist heute der Sitz des "Schweizerischen Instituts für Ägyptische Bauforschung und Altertumskunde" in der Sharia el-Shaer Aziz Abaza Nr.11. Das Institut blieb auch in der neu geschaffenen Form dem Auswärtigen Amt unterstellt. Die wissenschaftliche Tätigkeit erfolgte in Abstimmung mit den deutschen Akademien.

Der 1. Weltkrieg unterbrach die Arbeit des Instituts für mehr als neun Jahre. 1923 genehmigten die englischen Behörden seine Wiedereröffnung, 1927 wurde das Deutsche Haus in Theben, das 1915 abgebrochen worden war, wiederaufgebaut. Da für Expeditionen aus Deutschland das Geld fehlte, bekamen einzelne Wissenschaftler vom Institut Unterstützung. Das Kairiner-Institut wurde 1929 mit dem Deutschen Archäologischen Institut vereinigt, die Nachfolge Borchardts trat Hermann Junker an. Als Aufgabe des Instituts betrachtete man nun die "Pflege aller Kulturen, deren Spuren in den Denkmälern Ägyptens vorhanden sind".

Da zu diesem Zeitpunkt größere Finanzmittel vorhanden waren, konnten weitere Wissenschaftler am Institut beschäftigt werden, ferner wurde die Stelle eines Rechnungsangestellten geschaffen. 1931 mietete man ein neues Gebäude in der Sharia el-Kamel Mohamed Nr. 5 an. Wie die anderen Abteilungen des Gesamtinstituts brachte nun auch das Kairiner Institut eine eigene Zeitschrift heraus. 1933 begannen die Vorbereitungen für die Herausgabe deutscher Führer durch die wichtigsten Denkmälerstätten Ägyptens und durch das Museum in Kairo.

Nach dem 2. Weltkrieg mußte das Institut völlig neu gegründet werden, da der Besitz entweder verlorengegangen oder einer neuen Verwendung zugeführt worden war.

1955 wurde Hanns Stock zum Kommissarischen Direktor auf ein Jahr gewählt, nachdem er in Zamalek für die Neugründung des Instituts ein Gebäude angemietet hatte. Am 17. November 1957 erfolgte die offizielle Eröffnung. Stock war einige Monate zuvor zum neuen Direktor gewählt worden.

Im Januar 1958 kaufte man das bisher gemietete Haus in der Sharia Abu el-Feda Nr. 31 und versah es 1959 mit einem neuen Stockwerk.
Die Rückgabe des Deutschen Hauses in Theben konnte 1958 erreicht werden.

Bis 1961 wurden fünf feste Stellen für Wissenschaftler eingerichtet. Neben der Ägyptologie waren nun auch die klassische Archäologie, Koptologie, Islamwissenschaft, Afrikanische Ethnologie und Bauforschung, z.T. im Wechsel, vertreten.

Trotz des Abbruchs der politischen Beziehungen zwischen Kairo und Bonn im Mai 1965 konnte die Arbeit des Instituts ungehindert weitergehen. Nach dem tödlichen Verkehrsunfall von Hanns Stock wurde Werner Kaiser 1967 als Nachfolger von der Zentraldirektion des DAI gewählt.

Die Arbeit des Instituts unterlag seit dem Junikrieg von 1967 bis zum Frühjahr 1975 starken Beschränkungen. Allerdings brauchte nur die Grabung in Abu Mena völlig eingestellt zu werden, die Arbeiten z.B. in Elephantine (seit 1969) konnten weitergeführt werden, ebenso die Bearbeitung einzelner Grabanlagen in Theben und Sakkara und vieles mehr. Das Institut beteiligte sich seit 1972 an der Restaurierung und Sanierung der islamischen Altstadt Kairos. Nachdem die Reisebeschränkungen 1975 aufgehoben worden waren, konnten die Arbeiten in Abu Mena wieder aufgenommen werden. Seit 1977 setzte das Institut zwei neue Schwerpunkte: 1. Die Entwicklung des ägyptischen Königsgrabes und 2. die Erforschung der ägyptischen Vorgeschichte.

Im Januar 1989 wurde Rainer Stadelmann Nachfolger von Werner Kaiser.

Quelle:
    • Werner Kaiser, 75 Jahre Deutsches Archäologisches Institut Kairo, 1907—1982, Mainz 1982.

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Aus der Arbeit eines Archäologen:
Interview mit Dr. K.-P.Kuhlmann, DAI-Kairo

von Iris Zerrath

Papyrus-Logo Nr. 1/90, pp. 11—22

PAPYRUS: Mit welchen Methoden kann man heute vom Sand zugedeckte archäologische Stätten auffinden?
Dr. Kuhlmann: Prinzipiell wird man in der Nilebene unter jedem Hügel – "tell" oder "kôm" – stets eine antike Stätte vermuten dürfen. Zusätzlich werden solche Plätze durch an der Oberfläche zutage tretende archäologische Überreste – Architektur oder Keramik – gekennzeichnet sein. Wo dicke Sandschichten alle derartigen Spuren zudecken, kann man – ohne den sprichwörtlichen Spaten des Archäologen anzusetzen (in Ägypten ist dies der "fas", die landestypische Feldhacke des Bauern) – z.B. mit elektro-magnetischen Prospektionsverfahren gute Resultate erzielen. Günstigstenfalls kann mit Hilfe der computerisierten Auswertung der aufgezeichneten Daten eine Art Grundriß von dem gewonnen werden, was unter der Erde liegt. Unsere tschechischen Kollegen haben ein solches Verfahren mit gutem Erfolg in der Nähe von Sakkara angewendet. Vereinfacht ausgedrückt: das Echo, das von den verschiedenen von elektro-magnetischen Wellen durchdrungenen Materialien reflektiert wird, zeigt jeweils andere Charakteristiken. Für Sand gibt es zum Beispiel ein bestimmtes Echo. Laufen die Wellen durch andere Medien, kommt auch ein anderes Echo zurück: eine für Sand ungewöhnliche "Anomalie" zeichnet sich ab. Hier kann man metergenau mit der Grabung ansetzen, ohne vielleicht lange und ineffektiv Suchschnitte anlegen zu müssen. Allerdings ist dazu ein erheblicher technischer Aufwand vonnöten, insbesondere bei der Auswertung, so daß derlei Verfahren in der Regel nur in Kooperation mit naturwissenschaftlichen Institutionen im Ausland angewendet werden können.
PAPYRUS: Funktioniert dieses Verfahren auch bei Nilschlamm-Ziegeln im Boden?
Dr. Kuhlmann: Ja, selbstverständlich. Wenn Sie es am Wüstenrand hauptsächlich mit Sand zu tun haben, in oder unter dem sich Fremdmaterialien verbergen, ist dies eine erfolgversprechende Prospektionsmethode. Von Alluvialboden, sprich Nilschlamm, heben sich Nilschlamm-Ziegel natürlich denkbar schlecht ab.
PAPYRUS: Welche Methoden haben Sie außer diesem Verfahren?
Dr. Kuhlmann: Es gibt ein in Europa und feuchteren Klimazonen sehr häufig eingesetztes Verfahren: die Luftprospektion, das Luftbildverfahren. Dazu befliegt man zu verschiedenen Jahres- und Tageszeiten ein archäologisch "verdächtiges" Gebiet, macht photographische Aufnahmen und wird dann vielleicht feststellen können, daß sich der Pflanzenwuchs dort, wo unter der Ackerkrume Stein- oder Ziegelmauern verborgen liegen, anders entwickelt hat als in ihrer Umgebung. Wo die Mauern einer römischen Villa, um ein Beispiel zu nennen, den Pflanzen weniger Substanz und Nährstoffe zur Verfügung stellen, wird ein geringeres Wachstum den Grundriß dieses Gebäudes aus der Umgebung hervortreten lassen. Dieses Verfahren ist unter bestimmten Voraussetzungen natürlich auch im Niltal sowie in der Wüste einsetzbar, doch ist die Anwendung für Ausländer praktisch nicht möglich, da die ägyptischen Behörden, insbesondere militärische Stellen, dagegen erhebliche Sicherheitsbedenken geltend machen. Zwar bedauerlich, aber auch nicht unverständlich, denn schließlich ist ja gerade ihre Aufgabe darüber zu wachen, daß dem Land durch diese Art der "Luftaufklärung" kein Schaden entstehen kann.
PAPYRUS: Wie ist es in Dashur? Das Gebiet ist für die Öffentlichkeit noch immer nicht zugänglich.
Dr. Kuhlmann: Das archäologisch hochinteressante Gebiet von Dashur ist unglücklicherweise für Zivilisten verbotenes militärisches Sperrgebiet. Es ist neben dem Plateau von Giza sowie Sakkara ein Kerngebiet für die Erforschung der ägyptischen Pyramiden, dem sich unser Institut in neuerer Zeit schwerpunktmäßig widmet. Eines der Ziele ist hierbei die Untersuchung der großen, archäologisch bisher kaum erforschten "roten" Pyramide des Königs Snofru. Auch die Ausgräber selbst stoßen immer wieder auf Schwierigkeiten, sich ungehindert auf diesem archäologischen Gelände bewegen zu können. Zwar haben sich die Militärs letztenendes immer wieder kooperativ gezeigt, aber in den Führungsstellen wechseln eben häufiger die zuständigen Kommandeure, und das bedeutet in der Regel, daß man sich erst wieder erneut einführen, seine Ziele erklären und die Herren davon überzeugen muß, daß man in "ihrem" Gebiet völlig unmilitärischen Fragen nachgeht. Manchmal nicht ganz einfach bei Leuten, bei denen ein historisches Interesse, wenn überhaupt, am ehesten noch für militärische Dinge besteht.
PAPYRUS: Welches Ziel verfolgen Sie bei Ihren Grabungen, z.B. auf Elephantine?
Dr. Kuhlmann: Bei diesem großen archäologischen Unternehmen, das seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten auf der Insel Elephantine läuft, steht die Erforschung der an der Südspitze gelegenen Stadt in ihrer Gesamtheit im Vordergrund des archäologischen Interesses. Hier haben wir einmal eine ägyptische Siedlung, die aufgrund ihrer geschützten Lage nicht alljährlich durch die Nilüberschwemmung angegriffen worden ist und durch den Zerfall von Wällen und Dämmen in der Nachantike den Fluten schutzlos preisgegeben war. Sie hat daher von der Frühzeit bis in die spätesten Besiedlungsphasen der koptischen Zeit hinein Schicht um Schicht in bis zu 12 m hohem Kulturschutt bewahrt. Stadtforschung ist hier das Schlagwort, bei der es in erster Linie darum geht, mehr über das alltägliche Leben der alten Ägypter in Erfahrung zu bringen, als uns dies aus Urkunden oder den Darstellungen in den Gräbern möglich ist. Als weiteres Ziel ist die Untersuchung der teilweise uralten Tempel- und Kultanlagen der Stadt zu nennen, sowie deren Restaurierung und Wiederaufbau. Es kommt uns ja heutzutage nicht mehr in erster Linie darauf an, möglichst rasch zu einem wie auch immer gearteten "Grabschatz" vorzudringen. – Elephantine beispielsweise, war lange Zeit nur wegen der dort zu findenden Papyri "interessant". Moderne Ausgräber verstehen sich im weitesten Sinne als Historiker, ihnen geht es darum, möglichst akribisch jede kleinste Ereignisfolge im "Leben" eines Fundplatzes aufzuspüren, zeitlich einzuordnen und die Ursachen für jede feststellbare Veränderung zu begreifen. Nicht nur den Fund an sich, sondern den Befund, den systematisch erfaßten und peinlichst genau dokumentierten archäologischen Gesamtkomplex gilt es zu sichern. Vergessen Sie nicht: Archäologie ist in gewissem Sinne die Wissenschaft der kontrollierten Zerstörung, denn um an älteres Informationsmaterial heranzukommen, muß Darüberliegendes, Jüngeres notwendigerweise abgeräumt, sprich zerstört werden. Das unbedarfte Suchen nach und Entfernen von Objekten aus ihrem Kontext macht einen Platz als archäologische Informationsquelle in mancherlei Hinsicht weitgehend wertlos. Dies gilt für den großen Ruinenhügel ebenso wie für den prähistorischen Steinplatz mit seinen für das Laienauge scheinbar wie zufällig und in unerschöpflicher Menge herumliegenden Materialien, die so gerne Objekt der Sammelleidenschaft mancher unserer "Hobby-Archäologen" sind.
PAPYRUS: In welchem Umfang sind die Ägypter archäologisch tätig?
Dr. Kuhlmann: Unsere ägyptischen Kollegen sind naturgemäß nahezu überall in ihrem Lande aktiv, nicht zuletzt auf dem sehr wichtigen Sektor der Konservierung und Restaurierung. Letzteres ist das große Sorgenkind der ägyptischen Altertümerverwaltung und aller in Ägypten tätigen Archäologen. Die Altertümerverwaltung – Egyptian Antiquities Organization – hat sehr viel für die Erhaltung vor allem der besonders gefährdeten touristischen Plätze getan. Auch internationale Experten wurden zu Rate gezogen, um z.B. der Zerstörung der Gräber ein Ende zu bereiten, wo sich tagtäglich leider immer noch tausende von naßgeschwitzten Touristenkörpern gegen die Wandbemalung lehnen oder Führerfinger seit Generationen gedankenlos immer wieder denselben delikaten Reliefkonturen entlang weisen. Auch die Ausgrabungstätigkeit von ägyptischer Seite hat in den letzten Jahren proportional zu den steigenden Einkünften aus dem Tourismus sehr an Umfang zugenommen und wissenschaftlich vielfach hochinteressante Ergebnisse erbracht. Was wir Ausländer besonders vermissen, ist eine unserer eigenen Berichtspflicht entsprechende "Transparenz" des Geschehens, so daß sich der Fachmann über ägyptische Unternehmungen besser informieren kann. Dafür existiert bisher kein Forum. Man erfährt in der Regel leider nicht regelmäßig, was z.B. die lokalen Inspektorate im Delta oder in einer anderen Ecke Ägyptens an Ausgrabungen unternehmen und welche Ergebnisse sie dabei erzielt haben. Die Ursachen hierfür liegen wohl nicht zuletzt in mangelnden Sprachkenntnissen auf beiden Seiten.
PAPYRUS: Ist bei den Ägyptern die Tendenz zu beobachten, Ausgrabungen lieber selbst in die Hand zu nehmen, statt sie Ausländern zu überlassen?
Dr. Kuhlmann: Zunächst einmal: "Überlassen" wird uns auf Ausgrabungen nichts. Jede ausländische Mission schließt einen förmlichen Vertrag mit der Antikenverwaltung ab, bekommt einen offiziellen ägyptischen Inspektor zugewiesen und auch die Funde verbleiben natürlich Eigentum des ägyptischen Staates. Aber Ihre Frage zielt vielleicht auf etwas anderes ab. Wenn wir unsere Situation in Ägypten mit der anderer Abteilungen des DAI im Ausland vergleichen, so können wir feststellen, daß anderswo oft nur in weit begrenztem Umfang archäologisch gearbeitet werden darf. Wir hingegen sind noch in der Lage, dank der Großzügigkeit und dem Kooperationswillen der Altertümerverwaltung das Allermeiste von dem durchzuführen, was wir angesichts des gewaltigen, den Einsatz aller verfügbarer Kräfte fordernden Umfangs, aber auch der Problematik der archäologischen Arbeit in Ägypten für wissenschaftlich dringlich oder von besonderem Interesse halten. Obschon es bei echter wissenschaftlicher Gesinnung ja stets ohne Rücksicht auf Herkunft und Geschlecht um ein einziges gemeinsames Ziel – die optimale Wissensbereicherung – gehen sollte und bedeutende, die Zivilisation nachhaltig prägende Kulturen anerkanntermaßen ein supranationales Erbe der gesamten Menschheit darstellen, ist diese Großzügigkeit, mit der wir Ausländer als Kollegen hier behandelt werden, nichts Selbstverständliches. In anderen Ländern rückt das Nationale in der Wissenschaft bedauerlicherweise weit stärker in den Vordergrund als in Ägypten.
PAPYRUS: Welches sind die Hauptursachen für den Verfall alter Steindenkmäler, und was kann dagegen unternommen werden?
Dr. Kuhlmann: Eine höchst komplexe Frage, auf die hier nur schlaglichtartig eingegangen werden kann. Es wurde und wird ungeheuer viel ausgegraben, ohne daß wir heute über die Technologie verfügten, diese archäologische "Masse" auch in jeder Hinsicht adäquat zu konservieren. Es geht ja häufig genug durch die Presse: "die Sphinx zerfällt", und sie ist tatsächlich ernsthaft vom Zerfall bedroht. Nun sollte man eigentlich annehmen, daß die Naturwissenschaftler im Verein mit den Restauratoren geeignete Verfahren bereithielten, um ein derartiges, im Vergleich zu ägyptischen Tempeln oder der Masse der Gräber, doch relativ "kleines" Problem in den Griff zu bekommen. Doch leider gibt es kein Patentrezept für die Steinkonservierung, die trotz aller Forschungsanstrengungen immer noch ein äußerst problematisches Gebiet darstellt. Im Gestein, in besonderem Maße gerade auch im Sand- und Kalkstein, aus dem die meisten altägyptischen Monumente bestehen, ist Meeressalz gebunden. Dies ist das Eine. Von den Klimaveränderungen auf der nördlichen Halbkugel der Welt ist auch Ägypten betroffen, wo sich die Wettersituation im Verlauf der letzten Jahrzehnte in immer auffälligerer und dramatischerer Form wandelt. Es ist deutlich feuchter geworden, und dies trifft auch für Oberägypten zu, wo es – statt aller 60—100 Jahre – nun schon einmal häufiger abregnet. Das ist der zweite Punkt, an dem wir nichts ändern können. Durch einen natürlichen hygroskopischen Prozeß zieht die Luftfeuchtigkeit die im Stein gebundenen Salze nach außen. Verstärkt wird dieser Vorgang durch die Millionen von Touristen, deren Schweiß und Atem insbesondere in Gräbern eine Art "mikroklimatischen" Treibhauseffekt erzeugen. Die Salze blühen an der Gesteinsoberfläche aus, greifen dort vielleicht "nur" Bemalungsreste an, zerstören längerfristig gesehen aber auch die Steinstruktur. Wenn ich mir an dieser Stelle einmal etwas persönlichen Pessimismus erlauben darf: unsere Generation ist vielleicht die letzte, die die Hinterlassenschaft des alten Ägypten noch in dem Glanz erleben darf, der es für alle Welt so bewundernswert macht.
Überlegt man sich nun, Gestein vielleicht mit Konservierungsstoffen zu verdichten, so wird es dazu kommen, daß die Salze auf ihrer Wanderung durch die Kapillaren bis an die Grenze vorstoßen, bis zu der das Konservierungsmittel eingedrungen ist. Es kann dann unter Umständen passieren, daß die konservatorische Maßnahme sich wie eine latent wirkende Sprengbombe genau in ihr Gegenteil verkehrt: das Salz droht die konservierte Schicht möglicherweise abzusprengen. Um das Salzproblem in den Griff zu bekommen, können im musealen Bereich natürlich verschiedene erfolgreiche Gegenmaßnahmen getroffen werden. Man kann die Salze z.B. durch Wässern eines Objekts an die Oberfläche ziehen und so auswaschen. Bei Gräbern und Tempeln aber ist dies natürlich keine praktikable Lösung. Ähnliches gilt für die Millionen von Kubikmeter Ziegelmauern, die auf Grabungen zutage gefördert wurden oder seit jeher offen dastehen. Wie soll man da in einem vernünftigen Kosten-Nutzen-Verhältnis konservatorisch eingreifen? Viele Missionen sind dazu übergegangen, das ausgegrabene Ziegelmauerwerk nach erfolgter Dokumentation wieder zu zuschütten und so der Zerstörung durch Erosion oder auch Menschenhand zu entziehen. Eine konservatorisch wie touristisch akzeptable Variante haben wir in Gurna am Tempel Sethos' I. praktiziert. Das antike Gemäuer wurde mit einer Lage neuer Lehmziegel umkleidet und, wo nötig, etwa kniehoch aufgemauert. Dies hat den Vorteil, daß sich der Besucher leichter vorstellen kann, wie alles einmal ausgesehen hat, und zugleich der Originalbefund im Bedarfsfall rasch wieder zugänglich ist.
PAPYRUS: Können die Monumente auch durch den ansteigenden Grundwasserspiegel zerstört werden?
Dr. Kuhlmann: Leider ja. Daß wir in Ägypten ein Steigen des Grundwasserspiegels beobachten können, ist eine Folge der Regulierung der Nilflut – populär ausgedruckt: der Assuan-Staudamm ist mal wieder an allem schuld. Im Prinzip liegt dasselbe Problem wie bei den Salzen im Gestein vor. Auch im Boden wandert das dort gelöste Salz durch die Kapillaren an die Oberfläche. Dieses physikalische Phänomen und die in Zusammenhang damit stehende Versalzung wurde früher dadurch in Grenzen gehalten, daß das Erdreich während der Überschwemmungsjahreszeit monatelang mit Wasser vollgesaugt war und das an die Oberfläche gelangte Salz von den Fluten fortgespült wurde. Auch bei dem in anstehendes Steingemäuer aufsteigenden Grundwasser ist also das aggressive Salz wieder der zusätzliche Problemfaktor. Unsere französischen Kollegen haben hier eine erfolgreich praktizierte Methode entwickelt, mit der sich unter Einsatz relativ einfacher Mittel das Wasser in ein Drainagebett einleiten läßt, wo es dann ohne Schaden anzurichten verdunsten kann. Der Prozeß steigenden Grundwassers und drohender Versalzung spielt sich überall in Ägypten ab. Schon im Altertum war es beispielsweise auch in den Oasen so, daß durch fehlende Drainage das mehr oder minder stark saline Quellwasser nicht ablaufen konnte, verdunstete und so versalzene, für die Landwirtschaft dann ungeeignete Böden zurückließ. Der berühmte Tempel von Hibis in Charga leidet heute sehr stark unter dem Problem der Infiltration salzhaltigen Wassers in sein Mauerwerk, so daß man ernsthaft über eine Versetzung des Gebäudes nachdenken muß.
PAPYRUS: Ist es möglich, eine archäologische Grabungsstelle zu entwässern?
Dr. Kuhlmann: Es gibt einige Gebiete in Ägypten, die der Grabungstätigkeit besondere Schwierigkeiten entgegenstellen, dazu gehören in erster Linie Partien des Delta mit besonders hohem Grundwasserspiegel. Es ist ein sehr erheblicher technologischer, wartungsmäßiger und natürlich auch finanzieller Aufwand vonnöten, um etwa ein Planquadrat von 5 × 5 m in einigen Metern Tiefe so zu entwässern, daß man darin sinnvoll archäologisch arbeiten kann. Ausgrabungen unseres Instituts in Buto haben dies deutlich werden lassen. Dergleichen planmäßig auf größeren Flächen und als konservatorische Maßnahme durchzuführen, ist augenblicklich noch unvorstellbar.
PAPYRUS: Wie ist es um die finanziellen Möglichkeiten des DAI bestellt? Woher kommen die Geldmittel?
Dr. Kuhlmann: Die Abteilung Kairo ist nur eine von einem runden Dutzend ähnlicher Institute, die von Persien und dem Jemen bis hin nach Portugal archäologische Forschungen jeglicher Art betreiben und von einer Zentrale in Berlin verwaltet werden. Schon früh wurden die Institute in Rom und Athen gegründet, 1929 an vierter Stelle dann die Abteilung Kairo. Als Gesamtinstitut sind wir dem Auswärtigen Amt angegliedert und erhalten unsere Finanzmittel wie jede andere Bundesbehörde vom Bundestag und der Bundesregierung zugestanden. Die bewilligten Haushaltsmittel können freilich nicht im vollen Umfang abdecken, was die archäologische Aufgabenstellung dann im einzelnen fordert. Und Graben ist auch in Ägypten heutzutage kein billiges Unterfangen mehr; die Stundenlöhne der Arbeiter können sich im nationalen Rahmen durchaus sehen lassen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, DFG, ist immer ein großer, verständnisvoller Förderer archäologischer Unternehmungen gewesen, und auch verschiedenen Stiftungen verdanken wir sehr viel. Stellvertretend für manch andere Institution sei etwa die Stiftung Volkswagenwerk genannt. Da wir prinzipiell jedoch vom Staat finanziert werden, sind wir Deutschen in der beneidenswerten Lage, langfristige Unternehmungen planen und auch durchführen zu können. Die Missionen anderer Länder sind da oftmals nicht so gut dran. Vielfach müssen sie sich ihre Mittel zum größten Teil aus privater Hand beschaffen, und es kann durchaus sein, daß mit viel Mühe und evtl. sogar schönem Erfolg in Gang gebrachte Unternehmungen ausfallen müssen oder nicht zu Ende geführt werden können, weil die Geldmittel fehlen. Für eine Wissenschaft wie die Archäologie, bei der der Stand der Forschung nicht zuletzt aufgrund immer ausgefeilterer, mehr Zeit in Anspruch nehmender Methoden keine raschen Sprünge macht und erst dann einigermaßen gesicherte Aussagen möglich sind, wenn auch das letzte Mosaiksteinchen aus einem naturgemäß dennoch immer lückenhaften Bild aufgefunden wurde, ist dies gewiß keine sehr günstige Ausgangslage.
PAPYRUS: Haben Sie qualifizierte einheimische Arbeiter?
Dr. Kuhlmann: Ja, und dies ist einmal mehr das Verdienst des berühmten englischen Ausgräbers Sir Flinders Petrie. Petrie hat die Grabungstätigkeit in Ägypten aufgrund seiner viele Jahrzehnte langen Arbeit hier in mancherlei Hinsicht erst auf eine wissenschaftliche Basis gestellt. Bei seinen Ausgrabungen hat er auch immer denselben Stamm von Arbeitern beschäftigt, die aus dem oberägyptischen Dorf Kuft stammen. Eine Folge davon war, daß die Bewohner dieses Dorfes ihren Lebensunterhalt im wesentlichen davon bestritten, als qualifizierte Grabungsarbeiter bei ausländischen Missionen tätig zu sein, wobei der Beruf des Vaters auf den Sohn übergeht. Dies sind Leute, die auch unter archäologisch nicht ganz einfachen Verhältnissen – denken Sie etwa an Ziegelstrukturen in praktisch gleichartigem Nilschlammboden – Befunde behutsam freilegen und nichts unbedacht zerstören. Fast jede längerfristig in Ägypten tätige Mission hat ihren Stamm von "Kuftis", die z.T. ganzjährig durchbezahlt werden und Versorgungsrechte genießen. Es handelt sich dabei in aller Regel um Facharbeiter sowie deren Vormann, den "Rais". Die Kuftis selbst werden dann in kleineren Gruppen über das Grabungsareal verteilt und sind als Vorarbeiter von lokal angeheuerten Hilfskräften tätig, während der "Rais" die oft viel Kraft kostende Verantwortung für alle sowie dafür trägt, daß die Grabung zügig voranschreitet. Wir haben in Theben-West, in Gurna, langfristig umfangreiche Arbeiten geleistet und uns dabei auch einen Kreis von qualifizierten "Gurnawis" herangezogen, die neben den Kuftis als Vorarbeiter auf unseren Grabungen tätig sind.
PAPYRUS: Ist es schon öfter vorgekommen, daß Flächen, die man ausgraben wollte, besiedelt sind? Was passiert in einem solchen Fall?
Dr. Kuhlmann: Dies kommt vor, und man gerät dann möglicherweise in eine recht unangenehme Situation zwischen zwei Fronten. Es existiert in Ägypten ein Antikengesetz, mit dem sich jeder Ausgräber per Kontrakt konfrontiert sieht und das er selbstverständlich peinlichst genau einzuhalten trachtet. Und natürlich gibt es auch für die einheimische Bevölkerung Vorschriften etwa die, die gewisse Gebiete gesetzlich als Antikengelände ausweisen, auf dem theoretisch dann nicht gesiedelt und kein Ackerbau betrieben werden darf. Nun ja... Es kann schon passieren, daß man in Antikengelände graben will, und sich dort Wohnhäuser befinden. Gesetzlich ist es der Altertümerverwaltung möglich, auf Räumung zu klagen; ob das Verfahren jedoch innerhalb eines akzeptablen Zeitraums entschieden wird, ist bei den sprichwörtlich langsammahlenden Mühlen der Rechtsfindung zumindest fraglich. Pragmatischer wäre es in einem solchen Fall sicherlich, einen außergerichtlichen Vergleich mit den Leuten zu suchen oder mit hinreichender Gewißheit festzustellen, ob und in wieweit die bebaute Fläche archäologisch überhaupt von Interesse ist und sich vielleicht in friedlichem Nebeneinander koexistieren läßt. Immerhin sind und bleiben wir Gäste in diesem Land – and when in Rome, do as the Romans do.
PAPYRUS: Wie reagiert die Landbevölkerung auf Ausgrabungen?
Dr. Kuhlmann: Der Grundtenor der Stimmung ist in der Regel freundliche Duldung. In den seltensten Fällen stoßen wir auf offene Ablehnung oder Fremdenfeindlichkeit. Man "weiß" hier im Lande natürlich seit langem, daß es immer wieder auch verrückte Europäer gibt, die – zumeist vergebens, maalesh – im Dreck nach "Goldschätzen" wühlen. Das nutzlose Unterfangen wird nach Kräften unterstützt: kaum ist die Mission vor Ort, steht auch schon ein (dem Ausgräber sehr gelegen kommendes) Aufgebot an lokalen Hilfsarbeitern ("Körbchenträger") parat, um die Gunst der Stunde finanziell zu nutzen. Worum es bei einer Grabung wirklich geht, verstehen wohl die wenigsten. Die überwiegende Mehrheit der Leute kann sich auch heute noch nur ganz naiv vorstellen, daß halt auch die Ausländer nach alter Vätersitte Gold und Schätzen nachjagen – und sich dann in der Regel "nur" mit einem Haufen Scherben oder behauenen und beschriebenen Steinen, etc. zufrieden geben müssen. Aber die scheinen erstaunlicherweise ja auch wertvoll zu sein und lassen sich, falsch oder echt, bei den Touristen gegen klingende Münze an den Mann bzw. die Frau bringen. Was Wunder? Man braucht sich nur in den mittelalterlichen arabischen Berichten über Ägypten umzuschauen, um festzustellen, daß die geheimnisvollen Hieroglyphen und Darstellungen als talismanische Zauberbilder galten, deren Entschlüsselung verrät, wo die "Faraina" ihre Reichtümer verborgen haben. Dem einfachen Mann sind Tempel und Gräber eben seit Menschengedenken nur als Objekte der Plünderung, als Schätzhöhlen vertraut, und viele träumen insgeheim wohl immer noch von dem großen Finderglück, das ihnen wie Ali Baba und den 40 Räubern unermeßliche Reichtümer bescheren wird. Unsere Vorarbeiter sind, was diese Wundergaben anbelangt, "gespaltene Persönlichkeiten". Einerseits sind und bleiben sie typische Landeskinder, die auch an durch die Lüfte fliegende Scheichs und andere haarsträubende Geschichten glauben. Andererseits sind sie aber auch grundehrliche archäologische Profis, die durchaus zu realisieren vermögen, woran man als Ausgräber tatsächlich interessiert ist. Die überwiegende Mehrheit der Landbevölkerung aber kann sich kaum vorstellen, daß man sich in bitterer Kälte oder glühender Hitze irgendwo im Staub abrackern würde, nur um so etwas Abstraktes wie Wissen zu sammeln. Freilich: das "Indiana Jones"-Image vom schatzsuchenden Archäologen wird ja auch in angeblich "aufgeklärteren" Ecken dieser Welt nach wie vor in immer neuer Auflage liebevoll gepflegt.
PAPYRUS: Wie sieht die Tätigkeit eines Archäologen aus?
Dr. Kuhlmann: Ein Grabungsalltag sieht vielleicht so aus: kurz nach 5 Uhr aufstehen, 5.30—6 Uhr Frühstück, dann bis zum Feierabend das Gros der unqualifizierten Arbeiter (Körbchenträger, etc.) gegen 14 Uhr draußen am Grabungsplatz: Anweisungen geben; zeichnen, vermessen und sich Notizen machen. Dann, nach einem in den wenigsten Fällen dem aus Kairo gewohnten Standard entsprechenden Mittagsmahl, beginnt die "eigentliche" Arbeit, "Feinarbeit", oftmals wieder draußen "im Schnitt". In der Regel müssen bis lange in die Nachtstunden hinein Pläne und Funde gezeichnet, Grabungstagebücher geschrieben sowie ein Verständnis des Befundes vom Tage erarbeitet werden. Daneben hat man jede Art vor- und unvorstellbaren Verwaltungskram (in- und ausländischer Provenienz) zu bewältigen. Man ist vielleicht Krankenschwester und Psychologe zugleich, wenn etwa der Skorpion zustach oder die Hacke ins Bein fuhr, bzw. zu langes und zu enges "Aufeinandersitzen" den gefürchteten "Grabungskoller" unter der Mannschaft provoziert. So geht das an manchen Plätzen bis zu fünf Monate lang. Zum anderen Teil besteht unsere Tätigkeit aber auch aus umfangreicher Schreibtischarbeit, die ohne Hilfe einer großen Fachbibliothek nicht zu bewältigen ist. Nach Abschluß der Feldarbeiten müssen in Kairo Berichte erstellt, Aufsätze verfaßt und vollständige Grabungspublikationen zur Veröffentlichung vorbereitet werden. Publikations- und Vortragstermine halten einen auf Trab, bis die Grabungssaison wieder beginnt. Das "Fett", daß man möglicherweise hinter dem Schreibtisch angesetzt hat, ist dann schnell wieder verbrannt. Nicht überall haben wir wie z.B. in Luxor (el-Gurna) oder auf Elephantine gegenüber Assuan ein richtiges Expeditionshaus mit (zumeist) funktionierenden sanitären Anlagen und eine Wasserpumpe. Oft hausen wir vor Ort in lokalen Quartieren, im Zelt oder wie weiland die christlichen Eremiten gar in leeren Grabhöhlen unter teilweise primitivsten Bedingungen. Das zehrt und ist für den Archäologen ganz und gar nicht romantisch. In der Regel schluckt man sehr viel Staub und ist wegen oftmals unvollkommener hygienischer Bedingungen natürlich auch gesundheitlich relativ exponiert. Es gibt kaum einen Kollegen im Haus, der z.B. nicht schon eine schwere Hepatitis hinter sich gebracht hätte.
Das DAI-Kairo ist ein reines Forschungsinstitut. Wir sehen neben dem Ausgraben und Publizieren unserer Ergebnisse für die Fachwelt sowie dem Restaurieren und Konservieren von Denkmälern unsere Aufgäbe aber durchaus auch darin, die antike Welt einer breiteren Öffentlichkeit zugänglicher zu machen. Wir versuchen also auch "allgemeinverständlich" an Gebiete von besonderem öffentlichen Interesse heranzuführen, indem wir beispielsweise Führer zu bestimmten Grabungsplätzen – zu nennen sind da Memphis, Sakkara und die Menas-Stadt – oder etwa dem ägyptischen Museum publiziert haben. Gelegentlich wird gefragt, warum wir nicht mehr "Öffentlichkeitsarbeit" betreiben. Also "öffentlich" gestanden: Was heißt das? Meiner Privatmeinung nach ist es ja vielleicht nur natürlich, daß man sein eigenes Berufsleben für interessant und dies oder jenes daraus im Rahmen eines Vortrags vor einem gemischten Kreis Interessierter auch für mitteilenswert hält, ohne daß dabei der "Hintergedanke" des "fund raisings", wie bei "lectures" vielfach gang und gäbe, eine ständige Rolle spielen oder gar eine hauptamtlich als "public relations"-Manager tätige Person zur "Öffentlichkeitsarbeit" eingesetzt werden muß. Im allgemeinen sind aber doch die Probleme, mit denen man wissenschaftlich befaßt ist, sicherlich zu speziell oder auch zu wenig "fesselnd" für die sogenannte Öffentlichkeit und lassen sich schriftlich sehr viel eingehender darlegen bzw. studieren. Wer aus der "Öffentlichkeit" willens ist, außer für einen unterhaltsamen DAI-Abend tieferes Interesse für die alte Kultur unseres Gastlandes aufzubringen, dem steht jeder von uns ohne Frage stets gerne zum persönlichen Gespräch und mit weiterführender Literatur zur Verfügung.
PAPYRUS: Haben Sie eine festen Plan, nach dem Sie bei den Grabungen vorgehen?
Dr. Kuhlmann: Im allgemeinen hat der Ausgräber natürlich eine einigermaßen fest umrissene Vorstellung, wo er was finden könnte. Zeichnen sich im Gelände Baustrukturen ab, legt man für gewöhnlich einen Suchschnitt über die interessante Fläche. Wurde man fündig, wird das Grabungsareal in Planquadrate einer je nach Objekt vernünftig erscheinenden Größe aufgeteilt und innerhalb dieser Quadrate das Erdreich schichtenweise abgetragen. Man muß nicht immer aneinanderstoßende Quadrate hintereinander weg bearbeiten, sondern kann auch, um z.B. den Verlauf einer Mauer zu verfolgen, ein weiter entfernt liegendes Quadrat ausgraben, um nachzuprüfen, ob man diese Struktur dort wiederfindet. So läßt sich schneller ein planmäßiger Überblick gewinnen. Schichtenweise wird deshalb gearbeitet, da sich üblicherweise verschiedene Kulturhorizonte abzeichnen, die einer bestimmten Zeitphase entsprechen. Zur absoluten Datierung dieser Phasen kann oft nur die Keramik als charakteristisches "Leitfossil" für eine bestimmte Periode herangezogen werden. Im Idealfall von dem wir in Ägypten aber leider noch recht weit entfernt sind, kann der Archäologe bestimmte Keramiktypen bis aufs Jahrzehnt genau datieren. Um einen bestimmten, urkundlich aus Quellen bekannten Siedlungsplatz zu finden, wird man sich im fraglichen Gelände zunächst einmal nach den charakteristischen "kôms" oder "tells" – auffälligen Erhebungen über die Alluvialebene des Niltals – umschauen. Nicht selten sind sie bis heute noch besiedelt. Da wir leider nicht über altägyptische Landkarten verfügen – ähnliches gab es durchaus, wie die bekannte Turiner Karte von dem Goldbergwerk in der Ostwüste zeigt – kann man vorab nur versuchen, über klassisch-antike Quellen und mittelalterliche Ortsnamenslisten ("Skalen") das Gebiet einzuengen, in dem man zu suchen hat. Oftmals hat sich ja auch der altägyptische Name einer Siedlung über das Koptische in den heutigen ("arabischen") Ortsnamen erhalten und ist daraus unschwer abzuleiten. Freilich muß man mit gewissen Verschiebungen rechnen. Was wir z.B. heute mit den Griechen als "Memphis" bezeichnen, ist topographisch nicht genau dasselbe wie "Manf", die Pyramidenstadt "Mn-nfr" Pepis II., von der sich der Name ursprünglich ableitet.
PAPYRUS: Haben Sie neben Inschriften in Ägypten auch Volkserzählungen, aus denen Sie Rückschlüsse auf archäologische Sachverhalte ziehen können?
Dr. Kuhlmann: Hilfreich können solche Erzählungen bzw. Notizen durchaus sein, da sie möglicherweise auf besondere Erscheinungen hinweisen. Wenn, um ein Beispiel aus einem mir persönlich recht gut bekannten Gebiet zu nennen, etwa als erwähnenswert tradiert wurde, daß in der mittelägyptischen Stadt Achmim ein "Sanatorium" (maristan) existiert, dann in der näheren Umgebung der Stadt auch noch ein kleines Heiligtum des Asklepios gefunden wurde, so wird man nicht ganz ohne Grund damit rechnen dürfen, daß es vor Ort wohl auch einen nicht ganz unbedeutenden Tempel eines der ägyptischen Götter der Heilkunst, Thot bzw. Imhotep-Asklepios, gab, wo nach dem im Altertum praktizierten Verfahren der Inkubation (Tempelschlaf) Heilung gesucht wurde. Leider fehlen uns aber zumeist die guten Arabischkenntnisse, die notwendig wären, alle derartigen Berichte kritisch bis hinein in die mittelalterlichen Quellen zu evaluieren. Sehr viel berufener sind dazu unsere ägyptischen Kollegen, die nunmehr auch versuchen wollen, altes, im Volksglauben und Volksmund lebendiges Kulturerbe systematisch zu erfassen und aufzuzeichnen. Viel von traditionellem Brauchtum, das möglicherweise altägyptischen Einfluß bewahrt haben könnte, droht im vernichtenden Sog der "fortschrittlichen" westlichen Zivilisation unterzugehen. Wir alle hoffen sehr, daß dieser großen Aufgabe Erfolg beschieden sein möge.
PAPYRUS: Wir danken Herrn Dr. Kuhlmann für dieses Gespräch.

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20 Jahre Fotograf am DAI Kairo
von Dieter Johannes

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Im Sommer 1968 erhielt ich in Heidelberg einen Anruf des damaligen Direktors des Deutschen Archäologischen Instituts in Kairo, Prof. Dr. Werner Kaiser, nachdem ich mich schon jahrelang vergeblich darum bemüht hatte, an eines der Auslandsinstitute zu gelangen. Er fragte mich, ob ich Interesse an der Stelle eines Institutsfotografen in Kairo hätte. Er wäre sich allerdings noch nicht im klaren darüber, ob das Institut nicht zunächst viel dringender einen Zeichner brauche, was ich denn dazu meinte.

Es gelang mir damals, Entscheidungshilfe zu leisten und meinen Dienst in Kairo am 3. Januar 1969 anzutreten.

Die Maschine, mit der ich am 10. Januar 1969 von Kairo aus nach Assuan fliegen sollte, stürzte in einem Feuerball vom Himmel.
Die Vorsehung ließ mich zum Schrecken der gesamten Grabungsmannschaft, die meinte, einen Geist vor sich zu sehen, eine Spukgestalt, der man nicht trauen dürfe, aus einer zweiten Maschine klettern, denn die Unglücksmaschine war überbucht.
So begannen für mich 20 arbeitsreiche Jahre auf eine etwas merkwürdige Weise und daher vielleicht auch gelte ich als nahezu unzerstörbar, einem Siegfried gleich, der sich im Drachenblut unverwundbar machte.
Denn die Zahl der Forschungsvorhaben des DAI in Kairo, der Grabungen und der technologischen Gefälligkeiten gegenüber dem Gastland, hat seither beständig zugenommen und scheint in direktem Verhältnis zu dem zunehmenden Alter des Institutsfotografen zu stehen.

Bei meiner Ankunft in Kairo fand ich so gut wie überhaupt keine Ausrüstung vor, mit der ich meine Arbeit hätte beginnen können. Eine defekte Linhof und eine museumsreife Contax, deren Bau bereits in den 50er Jahren eingestellt worden war, sollten allein dieser Bestimmung dienen. Das Labor war in einem ehemaligen Badezimmer im Erdgeschoß des Instituts eingerichtet. Um es zu verdunkeln, verschloß man das Fenster mit einer großen Holzplatte und versuchte, auf diese Weise auch luftdicht abgeschlossen, so gut es ging, zu überleben. Dies wurde mir durch die ungeerdeten elektrischen Leitungen, die den Strom in der feucht-warmen Luft des Raumes (der auch noch eine Trockenpresse beherbergen mußte) auch ohne Drahtverbindungen zu übertragen schien, noch zusätzlich erschwert.

Karikatur: Stromstoss

Bei jeder Berührung mit einem der greisen Museumsstücke zur Vergrößerung der Filme oder der Platten durchfuhren mich ermunternde Stromstöße, so daß ich meine Hände schließlich mit Topflappen schützte.

Filmmaterial gab es so wenig wie Fotochemikalien. So kaufte ich mir die Ingredienzien in den Apotheken Kairos und braute mir meine Entwickler selbst zusammen, wie ich es in der Schule einst gelernt hatte.

In dieser Weise motiviert und vorbereitet, begab ich mich freudig und voller Erwartung auf die bereits geschilderte Flugreise nach Assuan und begann meine fotografische Tätigkeit allein mit meiner privaten Ausrüstung und den Filmen, die ich mir für meinen eigenen Bedarf nach Ägypten mitgenommen hatte. Ich brauchte sie nicht, denn ich fand sehr bald so gut wie keine Zeit mehr für private Aufnahmen.

Die erste Irritation erfuhr ich in Elephantine, als ich mich nach den Aufgaben erkundigte, die man für mich hatte. "Sind Sie Fotograf, oder sind Sie es nicht?" wurde mir entgegnet, "laufen Sie halt herum und wenn Sie etwas sehen, so fotografieren Sie es eben!"
Ich tat nichts dergleichen, denn offensichtlich hatte man sich an das Vorhandensein eines Fotografen noch nicht gewöhnen können. Ich zählte meinen beschränkten Filmvorrat und verließ mich künftig allein auf meinen archäologischen Blick, bevor ich möglichst überlegt und sparsam meine Filme "verschoß".
Tatsächlich sind die Aufnahmen, die damals entstanden sind, für uns heute, wo es auch darum geht, zu restaurieren und Touristenpfade anzulegen, um die Besucher von den eigentlichen Grabungen fernzuhalten, sehr wichtig geworden, denn die jahrzehntelange Grabungstätigkeit hat die Topographie von Elephantine sehr verändert.

Bereits im Sommer des gleichen Jahres konnte ich mir eine fotografische Grundausstattung nach meinen eigenen Vorstellungen beschaffen und parallel dazu auch in größere Räume im Institut umziehen.

Im Sommer des Jahres 1970 begannen wir mit der Arbeit an den Gräbern des Alten Reiches in Sakkara, deren Veröffentlichung uns in Zusammenarbeit mit der ägyptischen Altertümerverwaltung angeboten worden war. Bislang war es in der Ägyptologie üblich gewesen, die Dekorationen der Gräber im Maßstab von 1:1 auf Transparentpapier durchzuzeichnen. Da dies Verfahren sehr zeitraubend und dadurch auch kostspielig war, das Ergebnis überdies etwas abstrakt und dem Stil des jeweiligen Zeichners unterworfen, wollten wir den Versuch wagen, eines der schönen Gräber zum ersten Mal als rein fotografische Publikation vorzulegen. Natürlich fehlte mir für eine derartige Aufgabe jede Erfahrung, und wir besaßen weder eine ausreichende Blitzanlage, noch stand uns damals in Sakkara ein Stromanschluß oder gar ein Generator zur Verfügung.

Bei einer ersten Begehung des schönen Grabes des "Nefer" empfand ich mein Unbehagen angesichts der Schönheit und Lebendigkeit der Reliefs doppelt stark und plädierte doch wieder dafür, die Dokumentation dieses Grabes der Sache zuliebe einem erfahrenen Zeichner anzuvertrauen. Ich wollte mich darauf beschränken, einige der schönsten Szenen als Beispiele für die Qualität des Grabes beizusteuern.
Bei reiflicher Überlegung empfand ich diese Lösung für mich als sehr unbefriedigend und entsann mich der Spiegel, die auch von den Khafiren zur Beleuchtung der Gräber immer wieder benutzt wurden und perfektionierte dieses Verfahren, indem ich schließlich hochwertige echte Spiegel im Freien aufstellte, um das Sonnenlicht in das Grabinnere zu bringen, das ich innen schließlich mit Hochglanz-Chromfolien, die ich mir von meiner Hochglanz-Trockenpresse entlieh, auffing und in dem geeigneten Winkel an das Relief weitergab.

Karikatur: Licht durch Chromfolien

Diese Chromfolien hatten den unschätzbaren Vorzug, daß sie mehr oder weniger stark gekrümmt werden konnten und dadurch auch noch einen sehr großen Wandausschnitt ohne wesentlichen Lichtabfall beleuchten konnten.
Das Ergebnis war höchst befriedigend (Anm. 1), und so machten wir uns voller Selbstvertrauen auch an die Veröffentlichung der sehr großen Mastaba des "Chnumhotep" (Anm. 2), die von Ahmed Moussa Stein für Stein aus dem darüberliegenden Unas-Aufweg geborgen und wieder aufgebaut worden war.

Auch hier waren die Schwierigkeiten ähnlich wie bei der Arbeit im Grabe des "Nefer", nur mußten wir wegen der verwinkelten Raumfolge bis zu drei Spiegel hintereinander schalten, um das Licht bis in das Grabinnere zu bringen. (Anm. 3) Es wird einleuchten, daß dies ein sehr zeitaufwendiges Verfahren war, denn da ich nicht wie Josua der Sonne befehlen konnte, so wanderte sie achtlos an meinen Spiegeln vorbei, wenn es mir nicht gelungen wäre, sie immer wieder erneut im richtigen Winkel auf die Sonne auszurichten.

In den folgenden Jahren arbeiteten wir auch in dem wunderschönen, zart dekorierten, aber unfertig gebliebenen Grab des "Nerferheremptah" und schließlich auch in der großen Mastaba des "Mehu", die uns vor allem wegen der oft äußerst beengten räumlichen Verhältnisse vor schier unlösbare Probleme stellte.
 

Natürlich waren die Gräber des Alten Reiches in Sakkara, wo wir keine eigene Grabung unterhielten, für unser Institut lediglich eine Episode, die sich in den Institutsbetrieb zwischen den Grabungen in Theben und Assuan einzufügen hatte. Aber die Erfahrungen, die ich in Sakkara sammeln konnte, waren für meine spätere Arbeit in Ägypten von unschätzbarem Wert.

In Qurna begann in den frühen 70er Jahren auch die Grabung am Tempel des Königs "Mentuhotep" (Anm. 4) und fast gleichzeitig die ersten Arbeiten an dem gewaltigen Projekt einer Veröffentlichung des "Sethos I."-Tempels (Anm. 5) in Qurna.
Auch hier sollte nach den positiven Erfahrungen, die wir durch die Arbeit an den Gräbern in Sakkara gewonnen hatten, vor allem aber auch wegen des gewaltigen Aufwandes, der dafür erforderlich gewesen wäre, den gesamten Bildgehalt zeichnerisch zu erfassen, auf die Mitarbeit eines Zeichners vollkommen verzichtet werden. Es sollte mir allein obliegen, eine komplette Abwicklung der Dekoration des Tempels zu liefern.
Die Wandflächen, die ich, um Szenen nicht unnötig zu zerreißen, aufzunehmen hatte, waren riesig. Kameratechnisch waren wir dafür zwar mit einer 13 x 18-Studiokamera gut ausgerüstet, aber die gleichmäßige Beleuchtung eines derart großen Reliefs stellte mich zunächst vor kaum lösbare Probleme. Erst die Beschaffung von Stufenlinsenscheinwerfern, die sich in weitem Rahmen fokussieren ließen, ermöglichten es mir, auch große Wandflächen bei kräftigem Streiflicht so zu beleuchten, daß sich der Lichtabfall an den entfernteren Bildpartien in tolerierbaren Grenzen hielt.

Die Arbeit am "Sethos I."-Tempel zog sich über mehrere Jahre hin, zumal wir gezwungen waren, unsere Aufnahmearbeit erst nach Sonnenuntergang zu beginnen, um die unkontrollierbaren Sonnenreflexe auf den Wänden und Reliefs zu vermeiden, die mit ihrem Spiel von Licht und Schatten unser vergleichsweise bescheidenes Kunstlicht vor allem in der offenen Vorhalle und in den vielen Kapellen, die nicht mehr durch Deckenbalken nach oben geschlossen waren, locker "in den Schatten" stellten. Glücklicherweise fanden wir dabei die freundliche Unterstützung des örtlichen Inspektorats, was damals keineswegs selbstverständlich war.

War die Aufnahmearbeit an den Wandreliefs, hatte man sich endlich ein System entwickelt, in erster Linie zeitraubend, so brachte mich die Aufnahme der Architrave sehr oft in gefährliche Situationen, denn um in die richtige Aufnahmeposition zu gelangen, mußte ich eine etwa 10 m hohe, in unangenehmer Weise schwingende Aluminium-Leiter besteigen, denn für die Aufstellung eines Fototurms reichte der Platz meistens nicht aus.

Karikatur: Fotoarbeit auf der Leiter

Nun ist es zwar kein Problem für mich, eine hohe Leiter zu besteigen, wohl aber, mich auf einer der obersten Sprossen zum freien Raum hin umdrehen zu müssen, um die gewünschten Aufnahmen machen zu können. Dabei konnte ich mich auch nicht festhalten, da ich ja eine Kamera bedienen mußte. Besonders unangenehm war der Augenblick, in welchem ich durch den Sucher der Kamera schauen mußte und meine Umgebung nicht mehr "kontrollieren" konnte. Ich hatte dann stets das Gefühl, daß sich die Leiter unaufhaltsam von der Wand fortbewegte oder an ihr abglitt. Um mir eine gewisse Illusion von Sicherheit vorzugaukeln, hatte ich daher vier Arbeiter dafür angestellt, die Leiter unten festzuhalten. Sowie sich aber meine Konturen im Schatten der Architrave verloren, vergaßen sie, worum ich sie gebeten hatte, lachten, schwatzten und brachten die Leiter eher in gefährliche Schwingungen, als daß sie sie hielten, oder sie gingen gar, verhielt ich mich oben zu still, weil ich mit der Einstellung der Kamera beschäftigt war, plaudernd davon.

Nach einem Dutzend Aufnahmen zitterten mir die Knie, und ich war froh, als die Aufnahmearbeiten endlich abgeschlossen waren.

Noch bevor wir die Arbeiten am "Sethos"-Tempel begonnen hatten, bat man mich, eine Reihe von Aufnahmen in der Sargkammer des "Mentuhotep"-Tempels in Qurna zu machen.
Ich hatte diese Sargkammer nie zuvor betreten und wußte nicht, was mich erwartete. Ich bekam die Schlüssel in die Hand gedrückt und machte mich neugierig auf den Weg.
Die Sargkammer liegt am Ende eines etwa 150 m langen Ganges, der schräg abwärts in den Berg von Deir el-Bahari gegraben worden ist. Das hat in dem lockeren Taffel wohl auch keinerlei Mühe bereitet. Aus dem gleichen Grunde allerdings war aber der niedrige Gang ursprünglich in seiner ganzen Länge, die Decke gewölbt, mit wohlgefugten Kalksteinblöcken ausgekleidet worden, um sein Einstürzen zu verhindern.
Die Verkleidungsblöcke sind aber, vermutlich bereits im Altertum, von "Steinräubern" entwendet worden, und so ist der Schutz, den sie einst dem Besucher gewährt haben, heute nur noch rudimentär vorhanden.
Herabgefallener Taffel und von den Seiten bröckelnder Schutt zwingt zu kriechend-gebückter Gangart. Bereits nach 30 m bewegt man sich in völliger Finsternis, zumal durch den abgesenkten Zugang kein direktes Tageslicht mehr in den Tiefgang dringen kann.
Die letzten 10—20 m des Ganges sind wohl auch bei der Erbauung des "Mentuhotep"-Tempels nie ganz fertig geworden, denn die zu Kohle veränderten Reste einer alten Austäufung halten sich sperrend vor der Sargkammer aufrecht, und ich mußte mich zwischen den Hölzern behutsam vorbeizwängen, nicht wissend, ob ich durch eine Berührung nicht eine Kettenreaktion rieselnden Taffels und berstenden Gesteins auslösen würde. Überrascht befand ich mich plötzlich in der vollständig aus poliertem Alabaster erbauten Sargkammer. Gewaltige Alabasterplatten bildeten eine hausartige Bedachung und in der Mitte der Kammer befand sich ein alabasterner Schrein. Einige mächtige Alabasterblöcke in der Kammer engten Blick und Bewegungsfreiheit ein. Sie stammten wohl noch aus der Erbauungsphase und hatten nicht mehr entfernt werden können.

Eine Gaslampe, die mir auch für meine Aufnahmen dienen sollte, erhellte mir den Raum und keuchend noch vom langen mühsamen Kriechen mit der schweren Kamera, versuchte ich mich zu orientieren.
Kein Laut drang zu mir herunter und umso lauter dröhnte mir mein eigener Herzschlag in den Ohren. Ich spürte, wie Angst, als langsam kriechendes Unbehagen, in mir aufzusteigen begann. Es wurde mir klar, wie weit weg von jeder erreichbaren Hilfe ich sein würde, gäbe der Gang plötzlich nach und schlösse mich ein. Unendlich lang erschien mir plötzlich der hinter mir liegende Gang und gewaltsam riß ich mich zusammen, um meine Aufnahmen zu machen.
Der Gang hat gehalten, und die Aufnahmen sind glücklicherweise gelungen, ich hätte schwerlich den Mut aufgebracht, den Gang ein zweites Mal zu betreten.

Es ist ein Problem, ständig allein unterwegs zu sein, auf ägyptischen Straßen oder auch im Gelände in irgendeinem der vielen Gräber. Oft genug bin ich auch außerhalb der laufenden Kampagnen unterwegs, stecke in Gräbern, in denen plötzlich Aufnahmen wichtig werden, in Schächten oder klettere, wie vor Jahren, mit pfeifenden Lungen und einer 20 kg schweren Ausrüstung auf dem Tod-Berg, nördlich von Qurna, herum. Niemand kann dann immer genau sagen, wo ich mich und zu welcher Zeit befinde und wie lange man wohl warten kann, bevor man nach mir zu suchen beginnt. Vor allem aber die häufigen und langen Autofahrten auf den gefährlichen ägyptischen Straßen, die ich allein in meinem mit der Fotoausrüstung vollgepackten Wagen zurücklegen muß, bergen ein ständiges Risiko in sich. Nirgendwo kann ich den Wagen mit der wertvollen Ausrüstung abstellen, oder gar, falls die Dunkelheit mich überraschen sollte, ein Hotel aufsuchen und den Wagen damit unbeaufsichtigt lassen.

Karikatur: Im DAI-Fahrzeug unterwegs

Jeder, der länger im Lande lebt, hat die Fahrer der Überlandtaxis fürchten gelernt und kennt ihre abenteuerliche und todesverachtende Fahrweise. Zudem stehen diese "Ritter der Landstraße" auch unter Drogeneinfluß, um den Anstrengungen überhaupt standhalten zu können. So muß man bemüht sein, vorherzusehen, wie einer der vorausfahrenden Wagen reagieren wird, bevor es dessen Fahrer selber weiß.

Als wir im Frühjahr 1974 mit der Arbeit in Tuna el-Gebel (Anm. 6) bei Mellawi begannen und in der Folge, über mehrere Jahre hinweg, immer wieder mit der umfassenden Dokumentation des Grabtempels des "Petosiris" beschäftigt waren, hatte ich Schwierigkeiten ganz anderer Art.
Kaum hatten wir mit der Arbeit begonnen, der Generator lief vor dem Eingang, die Lampen waren für ein optimales Streiflicht sorgfältig gingerichtet, als eine französische Reisegruppe, Elsässer, wie sich herausstellte, bestehend ausschließlich aus älteren Herren, hereinströmte. Der Reiseleiter nahm meine Kamera und stellte sie beiseite, benutzte meine Scheinwerfer wortlos, um seiner Gruppe die Darstellungen zu beleuchten und quittierte meinen Protest mit den Worten: "Wir Franzosen haben sechs Jahre lang unter der deutschen Besatzung leiden müssen, da werden Sie es wohl 15 Minuten ertragen können!"

Im Jahr zuvor hatte unser Institut in Gabbari, einem üblen Slumviertel im Hafengebiet Alexandrias, eine unterirdische Nekropolengrabung begonnen. Ein weitverzweigtes Gangsystem lag hier 8—10 m unter der Erdoberfläche. Lichthöfe sorgten für Licht und Belüftung und über eigens angelegte Treppen für den Zugang zu den Grabanlagen.
Oben aber, an den Rändern der offenen Lichthöfe, hatten die Slumbewohner sich ihre primitiven, illegalen Hütten gebaut die, innerhalb kürzester Zeit ein regelrechtes Dorf bildend, den ganzen archäologisch relevanten Kalksteinhügel überzogen.
Abwasser, Müll, Fäkalien ergossen sich ungehindert in die Lichthöfe und flossen in die Gänge, wie auch verendete Hunde und zu Tode gestürzte Schafe hier Aufnahme fanden.
Es war eine ekelhafte Idylle.

Karikatur: Unter Steinhagel

Bei unserem ersten Auftauchen wurden wir von einem Steinhagel empfangen, der unserem ägyptischen Inspektor sämtliche Schneidezähne kostete. Und obwohl wir schließlich fast die gesamte männliche Bevölkerung des "Dorfes" in der Grabung beschäftigt hatten, wurden wir von deren Kindern weiterhin mit Steinwürfen traktiert, sobald sie unser ansichtig wurden. Das war besonders amüsant, wenn man unten auf dem Grunde der Lichthöfe, im schlimmsten Unrat und Ausfluß des Dorfes herumwatend, überhaupt keine Möglichkeit hatte, auch noch auf die Steinwürfe von oben zu achten.

Schließlich riß uns die Geduld und wir drohten den Bewohnern an, die Grabung einzustellen. Erstaunlicherweise wirkte das Wunder und das Steinewerfen hörte auf. Die Arbeit aber in dieser Umgebung kostete erhebliche Überwindung und selten war ich so dankbar wie in dem Moment, als die Grabung nach drei Kampagnen ihren Abschluß fand.

Unterdessen war die Arbeit am "Sethos"-Tempel in Qurna weitergegangen, eine Reihe thebanischer Gräber war hinzugekommen, an denen – rückblickend – schließlich mehr als 15 Jahre gearbeitet wurde und noch heute gearbeitet wird.

Aber auch die große Stadtgrabung in Elephantine nahm ihren Fortgang. Der Wiederaufbau des Satet-Tempels hatte begonnen und die Blöcke des kleinen Kalksteintempelchens der 18. Dynastie waren geborgen worden.

Im Jahre 1975 begannen wir ein Projekt bei Akhmim, das, ursprünglich einer vollständigen Aufnahme und Erforschung des "Eje"-Tempels am Berg von Salamouni dienend, sich schließlich auf die Erfassung aller archäologisch relevanten Objekte ausdehnte und in einer Befliegung der Ebene von Akhmim gipfelte.
Während der Arbeiten am "Eje"-Tempel wohnten wir in ihm selbst, unter recht spartanischen Bedingungen, wie ich gestehen muß und bei großer Hitze weit entfernt von jeder Erfrischung spendenden Wasserquelle.

Die Arbeiten dort erstreckten sich ebenfalls über mehrere Kampagnen und, fast im Anschluß daran, zogen wir um nach Abydos, wo sich unser Institut erfolgreich um die Genehmigung zur Veröffentlichung des "Ramses II."-Tempels bemüht hatte. Auch hier brachten wir mehrere Kampagnen zu, wobei die primitive Unterbringung gepaart mit großer Hitze für mich zu den unerfreulichen Erinnerungen zählt.
Allnächtlich stürzte der Wächter unseres Hauses, von lebhaften Träumen gepeinigt, ins Freie und feuerte vor unseren Fenstern seine Pistole ab, die er stets griffbereit und geladen mit sich führte. Wir fuhren zu Tode erschrocken aus dem Schlaf, stellten wir ihn aber zur Rede, so hatte er durchaus plausible Erklärungen bereit. Einmal waren es dreizehn Männer mit Messern, die er vertreiben konnte, ein anderes Mal gar 64 Männer mit Säcken, die merkwürdigerweise unser Haus umstellt hätten.

Im Frühjahr 1976 starteten wir zu zweit eine Exkursion in den Oasen Kharga und Dahkla. Die Familie Ahmed Fakhrys (Anm. 7) hatte uns dessen wissenschaftlichen Nachlaß überlassen, den wir für die Veröffentlichung zu überarbeiten hatten.
Im wesentlichen handelte es sich dabei um drei Gräber in Balaat bzw. bei Quaret el-Musawwaqa, die ich unter unglaublich primitiven Bedingungen aufnehmen mußte. Es gab seinerzeit noch keine Straßen durch die Oasen, mein Volvo blieb bald in den Sandverwehungen stecken und schließlich erreichten wir unser Ziel mit einem uralten russischen Geländewagen, den der örtliche Inspektor für uns aufgetrieben hatte.
So konnten wir natürlich keine umfangreiche Ausrüstung mit uns führen und bedienten uns der Dienste eines winzigen, 350 W leistenden Generators.
Leuchteten die kuriosen Gräber von Musawwaqa zumindest in frischen Färben, so empfing mich das römische Grab von Balaat mit nachtschwarzer Finsternis. Das grobe Relief war mit einer dicken Rußschicht bedeckt, und aus einer Öffnung in der Decke quoll von der Feuerstelle des darüber befindlichen Hauses bläulicher Rauch in beißenden Schwaden.
Nach wenigen Augenblicken stürzte ich halb erstickt ins Freie und bat die Bewohner, das Feuer zu löschen, was sie zu meiner Verwunderung auch taten.

Für die Aufnahmen standen mir, der Leistung des Generators angemessen, lediglich zwei Nachttischlampen zur Verfügung. Ich habe im Laufe der Jahre offenbar gelernt, zu improvisieren, denn die Aufnahmen waren gelungen. (Anm. 8)

Zu den großen Grabungen in Assuan und in Qurna bei Luxor sind im Laufe der Jahre immer neue Unternehmungen hinzugekommen, die alle auch immer wieder nach meiner Mitwirkung verlangten.
Die thebanischen Gräber – etwa ein Dutzend – sind von uns bereits bearbeitet worden, wie ich bereits erwähnte. Eine große bedeutende Grabung wurde aber auch mit dem vorgeschichtlichen "Buto" im Delta begonnen und nicht zu vergessen auch die Königsgräber von "Umm el Gaab" in Abydos, die mich vor allem durch ihre große Fülle an Kleinfunden alljährlich für längere Zeit an diesen Ort binden.

Nicht vergessen werden dürfen aber auch die vielen Aufträge, die mich immer wieder in das "Ägyptische Museum" von Kairo und in das "Griechisch-Römische Museum" von Alexandria führen, stets verbunden mit Fahrerei und dem Transport eines umfangreichen Equipments.

Die älteste Grabung, die unser Institut in Ägypten unterhält, ist die vielen hier lebenden Ausländern heute fast unbekannte Ausgrabung von "Abu Mena", der "Menas-Stadt" im westlichen Delta, südlich von Alexandria. Wird heute meine Mitarbeit dort nur noch selten verlangt, so führen mich meine Reisen umso öfter nach Assuan, wo die Wiederaufbauphase mittlerweile einen großen Stab von Mitarbeitern beschäftigt. Großen Aufwand verlangte über mehrere Kampagnen hinweg die Veröffentlichung des "Heqaib-Heiligtums" auf Elephantine, das zwar bereits in den 40er Jahren von Labib Habashi entdeckt worden war, der Öffentlichkeit aber niemals vorgestellt wurde. Dieses Heiligtum ist in besonderem Maße durch die Fülle an Statuen und Stelen von besonderem Interesse, die darin und in seiner Umgebung gefunden worden sind.
Diese, zum überwiegenden Teil wohlerhaltenen und mitunter lebensgroßen Statuen haben auch den größten Teil des zeitlichen Aufwandes für sich in Anspruch genommen. (Anm. 9)

Karikatur: Kontrolle

Gelegentlich geriet ich während meiner Arbeit in heikle Situationen, so, als das Militär meine Security-Papiere, die mich berechtigten, mich im Antikengelände von Dashur aufzuhalten und zu fotografieren, nicht anerkennen wollte. Sie verlangten, nach einem sich ständig wiederholenden Palaver in wechselnder Besetzung, die Auslieferung meiner Kameras. Dazu war ich aber auf keinen Fall bereit, sondern entzog mich der Debatte, indem ich meine Arbeit abbrach und nach Kairo zurückfuhr.

Es kam aber auch vor, daß mich ein Stromausfall in einem Schacht oder einer Sargkammer in Theben gefangen hielt, zumal die Arbeiter, die ich eigens zur Hilfe in solchen Fällen bei mir hatte, immer gerade in diesen Augenblicken ihren Tee trinken gegangen waren und mich in der Stockfinsternis eines engen, niedrigen Grabes allein ließen. Im vergangenen Jahr überraschte mich ein derartiger Stromausfall in der Sargkammer des Wezirs "User", 16 m unter der Erdoberfläche, am Ende eines unfertigen und gewundenen Ganges. Natürlich hatte ich meine Taschenlampe in sorglosem Vertrauen auf die Beständigkeit des fließenden Stromes irgendwo abgelegt und konnte sie in der mit Geröll und meinem eigenen Equipment zusätzlich verstellten Enge auch nicht wiederfinden. Mein Rufen störte nur die Fledermäuse, und als ich mich, übersät mit Beulen und blauen Flecken schließlich bis zu dem Schacht vorgekämpft hatte, fand ich ihn mit dem Eisengitter wohlverschlossen, und meine Leute hatten selbst die Strickleiter vorsorglich eingeholt.
So blieb mir nichts anderes übrig, als eine Stunde lang geduldig den makellos blauen Himmel zu betrachten, der die Schachtöffnung hoch über mir ausfüllte.
 

Im Laufe der mehr als 20 Jahre, die ich nun in Ägypten arbeite, sind etwa 150.000 Aufnahmen entstanden, wobei der größte Teil davon auf die Grabungsfunde entfällt.
Wie mühevoll es aber ist, die häufig winzigen Objekte, Amulette, Siegelabrollungen, Perlen, Münzen, aber auch keramische Produkte so zu fotografieren, daß ihre charakteristischen Merkmale deutlich werden und im laufenden Grabungsbetrieb unter oftmals primitiven Bedingungen Aufnahmen davon zu erzeugen, die publikationsfähig sind und denen man die Schwierigkeiten ihrer Entstehung nach Möglichkeit nicht mehr ansehen kann, wird einleuchten.

Die Menge schafft aber auch Probleme, die richtigen Negative überhaupt wiederzufinden, falls einmal eine Karteikarte, welche die erforderlichen Ordnungskriterien enthält, aus dem Bildarchiv entfernt wurde, oder verloren gegangen ist.
Aus diesem Grund bemühen wir uns heute, unser Negativarchiv digital zu erfassen. Das ist ein langwieriger und mühsamer Prozeß, der zudem die Mitarbeit eines Ägyptologen erfordert, damit die Objekte zur Wiedererkennung auch zweifelsfrei beschrieben werden. So wird diese Aufgabe frühestens in ein oder zwei Jahren abgeschlossen sein.

Die Zahl der Unternehmungen der Abteilung Kairo des Deutschen Archäologischen Instituts hat seit meiner Einstellung als Fotograf im Januar 1969 stetig zugenommen, ich erwähnte das bereits und kann heute durch meine gewachsene Erfahrung und Routine auch nicht mehr ausgeglichen werden. So warten viele wichtige und umfangreiche Projekte seit Jahren auf die endgültige Bearbeitung in der Dunkelkammer, und ich wünsche mir sehnlich zwei grabungsfreie Jahre, um Liegengebliebenes aufzuarbeiten.

Anmerkungen:
    • Anm. 1 
      Ahmed M.Moussa – Hartwig Altenmüller, "The Tomb of Nefer and Ka-Hay", erschienen 1971 bei Zabern / Mainz.
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    • Anm. 2 
      Ahmed Moussa – Hartwig Altenmüller, "Das Grab des Nianchchnum und Chnumhotep", erschienen 1977 bei Zabern / Mainz. Fast gleichzeitig erschienen auch die kleinen Gräber, die Friedrich Junge bearbeitet hatte, wobei mein Anteil wegen des schlechten Erhaltungszustandes infolge von Salzausblühungen sehr gering war: "Two Tombs of Craftsmen", Sakkara II / Zabern / Mainz.
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    • Anm. 3 
      "Archäologie und Photographie", erschienen 1978 , bei Zabern / Mainz, Beispiel 17.
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    • Anm. 4 
      Dieter Arnold, "Der Tempel des Königs Mentuhotep von Deir el-Bahari", Bde. I + II, erschienen 1974 bei Zabern / Mainz
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    • Anm. 5 
      Der 1. Bd., Jürgen Osing, "Der Tempel Sethos' I. in Qurna. Die Reliefs und Inschriften I", erschien 1977 bei Zabern / Mainz.
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    • Anm. 6 
      Dabei handelt es sich um die Nekropole des antiken "Hermopolis magna".
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    • Anm. 7 
      Ahmed Fakhry hat fast sein gesamtes wissenschaftliches Leben der Erforschung der Oasen gewidmet und selbst noch zwei Bücher über die Oasen Baharija und Siwa veröffentlichen können. Er hatte sich dabei nicht nur um die archäologischen Altertümer bemüht, sondern auch das Brauchtum der Bewohner der Oasen gesammelt, ihre typischen Trachten, den Schmuck, ihre Gewänder und Haartrachten fotografiert und gezeichnet.
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    • Anm. 8 
      Ahmed Fakhry, "Denkmäler der Oase Dahla", erschienen 1981 bei Zabern / Mainz.
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    • Anm. 9 
      Labib Habashi, "Elephantine IV, The Sanctuary of Heqaib", erschien 1985 bei Zabern / Mainz.
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Punkt Punkt Punkt

 

 

Das Grab als moralische Anstalt
Ein Projekt des Heidelberger Ägyptologischen Instituts

von Prof. Dr. Jan Assmann

Papyrus-Logo Nr. 11—12/99, pp. 5—11

Prof. Jan Assmann stellte PAPYRUS freundlicher Weise seine in
"Reports of the DFG 2—3/98" erschienene Veröffentlichung zur Verfügung.
Herzlichen Dank!

Unsterblichkeit ist nicht jedermanns Sache
(Kurt Schwitters)

Wie sich der Mensch gegenüber allen anderen Lebewesen darin unterscheidet, dass er im Bewusstsein der Begrenztheit seines Lebens und der Unausweichlichkeit seines Todes lebt, so stellen auch die aus diesem Bewusstsein entspringenden Anstrengungen ein Spezifikum des Menschen dar. Die Tiere begraben ihre Toten nicht, und sie streben, soviel wir wissen, auch nicht nach Unsterblichkeit. "Unsterblichkeit ist nicht jedermanns Sache", aber der Wunsch nach Unsterblichkeit gehört in irgendeiner Form zweifellos ebenso zur Grundausstattung des Menschen wie das Wissen um seinen Tod. Keine Kultur, keine Gesellschaft kann sich freilich hinsichtlich ihrer Investitionen in das Projekt der Unsterblichkeit mit den alten Ägyptern messen. Schon dies allein sichert dieser alten Kultur unser Interesse. Vier Bereiche solcher kultureller Investitionen fallen ganz besonders ins Auge: bauliche, kultische, moralische und magische. Der vornehme Ägypter begann früh mit der Anlage eines monumentalen Grabes, das erstens die Sicherung seines Andenkens, zweitens als Rahmen für seinen Totenkult dienen und drittens seinem Leichnam Schutz und Verborgenheft sichern sollte. Seine Sorge um das Grab erstreckte sich auch auf große Bereiche der Dekoration, in der er sich der Nachwelt in der ganzen Erinnerungswürdigkeit seiner irdischen Existenz präsentieren wollte. Dagegen waren es die Priester, die in die Totenriten ein ungewöhnliches Maß an religiöser Imagination und Gestaltungskraft investierten; diese Riten kann man sich gar nicht komplex genug vorstellen. Auf der einen Seite gab es die drei großen Rituale, die dem Leichnam galten: die Einbalsamierung, "Mundöffnung" und Beisetzung, und auf der anderen Seite die vielfältigen Riten des täglichen und festtäglichen Totenkults. Für die moralischen Investitionen war wieder der Einzelne selbst zuständig. Nach ägyptischer Auffassung genügte es nicht, ein monumentales Grab zu bauen, um im Gedächtnis der Nachwelt präsent zu bleiben; man musste auch ein moralisch hochstehendes Leben geführt haben oder zumindest in den Grabinschriften davon berichten können, um vor dem Tribunal der Nachwelt als erinnerungswürdig bestehen zu können. Das ägyptische Grab war eine "moralische Anstalt" und bezeugte die "Gerechtigkeit" seines Inhabers. Die magischen Investitionen waren wiederum Sache der priesterlichen Schreiber, die im Laufe der Zeit ungeheuer umfangreiche Korpora einer "Totenliteratur" zusammenstellten, um den Toten für seine Jenseitsreise mit dem notwendigen magischen Wissen auszurüsten. Man kann sich diese vier Bereiche einer kulturellen "Behandlung des Todes" in einem Schema verdeutlichen (s. Kasten).

Schema

Aus diesem Schema geht hervor, wo die "Totenliturgien" hingehören, die seit 1994 im Rahmen eines Heidelberger Projekts erforscht werden (Anm. 1). Sie gehören nicht zu den "Investitionen des Einzelnen", d.h. der Einzelne verfasst sie nicht selbst oder gibt sie in Auftrag, um damit seinen ganz persönlichen Unsterblichkeitshoffnungen Ausdruck zu geben, sondern es handelt sich um religiöse Traditionstexte, die ihren Ort im Totenkult und seinen verschiedenen Ritualen haben. Andererseits gehören sie aber auch nicht zur "Totenliteratur" und ihren drei großen Korpora der Pyramidentexte aus dem Alten Reich (3000 v.Chr.), der Sargtexte aus dem Mittleren Reich (um 2000—1800 v.Chr.) und den Totenbüchern des Neuen Reiches (ab 1500 v.Chr.).

Früher erblickte man in der Totenliteratur die Rezitationstexte des Totenkultes. Für die Pyramidentexte trifft das auch weitgehend zu. Diese Texte, die man seit Unas, dem letzten König der 5. Dynastie, den Königen des Alten Reiches auf die Wände ihrer Sargkammern schrieb, entsprangen dem Wunsch, dem Verstorbenen die Totenriten ins Grab mitzugeben, um ihm die Heilswirkung der Riten auch unabhängig von ihrem oberirdischen Vollzug in der symbolischen Form der Inschrift dauerhaft zuteil werden zu lassen. Aber schon in den Sargtexten hatte sich daraus die neue Sitte der Totenliteratur im Sinne einer magischen Wissensausstattung entwickelt, bei der die Rezitationstexte des Totenkultes stark zurücktraten gegenüber neuen Sprüchen, die allen möglichen magischen Zwecken dienten. Im Neuen Reich ging der Anteil der Totenliturgien weiter zurück. Das hat man früher nicht sehen können, weil man zwischen Totenliturgien und Totenliteratur nicht unterschieden hat. Aus dem gleichen Grund nahm man auch die Texte außerhalb der Totenliteratur nicht zur Kenntnis, die sich auf den Toten und seine jenseitige Existenz bezogen. Die Aufgabe, die sich das Heidelberger Projekt im Licht der Unterscheidung zwischen Totenliteratur und Totenliturgien gestellt hat, ist zweierlei:
 

  1. Die Totenliturgien zu sammeln, die in den Korpora der Totenliteratur, insbesondere in den Sargtexten, enthalten sein könnten, und
  2. die Totentexte außerhalb der Totenliteratur zu sammeln, die in Gräbern, auf Stelen, Statuen und auch auf Särgen späterer Epochen stehen.

Um hier nicht im Dunkeln zu tappen, braucht man zwei Schlüssel: einen Schlüssel, der uns sagt, welche Texte der Totenliteratur umfunktionierte Totenliturgien darstellen, und einen anderen, welcher uns sagt, welche Totentexte in der Masse der Grab- und Sarginschriften aus Totenliturgien stammen. Wenn sich solche Clues finden lassen, dann tut sich erstmals ein Einblick in die Welt des ägyptischen Totenkults auf, und wir kommen hinaus über die Vorstellungswelt der Totenliteratur, auf die wir bisher beschränkt waren. Wir werden in die Lage versetzt, solche Vorstellungen mit bestimmten Riten verbinden zu können, und gewinnen auf diese Weise die pragmatische Dimension der Texte. Wir werden weiterhin in die Lage versetzt, solche Vorstellungen mit bestimmten Gräbern, Epochen, Regionen, sozialen Schichten usw. verbinden zu können, und gewinnen auf diese Weise die historische Dimension der Texte. Der ägyptische Totenglaube hört auf, uns als ein krauses Sammelsurium magischer Bilder und Beschwörungen vor Augen zu stehen, und gewinnt die Umrisse eines historischen Phänomens, dessen Entwicklung sich beschreiben lässt. Das jedenfalls ist das Ziel, und es scheint uns erreichbar, weil sich die genannten Clues haben finden lassen.

Der erste Schlüssel besteht aus einer Gruppe Papyri, die aus den letzten Jahrhunderten der ägyptischen Geschichte, vom 6. Jh. v.Chr. bis zum 1. Jh. n.Chr., stammen und alle möglichen Rituale des Tempelkults enthalten. Unter diesen Ritualen gibt es auch vier größere, aus jeweils 15—25 als "Verklärungen" überschriebenen Einzelsprüchen bestehende Totenliturgien, die im Kult des Totengottes Osiris von Abydos verwendet wurden. Diese Papyri lehren uns, dass es in Ägypten Totenliturgien gab, dass ihr ägyptischer Name "Verklärungen" lautete und dass sie im Osiriskult rezitiert wurden. Sie lehren uns aber noch viel mehr. Einmal zeigt sich, dass eine große Menge von Texten auf Grabwänden, Stelen und insbesondere Särgen der Spätzeit aus diesen Totenliturgien stammen und nicht etwa, wie man bislang mehr oder weniger stillschweigend annahm, aus der "Totenliteratur". Das war der erste deutliche Hinweis darauf, dass es außer der Totenliteratur noch andere Totentexte gab. Zum anderen aber zeigte sich, dass eine dieser Totenliturgien bereits auf den Särgen des Mittleren Reiches vorkam. Wir müssen also davon ausgehen, dass es Totenliturgien innerhalb und außerhalb der Totenliteratur gab. Damit klärte sich zugleich auch in einem entscheidenden Punkt die alte Streitfrage, ob die Totenliteratur irgendeinen kultischen Bezug hat. Sie hat ihn indirekt und teilweise, insoweit sie nämlich Texte mit ursprünglichem Kultbezug, z.B. Totenliturgien, in ihr Korpus aufgenommen hat.

In der alten Fassung der Sargtexte wurden diese aus den späten Papyri bekannten Sprüche ebenfalls "Verklärungen" genannt. Mehr noch: auf den Särgen des Mittleren Reiches treten auch noch andere, genauso aussehende und ebenfalls "Verklärungen" genannte Spruchfolgen auf, die sich aufgrund dieses Kriteriums nun gleichfalls aus der Masse der Sargtexte herauslesen und als Totenliturgien identifizieren lassen. So haben sich zusätzlich zu der im Osiriskult verwendeten und in den späten Papyri auftauchenden Sargtext-Liturgie aus dem Mittleren oder sogar Alten Reich (denn fast alle Sprüche kommen bereits in den Pyramidentexten vor) noch drei weitere Totenliturgien in den Sargtexten finden lassen. Damit ist über den engeren kultischen Kontext noch wenig gesagt. Wir wissen nur, dass es sich um Totenliturgien handelt, aber nicht, ob sie zur Einbalsamierung, "Mundöffnung" und Beisetzung oder zum täglichen oder festtäglichen Opferkult im Grabe rezitiert wurden. Diese Frage findet aber eine eindeutige Antwort, wenn man sich die Texte selbst genauer anschaut. Wir können hier nicht auf Einzelheiten eingehen. So mögen zwei Dinge genügen: die Liturgien gehören alle in den Zusammenhang der Einbalsamierung, und was sie in diesem Kontext bewirken wollen, ist die Rechtfertigung des Toten vor dem Totengericht und seine Aufnahme in die Götterwelt. Zum Abschluss der siebzigtägigen Einbalsamierung wurde eine Nachtwache abgehalten, die mit solchen Rezitationen verbracht wurde. Der Tote war nun in seine "Ewigkeitsgestalt" überführt worden und das Totengericht hatte seine Verewigung zu bestätigen. Am nächsten Morgen begann die Beisetzungsprozession. Die Erkenntnis, dass das Totengericht liturgisch inszeniert wurde und dass diese Inszenierung den Abschluss der Einbalsamierung bildete, ist überraschend, aber eigentlich nicht unlogisch. Denn die ganze Semantik der Einbalsamierung kreist um die Vertreibung des "Schlechten" und "Bösen" und um die Herstellung von Reinheft, Haltbarkeit und Ewigkeit. Auch die Schuld wurde offenbar als ein "Schadstoff" empfunden, den es zu entfernen galt, um den Toten in seine Ewigkeitsform zu überführen.

Die Totenliturgien in den Sargtexten und den späten Papyri bieten ausreichendes Material, um sich ein Bild dieser Gattung zu machen. Es handelt sich um Sprüche und Spruchfolgen, die an den Verstorbenen gerichtet sind und ihm in der Form von Wünschen die jenseitige Existenz eines "Verklärten" ausmalen. Der Gedanke ist offenbar, dass diese Wünsche im Kontext des Rituals und im Munde des bevollmächtigten Priesters die Macht haben, sich zu verwirklichen. Die Wünsche lehren uns zweierlei. Sie zeigen uns nicht nur in den Bildern eines seligen Lebens in Gemeinschaft der Götter, wie sich die Ägypter das Dasein der verklärten Toten vorstellen, sondern sie machen damit zugleich deutlich, wie der Gestorbene den Tod erfuhr und welche Ängste er damit bannen wollte. Denn alle diese Bilder sind Gegenbilder zu dem, was den Ausgangspunkt dieses Handelns bildet und als die Not empfunden wird, die es mit den Mitteln des Ritus und der Sprache zu hegen und zu wenden gilt.

Anubis möge deinen Geruch angenehm machen
vor deiner Stätte in der Gotteshalle.
Er möge dir Weihrauch spenden zu jeder Festzeit,
ohne dass am Neumondsfest
etwas davon abgezogen wird.
Möge er dich erretten vor dem mastiu,
den Boten der geheimen Schlachtbank.

Du bist erschienen am Bug der Barke
und lenkst (sie) zum Westen.
Man hat keine Gewalt über deine Ba,
dein Herz wird nicht weggenommen,
man schickt dich nicht herab in die Leere
inmitten derer, die den Gott gelästert haben,
du wirst nicht fortgeschleppt zu denen
in der Richtstätte.

Du bist König, Sohn des Erbfürsten (d.h. Geb).
Dein Ba wird wahrlich existieren und
dein Herz wird mit dir sein,
möge Anubis deiner gedenken in Busiris,
möge dein Ba jubeln in Abydos,
möge dein Leichnam sich freuen
im Wüstenfriedhof,
möge der Einbalsamierte jubeln
an allen seinen Stätten.
O mögest du gezählt und geheilt sein
in dieser deiner Würde, die vor mir ist.

Ausschnitt aus der 2. Liturgie der Sargtexte

Das (siehe Kasten) ist ein kleiner Ausschnitt aus der zweiten Liturgie der Sargtexte. Aus diesen Versen spricht mit der Sehnsucht nach Wohlgeruch, nach Errettung von schlimmen Dämonen, nach Aufnahme in die Barke, in der die Sonne über den Himmel fährt, nach unangefochtenem Besitz des "Ba" (Seele) und des Herzens, nach Bewahrung vor Strafe, die dem Sünder droht, nach göttlichem Status, nach Fortexistenz in Gemeinschaft des "Ba" und des Herzens, nach dem fürsorglichen Beistand des Anubis, des Balsamierers und Seelengeleiters, nach Heilung von den körperlichen Versehrungen des Todes, kurz, nach "Mumienwürde" die Erfahrung des Todes als des Gegenteils von Würde und Wohlgeruch und körperlicher Unversehrtheit, als äußerste Gefährdung der Lebensgemeinschaft von Ich, Seele und Herz, als Auslieferung an alle Arten von Strafen und Gefahren.

Mit diesen Texten bewegen wir uns aber noch immer im Umkreis der Totenliteratur. Die späten Papyri haben uns einen Schlüssel geliefert, die in dieser Textmasse enthaltenen Totenliturgien herauszulösen. Sie helfen uns aber nicht weiter mit den zahlreichen sonstigen Totentexten, die in den Gräbern, auf Stelen und Statuen vorwiegend des Neuen Reiches, also der zweiten Hälfte des 2. Jt. v.Chr., stehen und die gleiche charakteristische Form aufweisen, dem Toten in Wunschsätzen Bilder eines verklärten Totendaseins bzw. Gegenbilder der Todeserfahrung und Todesfurcht auszumalen. Von diesen Texten möchte man annehmen, dass sie zumindest teilweise gleichfalls aus dem Kult stammen. Dass wir hier über Vermutungen hinauskommen können, verdanken wir einem zweiten Schlüssel in Gestalt eines Papyrus des 15. Jhs v.Chr., der im Britischen Museum aufbewahrt wird. So wie die späten Papyri die Welt der Balsamierungsriten, so erschließt uns dieser Papyrus die Welt des Opferkults im Grab. Es handelt sich ganz offensichtlich um die Schriftrolle eines Totenpriesters, die dieser für seine Opferrezitationen benutzt hat.

Damit bekommen nun viele Hunderte von "Totentexte", wie sie in den Gräbern und allen möglichen Denkmälern, vornehmlich des Neuen Reiches, stehen und die bislang kaum das Interesse der Wissenschaft gefunden haben, einen "Sitz im Leben" und gewinnen ein ganz neues Interesse. Eine Sammlung dieser zahllosen verstreuten Texte gibt Einblick in die Semantik des Opferkults und ergänzt dadurch die Aussagen der in die Totenliteratur eingegangenen Totenliturgien und die Totenliturgien der späten Papyri, die uns die Semantik der Einbalsamierung erschließen. Die meisten der Sprüche in diesem Londoner Papyrus lassen sich in den Gräbern des Neuen Reichs wiederfinden. Diese Gräber enthalten aber noch zahllose Sprüche ganz entsprechender Form und Thematik, und es liegt natürlich nichts näher als die Annahme, dass sie gleichfalls aus dem Kult stammen, der in diesen Gräbern für den Toten vollzogen wurde.

Man hatte immer schon gewusst, dass zum Opferkult im Grabe "Verklärungen" rezitiert wurden. Dieses Ritual wurde nämlich in den Gräbern vornehmlich des Alten Reiches, aber auch später, dargestellt, und zu den einzelnen Handlungen und Darreichungen gehörte auch "das Rezitieren vieler Verklärungen", wie diese Szene in den Beischriften genannt wurde. Nur konnte man sich bislang keine rechte Vorstellung machen, um was für Texte es sich dabei gehandelt haben mochte. Das sieht jetzt anders aus. Außerdem zeigt sich, dass solche Texte die Wandlungen des Totenglaubens sehr genau reflektieren. Hier verändert sich nämlich viel in den einzelnen Jahrhunderten. Wir haben es nicht mit einem Bestand alt-geheiligter, kanonischer Texte zu tun, die immer wieder abgeschrieben wurden, sondern mit einer produktiven Gattung, die im Lauf der Zeit immer neue Texte hervorbringt.

Ich habe vor über 30 Jahren damit begonnen, solche Texte systematisch zu sammeln und zu verzetteln. Da es sich um eine Gattung handelte, die in der Wissenschaft bislang gar keine Rolle gespielt hatte, ging ich davon aus, dass ich es mit einer überschaubaren Menge von "Verklärungen" zu tun haben würde, die man bequem in einem handlichen Band sammeln und kommentieren kann. Damit hatte ich mich jedoch gründlich verschätzt. Die Masse des Materials, das da im Laufe der Jahre zusammen kam, ging bald über das hinaus, was ich als Einzelner in absehbarer Zeit und neben den Aufgaben eines Instituts in den Griff zu bekommen hoffen konnte. Seit vier Jahren wird diese Dokumentation daher in Heidelberg im Team bearbeitet, um allmählich in die Form einer mehrbändigen kommentierten Edition gebracht zu werden. Drei Bände sind geplant, von denen der erste die Totenliturgien in den Sargtexten des Mittleren Reiches und der zweite die verstreuten Totentexte des Neuen Reiches zum Opferritual enthalten soll. Diese beiden Bände sind inzwischen abgeschlossen. Der dritte Band soll die Totenliturgien der späten Papyri enthalten sowie die "Sargtexte" des 1. Jahrtausends, die auf solchen Liturgien beruhen. Von der Existenz dieser Sargtexte hatte die Wissenschaft bislang am allerwenigsten Notiz genommen. Man ging davon aus, dass es Sargtexte im Sinne von Totenliteratur nur auf den Särgen der Ersten Zwischenzeit und des Mittleren Reiches gibt. Auf den Särgen anderer Epochen stehen kurze und stereotype Formeln oder Auszüge aus dem Totenbuch. Diese Annahme hat sich nur zum Teil als richtig erwiesen. Die meisten der Sprüche, die auf den Särgen des 1. Jahrtausends stehen, stammen nicht aus dem Totenbuch, sondern aus den Totenliturgien, wobei wiederum die Semantik der Einbalsamierung im Vordergrund steht. Sie scheint mit dem Sarg, aus naheliegenden Gründen, enger verbunden als der Opferkult. Diese späten Sargtexte sind so zahlreich, dass der dritte Band vermutlich in zwei Teilbänden vorgelegt werden muss, um das ganze Material aufnehmen zu können.
 

So hat sich inzwischen neben die bekannten Korpora der Totenliteratur – Pyramidentexte, Sargtexte und Totenbuch – ein viertes Korpus gleichen Umfangs gestellt, das die Totenliturgien umfasst. Dieses Korpus soll nun in einer Form präsentiert werden, die zugleich mit den Texten auch die Aufschlüsse vorlegt, die sich aus ihnen für die Geschichte der ägyptischen Totenreligion gewinnen lassen. Das ist eine neue Form, die sich für mich bei der Arbeit an ägyptischen Götterhymnen bewährt hat. Eine Methode wird ja gewöhnlich nicht vorgefunden, sondern entwickelt sich in der Auseinandersetzung mit den spezifischen Problemen eines Themas. Wenn man nicht nur ein Korpus gesammelter Texte in Übersetzung und Kommentar vorlegen will, wofür es natürlich genügend Vorbilder gibt, sondern darüber hinaus aus den gesammelten Texten die Semantik der kulturellen Praxis, in der sie verankert sind, erschließen will, muss man sich in methodisches Neuland vorwagen. Die für solche Fragestellungen in der Ägyptologie gängige Methode der Phraseologie bewährt sich nicht, weil sie die Texte in einzelne Phrasen zerlegt, die gesuchte Semantik aber sich immer erst im Zusammenhang des Textes zeigt. Auf der anderen Seite streben wir aber auch keine Anthologie an, die nur anhand ausgewählter Texte ein neues Bild der ägyptischen Totenreligion illustrieren will. Also gilt es, einen Mittelweg zu finden, der es erlaubt, sowohl die Fülle der Texte zu dokumentieren, als auch wenigstens in großen Umrissen das neue Bild herauszuarbeiten, das sich aus ihnen für die Geschichte der ägyptischen Totenreligion gewinnen lässt. Ähnlich wie meine verschiedenen Untersuchungen zu ägyptischen Götterhymnen und den an ihnen erkennbaren Wandlungen der ägyptischen Theologie beruht auch diese Untersuchung der ägyptischen Totenliturgien zu einem großen Teil auf den noch kaum gehobenen Schätzen religiöser Texte, die sich in den Grabinschriften gerade der Ramessidenzeit (1300—1100 v.Chr.) finden. Der systematischen Erforschung und Veröffentlichung solcher Grabanlagen galt ein anderes, aus Mitteln der DFG gefördertes Projekt, das, auf 15 Jahre befristet, am Heidelberger Ägyptologischen Institut von 1978—1993 durchgeführt wurde und derzeit aus Mitteln des Max-Planck-Forschungspreises zusammen mit dem Generaldirektor des Ägyptischen Museums Kairo, Dr. Mohamed Saleh fortgesetzt wird (Anm. 2). Zu den Zielsetzungen dieses Projektes gehört die Erschließung der ägyptischen "Grabsemantik", d.h. der Vorstellungswelt, die in den ausgedehnten Grabanlagen der Ramessidenzeit sowie der anderen, ständig zum Vergleich herangezogenen Epochen der ägyptischen Grabkultur Ausdruck gefunden hat. Der Grundgedanke der Heidelberger "Gräberforschung" besteht darin, die Welt der Texte und die Welt der archäologischen Befunde im Sinne gegenseitiger Aufhellung miteinander zu verbinden. So wie im Fall der Götterhymnen die Gräber mit ihren Details der Datierung, der Anbringungsorte der Texte im Grab, der beruflichen Stellung ihrer Grabherren die religiöse Gedankenwelt um den historischen, kultischen und sozialgeschichtlichen Kontext erweiterten, bringen auch, und hier sogar in noch erheblicherem Umfang, die Gräber eine Fülle von Aufschlüssen zum Verständnis der Texte und ihrer historischen und sozialen Einordnung bei und beleuchten umgekehrt die Texte die Bedeutung der Gräber im Rahmen der Vorstellungswelt ihrer Erbauer.

Die Frage, ob sich ein solches Unternehmen lohnt, führt uns zum Ausgangspunkt zurück. Das Wissen um den Tod ist das Humanum schlechthin und alle aus diesem Wissen entspringenden Formen kultureller Praxis führen uns auf den Kern des menschlichen Wesens. Darum müssen uns, die wir wie kaum eine Epoche vor uns an der geschichtlichen Aufhellung der menschlichen Existenz interessiert sind, solche Formen einer ganz besonders elaborierten Praxis, wie sie die altägyptischen Totenliturgien darstellen, wichtig sein. Kaum ein anderer Aspekt der ägyptischen Kultur ist uns zugleich so fern und so nah: so nah und nachvollziehbar in den Erfahrungen, um deren Bewältigung es hier geht, und so fern und fremd in den Lösungen, die die Ägypter für das Problem der Todesbewältigung gefunden haben.

Anmerkungen:
    • Anm. 1 
      Projektleiter: Jan Assmann, Mitarbeiter Martin Bommas und Hilfskräfte (Andrea Kucharek, Nadine Moeller)
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    • Anm. 2 
      Die unauflösliche Verbindung zwischen diesen beiden von der DFG geförderten Projekten – "Totenliturgien" und "Ramessidische Beamtengräber" – lässt hier auch ein Wort der Dankbarkeit an die Mitarbeiter des Gräberprojekts und vor allem an Friederike und Karl Joachim Seyfried angebracht erscheinen. Diese Arbeiten haben sich in einem ständigen Gedankenaustausch vollzogen, ohne den viele Erkenntnisse und Ergebnisse nicht zu denken sind.
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